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Erstes Kapitel   (Forts.)
Entwicklung der Deutsch-Polnischen Beziehungen

B. Deutschlands Bemühen
um eine Verständigung mit Polen, 1933 bis 1939

Anm. d. Scriptorium:
Eine noch mehr ins Einzelne gehende Dokumentation der Lage der Volksdeutschen in Polen als die in den folgenden Kapiteln gegebene finden Sie in dem Buch Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-39.
VIII. Zunehmende Verschärfung des Polnischen Vorgehens
gegen die Deutsche Volksgruppe
(Oktober 1938 bis März 1939)

Nr. 128
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht

Thorn, den 5. Oktober 1938

Daß die Polen, obwohl Deutschland ihnen durch sein Vorgehen die Verwirklichung ihrer Forderungen gegen die Tschechei ermöglicht hat, hier weiter deutschfeindlich sind, habe ich schon gemeldet. Durch die Eingliederung des Olsa-Gebiets in Polen hat sich zweifellos vieler polnischer Gemüter, die durchweg geneigt sind, auch kleinere Erfolge in überschwenglicher Weise zu übertreiben, eine gewisse Überheblichkeit bemächtigt. Sie fühlen sich hier als die Sieger einer großen Entscheidungsschlacht, die sie ganz allein mit eigenen Kräften und durch ihre eigene tatkräftige Haltung gewonnen hätten. Sie träumen schon in ihrem Größenwahn von einem übermächtigen Polen, das nach Erfüllung seines Wunsches in der Tschechei danach streben müsse, auch andere weitergehende Wünsche erfüllt zu bekommen, oder wenn dies nicht gehe, mit eigener Kraft zu erfüllen.

Aus allen Teilen meines Amtsbezirkes gehen mir Nachrichten zu, daß die Stimmung gegen Deutschland, die in den Wochen vor der tschechischen Krise schon im höchsten Maß unfreundlich war, jetzt infolge des Ganges der Ereignisse nicht einer verträglicheren Stimmung für Deutschland Platz gemacht hat. Auch die Presse tut das Ihre dazu. Nirgends findet man hier Stimmen, die Deutschland eine gerechte Anerkennung zollen. Überall wird betont, daß Polen ganz allein gehandelt und seinen Erfolg ohne die geringste fremde Hilfe errungen habe.

Die scharfe Hetze gegen Deutschland wird von der Presse und vom Westmarkenverband weiterbetrieben. Unter dem schweren Druck, dem die deutsche Minderheit in Polen ausgesetzt ist, bleibt ihr schließlich nichts anderes übrig, als ins Reich abzuwandern. Die Volksgruppe stellt sich auf den Standpunkt, daß, auch wenn sie selbst noch hier aushalten könnte, jedenfalls für die Kinder keine Aussicht mehr bestehe, sich eine Existenz zu gründen. Die dauernden Bedrückungsmaßnahmen der polnischen Verwaltung, wie sie sich in den letzthin vorgenommenen Ausweisungen aus der Grenzzone, in der Schließung von Schulen usw. offenbarten, bewiesen zur Genüge, daß hier für die Deutschen keine dauernde Bleibe mehr sei und daß sie zur Erhaltung ihrer Existenz das Land verlassen müßten. Die Aussicht, allein und ohne größere und aktive Unterstützung der Heimat den Kampf gegen die polnischen Behörden mit Erfolg aufzunehmen, sei zu gering, da durch die ungeheure Abwanderung in früheren Zeiten und auch in den letzten 2 Jahren das Deutschtum hier stark geschwächt sei. Die kleine, nach der neuen großen Abwanderungswelle noch übrigbleibende Volksgruppe müsse sehen, wie sie fertig werde. Es bestehe aber wohl kein Zweifel darüber, daß das, was nicht der Polonisierung zum Opfer falle, allmählich untergehen müsse.

Wie im übrigen die regierenden Amts- und Verwaltungsstellen Deutschland gegenüber eingestellt sind und offenbar eingestellt bleiben, geht mit aller nur wünschenswerten Klarheit aus den fortdauernden bis in die letzte Zeit vor- [126] genommenen Ausweisungen alteingesessener deutscher Volksgenossen aus dem Grenzzonengebiet hervor. Hierüber ist berichtet worden. Keine Einschränkung oder Milderung der Entdeutschungsmaßnahmen, wie man eigentlich hätte erwarten können, ist eingetreten, sondern eher eine Verschärfung; jedenfalls aber ist trotz des deutscherseits bekundeten Bestrebens auf Herstellung freundschaftlicher Beziehungen der planmäßige Wille erkennbar, die geschaffene Entspannung zu einer möglichst umfangreichen Polonisierung der Westgebiete auszunutzen.

Derselbe Wille, das Deutschtum zurückzudrängen und zu entrechten, zeigt sich auch in der Haltung der Regierungsstellen den Wünschen der deutschen Volksgruppe gegenüber, bei den bevorstehenden Wahlen zum Sejm eigene Kandidaten aufzustellen. In dieser Angelegenheit hat Senator Hasbach neulich eine Unterredung mit dem Ministerpräsidenten gehabt. Aus ihr geht hervor, daß der Minister "angesichts der im Lande herrschenden antideutschen Strömung" die Eintragung von Deutschen in die Wahlvorschlagslisten nicht für möglich und für die Regierung auch nicht für tragbar hält.

Unter den geschilderten Umständen ist es begreiflich, daß sich des gesamten deutschen Volkstums hier, das nach den weltgeschichtlichen Ereignissen der letzten Wochen auf eine Besserung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Polen rechnete und eine bessere Zukunft erwarten zu dürfen glaubte, wieder eine gedrückte und niedergeschlagene Stimmung bemächtigt hat.

von Küchler




Nr. 129
Der Deutsche Generalkonsul in Posen an das Auswärtige Amt
Bericht
Posen, den 10. Oktober 1938

Wie aus der laufenden Berichterstattung über die Posener polnische Presse sich ergibt, ist die polnische Bevölkerung dieses Bezirkes, soweit sie durch die nationaldemokratische Presse und die hinter ihr stehenden Organisationen beeinflußt wird, nach den Ereignissen der letzten Wochen keineswegs deutschfreundlich eingestellt. Es findet sich kein Wort der Anerkennung, daß Polen den Erwerb des Olsagebietes nur der durch das tatkräftige Eintreten des Führers für die Sudetendeutschen bedingten Aufrollung der Frage verdankt, und es mußte besonders befremden, daß gleichzeitig sogar Kompensationsansprüche gegen Deutschland in bezug auf Danzig und die Weichselmündung erhoben wurden.

Auch die polnischen Behörden zeigen nach dem glücklichen Ausgang der Krise durch ihr Verhalten nicht, welchen Anteil sie hieran Deutschland verdanken, denn der Kampf gegen die deutsche Volksgruppe geht unentwegt weiter. Außer dem Vorgehen gegen das Deutschtum in Teschen und gegen Pfarrer Kleindienst in Luck und andere Geistliche in Oberschlesien ist bezeichnend, daß vier von den sechs deutschen Privatgymnasien, darunter auch dem Posener Schiller-Gymnasium, die lange umkämpften Öffentlichkeitsrechte entzogen sind; es ist eine mildere Handhabung weder des Agrarreformgesetzes noch der Grenzzonenverordnung zu bemerken. Auch sonstige Anzeichen deuten eher auf eine Verschärfung des Kurses hin.

Walther



[127]
Nr. 130
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts
an den Deutschen Botschafter in Warschau

Telegramm
Berlin, den 20. Oktober 1938

Bei Hauptversammlung Aufständischenverbandes Kattowitz 16. d. M. stellte Ehrenvorsitzender Grażyński in aller Offenheit fest, daß das Deutschtum in Ostoberschlesien in Verwirklichung der Ziele Aufständischenverbandes auf allen Gebieten zurückgedrängt sei. In Entschließung, die in Anwesenheit Grażyńskis verlesen und angenommen wurde, verlangen die Aufständischen u. a. Einverleibung des Zipser Gebietes. Es heißt dann weiter: "Wir freuen uns über die wiedergewonnene Freiheit unserer Brüder jenseits der Olsa und stellen dabei fest, daß wir unsere Brüder im Oppelner Schlesien nicht vergessen haben. Wir übermitteln ihnen unsere brüderlichen Grüße und unsere brüderliche Aufmunterung, daß sie wie bisher auch in alle Zukunft dem treu bleiben, was Polen heißt, in der Erkenntnis, daß hinter ihnen unsere nationale Kraft und Hilfe steht."

Bitte sofort gegen deutschfeindliche Äußerungen Grażyńskis sowie gegen von ihm gebilligte dreiste Einmischung Aufständischenverbandes in innerdeutsche Angelegenheiten bei maßgebender Stelle Außenministeriums schärfsten Protest zu erheben.

Weizsäcker




Nr. 131
Der Deutsche Generalkonsul in Kattowitz an das Auswärtige Amt
Bericht
Kattowitz, den 8. November 1938

Vom 1. März bis Ende Juni sind weitere 61 Mitglieder der Gewerkschaft Deutscher Arbeiter, vom 1. Juli bis 24. Oktober 35 Mitglieder der Gewerkschaft entlassen worden. Die Entlassenen, die bis auf 3 verheiratet sind, waren vielfach 20 Jahre und länger auf den Gruben und Hütten beschäftigt. Als Grund der Kündigungen wurde im allgemeinen "Reorganisation" angegeben. Die Entlassungen auf der Friedenshütte erfolgten wegen "Nichteignung", obwohl sämtliche Arbeiter als Fachkräfte nicht unter 15, einige sogar über 30 Jahre bei der Hütte beschäftigt waren. Außerdem sind von der Dubensko-Grube Anfang Juni weitere 40 deutsche Arbeiter und Ende Juni erneut 15 deutsche Arbeiter wegen "Reorganisation" entlassen worden, die anderen ebenfalls deutschen Organisationen angehören. An Stelle der Entlassenen, die zur Stammbelegschaft der Grube gehörten, wurden polnische Arbeiter eingestellt.

Nöldeke



[128]
Nr. 132
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 15. November 1938

Wegen der aufreizenden Auslassungen in der Rede des Woiwoden Grażyński auf der Hauptversammlung des Aufständischenverbandes am 16. v. M.80 habe ich beim Vizeminister Grafen Szembek schärfsten Protest erhoben. Hierbei habe ich gleichzeitig energische Verwahrung eingelegt gegen den Wortlaut der Entschließung des Aufständischenverbandes, die eine unzulässige Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten bedeutet. Graf Szembek, der für den erneuten Beweis der deutschfeindlichen Haltung des Kattowitzer Woiwoden kein Wort der Entschuldigung fand, erklärte, daß er die Angelegenheit dem Ministerpräsidenten vortragen und daß er hierbei darauf hinwirken werde, daß in Zukunft derartige Äußerungen eines leitenden polnischen Beamten unterblieben.

von Moltke




Nr. 133
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 23. November 1938

Im Jahrgang 19, Nr. 1 und 2 der "Deutschen Schulzeitung" ist eine Liste von Werken veröffentlicht, die für den Gebrauch an deutschen Schulen nicht zugelassen sind. Bemerkenswert ist, daß außer klassischen deutschen Werken wie Goethes Kinderjahre aus Goethes Dichtung und Wahrheit, Nibelungenlied und Edda auch weltbekannte ausländische Jugendbücher wie D. de Foe's Robinson Crusoe und H. M. Stanley's Quer durch den dunklen Kontinent nicht genehmigt wurden. Nichts kennzeichnet die Einstellung der polnischen obersten Schulbehörde gegenüber den deutschen Schulen so treffend.

von Küchler




Nr. 134
Der Deutsche Generalkonsul in Kattowitz an das Auswärtige Amt
Bericht
Kattowitz, den 24. November 1938

Der Fortgang der Arbeiterentlassungen im Laufe des letzten Jahres zeigt deutlich, daß die Politik der polnischen Behörden nach wie vor darauf ausgeht, das Deutschtum in Oberschlesien planmäßig zu entwurzeln und seine Lebensgrundlagen zu vernichten. Wie immer wieder aus vertraulichen Äußerungen aus polnischen Quellen bekannt wird, hat insbesondere der Woiwode Grażyński offenbar den festen Willen, bis auf einen verschwindend kleinen Bruchteil alles Deutsche aus Oberschlesien und aus dem neu erworbenen Olsa-Gebiet zu entfernen.

[129] Diese Zielsetzung hat bedauerlicherweise auch nach der deutsch-polnischen Minderheitenerklärung vom 5. November 193781 keine Änderung erfahren. Wie ich wiederholt berichtet habe, sind auch nach diesem Zeitpunkt fortgesetzt weitere Entlassungen von deutschen Arbeitern erfolgt. Daß die bei diesen Entlassungen angegebenen Kündigungsgründe, wie Reorganisation, Unfähigkeit usw., nur den politischen Grund verschleiern sollen, steht außer jedem Zweifel. Tatsächlich werden diese zumeist schon seit vielen Jahren, häufig Jahrzehnten beschäftigten Arbeiter nur entlassen, weil sie sich zum Deutschtum bekennen, deutschen Organisationen angehören oder ihre Kinder in die deutsche Schule schicken.

Was die ziffernmäßige Höhe der Arbeitslosigkeit in der deutschen Volksgruppe anbetrifft, so hat Senator Wiesner am 8. März d. J. im Senat ausgeführt, daß die etwa 12.000 Mitglieder zählende Gewerkschaft Deutscher Arbeiter eine Arbeitslosenziffer von 62% aufweist, daß aber in anderen deutschen Organisationen die Arbeitslosigkeit an 80% heranreicht. Diese Zahlen gelten für den Anfang dieses Jahres und haben sich seit dieser Zeit weiterhin ungünstig entwickelt. Berücksichtigt man, daß die Arbeitslosigkeit in Oberschlesien im allgemeinen nur etwa 16% beträgt, so zeigt sich deutlich, wie schlecht die Lage der deutschen Arbeiter hier ist und wie wenig die Grundsätze der Minderheitenerklärung hier zur praktischen Anwendung gebracht worden sind.

Nöldeke




Nr. 135
Der Deutsche Geschäftsträger in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 28. November 1938

Wegen der Verweigerung des Öffentlichkeitsrechts an die Lyzeen in Posen und Graudenz sind unter Berufung auf die im vergangenen Jahre getroffenen Abmachungen82 energische Vorstellungen im hiesigen Außenministerium erfolgt. Der Kabinettschef des Außenministers Graf Łubieński versuchte nicht einmal, die polnische Verpflichtung in Zweifel zu ziehen. Er erklärte vielmehr, daß er die Angelegenheit unverzüglich beim Unterrichtsministerium zur Sprache bringen und darauf dringen werde, daß tatsächlich die polnische Zusicherung erfüllt würde.

von Wühlisch




Nr. 136
Das Auswärtige Amt an den Deutschen Geschäftsträger in Warschau
Erlaß
Berlin, den 7. Dezember 1938

Ans den dort abschriftlich vorliegenden Berichten des Deutschen Generalkonsulats in Kattowitz83 geht hervor, daß von den auch im Laufe dieses Jahres seitens der ostoberschlesischen Industrieunternehmungen durchgeführten Entlassungen von Arbeitskräften vorwiegend volksdeutsche Arbeiter und An- [130] gestellte betroffen wurden und daß die bisherige polnische Politik der systematischen Verdrängung der Volksdeutschen von ihren Arbeitsplätzen somit rücksichtslos weiter verfolgt wird.

Die von dem Herrn Reichsaußenminister anläßlich der Veröffentlichung der Minderheitenerklärung durch Übergabe einer Aufzeichnung an Botschafter Lipski am 5. November 193784 ausdrücklich zum Ausdruck gebrachte Erwartung der Deutschen Regierung, "daß alsbald Maßnahmen getroffen werden, um die deutsche Volksgruppe in Polen vor jeder unterschiedlichen Behandlung gegenüber dem Staatsvolk zu sichern, vor allem bei der Einstellung und Entlassung deutschstämmiger Arbeiter" hat sich somit leider nicht erfüllt, obwohl die Erwiderung des Polnischen Außenministers Beck auf die dortigen mündlichen Vorstellungen in der Angelegenheit (vgl. 4. Absatz des Berichts vom 11. Dezember 193785) eine günstige Auswirkung erhoffen lassen durfte.

Nachdem nunmehr ein volles Jahr verflossen ist, ohne daß eine Besserung eingetreten wäre, bitte ich, erneut bei der Polnischen Regierung wegen dieser mit der deutsch-polnischen Minderheitenerklärung vom 5. November 193786 in krassem Widerspruch stehenden Maßnahmen nachdrückliche Vorstellungen zu erheben und über das Veranlaßte zu berichten.

Im Auftrag
Woermann




Nr. 137
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 20. Dezember 1938

Die außerordentlich schwierige Lage des Deutschtums und die schikanösen und die Existenz vieler Minderheitsangehöriger vernichtenden Maßnahmen der polnischen Behörden haben eine Änderung nicht erfahren. Es entspricht durchaus den Tatsachen, daß die vielen in der letzten Zeit erfolgten Verhaftunger wegen angeblicher Spionage, die offenbar einer immer mehr Platz greifenden Nervosität der polnischen Amtsstellen entspringt, die deutschen Volksgenossen zur Verzweiflung treiben. Da jede Familie, die in irgendeiner Form noch Verbindungen mit Deutschland oder mit deutschen Kreisen hier unterhält, jeden Augenblick gewärtig sein muß, in irgendeine Affäre verwickelt zu werden, ist es nur zu verständlich, daß eine allgemeine Verängstigung Platz greift, die eine Rettung aus der verzweifelten Lage nur darin erblickt, möglichst schnell von hier abzuwandern.

Ich bin überzeugt, daß dem Polenbund in Deutschland von den deutschen Behörden in keiner Weise Beschränkungen auferlegt werden, wenn er in legaler und das deutsche Staatsinteresse nicht gefährdender Weise mit der Heimat und den heimatlichen Behörden in Deutschland Beziehungen unterhält. Es dürfte daher am Platze sein zu erwägen, ob nicht dieses große Miß- [131] verhältnis in der Behandlung der Minderheit hier und drüben geeignet ist, bei den polnischen Stellen Schritte dahin zu unternehmen, daß die Maßnahmen der polnischen Behörden hier, die man beinahe schon mit Verfolgungen des Deutschtums bezeichnen kann - insbesondere, wenn man die Grenzzonenverweisungen, die Agrarreform, die Schulschwierigkeiten, die Verweigerung der Übernahme von ererbtem Besitz in der Grenzzone u. a. mehr in Betracht zieht - abgestellt werden.

Ich fühle mich verpflichtet, mit allem Nachdruck auf den Ernst der Lage hier hinzuweisen. Die von den Polen skrupellos durchgeführte Entdeutschung muß zu einer völligen Zerstörung und Vernichtung des hiesigen Deutschtums führen, wenn es nicht im letzten Moment gelingt, durch Verhandlungen mit der Polnischen Regierung eine den Minderheitenabmachungen entsprechende Handhabung der gesetzlichen und verfassungsmäßigen Bestimmungen herbeizuführen.

von Küchler




Nr. 138
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 29. Dezember 1938

Durch Verfügung vom 20. Dezember hat der Burgstarost von Graudenz die Tätigkeit des Herbergsvereins in Graudenz eingestellt. Ferner hat er die einstweilige Sicherstellung des Vereinsvermögens verfügt und den Stadtpräsidenten von Graudenz Josef Wlodek zum Kurator über das Vermögen ernannt.

Der Stadtpräsident hat das Eigentum des Herbergsvereins sofort übernommen. Dieses setzt sich aus folgenden Grundstücken zusammen:

a) Herberge zur Heimat, bisher Internat der Goetheschule,

b) Kasino, bisher Alumnat der Goetheschule,

c) Marienheim, bisher Büro der Deutschen Vereinigung in Graudenz,

d) Hausgrundstück, am Markt gelegen.

Die Grundstücke repräsentieren einen Wert von ¼ Millionen Zloty.

In der letzten Zeit habe ich Gelegenheit gehabt, wiederholt über solche Verfolgungsmaßnahmen der polnischen Behörden zu berichten und im Rahmen dieser Verfolgungswelle ist auch das Vorgehen gegen den Herbergsverein zu verstehen.

Der Herbergsverein in Graudenz widmet sich ausschließlich der Wohltätigkeit. Durch die Beschlagnahme der Häuser des Vereins wird aber auch die Goetheschule auf das härteste getroffen, denn das eine Haus war Internat der Goetheschule und in ihm wohnten 80 minderbemittelte Schüler der Goetheschule.

Das Vorgehen der polnischen Behörden ist auch in diesem Falle so rigoros und voller Härte, daß ich der Meinung bin, man sollte dies nicht so ruhig hinnehmen.

von Küchler



[132]
Nr. 139
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 30. Dezember 1938

Am 20. d. M. veranstaltete die deutsche Privatschule in Neustadt eine Weihnachtsfeier. In dem Programm war die Aufführung des Märchenspiels "Hans und Gretes Himmelsreise" vorgesehen. Das Märchenspiel mußte jedoch von dem Programm abgesetzt werden, da die zuständige polnische Behörde ihre Zustimmung zur Aufführung des Spiels verweigert hat.

von Küchler




Nr. 140
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 2. Januar 1939

Neben den das Deutschtum hier allmählich vernichtenden Maßnahmen der polnischen Behörden (Verhaftungswelle wegen Spionage, Grenzzonenausweisungen, Agrarreform usw. usw.) gehen Angriffe polnischer Verbände einher, die staatlicherseits nicht unterbunden, sondern geduldet werden. Solche Angriffe werden seitens des berüchtigten Westverbandes in aller Öffentlichkeit gegen deutsche Geschäfte und Handwerker geführt mit dem Ziel, diese Geschäfte durch Boykottierung zu vernichten.

Schon in früheren Berichten war darauf hingewiesen worden, daß der "Verband des jungen Polen" beispielsweise überall vor den Geschäften deutscher Volksgenossen Posten aufgestellt hatte, um Kauflustige von dem Betreten dieser Geschäfte zurückzuhalten. Die aufgestellten Männer - die weiß-rote Armbinden trugen - riefen dabei den Kunden zu "Hier ist eine deutsche Firma" oder "Kauft nicht bei Deutschen". Eine Beschwerde bei dem hiesigen Starosten führte zu dem Ergebnis, daß der Starost sich nicht in der Lage sah einzugreifen, mit anderen Worten, daß er die Boykottmaßnahmen des "Verbandes des jungen Polen" duldete.

Da die polnischen Behörden nirgends gegen dieses Vorgehen einschritten und nicht einmal, auch nur scheinbar, versuchten, für die Durchführung des Minderheitenabkommens vom 5. November 1937 einzutreten, ist es verständlich, daß die Abwanderungsbewegung erneut eine Steigerung erfahren hat.

von Küchler




Nr. 141
Der Deutsche Geschäftsträger in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 5. Januar 1939

Die anhaltenden Entlassungen volksdeutscher Angestellter und Arbeiter aus den oberschlesischen Industrieunternehmungen sind bei dem Leiter der Westabteilung des Polnischen Außenministeriums Herrn Kunicki erneut zur Sprache gebracht worden.87 Hierbei ist unter Bezugnahme auf die seinerzeit von dem [133] Herrn Reichsminister dem Botschafter Lipski aus Anlaß der Veröffentlichung der Minderheitenerklärung übergebene Aufzeichnung festgestellt worden, daß die deutschen Erwartungen sich leider in keiner Weise erfüllt hätten. Man müsse vielmehr im Gegenteil feststellen, daß die Entlassungen gerade während des letzten Jahres noch zugenommen hätten, obwohl die Wirtschaftslage der ostoberschlesischen Industrie eher eine Besserung erfahren habe. In den meisten Fällen habe es sich bei den Entlassungen um Familienväter mit langer Dienstzeit gehandelt, also um einen Kreis von Personen, die normalerweise auch im Rahmen von Betriebsreorganisationen nicht zur Entlassung gelangen. Das rücksichtslose Vorgehen gegen diejenigen Angestellten und Arbeiter, die sich bisher dem Druck der Behörden zum Trotz geweigert hätten, ihre Kinder polnischen Schulen anzuvertrauen, habe in der deutschen Öffentlichkeit eine verständliche Erregung ausgelöst.

Herr Kunicki, der keinen Versuch machte, die ihm genannten Vorfälle irgendwie zu beschönigen, behauptete, an der Verschlechterung der Atmosphäre habe die angeblich schwierige Lage der polnischen Minderheit in Deutschland die Schuld.

Demgegenüber ist Herr Kunicki darauf hingewiesen worden, daß seine Behauptungen unbedingt zurückgewiesen werden müßten und daß es sich bei der polnischen Minderheit in Deutschland jedenfalls nie um die Sorge für das tägliche Brot handeln könne. Hunger und Arbeitslosigkeit seien Kampfmittel, deren sich nur der oberschlesische Woiwode gegen die deutsche Minderheit bediene. Es sei daher kein Wunder, wenn große Erbitterung und eine verzweifelte Stimmung in der Minderheit um sich greife. Es läge daher auch im Interesse der deutsch-polnischen Beziehungen, wenn von Seiten des Außenministeriums darauf hingewirkt würde, daß endlich der Diskriminierung der deutschen Minderheit in Polnisch-Oberschlesien ein Riegel vorgeschoben werde. Herr Kunicki sagte zu, die Angelegenheit weiter zu verfolgen.

von Wühlisch




Nr. 142
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 19. Januar 1939

In der letzten Zeit habe ich wiederholt darüber berichten müssen, daß die polnischen Behörden allenthalben in rigoroser Weise gegen das Deutschtum vorgehen. Diese einheitliche Aktion läßt darauf schließen, daß von zentraler Stelle aus Weisungen in dieser Richtung gegeben worden sind. Die wichtigsten Ereignisse der allerletzten Zeit sind das Vorgehen gegen Einzelpersonen, Ausweisungen, Nichtverlängerung von Aufenthaltserlaubnissen, die Beschlagnahme des Herbergsvereins in Graudenz sowie die Untersuchung im Hauptbüro und den Ortsgruppen der Deutschen Vereinigung.

Angesichts dieser Verfolgung des Deutschtums ist es nicht verwunderlich, daß sich der deutschen Bevölkerung eine verzweifelte Stimmung bemächtigt hat und daß man die Lage des Deutschtums hier nicht mit Unrecht als gefährdeter denn je zuvor ansieht. Die Lage des Deutschtums hier hat sich trotz des vielfach betonten Verständigungswillens gegenüber früher wesentlich verschlechtert. Diese Stimmung innerhalb des Deutschtums bewirkt selbstverständlich auch eine erneute Zunahme der Abwanderungsanträge.

von Küchler



[134]
Nr. 143
Der Deutsche Generalkonsul in Kattowitz an das Auswärtige Amt
Bericht
Kattowitz, den 26. Januar 1939

Seit dem Ablauf des Genfer Abkommens gehen die hiesigen polnischen Behörden in verstärktem Maße gegen das deutsche Schulwesen vor. Dieses Vorgehen findet seinen schärfsten Ausdruck in den einseitig von den Behörden durchgeführten Sprachprüfungen, die zur Folge haben, daß zahlreiche Kinder vom Besuch der deutschen Schule ausgeschlossen werden.

Nicht weniger als 240 Erziehungsberechtigte sind in Strafe genommen worden, weil sie auf Grund der Entscheidung der Sprachprüfungskommission ihre Kinder nicht den polnischen Schulen zugeführt haben. In vielen Fällen mußten die Erziehungsberechtigten die Geldstrafen absitzen oder abarbeiten. Der größte Teil der Kinder befindet sich seit langer Zeit im Schulstreik.

Nöldeke




Nr. 144
Das Auswärtige Amt an den Deutschen Botschafter in Warschau
Erlaß
Berlin, den 1. Februar 1939

Unter dem Vorsitz des schlesischen Sejmmarschalls fand am 29. Januar d. J. in Kattowitz eine Tagung des schlesischen Bezirks des Westverbandes statt, in der Deutschland und die deutsche Volksgruppe in Polen erneut scharfen Angriffen ausgesetzt war. Die von der Polska Zachodnia (Nr. 30 v. 30. 1. 1939) veröffentlichte Entschließung der Tagesordnung beweist, daß die Deutschenhetze des Westverbandes auch nach dem Warschauer Besuch des Herrn Reichsaußenministers88 in unverminderter Schärfe fortgesetzt wird und den offensichtlichen Zweck verfolgt, die sich anbahnende Entspannung in der Minderheitenfrage zu stören.

Ich bitte, im Polnischen Außenministerium das Befremden der Reichsregierung darüber zum Ausdruck zu bringen, daß gegen die unausgesetzte deutschfeindliche Kampagne des Westverbandes und insbesondere gegen die obenerwähnte Veranstaltung keine Schritte unternommen wurden, obwohl die Polnische Regierung rechtzeitig auf die Kundgebung aufmerksam gemacht ist.

Im Auftrag
Woermann



[135]
Nr. 145
Der Deutsche Generalkonsul in Kattowitz an das Auswärtige Amt
Bericht
Kattowitz, den 3. Februar 1939

Aus Anlaß der kürzlich hier durchgeführten Tagung des polnischen Westverbandes sprach der Direktor des Westverbandes Miecyslaw Zaleski aus Warschau über "Die deutsch-polnischen Beziehungen in Verbindung mit der gegenwärtigen internationalen Lage". Zaleski charakterisierte dabei die polnische Politik kurz und offen wie folgt:

Die Übereinstimmung der Handlungsweise Deutschlands und Polens sei nicht eine Folge der Übereinstimmung der tatsächlichen politischen Ziele, sondern nur aus taktischen Gründen diktiert. Das Problem der nationalen Minderheiten sei dagegen der beste Spiegel der tatsächlichen politischen Tendenzen. Im Gegensatz zu den aus der gegenwärtigen Lage heraus diktierten politischen Abmachungen, die den Zweck hätten, konjunkturelle Vorteile zu erzielen, sei die Politik gegenüber den nationalen Minderheiten auf weitere Sicht berechnet and bezwecke die Vorbereitung des Terrains für einen künftigen Zusammenstoß.

Nöldeke




Nr. 146
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Telegramm
Warschau, den 25. Februar 1939

Die aus heutiger DNB-Meldung bekannte deutsch-feindliche Demonstration vor Botschaftsgebäude ist schärfste Kundgebung, die seit den letzten acht Jahren hier stattgefunden hat. Abgesehen vom Einwurf eines Fensters wurde zum ersten Mal Haßgesang der "Rota" vor der Botschaft gesungen und während einer Viertelstunde wechselten Sprech-Chöre ab mit Rufen wie "Nieder mit Hitler", "Fort mit den deutschen Hunden", "Es lebe das polnische Danzig", "Nieder mit der deutschfreundlichen Politik". Die beiden vor der Botschaft stationierten Polizeibeamten beschränkten sich darauf, den Eingang des Gebäudes zu schützen. Erst der herbeigerufenen Verstärkung durch berittene Polizei und drei Panzerwagen gelang es, die Straßen zu säubern.

Herr Beck hat mir heute abend durch seinen Protokollchef Bedauern und Entschuldigung Polnischer Regierung übermitteln lassen; er habe besonders bedauert, daß diese Demonstration wegen ihres spontanen Entstehens nicht schnell habe beseitigt werden können. Es seien sowohl in politischer wie in polizeilicher Hinsicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen, um Wiederholung solcher Vorgänge zu verhindern. Ministerpräsident habe persönlich die Überwachung der getroffenen Anordnungen übernommen.

Moltke



[136]
Nr. 147
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Telegramm
Warschau, den 25. Februar 1939

Heutige erneute Demonstration vor Botschaft spielte sich in ähnlichen Formen ab wie gestrige mit dem Unterschied, daß dieses Mal schwere Steine gegen das Gebäude geworfen wurden, durch die ein Fenster im Unter- und zwei Fenster im Oberstockwerk durchschlagen wurden. Die Polizei, die seit gestern erheblich verstärkt worden war (es befanden sich in unmittelbarer Nähe der Botschaft 40 Polizisten) verhielt sich während der ganzen Dauer der 15 Minuten anhaltenden Kundgebung völlig untätig. Der Abzug der 300köpfigen Menge scheint im Verhandlungsweg erreicht worden zu sein. Demonstranten setzten sich vorwiegend aus rechtsradikalen Studenten zusammen.

Im Auftrag Ministerpräsidenten und Ministers des Äußern überbrachte hiesiger Woiwode, dem gesamte Polizei Warschaus untersteht, Entschuldigung der Regierung. Nach seiner Darstellung ist ein Polizeikordon durchbrochen worden, wodurch Demonstranten bis zur Botschaft vordringen konnten. Der verantwortliche Offizier ist sofort vom Dienst suspendiert worden. Von dem Versagen der Polizei vor Botschaftsgebäude schien Woiwoden bis zu meiner Beschwerde noch nichts bekannt zu sein.

Moltke




Nr. 148
Der Deutsche Generalkonsul in Posen an das Auswärtige Amt
Telegramm
Posen, den 25. Februar 1939

Gestern stattfanden hier antideutsche Ausschreitungen polnischer Studenten. Zug mehrerer hundert Demonstranten kurz vor Generalkonsulat von Polizei aufgelöst. Gestern und besonders vergangene Nacht Fensterscheiben von mindestens 11 Volksdeutschen Gebäuden und Geschäften zertrümmert. Einzelne Volksdeutsche mißhandelt.

Kassler




Nr. 149
Der Deutsche Konsul in Krakau an das Auswärtige Amt
Bericht
Krakau, den 25. Februar 1939

Das Studentenheim der deutschen Hochschüler in Krakau war gestern abends um 9 Uhr der Schauplatz einer wüsten, deutschfeindlichen Demonstration. Eine Anzahl von etwa 200 bis 300 Personen hatte sich vor dem erwähnten Hause zusammengefunden, und eine Gruppe von etwa 15 polnischen Studenten drangen, mit Knüppeln und Totschlägern versehen, in das deutsche Studentenheim ein. Sie überfielen die dort anwesenden deutschen Hochschüler und Hoch- [137] schülerinnen, wobei ein Hochschüler derartig blutig geschlagen wurde, daß er sofort in ein Krankenhaus gebracht werden mußte. Einer der Eindringlinge zerstörte die Lichtleitung, so daß in den Räumen sofortige Finsternis eintrat, und nun begann ein unerhörtes Zertrümmern der Einrichtung. Stühle, Tische und Klavier, Fensterscheiben und Kleiderrechen wurden ein Opfer des sinnlosen vandalischen Wütens der polnischen Studenten. Erst längere Zeit, nachdem die Demonstranten sich entfernt hatten, kam die Polizei und nahm ein Protokoll auf.

Schillinger




Nr. 150
Der Deutsche Generalkonsul in Posen an das Auswärtige Amt
Telegramm
Posen, den 28. Februar 1939

Vorbereitet durch eine Hetzkampagne der polnischen Presse kam es ab Freitag, dem 24. d. M., in Posen zu schweren deutschfeindlichen Kundgebungen polnischer Studenten, denen sich auch Straßenpassanten und halbwüchsige Burschen anschlossen. Das Posener Deutschtum wurde dadurch schwer betroffen. Die Studenten überfielen deutsche Menschen und fast sämtliche bekannten deutschen Gebäude, die vielfach sogar mehreren Überfällen ausgesetzt waren. Die Unruhen dauern zur Zeit noch an.

Matuschka




Nr. 151
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 28. Februar 1939

Unter den deutschfeindlichen Kundgebungen, die im Zusammenhang mit dem Danziger Studentenkonflikt89 polnischerseits in Szene gesetzt wurden, ist besonders die Versammlung der Akademischen Legion, die am vergangenen Sonntag in der Warschauer Universität stattfand, hervorzuheben. An der Versammlung, die zunächst verschoben werden sollte, aber auf Intervention militärischer Stellen, vom Ministerpräsidenten doch noch genehmigt worden war, nahmen u. a. der Vizekriegsminister General Gluchowski, der Leiter des Amts für Wehrschulung und körperliche Ertüchtigung General Sawicki, ferner eine Reihe von Offizieren und Hochschulprofessoren teil. Der vom Kriegsminister ernannte Leiter der Akademischen Legion Oberst Tomaszewski hielt eine leidenschaftliche Ansprache an die Studenten, in der er an ihren patriotischen Geist appellierte und Opferbereitschaft von ihnen forderte; hierbei flocht er verschiedentlich politische Ausfälle ein, die teils ausdrücklich gegen Deutschland gerichtet, teils auf Deutschland gemünzt waren und in diesem Sinne von seinen Zuhörern verstanden wurden. Polen, so erklärte er, habe keinerlei Territorien zurückzugeben, dagegen mehr als eines zurückzufordern. (Zwischenrufe: Das polnische Danzig! Das polnische Ostpreußen!) Danzig, so fuhr Tomaszewski fort, sei eine Eiterbeule am polnischen Leibe, die man aufschneiden müsse.

[138] Nachdem die studentischen Redner zum Teil noch zügellosere Ausfälle gegen Deutschland gerichtet hatten, wurde u. a. beschlossen, einen "Ohne Deutschen-Tag", d. h. einen Boykott-Tag, der sich gegen alle Deutschen und alles Deutsche richten soll, zu veranstalten.

Die Kundgebung der Akademischen Legion, einer vom Kriegsministerium betreuten Organisation, die der militärischen Vorbereitung der Hochschuljugend dient, unterscheidet sich dadurch von den sonstigen seitens der national-radikalen Studenten verübten deutschfeindlichen Straßentumulten und Ausschreitungen, daß es sich hier um eine unter dem Schutz hoher militärischer Stellen und in Anwesenheit des Vizekriegsministers abgehaltene Veranstaltung handelte. Die Sympathien mancher Militärkreise für die deutschfeindliche Gesinnung der Studentenschaft, die schon im Vorlauf der jüngsten Vorfälle zu beobachten war, fand bei diesem Anlaß eine neue Bestätigung. Ähnlich der Einstellung der Militärkreise ist diejenige der Polizei, was ihr passives Verhalten bei den Demonstrationen vor der Botschaft am Freitag und Sonnabend der vergangenen Woche zeigte.90

Wegen des unerhörten Versagens der Polizei habe ich mich beim Außenministerium aufs nachdrücklichste beschwert. Seit Sonnabend abend ist der Schutz der Botschaft nunmehr effektiver geworden; ein heute erneut von studentischen Demonstranten unternommener Versuch, vor das Botschaftsgebäude zu gelangen, wurde von der Polizei energisch verhindert.

Den Entschuldigungen, die am Freitag und Sonnabend durch den Chef des Protokolls und den Warschauer Woiwoden erfolgt waren, hat sich Herr Beck persönlich bei unserem Zusammentreffen anläßlich des Diners für Graf Ciano auf der Italienischen Botschaft angeschlossen. Verschiedene Veröffentlichungen in der heutigen Presse mahnen zur Ordnung und Disziplin und suchen zu beruhigen. Man kann jedoch nicht sagen, daß die Elemente, die die deutschfeindlichen Demonstrationen hervorgerufen und veranstaltet haben, tatsächlich schon zur Ruhe gebracht wären.

von Moltke




Nr. 152
Unterredung des Reichsministers des Auswärtigen
mit dem Polnischen Botschafter

Aufzeichnung
Berlin, den 28. Februar 1939

Ich empfing heute den Polnischen Botschafter und sagte ihm, daß ich mit immer steigendem Unbehagen die Entwicklung in Polen auf Grund der lokalen Danziger Studentenzwischenfälle91 betrachte. Ich wies auf die zweimaligen Demonstrationen vor der Botschaft hin, bei denen die Polizei anscheinend untätig zugesehen habe,92 und ferner auf die Hetze in einem großen Teil der polnischen Presse. Die Demonstrationen hielten auch am heutigen Tage über ganz Polen noch an. Ich wies den Botschafter darauf hin, daß ich bisher [139] die ganzen Vorgänge völlig aus der deutschen Presse herausgehalten habe. Wenn diese Pressehetze und die Demonstrationen in Polen allerdings weitergingen, würde die deutsche Presse antworten und er wisse ja wohl genügend von der deutschen Presse, daß sie es dann allerdings auch gründlich tun werde. Er, Lipski, kenne ja die Grundeinstellung des Führers, die einen großen endgültigen Ausgleich mit Polen finden möchte, und diese Einstellung sei immer unverändert. Durch solche bedauerlichen Vorkommnisse könne allerdings dieser Ausgleich sehr erschwert oder zumindest sehr verzögert werden.

von Ribbentrop




Nr. 153
Der Deutsche Generalkonsul in Posen an das Auswärtige Amt
Telegramm
Posen, den 1. März 1939

Heute morgen 6 Uhr wurde Scheibe an Eingangstür Generalkonsulats zerschlagen. Habe Woiwoden benachrichtigt und ihn gebeten, notwendige Maßnahmen zu treffen. Diese Nacht wiederum Scheiben in volksdeutschen Läden eingeschlagen. Da durch immer noch provozierende Haltung Studenten Gefahr von Zusammenstößen mit Reichs- und Volksdeutschen besteht, bitte auch dort auf Abstellung unerträglicher Lage hinzuwirken.

Matuschka




Nr. 154
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 4. März 1939

Die vergangene Woche hat keinerlei Entspannung gebracht. Aus vielen Gegenden meines Amtsbezirks werden mir weitere Demonstrationen oder Maßnahmen gegen das deutsche Volkstum gemeldet.

In einzelnen Städten wird jetzt der Boykott gegen die Deutschen auf solche polnischen Geschäfte ausgedehnt, in denen die Kundschaft in deutscher Sprache abgefertigt wird. Dabei ist zu bemerken, daß der vom Westverband schon seit der Abtrennung des Gebiets betriebene Boykott gegen deutsche Ladeninhaber dazu geführt hat, daß viele derartige Geschäfte eingegangen und ihre Besitzer abgewandert sind. Aber mit diesem Erfolg ist man noch nicht zufrieden; es muß auch noch der polnische Geschäftsmann, der seine nun zu ihm kommenden deutschen Kunden deutsch bedient, darauf aufmerksam gemacht werden, daß er Deutsche überhaupt nicht zu bedienen hat.

Erst vor wenigen Tagen ist im Offizierkorps in einer Offiziersbesprechung beschlossen worden, diejenigen Geschäfte zu meiden, in denen die Kunden noch in deutscher Sprache bedient würden. Man will mit anderen Worten, entgegen allen Abmachungen, dem Deutschen das Leben einfach unmöglich machen und ihn vertreiben.

[140] Die Boykottaktion gegen deutsche Geschäfte hat im übrigen in der verflossenen Woche zu einem größeren Tumult in Bromberg geführt. Dort wurden in der Nacht vom Dienstag, dem 28. 2., auf Mittwoch, den 1. 3. 1939, in der ganzen Stadt an Häusern, Schaufenstern, Litfaßsäulen und Zäunen Plakate angeklebt, worin zum Wirtschaftsboykott der Deutschen aufgefordert wird.

von Küchler




Nr. 155
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 9. März 1939

In einer Unterredung, die ich gestern mit Herrn Beck hatte, bin ich noch einmal auf die Kundgebungen vor der Deutschen Botschaft zurückgekommen, wobei ich besonders auf das offensichtliche Sympathisieren der Polizei mit den Demonstranten verwiesen habe, sowie darauf, daß ein höherer polnischer Offizier einem Gewährsmann gegenüber diese Demonstrationen als durchaus berechtigt bezeichnet habe. Ich erklärte Herrn Beck, daß diese beiden Feststellungen sowie andere Beobachtungen solcher Art bedauerlicherweise gezeigt hätten, wie schmal die Basis sei, auf der hier in Polen die Verständigungspolitik betrieben werde. Außer ihm selbst und etwa einem halben Dutzend anderer Persönlichkeiten gebe es hier in Polen eigentlich niemand, der sich ernstlich für diese Angelegenheit interessiere. Man könne sich auch nicht wundern, wenn die Stimmung Deutschland gegenüber sich hier dauernd verschlechtere; denn die Presse höre nicht auf zu hetzen. Tagtäglich erschienen unfreundliche Artikel, and zwar nicht nur in der Oppositionspresse, sondern auch in den provinziellen Regierungsorganen und nur die beiden in Warschau erscheinenden offiziösen Zeitungen verhielten sich einigermaßen korrekt. Noch schlimmer sei aber die Agitation des Westverbandes, der in außerordentlich sinnfälliger Weise durch verschiedene planmäßige Aktionen die Bevölkerung gegen alles Deutsche aufhetze. Geradezu ungeheuerlich sei im August v. J. die während dreier Wochen durch das ganze Land gehende Demonstrationswelle93 gewesen, mit der gegen die angebliche Brutalität der Deutschen protestiert wurde, und zwar anläßlich des bedauernswerten Unglücksfalles eines polnischen Eisenbahners, der auf der Strecke Danzig-Gdingen aus dem Zuge gefallen war, wobei ihm beide Beine abgefahren wurden. Die damalige Hetze sei von der Regierung geduldet worden, obwohl ihr bekannt war, daß der den Deutschen zur Last gelegte Unfall lediglich durch Verschulden des betreffenden polnischen Eisenbahnbeamten selbst herbeigeführt worden war, ohne daß irgend ein Deutscher dabei beteiligt gewesen wäre. Das sei der unglaublichste Fall von Verhetzung gewesen, der mir je vorgekommen sei.

Herr Beck schien über diese Ausführungen recht betroffen und erklärte nochmals, wie sehr er die Vorfälle vor der Deutschen Botschaft bedauert hätte. Er gab zu, daß die Polizei versagt habe und erklärte, daß der schuldige Polizeioffizier vor Gericht gestellt werden würde. Im übrigen meinte er, man dürfe die Dinge auch nicht zu pessimistisch ansehen. Die Verständigungspolitik sei [141] in der Tat nicht immer leicht durchzuführen und er verhehle sich keineswegs ihre Schwierigkeiten. Er habe namentlich im Jahre 1936 schwere Kämpfe bestehen müssen, um diese von Pilsudski inaugurierte Politik zur Anerkennung zu bringen; seither begegne er aber in politischen Kreisen wachsendem Verständnis dafür. Die Gründe für die Verschlechterung der Stimmung während der letzten Monate sehe er hauptsächlich in der karpatho-ukrainischen Frage, da man Deutschland die Schuld zuschiebe, daß es nicht zu einer gemeinsamen polnisch-ungarischen Grenze gekommen sei.

Ich verwies darauf, daß dieser Behauptung durch die sehr klaren Erklärungen von Berchtesgaden94 der Boden entzogen worden wäre und daß es doch wirklich an der Zeit sei, etwas gegen die Brunnenvergiftung zu unternehmen. Wir könnten es jedenfalls nicht verstehen, wenn die Pressehetze von der Regierung geduldet werde und wenn man dem Westverband für seine deutsch-feindlichen Aktionen freie Hand gebe.

von Moltke




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89Vgl. Nr. 195 und 196. ...zurück...

90Vgl. Nr. 146 und 147. ...zurück...

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