[105] Erstes Kapitel (Forts.)
Entwicklung der Deutsch-Polnischen Beziehungen
B. Deutschlands Bemühen
der Deutsch-Polnischen Minderheitenerklärung durch Polen (November 1937 bis November 1938)
Nr. 105 Kattowitz, den 22. November 1937
Entgegen den anläßlich des Ablaufs der Genfer Konvention abgegebenen Zusicherungen des Woiwoden Grażyński, daß keinerlei Absichten bestünden, die kulturelle Entwicklung des deutschen Elements in Ostoberschlesien einzuschränken, setzt sich die Bedrückungs- und Entlassungswelle gegen deutschstämmige Angestellte und Arbeiter der Industrie fort. Die Not der Deutschen wächst mit jedem Monat und verschärft sich fortgesetzt durch neue Kündigungen und Entlassungen. Nach 10jähriger Amtstätigkeit des Woiwoden Grażyński sind 75 v. H. der Deutschen in Ostoberschlesien mit ihren Familien um die Existenz gebracht worden. Ferner sind allein innerhalb der letzten drei Jahre (1934 bis 1937), d. h. also seit dem deutsch-polnischen Verständigungspakt, in der Schwerindustrie 840 deutsche höhere Angestellte entlassen und größtenteils durch polnische Kräfte ersetzt worden. Die Entlassungen werden selbst nach Veröffentlichung der deutsch-polnischen Minderheitenerklärung vom 5. November64 fortgesetzt, obwohl in Punkt 5 dieser Erklärung der Schutz des Arbeitsplatzes des deutschen Arbeiters ausdrücklich gesichert wird und obwohl die Auftragslage der Werke, wie es das Anblasen eines neuen Hochofens zeigt, als durchaus günstig anzusprechen ist.
Nöldeke
Nr. 106
Der Deutsche Konsul in Krakau an das Auswärtige Amt Bericht Krakau, den 22. November 1937
Die allpolnische Jugend in Krakau hielt am 19. d. M. 8 Uhr abends im Kollegium Majus der hiesigen Universität eine Versammlung ab, die durch eine Rede des deutschfeindlichen Professors Dr. Folkierski eröffnet wurde. Nach Schluß der Versammlung begaben sich die aufgehetzten Studenten und sonstigen Teilnehmer in der Anzahl von einigen hundert Personen mit den Rufen: "Es lebe das polnische Danzig!" "Nieder mit den Deutschen!" zum Deutschen Konsulat, um hier zu demonstrieren.
Schillinger
[106]
Nr. 107
Aufzeichnung des Dirigenten der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amts Berlin, den 25. November 1937
Ich habe heute den Polnischen Geschäftsträger Prinz Lubomirski empfangen und habe ihn darauf hingewiesen, daß mit Bezug auf die deutsche Minderheit in Polen uns die Arbeitslosigkeit in Oberschlesien im Augenblick die ernsteste Sorge bereite. Auch nach Abgabe der Minderheitenerklärung hätten die Entlassungen deutscher Arbeiter in Oberschlesien nicht aufgehört, während wir im Gegenteil gehofft hätten, daß Neueinstellungen vorgenommen würden. Wir hielten es daher für erforderlich, daß, um einen Beweis des guten Willens der Polnischen Regierung abzugeben, polnischerseits alles getan würde, um dem Zustand der fortgesetzten Entlassungen deutscher Arbeiter ein Ende zu bereiten und statt dessen Neueinstellungen vorzunehmen. Prinz Lubomirski verwies darauf, daß in Polen im Augenblick die Arbeitslosigkeit saisonmäßig im Industriegebiet Ostoberschlesiens zugenommen habe, versprach aber, diese Frage seiner Regierung in dem von mir ausgeführten Sinne vorschlagen zu wollen.
Fürst von Bismarck
Nr. 108
Der Dirigent der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amts an den Polnischen Geschäftsträger Berlin, den 7. Dezember 1937
Sehr geehrter Prinz Lubomirski! Unter Bezugnahme auf die kürzlich zwischen uns stattgefundene Besprechung65 erlaube ich mir, Ihnen in der Anlage zwei Meldungen der Kattowitzer Zeitung vom 27./28. v. M. und 1. d. M. zu übersenden, aus denen hervorgeht, daß in letzter Zeit fortgesetzt deutsche Arbeiter in größerem Umfange aus den oberschlesischen Industriewerken entlassen worden sind. Andererseits ist aus der erstgenannten Meldung zu entnehmen, daß die Belegschaftsziffer der Bismarckhütte ständig steigt. Ich darf erneut darauf hinweisen, daß die schwere wirtschaftliche Lage der deutschen Arbeiter in Ostoberschlesien von der Deutschen Regierung mit größter Sorge verfolgt wird. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Regierung entsprechend informieren und sie bitten würden, tunlichst bald Maßnahmen zu treffen, die bewirken, daß nicht nur die gegenwärtige Entwicklung zum Stillstand kommt, sondern darüber hinaus deutsche Arbeiter wieder eingestellt werden.
Fürst von Bismarck
[107]
Nr. 109
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt Bericht Warschau, den 11. Dezember 1937
Im Anschluß an eine Unterredung, die ich heute über politische Fragen mit Herrn Beck hatte, habe ich die Lage der Minderheiten entsprechend den Weisungen des Herrn Reichsministers zur Sprache gebracht. Ich verwies eingangs auf die Bemühungen des Auswärtigen Amts, die praktische Durchführung des Minderheiten-Communiqués durch Einwirkung auf die Verwaltungsbehörden sicherzustellen, und erklärte, daß wir leider auf polnischer Seite eine entsprechende Einstellung vermißten, so daß schon das Gefühl einer gewissen Enttäuschung vorhanden sei. Verschiedene Vorkommnisse der letzten Zeit schienen uns sogar in direktem Widerspruch zu den Formulierungen des Minderheiten-Communiqués zu stehen. Ich berührte dann zunächst die Frage der von der Halbinsel Hela ausgewiesenen deutschen Fischer.66 Herr Beck unterbrach mich sofort und erklärte, es handele sich hier um eine rein militärische Angelegenheit, die nichts mit dem Minderheitenproblem zu tun hätte. Ich erwiderte, daß wir für die militärischen Belange durchaus Verständnis hätten, aber daß wir doch die Frage aufwerfen müßten, ob es wohl notwendig sei, die Ausweisungen mitten im Winter vorzunehmen und obendrein in einer Weise, die erkennen lasse, daß für die weitere Unterbringung und für irgendeine Fürsorge in keiner Weise gesorgt sei. Ich bat Herrn Beck, sich dieses Falls persönlich anzunehmen. Des weiteren verwies ich auf die bis in die letzten Tage fortgesetzte Aktion des Westmarkenverbandes, die gegen den deutschen Handel und deutsche Kaufleute gerichtet sei. Herrn Beck schien diese Angelegenheit nicht bekannt zu sein. Er bemerkte, daß es natürlich nicht möglich sei, die Anwendung der Richtlinien des Minderheiten-Communiqués bei allen in Frage kommenden Stellen sofort sicherzustellen; es bedürfe hierzu einer gewissen Zeit. Der Ministerpräsident sei aber entschlossen, in dieser Richtung zu wirken und die in Frage kommenden Stellen mit entsprechenden Weisungen zu versehen. Wie er, Herr Beck, noch gerade heute in einer Unterredung mit dem Ministerpräsidenten festgestellt habe, befasse sich dieser zur Zeit gerade mit diesem Problem. Auch die Frage, ob gegebenenfalls durch gewisse Amnestierungen eine dem Geiste des Minderheitenabkommens entsprechende Geste gemacht werden könne, werde geprüft - aber man müsse noch ein wenig Geduld haben.67 [108] Mit besonderem Nachdruck wies ich darauf hin, daß sich in Oberschlesien nicht das geringste geändert habe und daß hier Absetzungen und Ausweisungen von Pfarrern sowie Entlassungen von Arbeitern in einer Weise fortgesetzt würden, die mit dem Geiste des Minderheiten-Communiqués schwer vereinbar sei. Herr Beck erwiderte, daß er hinsichtlich der Arbeiterfrage eher optimistisch sei, obwohl der Einfluß des Staates auf diese Angelegenheiten jetzt geringer sei als früher, daß er aber hinsichtlich der kirchlichen Fragen zur Zeit gar keine Möglichkeit einer befriedigenden Lösung sähe. Die Lage sei leider durch die widersetzliche Haltung der evangelischen Geistlichen außerordentlich erschwert worden. Er habe seinen Kabinettschef Grafen Lubieński nach Oberschlesien geschickt, um die Frage an Ort und Stelle zu prüfen und gegebenenfalls auf den Woiwoden einzuwirken. Bei einigermaßen gutem Willen von seiten der evangelischen Geistlichkeit würde es wohl möglich sein, zu einer friedlichen Regelung zu gelangen. Das Gesetz sei elastisch genug gefaßt, um Möglichkeiten hierzu zu bieten. Aber es habe sich bei der von ihm angeordneten Untersuchung herausgestellt, daß die unkluge Haltung der Geistlichen jede Intervention unmöglich mache. Wenn die Geistlichen erklärten, daß sie ein rite zustande gekommenes Gesetz nicht anerkennten, so könne der Staat sich eine solche Haltung nicht gefallen lassen. Ich entgegnete Herrn Beck, daß dieses unglückliche Gesetz die Geistlichen vor Entscheidungen stelle, die sie vor ihrem Gewissen nicht verantworten könnten. Da dieses Gesetz nur provisorischen Charakter habe und, wie er mir selbst früher gesagt habe, ein grundlegendes, allgemeines Gesetz in Vorbereitung sei, so sollte es doch wohl möglich sein, die Durchführung des vorläufigen Gesetzes, das schon infolge der Unterstellung unter einen katholischen Kirchenoberen eine unmögliche Konstruktion sei, bis zum Erlaß des endgültigen Gesetzes zurückzustellen und in der Zwischenzeit Verhandlungen mit der Kirche zu führen. Herr Beck erwiderte, daß eine solche Regelung nicht möglich sei, weil bis zum Erlaß des endgültigen Gesetzes, das durch den Sejm verabschiedet werden müsse, noch zu lange Zeit vergehen würde. Im übrigen sei schon wiederholt vergeblich der Versuch gemacht worden, mit den Geistlichen zu verhandeln, was ich in Abrede stellte. Herr Beck verwies ferner auch heute wieder auf die Lage in Deutschland, wo die Widersetzlichkeit der evangelischen Geistlichen sogar zu Verhaftungen führe, während man hier das an sich durchaus mögliche Eingreifen des Staatsanwaltes bisher vermieden habe. Ich lehnte jeden Vergleich mit deutschen Verhältnissen als völlig abwegig ab. Es sei ein bedauerlicher Irrtum, die oberschlesischen Geistlichen als Revolutionäre und Staatsfeinde anzusehen. Sie wünschten nichts sehnlicher, als weiter in Ruhe ihres Amtes walten zu können und friedliche Seelsorger der ihnen anvertrauten Gemeinde zu sein. Man dürfe von ihnen nur nichts Unmögliches verlangen. Da ein sachliches Ergebnis im Rahmen dieser Unterhaltung nicht zu erreichen war, habe ich mich darauf beschränkt, Herrn Beck abschließend zu erklären, wir seien überzeugt, daß er in der Lage sei, eine befriedigende Lösung herbeizuführen, und wir hätten das feste Vertrauen, daß er entsprechend handeln würde.
von Moltke
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Nr. 110
Das Auswärtige Amt an den Deutschen Botschafter in Warschau Erlaß Berlin, den 11. Januar 1938
In der Kattowitzer Zeitung vom 31. Dezember 1937 ist ein Aufsatz unter dem Titel "1.100 deutsche Arbeiter entlassen" erschienen, auf den ich ergebenst hinweise. Der Artikel enthält eine Übersicht über die im letzten Jahr erfolgten Arbeiter- und Angestelltenentlassungen in der ostoberschlesischen Industrie. Ich bitte das darin enthaltene Material, über dessen Zuverlässigkeit kein Zweifel besteht, dem Polnischen Außenministerium gegenüber zu verwerten.
Im Auftrag
Schliep
Nr. 111
Aufzeichnung eines Beamten der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts Berlin, den 25. Januar 1938
Ich habe heute Legationssekretär Malhomme von der Polnischen Botschaft zu mir gebeten, um mit ihm über verschiedene Fragen zu sprechen.
2. Ich führte ferner aus, daß bei den mündlichen Verhandlungen, die im vergangenen Sommer zu einem gentlemen-agreement zwischen Außenminister Beck und Botschafter von Moltke über das Gymnasium in Marienwerder geführt hätten, die Verhandlungsbasis die gewesen sei, daß von deutscher Seite die Eröffnung des Gymnasiums Marienwerder durchgeführt werden würde, während die Polen folgende Gegenleistungen machen sollten: Rückgabe der Öffentlichkeitsrechte für die deutschen Gymnasien in Graudenz und Posen, Erlaubnis für die Fertigstellung des Neubaus für das deutsche Gymnasium in Bromberg und Weiterführung des Bromberger Gymnasiums in den jetzigen Räumen bis zur Fertigstellung des Neubaus. Die Polen hätten zugestimmt. Die deutsche Zusage, nämlich die Eröffnung des polnischen Gymnasiums in Marienwerder, sei bereits seit mehreren Monaten durchgeführt, während polnischerseits so gut wie überhaupt noch nichts geschehen sei. Trotz wiederholter Vorstellungen bei der Polnischen Botschaft in Berlin und durch die Deutsche Botschaft in Warschau sei bisher lediglich die Weiterführung des Gymnasiums in Bromberg in den alten Räumen genehmigt worden. Die Öffentlichkeitsrechte in Posen und Graudenz seien nicht wieder verliehen worden und auch die Frage des Neubaus sei noch ungeklärt. Es sei für die innerdeutschen Stellen unverständlich, daß die Polnische Regierung ihre festen Zusagen nicht einhielte.
von Fries
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Nr. 112
Aufzeichnung eines Beamten der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts Berlin, den 8. Februar 1938
Der Legationssekretär der Polnischen Botschaft Malhomme rief mich an, um mir im Verfolg seiner Unterhaltung mit Legationssekretär von Fries68 folgendes mitzuteilen: Es sei ein Irrtum unsererseits anzunehmen, daß das Öffentlichkeitsrecht für Königshütte aufgehoben sei. Das Öffentlichkeitsrecht bestehe an sich. Aber infolge der Schulreform in Polen sei es nötig, eine Anzahl von Formalitäten zu erfüllen, damit das Öffentlichkeitsrecht in Wirksamkeit treten könne. Dies sei von deutscher Seite bisher verabsäumt worden. Ich habe Herrn Malhomme erwidert, daß ich seine Ausführungen nicht verstände. Aus welchem Grunde das Öffentlichkeitsrecht für die Schule in Königshütte außer Kraft gesetzt sei, sei mir ziemlich gleichgültig. Ich müsse jedenfalls konstatieren, daß es zur Zeit nicht ausgeübt werden könne, und darum drehe sich unsere Beschwerde. Wenn er mir jetzt mitteile, daß einige Formalitäten nachzuholen seien und daß dann das Öffentlichkeitsrecht wiederhergestellt würde, so nähme ich diese Mitteilung zur Kenntnis, um sie den zuständigen Stellen zuzuleiten. Ich müßte ihm aber gleich erklären, daß wir in letzter Zeit derartig viele Enttäuschungen mit Mitteilungen der hiesigen Polnischen Botschaft bezüglich Entgegenkommen polnischer Behörden erlebt hätten, daß ich die Frage Königshütte erst als erledigt ansehen könnte, wenn die Mitteilung des Herrn Malhomme in die Wirklichkeit umgesetzt sei. Herr Malhomme versicherte darauf, daß er sein möglichstes tue, daß aber doch immer die Mentalität im Grenzkampf berücksichtigt werden müsse. Ich habe ihm darauf erwidert, daß es mir vor allem darauf ankomme, daß Zusagen, die gemacht würden, auch eingehalten werden.
von Twardowski
Nr. 113
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt Bericht Warschau, den 11. März 1938
Senator Wiesner behandelte in der Senatssitzung vom letzten Dienstag die Frage der Arbeitslosigkeit unter den Deutschen in Polen, wobei er darauf hinwies, daß während der 15 Jahre, in denen Schlesien unter dem Schutz der Genfer Konvention gestanden hat, die deutschen Arbeiter und Angestellten systematisch entlassen worden seien und daß dieser Vorgang auch nach dem Ablauf der Konvention andauere. An diesem Zustande habe auch die Minderheitenerklärung vom 5. November nichts geändert. Im allgemeinen sei der Stand der beschäftigten Bergarbeiter in Oberschlesien im Jahre 1937 von 44.500 auf 53.600 und in der Eisen- und Hüttenindustrie von 23.400 auf 26.600 gestiegen, gleichzeitig seien aber Hunderte von deutschen Arbeitern entlassen [111] worden. Senator Wiesner konnte an Beispielen nachweisen, daß die Entlassungen auch nach der Minderheitenerklärung andauerten, obwohl in dieser ausdrücklich festgelegt worden sei, daß jeder das Recht auf seinen Arbeitsplatz besitze und niemandem aus seinem Bekenntnis zum Deutschtum ein Schaden erwachsen dürfe. Es seien nicht nur bewährte Facharbeiter, sondern auch Familienväter, die bis zu 10 Kinder hätten, entlassen worden. Einzelne von ihnen seien aufgefordert worden, ihre Kinder aus der deutschen Schule zu nehmen, anderenfalls würden sie ihre Arbeit verlieren. Daraus gehe hervor, daß einzig und allein das Bekenntnis der Arbeiter zum Deutschtum die Ursache für die Entlassungen gewesen sei. Bei den deutschen Arbeitern sei eine Arbeitslosigkeit von 60 bis 80% festzustellen. Bei den deutschen Angestellten sei die Lage ebenso ungünstig. Nicht weniger als 1.248 Mitglieder der Gewerkschaft deutscher Angestellter seien in den Jahren 1934 bis 1937 entlassen worden. Schließlich wies Senator Wiesner darauf hin, daß die Lage der schulentlassenen deutschen Jugend ganz besonders trostlos sei, da sie keine Lehrstellen bekommen könne, und zwar nur aus dem Grunde, weil sie deutsche Schulen besucht habe. Ungefähr 14.000 bis 16.000 deutsche Jungen und Mädchen im Alter von 15 bis 18 Jahren hätten seit dem Austritt aus der Schule keine systematische Arbeitsschulung erfahren. Wir müssen leider wieder die Feststellung machen, daß die Minderheitenerklärung sich auch auf dem wichtigen Gebiet des Arbeitsmarktes nicht in der Weise ausgewirkt hat, wie das den Zusicherungen der Polnischen Regierung entsprochen hätte.
von Moltke
Nr. 114
Das Auswärtige Amt an den Deutschen Botschafter in Warschau Erlaß Berlin, den 27. Mai 1938
Leider hat die Minderheitenerklärung vom 5. November v. J. auch auf dem Schulgebiet keine Erleichterung gebracht.
2. Bei den Verhandlungen über die Minderheitenerklärung waren wir auf Wunsch der Polen auf ein Junctim für die Eröffnung des Gymnasiums in Marienwerder eingegangen. Die polnische Gegenleistung bestand praktisch nur in der Zurückziehung mehrerer von Polen ad hoc getroffener Beschränkungen, nämlich:
b) Erlaubnis zum Weiterbau des Gymnasiums in Bromberg. [112] Obwohl die Polnische Botschaft bereits im Dezember v. J. die restlose Durchführung behauptete, ist dies bisher nicht erfolgt. Nach vielfachen Vorstellungen in Warschau und Berlin ist das Öffentlichkeitsrecht für Graudenz gewährt worden, während es für Posen auch jetzt noch nicht voll erteilt ist. Für den Neubau in Bromberg wurde nicht einmal die Beendigung des Daches vor dem Winter genehmigt, so daß Witterungsschäden entstanden. Nachdem seitens der Botschaft kürzlich die Weiterbauerlaubnis durchgesetzt worden ist, haben sofort baupolizeiliche Schikanen eingesetzt, so daß der Bau praktisch weiter stilliegt. Wir warten nunmehr schon fast ein ganzes Jahr auf Erfüllung der polnischen Zusage, während wir unsererseits unsere Zusage sofort erfüllt haben.69 3. Aus früherer Zeit besteht noch ein Junctim zwischen dem Neubau des Kindergartens in Posenbrück und dem Neubau der deutschen Privatschule in Neutomischel, das gleichfalls nur auf deutscher Seite erfüllt worden ist. Der deutsche Neubau steht seit 1930 unbenutzt. Trotz der Minderheitenerklärung nehmen die Polen die im Schulstreik befindlichen deutschen Eltern in Neutomischel in schwere Strafen.
Im Auftrag
von Twardowski
Nr. 115
Der Deutsche Geschäftsträger in Warschau an das Auswärtige Amt Bericht Warschau, den 30. Juli 1938
Ich habe heute weisungsgemäß den Kabinettschef des Polnischen Außenministers Grafen Łubieński aufgesucht und habe ihn um eine Aufklärung wegen des kürzlich ergangenen Verbots des Weiterbaues der deutschen Schule in Bromberg gebeten. Graf Łubieński erklärte mir, daß Außenminister Beck, mit dem er noch vor seiner gestern erfolgten Abreise über die Angelegenheit gesprochen habe, ihn ermächtigt habe, mir mitzuteilen, daß man polnischerseits an dem zwischen ihm und dem Botschafter von Moltke vereinbarten gentlemen-agreement 69a festhalten wolle, obwohl sich der Außenminister nicht recht entsinnen könne, daß als Gegenleistung für die Genehmigung des polnischen Gymnasiums in Marienwerder auf polnischer Seite außer der Erteilung der Öffentlichkeitsrechte für die deutschen Gymnasien in Posen und Graudenz auch die Erlaubnis zum Weiterbau der Schule in Bromberg ursprünglich versprochen worden sei. Er (Łubieński) habe sich inzwischen über die technische Seite der Angelegenheit informiert und er hoffe, das jetzt ausgesprochene Verbot kurzerhand wieder rückgängig machen zu können. Nach der Rückkehr von Oslo will er mir weitere Nachricht über den Erfolg seiner Schritte zukommen lassen.
von Wühlisch
[113]
Nr. 116
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt Bericht Warschau, den 23. August 1938
Die vom Generalkonsulat Thorn gemeldeten deutschfeindlichen Kundgebungen des Westverbandes sind zum Gegenstand einer eingehenden Besprechung mit Herrn Kunicki gemacht worden. Hierbei wurde darauf hingewiesen, daß diese Kundgebungen einen ausgesprochen deutschfeindlichen Charakter getragen hätten, was sich ja bei den Demonstrationen vor dem deutschen Generalkonsulat klar gezeigt habe. Auch die Tatsache, daß kürzlich im Konsulatsgebäude Fensterscheiben eingeschlagen wurden, ist in diesem Zusammenhange zur Sprache gebracht worden, mit dem Ersuchen, dafür zu sorgen, daß derartige Vorkommnisse in Zukunft sich nicht wiederholen mögen. Ferner ist weisungsgemäß darauf hingewiesen worden, daß wir den wirtschaftlichen Boykott gegen das Deutschtum, der immer größere Ausmaße annehme, als schwere Belastung für das deutsch-polnische Verhältnis empfänden. Da alle diese Aktionen immer wieder von dem polnischen Westverbande ausgingen, müßten wir dringend bitten, nunmehr unverzüglich gegen diese Organisation vorzugehen. Die gegenwärtige, höchst unbefriedigende Lage könne weder in unserem noch im polnischen Interesse liegen und es sei zu hoffen, daß die Polnische Regierung sich endlich zu durchgreifenden Maßnahmen entschließen werde.
von Moltke
Nr. 117
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt Bericht Warschau, den 2. September 1938
Die Haltung der polnischen Presse und anderer Faktoren der polnischen Öffentlichkeit Deutschland gegenüber ist in der letzten Zeit unverkennbar schlechter geworden. Sie war niemals befriedigend und blieb stets hinter den Erwartungen zurück, die deutscherseits vielfach an das politische Abkommen70 und an die Presseabrede von 193471 geknüpft worden waren. Die dem Polnischen Außenministerium nahestehenden Zeitungen und sonstigen meinungspolitischen Faktoren zeigten zwar meist ein korrektes Verhalten und in manchen, besonders außenpolitischen Fragen öfters auch eine positiv zu beurteilende Einstellung, aber nicht einmal das sogenannte Lager der Nationalen Einigung, d. h. die zwecks Gewinnung der "Massen" für das herrschende System geschaffene regierungsparteiliche Organisation, verzichtet darauf, im Wettbewerb mit den übrigen politischen Gruppen antideutsche Schlagworte auszuspielen, um dadurch an Popularität zu gewinnen. Die Polnische Regierung verhält sich diesen Vorgängen gegenüber reichlich reserviert; jedenfalls sind Anzeichen für eine energischere Gegenwirkung nicht vorhanden. Es mag zugegeben werden, daß die polnischen Behörden in ihren Einflußmöglichkeiten auf die Presse beschränkt sind, aber eine so weitgehende Passivität kann doch wohl nur dadurch erklärt werden, daß die Regierung sich scheut, ihre Machtmittel zum Schutz der unpopulären deutschen Belange einzusetzen, während sie für ihre eigenen Interessen eine weit größere Energie aufbringt. Und daß man z. B. nicht in der Lage sein sollte, die wiederholten [114] aufreizenden Demonstrationen in den Städten der Westgebiete, die von dem der Regierung nahestehenden Westmarkenverband in Szene gesetzt werden, zu verhindern, scheint wenig glaubwürdig. Es kann der Regierung nicht verborgen sein, daß diese passive Haltung allmählich eine Atmosphäre entstehen läßt, die mit der deutsch-polnischen Verständigungspolitik immer schwerer in Einklang zu bringen ist. Freilich hat man hier Deutschland gegenüber niemals sehr herzliche Töne angeschlagen und namentlich in kritischen Momenten wurde von jeher Wert darauf gelegt, die Beziehungen nicht zu eng erscheinen zu lassen. Aber daß jetzt z. B. vor einem deutschen Generalkonsulat ungehindert der Haßgesang des "Rota"-Liedes ertönen konnte, ist doch immerhin ein Vorgang, der seit 1934 nicht mehr zu beobachten war. Es ist offensichtlich, daß die Becksche Politik heute noch weniger populär ist als früher und daß der Außenminister selbst sich Zurückhaltung auferlegen muß. Wir haben ja in dem bekannten Fall des deutschen Gymnasiums in Bromberg, wo ganz offenbar das mit Beck abgeschlossene gentlemen-agreement von Seiten der inneren Verwaltung sabotiert worden ist,72 ein deutliches Anzeichen für die inneren Spannungen gehabt, die hier vorhanden sind. Und in der Tat scheint in der Regierung gerade hinsichtlich der Deutschlandpolitik Becks eine nicht ganz einheitliche Beurteilung vorzuliegen. Jedenfalls ist mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß sowohl der Kriegsminister wie Marschall Smigly-Rydz die Becksche Politik nicht mit ganzen Herzen mitmachen. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, daß selbst ein alter Vorkämpfer der Verständigung mit Deutschland, wie der Chefredakteur des Wilnaer Slowo Mackiewicz, unlängst in einem fast sensationell wirkenden Artikel Becks Politik angegriffen hat, mit dem Vorwurf, daß er über der Freundschaft mit Deutschland die Beziehungen zu Frankreich und England vernachlässige und aus dem Zusammengehen mit Deutschland keine entsprechenden Vorteile für Polen gewonnen habe. Ich habe die ungünstige Entwicklung der hiesigen öffentlichen Meinung und die besonders deutschfeindlichen Kundgebungen der letzten Zeit, nachdem ich bereits vor einigen Tagen das gleiche Thema bei dem Stellvertretenden Vizeminister Arciszewski angeschnitten hatte, gestern auch noch Herrn Beck gegenüber in ernster Form zur Sprache gebracht. Herr Beck bestritt nicht, daß die Lage unbefriedigend sei; er habe gleich nach seiner Rückkehr vom Urlaub von sich aus den Ministerpräsidenten darauf aufmerksam gemacht und bei diesem volles Verständnis gefunden. Auf meine Bemerkung, daß wir nicht verstehen könnten, warum nicht wenigstens den wiederholten Demonstrationen des Westverbandes ein Riegel vorgeschoben werde, erwiderte Herr Beck, es sei nicht zweckmäßig, lediglich mit Verboten vorzugehen, sondern manchmal besser, ein Ventil zu öffnen. Man hätte sich deshalb darauf beschränkt, die sehr viel weitergehenden Absichten der Demonstranten auf ein geringes Maß zurückzuschrauben. Im übrigen versuchte Herr Beck die gegen Deutschland gerichteten Angriffe in ihrer Bedeutung abzuschwächen und versicherte, daß die Regierung sich in keiner Weise durch die Nervosität der öffentlichen Meinung beeinflussen lasse, sondern an der alten politischen Linie festhalte. Wenn Herr Beck diese Äußerung auch in sehr bestimmter Form machte, so wird man sich doch nicht darüber täuschen dürfen, daß hier bereits jetzt eine für uns unfreundliche Stimmung vorhanden ist, die die Entschlußfreiheit der Regierung in entscheidenden Fragen immerhin beeinflussen könnte.
von Moltke
64Vgl. Nr. 101. ...zurück... 65Vgl. Nr. 107. ...zurück... 66In den Jahren 1937/38 wurden etwa 160 alteingesessene deutsche Fischerfamilien - insgesamt 600 Personen - aus der Halbinsel Hela ausgewiesen. Da die Polnische Regierung sich trotz wiederholter und dringender Vorstellungen der Deutschen Botschaft nicht bereit fand, für eine anderweitige Unterbringung dieser Familien Sorge zu tragen, wurden sie schließlich, um sie vor dem völligen Untergang zu bewahren, von der Deutschen Regierung im Reichsgebiet angesiedelt, obwohl die meisten die polnische Staatsangehörigkeit besaßen. Die Bemühungen, wenigstens eine Entschädigung für die enteigneten Häuser und Grundstücke zu erhalten, blieben ebenfalls erfolglos. ...zurück... 67Deutscherseits war eine Amnestierung polnischer Minderheitsangehöriger bereits gelegentlich der Veröffentlichung der Minderheitenerklärung vorgenommen worden. Vgl. Nr. 102, Anm. [63]. ...zurück... 68Vgl. Nr. 111. ...zurück... 69Vgl. Nr. 111. ...zurück... 69aVgl. Nr. 111. ...zurück... 70Vgl. Nr. 37. ...zurück... 71Vgl. Nr. 77, Anm. [42] . ...zurück...
72Vgl. Nr. 111, 114 und 115. ...zurück...
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