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Das 18. Jahrhundert

Friedrich der Große.
Friedrich der Große.
Gemälde von Johann G. Ziesenis.
[Die Großen Deutschen,
Bd. 2, S. 124.]
Aus dem landesherrlichen Absolutismus des 17. Jahrhunderts mit den naivspielenden Hofhaltungen kleiner Fürsten, umsäumt von den gierigpolitischen Visionen eines Ludwig XIV. und einer schwelgenden, herausgeputzten Lustwandlung, die zwischen süßlichen Boudoirs und blutenden Schlachtfeldern pendelte, richtete sich das deutsche Volk langsam auf. Das Genie Friedrichs des Großen löste aus einem politischen Chaos wieder die deutsche Kristallisationskraft und schenkte ihr eine politische Umwelt für höchste Leistungen auf allen Gebieten. Friedrichs Flöte ist das Symbol der Einheit von deutscher Politik und edler Seelenhaltung.

Wir fühlen den breiten Strom der großen Zusammenhänge im deutschen Schaffen und Erleben, wenn wir in dieses 18. Jahrhundert blicken, aus dem die Lebenswelten eines Goethe und Schiller leuchten.

Gottfried Wilhelm Leibniz.
Gottfried Wilhelm Leibniz.
Zeitgenössischer Stich.
(Bildarchiv Scriptorium.)
Um die Wende des 17. zum 18. Jahrhundert begegnen [26] wir dem weltumspannenden Geist eines Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), dessen universeller Schöpferkraft wir nicht nur ein grundlegendes Weltbild verdanken, der auch die Differential- und Integralrechnung in nutzbarer Form schuf, dieses mathematische Denken mit hochentwickelter technischer Fähigkeit in seine Rechenmaschine einbaute und so seinen Zeitgenossen einen Mechanismus von erstaunlichem Ausmaß eines fast lebendigdenkenden Wesens schenkte. Auf dem Gebiete der Physik hat Leibniz viele Schranken mit Beweisen übersprungen, die für Jahrhunderte richtunggebend wurden.

Die Chemie trat aus den dunklen Mysterien der Alchimistenküche langsam in neues Licht. Versuche reihten sich an Versuche. Die gesteuerte Flamme schmolz das Rätsel der Materie in den Tiegeln, der Stoff blähte sich unter dem Druck gelenkter Einflüsse in den Retorten und gab Antwort auf die Fragen der chemischen Sucher. Der deutsche Forschergeist faßte diese Probleme des Stoffes, die aus Metallen und Salzen, aus Lösungen und Kristallen, aus der Luft und aus dem Feuer dem Menschen entgegenprallten, mit mutigen Griffen an. Mancher Irrtum war das Sprungbrett zur später gefundenen Wahrheit.

Georg Ernst Stahl.
Georg Ernst Stahl.
(Nach wikipedia.org.)
Ein ganzes chemisches Zeitalter führt den Namen eines solchen wegbereitenden Irrtums, der Phlogiston hieß und von den Forschertagen des Deutschen Georg Ernst Stahl seinen Ausgang nahm. Stahl nahm in seiner Spekulation, die er durch Versuche erklärten wollte, in allen verbrennbaren Stoffen dieses im Feuer entweichende Phlogiston an und begründete dadurch das phlogistische Zeitalter der Chemie, wie wir es in dem Zeitraum von 1700 bis 1774 vor uns haben.

Von Stahl wurden gründlich und meisterhaft die Grundlagen der analytischen Chemie geschaffen, die schließlich sein Phlogiston wieder stürzen mußte, weil die Waage als empfindsames und unbestechliches Instru- [27] ment in die chemischen Laboratorien einzog und die Elemente gegeneinander auswog.

In diese Zeit des chemischen Suchens fällt die deutsche Entdeckung des Berliner Blaus (1704) durch den Färber Viesbach in Berlin, die Erfindung des ersten Hartporzellans (1710) in Europa durch Johann Friedrich Böttger.

Leonhard Euler.
Leonhard Euler.
Gemälde von Jakob Handmann
(Nach wikipedia.org.)

Georg Friedrich Händel.
Georg Friedrich Händel.
Gemälde von Th. Hudson, 1749.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 149.]

Johann Sebastian Bach.
Johann Sebastian Bach.
Gemälde von unbekanntem Künstler, um 1725. [Die Großen Deutschen im Bild, S. 145.]

Wolfgang Amadeus Mozart.
Wolfgang Amadeus Mozart.
Detail, Gemälde von Johann H. W. Tischbein.
(Bildarchiv Scriptorium.)
Neben ihnen arbeiten Männer wie Leonhard Euler als Mathematiker und Physiker wichtige Gebiete durch und legen der Wissenschaft ihre Leistungen vor: die erste achromatische Linse (1747), aerodynamische Berechnungen und mathematische Entwicklungselemente. Wir begegnen Albrecht Haller, einem universellen Geist, der von der Naturforschung her ein tüchtiger Arzt wurde und in dem eine seelenhelle dichterische Saite mitschwang. Er hat die Mechanik der Herz- (1736) und Atembewegung (1746) beschrieben, wichtige physiologische Feststellungen gemacht und neue Arzneimittel eingeführt.

In der kämpferischen Zeit um Friedrich den Großen erklang die deutsche Seele in herrlichen Musikschöpfungen, wie wenn dieser Guß deutschen Wesens durch die Härte der Zeit ein besonders schwingendes Wesen in sich aufnehme.

Georg Friedrich Händel (1685–1759) ist der Schöpfer des "Messias", vieler Oratorien und Musikdramen, auf reifer Stufe musikalischen Schaffens und aus wenigen Mitteln energiesteigernde Harmonien bauend, die unvergängliche Werte in sich schließen.

Wir fühlen das Walten einer höheren Macht aus der Tatsache, daß zu gleicher Zeit und schicksalsverflochten im Krafthauch gleicher Erde uns ein anderer Meister musikalischer Schönheit geschenkt wurde: Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750), der große Repräsentant deutscher Musik, erfüllt von einer Klarheit musikalischer Formgebung, die wie mit verzauberter Hand die auseinanderstrebende Tonwelt in der goldenen Schüssel [28] seiner Seele zu einem warmen, lebensstrahlenden Edelstein zusammenschloß.

Eine Ewigkeitsflamme schlägt auch aus den musikalischen Schöpfungen von Christoph Willibald Gluck (1714–1787) heraus, der in meisterlichem Aufstieg sich zu Würde und Schönheit in seinen Werken bekannte und so zum kulturellen Besitz Deutschlands und der ganzen Welt wurde.

Aus dem blauen Himmelszelt selbst entstiegen, mit goldenen Strahlen ewigen Lichtes als Huldigung der Engelscharen beschenkt, erscheint uns Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) mit seiner aus dem Reichtum deutscher Seele geborenen Musik.

Daß Deutschland in dieser barocken Zeit überschäumender Formen tüchtigen Baumeistern große Aufgaben stellte, die sie in vielbewunderten Werken erfüllten, ist erwiesen durch Andreas Schlüter (1632–1714), dem Miterbauer des Berliner Schlosses, durch Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656–1723), dem Schöpfer des Schlosses Schönbrunn und der Wiener Karlskirche, durch Balthasar Neumann (1687–1753), dem Erbauer der Bamberger Residenz, vieler Schlösser und Kirchen, durch Georg von Knobelsdorff (1699–1753), dem Architekten des Berliner Opernhauses und von Sanssouci.

Aus der künstlerischen Trunkenheit jener Zeit kommen die mahnenden und klärenden Worte eines Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), die auf die Kunstentwicklung großen Einfluß ausübten.

Am Dichterhimmel des 18. Jahrhunderts stehen die Sternbilder eines Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 bis 1803), dessen Seelenkraft in dem christlichen Heldenepos "Der Messias" verkörpert wurde, eines Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), dessen dichterische Werke unvergänglicher Besitz der Nation wurden.

Johann Wolfgang Goethe.
Johann Wolfgang Goethe.
Holzschnitt von unbekanntem Künstler.
(Bildarchiv Scriptorium.)

Friedrich Schiller.
Friedrich Schiller.
Gemälde von Gerhard Kügelgen.
(Bildarchiv Scriptorium.)

Friedrich Hölderlin.
Friedrich Hölderlin.
Pastell-Gemälde
von F. C. Hiemer.
[Die Großen Deutschen,
Bd. 2, S. 357.]
In Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) ist Deutschland mit einem Genius beschenkt, der mit allen Leiden- [29] schaften und glühenden Wünschen das menschliche Sein und die Tiefe der Natur in die lebendigen Zeichen deutscher Sprache einfing. Goethe ist uns das Sinnbild grenzenloser Vitalität, die eindringt in das göttliche Erzfeld der Welt und mit den Eindrücken zurückkehrt in den vertrauten Raum der deutschen Scholle, um so die Ganzheit des Erschauten mit der eigenen Seele zur Einheit zu bringen. Goethes Werke sind eine riesenhafte Burg deutscher Werte, die uns kein Feind nehmen kann, die aber jedem Feinde zur Bekehrung offen steht.

Nochmals blicken wir auf eine Offenbarung geheimnisvollen Wirkens in den Geschenken der Genialität: im gleichen Zeitenkreis, den das Schicksal dem Dichter Goethe zugewiesen hat, steigt die Dichtung von Friedrich Schiller empor, eine eherne Welt des Geistes mit den Blicken auf die Abgründe menschlicher Verderbnis und auf die Gipfel menschlicher Erhabenheit. An dem Zaubermantel der Sprache, den Schiller um sich trägt, haften sich im Schritte seines schauenden Lebens Dämonen und Götter, Stürme und Blütenträume, Todeswellen und lockende Flüsterstimmen und er streift sie mit sorgender, aber sicherer Hand in seine Dichtung, die uns und die ganze Welt, solange es Menschen gibt, erschüttert, da sie den Gott im Menschen ahnen läßt. Des Dichters Stimme ist Gottes Stimme.

Ein anderer Schwabensohn, Friedrich Hölderlin (1770 bis 1843), feiert in der hellhörigen Gegenwart seine Auferstehung. Aus der olympischen Luft seiner Dichtung weht ewiger Frühling.

Wir blicken in dem zu Ende gehenden 18. Jahrhundert, geblendet von dem glühenden Dichterleben, um uns und nehmen eine starke deutsche Wurzel wahr: Johann Gottlieb Fichte (1762–1814), ein kämpferischer Recke um Wahrhaftigkeit und Deutschtum.

Vielen Deutschen war die Heimat zu eng geworden. Amerika, die fernen Kontinente standen im lockenden [30] Lichterspiel der Fantasie und unerfüllter Wünsche. Gar mancher deutsche Same hat in fremdem Lande Wurzel geschlagen und deutsche Tatkraft in neuer Umwelt umgesetzt zu Ruhm und Fortschritt.

Die aufwühlende Gegenwart läßt uns das Bild eines deutschen Kämpen erstehen: Friedrich Wilhelm von Steuben, gebürtig aus Magdeburg (1730–1794). Mit den militärischen Erfahrungen im Heere Friedrichs des Großen, erfüllt von den charakterlichen Voraussetzungen soldatischen Erfolges, wurde er Mitkämpfer Washingtons im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und hat die deutschen Mannestugenden zu Amerikas Ruhm und Gedeihen eingesetzt.

Immanuel Kant.
Immanuel Kant.
Gemälde von V. C.Vernet. [Die Großen Deutschen im Bild, S. 174.]

 Georg Wilhelm Friedrich Hegel.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel.
Gemälde von Jacob Schlesinger.
[Die Großen Deutschen,
Bd. 3, S. 151.]
Die deutsche Geisteswelt hat im 18. Jahrhundert aber nicht nur in der verklärenden Sonne der Dichtung ewige Leuchtkraft erhalten. Die Vielseitigkeit und die Wurzelkräfte deutschen Wesens, ihre Verflochtenheit mit den großen Tiefen unseres Erdenwandels, ihre Gefühlsstärke für die Rhythmen kosmischen Seins, das sein Echo in den kleinsten Dimensionen hat, gaben dem deutschen Wirken eine schrankenlose Raumweite und eine bewußte Strenge, auch der nahen Rätsel Herr zu werden.

In dem Brennspiegel der Vernunft und der Logik sammelte Immanuel Kant das gedankliche Sein und leuchtete scharfsinnig in das Wesen der Erfahrung bis an die Grenzen menschlicher Erkenntnis.

Ein anderer großer Philosoph des 18. Jahrhunderts ist Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dem es gelang, in philosophischer Analyse das Gefüge der Geisteswerte aufzuhellen und daraus Erkenntnisse großen Ausmaßes abzuleiten.

Schleiermacher (1768–1834), Schopenhauer (1788 bis 1860), Friedrich Wilhelm Josef Schelling gehören zu dem deutschen Bau der Philosophie, in der sich Leidenschaft und Stärke die Hände reichen.

In dem Wellenschlag politischer Wandlung bildete sich [31] am Ausgang des 18. Jahrhunderts wieder ein tiefes Tal. Die französische Revolution warf ihren Blutschein über den Horizont. Im entfesselten Fieber vernichtet sie mit den Krallen ungezügelter Triebe und irrsinniger Dämonie die geistigen Mächte, die begannen, in den naturforschenden Laboratorien aufzustehen. "Wir haben keine Gelehrten nötig!" schrie der französische Pöbel und brachte die besten Köpfe unter die Guillotine. Der kaum gelüftete Schleier über der Materie wurde wieder eine dunkle Hülle.

Karl Wilhelm Scheele.
Karl Wilhelm Scheele.
(Nach britannica.com.)
Der deutsche Apotheker Scheele führte in der Vorzeit dieser erregenden Revolutionsjahre wichtige chemische Untersuchungen durch und bestätigte von neuem, daß sich der deutsche Forschergeist über den Kosmos spannt. Karl Wilhelm Scheele (1742–1786) entdeckte zahlreiche chemische Körper, auch das Mangan und das Chlor (1774). Seine ergiebige chemische Lebensarbeit führte zu analytisch und synthetisch wichtigen Reagenzien, die heute zum notwendigen Bestand chemischer Forschung in aller Welt gehören. Auf seiner Methodik und seinen Leistungen baute sich die Neuformung der Chemie am Ende des 18. Jahrhunderts auf, wobei auch vom Politiker erkannt werden mußte, wie die Kunst chemischer Komposition eine Nation in dem Augenblick stärken kann, in dem sie in der Versorgung wichtigster Stoffe auf sich selbst angewiesen ist.

Die Chemie trat mit diesen Erkenntnissen, an deren Ausbau namentlich seit dem 18. Jahrhundert Deutschland führend beteiligt ist, aus ihrer Bescheidenheit und bezwang gewaltige Aufgaben.

Johann Peter Frank.
Johann Peter Frank.
(Nach wikipedia.org.)
Auf naturwissenschaftlichen Gebieten kamen noch zu Ende des 18. Jahrhunderts weitere bedeutsame Leistungen: A. G. Werner begründete die Geognosie (1785), Friedrich Wilhelm Herschel verbesserte das Spiegelteleskop (1785) und entdeckte Tausende von Sternennebeln und Sternenhaufen, die er sorgsam in einem Nebelkata- [32] log registrierte. Johann Peter Frank schuf ein "System der medizinischen Polizei" (1792), womit er die ärztliche Erfahrung auf eine Städtehygiene verbreiterte, welche die Voraussetzung für die Städteentwicklung der Gegenwart wurde. Militärärztlich bedeutungsvoll ist das "fliegende Feldlazarett" des Johann Görcke (1793) in Verbindung mit einem Krankentransportwesen, das für alle Nationen zum Vorbild wurde.

Die mathematischen Leistungen eines Karl Friedrich Gauß (1777–1855), die Lebensarbeit eines Alexander von Humboldt (1769–1859), die geographisch und geophysikalisch Höchstes erbrachte, die "Makrobiotik" des Arztes Wilhelm Hufeland (1762–1836) gehören zu den Lichtpunkten einer gärungsreichen Zeit, aus der tastend der stark werdende Zweig der Technik mit ihren Lebenselementen aus Physik, Metallchemie und Mathematik herauswuchs.





Da staunt die Welt.
Adolf Reitz