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Das Jahr 1936

Hätte der damalige britische Premierminister Baldwin nicht das anmaßende und überhebliche Wort von der englischen Grenze am Rhein geprägt, so wäre das Interesse Englands an dem wichtigsten Ereignis des Jahres 1936, an der Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit im Rheinland, völlig unverständlich. Jenes Wort erleichtert das Verständnis der britischen Politik, wenn auch nicht das Verständnis ihrer Berechtigung.

Am 7. März 1936 waren die deutschen Truppen in das nach dem Locarno-Vertrag und nach Art. 42ff. des Versailler Vertrages entmilitarisierte Rheinland einmarschiert. Am Mittag desselben Tages gab der Führer in einer Reichstagsrede die politischen und rechtlichen Gründe an, die Deutschland diesen Schritt erlaubten. Er bestätigte auch bei dieser Gelegenheit seinen beständigen Wunsch und sein aufrichtiges Bemühen um eine allgemeine Verständigung mit England und Frankreich.


 27. 
Aus der Reichstagsrede des Führers vom 7. März 1936

Ich habe mich in den letzten drei Jahren bemüht, langsam, aber stetig die Voraussetzungen für eine deutsch-französische Verständigung zu schaffen. Ich habe dabei nie einen Zweifel darüber gelassen, daß zu den Voraussetzungen dieser Verständigung die absolute Gleichberechtigung und damit die gleiche Rechtswertung des deutschen Volkes und Staates gehört. Ich habe aber bewußt in dieser Verständigung nicht nur ein Problem gesehen, das auf den Wegen von Pakten gelöst wird, sondern ein Problem, das zunächst den beiden Völkern psychologisch nahegebracht werden muß, da es nicht nur verstandes-, sondern auch gefühlsmäßig vorbereitet werden soll. Ich habe daher auch oft den Vorwurf bekommen, daß meine Freundschaftsangebote keine konkreten Vorschläge enthalten hätten. Dies ist nicht richtig. Was konkret zur Entspannung der deutsch-französischen Beziehungen überhaupt vorgeschlagen werden konnte, habe ich auch mutig konkret vorgeschlagen.

Ich habe einst nicht gezögert, mich dem konkreten Vorschlag einer Rüstungsbegrenzung von 200 000 Mann anzuschließen. Ich habe mich, als dieser Vorschlag dann von den verantwortlichen Verfassern [86] selbst preisgegeben wurde, mit einem ganz konkreten neuen Vorschlag an das französische Volk und an die europäischen Regierungen gewandt. Auch der 300 000-Mann-Vorschlag erfuhr Ablehnung.

Ich habe eine ganze Reihe weiterer konkreter Vorschläge zur Entgiftung der öffentlichen Meinungen in den einzelnen Staaten und zur Reinigung der Kriegführung und damit letzten Endes zu einer wenn auch langsamen, so aber sicheren Abrüstung gebracht. Es ist ein einziger dieser deutschen Vorschläge wirklich berücksichtigt worden. Der realistische Sinn einer englischen Regierung hat meinen Vorschlag der Herstellung einer dauernden Relation zwischen der deutschen und englischen Flotte, die ebenso den Bedürfnissen der deutschen Sicherheit entspricht, wie umgekehrt Bedacht nimmt auf die enormen überseeischen Interessen eines großen Weltreiches, angenommen, und ich darf wohl darauf hinweisen, daß bis heute noch dieses Abkommen der praktisch einzig existierende wirkliche verständnisvolle und daher gelungene Versuch einer Rüstungsbegrenzung geblieben ist. Die Reichsregierung ist, wie Sie wissen, bereit, diesen Vertrag durch eine weitere qualitative Abmachung mit England zu ergänzen.

Ich habe den sehr konkreten Grundsatz ausgesprochen, daß die Sammelprogramme einer internationalen Paktomanie ebenso wenig Aussicht auf Verwirklichung besitzen wie die Generalvorschläge einer unter solchen Umständen von vornherein schon als undurchführbar erwiesenen Weltabrüstung. Ich habe demgegenüber betont, daß nur schrittweise an diese Fragen herangetreten werden kann, und zwar nach der Richtung des vermutlich geringsten Widerstandes hin. Ich habe aus dieser Überzeugung heraus den konkreten Vorschlag auch für einen Luftpakt entwickelt, unter der Zugrundelegung gleicher Stärken für Frankreich, England und Deutschland. Das Ergebnis war zunächst eine Mißachtung dieses Vorschlages und dann die Hereinführung eines neuen, in seinem militärischen Ausmaß unberechenbaren osteuropäisch-asiatischen Faktors in das europäische Gleichgewichtsfeld.

Ich habe mich jahrelang also mit konkreten Vorschlägen abgegeben, allein ich stehe nicht an zu erklären, daß mir mindest ebenso wichtig wie die sogenannten konkreten Vorschläge die psychologische Vorbereitung für die Verständigung erschienen ist, und ich habe auf dem Gebiete mehr getan, als ein aufrichtiger fremder Staatsmann jemals überhaupt auch nur erhoffen durfte.

Ich habe die Frage der ewigen europäischen Grenzrevisionen aus der Atmosphäre der öffentlichen Diskussion in Deutschland genommen. Man steht leider nur zu oft auf dem Standpunkt - und dies gilt besonders für ausländische Staatsmänner -, daß dieser Einstellung und ihren Handlungen keine besondere Bedeutung zukommt. Ich darf darauf hinweisen, daß es mir genau so möglich gewesen wäre, als Deutscher die Wiederherstellung der Grenzen vom Jahre 1914 moralisch als mein Programm aufzustellen und publizistisch und oratorisch zu vertreten, so wie das etwa französische Minister und Volksführer nach dem Jahre 1871 getan haben.

[87] Meine Herren Kritiker sollen mir auch auf diesem Gebiet nicht jede Fähigkeit absprechen. Es ist viel schwerer für einen Nationalisten, einem Volk zur Verständigung zuzureden, als das Umgekehrte zu tun. Und es würde für mich wahrscheinlich leichter gewesen sein, die Instinkte nach einer Revanche aufzupeitschen, als das Gefühl für die Notwendigkeit einer europäischen Verständigung zu erwecken und dauernd zu vertiefen. - Und dieses habe ich getan! Ich habe die deutsche öffentliche Meinung von Angriffen solcher Art gegen unsere Nachbarvölker befreit.

Ich habe aus der deutschen Presse jeden Haß gegen das französische Volk entfernt. Ich bemühte mich, in unsere Jugend das Verständnis für das Ideal einer solchen Verständigung hineinzubringen, und zwar sicher nicht erfolglos. Als vor wenigen Wochen die französischen Gäste in das Olympische Stadion in Garmisch-Partenkirchen einzogen, da hatten sie vielleicht Gelegenheit festzustellen, ob und inwieweit mir eine solche innere Umstellung des deutschen Volkes gelungen ist.

Diese innere Bereitwilligkeit aber, eine solche Verständigung zu suchen und zu finden, ist wichtiger als ausgeklügelte Versuche von Staatsmännern, die Welt in ein Netz juristisch und sachlich undurchsichtiger Pakte zu verspinnen.

Dieses Bestreben von mir war aber doppelt so schwer, weil ich in derselben Zeit Deutschland aus der Verstrickung eines Vertrages lösen mußte, der ihm seine Gleichberechtigung raubte, an dessen Aufrechterhaltung aber - ob mit Recht oder Unrecht ist nebensächlich - das französische Volk geglaubt hat interessiert sein zu müssen.

Ich habe dabei gerade als deutscher Nationalist für das deutsche Volk noch ein weiteres besonders schweres Opfer bringen müssen. Es ist bisher, wenigstens in der neueren Zeit, noch nie versucht worden, nach einem Krieg dem Verlierer souveräne Hoheitsrechte über große und alte Teile seines Reiches einfach abzusprechen. Ich habe nur im Interesse dieser Verständigung dieses schwerste Opfer, das man uns politisch und moralisch aufbürden konnte, getragen und wollte es weiter tragen, nur weil ich glaubte, einen Vertrag aufrechterhalten zu sollen, der vielleicht mithelfen konnte, die politische Atmosphäre zwischen Frankreich und Deutschland und England und Deutschland zu entgiften und das Gefühl einer Sicherheit auf allen Seiten zu verbreiten.

Ja, darüber hinaus habe ich oft und auch hier in diesem Hause die Auffassung vertreten, daß wir nicht nur bereit sind, diesen schwersten Beitrag für die europäische Friedenssicherung zu tragen, solange auch die anderen Partner ihre Verpflichtungen erfüllen, sondern daß wir in diesem Vertrage überhaupt den einzig möglichen, weil konkreten Versuch einer europäischen Sicherung erblicken wollen.

Ihnen, meine Abgeordneten, ist der Inhalt und der Sinn dieses Vertrages bekannt. Er sollte zwischen Belgien und Frankreich einerseits und Deutschland andererseits für alle Zukunft die Anwendung von Gewalt verhindern. Durch die schon vorher abgeschlossenen Bündnisverträge Frankreichs ergab sich leider die erste, wenn auch [88] den Sinn dieses Rheinpaktes noch nicht aufhebende Belastung. Deutschland leistete zu diesem Pakt den schwersten Beitrag, denn während Frankreich seine Grenze in Erz, Beton und Waffen armierte und mit zahlreichen Garnisonen versah, wurde uns die fortdauernde Aufrechterhaltung einer vollkommenen Wehrlosigkeit im Westen aufgebürdet. Dennoch haben wir auch dies erfüllt in der Hoffnung, durch einen solchen, für eine Großmacht so schweren Beitrag dem europäischen Frieden zu dienen und der Verständigung der Völker zu nützen.

(Verhandlungen des Reichstags, Bd. 458, S. 69ff.)

Es war bezeichnend, daß die durch Außenminister Eden vor dem Unterhaus bekanntgegebene Stellungnahme der britischen Regierung weder auf die tieferen Rechtsgründe des deutschen Vorgehens, noch auf die Wiederholung des deutschen Verständigungswunsches einging, sondern sich auf den formalistischen Einwand beschränkte, Deutschland habe durch die einseitige Auflösung des Locarno-Vertrages die internationale Lage erschwert.


 28. 
Aus der Unterhausrede des britischen Außenministers Eden vom 9. März 1936 zur Wiederbesetzung des Rheinlandes

Nach dem Empfang dieser Mitteilung durch den deutschen Botschafter erklärte ich Sr. Exzellenz, daß er irgendwelche ins einzelne gehende Bemerkungen über ein Dokument von dieser Bedeutung nicht von mir erwarten könne, ehe ich nicht Gelegenheit gehabt hätte, es durchzuarbeiten und mich mit meinen Kollegen über die dadurch geschaffene Situation zu besprechen.

Gleichzeitig sagte ich Sr. Exzellenz, daß ich eine Bemerkung allerdings sofort machen müsse. Ich sprach mein tiefes Bedauern aus über die Mitteilung, die mir der Botschafter über die Aktion der deutschen Regierung hinsichtlich der entmilitarisierten Zone gemacht hatte. Der deutsche Botschafter werde würdigen können, daß dies auf die einseitige Aufhebung eines freiwillig eingegangenen und freiwillig unterzeichneten Vertrages hinauslaufe.

Ich hatte eine deutliche Erinnerung an die Erklärung, die mir der Reichskanzler bei unserem ersten Zusammentreffen in Berlin über den Locarnovertrag machte. Er machte eine klare Unterscheidung zwischen diesem Vertrag und dem Vertrag von Versailles und betonte, daß Deutschland den Locarnovertrag freiwillig unterzeichnet hätte.

Ich sagte dem Botschafter, daß mir die Auffassung der deutschen Regierung hinsichtlich der Auswirkungen des französisch-sowjetrussischen Paktes auf den Locarnovertrag bekannt sei. Diese Auffassung werde jedoch von den übrigen Signatarmächten des Vertrages nicht geteilt, und wenn die deutsche Regierung trotz der Ansicht der übrigen Signatarmächte ihre Schlußfolgerungen noch aufrechterhalte, dann stehe ein geeignetes Schiedsverfahren zu ihrer Verfügung.

[89] Ich fürchtete, daß die unvermeidliche Wirkung der einseitigen Aufhebung dieses Vertrages auf die Regierung Sr. Majestät und auf die öffentliche Meinung in Großbritannien bedauerlich sein würde.

Was nun den letzten Teil der Mitteilung des Botschafters betrifft, so erklärte ich, daß die Regierung Sr. Majestät diesen genau prüfen müsse, aber daß die Erklärung über die deutsche Haltung gegenüber dem Völkerbund zweifellos außerordentlich bedeutungsvoll sei. Der Botschafter unterrichtete mich daraufhin, daß die Entscheidung der deutschen Regierung hinsichtlich des Völkerbundes weitgehend ihrem Wunsch zuzuschreiben sei, den häufig von dem Premierminister und mir geäußerten Ansichten entgegenzukommen, in denen wir nachdrücklich betonten, daß die Politik der Regierung Sr. Majestät sich auf den Völkerbund und die kollektive Sicherheit gründet.

Deutschland, sagte er, sei bereit, sich dieser Politik anzuschließen, und knüpfe keine Bedingungen an seine Rückkehr in den Völkerbund.

Wenn die deutsche Regierung erwarte, daß die Völkerbundssatzung im geeigneten Zeitpunkt aus dem Versailler Vertrag gelöst und die Frage der kolonialen Gleichberechtigung geregelt würde, seien dies keine Bedingungen, sondern Verhandlungsgegenstände nach vollzogener Rückkehr Deutschlands in den Völkerbund.

Ich beabsichtige nicht die Bedeutung der deutschen Mitteilung, über die ich dem Hause berichtet habe, zu unterstreichen. Gleichlautende Memoranden sind den übrigen Signatarmächten des Locarnovertrages, nämlich Frankreich, Italien und Belgien, übermittelt worden.

Bevor ich jedoch zu Bemerkungen allgemeiner Art übergehe, möchte ich das Haus über die Schritte unterrichten, die in der unmittelbaren Zukunft getan werden müssen.

Die französische und die belgische Regierung haben mit vollem Wissen und im Einverständnis mit der Regierung Sr. Majestät beantragt, daß der Völkerbundsrat sobald als möglich einberufen werden soll, um die Sachlage zu prüfen. Ich muß dabei betonen, daß der Völkerbundsrat das für diesen Zweck zuständige Organ ist.

Der Rat wird, wie verlautet, am nächsten Freitag zusammentreten, und vor dieser Tagung kann natürlich keine Entscheidung getroffen werden. Aber morgen wird in Paris ein Meinungsaustausch stattfinden zwischen den Vertretern der vier Locarnomächte ohne Deutschland, der übermorgen in Genf fortgesetzt werden wird. Die Regierung Sr. Majestät wird bei diesen Besprechungen durch den Lordsiegelbewahrer Lord Halifax und mich vertreten sein.

Ich habe dem Haus nun einen Bericht über die jüngsten Ereignisse gegeben, mit einigen Anmerkungen dazu. Ich habe dem Haus außerdem die Einzelheiten des in der nächsten Zukunft einzuschlagenden Verfahrens, soweit sie mir bekannt sind, mitgeteilt.

Aber die ehrenwerten Mitglieder werden zweifellos schon jetzt einige Andeutungen erwarten über die Gedanken und Absichten, mit denen die Vertreter der Regierung Sr. Majestät in Genf an ein Problem herangehen müssen, dessen Entwicklung bis jetzt noch in [90] einigen wichtigen Punkten undurchsichtig ist. Das ist sicherlich wünschenswert, denn niemand kann die Bedeutung der stabilisierenden Kraft einer klarsichtigen und einigen britischen Meinung auf die europäischen Angelegenheiten in diesem kritischen Zeitpunkt übersehen.

Wir wollen uns nicht täuschen, der Kurs, den die deutsche Regierung eingeschlagen hat, indem sie einseitig Verpflichtungen aufhob, die sie freiwillig eingegangen ist, und indem sie gleichzeitig so handelt, als ob diese Verpflichtungen nicht beständen, kompliziert und erschwert die internationale Lage.

(E: Parliamentary Debates. House of Commons. Bd. 309, Sp. 181[0]ff. [Scriptorium merkt an: im Original "1814ff."] - D: Weltgeschichte der Gegenwart, Bd. 3, S. 364f.)

Verhandlungen über gewisse Einschränkungen der Remilitarisierung des Rheinlandes, zu denen Deutschland bereit war, scheiterten daran, daß von englischer Seite Forderungen gestellt wurden, die nach wie vor eine schwere und durch nichts begründete einseitige Beschränkung der deutschen Hoheitsrechte bedeutet hätten. Es kam daher - ähnlich wie ein Jahr vorher in der Frage der deutschen Wehrfreiheit - zu einer erneuten Diskriminierung Deutschlands durch den in London tagenden Völkerbundsrat.


 29. 
Amtliche Verlautbarung über die Mitteilung des britischen Außenministers Eden an den deutschen Botschafter in London vom 11. März 1936

Es wurde bekanntgegeben, daß Herr Eden nach der außerordentlichen Sitzung des Kabinetts am Mittwochabend den deutschen Botschafter Herrn von Hoesch sah und ihm sagte, daß man die ernste Beurteilung der gegenwärtigen Situation durch die britische Regierung schwerlich übertreiben könne. Herr Eden teilte dem Botschafter mit, daß am folgenden Tag eine zweite Sitzung der Locarnomächte stattfinden würde und daß sich die britische Regierung daher berechtigt fühlte, Herrn Hitler zu bitten, sobald als möglich einen spontanen Beitrag zu einer Regelung zu liefern.

Herr Eden gab dann den Umfang des zu leistenden spontanen Beitrags an. Er schlug vor, die deutsche Regierung möge, um die Aufrichtigkeit ihrer Wünsche darzutun,

  1. alle Truppen bis auf eine symbolische Zahl aus der Rheinlandzone zurückziehen;
  2. die Zahl nicht vermehren;
  3. es übernehmen, die Zone nicht zu befestigen, wenigstens nicht während des Zeitraumes, der nötig sei, um die Pakte zu verhandeln und die internationale Situation einzurenken.

Er (Herr Eden) sei sicher, daß, wenn die deutsche Regierung eine solche spontane Geste machen würde, dies ein wertvoller Beitrag zur Entspannung der internationalen Situation sein würde.

(E: The Times vom 13. März 1936. - D: Eigene Übersetzung.)


[91]
 30. 
Amtliche Verlautbarung über die Mitteilung
des deutschen Botschafters in London vom 12. März 1936
an Außenminister Eden

Eine Diskussion über dauernde oder vorübergehende Beschränkungen unserer Souveränität in der Rheinlandzone kann für uns nicht in Betracht kommen.

Um der französischen Regierung ein Eingehen auf die deutschen Vorschläge zu erleichtern, will der Führer und Reichskanzler aber seine von Anfang an bekundete Absicht, die Wiederherstellung der Souveränität im Rheinland zunächst nur symbolisch in Erscheinung treten zu lassen, in folgender Weise präzisieren:

Die Stärke der im Rheinland friedensmäßig in Garnisonen stationierten Truppen wird vorerst nicht erhöht werden.

Es besteht bis auf weiteres nicht die Absicht, diese Truppen näher an die französische oder belgische Grenze heranzuführen.

Das vorstehend gekennzeichnete Maß der militärischen Wiederbesetzung des Rheinlandes gilt für die Dauer der schwebenden Verhandlungen. Dies setzt allerdings eine gleiche Einstellung auch auf französischer und belgischer Seite voraus.

(DNB. vom 13. März 1936.)


 31. 
Resolution des Völkerbundrates vom 19. März 1936

Der Völkerbundrat stellt auf Ersuchen Belgiens und Frankreichs vom 8. März 1936 fest, daß die Deutsche Regierung gegen Artikel 43 des Versailler Vertrages verstoßen hat, indem sie am 7. März 1936 militärische Streitkräfte in die durch die Artikel 42ff. des besagten Vertrages und durch den Locarnopakt demilitarisierte Zone einrücken und dort Fuß fassen ließ, und fordert den Generalsekretär in Anwendung von Artikel 4 Abs. 2 des Locarnopaktes auf, den Signatarmächten dieses Paktes von dieser Feststellung Mitteilung zu machen.

(F: S. d. N. Journal Officiel, April 1936, S. 340. - D: Berber: Locarno, S. 287f.)

Wenn auch die britische Regierung in dieser ihre Lebensinteressen überhaupt nicht berührenden Frage nicht bereit war, einem Sanktionsvorschlag zuzustimmen, so gingen die von ihr an Deutschland gestellten Zumutungen doch so weit, daß Außenminister Eden sich genötigt sah, auch in der englischen Öffentlichkeit lautgewordene Bedenken zu beschwichtigen.


 32. 
Aus der Unterhausrede des britischen Außenministers Eden
vom 26. März 1936

Es ist kein Geheimnis, welche Haltung die französische und die belgische Regierung einnahmen. Sie erklärten, daß es ihnen nicht möglich wäre, mit Deutschland zu verhandeln, bevor irgendeine Aktion in die Wege geleitet sei, die zeigte, daß die Gültigkeit internationaler Verträge aufrechterhalten bliebe. Als wir fragten, welche [92] Vorschläge sie in dieser Richtung machten, sagte uns die französische Regierung, daß es ihrer Ansicht nach notwendig sei, daß Deutschland seine Truppen aus der Zone zurückziehen solle, in die es entgegen den Verpflichtungen eines von ihm unterzeichneten Vertrages einmarschiert war. Als wir fragten, wie diese Forderung durchgesetzt werden sollte, wenn Deutschland sich weigern würde, wurde uns geantwortet: Wenn die Zurückziehung auf keine andere Weise erreicht werden könnte, dann sollte sie durch einen steigenden Druck, beginnend mit finanziellen und wirtschaftlichen Sanktionen, durchgesetzt werden. Wir teilten diesen Standpunkt nicht. Wir verkannten weder die Schwere des begangenen Vertragsbruches noch die Folgen für Europa, aber wir hielten es für unsere gebieterische Pflicht zu versuchen, durch Verhandlungen das Vertrauen wiederherzustellen. Dies war unser Ziel von der ersten Stunde an in diesen kritischen vierzehn Tagen; wir haben durchweg versucht, wiederaufzubauen. Aber - wir müssen dieser Tatsache ins Auge sehen - es ist unmöglich wiederaufzubauen, wenn nicht die Grundlagen gut und wahrhaftig gelegt werden können, und die Grundlagen können dann nicht gut und wahrhaftig gelegt werden, wenn einige Beteiligte glauben, daß das Gebäude schließlich doch nur das Schicksal seiner Vorgänger teilen wird. Es ist unsere Aufgabe gewesen, eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen, in der diese Verhandlungen stattfinden konnten. Dies waren allgemein die Gesichtspunkte beim Beginn.

Wir dachten, der Lordsiegelbewahrer und ich, daß es bei der Beschaffenheit der gegenwärtigen Phase internationaler Beziehungen klug wäre zu versuchen, unsere Kollegen dahin zu bringen, daß der Schauplatz der Verhandlungen von Paris nach London verlegt würde. Sie willigten ein, und das Ergebnis war, daß die Tagungen des Rates und der Locarnomächte in London stattfanden. Es waren viele Tage angespannter und sogar kritischer Verhandlungen. Der schwierige Kernpunkt unseres Problems blieb immer: Wie sollte das internationale Recht verteidigt werden? Wie sollten wir - woran uns selber am meisten lag - diese schwierige vorläufige Periode überbrücken, bis die Verhandlungen beginnen konnten? Das Weißbuch enthält drei Vorschläge für diesen Zweck. Es fordert Deutschland auf, dreierlei zu tun: den Streit über das Verhältnis vom französisch-sowjetrussischen Pakt zum Locarnopakt vor den Haager Gerichtshof zu bringen; eine Befestigung der entmilitarisierten Zone zu unterlassen und einer internationalen Truppe für die vorläufige Periode zuzustimmen.

Ich möchte jeden in diesem Hause, der diese Forderung für zu weitgehend hält, bitten, sich an unseren Ausgangspunkt in Paris zu erinnern, an die Forderung, die damals erhoben wurde, und die ganz folgerichtig und berechtigt auf Grund des Wortlautes des Vertrages selbst erhoben werden konnte. Ich muß klarstellen, daß diese Vorschläge stets Vorschläge gewesen sind. Sie sind kein Ultimatum, noch weniger ein "Diktat". Wenn bei der internationalen Truppe die Schwierigkeit läge, und wenn die deutsche Regierung einige andere positive Vorschläge statt dessen machen könnte, dann würde die Re- [93] gierung Sr. Majestät völlig bereit sein, an die übrigen beteiligten Mächte heranzutreten und zu versuchen, ihre Zustimmung dazu zu erhalten; aber man muß zugeben, daß ohne einen positiven Beitrag von deutscher Seite die Aufgabe derer, deren einziges Ziel und einziger Ehrgeiz die Ermöglichung dieser Verhandlungen ist, fast unmöglich ist.

(E: Parliamentary Debates. House of Commons. Bd. 310, Sp. 1439ff. [Scriptorium merkt an: im Original "1443ff."] - D: Weltgeschichte der Gegenwart, Bd. 3, S. 419 f.)

Der Führer hat sich durch das Verhalten der britischen Regierung in der Rheinlandfrage - das im übrigen in einem bemerkenswerten Gegensatz zur öffentlichen Meinung in England stand - nicht entmutigen lassen, seine konstruktiven Pläne für die Neuordnung Europas in einem großzügigen Friedensplan niederzulegen, der den Westmächten am 31. März 1936 in Form eines Memorandums übergeben wurde.


 33. 
Memorandum der Reichsregierung vom 31. März 1936
(Deutscher Friedensplan)

Die eingeklammerten Zahlen stammen aus der englischen Übersetzung des deutschen Memorandums und sind in den Text hier oben [Scriptorium: in diesem online-Nachdruck nachfolgend] eingeschaltet worden, weil der britische Fragebogen (u. S. 101ff.) auf die Zahlen mehrfach Bezug nimmt.
Mit aufrichtiger Zustimmung hat die Deutsche Regierung von dem Botschafter v. Ribbentrop erfahren, daß es der Wunsch der Britischen Regierung und des britischen Volkes ist, baldmöglichst mit den praktischen Arbeiten für eine wahre Befriedung Europas zu beginnen. Dieser Wunsch deckt sich mit den innersten Absichten und Hoffnungen des deutschen Volkes und seiner Führung. Es erfüllt daher die Deutsche Regierung mit um so größerem Bedauern, daß sie nicht in der Lage ist, in dem ihr am 20. März übergebenen Entwurf der Vertreter der Locarnomächte eine taugliche und fruchtbare Grundlage für die Einleitung und Durchführung einer solchen wahrhaften Friedensarbeit erkennen zu können.

Es fehlt diesem Entwurf in den Augen des deutschen Volkes und in den Augen seiner Regierung jener Geist des Verständnisses für die Gesetze der Ehre und Gleichberechtigung, die im Leben der Völker zu allen Zeiten die erste Voraussetzung für die Abmachung freier und damit geheiligter Verträge bilden.

(2) I, Die Deutsche Regierung glaubt es dem heiligen Ernst der in Frage stehenden Aufgabe schuldig zu sein, sich in der Feststellung der negativen Seite des ihr übergebenen Memorandums auf das Allernotwendigste zu beschränken. Sie will aber dafür versuchen, durch eine Erweiterung und Klärung ihrer am 7. März ausgesprochenen Vorschläge von ihrer Seite aus den Beginn einer konkreten Arbeit der europäischen Friedenssicherung zu erleichtern.

(3) Zum Verständnis ihrer Ablehnung der einzelnen diskriminierenden Punkte sowie zur Begründung ihrer konstruktiven Vorschläge muß die Deutsche Regierung folgendes grundsätzlich erklären:

[94] (4) Die Deutsche Regierung hat soeben vom deutschen Volk unter anderem ein feierliches Generalmandat erhalten zur Vertretung des Reiches und der deutschen Nation nach zwei Richtungen:

1. Das deutsche Volk ist entschlossen, unter allen Umständen seine Freiheit, seine Selbständigkeit und damit seine Gleichberechtigung zu wahren. Es sieht in der Vertretung dieser natürlichen internationalen Grundsätze des staatlichen Lebens ein Gebot der nationalen Ehre und eine Voraussetzung für jede praktische Zusammenarbeit der Völker, von der es unter keinen Umständen mehr abgehen wird.

2. Das deutsche Volk wünscht aus aufrichtigstem Herzen mit allen seinen Kräften mitzuhelfen am großen Werk einer allgemeinen Versöhnung und Verständigung der europäischen Nationen zum Zweck der Sicherung des für diesen Kontinent, seine Kultur und seine Wohlfahrt so notwendigen Friedens.

(5) Dies sind die Wünsche des deutschen Volkes und damit die Verpflichtung der Deutschen Regierung.

(6) Die Deutsche Regierung möchte weiter in Anlehnung an ihre in der vorläufigen Note vom 24. März 1936 schon mitgeteilte grundsätzliche Einstellung noch folgendes bemerken:

A. Deutschland hat im Jahre 1918 den Waffenstillstand abgeschlossen auf Grund der 14 Punkte Wilsons. Diese sahen keinerlei Einschränkung der deutschen Souveränität im Rheinland vor. Im Gegenteil: Der hauptsächlichste Grundgedanke dieser Punkte war, durch eine neue Völkerordnung einen besseren und dauerhaften Frieden aufzubauen. Er sollte im weitesten Umfange dem Selbstbestimmungsrecht gerecht werden, und zwar ohne Rücksicht auf Sieger oder Besiegte!

B. Der Königlich Britische Außenminister hat in seiner Rede vom 26. März über die entmilitarisierte Zone mitgeteilt, daß diese letzten Endes nur als Ablösung für eine eigentlich von Frankreich im Jahre 1918 angestrebte Lostrennung des Rheinlandes errichtet wurde. Aus dieser Feststellung ergibt sich, daß die entmilitarisierte Zone selbst nur als Folge der vorausgegangenen Verletzung einer auch die Alliierten bindenden Verpflichtung entstanden ist.

C. Die Demilitarisierungsbestimmungen des Versailler Vertrages basierten demnach selbst auf der Verletzung einer Deutschland gegebenen Zusicherung und besaßen als einziges rechtliches Argument nur die Gewalt. Sie sind vom Versailler Vertrag in den Locarnopakt übernommen worden nach einer neuerlichen Rechtsverletzung, nämlich der Besetzung des Ruhrgebietes, die selbst von englischen Kronjuristen als Rechtsbruch bezeichnet worden ist.

D. Der sogenannte "freiwillige Verzicht" auf die Souveränität Deutschlands in diesen westlichen Provinzen des Reiches ist mithin eine Folge des Versailler Diktats und einer Kette von sich hier anschließenden schwersten Bedrückungen des deutschen Volkes, wobei insbesondere hingewiesen werden muß auf die furchtbare Not- und Zwangslage des Reiches infolge der Rheinlandbesetzung.

(7) Wenn daher von seiten der Britischen Regierung heute erklärt [95] wird, daß man wohl von einem Diktat von Versailles gesprochen habe, aber doch niemals von einem Diktat von Locarno, so muß die Deutsche Regierung mit der Gegenfrage antworten:

"Gab es oder kann es überhaupt in der Welt ein großes Volk geben, das freiwillig und ohne äußersten Zwang einseitig auf seine Hoheitsrechte, und zwar in diesem Fall auf das primitivste Recht der Verteidigung seiner eigenen Grenze verzichtet hat oder verzichten würde?"

(8) Trotzdem aber hat das deutsche Volk diesen Zustand 17 Jahre lang ertragen und noch am 21. Mai 1935 erklärte der Deutsche Reichskanzler, daß "die Deutsche Reichsregierung in der entmilitarisierten Zone einen für einen souveränen Staat unerhört schweren Beitrag zur Beruhigung Europas sieht", und daß die Reichsregierung "alle aus dem Locarnovertrag sich ergebenden Verpflichtungen so lange halten wird, als auch die anderen Vertragspartner bereit sind, zu diesem Pakt zu stehen".

(9) Die Deutsche Reichsregierung hat bereits in ihrer vorläufigen Note vom 24. März 1936 darauf hingewiesen, daß der von Frankreich mit Sowjetrußland abgeschlossene militärische Vertrag dem Locarnopakt sowohl die rechtliche als aber besonders die politische Grundlage und damit die Voraussetzung seiner Existenz entzogen hat. Es erübrigt sich, hierauf noch einmal näher einzugehen. Denn:

Es ist kein Zweifel, daß die Tendenz, Europa mit Militärbündnissen zu durchziehen, überhaupt dem Geist und Sinn der Aufrichtung einer wirklichen Völkergemeinschaft widerspricht. Es wächst die große Gefahr, daß aus dieser allgemeinen Verstrickung in militärische Allianzen ein Zustand entsteht, der jenem gleicht, dem die Welt den Ausbruch ihres furchtbarsten und sinnlosesten Krieges mit in erster Linie zu verdanken hatte.

(10) Es liegt nun nicht im Vermögen einer einzelnen Regierung, eine solche von bestimmten Großmächten eingeleitete Entwicklung zu verhindern, allein es gehört zum pflichtgemäßen Auftrag jeder Regierung, innerhalb der Grenzen des eigenen Hoheitsgebietes Vorsorge vor jenen Überraschungen zu treffen, die sich aus einer solchen undurchsichtigen europäischen Militär- und Kabinettspolitik ergeben können.

(11) Die Deutsche Regierung hat daher nach der vorliegenden Entwicklung, die eine Aufhebung der juristischen und politischen Grundlagen und Voraussetzungen des Locarnopaktes bedeutet, sich auch ihrerseits als an diesen Pakt nicht mehr gebunden erklärt und die Souveränität des Reiches über das gesamte Reichsgebiet wiederhergestellt.

(12) Die Deutsche Regierung ist nicht in der Lage, ihren zur Sicherheit des Reiches unternommenen, nur deutsches Reichsgebiet betreffenden und niemand bedrohenden Schritt der Würdigung eines Gremiums zu unterstellen, das selbst im günstigsten Fall nur die rechtliche Seite, aber unter gar keinen Umständen die politische zu beurteilen in der Lage ist. Dies gilt um so mehr, als der Völkerbundrat bereits eine Ent- [96] scheidung getroffen hat, die die rechtliche Beurteilung der Frage präjudiziert.

(13) Die Deutsche Regierung ist weiter der Überzeugung, daß ein solches Urteil nicht nur keinen positiven Beitrag liefern könnte für eine wirkliche konstruktive Lösung der Frage der europäischen Sicherheit, sondern ausschließlich geeignet ist, eine solche Lösung zu erschweren, wenn nicht gar zu verhindern.

(14) Im übrigen: Entweder man glaubt an die Möglichkeit einer allgemeinen europäischen Friedenssicherung, dann kann ein solcher beabsichtigter Eingriff in die Hoheitsrechte eines Staates nur erschwerend wirken, oder man glaubt an eine solche mögliche Friedenssicherung nicht, dann käme einem solchen Entscheid höchstens nachträglich eine feststellende juristische Bedeutung zu.

(15) Die Deutsche Regierung kann daher in diesem Punkte sowie in jenen weiteren dieses Entwurfes der Vertreter der Locarnomächte, die sich nur als einseitig belastend für Deutschland erweisen, nicht nur keinen nützlichen Beitrag für eine wirklich großzügige und konstruktive Lösung der Frage der europäischen Sicherheit erblicken, sondern höchstens Elemente der Diskriminierung eines großen Volkes und damit einer Infragestellung jeder dauerhaften Friedensgestaltung.

(16) Entsprechend dem ihr vom deutschen Volke erteilten Auftrag muß daher die Deutsche Regierung alle Deutschland einseitig belastenden und damit diskriminierenden Vorschläge dieses Entwurfes ablehnen.

(17) Deutschland hat, wie schon aus seinem Angebot hervorgeht, nicht die Absicht, jemals Belgien oder Frankreich anzugreifen. Es ist bekannt, daß bei der gigantischen Rüstung Frankreichs und den enormen Festungswerken an der französischen Ostgrenze ein solcher Angriff aber auch rein militärisch sinnlos wäre.

(18) Aus diesen Gründen ist der Deutschen Regierung auch der Wunsch der Französischen Regierung nach sofortigen Generalstabsverhandlungen unverständlich. Die Deutsche Regierung würde darin nur ein ernstes Präjudiz sehen, wenn vor dem Abschluß der neuen Sicherheitspakte solche Generalstabsabmachungen zustande kämen. Sie ist der Auffassung, daß solche Abmachungen in jedem Falle erst die Folge der politischen Beistandsverpflichtungen der fünf Locarnomächte sein, und dann nur auf streng reziproker Grundlage stattfinden könnten!

(19) Die Deutsche Regierung ist weiter der Auffassung, daß der Komplex der vorliegenden Probleme zur leichteren Lösung nach den Gesichtspunkten der beabsichtigten Ziele zweckmäßig gegliedert werden müßte. Sie muß dann aber folgende grundsätzliche Fragen stellen:

Welches soll das Ziel der Bemühungen der europäischen Diplomatie sein?

A. Soll dieses Ziel sein, die sich als für jede dauernde Friedenssicherung als ungeeignet erwiesene Zweiteilung der europäischen Völker in Mehr- oder Wenigerberechtigte, in Ehren- oder Unehrenhafte, in Freie oder Unfreie unter irgendwelchen neuen Formen oder Modifizierungen beizubehalten oder fortzuführen?

[97] Soll es weiter die Absicht der europäischen diplomatischen Bestrebungen sein, aus einem solchen Willen heraus auf dem Wege einfacher majorisierender Beschlüsse Feststellungen über Vergangenes zu treffen, Urteile aufzurichten, um damit die scheinbar juristisch noch fehlenden Begründungen für die Fortführung dieses früheren Zustandes zu finden? Oder soll

B. das Bemühen der europäischen Regierungen daraufhin gerichtet sein, unter allen Umständen zu einer wirklich konstruktiven Ordnung des Verhältnisses der europäischen Nationen untereinander und damit zu einer dauerhaften Friedensgestaltung und -sicherung zu kommen?

(20) Die Deutsche Regierung ist es ihrem Volke schuldig, hier eindeutig zu erklären, daß sie nur an diesem zweiten, in ihren Augen allein aufbauenden Versuche teilnehmen wird, und dies dann allerdings aus tiefinnerster Überzeugung und mit dem vollen Gewicht des aufrichtigen und sehnsüchtigen Willens der hinter ihr stehenden Nation.

(21) Die Deutsche Regierung glaubt, daß dann die vor den europäischen Staatsmännern liegende Gesamtaufgabe in drei Abschnitte gegliedert werden müßte:

  1. In die Zeit einer allmählich sich beruhigenden Atmosphäre zur Klärung der Prozedur für die einzuleitenden Verhandlungen.
  2. In den Abschnitt der eigentlichen Verhandlungen zur Sicherstellung des europäischen Friedens.
  3. In eine spätere Periode der Behandlung jener wünschenswerten Ergänzungen des europäischen Friedenswerkes, die weder in Inhalt noch in Umfang von vornherein genau festgelegt oder begrenzt werden können oder sollten (Abrüstungs- und Wirtschaftsfragen usw.).

(22) Zu diesem Zweck schlägt die Deutsche Regierung nun folgenden Friedensplan vor:

1. Um den kommenden Abmachungen für die Sicherung des europäischen Friedens den Charakter heiliger Verträge zu verleihen, nehmen an ihnen die in Frage kommenden Nationen nur als vollkommen gleichberechtigte und gleichgeachtete Glieder teil. Der einzige Zwang für die Unterzeichnung dieser Verträge kann nur in der sichtbaren von allen erkannten Zweckmäßigkeit dieser Abmachungen für den europäischen Frieden und damit für das soziale Glück und das wirtschaftliche Wohlergehen der Völker liegen.

2. Um die Zeit der Unsicherheit im Interesse des wirtschaftlichen Lebens der europäischen Völker möglichst abzukürzen, schlägt die Deutsche Regierung vor, den ersten Abschnitt bis zur Unterzeichnung der Nichtangriffspakte und damit der garantierten europäischen Friedenssicherung auf vier Monate zu begrenzen.

3. Die Deutsche Regierung versichert unter der Voraussetzung eines sinngemäßen gleichen Verhaltens der Belgischen und Französischen Regierung, für diesen Zeitraum keinerlei Verstärkung der im Rheinland befindlichen Truppen vorzunehmen.

[98] 4. Die Deutsche Regierung versichert, daß sie die im Rheinland befindlichen Truppen während dieses Zeitraumes nicht näher an die belgische und französische Grenze heranführen wird.

5. Die Deutsche Regierung schlägt zur Garantierung dieser beiderseitigen Versicherungen die Bildung einer Kommission vor, die sich aus Vertretern der Garantiemächte England und Italien und einer desinteressierten neutralen dritten Macht zusammensetzt.

6. Deutschland, Belgien und Frankreich sind berechtigt, je einen Vertreter in diese Kommission zu entsenden. Deutschland, Belgien und Frankreich besitzen das Recht, dann, wenn sie glauben, aus bestimmten Vorgängen auf eine Veränderung der militärischen Verhältnisse innerhalb dieses Zeitraumes von vier Monaten hinweisen zu können, ihre Wahrnehmungen der Garantiekommission mitzuteilen.

7. Deutschland, Belgien und Frankreich erklären sich bereit, in einem solchen Fall zu gestatten, daß diese Kommission durch die englischen und italienischen Militärattachés notwendige Feststellungen treffen läßt und hierüber den beteiligten Mächten berichtet.

8. Deutschland, Belgien und Frankreich versichern, daß sie die sich daraus ergebenden Beanstandungen im vollen Umfange berücksichtigen werden.

9. Im übrigen ist die Deutsche Regierung bereit, auf der Basis voller Gegenseitigkeit mit ihren beiden westlichen Nachbarn jeder militärischen Beschränkung an der deutschen Westgrenze zuzustimmen.

10. Deutschland, Belgien und Frankreich und die beiden Garantiemächte kommen überein, daß sie, sofort oder spätestens nach Abschluß der französischen Wahlen, unter Führung der Britischen Regierung in Beratungen eintreten über den Abschluß eines 25jährigen Nichtangriffs- bzw. Sicherheitspaktes zwischen Frankreich und Belgien einerseits und Deutschland andererseits.

11. Deutschland ist einverstanden, daß in diesem Sicherheitsabkommen England und Italien wieder als Garantiemächte unterzeichnen.

12. Sollten sich aus diesen Sicherheitsabmachungen besondere militärische Beistandsverpflichtungen ergeben, so erklärt sich Deutschland bereit, auch seinerseits solche Verpflichtungen auf sich zu nehmen.

13. Die Deutsche Regierung wiederholt hiermit den Vorschlag für den Abschluß eines Luftpaktes als Ergänzung und Verstärkung dieser Sicherheitsabmachungen.

14. Die Deutsche Regierung wiederholt, daß sie bereit ist, falls die Niederlande es wünschen, auch diesen Staat in dieses westeuropäische Sicherheitsabkommen einzubeziehen.

15. Um dem Werk dieser aus freiem Willen erfolgenden Friedenssicherung zwischen Deutschland einerseits und Frankreich andererseits den Charakter eines versöhnenden Abschlusses einer jahrhundertelangen Entzweiung zu geben, verpflichten sich Deutschland und Frankreich, darauf hinzuwirken, daß in der Erziehung der Jugend der beiden Nationen sowohl als in öffentlichen Publikationen alles [99] vermieden wird, was als Herabsetzung, Verächtlichmachung oder unpassende Einmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Seite geeignet sein könnte, die Einstellung der beiden Völker gegeneinander zu vergiften. Sie kommen überein, eine gemeinsame Kommission am Sitze des Völkerbundes in Genf zu bilden, die beauftragt sein soll, einlaufende Beschwerden den beiden Regierungen zur Kenntnisnahme und Überprüfung vorzulegen.

16. Deutschland und Frankreich verpflichten sich, im Verfolg der Absicht, dieser Abmachung den Charakter eines heiligen Vertrages zu geben, die Ratifizierung durch eine Abstimmung von den beiden Völkern selbst vornehmen zu lassen.

17. Deutschland erklärt sich bereit, seinerseits in Verbindung zu treten mit den Staaten an seiner Südost- und Nordostgrenze, um diese zum Abschluß der angebotenen Nichtangriffspakte unmittelbar einzuladen.

18. Deutschland erklärt sich bereit, sofort oder nach Abschluß dieser Verträge wieder in den Völkerbund einzutreten. Die Deutsche Regierung wiederholt dabei ihre Erwartung, daß im Laufe einer angemessenen Zeit auf dem Wege freundschaftlicher Verhandlungen die Frage der kolonialen Gleichberechtigung sowie die Frage der Trennung des Völkerbundstatutes von seiner Versailler Grundlage geklärt wird.

19. Deutschland schlägt vor, ein internationales Schiedsgericht zu bilden, das für die Einhaltung dieses Vertragswerkes zuständig sein soll und dessen Entscheidungen für alle bindend sind.

(23) Nach dem Abschluß eines solchen großen Werkes der europäischen Friedenssicherung hält es die Deutsche Reichsregierung für dringend notwendig, Versuche zu unternehmen, einem uferlosen Wettrüsten durch praktische Maßnahmen Einhalt zu gebieten. Sie würde darin nicht nur eine Erleichterung der finanziellen und wirtschaftlichen Lage der Völker sehen, sondern vor allem eine psychologische Entspannung.

(24) Die Deutsche Reichsregierung verspricht sich aber nichts von dem Versuch universaler Regelungen, der von vornherein zum Scheitern verurteilt sein würde und daher nur von denen vorgeschlagen werden kann, die am Zustandekommen eines praktischen Ergebnisses nicht interessiert sind. Sie glaubt, daß demgegenüber die Verhandlungen und Ergebnisse auf dem Gebiet der Beschränkung maritimer Rüstungen belehrend und anregend wirken können.

(25) Die Deutsche Reichsregierung schlägt daher die spätere Einberufung von Konferenzen mit jeweils nur einer, aber klar umrissenen Aufgabe vor.

(26) Sie sieht es als die zunächst wichtigste Aufgabe an, den Luftkrieg in die moralische und menschliche Atmosphäre der seinerzeit durch die Genfer Konvention dem Nichtkriegsteilnehmer oder dem Verwundeten zugebilligten Schonung zu bringen. So wie die Tötung wehrloser Verwundeter oder Gefangener oder die Verwendung von Dumdumgeschossen oder die Führung des warnungslosen U-Boot-Krieges [100] durch internationale Konventionen geregelt bzw. verboten worden sind, muß es einer zivilisierten Menschheit gelingen, auch auf den Gebieten neuer Waffenanwendung die Möglichkeit einer sinnlosen Entartung zu unterbinden, ohne dem Zweck der Kriegführung zu widersprechen.

(27) Die Deutsche Regierung schlägt daher für diese Konferenzen zunächst als praktische Aufgaben vor:

  1. Verbot des Abwurfes von Gas-, Gift- und Brandbomben.
  2. Verbot des Abwurfes von Bomben jeglicher Art auf offene Ortschaften, die sich außerhalb der Reichweite der mittleren schweren Artillerie der kämpfenden Fronten befinden.
  3. Verbot der Beschießung von Ortschaften mit weittragenden Kanonen außerhalb einer Gefechtszone von 20 km.
  4. Abschaffung und Verbot des Baues von Tanks schwerster Art.
  5. Abschaffung und Verbot schwerster Artillerie.

(28) Sowie sich aus solchen Besprechungen und Abmachungen die Möglichkeiten der weiteren Begrenzung der Rüstungen ergeben, sind diese wahrzunehmen.

(29) Die Deutsche Regierung erklärt sich schon jetzt bereit, jeder solchen Regelung, soweit sie international gültig wird, beizutreten.

(30) Die Deutsche Reichsregierung glaubt, daß, wenn auch nur ein erster Schritt auf dem Wege zur Abrüstung gemacht ist, dies von außerordentlicher Tragweite für die Einstellung der Völker zueinander sein wird, und damit auch für die Wiederkehr jenes Vertrauens, das die Voraussetzung für die Entwicklung von Handel und Wohlstand bildet.

(31) Um dem allgemeinen Wunsche nach einer Wiederherstellung günstiger wirtschaftlicher Verhältnisse zu entsprechen, ist sie daher bereit, im Sinne der gemachten Vorschläge sofort nach Abschluß des politischen Vertragswerkes mit den in Frage kommenden Ländern in einen Gedankenaustausch über wirtschaftliche Fragen einzutreten und alles in ihrer Macht stehende zur Verbesserung der Wirtschaftslage in Europa sowie der von dieser nicht zu trennenden Weltwirtschaft im allgemeinen beizutragen.

(32) Die Deutsche Reichsregierung glaubt, mit dem oben niedergelegten Friedensplan ihren Beitrag geleistet zu haben zum Aufbau eines neuen Europas auf der Basis der gegenseitigen Achtung und des Vertrauens zwischen souveränen Staaten. Manche Gelegenheiten zu dieser Befriedung Europas, zu der Deutschland in den letzten Jahren so oft die Hand bot, sind versäumt worden. Möge dieser Versuch einer europäischen Verständigung endlich gelingen.

(33) Die Deutsche Reichsregierung glaubt zuversichtlich, durch die Vorlegung des obigen Friedensplanes den Weg hierzu nunmehr freigemacht zu haben.

(DNB. vom 1. April 1936.)

Die englische Antwort auf dieses weitgespannte Programm einer europäischen Neuordnung war - ein "Fragebogen", und zwar ein Frage- [101] bogen, der nicht etwa sachliche Auskünfte verlangte, sondern durch die anmaßend-ironische Form seiner Formulierung offensichtlich darauf abzielte, den Gedanken an eine sachliche Erörterung der deutschen Vorschläge im Keime zu ersticken. Nur so ist es verständlich, daß die britische Regierung es für richtig hielt, ihren Fragebogen mit dem Bedauern einzuleiten, daß die deutsche Regierung nicht in der Lage gewesen sei, einen "greifbareren Beitrag zur Wiederherstellung des Vertrauens zu leisten, das eine so wesentliche Vorbedingung für die umfassenden Verhandlungen ist, die sie beide ins Auge gefaßt haben", und daß sie anfragen zu müssen glaubte, "ob sich das Deutsche Reich nunmehr in der Lage sieht, 'wirkliche Verträge' abzuschließen".

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Deutschland-England 1933-1939
Die Dokumente des deutschen Friedenswillens
Hg. von Prof. Dr. Friedrich Berber