Das Jahr 1935
(Forts.)
Aus den Beschlüssen der Konferenz von Stresa
vom 14. April 1935
2. Die Auskünfte, die sie erhalten haben, haben sie in der Absicht
bestärkt, daß die Verhandlungen hinsichtlich der Entwicklung
fortgesetzt werden sollen, welche bezüglich der Sicherheit in Osteuropa
erstrebt wird.
3. Die Vertreter der drei Regierungen prüften von neuem die
österreichische Lage; sie bestätigten die
englisch-französisch-italienischen Erklärungen vom 17. Februar und
27. September 1934, durch die die drei Regierungen anerkannten, daß die
Notwendigkeit, die
Unabhängigkeit und Unversehrtheit Österreichs
aufrechtzuerhalten, auch weiterhin ihre gemeinsame Politik bestimmen werde.
Hinsichtlich des französisch-italienischen Protokolls vom 7. Januar 1935
und der englisch-französischen Vereinbarung vom 3. Februar 1935, in
welchen die Absicht bekräftigt wurde, sich gemeinsam über die
Maßnahmen zu beraten, die im Falle der Bedrohung der Unversehrtheit und
Unabhängigkeit Österreichs ergriffen werden müssen, kamen
sie überein zu empfehlen, daß Vertreter aller im römischen
Protokoll genannten Regierungen zu einem möglichst frühen
Zeitpunkt zusammenkommen sollen, um die mitteleuropäische
Vereinbarung abzuschließen.
4. Hinsichtlich des vorgeschlagenen Luftpaktes für Westeuropa
bestätigten die Vertreter der drei Regierungen die Grundsätze und
das einzuschlagende Verfahren, wie sie in der Vereinbarung vom 3. Februar
vorgesehen sind, und sie kamen überein, das Studium dieser Frage wirksam
fortzusetzen mit der Absicht, einen Pakt zwischen den fünf in der Londoner
Vereinbarung genannten Mächten sowie alle zweiseitigen Abkommen
abzuschließen, die ihn begleiten können.
5. Indem sie sich dem Problem der Rüstungen zuwandten, haben die
Vertreter der drei Mächte daran erinnert, daß die Londoner
Vereinbarung ein Abkommen vorsah, das frei mit Deutschland verhandelt werden
sollte, um an die Stelle der entsprechenden Bestimmungen von Teil V des
Versailler Vertrages zu
treten, und sie haben das kürzliche [64] Vorgehen der deutschen Regierung und den
Bericht Sir John Simon's über seine Unterredungen mit dem deutschen
Reichskanzler über diese Frage sorgfältig und besorgt erörtert.
Es wurde mit Bedauern festgestellt, daß die Methode der einseitigen
Aufkündigung, die von der deutschen Regierung in einem Augenblick
angewandt wurde, als Schritte eingeleitet waren, um ein in freier Weise
verhandeltes Abkommen über die Rüstungsfrage zu erreichen, das
öffentliche Vertrauen in die Sicherheit einer friedlichen Ordnung
untergraben hat. Darüber hinaus hat das große Ausmaß der
verkündeten deutschen Wiederaufrüstung, deren Programm bereits
mitten in der Ausführung begriffen ist, die zahlenmäßigen
Schätzungen entwertet, auf die sich die Anstrengungen für eine
Abrüstung bisher begründeten, und die Hoffnungen
erschüttert, von denen jene Anstrengungen inspiriert waren...
Schlußerklärung
Die drei Mächte, deren politisches Ziel die kollektive Aufrechterhaltung
des Friedens im Rahmen des Völkerbundes ist, sind völlig einig in
dem Bestreben, sich mit allen geeigneten Mitteln jeder einseitigen
Aufkündigung von Verträgen zu widersetzen, die den
europäischen Frieden gefährden könnte, und werden zu
diesem Zweck in enger und freundschaftlicher Zusammenarbeit vorgehen.
(E: Cmd 4880. - D: Hamburger Monatshefte für
Auswärtige Politik, Mai 1935, S. 9f.)
Am 15. April 1935 begann der "Prozeß gegen die Geschichte" in Genf.
Die Resolution des Völkerbundrates vom 17. April 1935 sprach eine
Verurteilung Deutschlands aus, das durch sein eigenmächtiges Handeln den
Versailler Vertrag gebrochen habe und die Sicherheit Europas bedrohe. Die
deutsche Regierung hat gegen diesen Versuch einer erneuten Diskriminierung
protestiert. Aber sie begnügte sich nicht hiermit.
Die Zeichen der Zeit deuteten überall auf Sturm. Die Wolken des
Abessinischen Krieges standen drohend am Horizont. Der kommende
französisch-russische Pakt verschob alle Machtverhältnisse.
Deutschlands Wehrmacht als Mittel der europäischen Friedenssicherung
war notwendiger denn je zuvor. Nur durch einen Abbau und Beseitigung der
Versailler Nachkriegsordnung war in der Mitte Europas überhaupt der
Friede auf die Dauer zu erhalten. In dieser Situation entwickelte der Führer
sein großes Friedensprogramm vom 21. Mai 1935.
Daran knüpfte die
oft schwer entwirrbare diplomatische Aktion der folgenden Monate mannigfach
an.
Aus der Reichstagsrede des Führers vom 21.
Mai 1935
Wenn das heutige Deutschland für den Frieden eintritt, dann tritt es
für ihn ein weder aus Schwäche noch aus Feigheit. Es tritt für
den Frieden ein aus einer anderen Vorstellung, die der Nationalsozialismus von
Volk und Staat besitzt. Denn dieser sieht in der
macht- [65] mäßig
erzwungenen Einschmelzung eines Volkes in ein anderes, wesensfremdes, nicht
nur kein erstrebenswertes politisches Ziel, sondern als Ergebnis eine
Gefährdung der inneren Einheit und damit der Stärke eines Volkes
auf lange Zeit gerechnet. Seine Lehre lehnt daher den Gedanken einer nationalen
Assimilation dogmatisch ab. Damit ist auch der bürgerliche Glaube einer
möglichen "Germanisation" hinfällig. Es ist daher weder unser
Wunsch noch unsere Absicht, fremden Volksteilen das Volkstum, die Sprache
oder die Kultur wegzunehmen, um ihnen dafür eine fremde deutsche
aufzuzwingen. Wir geben keine Anweisung für die Verdeutschung
nichtdeutscher Namen aus, im Gegenteil: wir wünschen dies nicht. Unsere
volkliche Lehre sieht daher in jedem Krieg zur Unterjochung und Beherrschung
eines fremden Volkes einen Vorgang, der früher oder später den
Sieger innerlich verändert und schwächt und damit im Erfolge zum
Besiegten macht.
Wir glauben aber auch gar nicht daran, daß in Europa die durch und durch
national erhärteten Völker im Zeitalter des
Nationalitätenprinzips überhaupt noch national enteignet werden
könnten! Die letzten 150 Jahre bieten hier belehrende und warnende
Beispiele mehr als genug. Die europäischen Nationalstaaten werden bei
keinem kommenden Krieg - abgesehen von vorübergehenden
Schwächungen ihrer Gegner - mehr erreichen können als
geringfügige und im Verhältnis zu den dargebrachten Opfern gar
nicht ins Gewicht fallende volkliche Grenzkorrekturen.
Der permanente Kriegszustand, der aber durch solche Absichten zwischen den
einzelnen Völkern aufgerichtet wird, mag verschiedenen politischen und
wirtschaftlichen Interessenten vielleicht als nützlich erscheinen, für
die Völker bringt er nur Lasten und Unglück. Das Blut, das auf dem
europäischen Kontinent seit 300 Jahren vergossen wurde, steht außer
jedem Verhältnis zu dem volklichen Resultat der Ereignisse. Frankreich ist
am Ende Frankreich geblieben, Deutschland Deutschland, Polen Polen, Italien
Italien usw. Was dynastischer Egoismus, politische Leidenschaft und
patriotische Verblendung an scheinbaren tiefgreifenden staatspolitischen
Veränderungen unter Strömen von Blut erreicht haben, hat in
nationaler Beziehung stets nur die Oberfläche der Völker geritzt, ihre
grundsätzliche Markierung aber wesentlich kaum mehr verschoben.
Hätten diese Staaten nur einen Bruchteil ihrer Opfer für
klügere Zwecke angesetzt, so wäre der Erfolg sicher
größer und dauerhafter gewesen.
Wenn ich als Nationalsozialist in allem Freimut diese Auffassung vertrete, dann
bewegt mich dabei noch folgende Erkenntnis: Jeder Krieg verzehrt
zunächst die Auslese der Besten. Da es in Europa aber einen leeren Raum
nicht mehr gibt, wird jeder
Sieg - ohne an der grundsätzlichen europäischen Not etwas zu
ändern - höchstens eine ziffernmäßige
Vermehrung der Einwohner eines Staates mit sich bringen können. Wenn
aber den Völkern daran soviel liegt, dann können sie dies, statt mit
Tränen, auf eine einfachere und vor allem natürlichere Weise
erreichen. Eine gesunde Sozialpolitik kann bei einer [66] Steigerung der Geburtenfreudigkeit einer Nation
in wenigen Jahren mehr Kinder des eigenen Volkes schenken, als durch einen
Krieg an fremden Menschen erobert und damit unterworfen werden
könnten.
Nein! Das
nationalsozialistische Deutschland will den Frieden aus tiefinnersten
weltanschaulichen Überzeugungen. Es will ihn weiter aus der einfachen
primitiven Erkenntnis, daß kein Krieg geeignet sein würde, das
Wesen unserer allgemeinen europäischen Not zu beheben, wohl aber diese
zu vermehren. Das heutige Deutschland lebt in einer gewaltigen Arbeit der
Wiedergutmachung seiner inneren Schäden. Keines unserer Projekte
sachlicher Natur wird vor 10 bis 20 Jahren vollendet sein. Keine der gestellten
Aufgaben ideeller Art kann vor 50 oder vielleicht auch 100 Jahren ihre
Erfüllung finden. Ich habe einst die nationalsozialistische Revolution durch
die Schaffung der Bewegung begonnen und seitdem als Aktion geführt. Ich
weiß, wir alle werden nur den allerersten Beginn dieser großen
umwälzenden Entwicklung erleben. Was könnte ich anders
wünschen als Ruhe und Frieden? Wenn man aber sagt, daß dies nur
der Wunsch der Führung sei, so muß ich darauf folgende Antwort
geben: Wenn nur die Führer und Regierenden den Frieden wollen, die
Völker selbst haben sich noch nie den Krieg gewünscht!...
Als im Jahre 1919 der Friede von Versailles dem deutschen Volk diktiert wurde,
war der kollektiven Zusammenarbeit der Völker damit zunächst das
Todesurteil gesprochen worden. Denn an Stelle der Gleichheit aller trat die
Klassifikation in Sieger und Besiegte. An Stelle des gleichen Rechts die
Unterscheidung in Berechtigte und Rechtlose. An die Stelle der
Versöhnung aller die Bestrafung der Unterlegenen. An die Stelle der
internationalen Abrüstung die Abrüstung der Besiegten. An die
Stelle der Sicherheit aller trat die Sicherheit der Sieger.
Dennoch wurde noch im Friedensdiktat von Versailles ausdrücklich
festgestellt, daß die Abrüstung Deutschlands nur vorausgehen soll zur
Ermöglichung der Abrüstung der anderen. Und nun ist an diesem
einen Beispiel festzustellen, wie sehr die Idee der kollektiven Zusammenarbeit
gerade von denen verletzt wurde, die heute ihre lautesten Fürsprecher
sind...
Wenn ich von diesen allgemeinen Betrachtungen nun übergehe zu einer
präzisen Fixierung der vorliegenden aktuellen Probleme, so komme ich zu
folgender Stellungnahme der deutschen Reichsregierung.
1. Die deutsche Reichsregierung lehnt die am 17. März erfolgte
Genfer Entschließung ab. Nicht Deutschland hat den Vertrag von Versailles
einseitig gebrochen, sondern das Diktat von Versailles wurde in den bekannten
Punkten einseitig verletzt und damit außer Kraft gesetzt durch die
Mächte, die sich nicht entschließen konnten, der von Deutschland
verlangten Abrüstung die vertraglich vorgesehene eigene folgen zu lassen.
Die durch diesen Beschluß in Genf Deutschland zugefügte neue
Diskriminierung macht es der deutschen Reichsregierung unmöglich, in
diese Institution zurückzukehren, ehe nicht die Voraussetzungen für
eine wirkliche gleiche Rechtslage aller Teilnehmer geschaffen ist. Zu dem Zweck
erachtet es die deutsche Reichsregierung [67] als notwendig, zwischen dem Vertrag von
Versailles, der aufgebaut ist auf der Unterscheidung der Nationen in Sieger und
Besiegte, und dem Völkerbund, der aufgebaut sein muß auf der
Gleichbewertung und Gleichberechtigung all seiner Mitglieder, eine klare
Trennung herbeizuführen.
Diese Gleichberechtigung muß eine praktische sein und sich auf alle
Funktionen und alle Besitzrechte im internationalen Leben erstrecken.
2. Die deutsche Reichsregierung hat infolge der Nichterfüllung
der Abrüstungsverpflichtungen durch die anderen Staaten sich ihrerseits
losgesagt von den Artikeln, die infolge der nunmehr einseitigen vertragswidrigen
Belastung Deutschlands eine Diskriminierung der deutschen Nation für
unbegrenzte Zeit darstellen. Sie erklärt aber hiermit feierlichst, daß
sich diese ihre Maßnahmen ausschließlich auf die moralisch und
sachlich das deutsche Volk diskriminierenden und bekanntgegebenen Punkte
beziehen. Die deutsche Regierung wird daher die sonstigen, das Zusammenleben
der Nationen betreffenden Artikel einschließlich der territorialen
Bestimmungen unbedingt respektieren und die im Wandel der Zeiten
unvermeidlichen Revisionen nur auf dem Wege einer friedlichen
Verständigung durchführen.
3. Die deutsche Reichsregierung hat die Absicht, keinen Vertrag zu
unterzeichnen, der ihr unerfüllbar erscheint, sie wird aber jeden freiwillig
unterzeichneten Vertrag, auch wenn seine Abfassung vor ihrem
Regierungs- und Machtantritt stattfand, peinlich einhalten. Sie wird insbesondere
daher alle aus dem Locarnopakt sich ergebenden Verpflichtungen so lange halten
und erfüllen, als die anderen Vertragspartner auch ihrerseits bereit sind, zu
diesem Pakte zu stehen. Die deutsche Reichsregierung sieht in der Respektierung
der entmilitarisierten Zone einen für einen souveränen Staat
unerhört schweren Beitrag zur Beruhigung Europas. Sie glaubt aber darauf
hinweisen zu müssen, daß die fortgesetzten Truppenvermehrungen
auf der anderen Seite keineswegs als eine Ergänzung dieser Bestrebungen
anzusehen sind.
4. Die deutsche Reichsregierung ist jederzeit bereit, sich an einem
System kollektiver Zusammenarbeit zur Sicherung des europäischen
Friedens zu beteiligen, hält es aber dann für notwendig, dem Gesetz
der ewigen Weiterentwicklung durch die Offenhaltung vertraglicher Revisionen
entgegenzukommen. Sie sieht in der Ermöglichung einer geregelten
Vertragsentwicklung ein Element der Friedenssicherung, in dem Abdrosseln jeder
notwendigen Wandlung eine Aufstauung von Stoffen für spätere
Explosionen.
5. Die deutsche Reichsregierung ist der Auffassung, daß der
Neuaufbau einer europäischen Zusammenarbeit sich nicht in den Formen
einseitig aufoktroyierter Bedingungen vollziehen kann. Sie glaubt, daß es
richtig ist, sich angesichts der nicht immer gleichgelagerten Interessen stets mit
einem Minimum zu begnügen, statt diese Zusammenarbeit infolge eines
unerfüllbaren Maximums an Forderungen scheitern zu lassen. Sie ist weiter
der Überzeugung, daß sich diese
Verständi- [68] gung mit einem großen Ziel im Auge nur
schrittweise vollziehen kann.
6. Die deutsche Reichsregierung ist grundsätzlich bereit,
Nichtangriffspakte mit ihren einzelnen Nachbarstaaten abzuschließen und
diese durch alle Bestimmungen zu ergänzen, die auf eine Isolierung der
Kriegführenden und eine Lokalisierung des Kriegsherdes abzielen. Sie ist
insbesondere bereit zur Übernahme aller Verpflichtungen, die sich daraus
für die Lieferung von Materialien und Waffen im Frieden oder Krieg
ergeben mögen und von allen Partnern übernommen und respektiert
werden.
7. Die deutsche Reichsregierung ist bereit, zur Ergänzung des
Locarnopaktes einem Luftabkommen zuzustimmen und in seine Erörterung
einzutreten.
8. Die deutsche Reichsregierung hat das Ausmaß des Aufbaues
der neuen deutschen Wehrmacht bekanntgegeben. Sie wird davon unter keinen
Umständen abgehen. Sie sieht weder zu Lande noch zur Luft noch zur See
in der Erfüllung ihres Programms irgendeine Bedrohung einer anderen
Nation. Sie ist aber jederzeit bereit, in ihrer Waffenrüstung jene
Begrenzung vorzunehmen, die von den anderen Staaten ebenfalls
übernommen würde. Die deutsche Reichsregierung hat von sich aus
bereits bestimmte Begrenzungen ihrer Absichten mitgeteilt. Sie hat damit am
besten ihren guten Willen gekennzeichnet, ein unbegrenztes Wettrüsten zu
vermeiden. Ihre Begrenzung der deutschen Luftrüstung auf den Stand einer
Parität mit den einzelnen anderen westlichen großen Nationen
ermöglicht jederzeit die Fixierung einer oberen Zahl, die dann
miteinzuhalten sich Deutschland bindend verpflichten wird.
Die Begrenzung der deutschen Marine liegt mit 35% der englischen mit noch 15%
unter dem Gesamttonnagement der französischen Flotte. Da in den
verschiedenen Pressekommentaren die Meinung besprochen wurde, daß
diese Forderung nur ein Beginn sei und sich insbesondere mit dem Besitz von
Kolonien erhöhen würde, erklärt die deutsche Reichsregierung
bindend: Diese Forderung ist für Deutschland eine endgültige und
bleibende.
Deutschland hat weder die Absicht noch die Notwendigkeit oder das
Vermögen, in irgendeine neue Flottenrivalität einzutreten. Die
deutsche Reichsregierung erkennt von sich aus die überragende
Lebenswichtigkeit und damit die Berechtigung eines dominierenden Schutzes des
britischen Weltreiches zur See an, genau so wie wir umgekehrt entschlossen sind,
alles Notwendige zum Schutze unserer eigenen kontinentalen Existenz und
Freiheit zu veranlassen. Die deutsche Regierung hat die aufrichtige Absicht, alles
zu tun, um zum
britischen Volk und Staat ein Verhältnis zu finden und zu
erhalten, das eine Wiederholung des bisher einzigen Kampfes zwischen beiden
Nationen für immer verhindern wird.
9. Die deutsche Reichsregierung
ist bereit, sich an allen Bestrebungen
aktiv zu beteiligen, die zu praktischen Begrenzungen uferloser Rüstungen
führen können. Sie sieht den einzig möglichen Weg hierzu
[69] in einer Rückkehr zu den
Gedankengängen der einstigen Genfer Konvention des Roten Kreuzes. Sie
glaubt zunächst nur an die Möglichkeit einer schrittweisen
Abschaffung und Verfemung von Kampfmitteln und Kampfmethoden, die ihrem
innersten Wesen nach im Widerspruch stehen zur bereits geltenden Genfer
Konvention des Roten Kreuzes.
Sie glaubt dabei, daß, ebenso wie die Anwendung von Dumdumgeschossen
einst verboten und im großen und ganzen damit auch praktisch verhindert
wurde, auch die Anwendung anderer bestimmter Waffen zu verbieten und damit
auch praktisch zu verhindern ist. Sie versteht darunter alle jene Kampfwaffen, die
in erster Linie weniger den kämpfenden Soldaten als vielmehr den am
Kampfe selbst unbeteiligten Frauen und Kindern Tod und Vernichtung
bringen.
Die deutsche Reichsregierung hält den Gedanken, Flugzeuge abzuschaffen,
aber das Bombardement offenzulassen, für irrig und unwirksam. Sie
hält es aber für möglich, die Anwendung bestimmter Waffen
international als völkerrechtswidrig zu verbannen und die Nationen, die
sich solcher Waffen dennoch bedienen wollen, als außerhalb der
Menschheit und ihrer Rechte und Gesetze stehend zu verfemen.
Sie glaubt auch hier, daß ein schrittweises Vorgehen am ehesten zum Erfolg
führen kann. Also: Verbot des Abwerfens von
Gas-, Brand- und Sprengbomben außerhalb einer wirklichen Kampfzone.
Diese Beschränkung kann bis zur vollständigen internationalen
Verfemung des Bombenabwurfes überhaupt fortgesetzt werden. Solange
aber der Bombenabwurf als solcher freisteht, ist jede Begrenzung der Zahl der
Bombenflugzeuge angesichts der Möglichkeit des schnellen Ersatzes
fragwürdig.
Wird der Bombenabwurf aber als solcher als völkerrechtswidrige Barbarei
gebrandmarkt, so wird der Bau von Bombenflugzeugen damit bald als
überflüssig und zwecklos von selbst sein Ende finden. Wenn es einst
gelang, durch die Genfer
Rote-Kreuz-Konvention die an sich mögliche Tötung des wehrlos
gewordenen Verwundeten oder Gefangenen allmählich zu verhindern, dann
muß es genau so möglich sein, durch eine analoge Konvention den
Bombenkrieg gegen
die ebenfalls wehrlose Zivilbevölkerung zu verbieten
und endlich überhaupt zur Einstellung zu bringen.
Deutschland sieht in einer solchen grundsätzlichen Anfassung dieses
Problems eine größere Beruhigung und Sicherheit der Völker
als in allen Beistandspakten und Militärkonventionen.
10. Die deutsche Reichsregierung ist bereit, jeder Beschränkung
zuzustimmen, die zu einer Beseitigung der gerade für den Angriff
besonders geeigneten schwersten Waffen führt. Diese Waffen umfassen
erstens schwerste Artillerie und zweitens schwerste Tanks. Angesichts der
ungeheuren Befestigungen der französischen Grenze würde eine
solche internationale Beseitigung der schwersten Angriffswaffen Frankreich
automatisch den Besitz einer geradezu hundertprozentigen Sicherheit geben.
11. Deutschland erklärt sich bereit, jeder Begrenzung der
Kaliber- [70] stärken der
Artillerie, der Schlachtschiffe, Kreuzer und Torpedoboote zuzustimmen.
Desgleichen ist die deutsche Reichsregierung bereit, jede internationale
Begrenzung der Schiffsgrößen zu akzeptieren. Und endlich ist die
deutsche Reichsregierung bereit, der Begrenzung des Tonnengehaltes der
U-Boote oder auch ihrer vollkommenen Beseitigung für den Fall einer
internationalen gleichen Regelung zuzustimmen.
Darüber hinaus aber gibt sie abermals die Versicherung ab, daß sie
sich überhaupt jeder internationalen und im gleichen Zeitraum wirksam
werdenden Waffenbegrenzung oder Waffenbeseitigung anschließt.
12. Die deutsche Reichsregierung ist der Auffassung, daß alle
Versuche, durch internationale oder mehrstaatliche Vereinbarungen eine
wirksame Milderung gewisser Spannungen zwischen einzelnen Staaten zu
erreichen, vergebliche sein müssen, solange nicht durch geeignete
Maßnahmen einer Vergiftung der öffentlichen Meinung der
Völker durch unverantwortliche Elemente in Wort und Schrift, Film und
Theater erfolgreich vorgebeugt wird.
13. Die deutsche Reichsregierung ist jederzeit bereit, einer
internationalen Vereinbarung zuzustimmen, die in einer wirksamen Weise alle
Versuche einer Einmischung von außen in andere Staaten unterbindet und
unmöglich macht. Sie muß jedoch verlangen, daß eine solche
Regelung international wirksam wird und allen Staaten zugute kommt. Da die
Gefahr besteht, daß in Ländern mit Regierungen, die nicht vom
allgemeinen Vertrauen ihres Volkes getragen sind, innere Erhebungen von
interessierter Seite nur zu leicht auf äußere Einmischung
zurückgeführt werden können, erscheint es notwendig, den
Begriff "Einmischung" einer genauen internationalen Definition zu
unterziehen.
(Verhandlungen des Reichstags, Bd. 458, S. 42, 43,
53/55.)
Schon einen Monat nach der Rede des Führers wurde Punkt 8 seines
Friedensprogrammes durch das deutsch-englische
Flottenabkommen vom 18. Juni
1935 erfüllt. Deutschland erkannte die Lebenswichtigkeit der britischen
Flotte als dominierenden Schutzes des britischen Weltreiches an und erbrachte
gleichzeitig einen Beweis schöpferischer Politik, die nur auf der Achtung
der beiderseitigen Lebensinteressen aufgebaut sein konnte. Dieser praktische
Erfolg auf dem Gebiete der Rüstungsbeschränkung war erzielt durch
eine offene Aussprache und Verständigung zu zweien. Deutschland konnte
nicht auf seine Sicherheit zur See verzichten, aber es wollte die
Flottenrivalität vermeiden, die vor dem Weltkriege 1914/18 den
deutsch-englischen Gegensatz aufs äußerste verschärft und
unheilbar gemacht hatte. Darum sollte künftig die deutsche Flotte in einem
festen zahlenmäßigen Verhältnis zur englischen gehalten
werden. Das deutsch-englische Flottenabkommen war eine Tat, die Deutschlands
und des Führers Wunsch nach freundschaftlichen Beziehungen mit England
so eindeutig und offenkundig wie nur irgendmöglich
dokumentierte.
[71]
Deutsch-englisches Flottenabkommen vom 18. Juni
1935
1. Schreiben des Staatssekretärs für Auswärtige
Angelegenheiten Sir Samuel Hoare an den Außerordentlichen und
Bevollmächtigten Botschafter von Ribbentrop
Foreign Office, den 18. Juni 1935.
Euere Exzellenz!
1. Während der letzten Tage haben die Vertreter der Regierung
des Deutschen Reiches und der Regierung Sr. Majestät im Vereinigten
Königreich Besprechungen abgehalten, deren Hauptzweck darin bestand,
den Boden für eine allgemeine Konferenz zur Begrenzung der
Seerüstungen vorzubereiten. Ich freue mich, Euerer Exzellenz nunmehr die
formelle Annahme des Vorschlages der Regierung des Deutschen Reiches, der in
diesen Besprechungen zur Erörterung gestanden hat, durch die Regierung
Sr. Majestät im Vereinigten Königreich mitzuteilen, wonach
die zukünftige Stärke der deutschen Flotte gegenüber der
Gesamtflottenstärke der Mitglieder des Britischen Commonwealth im
Verhältnis von 35 zu 100 stehen soll. Die Regierung
Sr. Majestät im Vereinigten Königreich sieht diesen Vorschlag als einen
außerordentlich wichtigen Beitrag zur zukünftigen
Seerüstungsbeschränkung an. Weiterhin glaubt sie, daß die
Einigung, zu der sie nunmehr mit der Regierung des Deutschen Reiches gelangt
ist und die sie als eine vom heutigen Tage ab gültige dauernde und
endgültige Einigung zwischen den beiden Regierungen ansieht, den
Abschluß eines zukünftigen allgemeinen Abkommens über
eine Seerüstungsbegrenzung zwischen allen Seemächten der Welt
erleichtern wird.
2. Die Regierung Sr. Majestät im Vereinigten Königreich
stimmt weiterhin den Erklärungen zu, die von den deutschen Vertretern im
Laufe der kürzlich in London abgehaltenen Besprechungen bezüglich
der Anwendungsmethoden dieses Grundsatzes abgegeben wurden.
Diese Erklärungen können folgendermaßen
zusammengefaßt werden:
a) Das Stärkeverhältnis 35 zu 100 soll ein ständiges
Verhältnis sein, d. h. die Gesamttonnage der deutschen Flotte soll nie
einen Prozentsatz von 35 der Gesamttonnage der vertraglich festgelegten
Seestreitkräfte der Mitglieder des Britischen Commonwealth
oder - falls in Zukunft keine vertraglichen Begrenzungen der Tonnage
bestehen sollten - einen Prozentsatz von 35 der tatsächlichen
Gesamttonnage der Mitglieder des Britischen Commonwealth
überschreiten.
b) Falls ein zukünftiger allgemeiner Vertrag über
Seerüstungsbegrenzung die Methode der Begrenzung durch vereinbarte
Stärkeverhältnisse zwischen den Flotten der verschiedenen
Mächte nicht enthalten sollte, wird die Regierung des Deutschen Reiches
nicht auf der Einfügung des in dem vorhergehenden Unterabsatz
erwähnten Stärkeverhältnisses in einen solchen
zukünftigen allgemeinen Vertrag bestehen, vorausgesetzt, daß die
für die zukünftige Begrenzung der
See- [72] rüstungen darin
etwa angenommene Methode derart ist, daß sie Deutschland volle Garantien
gibt, daß dieses Stärkeverhältnis aufrechterhalten werden
kann.
c) Das Deutsche Reich wird unter allen Umständen zu dem
Stärkeverhältnis von 35 zu 100 stehen, d. h. dieses
Stärkeverhältnis wird von den Baumaßnahmen anderer
Länder nicht beeinflußt. Sollte das allgemeine Gleichgewicht der
Seerüstung, wie es in der Vergangenheit normalerweise aufrechterhalten
wurde, durch irgendwelche anormalen und außerordentlichen
Baumaßnahmen anderer Mächte heftig gestört werden, so
behält sich die Regierung des Deutschen Reiches das Recht vor, die
Regierung Sr. Majestät im Vereinigten Königreich aufzufordern, die
auf diese Weise entstandene neue Lage zu prüfen.
d) Die Regierung des Deutschen Reiches begünstigt auf dem
Gebiete der Seerüstungsbegrenzung dasjenige System, das die
Kriegsschiffe in Kategorien einteilt, wobei die Höchsttonnage und das
Höchstkaliber der Geschütze für die Schiffe jeder Kategorie
festgesetzt wird, und das die jedem Lande zustehende Tonnage nach
Schiffskategorien zuteilt. Folglich ist die Regierung des Deutschen Reiches bereit,
grundsätzlich und unter Vorbehalt des nachstehenden Absatzes das
35prozentige Stärkeverhältnis auf die Tonnage in jeder
beizubehaltenden Schiffskategorie anzuwenden und jede Abweichung von diesem
Stärkeverhältnis in einer oder mehreren Kategorien von den
hierüber in einem zukünftigen allgemeinen Vertrag über
Seerüstungsbeschränkung etwa getroffenen Vereinbarungen
abhängig zu machen. Derartige Vereinbarungen würden auf dem
Grundsatz beruhen, daß jede Erhöhung in einer Kategorie durch eine
entsprechende Herabsetzung in anderen Kategorien auszugleichen wäre.
Falls kein allgemeiner Vertrag über Seerüstungsbegrenzung
abgeschlossen wird oder falls der zukünftige allgemeine Vertrag keine
Bestimmung über Kategorienbeschränkung enthalten sollte, wird die
Art und das Ausmaß des Rechtes der Regierung des Deutschen Reiches, das
35prozentige Stärkeverhältnis in einer oder mehreren Kategorien
abzuändern, durch Vereinbarung zwischen der Regierung des Deutschen
Reiches und der Regierung Sr. Majestät im Vereinigten
Königreich im Hinblick auf die dann bestehende Flottenlage geregelt.
e) Falls und solange andere bedeutende Seemächte eine einzige
Kategorie für Kreuzer und Zerstörer behalten, hat das Deutsche
Reich das Recht auf eine Kategorie für diese beiden Schiffsklassen,
obgleich es für diese beiden Klassen zwei Kategorien vorziehen
würde.
f) Hinsichtlich der Unterseeboote hat das Deutsche Reich jedoch das
Recht, eine der gesamten Unterseeboottonnage der Mitglieder des Britischen
Commonwealth gleiche Unterseeboottonnage zu besitzen, ohne jedoch das
Stärkeverhältnis 35 zu 100 hinsichtlich der
Gesamttonnage zu überschreiten. Die Regierung des Deutschen Reiches
verpflichtet sich indessen, außer den im folgenden Satz angegebenen
Umständen mit ihrer Unterseeboottonnage über
45 v. H. der Gesamt-Unterseeboottonnage der Mitglieder des
Britischen Commonwealth nicht hinauszugehen. Sollte eine Lage entstehen, die es
nach Ansicht [73] der Regierung des
Deutschen Reiches notwendig macht, von ihrem Anspruch auf einen über
die vorgenannten 45% hinausgehenden Prozentsatz Gebrauch zu machen, so
behält sich die Regierung des Deutschen Reiches das Recht vor, der
Regierung Sr. Majestät im Vereinigten Königreich davon Mitteilung
zu machen, und sie ist damit einverstanden, die Angelegenheit zum Gegenstand
freundschaftlicher Erörterungen zu machen, bevor sie dieses Recht
ausübt.
g) Da es höchst unwahrscheinlich ist, daß die Berechnung
des 35prozentigen Stärkeverhältnisses in jeder Schiffskategorie
Tonnage-Zahlen ergibt, die genau teilbar sind durch die zulässige Tonnage
für Schiffe dieser Kategorie, kann es sich als notwendig herausstellen,
daß Angleichungen vorgenommen werden müssen, damit das
Deutsche Reich nicht daran verhindert wird, seine Tonnage voll auszunutzen. Es
ist daher abgemacht worden, daß die Regierung des Deutschen Reiches und
die Regierung Sr. Majestät im Vereinigten Königreich vereinbaren
werden, welche Angleichungen zu diesem Zweck erforderlich sind. Es besteht
Einigkeit darüber, daß dieses Verfahren nicht zu erheblichen oder
dauernden Abweichungen von dem Verhältnis von 35 zu 100 hinsichtlich
der Gesamtflottenstärken führen soll.
3. Hinsichtlich Unterabschnitt c der obigen Erklärungen habe ich
die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß die Regierung Sr. Majestät im
Vereinigten Königreich von dem Vorbehalt Kenntnis genommen hat und
das darin erwähnte Recht anerkennt, wobei Einverständnis
darüber besteht, daß das Stärkeverhältnis von 35 zu 100,
falls zwischen den beiden Regierungen nichts Gegenteiliges vereinbart wird,
aufrechterhalten bleibt.
4. Ich habe die Ehre, Euere Exzellenz um eine Mitteilung darüber
zu bitten, daß die Deutsche Regierung anerkennt, daß der Vorschlag
der Deutschen Regierung in den vorstehenden Absätzen dieser Note richtig
wiedergegeben ist.
Ich habe die Ehre zu sein usw.
Samuel Hoare
II. Schreiben des Außerordentlichen und Bevollmächtigten
Botschafters von Ribbentrop an den Staatssekretär für
Auswärtige Angelegenheiten Sir Samuel Hoare
London, 18. Juni 1935.
Euere Exzellenz!
Ich beehre mich, Euerer Exzellenz den Empfang des Schreibens vom heutigen
Tage zu bestätigen, in dem Sie die Freundlichkeit hatten, mir im Namen der
Regierung Sr. Majestät im Vereinigten Königreich folgendes
mitzuteilen:
(Es folgt die wörtliche Wiedergabe der Abschnitte 1 bis 3 aus dem
Schreiben des Staatssekretärs Sir Samuel Hoare.)
Ich beehre mich, Euerer Exzellenz zu bestätigen, daß der Vorschlag
der Regierung des Deutschen Reiches in dem vorstehenden [74] Schreiben richtig wiedergegeben ist und nehme
davon Kenntnis, daß die Regierung Sr. Majestät im Vereinigten
Königreich diesen Vorschlag annimmt.
Die Regierung des Deutschen Reiches ist auch ihrerseits der Ansicht, daß
die Einigung, zu der sie nunmehr mit der Regierung Sr. Majestät im
Vereinigten Königreich gelangt und die sie als eine vom heutigen Tage ab
gültige Einigung zwischen den beiden Regierungen ansieht, den
Abschluß eines allgemeinen Abkommens über diese zwischen allen
Seemächten der Welt erleichtern wird.
Ich habe die Ehre, zu sein usw.
Joachim von
Ribbentrop
Außerordentlicher und Bevollmächtigter
Botschafter des Deutschen Reiches
(E: Cmd. 4930. - D: Völkerbund und
Völkerrecht, 1935/36, S. 269ff.)
Außer dem Flottenabkommen war die Reichsregierung seit
längerem auch zu einer Verständigung über die
Luftrüstung bereit gewesen. Naturgemäß machte sie aber ihre
Zustimmung zum Luftpakt von der Anerkennung der deutschen Luftmacht
abhängig, und zwar in der Parität mit den Luftflotten der einzelnen
Westmächte. Bezeichnenderweise verlor die französische Regierung
ihr Interesse am Luftpakt, als die deutsche ihre Zustimmung erteilte. Sie verlangte
bilaterale Abkommen innerhalb des Luftpaktes, schob wieder den Ostpakt in den
Vordergrund und verlangte Deutschlands Zustimmung hierzu. Ja, die
Verwirklichung des Luftpaktes sollte nur gleichzeitig mit den Verhandlungen
über den Ostpakt und die anderen Punkte des Londoner
Kommuniqués vom 3. Februar 1935 erfolgen. Luftpakt und Ostpakt
bildeten fortan ein unheilvolles Junktim. Gerade solcher Verkuppelung von
mehreren schwierigen Fragen hatte der Führer
in seiner Rede vom 21. Mai
1935 als höchst unpraktisch widerraten. Im übrigen hatte er immer
wieder Beistandspakte militärischen Charakters abgelehnt. Er hatte an
Stelle dessen Nichtangriffspakte mit den einzelnen Nachbarstaaten Deutschlands
angeboten. Er befand sich, was hervorgehoben zu werden verdient, mit dieser
Einstellung zu den Ostpaktfragen in Übereinstimmung mit der polnischen
Regierung.
Über alle diese Fragen wurden seit Mai 1935 monatelange diplomatische
Verhandlungen geführt. Seit Juni 1935 war die Außenpolitik der
englischen Regierung wegen ihrer Haltung im Abessinienkonflikt und wegen des
sowohl im eigenen Lande wie besonders in Frankreich heftig angegriffenen
Flottenabkommens mit Deutschland in großer Bedrängnis. Die
englisch-französischen Beziehungen waren damals so stark getrübt
und auf französischer Seite von Mißtrauen so durchsetzt, wie sie es
wohl seit 1931 nicht mehr gewesen waren. In erster Linie war hieran das
Flottenabkommen schuld. Um die französische Verstimmung
auszugleichen, machte sich die britische Regierung wider ihr besseres Wissen den
französischen Standpunkt zum Luftpakt und Ostpakt zu eigen. Am 11. Juli
1935 hielt der damalige Außenminister Sir Samuel [75] Hoare
im Unterhaus eine sehr kühle
Rede, in der er an den Führer appellierte, durch seine Zustimmung zum
Ostpakt die allgemeine Regelung der europäischen Fragen zu
fördern. Er machte sich die These von der "Unteilbarkeit des
europäischen Friedens" zu eigen und konstruierte ein englisches Interesse
an dem Ostpakt. Dies konnte angesichts der
Sowjetpakte in Deutschland nicht mehr verfangen. Daß aber in England
der Wind wieder umgeschlagen war, zeigte sich auch darin, daß wieder, wie
kurz nach der Machtübernahme, innerdeutsche Angelegenheiten gegen
Deutschland ausgebeutet wurden und eine neue Hetzwelle über das Land
ging.
Aus der Unterhausrede des britischen
Außenministers
Sir Samuel Hoare vom 11. Juli
1935
Uns liegt an einem Luftpakt, der eine Beschränkung der Luftflotte
einschließt. Schon vor zehn Jahren, lange bevor die Luftmacht so furchtbar
wurde in ihrer Schnelligkeit, ihrer Wirksamkeit und zerstörenden Gewalt,
wie sie es jetzt ist, erschien mir die Gefahr eines Knockoutschlages so groß,
daß nur das Abschreckungsmittel einer nahezu
überwältigenden Luftflotte die Welt vor einer großen
Katastrophe bewahren könnte. Ich glaube, diese Ansicht wird von der
großen Mehrheit der ehrenwerten Mitglieder geteilt. Wir alle
wünschen einen Luftpakt. Wir alle wünschen Beschränkungen
der Luftflotte. Es mag sich dann die Frage erheben: Warum kann nicht
unverzüglich ein Luftpakt abgeschlossen werden, wenn wir doch alle den
Luftpakt und eine Beschränkung der Luftmacht wünschen?
Ich glaube, wenn ich die Frage einem Komitee des Hauses vorgelegt habe, wird
man sehen, daß das Problem nicht ganz so einfach ist, wie es auf den ersten
Blick erscheinen mag. Die grundlegende Bedingung für einen Luftpakt ist,
daß alle fünf Mächte ihm zustimmen müssen. Es ist
nicht immer leicht, fünf Mächte zu einer Übereinstimmung
über irgend etwas zu bringen, sei es auch nur über die
Verhandlungsbasis.
Im Falle des Luftpaktes ist der Sachverhalt
der - es führt zu nichts, Tatsachen zu
übersehen -, daß einige der Regierungen, unter ihnen die
französische, die Ansicht vertreten, daß der Frieden ein unteilbares
Ganzes ist und daß man nicht zu einem Zeitpunkt ein Teilproblem
behandeln kann, sondern daß alle Teilprobleme zusammen behandelt
werden müssen. Wir wollen dieser Ansicht einmal Rechnung tragen;
erlauben Sie mir, sie zu analysieren, damit wir sehen, wie weit sie durch die
augenblickliche Situation gerechtfertigt ist, wie weit es eine Tatsache ist,
daß der Frieden eins und unteilbar ist, und ob es unmöglich ist, sich
mit einem Teilproblem zu beschäftigen, bevor man sich mit dem
Gesamtproblem beschäftigt...
Lassen Sie mich die Behauptung, daß der Frieden ein einziges Ganzes ist,
dadurch illustrieren, daß ich versuche, eine Frage zu beantworten. Es ist die
Frage: Was hat Großbritannien mit einem Ostpakt zu tun? Das heißt
mit einem Nichtangriffspakt in Osteuropa. Lassen [76] Sie mich dem Hause erklären, was ich
für Großbritanniens Interesse an einem Ostpakt halte, und
desgleichen, was ich für das Interesse Großbritanniens an einem
Nichtangriffspakt in Zentraleuropa halte. Es kann sich nicht um weitere
Verpflichtungen handeln. Der Ausschluß weiterer Verpflichtungen auf
unserer Seite, worauf in der Vergangenheit häufig angespielt worden ist,
schließt aber nicht unser Interesse an einer Regelung der Fragen aus.
Es gibt viele Regierungen in Europa - ich brauche sie nicht zu
nennen -, die das Zentrum und den Osten Europas für
Gefahrenzonen halten. Einige gehen soweit zu glauben, daß eine
Übereinkunft im Westen, beispielsweise über den Luftpakt,
losgelöst von einer Regelung der übrigen Friedensfragen, die Gefahr
im Osten noch größer machen würde, als sie jetzt ist. Ich kann
zwar diese Befürchtungen nicht ganz teilen, stimme aber insofern bei, als
ein Kriegsausbruch im Zentrum oder im Osten Europas, nach unserer Erfahrung
zu urteilen, wahrscheinlich zu einem allgemeinen Konflikt führen
würde und daß es darum wesentlich ist, sich unverzüglich mit
allen möglichen Gefahrenzonen zu befassen. Das ist der Grund, weswegen
der britischen Regierung so sehr daran gelegen ist, einen
Ost- und Donau-Nichtangriffspakt sobald wie möglich abgeschlossen zu
sehen.
Es gab eine Zeit, in der der deutsche Reichskanzler einem Ostpakt ablehnend
gegenüberstand. Die Vorschläge waren in einer Form gemacht
worden, die er nicht akzeptieren konnte. All das hat sich jedoch jetzt
geändert. Der deutsche Kanzler willigte bei der Stresakonferenz ein,
daß kein Einwand erhoben werden würde gegen den Abschluß
von Beistandspakten durch andere, vorausgesetzt, daß von Deutschland
nichts weiter erwartet wurde als Nichtangriffsverträge,
Konsultativabkommen und die Beistandsverweigerung gegenüber dem
Angreifer. Der deutsche Kanzler erklärte weiterhin in seiner letzten
Rede:
Die deutsche Reichsregierung ist grundsätzlich bereit, Nichtangriffspakte
mit ihren einzelnen Nachbarstaaten abzuschließen und diese durch alle
Bestimmungen zu ergänzen, die auf eine Isolierung der
Kriegführenden und eine Lokalisierung des Kriegsherdes abzielen.
Die französische Regierung hat die deutsche Regierung davon
benachrichtigt, daß sie die deutschen Vorschläge als
Verhandlungsgrundlage annimmt. Ich glaube, der Donaupakt kann auf
ähnliche Weise erreicht werden. Es besteht daher nach der Ansicht der
Regierung Sr. Majestät keinerlei Grund mehr, daß der
Abschluß eines Ostpaktes nicht schnelle Fortschritte machen sollte. Die
Regierung Sr. Majestät hat der deutschen Regierung ihre Ansicht
über diese Fragen ausführlich dargelegt.
Es steht nun in der Macht des deutschen Kanzlers, einen wirklichen Beitrag
für die Sache des Friedens zu liefern, einen Beitrag, der eine Ursache der
Beunruhigung bei vielen Regierungen, nicht nur in
Mittel- und Osteuropa, sondern auch in Westeuropa, beseitigen wird. Ich
möchte wagen, ihn dringend zu bitten, diesen Beitrag zu geben. Ich glaube
in der Tat, er würde seiner eigenen Sache dienen, wenn er diesen Beitrag
lieferte. Er selbst sprach in seiner Rede vom 21. Mai [77] sehr freimütig, und ich weiß, er wird
nicht verstimmt sein, wenn ich ebenso freimütig spreche. Wir
hier - und in der Tat die weite Welt - sind nicht nur durch
Deutschlands Aufrüstungsprogramm, sondern auch durch gewisse andere
Phänomene des neuen Deutschland beunruhigt worden. Nichtsdestoweniger
haben wir den Kanzler bei seinem Wort genommen und haben erst in den letzten
Wochen einen praktischen Beweis dafür gegeben, indem wir das
Flottenabkommen mit ihm abschlossen.
(E: Parliamentary
Debates. House of Commons. Bd. 304, Sp.
513ff. - D: Weltgeschichte der Gegenwart, Bd. 3, S. 309ff.)
Am 22. Juli 1935 teilte die britische Regierung der französischen ihre
Bereitschaft zum Abschluß bilateraler Abkommen innerhalb des Luftpaktes
mit. Sie war also auch in diesem Punkte der französischen Forderung
entgegengekommen. Sie machte aber die Voraussetzung, daß diese
Abkommen nur das Zustandekommen eines allgemeinen Luftpaktes
befördern und nur mit ihm wirksam werden sollten. In einem
Gespräch mit dem deutschen Botschafter von Hoesch vom 23. Juli 1935
entwickelte Hoare noch einmal den Standpunkt seiner
Rede vom 11. Juli: keine
Fortschritte in der Verhandlung des Luftpaktes ohne Fortschritte in der
Verhandlung des Ostpaktes. Eine Weisung
im Sinne dieses Junktims erhielt der
englische Geschäftsträger in Berlin am 1. August 1935. Am gleichen
Tage vertrat Hoare diese Forderung abermals vor dem
Unterhaus. Das Junktim
wurde die These, mit der England im Verein mit Frankreich den Luftpakt
endgültig sabotierte.
Instruktion des Außenministers Sir Samuel
Hoare an den britischen Geschäftsträger in Berlin, Newton, vom 23.
Juli 1935
Auf meine Bitte hat mich der Deutsche Botschafter heute nachmittag aufgesucht.
Im Unterhaus wurde bereits angefragt, ob der Reichskanzler irgendwie auf meinen
Appell an ihn in der Außenministeriumsdebatte vom 11. Juli geantwortet
habe; auch verlautete in Berlin gerüchtweise, daß die Deutsche
Regierung selbst erwäge, sich darüber zu beklagen, daß ich
für die deutsche Lage nicht genügend Verständnis aufgebracht
hätte. Unter diesen Umständen schien es für mich am besten,
die strittigen Fragen sofort mit dem Botschafter zu besprechen.
2. Zunächst sagte ich, daß ich sehr stark auf eine Antwort
auf meine Bitte, der Kanzler möchte den Abschluß eines Ostpaktes
erleichtern, gehofft hatte. Der Botschafter wies auf den Abschluß des
französisch-russischen Bündnisses hin, auf die Nutzlosigkeit des
Paktes, sowie auf die Tatsache, daß ein Abschluß des Paktes das
französisch-russische Bündnis wieder gutmachen würde. Ich
erwiderte, daß ich als praktischer Mann in jedem Fall zu dem Schluß
gekommen sei, daß der von der britischen, wie auch von der Deutschen
Regierung gewünschte Luftpakt unerreichbar bleibt, wenn nicht gleichzeitig
ein [78] Fortschritt in der Angelegenheit des Ostpaktes
zu verzeichnen ist. War der Ostpakt so zwecklos, wie es die Deutschen hinstellen,
warum sollten sie dann zugeben, daß er einem von ihnen in Wirklichkeit
gewünschten Luftabkommen im Wege steht? Der Botschafter
erklärte daraufhin, daß neben den deutschen Einwendungen auch
noch von Polen Einwendungen erhoben würden und daß diese in den
kürzlich stattgefundenen Unterredungen zwischen Herrn Beck und dem
Reichskanzler in Berlin zur Sprache gekommen seien.
3. Ich bestand weiterhin auf dem Ostpakt. Warum, fragte der
Botschafter, bestand ich so sehr darauf? Warum hatte ich es in meiner Rede
unterlassen, viele der anderen in der Reichskanzlerrede an wichtiger Stelle
vorgebrachten Fragen zu behandeln? Hierbei überreichte er mir ein
Exemplar der Reichskanzlerrede und las mir auch eine ganze Reihe
Absätze daraus vor. Ich sagte ihm, daß meine Rede keineswegs als
Antwort auf die Reichskanzlerrede gedacht war. Die Antwort darauf ist bereits in
der unmittelbar darauffolgenden Rede des Herrn Baldwin erfolgt. Meine Rede
befaßte sich nur mit einem, und zwar nur mit dem einen Gegenstand,
nämlich die Dinge wieder in Gang zu bringen, die stillzustehen schienen,
und um auf einem Gebiet, das durch unüberwindliche Schwierigkeiten
völlig blockiert zu werden drohte, wieder Bewegungsfreiheit zu
bekommen. Gewiß wolle der Reichskanzler ebensoviel Bewegung wie ich.
Tatsächlich schien mir der Wunsch nach Bewegung der eigentliche Inhalt
seiner Rede zu sein. Wolle er denn nicht verstehen, daß, wenn es im
Luftpakt Bewegung gibt, es auch auf den anderen Gebieten, und insbesondere auf
dem des Ostpaktes Bewegung geben muß?
4. Der Botschafter versprach mir, alle meine Ausführungen im
einzelnen sofort nach Berlin weiterzuleiten. Vor seinem Weggang machte er
nochmals dieselbe Feststellung wie zu Beginn unserer Unterredung,
nämlich daß die Deutsche Regierung die Tür vor dem Ostpakt
nicht zugeschlagen habe, und daß, wenn auch für den Abschluß
ernsthafte Schwierigkeiten beständen, doch keine gegenteilige
Entscheidung getroffen sei.
Samuel Hoare
(E: Cmd. 5143. Nr. 34. - D: Eigene
Übersetzung.)
Aus der Instruktion des Außenministers Sir
Samuel Hoare an den britischen Geschäftsträger in Berlin, Newton,
vom 1. August 1935
Ich bat den Deutschen Botschafter, heute morgen bei mir vorzusprechen zwecks
Rücksprache über die Lage des Luftpaktes. Ich wiederholte
zunächst, was ich schon oft vorher über die Notwendigkeit gesagt
habe, die Verhandlungen über den Ostpakt in Angriff zu nehmen, wenn wir
überhaupt eine Aussicht haben sollen, diesen Luftpakt in die Wege zu
leiten. Der Botschafter wiederholte einige frühere Feststellungen
über den Ostpakt. Er fügte jedoch hinzu, daß er mir
er- [79] freulicherweise eine mündliche Nachricht
seiner Regierung über die Stellung der Locarnomächte unter dem
französisch-russischen Vertrag übermitteln könne...
(E: Cmd. 5143. Nr. 36. - D: Eigene
Übersetzung.)
Aus der Unterhausrede des britischen
Außenministers
Sir Samuel Hoare vom 1. August
1935
Bezüglich der Frage eines Ostpaktes werden sich die Herren noch der
gestern von mir erteilten Antwort entsinnen. Ich wiederhole sie nochmals. Ich
betrachte den Abschluß eines Ostpaktes als eines der wichtigsten Momente
auf dem Gebiet der europäischen Entwicklung. Mir ist es durchaus klar,
daß, wenn wir auf dem Gebiet des Ostpaktes nicht weiterkommen, es sehr
schwierig sein wird, einen befriedigenden Fortschritt mit dem Luftpakt und
einigen anderen Maßnahmen zur Befriedung und Versöhnung
Europas zu verzeichnen. Sie, meine Herren, dürfen versichert sein,
daß ich diesen Standpunkt der Deutschen Regierung, wie auch anderen
europäischen Regierungen gegenüber weiterhin geltend machen
werde. Ich selbst sehe keinen Grund, warum, so wie die Dinge augenblicklich
liegen, ein Ostpakt nicht abgeschlossen werden sollte, auch bin ich sicher,
daß, wenn es zum Abschluß eines Ostpaktes kommt, dieser als eine
Versöhnungsmaßnahme in
Mittel- und Osteuropa angesehen und eine große Hilfe für den
Abschluß eines Luftpaktes darstellen wird, weil er nicht nur von uns selbst,
sondern auch von der Deutschen Regierung gewünscht wird.
(E: Parliamentary
Debates. House of Commons. Bd. 304, Sp.
2962f. - D: Eigene Übersetzung.)
Am 5. August 1935 erhob die englische Regierung in einem Memorandum an
die Reichsregierung dringliche Vorstellungen, die auf den Abschluß eines
kollektiven Nichtangriffspaktes hinzielten.
Aus dem Memorandum der britischen Regierung
vom 5. August 1935
Wenn die Deutsche Regierung es unterläßt, so zu handeln und
fortfährt, sich in dieser Sache auf das zu beschränken, was in der
Rede des Kanzlers vom 21. Mai gesagt
wurde, indem sie außerdem die
Redewendung "Nachbarstaaten" eng auslegt als Staaten, welche an Deutschland
angrenzen, dann scheint nicht zu erwarten, daß ein Fortschritt gemacht
werden kann. Es gäbe gewiß keine Hoffnung, daß die
französische Regierung befriedigt sein wird, und das Ergebnis wird so sein,
wie es Herrn von Ribbentrop und dem deutschen Botschafter in London dargelegt
wurde, daß die Aussichten auf den Luftpakt, dem Seiner Majestät
Regierung und, wie sie bis jetzt verstanden hatten, auch die deutsche Regierung
solch große Bedeutung beimessen, wohl eitel sein möchten. Seiner
Majestät Regierung hofft daher ernstlich, [80] daß die deutsche Regierung einwilligen
wird, in einen kollektiven Sicherheitspakt auf
Nicht-Angriff nicht nur Litauen (das Partner einer Lösung der Memelfrage
ist), Polen und Tschechoslowakei, sondern auch Lettland, Estland und
Rußland einzuschließen...
Seiner Majestät Regierung wünscht daher die besondere
Aufmerksamkeit des Kanzlers auf diese Bemerkungen zu lenken im Hinblick auf
den Nachdruck, welchen er in seiner
Rede im Reichstag am 21. Mai auf die
Bedeutung einer friedlichen Regelung in Europa legte. In seiner Rede
erklärte der Kanzler, daß die Deutsche Regierung zu jeder Zeit bereit
wäre, an einem System kollektiver Zusammenarbeit zur Sicherung des
Friedens in Europa teilzunehmen. Er bezog sich nicht nur auf das große
Ziel, welches die Deutsche Regierung im Auge hatte, sondern gab seiner Meinung
Ausdruck, daß solch ein Ziel nur Schritt für Schritt erreicht werden
könnte. Diese Ansicht entspricht genau der von Seiner Majestät
Regierung, und der Staatssekretär des Auswärtigen wiederholte sie
im Unterhaus am 1. August. Unter diesen Umständen vertraut Seiner
Majestät Regierung ernstlich darauf, daß sich der Kanzler als ersten
Schritt zur Erfüllung des großen Zieles der Befriedung Europas,
worauf er sich in seiner Rede bezog, zu einem kollektiven
Nicht-Angriffspakt mit den 6 Oststaaten auf der Linie des deutschen Entwurfs, der
Sir John Simon in Berlin mitgeteilt wurde, bereitfinden wird.
Seiner Majestät Regierung wird dankbar sein, wenn ihre Ansichten in
baldige und günstige Betrachtung gezogen werden können und hofft
sehr, daß des Kanzlers Antwort einen schnellen Fortschritt in naher Zukunft
in einer Angelegenheit, der sie soviel Bedeutung beimißt, erlauben
wird.
(E: Cmd. 5143. Nr. 37. - D: Eigene
Übersetzung.)
Seit dem Sommer 1935 wurden die Verhandlungen über Luftpakt,
Ostpakt, Locarno und Kollektivpakt durch den Abessinischen Krieg, der am 3.
Oktober 1935 ausbrach, und den neuen Vorstoß der Komintern in den
Hintergrund gedrängt. Die britische Regierung hat auf diplomatischem
Wege noch mehrmals an die Beantwortung ihres Memorandums vom 5. August
1935 erinnert. Freiherr von Neurath teilte am 23. Oktober 1935 dem
englischen Botschafter in Berlin mit, daß eine Antwort unter den
obwaltenden Umständen nicht opportun sei. Anfang Dezember 1935 regte
Sir E. Phipps an, die Verhandlungen über einen Luftpakt
wieder zu eröffnen. Hoare beurteilte die Aussichten skeptisch. Er wollte auf
keinen Fall die bekannten französischen Wünsche ignorieren.
Immerhin gab er dem Botschafter in
Berlin am 5. Dezember 1935 die Weisung,
beim Führer festzustellen, "welche konkrete Bedeutung er Verhandlungen
auf der Basis der Rede
vom 21. Mai 1935 beimesse". Zu diesem Zweck
erörterte er nochmals die dreizehn Punkte des deutschen
Friedensprogramms.
Es ist bezeichnend, mit welch unerhörter Oberflächlichkeit dabei ein
so entscheidend wichtiger Vorschlag wie der des Verbots des Bombenabwurfs
außerhalb von Kampfzonen von britischer Seite abgetan wurde. [81] Nicht zuletzt war es auch diese
Unfähigkeit der Engländer, große und auf den ersten Blick
undurchführbar scheinende Vorschläge aufzugreifen und zu
verwirklichen, welche die deutsch-englischen Verhandlungen in allen Fragen
immer wieder zum Scheitern verurteilten.
Aus dem Telegramm des Außenministers Sir
Samuel Hoare
an den britischen Botschafter in Berlin, Sir Eric Phipps,
vom 5. Dezember 1935
6. Zur Orientierung von Ew. Exzellenz darf ich hier erklären,
daß einige bei diesen Punkten aufgeworfene Fragen, namentlich bei Punkt 1,
2, 3, 4 und 5 der Führerrede
vom 21. Mai 1935, überhaupt keine
Verhandlungsfragen sind, sondern grundsätzliche
Meinungsäußerungen der Deutschen Regierung. Andere von diesen
Punkten (namentlich die Teile von Punkt 8 betr.
Land- und Seestreitkräfte und Punkt 11 betr. Seerüstung)
behandeln entweder eine Frage (Landstreitkräfte), die jetzt sowohl von
Deutschland als auch von Frankreich als im Augenblick unlösbar
bezeichnet wird, oder Seefragen, die bereits im Flottenabkommen vom letzten
Juni behandelt oder bei der Flottenkonferenz zu behandeln sind. Punkt 9
behandelt die Abschaffung von gewissen Waffen und
Kriegführungsmethoden, insbesondere das Verbot des Bombenabwurfs
außerhalb der Kampfzone; ich glaube, daß der Reichskanzler,
ebensowenig wie auch wir, der Ansicht ist, daß dieses Ergebnis, das von der
Zustimmung vieler Mächte abhängt, in der allernächsten
Zukunft erreicht werden dürfte.
7. Die in den dreizehn Punkten, die in nicht allzuferner Zeit Gegenstand
einer Aussprache sein dürften, enthaltenen Fragen sind:
- Der Hinweis in Punkt 6 auf die Bereitwilligkeit der Deutschen
Regierung zum Abschluß von zweiseitigen Nichtangriffspakten mit
Nachbarstaaten;
- Der Hinweis in Punkt 7 und 8 auf den Luftpakt und Beschränkung der
Luftstreitkräfte;
- Der Hinweis in Punkt 10 auf die Beschränkung von schweren
Waffen; und
- Der Hinweis in Punkt 12 und 13 auf das Nichteingreifen in
Österreich.
(E: Cmd. 5143. Nr. 45. - D: Eigene
Übersetzung.)
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