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Das 17. Jahrhundert

Im 17. Jahrhundert ballten sich die dunklen Wolken über Deutschland. Die Reaktion warf schon im ersten Jahrzehnt die Zeichen kommender Stürme voraus. Die Geisteskraft eines Johannes Kepler, dessen Stern wenige Jahre vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges aufstieg und der dem großen Wallenstein Horoskope aus politischem Denken stellte, leuchtet über das dunkle Geschehen, das Deutschland zu Boden drückte.

Diese schwere Zeit hat den Mut deutschen Denkens und Schaffens auf die Dauer nicht zu zermürben ver- [23] mocht. Der Krieg gab für gewisse Arbeitsgebiete besondere Forschungsgelegenheit. Martin Böhme beispielsweise begründete 1618 die Pferdearzneikunde. Ein anderer Arzt, Fabriz von Hilden, deutet 1620 die Schädelverletzungen als häufige Ursache von Geisteskrankheiten. Marcus Banzer verwendet 1640 zum erstenmal ein künstliches Trommelfell für das menschliche Ohr.

In der Geschütztechnik wurden im Dreißigjährigen Krieg von einer Reihe deutscher Erfinder wesentliche Verbesserungen erzielt, so durch den Nürnberger Büchsenmacher Augustin Kutter, der Züge in den Büchsenlauf einschnitt. Die Landkartenherstellung wird von dem deutschen Schickhart in dieser Zeit verbessert.

Christoph Scheiner.
Christoph Scheiner.
Gemälde von Chr. Schön.
(Bildarchiv Scriptorium.)
Immer aber richtete sich der Blick zum Himmel, und durch das Fernrohr Keplers gelang es dem Deutschen Christoph Scheiner, dem wir viele augenoptische Entdeckungen verdanken, 1630 gleichzeitig mit anderen Forschern die ersten Sonnenflecke wahrzunehmen. Im Dreißigjährigen Krieg machte der Magdeburger Bürgermeister und Kriegstechniker Otto von Guericke die Erfindung der Luftpumpe, die er 1654 auf dem Regensburger Reichstag in einem dramatischen Versuch der staunenden Welt vorführte. Der Zusammenhang von Wetterbildung und Luftdruck wurde ihm zum erstenmal offenbar. Guericke ist der Erbauer der ersten Reibungs-Elektrisiermaschine (1653). Einige Jahre später entdeckte der Hamburger Kaufmann Brand den Phosphor (1669).

Heinrich Schütz.
Heinrich Schütz.
Zeitgenössisches Gemälde.
[Die Großen Deutschen,
Bd. 1, S. 627.]
In dem Getöse des Dreißigjährigen Krieges ist die Musik eines großen deutschen Genies, Heinrich Schütz, den man als den Rembrandt der Musik bezeichnete, zum stummen Leiden und Warten geworden. Er hat in seinem musikalischen Herzen mitgewirkt, daß die deutsche Seele in harter Zeit nicht verdorre.

Das Eigentümliche in der deutschen Werkmannsarbeit war seit alters her die innere, musikalische Fröhlichkeit. Die Schmiede, die wir in dieser frühen Zeit in den ab- [24] gelegenen Wäldern bei ihrer schweren Arbeit treffen, waren nebenbei tüchtige Theaterspieler. Wir hatten ein solches Schmiedetheater an der Kieserach seit 1600 durch zwei Jahrhunderte. In den alten Glashütten, die auf den unzugänglichen Waldeshöhen errichtet waren, weil dort die Pottaschegewinnung aus den gefällten Bäumen billig war, war ein oft recht lustiges Gesellenvolk zusammen. Die Müllersleute waren an vielen Plätzen ebenfalls Schauspieler. Die Bergmannen, die Gilde der Salzschiffer sind Sänger und gefühlvolle Schauspieler. Als die Pest den dunkelsten Todesschatten 1663 über Deutschland warf, fanden die Oberammergauer den seelischen Mut zum Gelöbnis ihrer Passionsspiele.

Wir denken an das schöne, echt deutsche Brauchtum im Handwerk, an die festlichen Umzüge der Zünfte, aus denen Witz und Lebensfreude sich über das ganze Volk ergossen, an die Maien- und Schützenfeste, an den gesunden Lebenssinn, der sich in der Wanderschaft des deutschen Handwerksgesellen ausprägte und eine große Volksgemeinschaft hegte: "Alle mit Gott – Gott ehre das ehrbare Handwerk!"

Das ist deutsche Erde, deutsches Blut, deutsche Urkraft.

Das sanghaft Dichterische dieser deutschen Arbeit klingt uns aus der Schusterwerkstatt des Hans Sachs entgegen, einem Nürnberger Meister, der im Jahre 1494 geboren ist. Neuschuster und Flickschuster, auch Altbüßer genannt, gab es in jedem Städtchen. Hans Sachs, ein echter Meistersinger, hat der Nachwelt nicht weniger als 6000 Dichtungen, darunter 208 Tragödien und Komödien, geschenkt. Wie muß dieses Schusterherz vom Rhythmus erfüllt gewesen sein! Dem großen Reformator Luther widmete er 1523 "Die Wittenbergische Nachtigall" mit dem schwärmerischen Auftakt:

      "Wacht auf, es nahet gar der Tag,
      ich hör singen im grünen Hag
      ein' wonnigliche Nachtigall."

[25] 1576 ist dieser "Teutsche Poet und geweseneder Schuhmacher" mit der Laute im Arm aus dem Zeitenraum getreten. Seine Lebenslust zum Meistersinger hat durch Richard Wagner ewige Klänge erhalten.

Hierin sind die Deutschen der Welt ein unerreichbares Vorbild geworden. Aus dieser starken Seelenstimmung, welche die tägliche Arbeit zum tiefen Erklingen brachte, ist die soziale Kraft, die Deutschland zusammenschweißte und emporführte, zu verstehen.

In der Innerlichkeit der Deutschen liegt das Heilmittel, nach den politischen Schlägen des 17. Jahrhunderts mit dem Raub der Selbständigkeit das Schwerste zu überwinden und geläutert und stark aus neuer Prüfung emporzusteigen. Dies ist das deutsche Phänomen, der Urwille des Blutes, die große Macht des deutschen Wesens und Könnens, die starke Freiheit, die sich nie auf die Dauer weder Fesseln des Geistes noch Ketten der Abhängigkeit anlegen läßt.





Da staunt die Welt.
Adolf Reitz