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Zwischenvölkische Annäherung
Deutschland-England:
Diskussion über ihre Hemmungen

Obgleich England das große Verständigungsangebot Adolf Hitlers ablehnte und immer wieder zu verstehen gab, daß England auf die Freundschaft Deutschlands keinen Wert legte: "trotzdem hat der Führer seine Bemühungen (um Verständigung mit England), die ebenso seiner gefühlsmäßigen Einstellung als auch seiner völkischen Einsicht entsprangen, mit einer beispiellosen Zähigkeit und Hartnäckigkeit fortgesetzt..."47 Jenes Verständigungsangebot schlug ein umfassendes Vertragswerk vor. Aber es ging Adolf Hitler um mehr als um einen Pakt der Verständigung. In seiner Rede vom 6. Oktober 1939 bekannte er: "Ich habe es geradezu als ein Ziel meines Lebens empfunden, die beiden Völker nicht nur verstandes-, sondern auch gefühlsmäßig einander näher zu bringen. Das deutsche Volk ist mir auf diesem Wege willig gefolgt." In seiner Rede vom 30. Januar 1937 heißt es: "Ich habe besonders oft dem englischen Volk und seiner Regierung versichert, wie sehr wir eine aufrichtige und herzliche Zusammenarbeit mit ihnen wünschen. Und zwar wir alle, das ganze deutsche Volk und nicht zuletzt ich selbst!" Die deutsch-englische Verständigung sollte also eine solche von Volk zu Volk sein. Wenn in der letzteren Rede der deutsche Wille zur Zusammenarbeit besonders betont wird, so geschah das auch im Hinblick auf die sonderbaren Mißdeutungen: als wolle der Nationalsozialismus sich der Zusammenarbeit mit anderen Nationen entziehen und grundsätzlich "Isolierungspolitik" treiben.

Diesem Willen und dieser Zielsetzung des Führers entsprechen die vielfältigen deutschen Versuche, mit solchen Gruppen des englischen Volkes oder einzelnen maßgeblichen Persönlichkeiten in Fühlung zu kommen, die man für den Gedanken einer wirklichen und endgültigen deutsch-englischen Verständigung zu gewinnen hoffte. Das waren vor allem die Jugend, besonders die akademische Jugend, die ehemaligen Frontkämpfer, einsichtige Wissenschaftler und sonst Persönlichkeiten aller Parteien, die drüben in England öffentlich oder im Privatleben sich für eine Verständigung zwischen beiden Nationen ausgesprochen hatten.

So konnte denn eine Reihe deutscher Organisationen in den Dienst der deutsch-englischen Verständigung gestellt werden: die Hitler-Jugend, der Akademische Austauschdienst in Verbindung mit der Reichsstudentenführung ("Deutscher Kreis für internationale studentische Zusammenarbeit"), die Frontkämpferverbände. Im Jahre 1933 war der "Deutsch-englische Kreis" von deutschen und englischen Teilnehmern an gemeinschaftlichen Jugendlagern gegründet worden. Im Dezember 1935 wurden als Schwesterorganisationen die Deutsch-englische Gesellschaft und Anglo-German-Fellowship errichtet.47a

Bei den deutsch-englischen Jugendtreffen war in erster Linie an das wechselseitige und unbefangene Kennenlernen gedacht. Man veranstaltete deutsch-englische Jugendlager, Fahrten deutscher Gruppen nach England und englischer Gruppen nach Deutschland. Man knüpfte Verbindungen an mit englischen Jugendverbänden, Schulen und Universitäten. Man vermittelte Jugendaustausch, Sportfahrten, Briefwechsel zwischen deutscher und englischer Jugend, bereitete Austausch von Jungarbeitern vor.48

In Deutschland hatte man, bei den gewohnten Anschauungen von Soldatentum, seit Kriegsende erwartet, daß die alten Frontkämpfer einmal für Versöhnung zwischen den vormaligen Kriegsgegnern eintreten würden. In seiner Rede vom 7. März 1936 bemerkte Adolf Hitler: es habe bei Kriegsende einen Augenblick gegeben, da die Staatsmänner es in der Hand hatten, "durch einen einzigen Appell an die Vernunft und auch an das Herz der Soldaten der kämpfenden Millionen-Armeen der Völker eine brüderliche Verständigung einzuleiten." Der greise Heerführer Kluck hatte anläßlich des deutsch-amerikanischen Frontkämpfertreffens vom 3. Oktober 1932 den Ausspruch getan: "daß es friedvoller in der Welt aussähe, wenn die Versöhnlichkeit der Soldatenherzen etwas zu sagen hätte". Nach selbstverständlichen Regeln des soldatischen Taktes müßte hier freilich in der Annäherung zwischen den Weltkriegsgegnern der Siegerpartei der Vortritt gebühren. Es war den deutschen Frontkämpfern aus der Seele gesprochen, als am 1. Juni 1935 der Prinz von Wales vor der britischen Frontkämpfervereinigung "British Legion" erklärte: Keine Organisation sei geeigneter, den Deutschen die Hand der Freundschaft entgegenzustrecken, als die ehemaligen Frontkämpfer, die im Weltkrieg gegen sie gekämpft haben... Oder wenn Oberst Crossfield, Vorsitzender der British Legion erklärte, daß die Frontkämpfer die Achtung, die sie ihrem einstigen Gegner erhalten haben, nun ausbauen wollen zu einem ehrlichen und freundschaftlichen Verhältnis der Völker untereinander. In solchem Sinne wurde zunächst eine Abordnung der British Legion nach Deutschland gesandt, und kam es dann im Juli 1936 zu der Internationalen Frontkämpfertagung in Straffortshire und zu weiteren Frontkämpfertreffen, die für Deutschland eine gern benutzte Gelegenheit zur deutsch-englischen Verständigung wurden. In solchem Sinne war zunächst eine deutsche Frontkämpfergruppe unter Führung des Herzog von Koburg (Vetter des englischen Königs) nach England gesandt worden und führte noch im Jahre 1938 800 deutsche Frontkämpfer nach drüben.49

Während die Frontkämpfertreffen nach Soldatenart "das Politische beiseite" zu tun neigen, wurde die deutsch-englische Zusammenkunft von Studenten, sei es in größerem oder kleinerem Kreise, regelmäßig zur Arena politischer Diskussion. Solche Diskussionen aber pflegten sich um die Möglichkeiten, den Sinn und Wert der deutsch-englischen Verständigung zu drehen und vor allem die Hindernisse der Verständigung zwischen beiden Nationen zu erörtern. Und es zeigten sich bei diesen akademisch-politischen Diskussionen deutlich typisch deutsche oder englische Auffassungen, typische Argumente oder Argumentierung, wie sie auch sonst für das deutsch-englische Gespräch kennzeichnend sind, aber gerade unter Studenten besonders prägnant hervorzutreten pflegen.50

Von deutscher Seite ging man vielfach planmäßig daran, in solchen Aussprachen den Boden für die Verständigung zwischen beiden Nationen vorzubereiten oder die Hindernisse der deutsch-englischen Verständigung aufzuklären, in der Hoffnung, damit zu ihrer Beseitigung beizutragen. Auf englischer Seite fehlte es nicht an Verständnis für "Diskussions-Programme" nach parlamentarischer Art. Doch zeigte sich eine typische Neigung zu spöttischer Kritik an dem für pedantisch gehaltenen Ernst und dem systematischen Vorgehen, mit dem die Deutschen an eine solche Aussprache herangingen. Während man deutscherseits an dem "berühmten Diskussionshumor" der Engländer bemerkte, daß sich in solchem Nicht-ernst-nehmen-wollen der Dinge, das sich den Anschein der Überlegenheit gibt, vielmehr oft ein Ausweichen vor klaren Entscheidungen birgt.51

Im übrigen war in den letzten Jahren zu beobachten, daß bei den Engländern häufig dieser sonst gewohnte Diskussionshumor abhanden kam, vielmehr sich eine eigentümliche Stimmung unüberlegener Gereiztheit, verärgerter Aggressivität gegen Deutschland und deutsche Art verbreitete. Aufmerksame Beobachter haben öfters festgestellt, daß die Engländer in den letzten Jahren vielfach statt jenes früheren Gleichmutes, der auf sicherem Überlegenheitsbewußtsein beruhte, eine sonderbare politische Empfindlichkeit zeigten. Nicht nur im Falle wirklicher Mißachtung Englands - wie sie etwa im Abessinienkrieg oder im Fernen Osten zu registrieren war - sondern auch bei Handlungen oder Unterlassungen anderer Staaten, die gar nicht als Nichtachtung Englands gemeint waren, sondern ganz andere Motive hatten. Viele Engländer gewöhnten sich daran, den natürlichen Entwicklungsprozeß der inneren Festigung Deutschlands und der großdeutschen Einigung als eine Art Kränkung anzusehen, die England durch Deutschland zugefügt werde. Oftmals hat der hervorbrechende "antifaschistische Affekt" der Engländer eine deutsch-englische Diskussion zum Auffliegen gebracht, die in friedlicher Form begonnen hatte.

In den Kreisen der Intellektuellen und der englischen Hochschulen hatten sich nach 1933 Zentren der Gegnerschaft zum Dritten Reich gebildet. Die deutschen Akademiker aber, die zu den englischen Hochschulen kamen, fühlten sich im Dienst der deutsch-englischen Verständigung. Das führte zu typischen Diskussionssituationen. Während deutsche Redner in ihren Erörterungen den Grundgedanken der notwendigen Verständigung zwischen beiden Nationen festhielten, wurden auf englischer Seite die Stimmen der Ablehnung am deutlichsten vernehmbar.

Auf deutscher Seite war man geneigt, von deutsch-englischen Gemeinsamkeiten auszugehen - insbesondere von der Stammverwandtschaft beider Nationen, von der gemeinsamen Rasse und ihrer weltgeschichtlichen Sendung52 - oder von der Schicksalsgemeinschaft Europas, dessen Welthegemonie wegen des europäischen Bruderkrieges von 1914 zerfiel, und dessen gegenwärtiger Kolonialbesitz von der Einigkeit Europas abhängt.53 Man zeigte sich stets bereit, von der Anerkennung der englischen Eigenart auszugehen, ja, von der Anerkennung englischer Vorzüge - z. B. des englischen Gentleman-Ideals. - Auf englischer Seite zeigte man sich skeptisch gegenüber den von den Deutschen herausgestellten Gemeinsamkeiten: England sei keine europäische Macht... Die Neigung zur Kritik an der anderen Nation herrschte vor. So entwickelte sich fast regelmäßig eine zwischenvölkische Polemik, bei der die Engländer mit Vorwürfen gegen Deutschland oder als Kritiker Deutschlands begannen - mit typischen Argumenten die Politik des Dritten Reiches angriffen - während die Deutschen erst aus einer Verteidigungsstellung heraus zum Gegenangriff überzugehen pflegten.

Die in England verbreiteten Anschauungen über Deutschland stellten an sich schon einen Komplex von Vorwürfen gegen Deutschland dar: Deutschland bringe die Welt in fortwährende Unruhe und Kriegsgefahr. Denn es möchte statt der Verhandlungen von Staat zu Staat die Anwendung von Gewalt oder die Politik der "einseitigen Akte", die ohne Zustimmung der anderen Staaten (Englands) Änderungen in Europa vollziehe. Deutschland sei unersättlich in seinen Forderungen, unberechenbar in seiner Politik und feindlich gegen das, was die Grundlage der modernen Staatenwelt bilde: Demokratie, freie Wirtschaft und Welthandel. Deutschlands Aufrüstung und Isolierungspolitik bringe die Anarchie in die Welt... In deutsch-englischen Diskussionen spitzten sich solche Vorwürfe vielfach zur These zu: Deutschland, der Weltfriedensstörer ... Und die Begründung dafür pflegte auf die Kriegsschuldthesen zum Weltkrieg zurückzugreifen und sich zur Polemik gegen den Nationalsozialismus zu entwickeln.

Die deutschen Gesprächspartner pflegten auf die These vom unruhigen und kriegsgefährlichen Deutschland zunächst mit dem Hinweis auf Versailles als Wurzel allen Übels zu antworten und mit einer geschichtlichen Klarstellung der deutschen Revisionspolitik, die dieses Übel doch erst jahrelang vergeblich im gütlichen Verhandlungswege zu beseitigen suchte - um es dann freilich zuletzt auch ohne Zustimmung der Gegner abzustellen. Man bemühte sich, den Gesprächspartner darüber aufzuklären: wie sich aus dem wirtschaftlichen Wahnsinn von Versailles der Verfall der Weltwirtschaft entwickelte. Man suchte an die scharfe Kritik anzuknüpfen, die das Diktat von Versailles gerade von vielen aufrechten Engländern zwischen 1919 und 1933 erfahren hatte. Deutsche Gesprächspartner pflegten zunächst zu betonen, daß die heute lebende Generation der Jugend in England und Frankreich doch nicht mehr für den Weltkrieg und Versailles verantwortlich sei. Durch die aggressiven Thesen "Deutschland als Friedensstörer" aber pflegte die Diskussion eine beiderseits polemische Wendung zu nehmen und sich als Erneuerung und Fortsetzung des Kriegsschuldstreites von 1914/19 abzuspielen.

Ein Hauptargument der englischen Kritik war: Daß Deutschland sich in der Niederlage von 1918/19 und später als "schlechter Verlierer" benommen habe. Worauf dann die deutsche Antwort lauten mußte: daß solch Vorwurf doch fair play im Kriegsspiel voraussetzt, Deutschland aber gerade den begründeten Vorwurf gegen die Weltkriegsgegner erhob: daß sie am Kriegsende betrügerisch falsches Spiel getrieben - in der Kette von Wortbrüchen, in der sich Friedensverhandlungen und Friedensschluß vollzogen. Bei solchen Erörterungen pflegte sich vielfach eine eigentümliche Unkenntnis von der Geschichte des Versailler Friedens auch bei vermeintlichen Sachverständigen herauszustellen.54

Auf englischer Seite suchte man der Auseinandersetzung über die deutsch-englische Verständigung gern eine Wendung zu geben, die auf den Freiheitsgedanken hinführte, um dann die These zu verfechten: Als Haupthemmnis der Verständigung zwischen beiden Nationen sähe man den Mangel an politischer Freiheit in Deutschland an - Freiheit des Einzelnen, Freiheit der Presse, der Wissenschaft;55 daß Deutschland seine "Minderheiten" der Freiheit beraube, durch seine Gewaltpolitik die Freiheit der Nachbarstaaten bedrohe... und so fort.

Solche Thesen riefen dann, neben der sachlichen Aufklärung, beim deutschen Diskussionsgegner gewisse typische Gegenthesen hervor. Man analysierte den englischen Freiheitsgedanken56 als zweifelhafte Ideologie einer begüterten Oberschicht im englischen Volk - und konnte sich damit zugleich auf englische Sozialisten oder Gesellschaftskritiker berufen. Diese liberalistische Freiheitsideologie täuscht darüber hinweg, daß man in England noch vor der Lösung der sozialen Frage steht. Vom Standpunkt des Sozialismus gewinnt das liberalistische Freiheitsideal ein anderes Aussehen, das ihr Engländer auch noch kennenlernen werdet...

In solchen Zusammenhängen pflegte von deutscher Seite auf die sonderbaren Wandlungen des Liberalismus in letzter Zeit hingewiesen zu werden. Zum Liberalismus gehört doch der Fortschrittsgedanke, und es kränkt seine Gläubiger, daß die heutzutage offenbar hinter der Entwicklung zurückbleiben. Adolf Hitler hat den Grundsatz aufgestellt: jedes Volk solle nach seiner Fasson selig werden.57 Dieser Grundsatz erleichtert die Verständigung zwischen Nationen von verschiedenen Gemeinschaftsformen. Man sollte meinen, daß er gerade auch von liberalistischen Voraussetzungen als Basis der Verständigung akzeptiert würde. Es sei aber festzustellen, daß der Liberalismus, seitdem offenbar im Rückzug begriffen, auf sonderbare Weise intolerant und interventionssüchtig wird. Deutschland mische sich nicht in innere Angelegenheiten Englands ein; die englische Neigung aber zur Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten erschwere die Verständigung zwischen beiden Nationen...

Gegenüber jenen aggressiven Thesen der Engländer über die angeblichen Freiheitswidrigkeiten der deutschen Außenpolitik hat man von deutscher Seite immer wieder gesagt: Wie ist es nur möglich, daß ihr Engländer nicht "den Balken im eigenen Auge seht": die englische Unterdrückungspolitik in Irland, Indien, Palästina und so fort. Man analysierte das sonderbare zweierlei Maß der Engländer in der Beurteilung der eigenen und der fremden Politik, und die eigentümliche Gewohnheit der englischen Interessen- und Machtpolitik, sich in das täuschende Gewand der Humanität zu verkleiden. Englands Vorgeben, für die Freiheit und Unabhängigkeit der kleinen Völker einzutreten, werde doch heute in aller Welt als öffentlich durchschaute Maske Englands erörtert. Englands humanes Mitleid mit Unterdrückten - Armeniern, Juden, Abessiniern - sei erfahrungsgemäß durch realpolitische Interessen bedingt und wandelbar. Als im November 1918 die Polen die Macht in dem für sie geschaffenen Staat ergriffen, war eines der ersten politischen Geschehnisse das Judenpogrom im Südosten Polens, das vielen Tausenden von Juden das Leben kostete. Die Haltung der Westmächte gegenüber diesen Ereignissen blieb durch die Rücksicht auf den polnischen Bundesgenossen diktiert. Es wurden angelsächsische Stimmen laut, die allen Ernstes diese Judenverfolgungen verständlich fanden, weil sie doch eigentlich als Deutschenverfolgungen gemeint seien...58

Deutsche Berichte über deutsch-englische Aussprachen in akademischen Kreisen beklagten sich immer wieder darüber, daß eine sachliche Auseinandersetzung hier erschwert werde durch den Hang der Engländer zur moralischen Schulmeisterei: durch die moralische Brille, mittels derer man drüben die Tatsachen des politischen Geschehens zu verfälschen neigt. Die Deutschen zeigten sich stets bereit, die geschichtliche Größe des britischen Weltreiches zu respektieren; nicht aber bereit, so wie es ein naiver Sendungsglaube der Engländer will: eine moralische Überlegenheit des englischen Volkes anzuerkennen, derentwegen die Vorsehung ihnen das Weltreich gegeben und sie zum Weltschiedsrichter in moralischen Dingen gemacht habe... Wo die moralische Schulmeisterei der Engländer aggressiv wurde, da pflegte sie eine Wendung der Diskussion zur Frage von der Heuchelei in der englischen Politik und dem Problem des cant hervorzurufen. Im übrigen hoben die deutschen Berichte über deutsch-englische Gespräche immer wieder die erstaunliche Unwissenheit der Engländer, ihre außenpolitischen Illusionen oder ihre falschen Informationen in politischen Dingen hervor, die eine sachliche Auseinandersetzung mit ihnen im Grundsätzlichen wie im Faktisch-Einzelnen erschwerten. So z. B. die Auseinandersetzung über die "österreichische Frage", an der man sich drüben ganz besonders interessiert zeigte: über die innere Entwicklung in Deutsch-Österreich und über das Selbstbestimmungsrecht dieses deutschen Volksteiles. In England hatte man im Februar-März 1938, auf Grund falsch informierender Berichterstattung, mit der unmittelbar bevorstehenden Restauration der Habsburger im "Land des österreichischen Menschen" gerechnet; und man war nun aufs äußerste überrascht über die Heimkehr Deutsch-Österreichs ins Reich, die sich im echten spontanen Volkswillen vollzog.59

Die Engländer neigten ihrerseits zu der Annahme, daß das deutsche Volk planmäßig zur Unkenntnis der Außenpolitik erzogen werde. Die "German ignorance" in Dingen der Außenpolitik sei zurückzuführen auf die fehlende Pressefreiheit, und sie gefährde das Verhältnis Deutschlands zu den anderen Staaten, weil man sich in Deutschland keine rechte Vorstellung mache von den Widerständen, die die deutsche Außenpolitik bei den anderen Nationen hervorrufe... In der deutschen Erwiderung darauf pflegten die politischen Einflüsse analysiert zu werden, die sich in demokratischen Ländern hinter dem falschen Anschein einer "freien Presse" verbergen. Eine Hauptthese solcher Auseinandersetzungen blieb: daß die Presse demokratischer Länder leicht zur Völkerverhetzung mißbraucht wird und dieser Mißbrauch durch das sogenannte Recht der Pressefreiheit gedeckt zu werden pflegt.60

Um der irreführenden Berichterstattung entgegenzutreten, suchte man von deutscher Seite dem Gesprächsgegner Aufklärung über das Neuartige der politischen Entwicklung im Dritten Reich zu vermitteln. Zahlreiche Einladungen ergingen: in Deutschland mit eigenen Augen kennenzulernen, wie das Dritte Reich die soziale Frage zu lösen unternahm.

Es fehlte auch nicht an einsichtigen Engländern, die von solcher Einladung Gebrauch machten und, trotz aller politischen Gegensätze, sich doch bereit zeigten, erfahrungsgemäß über das nationalsozialistische Deutschland umzulernen. Mag hier die Deutschland-Reise Lloyd Georges im September 1936 erwähnt werden, auf Grund derer der ehemalige Premierminister dann drüben seine neugewonnenen Anschauungen über Deutschland bekanntgab, die die schlecht informierte Öffentlichkeit überraschte.61 Oder etwa die Deutschland-Reise Lord Londonderrys im gleichen Jahre.62 Nicht selten waren Engländer im Gespräch mit Deutschen geradezu überrascht darüber, wieviel wohlwollendes Verständnis für die weltpolitischen Schwierigkeiten Englands und weitgehend auch für die englische Aufrüstung sich in Deutschland zeigte. War es nicht fast erstaunlich, daß gewisse englische Saboteure der englischen Aufrüstung (Cripps u.a.) in Deutschland keineswegs auf Sympathien rechnen konnten (wie ehedem deutsche Gegner der deutschen Aufrüstung in England...).63

Überhaupt wäre hier festzustellen: Es fehlte niemals an einsichtigen Engländern, die sich ernsthaft und ehrlich um die Verständigung zwischen Deutschland und England bemühten, die sie als lebenswichtig für das britische Volk, das britische Reich erkannten. Viele unter ihnen hatten vollkommenes Verständnis für den Leidensweg des deutschen Volkes unter dem Diktat von Versailles und für den nationalsozialistischen Freiheitskampf. Einige wenige empfanden es als einen Flecken auf der Ehre der englischen Nation, daß die Sieger von Versailles es nicht verstanden hatten, einen peace with honour zu schließen, und betrachteten es als ihre Aufgabe, diese Schuld wieder gut zu machen. Andere, namentlich auch in der englischen Jugend, wünschten einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen und fortan Freundschaft und Zusammenarbeit mit Deutschland. Viele Engländer sahen mit Sorge auf die wachsende Deutschfeindlichkeit im eigenen Lande und auf jene politischen Kreise drüben, die eine Verständigung zwischen beiden Nationen zu hindern suchten...

Wir könnten diesen verschiedenartigen Verständigungswillen von Engländern mit einer Reihe von Namen belegen, müssen aber befürchten, daß ihnen diese Nennung heute eine Verfolgung wegen des Verbrechens der Verständigungsbereitschaft und der Deutschfreundlichkeit zuziehen würde. Doch blieben die Anhänger einer wirklichen Verständigung zwischen beiden Nationen auf der selbstverständlichen Grundlage der Gleichberechtigung immer nur eine kleine Gruppe oder Zahl. Es ist bezeichnend, daß die deutsche Werbearbeit für deutsch-englische Verständigung drüben oft auf Engländer traf, die sich bereitwillig für diese Aufgaben einsetzten, jedoch unter der Bedingung: nicht öffentlich genannt zu werden. Die Gegner Deutschlands oder der deutsch-englischen Verständigung blieben in einer wachsenden Majorität, maßgeblich für die englische Politik, und beherrschten die öffentliche Meinung. Ein wiederkehrender Refrain der deutschen Berichte über das deutsche Bemühen um Verständigung mit England war die Erinnerung an das Bismarckwort: "...aber die Leute wollen sich ja von uns nicht lieben lassen..." Bezeichnend ist, daß gerade auch unter englischen Pazifisten und Theologen die Anhänger einer deutsch-englischen Verständigung als Ausnahme, die Gegner solcher Verständigung als Regel erscheinen.64

Eine Reihe von Männern, die sich zeitweise für die deutsch-englische Verständigung eingesetzt hatten, schlossen sich dann doch wieder der wachsenden Front der Gegner Deutschlands an, vielfach mit dem Vorbehalt: daß sie nicht Gegner des deutschen Volkes seien, sondern nur der nationalsozialistischen Regierung. Wie denn überhaupt viele Engländer sich nur bereit zeigten zu einer Verständigung mit einem schwachen Deutschland, nicht mit einer deutschen Großmacht. Andererseits wird eine Geschichte der deutsch-englischen Beziehungen zwischen 1918 und 1939 feststellen müssen: daß erst die beginnende Machtentfaltung des nationalsozialistischen Deutschland die politischen Engländer veranlaßte, sich ernstlich mit der deutsch-englischen Verständigung zu beschäftigen, die ihnen so lange uninteressant war, wie Deutschland in der großen Politik nicht als Macht zählte. Es ist für diese Geschichte der deutsch-englischen Beziehungen in verschiedener Hinsicht lehrreich, das englische Selbstgespräch über die "verpaßten Gelegenheiten" einer Verständigung mit Deutschland zu verfolgen.


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Anmerkungen

47v. Ribbentrop in Danziger Rede vom 24. Okt. 1939. ...zurück...

47aIhre Aufgabe sollte es sein, freundschaftliche Beziehungen zwischen führenden Persönlichkeiten des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens beider Nationen zu pflegen, und Förderung der Kenntnis Deutschlands in England, Englands in Deutschland. Ihre Tätigkeit umfaßte Empfänge, Vorträge, Vorbereitung und Durchführung von englischen Besichtigungsfahrten in Deutschland - wie der German Roads Delegation 1938 u.a.; überhaupt Vermittlung der Besichtigung von sozialen und wirtschaftlichen Einrichtungen des Reiches. Die DEG., für die nur ein beschränkter Kreis von Teilnehmern vorgesehen war, umfaßte neben der Zentralstelle Berlin noch 8 Zweigstellen im Reich. ...zurück...

48So wurden im Sommerhalbjahr 1937 nach einem Bericht des Englandreferenten der HJ. 8 deutsch-englische Jugendtreffen in England und Deutschland abgehalten. Daneben zwei deutsch-englische Segelfliegerlager. Auch in den Krisenjahren 1938 und 1939 wurden die Jugendtreffen fortgeführt. Noch in der Zeit vom 30. 7. bis 13. 8. 1939 fand in Sankt Goar ein fröhliches deutsch-englisches Gemeinschaftslager statt. Vgl. auch: Hitlerjugend sieht England, 1938. Die Reichsstudentenführung veranstaltete u.a.: Deutsch-englische Skilager 1934 (zusammen mit RJF.) und 1935: Beteiligung an englischen Arbeitslagern 1934, 1936; Anglo-German Meeting, Oxford, 1938. Vortragsreise deutscher Anglisten nach England, 1937. Über solchen Aufgabenkreis hinaus vermittelte die Zweigstelle London des Deutsch. Akademischen Austauschdienstes auch Austausch von Lehrern und Studenten, insbesondere auch solcher des Bergbaufaches und der Theologie, Vortragsreisen deutscher Schriftsteller, Konzertreisen, gastliche Teilnahme an deutschen Arbeitsdienstlagern, knüpfte Beziehungen zu englischen Bibliotheken an u.a. Für 1939 war von dieser Stelle eine Besuchsreise der deutschen Austauschstudenten durch die britischen Universitäten beabsichtigt. Die lokalen Studentenschaften erklärten sich Anfang dieses Jahres auch bereit, den Besuch zu empfangen, doch ohne Gewähr für Protestdemonstrationen und Zwischenfälle. ...zurück...

49Vgl. auch Deutsch-englische Hefte, 1939, I: Zusammen mit dem Reichskyffhäuserbund begrüßte die deutsch-englische Gesellschaft im Jahre 1939 britische Frontkämpfer von der Isle of Wight und eine Gruppe von Söhnen britischer Frontkämpfer. Rogge, "Soldat und Friedensbewegung," Geist der Zeit, 1935, S. 680ff., 757ff. - Auch die Kriegsgräber-Pflege gehört in diesen Zusammenhang. Vgl.: "Ein Kriegs- und Friedensdenkmal in Oxford," ebenda, 1937, S. 618ff. Dokum. 1939, a.a.O. (Anm. 1), Nr. 328. ...zurück...

50Über solche Diskussionen im kleinen oder größeren Kreise liegen mancherlei nicht veröffentlichte Berichte, Aufzeichnungen und Studien vor. Zu größeren Veranstaltungen, wie der Deutsch-englischen Aussprache in Oxford 11.-16. Juni 1937, war selten Gelegenheit. Vgl. Rebuilding Peace in Europe, v. III: Report of an Anglo-German Conference, organized by International Student Service, Genf, 1937. Bericht Sonnenhol in: Geist der Zeit, 1937, S. 562f. Hemmnisse deutsch-englischer Verständigung. Anmerkung zur englisch-deutschen Aussprache d. Internationalen Studentenwerkes Oxford 12.-15. 6. 1937, ebenda, S. 612ff. ...zurück...

51Vgl. Schmidt, Englische Einstellung zum Humor "Denken verboten", in: Geist der Zeit, 1939, S. 701ff. ...zurück...

52Während noch um die Jahrhundertwende die Solidarität der weißen Rasse und die besondere rassische Verwandtschaft zwischen dem englischen und dem deutschen Volke ein geläufiger Anknüpfungspunkt zwischen Deutschen und Engländern war, begann man in England seit dem Weltkrieg das Rassenproblem als einen wunden Punkt des britischen Empire anzusehen. An den Trinkspruch des englischen Admirals von 1913: "The two white nations" ließ man sich nur ungern erinnern. - Vgl. Drascher, Die Vorherrschaft der weißen Rasse, 1936. ...zurück...

53Vgl etwa: Rein, in: Rebuilding peace in Europe, III, S. 4f. Rogge, Das Revisionsproblem, 1937, §§ 24f. Jahrreiss, "Sicherheit!" in: Köln. Zeitung, 15. 4. 1939. H. Grimm, "Englische Begegnung," in: Das innere Reich, Jan. 1935. Ders., Wie ich England sehe. Englische Rede, 1936. ...zurück...

54Es ist bezeichnend, daß die Lansing-Note vom 5. November 1918, aus der sich der Hauptmaßstab zur Beurteilung jener Kette von Vertragsbrüchen ergibt, drüben vielfach ignoriert wird. In Guarantees of peace / Messages and addresses to the Congress and the people, Jan. 31, 1918 to Dec. 2nd 1918, together with the peace Notes to Germany etc., 1919, ist sie nicht aufgeführt. (Hinweis von Wolgast.) ...zurück...

55Die Abordnung deutscher Professoren und Studenten, die auf wiederholte Einladung vom englischen Kreis des Weltstudentenwerkes Juni 1937 nach Oxford kam, um über den Neubau der internationalen Friedensordnung zu diskutieren - auf Grund vereinbarten Diskussionsprogramms: über Themen wie Sicherheit, Rüstung und Weltwirtschaft, Kolonialfrage, Nationalitätenfrage - wurde zum Empfang von Rektor Fisher des New College mit einer Rede begrüßt, deren Hauptthema war: Ehedem habe die englische Universität großen Respekt vor der deutschen Wissenschaft gehabt (Göttingen, das Mecca der Oxfordstudenten). Jetzt aber sei der Mangel politischer Freiheit, die mangelnde Freiheit der Wissenschaft in Deutschland das Haupthemmnis der englisch-deutschen Verständigung... Sein Urteil über die Arbeit der deutschen Universität lief darauf hinaus: Ich kenne die nationalsozialistische Wissenschaft nicht, aber ich mißbillige sie... ...zurück...

56Vgl. Galinsky, "Die Freiheitsideologie im Großbritannien der Gegenwart," Geist der Zeit, 1937, S. 857ff. ...zurück...

57Rede vom 21. Mai 1935. ...zurück...

58Wegen der angeblichen Deutschen-Freundschaft der polnischen Juden und ihrer "deutschen Sprache", des Jiddisch. Vgl. Hudson C. House-Seymour, What really happened at Paris, S. 216; "Judenschutzinterventionen in Polen," Geist der Zeit, 1938, S. 418ff. ...zurück...

59Die herrschende Meinung der Engländer blieb ein Nicht-Sehen-Wollen der Wirklichkeit: Hitler habe das österreichische Volk vergewaltigt... Man übersah geflissentlich, was einzelne unparteiische Berichterstatter im März 1938 aus eigener Beobachtung meldeten: Hitler sei überall in Österreich mit Begeisterung begrüßt worden - sei als "Eroberer der Herzen" gekommen (Daily Mail, Sunday Dispatch); sei in Wien als Befreier begrüßt worden (Observer); in Wien "keine Anzeichen dafür, daß sich ein Volk einem fremden Joch unterwerfe" (Times)... "Hätte nicht angesichts dieser Tatsachen das Urteil Englands einsichtsvoller sein können?" meinte Garvin, 20. 3. 1938. [Scriptorium merkt an: man hätte sich nicht einmal auf den Wahrheitsgehalt des gedruckten Wortes verlassen müssen; es gab genug Bildbeweise desselben! Nur ein Beispiel hier.] ...zurück...

60Vgl. Dietrich, Weltpresse ohne Maske, 1937. Ders., Nationalsozialistische Pressepolitik, 1938. Ders., "Pressefreiheit und Pressefrieden," in Zeitschr. Völkerbund, Juli 1938, Nr. 19, 20. Six, Pressefreiheit u. internationale Zusammenarbeit, 1937. Dokum. 1939, a.a.O. (Anm. 1), Nr. 73, 152, 203, 209, 247 beweisen: daß das nationalsozialistische Deutschland die außenpolitische Kontrolle seiner Presse im Sinne der Verständigungspolitik und der nationalen Selbstdisziplin ausübte. In England wurde immerhin gelegentlich anerkannt, daß während der englischen Königskrise 1936 die deutsche Presse sich vor derjenigen anderer Länder durch internationalen Takt auszeichnete. ...zurück...

61Auf die Bemerkung eines Berichterstatters im News Chronicle vom 21. 9. 1936 (hier nach deutschem Pressebericht zit.) über Deutschland als Friedensgefahr für Europa antwortete Lloyd George: Es hänge davon ab, wie Deutschland behandelt werde. Im Falle eines Angriffs wie 1923 durch Poincaré werde es nicht mehr friedfertig unter Peitschenhieben niederkauern. Wolle man diese neue Stellungnahme der Selbstverteidigung und Selbstachtung eine Gefahr für den Frieden nennen?... Hitler sei der George Washington von Deutschland. Er habe eine tiefe Bewunderung für das britische Volk, die von den Deutschen aller Klassen geteilt werde. "Ihr Wunsch nach Freundschaft mit uns ist unbestreitbar und wirklich. Immer wieder sagten Deutsche zu mir: 'Wir haben nur einen Streit mit England gehabt, und dürfen niemals einen zweiten Streit mehr haben.' Hitler wünscht unsere Freundschaft... Hitler verlangt keine Gegenleistung von England und hat niemals eine verlangt, es sei denn Gleichberechtigung für sein großes Land... Der englische Fragebogen an Deutschland hätte niemals abgesandt werden dürfen... Wir werden den Frieden nicht erhalten, wenn wir darauf bestehen, daß andere Länder ihre Regierungsformen unserer Auffassung anpassen..." Vgl. Kurzberichte 28. 9. 1936. ...zurück...

62Vgl. Londonderry, a.a.O. (Anm. 25). ...zurück...

63Vgl. Geist der Zeit, 1937, S. 298. ...zurück...

64Als Lansbury im April 1937 die "Friedensreise" zu Adolf Hitler unternahm, da wurde er gerade auch in Kreisen des englischen Pazifismus als weltfremder Träumer oder politischer Trottel bezeichnet. Es bleibt eine lehrreiche Forschungsaufgabe, die britischen Anhänger und Gegner der Verständigung mit Deutschland psychologisch und soziologisch zu typisieren. So führte z. B. eindringliche wissenschaftliche Beschäftigung mit der Kriegsschuldfrage von 1914 leicht wohl regelmäßig zu einer Haltung des Verstehenwollens oder der Verständigungsbereitschaft. In der Marine Englands dachte nicht nur Lord Jellicoe über die deutsch-feindliche Stellung des Foreign Office: "We are on the wrong side..." ...zurück...


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Hitlers Versuche zur Verständigung mit England