II. 2. Deutschfeindliche Faktoren in der polnischen Öffentlichkeit Stanislaw (Cat-) Mackiewicz, der Hauptschriftsteller der in Wilna herausgegebenen konservativen Zeitung Slowo, der viele Jahre für eine deutsch-polnische Verständigung eingetreten war, stellte einmal zu dem eben von uns behandelten Thema fest: "Die Deutschen sind in Polen unpopulär. Deswegen wendet sich die Zuneigung der Öffentlichkeit nicht dem zu, der das Verhältnis zu Deutschland bessern will, sondern dem, der die Deutschen beschimpft".11 Diese Äußerung könnte einer Darstellung der polnischen Parteien, Verbände und Institute als Motto vorangestellt werden. Wir müssen diese [90] Faktoren hier wenigstens kurz so weit charakterisieren, als sie in der Berichtszeit die Einstellung des polnischen Volkes dem Deutschtum gegenüber wesentlich beeinflussten.
Bei den Parteien genügt es, darauf hinzuweisen, daß Roman Dmowski, der bereits erwähnte große Theoretiker des polnischen Nationalismus und Gegenspieler Jozef Pilsudskis, des erklärten Deutschenfeindes, sich in Polen zwar weder mit seiner Person noch mit seiner Partei (die frühere "Nationaldemokratie" und spätere "Nationale Partei"), wohl aber im Laufe der Zeit mit seiner Gedankenwelt durchgesetzt hat. Ein geflügeltes Wort besagte in Polen: "Der tote Dmowski siegt über den toten Pilsudski".12 Pilsudski selber war viele Jahre in der "Polnischen Sozialistischen Partei" tätig gewesen, aus dieser jedoch nach seinen eigenen Worten bei der Station "Unabhängigkeit" ausgestiegen und hatte sich allmählich völlig von ihr losgelöst. Seine Anhängerschaft im unabhängigen Polen, das weltanschaulich zuerst farblose und bunt zusammengewürfelte Regierungslager, war ursprünglich viel mehr von seiner Persönlichkeit und z. T. von Konjunkturdrang als von der sehr vagen "Pilsudski-Ideologie" zusammengehalten worden. Nach des Marschalls Tode lebte Polen "unter der Diktatur eines Verstorbenen", wie es der italienische Außenminister Ciano einmal formulierte.13 Ein jeder seiner früheren Mitarbeiter betrachtete sich als berufener Hüter seines Erbes, ohne daß ein Kopf mit wirklich neuer Idee vorhanden war. So konnte es dazu kommen, daß das Pilsudskilager mit der Zeit immer weitere Gedankengänge der Dmowskischen Konzeption übernahm, um schließlich ganz in nationalistischem, vor allem antideutschem Fahrwasser zu schwimmen. Daß Pilsudski bei Ausbruch des ersten Weltkrieges auf österreichischer Seite polnische Legionen zum Kampf gegen das zaristische Russland aufgestellt hatte und damit mittelbarer [91] Waffengefährte des Deutschen Reiches geworden war, hatte die polnische Einstellung seiner späteren Anhänger nicht zu beeinflussen vermocht, umso mehr, als diese Legionen später wegen Verweigerung der Eidesleistung interniert worden waren. Die ersten 15 Jahre des neuen Polen hatten im Zeichen ständiger diplomatischer Auseinandersetzungen mit dem Reich gestanden. Als Pilsudski dann seit Mai 1933 die Annäherung an das aufstrebende Reich betrieb, hatte er sich von dem damaligen außerpolitischen Kräfteverhältnis leiten lassen und damit nur die außenpolitische Richtlinie abgeändert. Die polnische Volksmeinung über die Deutschen maßgeblich zu beeinflussen, hat er gar nicht mehr versucht, obwohl er sich darüber im klaren war, daß sich mit Rücksicht auf die schon zitierte "Deutschfeindlichkeit" des polnischen Volkes "große Schwierigkeiten bei der Durchführung dieser Politik ergeben würden".14 Allerdings ist er schon 15½ Monate nach Abschluss des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes gestorben. Über seine Einstellung zu den Minderheiten während seiner "Regierungszeit" ist nicht viel bekannt geworden. Wohl trug das die beiden deutschen Landesschulverbände in Mittelpolen auflösende und damit die Verstaatlichung sowie Polonisierung von 564 deutschen Volksschulen einleitende Dekret vom 7. 2. 1919 seine Unterschrift, aber einer Abordnung des Posener Deutschtums (Landrat a. D. E. Naumann, Dr. Löwenthal und Dr. Joh. Scholz) erklärte er am 29. 3. 1920, daß er weiterhin dafür sei, daß eines jedem Volkes Eigenart staatlichen Schutz geniesse.15 In demselben Jahr rief er auch die damaligen Sprecher der deutschen Sejmabgeordneten, Erwin Hasbach und Josef Spickermann, zu sich ins Belvedere und ließ sich von ihnen einen Vortrag über die Lage der deutschen Minderheiten im polnischen Staat halten.16 [92] Von irgendwelchen positiven Auswirkungen dieser Aufgeschlossenheit merkten die Deutschen aber nichts, auch nicht nach Pilsudski's Staatsstreich im Mai 1926. Allerdings hatte der damals von ihm eingesetzte Innenminister Mlodzianowski sofort nach seiner Berufung bemerkenswerte Worte zur Minderheitenfrage gefunden, als er dem Nowy Kurjer Polski erklärte: "Die Minderheitspolitik muss offen und anständig, klar und einfach sein. Man muss den Mut haben zu sagen, welche Forderungen der Minderheiten erfüllt werden können und welche nicht. ... Der Grundsatz 'Polnischer Boden nur für die Polen' lässt sich jedenfalls nicht aufrechterhalten".17 Aber irgendwelche Taten waren diesen Worten nicht gefolgt.
Die deutschfeindliche und zugleich franzosen-freundliche Einstellung
der Nationaldemokratie haben wir vorher bei
der Kennzeichnung der Dmowskischen Ideologie angedeutet. Die Nationaldemokraten, die
besonders im Bürgertum und in der Jugend trotz
ihrer in der Berichtszeit geringen politischen bzw. parlamentarischen
Einflussmöglichkeiten weiterhin viele Anhänger zählten,
setzten sich am nachdrücklichsten für den nationalstaatlichen
Gedanken ein und waren somit entschiedene Gegner aller Minderheiten. Dieselbe
Meinung in dieser Hinsicht vertrat die "Christliche Demokratie" der
zwanziger Jahre, deren Kräfte sich später in der "Partei der
Arbeit" mit dem General Haller und dem oberschlesischen
Aufständischenführer Wojciech Korfanty fanden. Beide
Männer waren im Kampf gegen Deutschland sowie in Anlehnung an
Frankreich groß und alt geworden. Dieser Konzeption blieben sie auch in
der Innenpolitik treu. Sogar von den Bauernparteien hatte sich eine,
die "Piast-Partei" des mehrfachen Ministerpräsidenten
Wincenty Witos, als deutschfeindlich gezeigt, wogegen die spätere
"Volkspartei" Mikolajczyks sich kaum zu Minderheitenfragen
äußerte. [93] Lediglich eine weitere Bauernpartei
"Wyzwolenie" ("Befreiung") und die "Polnische Sozialistische
Partei" (PPS) waren in den zwanziger Jahren bestrebt, den Minderheiten im
allgemeinen gerecht zu werden. Zu irgend einer Auswirkung für die
deutsche Volksgruppe führte diese Haltung aber nicht, da
die "Wyzwolenie"- Partei in der Pilsudski-Ära ganz aufgerieben
und der Einfluss der PPS bedeutend zurückgedrängt wurde.
Außerdem war letztere seit dem Durchbruch des Nationalsozialismus im
Reich gleichfalls zum entschiedensten Gegner desselben geworden und
bekämpfte dann auch die Volksgruppe in Polen.
b) Der "Westverband" Die Einstellung des polnischen Volkes zum Deutschtum wurde über die Parteien hinaus wesentlich von einigen polnischen Verbänden bestimmt, die den Kampf gegen Deutschland und gegen die deutsche Volksgruppe in Polen auf ihr Panier geschrieben hatten. An erster Stelle ist hier der "Westverband" zu nennen. Er ging auf einige schon im Sommer 1919 in Posen und Westpreußen gebildete Ausschüsse zurück, die sich im August und September 1921 zum "Verband zum Schutze der Westmarken" zusammenschlossen und im März 1922 in Posen als überparteiliche Organisation offiziell konstituierten.18 Ziel des Westmarkenverbandes war ursprünglich die Sicherung der neuen Westgebiete durch möglichst restlose Verdrängung der Deutschen und durch weitgehende Stärkung des Polentums. Dieser Verband machte sich zum Wortführer der in den Volksmassen vorhandenen, mehr oder minder scharf ausgeprägten deutschfeindlichen Stimmung, putschte diese sowohl durch alljährliche Propagandawochen als auch durch gelegentliche Aktionen immer wieder auf und organisierte überall dort, wo der Staat nicht eingreifen konnte, die "spontane Selbsthilfe" der Bevölkerung. [94] In Posen-Westpreußen trat er gegen die deutschen Großgrundbesitzer, gegen die deutschen Bauern und Gewerbetreibenden sowie gegen die deutschen Genossenschaften, in Ostoberschlesien gegen die deutschen Angestellten und Arbeiter, deren Entlassung er betrieb, und gegen die Anmeldung der Kinder zu den deutschen Schulen auf. In jeder Regung deutschen Lebens in Polen witterte er eine Gefahr für den Staat und glaubte, das polnische Volk unbedingt vor deutschen Kultureinflüssen schützen zu müssen. Daher beteiligte er sich auch maßgeblich bei der Gründung antideutscher propagandistischer wissenschaftlicher Institute und gab selber entsprechendes Schulungsmaterial heraus. Der deutsch-polnische Nichtangriffspakt hatte zur Folge, daß der Westmarkverband im November 1934 seinen Namen in "Polnischer Westverband" abänderte, seinen Sitz von Posen nach Warschau verlegte und die Sorge um die polnische Bevölkerung in Deutschland mit in sein Programm übernahm. Allem Anschein nach wurden die polnischen Westgebiete jetzt, nachdem das Reich die in der Weimarer Republik immer wiederkehrende Revisionspropaganda eingestellt hatte, für soweit gesichert angesehen, daß man aus der Verteidigung zum Angriff übergehen konnte. Für diese Ziele mobilisierte der Verband in steigendem Maße nicht nur West-, sondern auch Mittel- und Kleinpolen. Der Unterstützung durch die Behörden war diese Organisation weiterhin sicher, zeichnete doch als Protektor der jährlichen Propaganda- und Sammelwochen neben vielen anderen hohen Würdenträgern der Staatspräsident selbst.
Ungeachtet dessen
machte sich der Westverband zum Wortführer einer scharfen und
aggressiven Kritik an der deutschen Politik gegenüber den Polen im Reich.
Sein Einfluss wuchs ständig. Hatte er im Jahre 1926 nur 18000, 1929 schon
28000 Mitglieder, so zählte er 1934 bereits 46700 und 1935 gar 50000
Mitglieder. [95] Der Westverband war es, der die manchmal nur
schwach glimmende Glut des Deutschenhasses bei jeder Gelegenheit wieder
anfachte, der den Behörden wegen eines angeblichen Entgegenkommens
den Deutschen gegenüber auf die Finger schaute, der besonders in
Westpolen einen unerbittlichen Wirtschaftskampf gegen die deutsche
Volksgruppe führte, der immer wieder neue antideutsche Parolen
herausbrachte, denen niemand zu widersprechen wagte. Er war der geistige
Inspirator der Deutschenhetze. Stosstruppe für Ausschreitungen stellte er
weniger, das besorgten andere Verbände, so z. B. die
"Aufständischen" ("Powstancy") in Posen und Ostoberschlesien.
c) Andere deutschfeindliche Verbände Aufständischenverbände gab es in Polen in diesen beiden Gebieten, da es dort bei Errichtung des polnischen Staates zu bewaffneten Aufständen gegen Deutschland gekommen war. Da die Teilnehmer an diesen Aufständen in verschiedener Hinsicht, z. B. bei Einstellungen, Konzessionen usw. bevorzugt wurden, worüber u. a. auch der Westverband wachte, drängten sich allerhand auch vom polnischen Standpunkt aus zweifelhafte Elemente zu den Aufständischenverbänden, die alle an den Aufständen beteiligt gewesen sein sollten, so daß z. B. von dem Posener Verband ein besonderer "Verifizierungsausschuss" gebildet werden musste, der die Angaben der Mitglieder zu überprüfen und gegebenenfalls Ausschlüsse zu tätigen hatte. Unter diesen Umständen versuchte so mancher, den seinerzeit mangelnden Schneid deutschen Soldaten oder deutschen Selbstschutzorganisationen gegenüber durch nachträglichen Übereifer bei Bekämpfung der friedlichen deutschen Volksgruppe wettzumachen. Daher traten bei Ausschreitungen gegen Deutsche in den genannten beiden Gebieten "Aufständische" am häufigsten in Aktion.
[96] Die
polnische "See- und Kolonialliga" ist oft mit dem Westverband im
gleichen Atemzug als deutschfeindliche Organisation genannt worden (Hahn,
Prause
u. a.). Jedoch hat sich diese im Jahre 1918 unter der Bezeichnung
"Polnische Flagge" gegründete, seit 1930 schon im Namen den
Anspruch auf Meeresgeltung und Kolonien erhebende Organisation im Leben der
deutschen Volksgruppe bedeutend weniger bemerkbar gemacht. Allerdings trug
diese auch
dem "Gas- und Luftschutzbund" stärkste aller polnischen
Organisationen - sie zählte am 1. 8. 1937 insgesamt 605.755
Mitglieder in über 1700
Ortsgruppen - eine antideutsche Note, weil sie sich zum Schutz der
polnischen Interessen an der Ostsee im allgemeinen und in Danzig im besonderen
berufen fühlte und daher gegen die deutsche Stellung an der Ostsee Front
machte. Die auf den alljährlichen "Meeresfesten" (seit 1937
"Meereswochen") ausgegebenen Parolen nährten somit gleichfalls die
deutschfeindliche Stimmung im Lande. Als Stoßtruppe traten, besonders im
ehemals russischen und österreichischen Teilgebiet, noch Gruppen der
"Schützenverbände" in Aktion, die ursprünglich die
Tradition des Unabhängigkeitskampfes im Pilsudskischen Geiste wahren
sollten. Sie zählten im Jahre 1936 in ihren "Freundeskreisen" 78000
Mitglieder.
Von den Jugendverbänden ist der "Polnische
Pfadfinderverband" zu nennen, dessen Vorsitzender in der Berichtszeit der
bekannte, sich durch die deutschfeindlichste Haltung auszeichnende Schlesische
Wojewode Michael Grazynski, Ehrenmitglied des Westverbandes und
Führer der "Aufständischen", gewesen war. Die
Pfadfinder, die im Jahre 1936 etwa 103000 Jungen und 62000 Mädchen
zählte, erzogen ihre Mitglieder für ein "großes Polen" und
arbeiteten mit den polnischen Pfadfinderverbänden im Ausland, vor allem
mit dem im Deutschen Reich eng zusammen.
[97] d) Antideutsche Institute Die oben gekennzeichneten Verbände konnten sich bei ihrer deutschfeindlichen Aufklärungs- und Schulungsarbeit auf das ihnen in reichlichem Masse von eigenen Kampf- und Propagandainstituten gelieferte Material stützen. Die Polen hatten nämlich die Verbindung von Wissenschaft und politischer Meinungswerbung besonderes stark entwickelt. Schon 1919 war in Posen das "Westslawische Institut" entstanden, das den urslawischen Charakter Westpolens und - Ostdeutschlands beweisen und den deutschen Pommern beibringen sollte, daß sie mit den polnischen "Pommern" (Kaschuben) eines Stammes seien. Unter weitgehender Einflussnahme des Westmarkenverbandes war 1925/26 in Thorn das "Baltische Institut" gegründet worden, dessen Ziele der Kurjer Warszawski einmal wie folgt umriss: "Obwohl das Baltische Institut eine friedliche Institution ist, so führt es doch Krieg, - den Krieg um den polnischen Charakter der Ostsee und Westpreußens im besonderen, und um den slawischen Charakter der Ostsee im allgemeinen. Das Baltische Institut will nachweisen, daß die Ostsee jene "Slawische See" ist, in die alle slawischen Flüsse münden".19 Dieses Institut gab mit Hilfe von Regierungsgeldern mehrere Veröffentlichungsreihen heraus, die den polnischen Charakter Westpreußens nachweisen sollten, und veranstaltete alle zwei Jahre große Tagungen, auf denen immer wieder auf die große Gefahr hingewiesen wurde, die angeblich von deutscher Seite drohte. Seit August 1935 konnte das Institut das Gebiet seiner Tätigkeit auf den ganzen Ostseeraum ausdehnen und mit Unterstützung von Wissenschaftlern anderer Länder eine englische Zeitschrift herausgeben: Baltic and Scandinavian Countries. Die Direktion des Institutes wurde im Januar 1936 von Thorn nach Gdingen verlegt. Vorsitzender desselben war der jeweilige Pommereller Landeshauptmann, [98] dem Kuratorium gehörten u. a. von amtswegen der Pommereller Wojewode und der Wirtschaftsminister an, ferner verschiedene andere höchste Persönlichkeiten aus der Verwaltung und aus dem Regierungslager. Nach dem Vorbild dieses Institutes wurde im Winter 1933/34 das "Schlesische Institut" in Kattowitz gegründet, das den polnischen Charakter nicht nur Ostoberschlesiens, sondern des ganzen geschichtlichen Schlesiens mit den Deutschland und der Tschechoslowakei gehörenden Teilen beweisen sollte und das vor allem der polnischen Presse viel Material lieferte, aber auch selbst Veröffentlichungen herausbrachte. Das im Dezember 1921 von Pilsudski-freundlichen politischen Kreisen in Warschau errichtete "Forschungsinstitut für Nationalitätenfragen" verfolgte aufmerksam die Entwicklung aller Minderheiten Polens und stellte in seinen Publikationen das gesammelte Material in einseitiger polnischer Beleuchtung der Öffentlichkeit zur Verfügung.
Die Tätigkeit dieser von den
Behörden sowie von den Universitäten weitgehendst
unterstützen Institute zeigt, daß die politisch bestimmte,
propagandistisch aufgemachte Auseinandersetzung mit dem Deutschen Reich,
dem deutschen Volk sowie mit dem deutschen Kultureinfluss in Polen das
wichtigste Anliegen eines überaus beachtlichen Zweiges der polnischen
Kulturwissenschaften bildete. Der deutschfeindliche Grundzug dieser
Tätigkeit pflanzte sich in
der polnischen Presse in verstärktem
Masse fort.
e) Die Einstellung der polnischen Presse Die polnische Presse brachte die von uns geschilderte Grundeinstellung des polnischen Volkes zum großen Teil unverhüllt zum Ausdruck und stachelte diese immer wieder auf. Der Einfluss der Presse in Polen war trotz deren für westeuropäische Verhältnisse geringen Verbreitung aus [99] verschiedenen Gründen besonders groß. Erstens waren im Laufe der Jahre den oppositionellen Parteien die parlamentarischen Wirkungsmöglichkeiten genommen worden, die Oppositionspresse jedoch war nur eingeschränkt, nicht zerschlagen, so daß die Parteien ihr besonders große Aufmerksamkeit widmeten. Zweitens wurde infolge des nicht hohen Kulturstandes der Arbeiterschichten und der Bauernbevölkerung oft jedem gedruckten Wort kritiklos Glauben geschenkt. Drittens war sogar das Bürgertum auf Grund der impulsiven und gefühlsmäßigen Seiten des polnischen Volkscharakters jeglichen Sensationsmeldungen zugänglich, selbst wenn diese noch so unglaubwürdig waren. Diese Möglichkeiten wurden aber keineswegs im Sinne einer deutsch-polnischen Verständigung ausgenutzt, was nach dem bisher Gesagten nicht überrascht. Die Notwendigkeit eines gewissen Zusammengehens Polens mit dem Deutschen Reich vertraten in der Berichtszeit in erster Linie die wenig verbreiteten konservativen Blätter, wie z. B. der Warschauer Czas, vor allem aber das Wilnaer Slowo. Dessen Hauptschriftleiter, der schon genannte Cat-Mackiewicz, und der bedeutende, für dieses Blatt schreibende Publizist Wladyslaw Studnicki setzten sich unerschrocken und aufrichtig für eine deutsch-polnische Verständigung ein und nahmen daher auch, besonders im Jahre 1937, scharf gegen die deutschfeindliche Politik des schlesischen Wojewoden Grazynski Stellung, so daß letzterer sogar einen Prozess gegen Studnicki anstrengte. Dieser, der 1953 in der Emigration starb, hat sich zeitlebens für ein Zusammengehen beider Nachbarvölker eingesetzt. - Zeugnis dessen ist auch sein 1952 erschienenes Werk Irrwege in Polen, wogegen Mackiewicz im Sommer 1938 einen Kurswechsel vornahm und schon damals dem Minister Beck vorwarf, er hätte mit seiner deutschfreundlichen Politik für Polen nur Nachteile, aber keine entsprechenden Vorteile herausgeholt.20 In seiner - allerdings während des [100] Krieges (1941) in London erschienenen - Darstellung der neueren polnischen Geschichte hat Mackiewicz ferner kein Verständnis für das Lebensrecht der deutschen Volksgruppe gezeigt.21 Das Sprachrohr der Regierung, die Warschauer Gazeta Polska, war während der deutsch-polnischen Verständigungsära bestrebt, Verständnis für das Reich und zeitweise sogar für den Freistaat Danzig aufzubringen, in der Frage der deutschen Volksgruppe blieb sie aber bei der schon früher eingenommenen ablehnenden Haltung, wenngleich sie sich einer sachlichen Tonart befleißigte. Eine ähnliche Haltung nahmen einige andere der Regierung nahe stehende Warschauer Blätter ein, wogegen die Regierungspresse in den Provinzstädten die von Zeit zu Zeit anfallenden Hetzkampagnen gegen Deutschland, Danzig und die Volksgruppe eifrig mitmachte, wenn sie nicht gar den Ton dabei angab, wie z. B. das Sprachrohr des Wojewoden Grazynski, die Polska Zachodnia in Kattowitz. Selbstverständlich ließen sich die nationalen bzw. nationaldemokratischen und die christlich-demokratischen Blätter in ihrer deutschgegnerischen und minderheitenfeindlichen Einstellung ungern von Regierungszeitungen übertreffen. Die Blätter der PPS, wie der Robotnik, hatten in der Berichtszeit keine größere Bedeutung. Das verbreitetste polnische Blatt überhaupt, der schon genannte, vielseitige und an sich gut informierte Ilustrowany Kurjer Codzienny, Krakau, der parteipolitisch nicht gebunden war, brachte laufend deutschfeindliche Sensationsmeldungen aus der Außen- und Innenpolitik, wobei er es mit der Wahrheit durchaus nicht genau nahm. Seine Sensationslust und seine Leichtfertigkeit in der Wiedergabe und Kommentierung von Nachrichten wurden nur noch von der Boulevard-Presse, u. a. auch in Warschau, übertroffen, die ungeniert an die niedrigsten Instinkte, vor allem an die deutschfeindliche Stimmung der Massen appellierte bzw. diese immer wieder aufpulverte.
[101] Zusammenfassend sei für die ganze
polnische Presse das Fazit wiedergegeben, das Prause in seiner Untersuchung
über die Presse in
Posen-Westpreußen gezogen hat: "Die polnische Presse hat ein
eigenständiges deutsches Volkstum innerhalb der polnischen Grenzen
nicht dulden wollen... Die Presse zwingt die Regierung mit zur
Übernahme der Dmowskischen politischen Ziele... Die Presse hat auch
jedes staatliche Zusammenleben mit den Deutschen vereitelt und durch ihr
feindseliges Verhalten jede Möglichkeit, zu einem ehrlichen Ausgleich
mit dem Deutschtum... zu gelangen, zu ihrem Teil zu verhindern gesucht."
Die durch "blinden engstirnigen Negativismus" gekennzeichnete Presse trage
eine schwere Mitschuld an den Ereignissen des Jahres 1939.22
f) Die Regierung und die Deutschfeindlichkeit im Lande Wenn wir diese deutschfeindliche Haltung der maßgebenden Faktoren in der polnischen Öffentlichkeit betrachten, dann wird die Frage laut, ob denn die Regierungskreise, die sich seit Ende 1933 zu einer Annäherung an das Deutsche Reich entschlossen hatten und die diese Außenpolitik trotz mancher Schwankungen bis Anfang 1939 befolgten, ohne jegliche Einflussmöglichkeiten auf das polnische Volk waren bzw. ob sie denn überhaupt den Willen zu einer ehrlichen Verständigungspolitik dem deutschen Volk gegenüber hegten.
Wie auch die Beantwortung dieser Frage hinsichtlich der uns hier weniger
interessierenden Außenpolitik lauten mag, so kann für die
Innenpolitik schon das eine festgestellt werden, daß eine Regierung, die
hier einen Wandel in der Einstellung der polnischen Öffentlichkeit
hätte herbeiführen wollen, eine viel stärkere und festere
Verwurzelung in den Massen des Volkes hätte haben müssen, als es
bei dem in der Berichtszeit in Polen herrschenden System der Fall war. Vor allem
aber hätte letzteres selber den ehrlichen Willen zu einer
Verständigung mit dem gesamten deutschen Volke, also [102] auch mit der deutschen Volksgruppe im Lande
haben und einen solchen unter Beweis stellen müssen. Dieses war aber
nicht der Fall, denn die Stellungnahmen der Oppositionspressen und die
Forderungen der deutschfeindlichen Verbände wichen im Kern der Sache
kaum von den behördlichen Maßnahmen der Volksgruppe
gegenüber ab. Es erscheint sogar nicht ausgeschlossen, daß manche
antideutsche Pressekampagne den Behörden bei ihren Vorhaben sehr
gelegen kam. Jedenfalls wusste sich die Regierung, auf deren innere Einstellung
wir noch in Teil III
zu sprechen kommen, bei ihren in den nächsten
Kapiteln zu behandelnden Entdeutschungsmaßnahmen in
Übereinstimmung mit dem aufgeputschten Volkswillen.
11zitiert nach Lück, Kurt: Der Mythos vom Deutschen in der polnischen Volksüberlieferung und Literatur. S. 519; Leipzig 1943 (2. Aufl.). ...zurück... 12Osteuropa. Jg. XIII S. 358f; Königsberg 1939. ...zurück... 13Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945. Serie D (1937-1945) Band V (Akten V) Dok.136 S. 149; Baden-Baden 1953. ...zurück... 14Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 34, S. 49. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück... 15Heike, Otto: Das Deutschtum in Polen 1919-1939. S. 30; abgeschl. Bonn 1953. ...zurück... 16Erwin Hasbach im Senat am 9. 3. 1939, zitiert nach: Osteuropa. Jg. XIV S. 496f; Königsberg 1939. ...zurück... 17zitiert nach Günther, Oskar Eugen: Deutsche aus Polen heimatverwiesen. S. 33; Marburg 1952. ...zurück... 18Hahn, Adalbert: Polnische Kampfverbände. S. 3f; Berlin 1939. ...zurück... 19zitiert nach: Osteuropa. Jg. XII S. 208f; Königsberg 1937. ...zurück... 20Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945. Serie D (1937-1945) Band V (Akten V) Dok. 53 S. 65; Baden-Baden 1953. ...zurück... 21Mackiewicz, Stanislaw (Cat): Historja Polski od 1914-1939. (Geschichte Polens 1914-1939) S. 206, 288; London 1941. ...zurück...
22Prause, Fritz: Die polnische
Presse im Kampf gegen die deutsche Volksgruppe in Posen und
Westpreußen. S. 88f; Würzburg 1940. ...zurück...
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