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Das große Verständigungsangebot Adolf Hitlers an England und die deutsch-englische Flottenkonvention vom 18. Juni 1935

Von dem großen Verständigungsangebot des Führers an England, für das sich einzusetzen Ribbentrop beauftragt war, nahm die englische Regierung nur den Vorschlag einer Festlegung des Kräfteverhältnisses zwischen den beiderseitigen Seestreitkräften im Verhältnis 35 : 100 an - also die einseitige und freiwillige Rüstungsbeschränkung für die deutschen Seestreitkräfte, die Deutschland anbot.

Aus den geschichtlichen Quellen geht dies hervor: Deutschland hatte sich an den Verhandlungen über eine europäische Rüstungsbeschränkung nur beteiligt, um sein vitales Interesse an der Gleichberechtigung in der nationalen Selbstverteidigung zu wahren, und weiter, um seinen guten Willen in Anbetracht eines internationalen Vertragswerkes zu bezeigen, von dem andere Mächte Nutzen für ihre Sicherheit erwarteten. Deutschland selbst hatte an einer internationalen Rüstungsbeschränkung kein unmittelbares eigenes Interesse. Es begnügte sich mit der Gleichberechtigung hinsichtlich der Rüstung - sei es im Rahmen einer Rüstungskonvention, sei es im Sinne der souveränen Wehrhoheit, die besagt: daß jeder Staat seine Rüstung entsprechend seinen besonderen Sicherheitsbedürfnissen und seinem Vermögen entwickeln darf. Im friedfertigen Bewußtsein seiner eigenen Stärke sah Deutschland kein eigenes vitales Interesse darin, die Rüstungen der anderen Mächte beschränken zu lassen - im Unterschied also zu England, das sich an der Rüstungsbeschränkung der anderen stark interessierte.

So äußerte Hitler schon in seiner Unterredung mit Ward Price vom August 1934: Die Vermehrung der britischen Luftstreitkräfte errege nicht die geringste Erbitterung in Deutschland - möge England auch seine Flotte verdoppeln oder vervierfachen oder auf jede beliebige Stärke bringen... Und in der Reichstagsrede vom 30. Januar 1937: "Wenn... Großbritannien heute das Ausmaß seiner Rüstung festlegt, so wird dies in Deutschland jedermann verstehen, denn wir können es uns nicht anders denken, als daß für die Bemessung des Schutzes des englischen Weltreiches ausschließlich London selbst zuständig ist..." Es sei klar, daß das Ausmaß der Rüstung für eine Verteidigung bestimmt wird und von dem Ausmaß der Gefahren, die ein Land bedrohen. Darüber zu urteilen, sei jedes Volk selbst zuständig, und zwar allein zuständig...

Im übrigen ist Deutschland vorwiegend Landmacht, deren Sicherheitsbedürfnis stärkere Land- und Luftstreitkräfte erfordert, während sein Sicherheitsbedürfnis zur See einen verhältnismäßig geringeren Rüstungsstand der Seestreitkräfte erfordert. Hinzu kommt, daß Deutschland seit 1933 dazu überging, seine Volkswirtschaft so weit als irgend möglich umzustellen auf Selbstversorgung aus eigenem Boden und aus der kontinentalen Nachbarschaft. Die Notwendigkeit dieser Entwicklung ergab sich aus einer Reihe von Faktoren: dem Raub seiner Kolonien und seines großen Auslandsvermögens; aus den Folgen der sogenannten Reparationspolitik, die die Weltwirtschaft in Unordnung brachte, und aus dem Verfall der freien Weltwirtschaft überhaupt. Aus den Erfahrungen des Weltkrieges, vor allem der erlittenen Hungerblockade zog Deutschland die Folgerung: die "Lebensadern" seiner Volkswirtschaft tunlichst von den Weltmeeren zurückzuziehen und auf das Festland zu verlegen. In dem Maße, wie demnach die Zufuhr aus Übersee weniger lebensnotwendig für Deutschland wurde, konnte Deutschland erst recht das Maß seiner Seestreitkräfte gering ansetzen und damit zugleich England entgegenkommen, das in größeren deutschen Seestreitkräften eine Bedrohung seiner Sicherheit sah.

Der Führer hat mehrfach diese Eigenart des deutschen Sicherheitsinteresses hervorgehoben, seine Rolle als Basis der deutsch-englischen Verständigung klargestellt und es als ein Moment gekennzeichnet, das es Deutschland ermöglicht, den "Vorrang der englischen Seemachtinteressen" vorbehaltlos anzuerkennen. So heißt es insbesondere in seiner Rede vom 21. Mai 1935, im 8. der 13 Punkte: "Deutschland hat weder die Absicht noch die Notwendigkeit oder das Vermögen, in irgendeine neue Flottenrivalität einzutreten. Die deutsche Reichsregierung erkennt von sich aus die überragende Lebenswichtigkeit und damit die Berechtigung eines dominierenden Schutzes des britischen Weltreiches zur See an, genau so, wie wir umgekehrt entschlossen sind, alles Notwendige zum Schutze unserer eigenen kontinentalen Existenz und Freiheit zu veranlassen. Die deutsche Regierung hat die aufrichtige Absicht, alles zu tun, um zum britischen Volke und Staate ein Verhältnis zu finden und zu erhalten, das eine Wiederholung des bisher einzigen Kampfes zwischen beiden Nationen für immer verhindern wird."35

Auf Grund des deutschen Vorschlages kam es dann zu der deutsch-englischen Flottenkonvention36 vom 18. Juni 1935 mit ergänzenden Abreden vom 17. Juli 1937 und 29. Dezember 1938. Die Flottenkonvention wurde vollzogen durch Briefaustausch zwischen dem englischen Außenminister, Sir Samuel Hoare, und dem außerordentlichen bevollmächtigen Botschafter des Reichs, v. Ribbentrop; unterzeichnet am Tage von Waterloo. Kernstück des Vertrages war die Vereinbarung: daß die zukünftige Stärke der deutschen Flotte gegenüber der Gesamtflottenstärke der Mitglieder des Britischen Reiches im ständigen Verhältnis 35:100 stehen solle. Dieses Stärkeverhältnis solle unberührt bleiben durch Baumaßnahmen anderer Mächte. Sollte jedoch durch außergewöhnliche Baumaßnahmen fremder Mächte das allgemeine Gleichgewicht der Seerüstungen erheblich gestört werden, so blieb der Reichsregierung vorbehalten, die britische Regierung zu einer Prüfung der so entstandenen neuen Lage aufzufordern. Sie erklärte sich ferner für jenes System der Rüstungsbeschränkung, nach dem die Kriegsschiffe in Kategorien eingeteilt werden, wobei die Höchsttonnage und das Höchstkaliber der Geschütze für die Schiffe jeder Kategorie festgesetzt und die jedem Lande zustehende Tonnage nach Schiffskategorien zugeteilt wird. Hinsichtlich der U-Boote behielt sich jedoch Deutschland Parität der Tonnage gegenüber der U-Boot-Flotte des britischen Reiches vor. Von diesem Recht wollte Deutschland. jedoch nur nach vorangehender Mitteilung und freundschaftlicher Erörterung mit England Gebrauch machen und bis dahin sich vorläufig mit 45% der U-Boot-Tonnage des britischen Reiches begnügen.

Zugleich mit dieser Flottenkonvention erklärte Deutschland sich bereit zum Beitritt zu der U-Boot-Kriegskonvention der Seemächte von 1930 (Abschnitt IV des Londoner Flottenvertrages von 1930). Diese Erklärung, die man als "Verzicht auf unbeschränkten U-Boot-Krieg" zu bezeichnen pflegt, entsprach der von Adolf. Hitler auch sonst vertretenen Auffassung, daß die vertragliche Rüstungsbeschränkung sinngemäß durch vereinbartes Recht der Kriegshumanisierung oder der ehrlichen Waffenführung ergänzt werden muß.37

Das Zusatzabkommen zur Flottenkonvention vom 17. Juli 1937, unterzeichnet von Ribbentrop, Eden und Duff Cooper, enthielt u. a. ein Übereinkommen über Schiffsgrößen und Bestückung der Kriegsschiffe, verschiedene rüstungstechnische Einzelheiten und betreffend den beiderseitigen Nachrichtenaustausch über Schiffsbauten.

Im Dezember 1938 teilte Deutschland dem Vertragspartner mit, daß es die vertraglich vorgesehene Verstärkung seiner U-Boot-Flotte nunmehr für notwendig halte. Es kam zu Verhandlungen mit einer englischen Flottendelegation in Berlin. Die Verhandlungen fanden in den zwischen den beiderseitigen Marineoffizieren gewohnten kameradschaftlichen Formen statt; die Presse beider Länder hob ihren freundschaftlichen Geist hervor. In der englischen Presse anerkannte man das vertragsgerechte Vorgehen Deutschlands, auch seine bisherige Vertragstreue zur Konvention, aber man fand es enttäuschend, daß Deutschland von seinem Recht zur U-Boot-Parität mit England Gebrauch machte.

Im übrigen aber blieb Deutschland enttäuscht über die sonderbar geringschätzige Art, in der England das deutsch-englische Flottenabkommen auffaßte.

Deutschland sah mit gutem Grund die einseitige und freiwillige Begrenzung der deutschen Seestreitmächte auf 35% der englischen als ein in der Geschichte der Großmächte einzigartiges Entgegenkommen Deutschlands gegenüber England an (so noch im Memorandum der Reichsregierung vom 28. April 1939), und als ein Friedensopfer für die deutsch-englische Verständigung. Selbstverständliche Voraussetzung war die Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit entsprechend dem Urrecht der nationalen Selbstverteidigung, das der Friedensvertrag von Versailles Deutschland vertragsbrüchig genommen hatte. Eine Rechtswiederherstellung aus eigener Macht, die Deutschland erst nach dem Mißlingen langdauernder gütlicher Revisionsverhandlungen vollzog. Im übrigen war nach deutscher Auffassung die Flottenkonvention ja nur der Teil eines umfassenden Vorschlages zur radikalen Verständigung zwischen Deutschland und England und sollte der sichere Ausgangspunkt sein für eine fortschreitende Annäherung beider Nationen bis zur Verwirklichung von Hitlers großem Verständigungsvorschlag an England.

Anders die englische Auffassung von der Flottenkonvention. Man konnte sich in England nicht von jener Auffassung freimachen, welche das vertragsbrüchige Diktat von Versailles als gegebene und rechtlich begründete Situation zwischen beiden Mächten ansah. Wenn Deutschland den Zustand der Wehrlosigkeit von Versailles beseitigen wollte, so hätte das geschehen müssen in den Formen der Bitte um Gewährung und Duldung, unter Bedingungen des Verhandelns bis zur Einigung und der Zahlung eines Äquivalentes, eines politischen Loskaufs also... Man nahm schließlich die Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit "durch einseitige Akte" als gegebene Tatsache hin, aber man mißbilligte sie. Und so betrachtete man die Flottenkonvention im Grunde als einen unerfreulichen Kompromiß über den angeblichen Vertragsbruch der deutschen Wiederaufrüstung.

Während Deutschland die deutsch-englische Verständigung als eigentlichen Sinn und Inhalt der Flottenkonvention und eben darin ihren eigentlichen Wert erblickte, betrachtete man in England diesen Pakt nur als Teil der zu erstrebenden vielseitigen Rüstungskonvention, an der auch die anderen Mächte beteiligt sein sollten. Nur vereinzelte Stimmen wurden aus englischen Regierungskreisen über den politischen Wert der Flottenkonvention laut. Man war nicht abgeneigt, sie als "einen praktischen Schritt in der Richtung auf internationale Rüstungsbeschränkung" anzusehen, und zwar als "ersten" solchen Schritt seit dem Weltkriege (Baldwin 29. Juni 1935).38 Bezeichnend blieb es, wenn solche englische Äußerungen als Antwort auf starke englische Kritik an der Flottenkonvention fielen. Die Unterhausrede Hoare vom 11. Juli 1935 suchte solcher Kritik gegenüber das Flottenabkommen mit Ausführungen zu rechtfertigen, die wie eine Bitte um Entschuldigung an das Parlament klangen: daß die englische Regierung sich auf diesen Vertrag mit Deutschland eingelassen habe. Man hat gelegentlich solcher Kritik gegenüber auch auf die von Deutschland zu erwartende und in der Folgezeit geleistete Vertragstreue Deutschlands hingewiesen. Niemals aber hat ein englische Staatsmann das Friedensopfer öffentlich gewürdigt, das das mächtige Deutschland mit dieser freiwilligen und einseitigen Begrenzung seiner Seerüstungen zugunsten Englands für die deutsch-englische Verständigung vollzog.

Der Führer hatte bei dem Angebot dieser Flottenkonvention betont - und das mehrmals wiederholt: Daß es sich bei dem Vertragswerk um einen radikalen Kriegsverzicht zwischen den beiden Nationen handle. Es gelte hier für die beiden Nationen ein Verhältnis zu finden und zu erhalten, durch das eine Wiederholung des bisher einzigen Kampfes zwischen beiden Nationen für immer vermieden würde (Friedensrede vom 21. Mai 1935).39

Und Adolf Hitler hatte bei dieser Auffassung vom Flottenabkommen zugleich das gesamte Verständigungswerk zwischen beiden Nationen im Auge, wie er es in seinem großen Verständigungsangebot zum Ausdruck gebracht hatte.

Vom amtlichen England aber kam kein Widerhall auf diese deutsche Kriegsverzichts-Beteuerung. Man übersah sie, wie überhaupt das besondere Motiv der deutsch-englischen Verständigung in dieser Flottenkonvention. Erst im September 1938 griff Chamberlain das Motiv des deutsch-englischen Kriegsverzichtes auf und entwarf die deutsch-englische Erklärung von München (30. September), nach welcher beide Vertragspartner das deutsch-englische Flottenabkommen (und den
Neville Chamberlain
Neville
Chamberlain

[Fotoarchiv Scriptorium]
Münchener Viermächtevertrag vom 29. September 1938) "als symbolisch ansehen für den Wunsch der beiden Völker, niemals wieder gegeneinander Krieg zu führen".40 Es geschah dies zu einer Zeit, als eine solche Erklärung der englischen Regierung für Deutschland schon nicht mehr recht glaubhaft war (wovon noch zu sprechen sein wird).

Im übrigen hatte sich Chamberlain auch in seinen Äußerungen vom Herbst 1938 über den Friedenssinn der deutsch-englischen Flottenkonvention von 1935 (und das Münchener Abkommen von 1938) wohl gehütet, das große Verständigungsangebot Hitlers an England zu erwähnen, dessen Teil nach Hitlers Wunsch doch die Flottenkonvention sein sollte und dessen andere Teile England nach wie vor ablehnte.

Mit diesen anderen Teilen von Adolf Hitlers großem Verständigungsangebot sowie der Art und den Gründen der englischen Ablehnung wird sich die künftige Geschichtsschreibung noch eingehend zu beschäftigen haben. Inzwischen genügen die Mitteilungen, die Ribbentrop in seiner Danziger Rede vom 24. Oktober 1939 darüber machte, um den Sinn und die Tragweite dieser Vorschläge zu einer endgültigen Verständigung zwischen beiden Nationen deutlich werden zu lassen.

Es ging da - wie wir sahen41 - zunächst um den Vorschlag: Ewige Unantastbarkeit der zwischen Deutschland und England liegenden Länder Holland, Belgien und Frankreich. Damit sollten also diese Gebiete als Zone vitaler Interessen Englands anerkannt werden. Als englische oder europäische Sicherheitszone hatte bekanntlich England diese Gebiete seit langem und in verschiedenen Formen, unter verschiedenen Rechts- oder Friedensideologien beansprucht. Ehedem hieß es: das Land am Niederrhein müsse neutralisiert werden, da England nicht dulden könne, daß dort eine andere Großmacht sich festsetze. In Wirklichkeit betrachtete England das "neutrale" (oder neutralisierte) Gebiet am Niederrhein als Barriere mit wechselnder Front, an der entweder Holland, Preußen oder Frankreich, Belgien als englische Festlandsdegen Wache stehen.42 Ehrlicher sprachen es Kitchener (1913) und Baldwin (1935) aus: daß "Englands Grenzen am Rhein liegen", d. h.: daß nicht nur das Land am Niederrhein, sondern auch Frankreich das natürliche Festlandsglacis Englands sein solle. Eden hatte es etwas unbedacht als das Gebiet bezeichnet, bezüglich dessen Englands Vertragstreue nicht in Zweifel gestellt werden dürfe...43

Der Vorschlag des Führers ließ vermutlich eine gewisse politisch-rechtliche Differenzierung dieses gesamten "Sicherheitsgebietes" zwischen England und Deutschland offen. Jedenfalls ergibt sich aus einer Reihe von Umständen, daß Deutschland mit einer dauernden Neutralitätspolitik der Niederrheinstaaten Belgien und Holland rechnete; und anderseits mit einer Art - verständigungspolitischem - Gleichgewicht zwischen dem englisch-französischen und deutsch-italienischen Einvernehmen.44

Ein weiterer Hauptpunkt des großen Verständigungsangebotes an England war: Respektierung der britischen Interessen in der Welt durch Deutschland und Respektierung der deutschen Interessen in Osteuropa durch England.

Das bedeutet eine Abgrenzung der beiderseitigen Interessen in einem doppelten Sinne. Einmal als räumliche Abgrenzung, nach der England die weite Welt draußen und insbesondere die Regionen seines Weltreiches als sein Interessengebiet behält, seinerseits aber die besonderen Interessengebiete Deutschlands an seinen Ostgrenzen anerkennt. Was hier unter Interessen,45 Interessengebiet, "Lebensraum"46 zu verstehen ist, ergibt sich aus den Verhandlungen über konkrete Tatbestände der Politik. In seiner Rede vom 1. April 1939 stellte Adolf Hitler die besonderen Interessen Englands an Palästina, die Deutschland anerkennt, den Interessen Deutschlands im böhmisch-mährischen Raum gegenüber, in dem England nichts zu suchen habe.

Die Interessenabgrenzung sollte zugleich aber eine solche zwischen den Interessen der Weltmacht England und der kontinentalen Großmacht Deutschland sein. Dieser Gedanke steht in deutlichem Zusammenhang mit dem Grundgedanken der deutsch-englischen Flottenkonvention, in der Deutschland den Vorrang der englischen Seemachtsinteressen anerkennt und seine eigenen Seestreitkräfte entsprechend begrenzt. England sollte dadurch unangreifbar zur See werden. Während Deutschland seine Lebensadern vom Weltmeer zurückzog und auf das Festland verlegte und damit unangreifbar für England werden sollte. Ein Gleichgewicht also zwischen See- und Landmacht.

Schließlich enthielt das große Verständigungsangebot des Führers an England noch den Vorschlag eines Schutz- und Trutzbündnisses zwischen den beiden Ländern, wobei Deutschland auf englische Waffenhilfe verzichtete, seinerseits aber bereit war, sowohl seine Flotte als auch eine bestimmte Anzahl von Divisionen jederzeit England zur Sicherstellung seines Imperiums zur Verfügung zu stellen.

Man hat das Angebot in verschiedener Hinsicht erstaunlich weitgehend gefunden. Vor der Weltöffentlichkeit anerkannte Hitler den hohen Wert des britischen Weltreiches für die gesamte menschliche Kultur und Wirtschaft (Rede vom 28. April 1939). In den vertraulichen Verhandlungen über die deutsch-englische Verständigung aber ging er soweit, den Einsatz der deutschen Macht für den Bestand des britischen Weltreiches anzubieten. Deutschland zeigte sich wahrlich bereit, sich diese Verständigung mit England etwas kosten zu lassen.

Man hat es auffällig gefunden, daß Deutschland hier einen einseitigen Garantie- und Beistandspakt anbot, unter Verzicht also auf die scheinbar naheliegende Wechselseitigkeit solcher Garantie- und Beistandverpflichtung. Es handelte sich hierbei nicht nur um ein besonderes Entgegenkommen Deutschlands, sondern zugleich auch um das Ergebnis einer mehrhundertjährigen Erfahrung mit englischen Bündnissen oder Garantiepakten.

Selbstverständliche Voraussetzung von Hitlers großem Verständigungsangebot an England war: daß beide Parteien sich als ebenbürtige Großmächte gegenübertraten; daß sich ein Verhältnis freundschaftlichen Vertrauens zwischen ihnen entwickelte. Und daß sich auch auf englischer Seite Männer großer Entschlüsse fänden.

England lehnte das große Verständigungsangebot Hitlers ab. Wie Ribbentrop (Rede vom 24. Oktober 1939 berichtet, hat man dem Führer bei jeder Gelegenheit sowohl durch den Mund verantwortlicher britischer Minister, Politiker, Parlamentarier als auch durch die Presse zu verstehen gegeben, daß England auf die Freundschaft Deutschlands keinerlei Wert lege. Die Ablehnung des deutschen Werbens um die englische Freundschaft geschah vielfach öffentlich. Über das große Verständigungsangebot Hitlers aber und seine einzelnen Punkte erfuhr die englische Öffentlichkeit nichts. Zukünftige Geschichtsforschung wird vermutlich des näheren aufzeigen können, in welchen Absichten und in welchem Grad die englische Regierung dem englischen Volke die Möglichkeiten einer deutsch-englischen Verständigung verschwieg.

Es ergab sich das sonderbare Mißverständnis im englischen Volk: als ob das nationalsozialistische Deutschland weit entfernt von Bereitschaft zur Verständigung mit England und anderen Mächten, vielmehr grundsätzlich "isolationistische Politik" betreibe, während England sich bemühe, Deutschland zur internationalen Zusammenarbeit heranzuziehen und auch Anregung zu einer Verständigung zwischen England und Deutschland gäbe. Es braucht hier nur an die freilich recht widersprechenden Kommentare erinnert zu werden, die die englische Presse zu den Berliner Reisen von Lansbury vom April und Halifax vom November 1937 gaben, und zu der englischen Einladung für den damaligen deutschen Außenminister v. Neurath nach London im Sommer 1937.


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Anmerkungen

35Deutschland weiß, daß es nicht das Vermögen hat, um sich auf ein langdauerndes Wettrüsten mit den reichen Nationen England, USA einzulassen. Doch wäre es recht wohl in der Lage gewesen, seine Seestreitkräfte weit höher als auf nur 35% der englischen zu bringen. Deutschland habe - so betonte Hitler - auf eine solche Erhöhung der Seestreitkräfte verzichtet, nicht etwa deshalb, weil es nicht mehr würde bauen können, sondern ausschließlich aus dem Grunde, zwischen beiden Völkern einen dauerhaften Frieden zu sichern. Reden vom 12. und 26. Sept. 1938. ...zurück...

36Vgl. Freund. a.a.O. (Anm. 25), Bd. 3, S. 280ff.; v. Freytagh-Loringhoven, a.a.O. (Anm. 13), S. 103ff.; Nauticus, 1939, S. 121, 124ff. ...zurück...

37Siehe insbesondere Hitlers Rede vom 21. Mai 1935, 9. Punkt der 13 Punkte. - Beitrittserklärung vollzogen 23. 11. 1936. ...zurück...

38Als einen außerordentlich wichtigen Beitrag zur künftigen Seerüstungsbeschränkung - Schreiben Hoare an Ribbentrop vom 18. Juni 1935; daß es auch für andere Seemächte vorteilhaft sein würde - Hoare im Unterhaus 11. Juli 1935. ...zurück...

39Ähnlich Hitlers Rede vom 12. Sept. 1938: Inhalt dieses Vertrages war die Erwartung, mit dem Vertragspartner England "niemals mehr die Waffen kreuzen zu müssen". Rede v. 26. Sept. 1938: "Ein solches Abkommen ist nur dann moralisch berechtigt, wenn beide Völker sich in die Hand versprechen, niemals wieder miteinander Krieg führen zu wollen. Deutschland hat diesen Willen. Wir alle wollen hoffen, daß im englischen Volk diejenigen die Überhand bekommen, die des gleichen Willens sind!" Rede v. 1. 4. 1939: "Das Flottenabkommen basiert auf dem heißen Wunsch, den wir alle besitzen, nie in einem Krieg gegen England marschieren zu müssen." Rede v. 28. April 1939: "Diese Begrenzung der deutschen Seerüstung setzt allerdings eines voraus: nämlich den Willen und die Überzeugung, daß zwischen England und Deutschland niemals mehr ein Krieg möglich sein würde." Deutsches Memorandum an England vom 29. April 1939: "Deutschland schloß das Abkommen auf Grund der festen Überzeugung, daß für alle Zeiten die Wiederkehr eines kriegerischen Konfliktes zwischen Deutschland und Großbritannien ausgeschlossen sei." ...zurück...

40Und Simon betonte in seiner Unterhausrede v. 5. Sept. 1938 das Entgegenkommen, das Hitler mit der Flottenkonvention gegenüber England bezeigt habe. ...zurück...

41Vgl. oben [S. 44f. im Original]. ...zurück...

42Anstelle der geheimen Festungsverträge von 1818 und 1831 über das englisch-preußische Besatzungsrecht an belgischen Festungen traten 1906 die geheimen Conventions Anglo-Belges, die das neutralisierte Belgien hintenherum zu einem englischen Calais machten. ...zurück...

43Vgl. oben Anm. 16. ...zurück...

44Siehe das Verständigungsangebot Hitlers an England vom 25. August 1939. ...zurück...

45Hitlers Rede vom 20. Febr. 1938: "Die Interessen Englands sind sicherlich sehr große, und sie werden von uns als solche auch anerkannt." Rede vom 12. Sept. 1938: "Wir verstehen es, wenn England oder Frankreich ihre Interessen in der ganzen Welt vertreten..." Diesen weltweiten Interessen Englands wird hier das deutsche Interesse am Selbstbestimmungsrecht von 3½ Millionen unterdrückter Sudetendeutscher gegenübergestellt. In seiner Rede vom 6. Okt. 1939 rückblickend: "Niemals und an keiner Stelle bin ich wirklich den britischen Interessen entgegengetreten. Leider mußte ich mich nur zu oft britischer Eingriffe in deutsche Interessen erwehren." ...zurück...

46Vgl. die Beiträge in: Deutscher Lebensraum, Blätter für deutsche Raum- u. Bevölkerungspolitik, 1933, Nr. 1. Boehm, Volkskunde, 1937, § 2, über Volkswirkungsraum. Vohwinkel, "Zum Begriff Lebensraum," in: Zeitschr. f. Geopolitik, 1939, S. 638ff. ...zurück...


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Hitlers Versuche zur Verständigung mit England