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Vergebliche Verhandlungen über Rüstungsverständigung
und deutsche Revisionsforderungen 1933-36

Ein (damals) klarsehender Engländer, Lord Rothermere, kennzeichnet zutreffend die Situation von 1933:24 Während für den Kenner der Politik deutlich war, daß der 30. Januar 1933 einen Wendepunkt in der Geschichte Europas bedeutete, mochte man in England die nationalsozialistische Regierung nicht ernst nehmen und versäumte so Möglichkeiten der deutsch-englischen Verständigung. Man wollte nicht einsehen, daß die Zeit vorbei war, wo für die deutsche Regierung "die Abstellung des Unrechts (von Versailles) eine Angelegenheit bescheidenen Auftretens mit dem Hut in der Hand in Whitehall oder am Quai d'Orsay (war), wie es Brüning getan hatte"... Hitler und seine Männer waren von dem Gedanken durchdrungen, daß die von ihren parlamentarischen Vorgängern vorgetragenen demütigen Bitten um Abstellung und Hilfe zwecklos seien. Anderthalb Jahrzehnte lang hatten solche Bemühungen keine Änderung in den Friedensverträgen bewirkt, die der Haß gegen Deutschland wachhielt, das von bewaffneten Nachbarn eingeschlossen, selber aber unbewaffnet war. Es war zu erwarten, daß diese neue deutsche Regierung "von Bitten zu Forderungen übergehen und anstreben würde, diesen Forderungen mit entsprechender Macht ohne Rücksicht auf die verworfenen Friedensverträge Nachdruck zu verleihen."

Die deutsche Grundforderung nach Gleichberechtigung in Rüstung und Verträgen über Rüstungsbeschränkung war als Revisionsforderung zum Versailler Diktat rechtlich wohlbegründet. Sie stützt sich auf den vielfältigen Vertragsbruch, der dem Teil V des Versailler Diktates Bestimmungen über die Entwaffnung Deutschlands zugrunde lag, sowie auf das elementare Recht der nationalen Selbstverteidigung und der nationalen Ehre, das hier vertragsbrüchig verneint war. Sie stützte sich ferner auf die vertragliche Pflicht der vormaligen Kriegsgegner zur Herabsetzung ihrer Rüstungen gemäß der Satzung der Genfer Liga und dem Teil V des Versailler Diktatvertrages. Adolf Hitler suchte diese Grundforderung nach Rüstungsgleichheit zunächst im mühseligen Verhandlungswege und bereit zu weitgehendem Kompromiß mit den Widerständen der Gegner, der vormaligen Siegerpartei des Weltkrieges, durchzusetzen.

Als Rahmen für diese Verhandlungen bot sich die Genfer Abrüstungskonferenz. Deren Grundlage war Art. 8 der Satzung der Genfer Liga, in dem die Bundesmitglieder sich zu dem Grundsatz der Herabsetzung der Rüstungen bekennen. Im übrigen hatten sich die Kriegsgegner Deutschlands durch die Einleitungsklausel des Teil V verpflichtet: daß die Entwaffnung Deutschlands durchgeführt werde, "um den Beginn einer allgemeinen Rüstungsbeschränkung aller Nationen zu ermöglichen". Beides stand, wie sich aus den bekannten Motiven zur Satzung der Genfer Liga ergibt, in einem selbstverständlichen inneren Zusammenhang, der von französischer Seite bestritten, von Deutschland aber zur Basis seiner Forderung nach Gleichberechtigung in der vertraglichen Regelung der Rüstungsbeschränkung gemacht wurde. Als es nach langjährig verschleppten Verhandlungen in der sogenannten Vorbereitenden Abrüstungskonferenz der Genfer Liga endlich zu dem Konventionsentwurf für die Rüstungsbeschränkung von 1931 kam, fand sich darin an fast versteckter Stelle unter zahlreichen anderen Bestimmungen der Art. 53 mit der Vorschrift: daß diejenigen Staaten, deren Rüstungen schon durch größere Verträge geregelt seien, an diese Verträge gebunden bleiben sollten. Das besagte: daß für Deutschland und seine vormaligen Bundesgenossen die Bestimmungen des Versailler Diktates bleiben sollten, die sie bis zur Wehrlosigkeit entwaffneten. Während für die übrigen Staaten in diesem Konventionsentwurf zwar grundsätzlich eine Herabsetzung der Rüstungen vorgesehen war, doch ohne Nennung von Zahlen, und alles darauf deutete, daß sie sich eine, der deutschen weit überlegene Rüstung vorbehalten wollten. Zur Zeit der Regierung Papen (1932) hatte sich Deutschland wegen verweigerter Gleichberechtigung aus der Abrüstungskonferenz zurückgezogen. Während der Regierung Schleicher fand sich dann Deutschland zur Teilnahme an der Konferenz wieder bereit, auf Grund einer vagen und vieldeutigen Erklärung der vier Mächte Deutschland, Frankreich, England, Italien vom 11. Dezember 1932, laut derer "Deutschland und den anderen durch die Friedensverträge abgerüsteten Staaten die Gleichberechtigung zu gewähren sei in einem System, das allen Nationen Sicherheit bietet".25

Kurz nachdem Adolf Hitler die Führung von Volk und Reich angetreten, am 2. Februar 1933, fand sich die Konferenz wieder zusammen. Ihre Verhandlungen drohten alsbald wieder, sich in unfruchtbaren Debatten festzulaufen. Da legte am 16. März der englische Ministerpräsident Macdonald einen neuen Sicherheits- und Abrüstungsplan vor, der unter Aufhebung der Entwaffnungsbestimmungen des Versailler Vertrages im Schlußartikel 26 zahlenmäßig formulierte Vorschläge für die Herabsetzung der Rüstungen der Festlandsmächte Europas - nicht also für England - machte. Der Macdonald-Plan glich den deutschen Rüstungsstand in gewissem Umfang dem der anderen Mächte an und bot den äußeren Anschein einer Gleichstellung Deutschlands mit den anderen Mächten. Doch barg der Plan einen Komplex von Bestimmungen, die Deutschland noch die volle Gleichberechtigung versagten.26

Es war ein Friedensopfer Deutschlands, als Hitler in seiner Reichstagsrede vom 17. Mai 1933 erklärte:27 Deutschland sähe in dem englischen Plan eine mögliche Grundlage für die Lösung der Abrüstungsfrage, der Sicherheit und der Gleichberechtigung. Deutschland begnügte sich damit, "zumindest qualitative Gleichberechtigung" zu verlangen und in Einzelfragen Vorbehalte zu machen. Deutschland zeigte sich bereit, eine Rüstungskonvention einzugehen, die es zwar wieder wehrfähig machte, aber seinen Rüstungsstand auf ein Verhältnis zweifelloser Unterlegenheit gegenüber seinen Nachbarn freiwillig festlegte. In England anerkannte man dann auch - so namentlich in Reden von Henderson, Eden - diese Erklärung Hitlers als einen bedeutsamen Schritt zur internationalen Rüstungsverständigung.

Die Abrüstungskonferenz versäumte dann aber, auf der Basis dieses deutschen Angebotes weiter zu bauen. Es erhob sich in Frankreich und England ein heftiger Pressefeldzug gegen das nationalsozialistische Deutschland, das angeblich die Sicherheit Frankreichs erneut und in verstärktem Maße bedrohte; deshalb werde erst eine Abrüstungskontrolle und eine Bewährungsfrist für Deutschland nötig, bevor an Herabsetzung der Rüstung für die anderen Mächte gedacht werden könne. Es war dies der Standpunkt der französischen Regierung, für den sie dann auch die englische gewann. Man ließ in England den Macdonald-Plan fallen. Am 14. Oktober 1933 gab der englische Außenminister Simon in der Abrüstungskonferenz eine gewundene Erklärung über die notwendige Änderung des Macdonald-Planes ab. Diese lief praktisch darauf hinaus, daß für Deutschland die Waffenverbote und -beschränkungen des Versailler Diktates bestehen blieben und überdies auch eine Rüstungskontrolle einseitig gegen Deutschland eingeführt werden sollte. Als Begründung dafür brachte Simon eine durchsichtig verhüllte Verdächtigung des nationalsozialistischen Deutschland vor, das angeblich eine Bedrohung des Friedens darstellte. Es sollte also nach diesem Simon-Plan bei der bisherigen Rechtsminderung und Diskriminierung Deutschlands in Anbetracht seiner Rüstung bleiben. Das Büro der Abrüstungskonferenz nahm den Simon-Plan als Verhandlungsgrundlage an. Man glaubte, daß Deutschland sich dem fügen würde, weil es durch die Propaganda der Gegner gegen den Nationalsozialismus so isoliert schien, daß es keinen Widerspruch mehr wagen könne.

Deutschland lehnte die Zumutung ab, auf der Basis des Simon-Planes weiter zu verhandeln, trat am 14. Oktober 1933 aus der Abrüstungskonferenz aus und kündigte am 19. Oktober seine Mitgliedschaft in der Genfer Liga. Die Gründe dafür hat der Führer mehrfach dargelegt.28 Es zeigte sich, daß die Abrüstungskonferenz ohne Beteiligung Deutschlands sinn- und zwecklos wurde. Wollte man aber eine Wiederbeteiligung Deutschlands an Abrüstungskonferenz und Völkerbund, so mußte man mit Deutschland in Diskussion und Verhandlung treten. Es war Deutschland, von dem die Initiative zu solchen Verhandlungen ausging. Deutschland wandte sich in diplomatischen Besprechungen zunächst an England und Italien, dann auch an Frankreich. Ihm als dem hartnäckigsten Gegner des deutschen Anspruchs auf Gleichberechtigung in der Rüstung wurde dann das deutsche Memorandum vom 18. Dezember 1933 über die Möglichkeit einer Rüstungskonvention überreicht.

Dieser zweite Vorschlag des nationalsozialistischen Deutschlands zu einer internationalen Rüstungsverständigung ging davon aus, daß die Verhandlungen über eine Herabsetzung der Rüstungen gescheitert seien. Es könne sich nur noch um eine Begrenzung der Rüstungen auf ein vernünftiges Maß handeln, und um die Angleichung der deutschen Rüstung an den so begrenzten Rüstungsstand der anderen. Während Deutschland bisher in den Verhandlungen das Ziel verfolgt hatte: "Gleichberechtigung durch allgemeine Abrüstung", lautete das Motto nunmehr: "Gleichberechtigung durch allgemeine Rüstungsbeschränkung und deutsche Nachrüstung." Die Denkschrift bezeichnete eine Heeresstärke von 300.000 Mann mit kurzer Dienstzeit und mit der Normalbewaffnung einer modernen Verteidigungsarmee für notwendig.

Es kam zu einem umfangreichen Notenwechsel zwischen den vier Großmächten. Italien stimmte dem deutschen Vorschlag zu: Das 300.000-Mann Heer Deutschlands bringe in die europäischen Rüstungsverhältnisse keine anderen Perspektiven als der Macdonald-Plan des 200.000-Mann-Heeres, denn der deutsche Plan setze unveränderte Rüstungen der anderen Staaten, der Macdonald-Plan hingegen herabgesetzte Rüstungen voraus. England erklärte in seiner Denkschrift vom 16. März 1934: Eine Versöhnung der Standpunkte Frankreichs und Deutschlands sei die wesentliche Vorbedingung für eine allgemeine Einigung, und entwarf die Richtlinien eines Kompromisses zwischen dem französischen Sicherheitsprinzip und der deutschen Forderung nach Gleichberechtigung.

Deutschland nahm den englischen Kompromißvorschlag als Konventionsgrundlage an unter der Voraussetzung einer gewissen Modifikation namentlich hinsichtlich der Luftrüstung. Deutschland forderte 50% der vereinigten militärischen Luftflotte seiner Nachbarn oder 30% der französischen. Es war dies der dritte Vorschlag Deutschlands zu einer internationalen Rüstungskonvention. Das Friedensopfer, das Deutschland hier brachte, lag insbesondere in dem deutschen Einverständnis dazu, daß die Rüstungsminderung der anderen Mächte bis auf den Rüstungsstand des (nachrüstenden) Deutschlands erst nach einer Periode von fünf Jahren erfolgen sollte.

Es kam zu einem Noten- oder Briefwechsel zwischen England und Frankreich über die Widerstände Frankreichs gegen den gemeinsamen Konventionsplan der Mächte England, Italien, Deutschland. In der bekannten Note vom 17. April 1934 an die englische Regierung sprach Frankreich sein Nein aus zu einer Rüstungskonvention, die Deutschland Gleichberechtigung gewährte, und brach die seit Oktober 1933 zwischen den vier Großmächten geführten Unterhandlungen über die Fortsetzung der Abrüstungskonferenz ab.

Deutschland begann nun seine Rüstung aus eigenem Recht auf den Stand zu bringen, den es für seine Selbstverteidigung nötig erachtete. Gleichzeitig aber erklärte Adolf Hitler sich ausdrücklich zu weiteren Verhandlungen bereit und machte erneut Vorschläge für eine neue Rüstungskonvention zwischen Deutschland, Frankreich, England und für eine internationale Rüstungsbeschränkung überhaupt.

Der geschichtliche Verlauf der Dinge ist bekannt. Deutschland hatte zunächst seine Rüstung in jenem Umfange zu erhöhen begonnen, zu dem Ende Januar 1934 England und Italien ihre Zustimmung gegeben. Im Herbst 1934 schien England bereit, auf Grund der vollzogenen Tatsache der deutschen Nachrüstung, Verhandlungen über eine Rüstungskonvention wieder aufzunehmen (Unterhausreden Baldwin und Simon vom 25. und 29. November). Im übrigen erhob sich nun erneut das Wettrüsten der Mächte. Das englische Weißbuch vom 4. März 1935 stellte die in aller Welt im Gang befindliche Aufrüstung fest, ließ die Abrüstungsforderung fallen und verkündete eine beträchtliche Rüstungsvermehrung Englands. Durch Dekret vom 15. März 1935 verfügte die französische Regierung die Verlängerung der Militärdienstzeit in Frankreich, und zwar zunächst als eine Heeresvermehrung von vorerst 50%, dann 100%. Darauf wurde sogleich am 16. März in Deutschland das Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht verkündet, das die allgemeine Wehrpflicht wiederherstellte und ein deutsches Friedensheer von 12 Armeekorps festsetzte.

Während die Gegner der deutschen Gleichberechtigung und Nachrüstung mit Protesten antworteten, entwickelte Adolf Hitler in der Friedensrede vom 21. Mai 1935 das Programm für eine internationale Friedens- und Sicherheitsordnung mit deutschen Vorschlägen zur Rüstungsbegrenzung auf der Basis der deutschen Gleichberechtigung. In Punkt 9 erklärte die Reichsregierung sich bereit, "sich an allen Bestrebungen aktiv zu beteiligen, die zu praktischen Begrenzungen uferloser Rüstungen führen können" - unter der selbstverständlichen Voraussetzung der deutschen Gleichberechtigung. In solchem Sinne erklärte Deutschland sich insbesondere bereit zu einer internationalen Beschränkung hinsichtlich der schwersten, für den Angriff besonders geeigneten Waffen, wie auch bezüglich der Kaliberstärken der Kriegsflotte. Als eine innerlich notwendige Ergänzung solcher Rüstungsbeschränkung betrachtete dieser deutsche Friedensplan internationale Vereinbarungen über das Kriegsrecht - im Sinne der Humanisierung des Krieges oder der Ehrlichkeit der Waffen (Punkt 9).

Vor allem aber machte der Führer konkrete Angebote der Rüstungsbeschränkung zwischen den Westmächten und Deutschland. Sein Angebot ging dahin: "Deutschland und Frankreich möchten ihre Armeen gemeinsam auf einen Stand von 300.000 Mann bringen; Deutschland, England und Frankreich möchten gemeinsam ihre Luftwaffe auf einen gleichen Stand bringen; und Deutschland und England möchten ein Abkommen treffen über das Verhältnis ihrer Kriegsflotten..."29 Nur der letzte Teil dieses Angebotes wurde von der Gegenseite - von England - angenommen. Im übrigen lehnte England fortan weitere Verhandlungen über Rüstungsbeschränkung vor vollzogener eigener Aufrüstung ab. Das heißt: England wollte nicht eher wieder an den Konferenztisch treten, als bis es im Besitze erdrückender Rüstungsüberlegenheit den Inhalt der Rüstungskonvention würde diktieren können.30

Bis dahin hatte die deutsche Revisions- und Friedenspolitik bei ihren Forderungen oder Vorschlägen zum Rüstungsproblem gleichsam die Bündnisse der andern als Faktor ihrer Rüstungen ignoriert. Deutschland hatte z. B. seinerzeit den Macdonald-Plan von 1933 angenommen, der in der Bewilligung von je 200.000 Heeresstärke für Frankreich und Deutschland eine Parität beider Mächte zu gewähren schien. Man gab das von der Gegenseite als eine auch Deutschland Sicherheit gewährende Parität der Heeresstärken aus, obgleich doch Frankreichs Rüstung durch die seiner Verbündeten verstärkt wurde.31 Der Ring der französischen Bündnisse, der damals Belgien, Polen und die Kleine Entente umfaßte, stellte nach dem Macdonald-Plan eine Gesamtheeresstärke von 1.025.000 Mann, also eine fünffache Übermacht gegenüber Deutschland dar. Seit Barthou nun den Ring der Einkreisung gegen Deutschland zu befestigen suchte, mußte Deutschland auf der Hut sein. Wie dann der französisch-russische Beistandspakt vom 2. Mai 1935 den Locarno-Pakt zum Zerfall brachte, braucht hier nicht ausgeführt zu werden.

Übrigens hatte Deutschland den eigentlichen Sicherheits- und Friedenswert des Locarno-Vertrages in den Nichtangriffsabreden und ihrer Kontrolle sowie in den Elementen moralischer Abrüstung gesehen, die dieses Vertragswerk darstellt. Während die Beistandsklauseln des Locarno-Vertrages als angebliche Garantie auch für Deutschland deutscherseits mit der gebührenden Skepsis betrachtet wurden. Am 7. März stellte Deutschland die Wehrhoheit im Rheinland und damit das volle Recht zur Verteidigung der westlichen Landesgrenze wieder her, das ihm das Versailler Diktat und der Locarno-Pakt versagt hatten.

Gleichzeitig aber erklärte Adolf Hitler in seiner Reichstagsrede vom selben Tage, daß Deutschland mit seiner nun wieder vollkommen hergestellten Gleichberechtigung nun erst recht eintrete für eine Verständigung der Völker Europas und insbesondere mit seinem westlichen Nachbarn.32 In solchem Sinne schlug der Führer in dieser Rede und der Denkschrift vom 31. März 193633 eine sinngemäße Erneuerung des Locarno-Vertrages vor durch einen neuen Westvertrag auf der Basis vollkommener Gleichberechtigung: beiderseitige Entmilitarisierung des Grenzlandes in beliebiger Ausdehnung oder sonstiger militärischer Beschränkung in diesen Gebieten; dazu Nichtangriffsversprechen zwischen Deutschland und seinen Grenznachbarn Frankreich und Belgien, die nach Form und Inhalt die endgültige Versöhnung zwischen diesen vormaligen Kriegsgegnern vollziehen sollten, und anderes mehr. Der Vorschlag, England und Italien als Garantiemächte an dem Vertragswerk zu beteiligen, war offensichtlich als Weg zur Verständigung mit England und Italien gemeint.

Dieser Friedensplan der deutschen Revisionspolitik stieß bei den Westmächten auf bedauerliche Verständnislosigkeit in rechtlicher und in politischer Hinsicht. Man wollte in dem deutschen Vorgehen nur einen Bruch des Art. 43 des Versailler Vertrages und des Locarno-Paktes sehen, nicht die Antwort auf eine Vertragsuntreue und nicht eine Revisionsaktion der nationalen Selbstverteidigung. Und man übersah das Verständigungsangebot, mit dem Deutschland die vollzogene Revision verband. Es folgte ein Austausch von Erklärungen. Wenn Adolf Hitler die sonderbaren Rückfragen der englischen Regierung vom 6. Mai 1936, den sogenannten Fragebogen Eden, keiner Antwort würdigte, so behielt er doch das Ziel der deutsch-englischen Verständigung im Auge - wie in einer Reihe von Tatsachen deutlich wurde.


 
Die Mission Ribbentrop

Soweit in einfachen Zügen das geschichtliche Bild der Verhandlungen von 1933 bis 1936 über eine europäische Rüstungsverständigung und die deutsche Gleichberechtigung. Die Grundtatsachen stehen heute schon historisch fest, wenngleich die künftige Geschichtsschreibung gewiß noch weitere Quellen erschließen wird.

Die Initiative dieser Verhandlungen über eine europäische Rüstungsverständigung lag bei England, das nach dem Krieg seine Rüstungen nicht mehr in dem Maße erhöht hatte wie die anderen hochgerüsteten Mächte (Frankreich und seine "Trabanten-Staaten", aber auch Italien). Nachdem Deutschland wegen verweigerter Gleichberechtigung aus der Genfer Liga und der Abrüstungskonferenz ausgeschieden, richteten sich die Bemühungen Englands vor allem darauf, Deutschland wieder zur Teilnahme an mehrseitigen Verhandlungen und Verträg[en] über Rüstungsbeschränkung auf der Basis eines Kompromisses über die deutsche Nachrüstung heranzuziehen und die Hemmungen zu beseitigen, die einer Wiederbeteiligung des nachrüstenden Deutschlands an der Rüstungsverständigung entgegenstanden. Es ging da, wie wir sahen, insbesondere um den Widerstand Frankreichs gegen die deutsche Gleichberechtigung und um Englands Vermittlung zwischen den Forderungen Frankreichs und Deutschlands zur deutschen Rüstung. Nun aber zeigte sich bei diesen Verhandlungen ein bedeutsamer Unterschied in der verständigungspolitischen Haltung der beiden Mächte England und Deutschland.

Deutschland beteiligte sich in den Verhandlungen über europäische Rüstungsverständigung mit dem Ziele: zur politischen Annäherung, Aussöhnung und dauerhaften Verständigung mit den Hauptmächten England, Frankreich und Italien zu kommen. Eine solche wirkliche Verständigung zwischen den bislang gegnerischen Mächten sollte Voraussetzung und Hauptinhalt der Rüstungskonvention sein. Die Sonderverhandlungen mit England waren für Deutschland ein willkommener Anlaß, um damit die deutsch-englische Verständigung - ein Hauptziel der deutschen Außenpolitik - vorwärts zu treiben. Dabei war Deutschland wohl bereit, dem Frieden ein Opfer zu bringen; nicht aber, die Gleichberechtigung Deutschlands von "Bedingungen" abhängig zu machen.

Anders die englischen Verhandlungen mit Deutschland. England kam es im Grunde nur darauf an, das nachrüstende Deutschland wieder in die Genfer Liga oder die Abrüstungskonferenz hineinzuziehen und in diesem Rahmen die deutsche Rüstung festzulegen. Als eigentlichen Gegenstand der Verhandlungen betrachtete man in sonderbarer Überheblichkeit die Bedingungen, unter denen England eine gewisse Gleichberechtigung Deutschlands in der Rüstung einzuräumen bereit sei; die Bedingungen also, unter denen England die deutsche Nachrüstung "dulden könne".... Der Gedanke einer wirklichen Verständigung mit dem nationalsozialistischen Deutschland lag der englischen Regierung oder den maßgeblichen Politikern recht fern.34

Die Hauptfakten, in denen dieser Unterschied zum Ausdruck kommt, waren die Informationsreisen englischer Staatsmänner in den Jahren 1934/35 und auf deutscher Seite die Mission Ribbentrop.

Im Februar 1934 hatte die englische Regierung den Lordsiegelbewahrer und nachmaligen Außenminister Eden auf eine Rundreise nach Paris, Berlin und Rom geschickt, um "in direkter Aussprache" die Auffassung der dortigen Regierungen über die Möglichkeiten einer Rüstungsverständigung festzustellen. Zu dem gleichen Zweck wurden im März 1935 nochmals zwei englische Minister, Simon und Eden, nach Berlin gesandt. Die deutsche Regierung nahm die Gelegenheit wahr zur Aussprache über die wiedererrichtete Wehrhoheit zur See und die daraus wie aus dem deutschen Willen zur Verständigung sich ergebende Möglichkeit einer vertraglichen Festlegung der Rüstungsverhältnisse zwischen Deutschland und England zur See. Englischerseits betonte man bei beiden Ministerreisen nach Berlin, daß es sich nur um Erkundigungsaussprachen handeln sollte, nicht um Verhandlungen, bei denen man auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitet. Wenn man freilich dabei das Moment der "freundschaftlichen" Aussprache erwähnte, so konnte das, vor allem in Anbetracht der Persönlichkeit Edens, nur als eine unverbindliche Höflichkeit aufgefaßt werden.

Anthony Eden
Anthony Eden
[NationMaster Encyclopedia]
Wenn es einer Regierung ernst ist um Verständigung mit einer anderen Nation, so pflegt sie für Aussprache und Verhandlung einen Staatsmann auszuwählen, der als Persönlichkeit diese Verständigungspolitik zur anderen Nation repräsentiert, keinesfalls aber einen Mann, der ihr gegnerisch gesonnen ist. Von Eden nun aber war allzu bekannt, daß er ein überzeugter Gegner des Nationalsozialismus ist und für die Frage der deutschen Gleichberechtigung so wenig Verständnis aufbrachte, daß er vielmehr öffentlich als Fürsprecher des Versailler Diktates auftrat. Der englische Standpunkt, daß es sich bei den Verhandlungen über Rüstungsverständigung mit Deutschland um "Bedingungen" handle, die Deutschland zu erfüllen habe, ist denn auch später gerade von Eden besonders überheblich und herausfordernd ausgesprochen worden. Daß der "Fragebogen" Edens vom 6. Mai 1936 und die entsprechenden Äußerungen in seiner Unterhausrede vom 1[9]. Januar 1937 über Deutschland und die internationale Verständigung eine solche nicht fördern konnten, sondern geradezu als Hemmnis der Verständigung zwischen Deutschland und England wirkten, ist von erfahrenen Politikern verschiedener Nationen, auch von einsichtigen Engländern hervorgehoben worden.

Wenn hingegen Hitler in jenen Jahren öfter Joachim von Ribbentrop nach England sandte - anfänglich nur als Mann besonderen Vertrauens ohne diplomatischen Rang, aber mit vielfältigen persönlichen Beziehungen nach England, dann als Botschafter in besonderer Mission und schließlich am 11. August 1936 als deutschen Botschafter beim König von Großbritannien - so wußte man drüben schon nach der Persönlichkeit dieses Abgesandten: Seine Hauptaufgabe sollte die Verständigung zwischen Deutschland und England sein.

Joachim von Ribbentrop
Joachim von Ribbentrop
[Fotoarchiv Scriptorium]
Als deutscher Unterhändler zur europäischen Rüstungsverständigung trat Ribbentrop namentlich in seinen Reisen nach London vom Mai und November 1934 auf. Seine Unterredung mit Eden vom November 1934 hatte - das ist im besonderen Maße bezeichnend für das Verhältnis zwischen England und Deutschland - gerade als Verständigungsaktion zwischen den beiden Mächten das Mißtrauen der englischen Linken erregt. Ribbentrop führte dann die Verhandlungen für die von Hitler vorgeschlagene Sonder-Rüstungsverständigung zwischen Deutschland und England über ihre beiderseitigen Seestreitkräfte und brachte die Flottenkonvention vom 18. Juni 1935 zustande. Von diesem Friedenswerk wird sogleich noch besonders zu sprechen sein.

Zum Botschafter beim König von Großbritannien ernannt, konnte Ribbentrop nun sich ganz der ihm von Hitler gestellten Aufgabe der deutsch-englischen Verständigung widmen. Das Unternehmen war für ihn nicht einfach - und wurde auch noch von widerstrebenden Kräften besonders erschwert: wirksame Beziehungen zu solchen Politikern Englands zu pflegen, die für eine Verständigung mit Deutschland bereit waren. Zugleich galt es, für eine Reihe politischer "Fragen", die trennend zwischen Deutschland und England standen, einen Ausgleich zu finden.

Es verdient hervorgehoben zu werden, daß Ribbentrop neben seinen ersten politischen Reisen nach England sich um die Verständigung zwischen deutschen und französischen Frontkämpfern bemüht hatte und auch weiterhin seine vielfältigen persönlichen Beziehungen nach Frankreich im Sinne der Verständigung zwischen Deutschland und dieser seiner westlichen Nachbarnation verwendete. Das entsprach dem Willen Hitlers, der die Verständigung zwischen Deutschland und England mit einer solchen zwischen Deutschland und Frankreich zu vereinigen strebte und das in einer Reihe von Erklärungen und Vorschlägen zum Ausdruck brachte - zuletzt noch in dem Verständigungsangebot vom 25. August 1939.

Die künftige Geschichtsschreibung wird die Mission Ribbentrop als eines der wichtigsten Ereignisse der jüngsten Weltgeschichte auf ihrem Wege zwischen Frieden und Krieg zu behandeln haben. Nur ein Teil der vom Führer gestellten Aufgabe, über eine endgültige Verständigung zwischen Deutschland und England zu verhandeln, reicht in den Bereich der politischen Öffentlichkeit. Die wichtigsten Vorschläge Adolf Hitlers an England, über die Ribbentrop zu verhandeln hatte, blieben vertraulich. Erst aus den Mitteilungen, die Ribbentrop in seiner Danziger Rede vom 24. Oktober 1939 machte, erfuhr die Welt erstmalig von dem großzügigen Angebot des Führers zu einem Vertragswerk, durch das die endgültige Verständigung zwischen beiden Mächten vollzogen und gesichert werden sollte.

Es handelte sich damals, so berichtet Ribbentrop in jener Rede, um konkrete Vorschläge, die er wiederholt dem englischen Premierminister, Außenminister oder sonstigen maßgeblichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterbreitete. Diese Angebote umfaßten im wesentlichen folgende Punkte:

1. ein deutsch-englisches Flottenabkommen auf der Basis 35:100;
2. die ewige Unantastbarkeit der zwischen Deutschland und England liegenden Länder Holland, Belgien und Frankreich;
3. Respektierung der britischen Interessen in der Welt durch Deutschland und Respektierung der deutschen Interessen in Osteuropa durch England;
4. ein Schutz- und Trutzbündnis zwischen den beiden Ländern, wobei Deutschland auf englische Waffenhilfe verzichtete, seinerseits aber bereit war, sowohl seine Flotte als auch eine bestimmte Zahl von Divisionen jederzeit England zur Sicherstellung seines Imperiums zur Verfügung zu stellen.

Es ist notwendig, sich über den Sinn und die Tragweite dieses großen Verständigungsangebotes von Adolf Hitler an England Rechenschaft zu geben.


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Anmerkungen

24Viscount Rothermere, Warnungen, a.a.O. (Anm. 19), S. 14f., 99. ...zurück...

25Quellenzusammenstellung in: Schwendemann, Abrüstung und Sicherheit. Handbuch der Sicherheitsfrage und der Abrüstungskonferenz, Bd. 1 u. 2 (1933 u. 35). Freund, Weltgeschichte in Dokumenten, Bd. 1, 1936. Marq. of Londonderry, Ourselves and Germany, 1938. Vgl. auch die Darstellung bei v. Freytagh-Loringhoven, a.a.O. (Anm. 13). ...zurück...

26Es war u. a. vorgesehen: daß Frankreich, von seinen Reserven abgesehen, ein doppelt so starkes Heer wie Deutschland erhalten sollte; Polen mit weniger als der Hälfte der Einwohnerzahl wie Deutschland sollte dieselbe Truppenstärke wie Deutschland zugebilligt erhalten; die Tschecho-Slowakei mit weniger als einem Viertel der deutschen Volkszahl sollte die Hälfte der deutschen Ziffer erhalten usw. Frankreich sollte 500 Flugzeuge, Polen 200, die Kleine Entente 550, die drei baltischen Staaten je 30 besitzen, Deutschland aber keines. Im übrigen vgl. Schwendemann, a.a.O. (Anm. 25), Bd. 2, S. 60ff., v. Freytagh-Loringhoven, a.a.O. (Anm. 13), S. 16ff. ...zurück...

27Die Reden Hitlers als Kanzler, 1939, S. 59. ...zurück...

28So insbesondere in der Rundfunkrede v. 14. Okt. 1933, und Reden v. 24. Okt. u. 10. Nov. 1933: "Die Sicherheit Deutschlands ist kein geringeres Recht als die Sicherheit anderer Nationen..." "Das deutsche Volk und die deutsche Regierung haben überhaupt nicht Waffen, sondern Gleichberechtigung gefordert. Wenn die Welt beschließt, daß sämtliche Waffen bis zum letzten Maschinengewehr beseitigt werden: wir sind bereit, sofort einer solchen Konvention beizutreten. Wenn die Welt beschließt, daß bestimmte Waffen zu vernichten sind: wir sind bereit, auf sie von vornherein zu verzichten. Wenn aber die Welt bestimmte Waffen jedem Volk zubilligt, sind wir nicht bereit, uns grundsätzlich als minderberechtigtes Volk davon ausschließen zu lassen." (14. 10. [1933]) "Wir sind gern bereit, an jeder Konferenz mitzuwirken, wir sind gern bereit, an jedem internationalen Vertrag mitzuwirken - aber immer nur als Gleichberechtigte." (10. 11. [1933]) ...zurück...

29So die rückblickende Formulierung in Hitlers Rede vom 30. Januar 1937. ...zurück...

30Vgl. "Englands Aufrüstung als Friedensproblem," Geist der Zeit, 1937, S. 297ff. ...zurück...

31Hinzu kam, daß Frankreich nach diesem Plan neben den 200.000 Mann des Mutterlandes noch ein Kolonialheer von 200.000 zugesprochen wurde, das doch im Kriegsfalle sogleich auf den europäischen Kriegsschauplatz transportiert worden wäre. ...zurück...

32Vgl. den Text in Berber, Locarno, a.a.O. (Anm. 1), S. 230. ...zurück...

33Sogenannter Friedensplan, ebenda, S. 379ff. ...zurück...

34Dazu vgl. die Mitteilungen v. Ribbentrops in seiner Danziger Rede vom 24. 10. 1939. ...zurück...


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Hitlers Versuche zur Verständigung mit England