[Bd. 7 S. 156] 18. Kapitel: Der Ruf an Hitler. Volkswahl. Der Deutsche Reichstag. Schleichers Rücktritt erfüllte die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie mit Unmut und Sorge. Die Angst vor dem "Siege der Reaktion" erfüllte sie. Wenige Stunden nach Schleichers Rücktritt übersandten die gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen, Allgemeiner deutscher Gewerkschaftsbund, Allgemeiner freier Angestelltenbund, Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften, Gewerkschaftsring deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände und Allgemeiner deutscher Beamtenbund ein Telegramm an Hindenburg:
"In tiefer Sorge über die drohenden politischen Gefahren sind die Gewerkschaften aller Richtungen zur Beratung der überaus ernsten Lage zusammengetreten. Sie halten sich in dieser Entscheidungsstunde für verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß die Berufung einer sozialreaktionären und arbeiterfeindlichen Regierung von der gesamten deutschen Arbeitnehmerschaft als eine Herausforderung empfunden werden würde. Die Gewerkschaften erwarten, daß Sie, Herr Reichspräsident, allen unterirdischen Bestrebungen, die auf einen Staatsstreich hinzielen, Ihren entschiedenen Widerstand entgegensetzen und auf einer verfassungsmäßigen Lösung der Krise bestehen." Zugleich mit diesem Telegramm baten die Organisationen um einen Empfang beim Reichspräsidenten, um ihm persönlich ihre Befürchtungen darzulegen. Der Empfang hat aber nicht stattgefunden. Am Tage nach dem Rücktritt, am 29. Januar, einem Sonntag, veranstaltete die Sozialdemokratie Groß-Berlins mit der Eisernen Front im Lustgarten eine Massendemonstration unter dem Leitwort: "Gegen die Provokationen der Nationalsozialisten (womit die Horst Wessel-Kundgebung der Nationalsozialisten am 22. Januar gemeint war) und gegen die Millionengeschenke an die Junker, für Demokratie und [157] Sozialismus." Die Massen, die sich auf zwölf Plätzen gesammelt hatten und bei denen sich viele Kommunisten befanden, da sämtliche Kundgebungen der Kommunisten verboten worden waren, zogen mit zahlreichen roten Fahnen durch die Straßen. Künstler, der Führer der Ortsgruppe Berlin, mußte sprechen, weil die beiden vorgesehenen Redner Paul Löbe und Rudolf Breitscheid nicht erschienen waren! Er erklärte, daß Berlin rot sei. Die letzten Vorgänge in der Wilhelmstraße seien Alarm für die Eiserne Front, für die Gewerkschaften und die republikanischen Verbände. Es gehe um die Staatsbürgerrechte und die sozialen Errungenschaften, die das Volk mit allen Mitteln verteidigen werde. Im Kampf um Sein oder Nichtsein werde die Einheitsfront des Proletariats geboren. Es könne der Tag kommen, da Berlin für ganz Deutschland entscheide. Dieser Tag müsse die Arbeiterschaft einig finden. Bei dieser Kundgebung fehlte die Jugend fast gänzlich. Und diese Tatsache bewies so deutlich wie nur irgendmöglich, daß die deutsche Jugend nicht mehr im Lager der Sozialdemokraten stand, daß diese Partei abstarb. Unmittelbar nach dem Rücktritte des Kabinetts erteilte Hindenburg Herrn von Papen den Auftrag, festzustellen, welche Möglichkeiten für eine Regierungsneubildung bestünden "im Rahmen der Verfassung und mit dem Reichstag". Der Reichspräsident, der nun den Sturz dreier Präsidialkabinette erlebt hatte, war entschlossen, zur normalen Zusammenarbeit mit dem Parlament zurückzukehren. Deshalb ließ er jetzt seinen Widerstand, den er im August und November 1932 gegen Hitler erhoben hatte, fallen und war willens, ihn, als Führer der stärksten Partei, zum Kanzler zu berufen. Sein Vertrauensmann Papen sollte die Möglichkeiten einer vom Führer der stärksten Partei zu bildenden Mehrheitsregierung erkunden. Die Mehrheit im Parlamente war die Bedingung Hindenburgs, eine Vollmacht zur Auflösung des Reichstags wollte er grundsätzlich keinem neuen Kabinett geben, da er ja an eine Regierung mit sehr breiter Basis von den Nationalsozialisten bis zum Zentrum dachte.
Schon standen die Dinge so, daß auch der Reichspräsident die Kandidatur Hitlers fallen lassen und ein reines Beamtenkabinett ernennen wollte. Tat er dies aber, dann konnte er keine auf Volksmehrheit gestützte Regierung mehr bilden lassen und mußte den Staatsnotstand, d. h. Außerkraftsetzung der Verfassung, verkünden. Das wollte er aber auch nicht, da hierdurch ein Putsch auf anderer Seite ausgelöst werden konnte. Zudem kamen in den kritischen Nachtstunden Gerüchte auf, daß die Generäle Schleicher und Hammerstein und Oberst von Bredow mit der Potsdamer Garnison einen Putsch machen und die Militärdiktatur errichten wollten. In den frühen Morgenstunden des Montag hatte sich die Lage so weit geklärt, daß Hindenburg, um den Staatsnotstand zu vermeiden, darauf verzichtete, auch das Zentrum in die neue Regierung hineinzubeziehen, und daß nun eine Verständigung zwischen Hitler und Papen möglich war.
[159] Hier begann eine neue Epoche der deutschen Geschichte. Die Zeit des Liberalismus und Marxismus war vorüber, der Kampf der Nationalsozialisten gegen diese wurde am 30. Januar 1933 abgelöst durch den nun anhebenden größeren Kampf um Deutschland. Die Stunde war da, daß der Nationalsozialismus aus seiner parteimäßigen Isolierung heraustreten und in das gesamte Volk, in den Staat, in das Reich zurückfluten mußte. Aber die zu erfüllende Aufgabe war ungeheuer: sie konnte nur gelöst werden, wenn der Nationalsozialismus das nationale Trümmerfeld, das er vorfand, wieder mit neuem organischen Leben erfüllte.
"Während ich hier am Mikrophon stehe, drängen sich draußen vor den Fenstern der Reichskanzlei Hunderttausend von Menschen, eine Stimmung, wie sie nur mehr zu vergleichen ist mit jenem August 1914, da ebenfalls eine Nation aufgebrochen ist, alles, was sie besaß, zu verteidigen. Der 30. Januar 1933 wird in der deutschen Geschichte als der Tag bezeichnet werden, da eine neue Nation aufbrach und abtrat alles an Qual, Schmach und Schande der letzten 14 Jahre. Heute wird der Tag sein, an dem wir das Buch deutscher Geschichte der letzten Jahre, der Not und Schande schließen und ein neues Kapitel beginnen. Und wie in Berlin, so war es in allen Teilen des Reiches. Überall loderten tausende, zehntausende von Fackeln des Jubels und der Freude hinaus in die Nacht, überall brauste der mächtige Gesang der deutschen Revolution über die bewegten Menschenmassen im Dunkel dahin. Doch auch in diesen Stunden der Erhebung ging der kommunistische Meuchelmord um: in Charlottenburg wurden ein S.A.-Mann und ein Polizeibeamter niedergeschossen, in Stuttgart demonstrierten die Kommunisten, in Düsseldorf, in Königsberg, in Schweinfurt krachten Schüsse in der Nacht. Überhaupt hatte sich bei allen denen, die an der neuen Regierung keinen Anteil hatten, starker Groll aufgesammelt. Zentrum und Bayerische Volkspartei waren sehr verstimmt, weil die Verhandlungen über die Regierungsbildung mit ihnen abgebrochen worden waren. Die enttäuschten Gewerkschaften erließen einen wilden Aufruf, mahnten aber zugleich ihre Anhänger zur Besonnenheit. Die linken Sozialdemokraten unter Löbes Führung betrieben emsig die "proletarische Einheitsfront" und die Kommunisten vertrieben Handzettel, mit denen sie zum Generalstreik aufforderten. Die wilde Streikhetze, die gemeinsam mit den Sozialdemokraten inszeniert wurde "gegen die faschistische Diktatur der Hitler – Hugenberg – [161] Papen" führte zum Verbot kommunistischer Zeitungen. Der Aufforderung zum Generalstreik wurde aber nirgends Folge geleistet. Die Vorstände der Sozialdemokratischen Partei und Reichstagsfraktion gaben einen gemeinsamen Aufruf heraus, der besagte, daß sich die in der Harzburger Front vereinigten Feinde der Arbeiterklasse zusammengefunden hätten zum gemeinsamen Kampf gegen die Arbeiterklasse, zu einer reaktionären großkapitalistischen und großagrarischen Konzentration. Die Stunde fordere die Einigkeit des ganzen arbeitenden Volkes zum Kampfe gegen die vereinigten Gegner. Bereitschaft zum Einsatz der letzten, äußersten Kräfte sei nötig. Der Kampf werde auf dem Boden der Verfassung geführt. Undiszipliniertes Vorgehen würde der Arbeiterklasse schaden. "Kaltblütigkeit, Entschlossenheit, Disziplin, Einigkeit und nochmals Einigkeit ist das Gebot der Stunde!" Dieser Aufruf, so feindselig er klang, war doch von einer Angst vor dem unbekannten Neuen erfüllt, und die Versicherung, nicht vom Boden der Legalität abzuweichen, war in Wahrheit bereits die Kapitulation vor Hitler. Die nächste Aufgabe des neuen Kanzlers war, sich im Parlament, das nun am 31. Januar nicht zusammentrat, eine Mehrheit zu verschaffen. Zu dem Zwecke verhandelte er am 31. Januar mit den Führern des Zentrums, Kaas und Perlitius. Das Ziel der Verhandlungen Hitlers war, der Regierung vom Parlament diejenigen Vollmachten gewähren zu lassen, die der Reichspräsident nicht geben wollte. Doch die Haltung des Zentrums war die gleiche wie am 29. Januar vor der Ernennung Hitlers: unfreundlich. Kaas legte Hitler verschiedene Fragen vor:
"Nachdem sich die Bildung einer arbeitsfähigen Mehrheit als nicht möglich herausgestellt hat, löse ich auf Grund des Artikels 25 der Reichsverfassung den Reichstag auf, damit das deutsche Volk durch Wahl eines neuen Reichstages zu der Neubildung der Regierung des nationalen Zusam- [163] menschlusses Stellung nimmt." Kaas bestritt zwar den "rechtmäßigen Grund" der Auflösung, da die Verhandlungen abgebrochen seien, bevor eine wirkliche Klärung herbeigeführt worden wäre, aber sein Protest blieb ohne Erfolg. Als Termin für die Neuwahl bestimmte Hindenburg den 5. März.
"Das Erbe, das wir übernehmen, ist ein furchtbares. Um nun bei den bevorstehenden Wahlen die verderblichen liberalistischen Splitterparteien auszuschalten, gab Hindenburg am 2. Februar eine Verordnung über die Änderung des Wahlgesetzes heraus. Sie berührte in keiner Weise Wahlalter und allgemeines, gleiches Wahlrecht, sondern ihre wichtigsten Bestimmungen waren, daß auch die Auslandsdeutschen – zum ersten Male wieder – an der Wahl teilnehmen durften, vor allem aber, daß jede Partei für mindestens einen ihrer Kreiswahlvorschläge soviel Unterschriften aufbringen mußte, als Stimmen zur Erlangung eines Sitzes im Wahlkreisverband nötig seien, also 60 000. Da dies für die kleinen Interessentenparteien unmöglich war, fielen sie automatisch bei den bevorstehenden Wahlen aus. Im Reichstag fehlten der Regierung 45 Sitze zur Erringung der Mehrheit; ob sie diese bei der Wahl erhalten werde, erschien zweifelhaft. Im preußischen Landtag fehlten aber nur 10 Sitze, und diese zu erringen schien wesentlich leichter. Es war nun immerhin eine Politik möglich, in der sich die Reichsregierung, wenn sie auch im Reichstage nicht über die Mehrheit in ihren Parteien verfügte, auf eine durch Personalunion verbundene nationale und starke Landesregierung stützen konnte. Daraufhin beschlossen die Nationalsozialisten, im preußischen Landtage die Auflösung zum Zwecke von Neuwahlen zu beantragen. In der Vollsitzung des Landtages am 4. Februar begründete Kube den Auflösungsantrag: es sei trotz erfolgter Bemühungen der Nationalsozialisten dem Landtage [167] nicht gelungen, eine Regierung zu bilden. Aber Braun und Severing seien nicht mehr zu ertragen. Die Auflösung des Landtages sei aus Gründen der politischen Sauberkeit und der nationalen Ehre des preußischen Volkes notwendig. Als es jedoch zur Abstimmung kam, stimmten 196 Nationalsozialisten, Deutschnationale, Volksparteiler, Christlich-Soziale und Hannoverer für den nationalsozialistischen Auflösungsantrag, während 214 Kommunisten, Sozialdemokraten, Staatsparteiler und Zentrumsanhänger dagegen stimmten. Der Antrag war also abgelehnt. Das hatte Hitler vorausgesehen, und so erwog er bereits die zweite Auflösungsmöglichkeit, die bei dem sogenannten Dreimännerkollegium lag. Dies Dreimännerkollegium bestand aus dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Braun, dem Staatsratspräsidenten Adenauer, welcher dem Zentrum angehörte, und dem nationalsozialistischen Landtagspräsidenten Kerrl. In dieser Zusammensetzung natürlich hatte das Dreimännerkollegium am 4. Februar ebenfalls eine Auflösung abgelehnt; aber hier mußte der Hebel angesetzt werden, da eine dritte Auflösungsmöglichkeit, nämlich durch den Reichspräsidenten mit Hilfe des Artikels 48, nicht ratsam erschien, weil das Verfahren die geschlossene Front der Länderregierungen zur Folge gehabt hätte. So tat dann die Reichsregierung mit dem Reichspräsidenten zusammen am 6. Februar den entscheidenden Schritt, der im Interesse der Staatsmacht und des Staatswohles notwendig war: Auf Grund des Artikels 48, Absatz 1 der Reichsverfassung wurde infolge der auf das Leipziger Urteil vom 25. Oktober 1932 gestützten Umtriebe die Regierung Braun abgesetzt, ihre Befugnisse wurden dem Reichskommissar Papen, der seit dem 30. Januar an Stelle Brachts Reichskommissar in Preußen geworden war, und seinen Beauftragten übertragen. Jetzt gehörte Papen auch dem Dreimännerkollegium an Stelle Brauns an, und dieses beschloß nun unverzüglich Auflösung des Parlamentes zum 4. März. Adenauer protestierte zwar, weil der Schritt der Reichsregierung dem Artikel 17 der Reichsverfassung und dem Leipziger Urteil vom 25. Oktober 1932 widerspreche, doch er wurde überstimmt. [168] Auch Otto Braun nahm den Vorgang nicht ruhig hin. Sofort reichte er beim Staatsgerichtshof eine neue Klage ein, um feststellen zu lassen, daß Hindenburgs Verordnung zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen vom 6. Februar 1933 gegen die Reichsverfassung verstoße. Aber diese Auflehnung gegen die neue Macht war gänzlich fruchtlos. Der "Hoheitsregierung" wurden nun auch noch alle die Rechte entzogen, die ihr Hindenburg in seiner Verordnung vom 18. November eingeräumt hatte. Diesmal waren die süddeutschen Staaten, insbesondere Bayern, klüger als im Juli: sie schlossen sich der Klage Brauns in Leipzig nicht an! Sie suchten nach anderen Möglichkeiten, ihre Proteste gegen das Vorgehen der Reichsregierung auszudrücken. Doch bis in die kleinsten Selbstverwaltungskörperschaften mußte der neue Geist und der neue Kurs sich durchsetzen. Darum verfügte die kommissarische Regierung Preußens auch die Auflösung der Gemeindevertretungen und deren Neuwahl am 12. März. Es war nötig, daß eine nationale Regierung, wenn sie erfolgreich arbeiten sollte, ihre Wurzeln und Fundamente bis in den letzten Urgrund politischer Betätigung des Volkes senkte. In dem systematischen Vorgehen gegen alles, was gegnerisch war, lag die Gewähr des unbestrittenen Erfolges. Die Tätigkeit der Reichsregierung beschränkte sich vor dem 5. März lediglich darauf, die allzu drückende Not von den Bauern – durch Zollerhöhung und Vollstreckungsschutz, Pachtzinserleichterungen und Besserung der Absatzmöglichkeiten – und Rentnern – durch Erhöhung der Unterstützungen – und Arbeitern – durch Schutz der Löhne – zu nehmen und die Vorbereitung für die Arbeitsbeschaffung zu treffen. Die Zahl der Arbeitslosen war Ende Januar auf 6 014 000, Mitte Februar auf 6 247 000 gestiegen und sank Ende Februar auf 6 200 000. Auch in der sozialen Versicherung wurden Erleichterungen durchgeführt. Den Beamten wurde das Doppelverdienen verboten und in den staatlich subventionierten Betrieben wurden die hohen Gehälter gekürzt. Bevor das Wahlergebnis nicht vorlag, sollten einschneidende Maßnahmen nicht erfolgen. Insbesondere betonten Frick und Hitler im Reichsrat, daß sie den gesunden Föderalismus des Reiches nicht antasten [169] wollten und daß man die Meinungsfreiheit der Presse nicht zu knebeln beabsichtige, sondern nur da, wo diese offensichtlich gegen die Interessen des Volkes und der Regierung arbeite, eingreifen werde. Vor allem galt es dafür zu sorgen, daß nicht die Autorität der Regierung durch Angriffe und Beschimpfungen geschmälert werde. Um dies zu verhindern, wurde am 6. Februar eine Notverordnung zum Schutze des deutschen Volkes verkündet, welche Verbot und Auflösung politischer Versammlungen vorsah und auch Möglichkeiten enthielt, die gegnerische Presse bei schikanöser und unrichtiger Darstellung von Regierungsvorlagen hart zu bestrafen. Neu war in dieser Verordnung das Verbot ausländischer Zeitungen. Die Regierung durfte jederzeit deren Vertrieb untersagen, sobald sich herausstellte, daß diese ausländischen Zeitungen vom Geiste der regierungsfeindlichen Kreise in Deutschland beseelt wurden. Und in der Folgezeit wurden zahlreiche marxistische und pazifistische Zeitungen des Auslandes verboten. Gewisse Personalveränderungen im Regierungskörper ließen sich ebenfalls nicht umgehen. So wurden Mitte Februar im Reichsrat die bisherigen Vertreter der preußischen Regierung Braun durch die Reichskommissare und deren Vertreter ersetzt, ein Vorgang, der die etappenweise durchgeführte Abdrosselung der Hoheitsregierung Braun abschloß und infolgedessen bei den andern Länderregierungen Unwillen hervorrief.
Das Ziel der Aktion sei die Wiederherstellung des alten parteimäßig nicht beeinflußten Beamtentums nach Wiederkehr der Ruhe im Inneren. Deshalb würden auch nach einer Kampfperiode, die "auf einige Jahre" bemessen werde, die aus den Reihen der jetzigen Regierungsgruppen entnommenen Persönlichkeiten wieder zurückgezogen und durch Fachbeamte ersetzt werden. Schon jetzt herrsche das Bestreben, die Vizepräsidenten in den einzelnen Verwaltungen nicht nach politischen, sondern nach fachlichen Gesichtspunkten auszuwählen. Die Kreise des Bürgertums äußerten Bedenken gegen die Art des Beamtenwechsels. Vor allem die Deutschnationalen nahmen Anstoß an dem Beamtenwechsel. Die Deutsche Allgemeine Zeitung schrieb, mit wenigen Ausnahmen handle es sich um Außenseiter: Offiziere, Volksschullehrer, Postbeamte, Gutsbesitzer usw.
"Sollten in dem riesigen Arsenal der preußischen Verwaltung nicht genügend Berufsbeamte vorhanden sein, die sich als politische Vertrauensmänner der neuen Regierung ebensogut eignen, und liegt in dieser Form der Stellenbesetzung nicht ein Widerspruch gegen früher programmatische Ankündigungen gerade auch der Nationalsozialisten?" Die Bedenken waren unnötig: Das erste Erfordernis war, die seit einem Jahrzehnt zerrissene Vertrauensbindung zwischen Volk und Verwaltung wieder herzustellen, und im übrigen war der Nationalsozialismus, im Gegensatz zur erstarrten, fortschrittsfeindlichen Sozialdemokratie, eine vom ursprünglichen Leben des Volkes erfüllte Bewegung, die jederzeit in der Lage sein würde, da, wo es nötig war, das Gegenwärtige durch Besseres zu ersetzen. Darin aber lag der eigentliche und wahre Sinn der deutschen Revolution, den viele nicht verstehen konnten! Außer in den Regierungsstellen fand ein umfassender Personenwechsel auch in den Reihen der Polizeipräsidenten statt. Die Polizei mußte das zuverlässige Machtmittel in den Händen der neuen Regierung werden. Den Beamten wurde die Anweisung gegeben, den Angehörigen der nationalen Verbände in jeder Weise entgegenzukommen, sofern nicht Vergehen gegen [171] die Gesetze vorliegen. Das Bestreben der neuen Regierung, die Polizei der Befehlsgewalt der Regierungs- und Oberpräsidenten zu entziehen und sie unmittelbar dem preußischen Innenministerium zentral unterzuordnen, fand seinen Ausdruck in der neuen Zusammenfassung und Gruppierung der Polizeiformationen unter dem Oberbefehl von Polizeigenerälen. Diese Zentralisation der preußischen Polizei in der Hand des Innenministers durch die Einsetzung dieser Polizeigeneräle fand Mitte Februar statt. Sie war besonders nötig infolge der kommunistischen Wühlereien. Eine in der Hand des Ministers zentral zusammengefaßte Polizei konnte viel schneller und schlagfertiger gegen alle Umstürze vorgehen als eine durch das Zwischenglied der Regierungspräsidenten zersplitterte und in ihrer Schlagkraft gelähmte Polizeimacht.
Auch auf kulturellem Gebiet ging Göring zusammen mit dem Bildungskommissar Dr. Rust zum Angriff gegen das alte System vor. Ehrenhaftigkeit und Sittlichkeit sollten wieder die Herzen der Volksgemeinschaft beherrschen. Die Schmutz- und Schundliteratur, die schlüpfrigen Darstellungen verschwanden radikal aus der Öffentlichkeit, die bis ins Mark verfaulte Kurfürstendamm-Moral, die Prostitution in allen ihren Formen, die abgrundtiefe Unsittlichkeit im öffentlichen wie im geheimen wurde durch schonungsloses Vorgehen der Polizei bekämpft. Nacktkulturorganisationen wurden verboten und Vergnügungsstätten, die Nacktvorstellungen boten, wurden geschlossen. Von der Jugend galt es wieder die sittliche Gefährdung fernzuhalten. Die Jugend sollte in Christentum und Sittlichkeit, in Arbeit und Gehorsam heranwachsen, um wieder stark und männlich zu werden, und so wurde auch dem Schulbolschewis- [172] mus ein Ziel gesetzt. Die weltlichen Sammelschulen wurden gedrosselt, Göring verfügte, daß von Ostern ab neue Schüler in diesen Schulen nicht mehr aufgenommen werden durften. – Um den Machenschaften der gegnerischen Presse kräftig entgegenzutreten, befahl Göring der Polizei rücksichtsloseste Durchführung der Pressenotverordnung. –
"Wir haben kein anderes Ziel als dem zu dienen, was uns das Höchste auf Erden ist: unserem Volke! Ich kann mich nicht lossagen von der Überzeugung, daß die Nation einst wieder auferstehen wird. Ich kann mich nicht entfernen von der Liebe zu diesem Volk. Das ist mein Glaube: es wird wie- [173] der auferstehen ein neues Deutsches Reich der Größe, der Ehre, der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit, Amen!" Die Leidenschaft des Nationalsozialismus raste durch Deutschland, riß die Menschen zu Millionen zusammen, schmiedete sie in der Begeisterung vor dem Führer zu einer unzertrennlichen Gemeinschaft zusammen, und man erlebte in Deutschland nichts weiter als den Geist des Nationalsozialismus, der alles überstrahlte, vor dem alle anderen Richtungen und politischen Strömungen kümmerlich erblaßten. Hier war ein Feuer angezündet, in dem ein neues Volk geschmiedet wurde! Rundfunk, Presse, öffentliches Leben und das persönliche Leben jedes einzelnen standen Tag und Nacht unter dem machtvollen Eindruck des Nationalsozialismus. Der Nationalsozialismus gab einen großartigen Beweis seiner wuchtigen Lebenskraft. Gegenüber der trostlosen Zerrissenheit und Kraftlosigkeit anderer zeigte er, daß er die durch Schleicher ausgelöste Krisis des Dezember und Januar völlig überwunden hatte. Der vorzügliche Parteiapparat und die Festigkeit der S.A. waren das zuverlässige Rückgrat der von Führerfreude und freiwilligem Gehorsam erfüllten Bewegung, die sich auf dem breiten Fundament der begeisterungsfähigen deutschen Jugend erhob. Die reine Leidenschaft der Zwanzigjährigen, die vielfach den Kreisen des vom vergangenen System Enterbten und Entwurzelten angehörten, aber in ihrem unverdorbenen deutschen Blute den Glauben an die Zukunft trugen, wurde das Zentralfeuer, dem in hellen Scharen nun auch die Massen des Volkes, die in anderen Lagern standen, zuströmten. Die Partei, die am 30. Januar 1933 etwa 1½ Millionen eingeschriebene Mitglieder zählte, konnte am Tage der Wahl einen Zugang von etwa einer Million verzeichnen! – Papen, Seldte, Düsterberg waren bemüht, zur Wahl eine einige Front der Rechten, eine Einheitsliste, zustande zu bringen. Nationalsozialisten, Deutschnationale und Stahlhelm sollten gemeinsame Listen wählen. Die Führer dieser "konservativen" Richtung, die an sich schon recht unwillig wegen schwerwiegender Bedenken ihre Zustimmung zur Auflösung und Neuwahl des Parlamentes gegeben hatten, glaubten auf diese Weise einen Ausgleich herbeiführen, ihre eigene Schwäche [174] verdecken zu können, denn aller Voraussicht nach mußten die Nationalsozialisten mit überwältigender Stärke aus dem Wahlkampfe hervorgehen. Aber die Nationalsozialisten hatten nicht die Absicht, sich mit den anderen zu verbünden, und da Hugenberg am 8. Februar eine Bindung auch mit anderen politischen Parteien ablehnte, schlossen sich die Deutschnationalen mit dem Stahlhelm zur Kampffront "Schwarz-Weiß-Rot" zusammen, deren Führer Hugenberg, Seldte, Papen waren. In der Führung des Wahlkampfes durch diese Parteien waren mehr oder weniger schwere Spannungen zu den Nationalsozialisten deutlich zu erkennen.
"Unser Staatsgefüge, die Grundlagen der Wirtschaft und Kultur, der soziale Gedanke sind bedroht. Es gilt, die Volksgemeinschaft gegen Reaktion und Revolution zu verteidigen. An Stelle des bisherigen Nebeneinander und Gegeneinander der einzelnen Gruppen muß daher endlich der geschlossene Aufmarsch der Front der Mitte treten." Diesen Wunsch hatte die liberalistische Mitte schon seit Jahren, war aber unfähig gewesen, ihn zu verwirklichen; alles, was sie jetzt erreichte, war ein "technisches Wahlabkommen", das jedoch nicht vermochte, den liberalistischen Geist der Gegensätze durch äußere Zusammenarbeit zu überwinden. [175] Das Zentrum, zu dem Papen auch Fühlung aufnahm, befand sich im Gegensatz zur Regierung Hitlers. Kaas bezeichnete als Aufgabe des Zentrums die Sammlung der ganzen Nation: "Aufbau der Nation aus den Grundkräften einer geistigen und politischen Mitte, die eint, versöhnt und zusammenfaßt." Die Spannungen zwischen Nationalsozialisten und Zentrum nahmen im Laufe des Wahlkampfes derart zu, daß die Reichsregierung am 19. Februar vorübergehend die Germania wegen eines Aufrufes der katholischen Verbände Deutschlands verbot. Im Gebiete des Rheines kam es sogar dahin, daß Zentrumsversammlungen von Nationalsozialisten gewaltsam gesprengt wurden, so in Kaiserslautern und Krefeld, – Vorgänge, die von den Regierungsstellen stark verurteilt wurden. Wenn auch das Zentrum wegen Görings Maßnahmen in scharfe Opposition zur Regierung geriet, ja sogar künstlich eine konfessionelle Kulturkampfstimmung zu erzeugen versuchte, so war Kaas klug genug, es nicht zum vollen Bruche kommen zu lassen, da er immer noch damit rechnete, nach den Wahlen von den Nationalsozialisten wieder an die Regierungsmacht herangeführt zu werden. Auch das Zentrum hoffte, daß die Regierungsparteien nicht die absolute Mehrheit erreichen würden. Die Bayerische Volkspartei glaubte die Gelegenheit gekommen, die lang ersehnte Monarchie wieder einzuführen und hatte Ende Februar über diese Frage lange und eingehende Verhandlungen. Man wollte klug vorgehen und scheute einen Umweg nicht: es sollte für Bayern der Posten eines Staatspräsidenten geschaffen werden, für den Kronprinz Rupprecht vorgesehen war. Aber die Pläne kamen nicht über das Anfangsstadium hinaus, da man im Landtag den Widerstand der Nationalsozialisten fürchtete. – Held insbesondere attackierte die Reichsregierung wegen der Presseverbote und forderte die Pressefreiheit. Drohungen mit der Mainlinie tauchten in den Reden der Bayerischen Volkspartei auf. Und mit dieser Mainlinie, welche Zentrum und Bayerische Volkspartei stolz für sich in Anspruch nahmen, glaubten sie Hitler einzuschüchtern. Sie rechneten mit der Angst des Spießers, der Hitler verlassen würde, wenn er der Anlaß zur Trennung des deutschen Nordens und Südens wurde. Aber [176] der Kanzler trat diesen frevelhaften Reden mutig entgegen:
"Was wollen die Feinde der deutschen Einheit? Wer sind sie überhaupt? Sie sind nicht das deutsche Volk! Mögen sie überzeugt sein, daß, wenn auch der eine oder der andere heute eine Mainlinie wieder wünscht, das ist nicht Bayern, das ist nicht Süddeutschland, das ist höchstens eine Partei. Wir haben damit nichts zu tun. Die Staatspartei fühlte sich durch die Ereignisse des Januar bewogen, den entschlossenen Schritt nach links zu tun. Sie [177] ging für den Wahlkampf in Reich und Preußen die Listenverbindung mit der Sozialdemokratie ein – ein Schritt, der in ihren eigenen Reihen starke Bedenken hervorrief, weil die Einheitsbestrebungen der Sozialdemokraten mit den Kommunisten noch vor kurzem stark in den Vordergrund getreten waren. Die marxistische Sozialdemokratie war die erklärte Gegnerin des Nationalsozialismus und der neuen Regierung. In einer Parteiführerbesprechung am 31. Januar, an der auch Vertreter der Eisernen Front teilnahmen, erging sich Breitscheid in scharfen Angriffen gegen die Regierung und erklärte, die Sozialdemokratie habe den Wunsch, in dem bevorstehenden Kampfe "in einem guten Verhältnis zu den kommunistischen Arbeitern zu stehen." Bereits am 3. Februar wurde der Vorwärts auf drei Tage verboten, weil er einen Kampfaufruf gegen die Regierung gebracht hatte. Am 7. Februar veranstaltete die Eiserne Front im Lustgarten zu Berlin eine große Kundgebung, bei der sich Kommunisten und Sozialdemokraten verbrüderten. Der Parteivorsitzende Otto Wels rühmte die Verdienste der Sozialdemokratie nach dem verlorenen Kriege and meinte, es sei falsch, von "Novemberverbrechern" zu sprechen. Er, der bisher immer der Verbindung mit den Kommunisten zurückhaltend gegenübergestanden hatte, betonte jetzt, daß der Kampf um die Einheitsfront des werktätigen Volkes gehe. Allerdings wagten die sozialdemokratischen Führer nicht, den anwesenden kommunistischen Abgeordneten Torgler die Einheitsfronterklärung vorlesen zu lassen, die er in der Tasche bei sich trug. Sie hätten kein Interesse daran, "Konkurrenzmanöver der Kommunisten" zu begünstigen. Die Zeiten hatten sich innerhalb einer Woche doch sehr geändert. Waren die Einheitsbestrebungen zuerst von der Sozialdemokratie ausgegangen und an der Zurückhaltung der Kommunisten gescheitert, so hatten sich jetzt die Dinge von Grund aus verkehrt. Die Kommunisten fühlten sich durch die neue Regierung und ihr Vorgehen bedroht und machten jetzt öffentliche und private Einheitsangebote an die Sozialdemokratie mit der Begründung, daß der kommunistisch-sozialdemokratische Zusammenschluß eine nicht mehr [178] zu umgehende Notwendigkeit sei. Nun aber wurden die Sozialdemokraten vorsichtig, denn sie wünschten, möglichst dem Strafgericht zu entgehen, von dem man ahnte, daß es über den Kommunismus heraufziehe. Auch die sozialdemokratischen Gewerkschaften mißbilligten den Zusammenschluß mit den Kommunisten, und wo untergeordnete Parteistellen hier und da doch einen solchen herbeiführten, wurde dies Vorgehen von der Parteileitung verboten. Sie wollte die letzte politische und taktische Entscheidung sowohl gegenüber der Regierung wie gegenüber den Kommunisten in der Hand behalten.
Die letzte Hoffnung der systemtreuen Marxisten war das Reichsbanner. Ende Februar erklärte Höltermann in der Landes-Generalversammlung, daß das deutsche Volk vor einer historischen Entscheidung stehe. Der deutschen Freiheit gelte die Arbeit des Reichsbanners: "Vorwärts für ein Deutsch- [179] land der Freiheit!" Nun, Waffen und Munition hatte ja das Reichsbanner genug. Die Entdeckungen, die nach und nach stattfanden, bewiesen dies. Aber das Entscheidende fehlte ihm: die Kraft des Mutes und das Bewußtsein, für eine gerechte Sache zu streiten. So war auch das Reichsbanner unfähig, sich zu einer Tat gegen Hitler aufzuraffen: es wäre schonungslos zusammengehauen worden. Die Verschärfung des Wahlkampfes, die Aufforderung der sozialdemokratischen Zeitungen zum Ungehorsam gegen die Reichsregierung und Generalstreik führte seit Mitte Februar dazu, daß die sozialdemokratische Presse in großem Umfange auf mehr oder weniger kurze Fristen verboten wurde. Tagtäglich mußten neue Zeitungsverbote ergehen, Flugblätter wurden beschlagnahmt, ihre Verteiler verhaftet. Besonders die Kritik an den Maßnahmen Görings in Preußen, die von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften als im Gegensatz zur Verfassung stehend bezeichnet wurden, führte zu einer umfassenden Lahmlegung der marxistischen Presse.
Sofort wurden von Moskau die Mobilmachungsbefehle gegeben. Bis Ende Februar sollte die Partei zum Losschlagen fertig sein. Anfang Februar wurde der Parteileitung eine "ge- [180] heime Kopfleitung" des bewaffneten Aufstandes vorgesetzt, die aus drei Personen bestand und zu deren Beratungen die Leiter der kommunistischen Kampfverbände Olbrich, Schneller und Hans Kippenberger hinzugezogen wurde. Die oberste Leitung lag in den Händen des Juden Manuilski, der die westliche Sektion der kommunistischen Internationale in Moskau führte und nach dessen Anweisungen vom August 1932 bereits der Bürgerkrieg vorbereitet worden war. Es wurde jetzt ein strategischer Plan ausgearbeitet: Die geheime Leitung des Aufstandes sollte in der entmilitarisierten Zone, in Krefeld und Düren, sich befinden. Die militärischen Operationen sollten von dem russischen Juden Wolkenberg geleitet werden. Im Rheinland sollte der Aufstand beginnen, das Signal dazu sollte die Ermordung Hitlers oder Hindenburgs sein. Sofort sollten alle lebenswichtigen Betriebe gesprengt oder stillgelegt und Sabotageakte an öffentlichen Gebäuden, Eisenbahnen, Brücken, Kasernen, Polizeiunterkünften verübt werden. Vom Ruhrgebiet aus sollte der Aufruhr nach Oberschlesien, dann nach Berlin überspringen. Die illegalen und geheimen Vorbereitungen wurden von einem verstärkten Blutterror begleitet. Obwohl die Behörden es verboten, rotteten sich die Kommunisten zu vielen Hunderten zusammen, veranstalteten Demonstrationszüge, verteilten Flugblätter, forderten zum Generalstreik auf und versuchten Barrikaden zu errichten. Wenn sich auch die Generalstreikparole nicht durchzusetzen vermochte, so kam es doch in Berlin, Hamburg und anderswo zu Sabotageakten. Der rote Freischärlerkrieg loderte in allen Teilen des Reiches mit erneuter Wucht auf, und der Abend des 1. Februar brachte bereits 10 Tote und mehr als 100 Verletzte. In den nächsten 4 Tagen fielen weiter 5 Todesopfer und 50 Verletzte. So ging es von nun an weiter, wie im Juli 1932.
Gleichzeitig machten die Behörden in Göttingen eine überraschende Entdeckung. Der Universitätsinspektor Goßmann wurde als geheimer kommunistischer Funktionär entlarvt, dessen Beziehungen nach Braunschweig reichten, wo andere maßgebende Verschwörer verhaftet wurden. Die Existenz eines bolschewistischen Informations- und Diskussionsbüros für Niedersachsen wurde festgestellt, das ein eingehendes Arbeitsprogramm für den niedersächsischen Bezirk ausgearbeitet hatte. Dies Gebiet, so hieß es da, sei wegen seiner geographischen Lage (Eisenbahnknotenpunkte, Wasserstraßen) sehr bedeutungsvoll, und sein agrarischer Charakter könne es leicht zum Stützpunkt der Gegenrevolution machen. Aber zum Glück sei diese deutsche Vendée von einem starken kommunistischen Ring umgeben: Wasserkante, Ruhrgebiet, Mitteldeutschland, Berlin, und von hier aus müsse ein enges Netz kommunistischer Zellen über Niedersachsen gespannt werden, um es bei einem Aufstande niederhalten zu können. Während der rote Meuchelmord Tag für Tag seine Opfer forderte, verdichteten sich die Anzeichen für den bevorstehenden kommunistischen Aufstand. Kommunisten selbst verrieten die heimlichen Umtriebe und lieferten ihre Spießgesellen den [182] Staatsbehörden aus. Man erfuhr, daß in Flensburg eine aus Hamburger Schwerverbrechern bestehende bewaffnete Terrorgruppe existierte. Im Ruhrgebiet waren nächtliche bewaffnete Überfälle auf die Polizei geplant. In Camin in Pommern wurde der Polizei ein schiffrierter Plan übergeben, wonach eine Terrorgruppe von 25 Mann Geiseln verhaften und Eisenbahnbrücken sprengen sollte. Altona erwies sich als ein gefährlicher Stützpunkt des militärischen Aufstandes, da hier Rotfrontkämpferbund, Rote Marine und Kampfbund gegen den Faschismus sehr stark waren und über zahlreiche Waffen verfügten. Deutschland stand unmittelbar vor dem Ausbruch eines großen kommunistischen Aufstandes. Um dieser gefährlichen kommunistischen Umtriebe Herr zu werden, hatte Göring bereits am 22. Februar die Einstellung der Hilfspolizei angeordnet. Am 24. Februar ließ er das Karl-Liebknechthaus, die kommunistische Zentrale in Berlin, besetzen. Bei der Untersuchung des Gebäudes wurden nicht nur hochverräterische Schriften in ungeheuren Mengen vorgefunden, sondern auch unterirdische Geheimgänge und Keller, Katakomben entdeckt, in denen Waffen und Sprengstoffe aufgestapelt waren.
"Bis Samstag muß dem Reichskurier gemeldet sein, wieviel Waffen in euren Bezirken sind. Sofort mitzuteilen, daß die eingesetzte Hilfspolizei dort, wo man sie antrifft, mit allen [184] zu Gebote stehenden Mitteln zu erledigen ist. Es muß so sein, daß kein Faschist mehr über die Straßen gehen kann. Festzustellen, wo Nazikasernen und alle strategischen Punkte der Nazi. Einheitliches Vorgehen der gesamten Organisation. Auf Nazi ist kein Pardon zu geben. Die Ortsgruppen haben in allen Aktionen freie Hand, nur wo es sich um Polizei handelt und um Kasernen der Polizei sowie um technische Betriebe, muß die Einwilligung der BL. der M.-Abteilung eingeholt werden. Höchste Alarmstufe, 5. März, abends. 12 Uhr, Eintreffen der Alarmmeldung. Positive Anweisung über Operation im Reich. Eintreffen des Reichskuriers. Wir erwarten, daß unsere Anweisungen sofort durchgeführt, werden zum Sturz der Hitlerregierung." Ein besonderer Aktionsplan war für Berlin entworfen worden für die Zeit vom 5.–9. März. Eisenbahnbrücken sollten gesprengt, Hochspannungsleitungen umgelegt und Elektrizitäts- und Kraftwerke zerstört werden. Terrorgruppen sollten die Polizei in Schach halten, ein Massenaufgebot von Erwerbslosen sollte Überfälle und Plünderungen in den Villen ausführen. Die Regierung des Reiches und Preußens war in der glücklichen Lage, alle diese Pläne zu kennen, und so konnten Frick und Göring mit starker Hand das notwendige eiserne Regiment aufrichten. Um die von den Kommunisten geplante Lahmlegung des Eisenbahnverkehrs zu verhindern, mobilisierte Frick in Deutschland 40 000 Mann Bahnschutz, die das Recht hatten, bei der geringsten verdächtigen Handlung sofort auf den Täter scharf zu schießen. Trotzdem wagten es verwegene Gesellen hier und da die Eisenbahn zu attackieren. Doch wurden diese Versuche rechtzeitig entdeckt.
In seiner ersten Rede stellte Göring fest, daß die Brandstiftung im Berliner Schloßgebäude und im Reichstag auf [185] Anweisungen zurückzuführen sei, die man unter dem im Karl-Liebknecht-Haus vorgefundenen Material festgestellt habe. Bei der Durchsuchung des Karl-Liebknecht-Hauses seien über 100 Zentner hochverräterische Akten in unterirdischen Gängen gefunden worden, deren bisherige nur oberflächliche Sichtung und Überprüfung durch den Oberreichsanwalt ein Material an das Tageslicht gefördert habe, das bis ins Einzelne gehende hochverräterische und landesverräterische Pläne der K.P.D. enthülle. Nach diesem Material stehe einwandfrei fest, daß die K.P.D. systematische Terroraktionen vorbereitet habe. Diese Aktionen sollten auf ein bestimmtes Signal hin gleichmäßig in ganz Deutschland von besonders ausgebildeten Terrorformationen durchgeführt werden. Unter diesen Aktionen seien in erster Linie planmäßige Brandstiftungen, die in allen lebenswichtigen Betrieben und an öffentlichen Gebäuden vorgenommen werden sollen, zu verzeichnen. Hand in Hand mit diesen Terroraktionen sollte eine ungeheuere Steigerung des Individualterrors gehen, die sich besonders auf Attentate gegen die verantwortlichen Leiter des Staates erstrecken sollten. Neben diesen Terrorakten gegen einzelne verantwortliche Persönlichkeiten und gegen die Führer politischer Parteien war die Bereitstellung besonderer Terrorformationen vorgesehen, deren Aufgabe es sein sollte, die Angehörigen führender politischer Persönlichkeiten, vor allem Frauen und Kinder als Geiseln fortzuschaffen. Aus dem Material, das bisher gesichtet worden sei, gehe ferner hervor, daß die K.P.D. starke Terrorgruppen zusammengestellt habe, die als Schutzpolizisten, S.A.- und S.S.-Leute und als Stahlhelmer verkleidet, in Aktion treten sollten. Alle diese Terroraktionen, so betonte Reichsminister Göring, seien genau vorbereitet gewesen und es seien genug Verdachtsmomente vorhanden, daß der Reichstagsbrand das Signal zu einem kommunistischen Umsturzversuch werden sollte. Reichstagsbeamte hätten ausgesagt, daß Torgler schon im Laufe des fraglichen Tages über 10 Zivilisten in das Reichstagsgebäude gebracht habe, von [186] denen jetzt einwandfrei feststehe, daß sie zu den Brandstiftern gehören. Es sei anzunehmen, daß die übrigen Brandstifter kurz vor Entdeckung des Brandes durch unterirdische Verbindungsgänge, die vom Reichstagsgebäude zum Palais des Reichstagspräsidenten führen, entflohen sind. Außerdem konnten nach den Mitteilungen des Reichsministers zwei Leute gefaßt werden, die sich kurz nach Bekanntwerden des Brandes vom Reichstagsgebäude aus telephonisch mit der Redaktion des Vorwärts in Verbindung setzten, um irreführende Meldungen an den Vorwärts weiterzugeben. In der zweiten Rede vor dem Volke führte Göring folgendes aus: Die Reichsregierung sei sich bewußt gewesen, daß der Brand im Reichstag nur als das erste Zeichen einer längeren Folge von Gewalttaten zu deuten sei. An Hand umfangreichen Materials, das der Polizei in die Hände gefallen ist, wies der Minister darauf hin, daß die kommunistischen Funktionäre seit Anfang Februar an allen Orten regste Tätigkeit entfalteten. Es habe festgestellt werden können, daß diese Aktivität eingestandenermaßen auf die Entfesselung eines Aufstandes hinzielen sollte. Ich möchte es offen aussprechen, so hob der Minister hervor, daß wir nicht einen Abwehrkampf führen, sondern auf der ganzen Front zum Angriff übergehen wollen. Am 15. Februar z. B. sei festgestellt worden, daß die K.P.D. mit der Bildung von Terrorgruppen in Stärke bis zu 200 Mann beschäftigt sei. Diese Gruppen, so erklärte Göring, hätten die Aufgabe, sich die S.A.-Uniform anzuziehen und dann auf Autos, Warenhäuser, Läden usw. Überfälle zu unternehmen. Auf der anderen Seite sollten Terrorgruppen in Stahlhelmuniform ähnliche Taten ausführen. Bei der Verhaftung sollten die falschen Ausweise vorgezeigt werden. Ferner wurden zahlreiche gefälschte Befehle von S.A.- und Stahlhelmführern gefunden, in denen die S.A. in geheimnisvoller Weise aufgefordert wurde, sich für die Nacht zum 6. März bereit zu halten, um Berlin zu besetzen, und zwar unter rücksichtslosem Waffengebrauch, Niederschlagung aller Widerstände usw. Auch Polizeibefehle wurden gefälscht, wo- [187] nach Panzerwagen auszuliefern waren. In einer Sitzung der K.P.D. am 18. Februar war von einem ausdrücklichen Angriffspakt der vereinigten Proletarier gegen den faschistischen Staat die Rede. Am gleichen Tage wird der Führer einer Brückensprengkolonne, der sich durch Stehlen größerer Mengen Sprengstoff verdächtig gemacht hatte, festgenommen. Bald danach wurde eine Organisation der K.P.D. aufgedeckt, die mit Gift vorgehen sollte. Durch die Aufdeckung eines solchen Giftdiebstahls in Köln (Rhein) wurde offenbar, daß das Gift in Gemeinschaftsspeisungen der S.A. wie auch des Stahlhelm verwendet werden sollte. Am 23. Februar wurde vom Zentralkomitee die Parole zur Bewaffnung der Arbeiterschaft ausgegeben. Es sollten alle Leute gemeldet werden, die mit der Waffe umzugehen verstehen, alles habe sich auf die Illegalität umzustellen. Es ist nur ein erster Schreck durch die Führung der K.P.D. gegangen. Jetzt will man den illegalen Druck von Blockzeitungen außerhalb Berlins vornehmen. Der Minister gab dann einige Auszüge aus dem großen Organisationsplan zum bewaffneten Aufstand, betitelt "Die Kunst des bewaffneten Aufstandes".
"Wir haben keine Lust, so schloß Göring, durch die kommunistische Bestie das Volk zerfleischen zu lassen. Wenn mir als Reichskommissar die Hauptaufgabe dieses Kampfes zufällt, so nehme ich diese Aufgabe gern auf meine Schultern, weil ich weiß, daß sie zum Besten meines Volkes notwendig ist. Den Kommunisten darf ich sagen: Meine Nerven sind bisher noch nicht durchgegangen und ich fühle mich stark genug, ihrem verbrecherischen Treiben Paroli zu bieten!" Natürlich war der von Göring angekündigte Kampf ein Kampf auf lange Sicht. Feuerüberfälle und Sabotageakte wiederholten sich immer wieder. Aber das waren lokale Zuchtlosigkeiten irregeleiteter Fanatiker, nachdem man die Köpfe der Kommunistischen Partei, die Führer, welche die Schandpläne ausgeklügelt hatten, zum größten Teile unschädlich gemacht hatte. Das Vorgehen Fricks und Görings rief das Wutgeheul der [188] marxistischen II. und III. Internationale hervor. Die Bolschewisten in Moskau überboten sich in Beschimpfungen und blutrünstigen Drohungen. Leon Blum in Paris erließ einen Aufruf, worin er den Kampf gegen die deutsche Regierung proklamierte und aufforderte, die deutsche Sozialdemokratie, die den "Kampf auf Leben und Tod" aufgenommen habe, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen. Die Bundesleitung des Reichsbanners erließ einen Aufruf "An das deutsche Volk! An die Kameraden des Reichsbanners!" Millionen von Volksgenossen, hieß es darin, seien außerhalb des gemeinsamen vaterländischen Rechts gestellt worden; die Soldaten des Weltkrieges, die im Lager des arbeitenden Volkes stünden, würden heute beschimpft, ihre Blutopfer würden verachtet, ihre Gesinnung würde verdächtigt. Um Deutschlands willen gehe das Reichsbanner wiederum in den Kampf für Freiheit und Recht der Nation. Nie habe ein Volk die äußere Freiheit erstritten, wenn es die innere Freiheit verloren habe. Die Wiederherstellung der Demokratie sei zur Lebensfrage für Deutschland geworden. Die selbstmörderische Zerstörung des Parlaments habe zur Entrechtung und Entmachtung des Volkes geführt: "Für ein Deutschland ohne Hunger! Für das Deutschland der Arbeit! Für das junge Deutschland der Zukunft!" Die Sozialdemokratie hätte in diesem Augenblick herzlich viel darum gegeben, wenn sie die Einigungsverhandlungen der letzten Monate mit den Kommunisten hätte ungeschehen machen können. Otto Wels schrieb an Papen einen Brief, worin er die Schuldlosigkeit der Partei und die Ungerechtigkeit der Maßnahmen Fricks und Görings zu beweisen versuchte: Die ganze Vergangenheit der Sozialdemokratischen Partei biete keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß sie mit Leuten, die den Reichstag in Brand steckten, irgend etwas zu tun habe. Vielmehr beweise ihre ganze Geschichte, daß sie terroristische Akte jeder Art ablehne und daß ihre Anhänger stets eine in jeder Beziehung vorbildliche Disziplin an den Tag gelegt hätten. Ein Blick in die kommunistische Presse, die bis zur Gegenwart mit schärfsten Angriffen gegen die Sozialdemo- [189] kratische Partei angefüllt sei, beweise am besten, daß eine sozialdemokratisch-kommunistische Einheitsfront nicht bestehe. Es sei nicht richtig, daß die Vorwärts-Redaktion Anweisung an zwei Leute gegeben habe, während des Brandes aus dem Reichstag an den Vorwärts die Meldung gelangen zu lassen, Reichsminister Göring habe den Brand veranlaßt. Das Verbot der sozialdemokratischen Zeitungen, Flugblätter und Plakate halte die Partei für ungesetzlich, sie spreche daher die Erwartung aus, daß Papen es nicht durchführen werde. Otto Wels hatte sich getäuscht. Die Regierung Hitler betrachtete, wie es in den Wahlreden der letzten Tage deutlich genug gesagt wurde, als ihre Hauptaufgabe die Ausrottung des Marxismus. Dieser sei eine Weltgefahr, er habe Deutschland 14 Jahre im Banne gehalten und es sei Zeit, daß damit Schluß gemacht würde. Am Abend des 4. März hielt der Kanzler seine letzte gewaltige Rede. Er hielt sie vor vielen Zehntausenden bis zum Fanatismus begeisterter Deutscher in Königsberg, an der Stätte, von der die Größe Preußens und die Einheit des Reiches ihren Ausgang nahmen. Nichts forderte Hitler vom Volke als vier Jahre Ruhe und Vertrauen. Er setzte auseinander, wie sein Lebensweg ihn, den einfachen deutschen Mann und Feldsoldaten unter vielen Millionen gleicher Menschen, dahingeführt habe, wo er heute stehe. Er wies darauf hin, daß der Nationalsozialismus kein radikaler Bruch mit der Vergangenheit sei, sondern die lebendigen Kräfte guter Tradition fortsetzen wolle, um das deutsche Volk in ein neues Reich hineinzuführen. Der Rundfunk verbreitete die Rede und die Begeisterung ohne Maß und Grenzen in alle deutschen Häuser, und durch die sternenklare Vorfrühlingsnacht trugen die Ätherwellen über Deutschland hin das leidenschaftliche Lied der deutschen Revolution:
Die Fahne hoch, die Reihen dicht geschlossen, Rings an der Grenze gegen Polen aber loderten Freiheitsfeuer über vereiste Schneefelder und griffen mit feurigen Armen in den Nachthimmel hinauf, gleichsam die göttliche Weihe für den anbrechenden Tag der Freiheit, der erwachenden Nation herabzuflehen.
Im preußischen Landtag fielen von insgesamt 474 Mandaten den Nationalsozialisten 210, der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot 42 zu. Hier hatte die Regierung 53% erhalten. – Der Marxismus hatte gegenüber der Reichstagswahl vom 6. November 1932 insgesamt 1½ Millionen Stimmen eingebüßt.
Die Prozentziffern waren folgende, wobei in Klammern die Reichstagswahl vom 6. November 1932 und die preußische Landtagswahl vom 24. April 1932 angegeben sind:
Die Wahl, die überall mit außerordentlicher Disziplin vor sich gegangen war, hatte eine außerordentliche Bedeutung in der deutschen Geschichte. Sie stellte die Übereinstimmung im Willen des Präsidenten und des Volkes her, d. h. sie führte die beiden verfassungsmäßigen Energiequellen der deutschen Politik, Parlament und Präsident, zusammen. Es trat jener Zustand ein, um den das deutsche Volk und der Reichspräsident seit drei Jahren mit aller Kraft gerungen hatten. Dies, von Hitler allein erreicht, war möglich, weil alle Gegner dieser Vereinigung auf der einen wie auf der andern Seite geschlagen waren: zum erstenmal seit Bismarcks Zeiten war die Schlüsselstellung des Zentrums gebrochen, in die süddeutsch-separatistische und marxistische Front war ein beachtenswerter Einbruch erfolgt. Der siegende [192] Nationalsozialismus hatte all die trennenden Kräfte überwunden und der Einheit des politischen Willens, dem großen Ziele Adolf Hitlers, den Weg geebnet. – Trotzdem die Wahl im allgemeinen ruhig verlief, blieben Bluttaten dem deutschen Volke nicht erspart, so in Hessen und in Breslau.
Der 12. März bestätigte das Ergebnis des 5. März für die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften Preußens. Der zweite Abschnitt des nationalsozialistischen Ringens, das Ringen um die Befestigung der Macht, konnte nun beginnen. Der Nationalsozialismus war jetzt, durch das legale Bekenntnis des Volkes, Herr der politischen Macht bis in die kleinste Gemeinschaft hinein. Träger dieser neuen Macht waren die braunen Soldaten der S.A., die, wie bisher, jetzt das eherne Fundament des neuen politischen Gedankens und die ausführenden Organe des Führers wurden. Sie schickten sich jetzt an, die deutsche Revolution durchzuführen, die durchgreifende Umwälzung der deutschen Dinge zu vollenden, das System der Korruption, der Schmach und Schande, des tödlichen Hasses aller gegen alle, das vierzehn Jahre lang das Volk gequält hatte, auszulöschen. Hitler und Göring mahnten ihre Kämpfer zu unbedingtestem Gehorsam und strenger Disziplin, denn die Ehre der deutschen Revolution sollte nicht durch Gesetzesverletzung und Willkür befleckt werden. Und so ging das gewaltige Werk in vorbildlicher Zucht vonstatten, wenn auch hier und da im allzugroßen Eifer und bei hartnäckigem Widerstand der Gegner kleine Übergriffe nicht vermieden werden konnten. Die deutsche Revolution, die jetzt abrollte, war ein Triumph des freiwilligen Volksgehorsams und der reinen, jubelnden Freude zum Führer. Der endliche Sieg eines jahrelangen, mühseligen aber ehrlichen Kampfes war vom Gedanken des Heldischen überstrahlt. Nicht die geringste Spur von jenem Chaos, das im November 1918 über Deutschland hereinbrach, zeigte sich, nicht ein einziger Tropfen Blut wurde vergossen, nirgends wurde Besitz und Vermögen angetastet. Das deutsche Volk gab der Welt ein neues Beispiel seiner Gesetzesachtung und sittlichen Größe; alle die aber, welche dieses Volk in den letzten 14 Jahren gedrückt und getreten hatten, waren erfüllt von [193] der Angst ihres bösen Gewissens, und in Scharen flohen die sozialdemokratischen und kommunistischen Führer ins Ausland, die Juden schlossen sich an. Der Berliner Polizeioberst Heimannsberg und der jüdische Vizepolizeipräsident Bernhard Weiß, sowie der ehemalige sozialdemokratische Minister Klepper waren die ersten, die Deutschland verließen. Der jüdische Intellektuelle Albert Einstein, der Begründer der Relativitätstheorie, die Führer der Sozialdemokraten begaben sich ins Ausland.
"Ich bin dafür verantwortlich, daß der Wille der Majorität des deutschen Volkes gewahrt wird, hingegen nicht die Wünsche einer Gruppe, die anscheinend die Zeichen der Zeit noch nicht verstanden hat." In Goslar kam es bei der Flaggenhissung auf dem Gewerkschaftshaus zu blutigen Zusammenstößen zwischen S.A. und Marxisten. Am Volkstrauertag, dem 12. März, legalisierte der Reichspräsident die neuen Reichsfarben:
"Am heutigen Tage, an dem in ganz Deutschland die alten schwarz-weiß-roten Fahnen zu Ehren unserer Gefallenen auf Halbmast wehen, bestimme ich, daß vom morgigen Tage ab bis zur endgültigen Regelung der Reichsfarben die schwarz-weiß-rote Fahne und die Hakenkreuzflagge gemeinsam zu hissen sind. Diese Flaggen verbinden die ruhmreiche Vergangenheit des Deutschen Reiches und die kraftvolle Wiedergeburt der deutschen Nation. Vereint sollen sie die Macht des Staates und die innere Verbundenheit aller nationalen Kräfte des deutschen Volkes verkörpern.
[194] Eine weitere Maßnahme war die Befreiung der nationalen Gefangenen aus den Kerkern, in die sie durch die früheren Regierungen geworfen worden waren. Mitte März wurden die im Potempafall zum Tode Verurteilten, dann zu lebenslänglichen Zuchthaus Begnadigten aus dem Gefängnis entlassen.
Die Sozialdemokraten trieben ihr unsauberes Spiel auf ihre Weise. Mitte März berichtete die französische Zeitung Figaro, daß 10 deutsche Sozialdemokraten nach Paris gekommen wären und in Unterhandlungen mit Führern der französischen Sozialisten ersucht hätten, eine Wiederbesetzung des Ruhrgebietes herbeizuführen! Die deutschen Sozialdemokraten verwahrten sich zwar energisch gegen diese Behauptungen und bezeichneten sie als grobe Lüge, dennoch aber war es durchaus möglich, daß sie in ihrem Kampfe gegen die Regierung Adolf Hitlers auch solche Pläne erwogen. [196] Die Absicht, Adolf Hitler zu ermorden, bestand nicht nur bei den Kommunisten. Mitte März plante der der Bayerischen Volkspartei angehörende und stark im Gedanken eines Donaustaates befangen Graf Arco, den Reichskanzler zu ermorden. Arco, der durch seine jüdische Mutter Halbjude war, hatte im Februar 1919 den Unabhängigen Kurt Eisner erschossen, war im Januar 1920 zum Tode, dann zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt und 1927 begnadigt worden. Aus Wut über die Niederlage des separatistischen Gedankens am 5. März wollte er nun den nationalsozialistischen Führer "umlegen". Doch sein Plan wurde verraten und vereitelt. –
Das Reichsbanner, die marxistische Schutzgarde der Republik, verfiel dem Verbot und der Auflösung; sein Vermögen wurde eingezogen. Jede weitere Zugehörigkeit zu dieser Organisation wurde mit Strafe bedroht. Unter diesen Umständen löste sich Mitte März auch die Eiserne Front, die sowieso nur ein Schattendasein führte, von selbst auf. Besonders die Gewerkschaften erklärten, daß die Eiserne Front keine Aufgabe mehr zu lösen habe und daß sie die von ihnen gebildeten Hammerschaften ebenfalls auflösen würden. Die klugen Gewerkschaften versicherten, daß sie fortan sich rein sozialen und wirtschaftlichen Aufgaben widmen wollten. Braun verzichtete nicht nur, wie Severing, auf sein Landtagsmandat, sondern auch auf die Durchführung seiner zweiten Klage in Leipzig. Auch unter den Oberbürgermeistern der deutschen Städte wurde aufgeräumt. Sozialdemokraten wie Reuter in Magdeburg und Zentrumsmänner wie Adenauer in Köln und viele andere mußten ihre Ämter niederlegen. Binnen kurzem wurden 70 deutsche Städte kommissarisch von nationalsozialistischen Bürgermeistern verwaltet.
"Es ist heute nicht mehr die Zeit für lange Reden. Es ist die Zeit zu handeln. Sie werden es deshalb verstehen, wenn ich mich bei meiner heutigen Ansprache auf einige kurze Sätze beschränke. Schacht war durch seine Persönlichkeit und Fähigkeiten der Mann, der nicht nur im Innern das deutsche Wirtschaftswesen zu lenken verstand, sondern auch das Vertrauen des Auslandes genoß. Seine Aufgabe bestand darin, die deutsche Währung unversehrt zu erhalten, und da mußte er zunächst dafür Sorge tragen, daß die schier unerträglichen Auslandslasten erleichtert wurden und der Reichsbank die Möglichkeit geboten, durch eine gesunde Devisenpolitik die deutsche Währung zu schützen. Wie Schacht die ihm gestellte Aufgabe löste, wird im letzten Kapitel gezeigt werden. –
Da die Ministerbeschlüsse offensichtlich auch gegen den Willen des bayrischen Volkes gerichtet waren, setzte Frick in den Abendstunden den General von Epp zum Reichskommissar in Bayern ein, um zu verhindern, daß die aufs höchste gestiegene Spannung zu einer gewaltsamen Entfernung der Regierung Held und zu Zusammenstößen führte. Abteilungen der S.A. und S.S. zogen in die Regierungsgebäude, das Parlamentsgebäude, das Polizeipräsidium, das Rathaus und das Gewerkschaftshaus, in dem Maschinengewehre, Handgranaten, Pistolen und Munition gefunden wurden, ein, ohne daß ihnen Widerstand geleistet wurde. Die politischen Gefangenen wurden befreit. Die gemaßregelten nationalen Beamten wurden in ihre Stellen wieder eingesetzt. Der Stahlhelm beteiligte sich an der Machtübernahme. Ein Protest Helds bei Hindenburg blieb ohne Wirkung. Am 17. März endlich trat Held zurück. Epp ernannte darauf eine kommissarische Regierung. Die Maßnahmen Fricks in den deutschen Ländern waren notwendig, um zu verhindern, daß die geschäftsführenden Regierungen, die dem Nationalsozialismus feindlich gegenüberstanden, der Reichsregierung in den Rücken fielen. Sowohl Hitler wie Frick haben immer wieder betont, daß sie den gesunden Föderalismus nicht antasten würden. Dieser gesunde Föderalismus erstreckte sich aber auf die kulturelle Stammesart der Deutschen. Seit je war es ein Hauptgrundsatz der Nationalsozialisten gewesen, das Bewußtsein der Bodenständigkeit und die Heimatliebe der Deutschen als die Grundlagen ihrer kulturellen schöpferischen Betätigung zu pflegen. Wo es sich aber um den politischen Willen des Reiches handelte, da mußte unbedingt die Einheit gesichert werden. Der Raub an der Reichsmacht, den gewisse Länderregierungen mit Hilfe ihrer Parteien nach dem Sturze der Dynastien begangen hatten, mußte beseitigt werden. In der Regierung des Reiches mußte der politische Wille wieder seine Einheit finden, sei es wie in Preußen, durch die personelle Verbindung der kommissa- [203] rischen Regierung mit der Reichsregierung, sei es wie in den andern Ländern durch die Einsetzung von Reichskommissaren. Was die Regierung Hitler tat, fand seinen Schwerpunkt im Willen des Volkes. Das deutsche Volk hatte mit klarer Mehrheit der Regierung das Vertrauen ausgesprochen, es hatte ihre Pläne und ihren Willen gutgeheißen und die Regierung hatte die Pflicht, dies Vertrauen durch Willenskraft und Weitblick zu rechtfertigen. Die Regierung hatte aber auch die Pflicht, besonders darauf zu achten, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Führer und Volk nicht wieder zerriß, die innige Verbundenheit mußte erhalten bleiben. Die Regierenden waren sich dieser ihrer Aufgabe voll bewußt. Emporgehoben durch den freiwilligen Gehorsam und dem freudigen Willen weitester Volkskreise durften sie jetzt nicht zu alten Obrigkeitsmethoden zurückkehren. Göring erklärte daher einmal, daß weit wirksamer als jede Verordnung ein eiserner nationaler Erziehungswille und Erziehungszwang sein würde. Diese Erziehung des Volkes zum Willen des Führers bedurfte aber einer gigantischen Aufklärung, einer steten Propaganda in einem Maße, das bis dahin in Deutschland unbekannt war. Die dem Nationalsozialismus innewohnende ungeheure Kraft der Erziehung konnte nur dann lebendig bleiben, wenn sie täglich aufs neue wirken konnte. Darum betonte Adolf Hitler, daß es nötig sei, eine besondere Reichspropagandazentrale zu errichten. So wurde denn am 14. März Dr. Göbbels zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda ernannt.
Das neue Staatsgebilde, das sich bereits im Frühjahr 1933 abzuzeichnen begann, strebte nach dem Vorbilde antiker Demokratien hin, wie sie bei allen gesunden Völkern, auch den Deutschen der Römerzeit, angetroffen wurden. Die Kraft dieser Demokratien beruhte in der Zusammenfassung des Volkes unter einen Führerwillen. Die letzte Stütze einer solchen Zusammenfassung war nach dem Sturz der Dynastien verloren gegangen. Jetzt nun bewies der Nationalsozialismus, daß auch ein 65 Millionen-Volk bei geschickter Benutzung der modernen Technik, des Rundfunks, in unmittelbarer und nächster Nähe des Führers jeden Augenblick zu einer großen geschlossenen Einheit zusammengefaßt werden konnte, ohne daß es der trennenden und zerstörenden Zwischenglieder Parteien, Parlamente und Presse bedurft hätte. So wurde das Propagandaministerium die eigentliche und charakteristische Ausdrucksform des nationalsozialistischen Reiches. – Die dringendste Aufgabe, die zu lösen war, erblickte die Regierung in einer Neuorganisation der Wirtschaft. Es kam darauf an, vor allem dem bürgerlichen und bäuerlichen Mittelstand und den Arbeitslosen zu helfen. Unmittelbar nach der Reichstagswahl hatte sich eine Bewegung gegen Warenhäuser und jüdische Geschäfte erhoben, die aus dem Volke hervorging. Vor den Geschäften sammelten sich große Menschenmassen und verlangten die Schließung. Starke Trupps verhinderten ein Betreten der Geschäfte und trugen Plakate: "Deutsche, kauft in deutschen Geschäften!" S.A. und Polizei sorgten für [205] Ruhe und Ordnung. Die Reichsregierung kam diesen Forderungen des Volkes entgegen, nicht, indem sie nun diese Geschäfte kurzerhand schloß, sondern für sie eine Sondersteuer einführte, um dadurch zu verhindern, daß ihre allzu billigen Preise für den kleinen Gewerbetreibenden zu einer gefährlichen Konkurrenz wurden. Den Automobilbesitzern wurde durch eine teilweise Beseitigung der Kraftfahrzeugsteuer eine Erleichterung gebracht. Man erhoffte hiervon auch einen Aufschwung für die Automobilindustrie. Weiterhin wurde bestimmt, daß vom 1. April die von Papen eingeführte Einstellungsprämie fortfallen sollte, da sie in der Hauptsache nur den Großbetrieben, nicht aber dem Mittelstande zugute kam. Auch wurde beschlossen, dem Mittelstande Krediterleichterungen zu verschaffen, um ihn von der Bedrückung durch das Großkapital zu befreien. Alle diese Pläne fanden ihre Verwirklichung in der Notverordnung des Reichspräsidenten vom 18. März 1933 über Finanzen, Wirtschaft und Rechtspflege, die darin gipfelte, daß eine Erhöhung der Beamtengehälter bis zum 31. März 1934 und eine Vermehrung der planmäßigen Stellen bis 31. März 1936 unmöglich gemacht wurde. Im Interesse der Staatssparsamkeit mußte also der gegenwärtige Zustand beibehalten werden. Ferner wurden Erleichterungen auf allen Gebieten des Steuerwesens angekündigt und das Verbot einer Erhöhung der unerträglichen Realsteuern bis zum 31. März 1934 verlängert. Den Ländern wurde die Möglichkeit einer Erhöhung der Filial- und Warenhaussteuer gegeben. Die Grundsteuer der Landwirte durfte bis 1938 nicht erhöht werden, das Pächterkreditgesetz vom 9. Juli 1926 wurde um 10 Jahre verlängert. Den gewerblichen Kreditgenossenschaften wurden 30 Millionen Stützungsgelder für den Mittelstand gegeben. Die kommissarische Regierung Preußens nutzte diese Bestimmungen sogleich aus, indem sie nicht nur die Schlachtsteuer ermäßigte, sondern auch den Gemeinden das Recht gab, Gewerbesteuern für Warenhäuser und Einheitspreisgeschäfte um ein Fünftel zu erhöhen, zum Schutze des gewerblichen Mittelstandes gegen die übermächtige Konkurrenz. [206] Eine für die deutsche Landwirtschaft geradezu gewaltige Bedeutung hatte die Notverordnung des Reichspräsidenten über die Neuregelung der Fettwirtschaft vom 24. März 1933. Der Sinn dieser Notverordnung war, die deutsche Landwirtschaft von dem starken Druck der Einfuhr ausländischer Fette zu befreien. Was drei Jahre lang die Regierungen nicht vermochten, das führte Hitler jetzt entschlossen durch. Der Zoll für Margarine wurde um 150%, der für Kunstspeisefett um 500% erhöht! Die Erzeugung von Margarine, Palmin usw. wurde auf 50% des Jahres 1932 herabgesetzt, der von Schleicher im Dezember 1932 verordnete Butterbeimischungszwang wurde aufrechterhalten. Die Rohstoffe für Margarine, Speisefette, Ersatzstoffe und Futtermittel wurden einer Monopolbewirtschaftung unterstellt. Durch diese Maßnahmen sollte erreicht werden, daß der deutsche Fettbedarf, der bisher nur zu 40% aus eigener Erzeugung gedeckt wurde, jetzt zu 80% der inländischen Produktion entnommen wurde. Da mit diesen Maßnahmen eine Verteuerung der Fette verknüpft war, wurden für annähernd die Hälfte der deutschen Bevölkerung Fettverbilligungskarten ausgegeben. – Die Frage nach dem Schicksal der Gewerkschaften wurde durch die umfangreichen Besetzungen durch S.A.-Formationen akut. Die Gewerkschaftsführer erhoben Protest gegen diese Vorgänge und suchten daraus eine Gewerkschaftsfeindlichkeit des Nationalsozialismus zu konstruieren. Die Partei aber entgegnete Mitte März, daß sie keineswegs eine Feindin der Gewerkschaften sei. Sie bejahe vielmehr die Gewerkschaften als natürliche Vertretung der Interessen der Handarbeiterschaft und wende sich ausschließlich gegen jede Verfälschung des gesunden Gewerkschaftsgedankens durch engstirnige marxistische Parteipolitik. Es war das Ziel der neuen Regierung, die Gewerkschaften streng und rücksichtslos vom Marxismus zu trennen, ebenso natürlich vom Zentrum. Man erwog die Einsetzung eines Reichskommissars für die Gewerkschaften, der nicht nur die Finanzen prüfen, sondern auch den Personenbestand von allen Juden und Marxisten säubern sollte.
Die Regierung hatte mit Absicht Potsdam gewählt. Potsdam war ein Symbol, das Gegenstück zu Weimar. In Potsdam sollte die Revolte von 1918 staatsrechtlich überwunden werden. In Potsdam, der klassischen Stätte jenes Geistes, der die rücksichtslose Unterordnung des einzelnen unter die Gemeinschaft des Volkes forderte, sollte die Staatsauffassung der letzten 150 Jahre sterben. Potsdam ist verklärt von der Gestalt des Großen Königs, jenes ewigen Führers der Deutschen zu Einigkeit und Recht, jenes Bahnbrechers des Deutschen Reiches. Hier in Potsdam sollte sich nun der harte Geist preußischer Staatszucht verbinden mit dem von dem Bayern Adolf Hitler proklamierten freiwilligen Gehorsam des deutschen Volkes zu einem neuen Deutschen Reiche. In Potsdam sollte sich stolze Tradition der Vergangenheit mit dem stolzen Willen in die Zukunft der Freiheit vermählen. In einem Aufruf wies der Reichspräsident auf diese Verbindung hin, welcher die zwei Millionen Toten des Weltkrieges die Bahn gebrochen hatten.
Aus allen Teilen des Reiches waren Hunderttausende in die Stadt preußischer Tradition gewallfahrtet, die im Schmucke der Fahnen der Nation unter dem rauhen, blauen Frühlingshimmel strahlte. In der Nicolaikirche und in der Katholischen Kirche wurden Gottesdienste abgehalten, an denen die Mitglieder der Regierung teilnahmen, dann begaben sich der Reichspräsident, der Reichskanzler und die Reichsminister sowie sämtliche Abgeordnete, während die Menge begeistert das Deutschlandlied singt, in die Garnisonkirche, in der die Gruft des großen Königs ist. An den Seitenwänden der Kirche befinden sich die Fahnen der Friderizischen Regimenter, die einst Preußen zur Großmacht geführt hatten, jetzt geschmückt mit frischem Eichenlaub. Auf den Emporen drängen sich die Gäste und das diplomatische Korps, vor der Kirche stehen tausende und abertausende deutscher Männer und Frauen, Reichswehr, S.A., Stahlhelm, Bund deutscher Mädchen und die Schuljugend, in die preußische Marschmusik [208] mischt sich das Glockenspiel der Kirche: "Üb immer Treu und Redlichkeit."
"Durch meine Verordnung vom 1. Februar löste ich den Reichstag auf, damit das Volk selbst zu der von mir neugebildeten Regierung des nationalen Zusammenschlusses Stellung nehmen könne. In der Reichstagswahl am 5. März hat unser Volk sich mit klarer Mehrheit hinter diese durch mein Vertrauen berufene Regierung gestellt und ihr hierdurch die verfassungsmäßige Grundlage für ihre Arbeit gegeben. Schwer und mannigfaltig sind die Aufgaben, die Sie, Herr Reichskanzler, und Sie, meine Herren Reichsminister, vor sich sehen, auf innen- und außenpolitischem Gebiete, in der eigenen Volkswirtschaft und in der Welt sind schwere Fragen zu lösen und bedeutsame Entschließungen zu fassen. Ich weiß, daß Kanzler und Regierung mit festem Willen an die Lösung dieser Aufgaben herangehen, und ich hoffe von Ihnen, den Mitgliedern des neugebildeten Reichstages, daß Sie in klarer Erkenntnis der Lage und ihrer Notwendigkeiten sich hinter die Regierung stellen und auch Ihrerseits alles tun werden, um die Regierung in ihrem schweren Werk zu unterstützen.
[209] "Herr Reichspräsident! Abgeordnete, Männer und Frauen des Deutschen Reichstages! Bei den letzten Worten schreitet Adolf Hitler, der Führer des jungen Deutschland, auf den greisen Feldmarschall zu und besiegelt mit einem festen Händedruck das Bündnis des jungen mit dem alten Deutschland. Eine atemlose Stille umfängt die vielen hundert Menschen, dann braust gewaltig das [214] Niederländische Dankgebet durch die geweihte Stätte. Gefolgt von dem evangelischen Geistlichen begibt sich der Generalfeldmarschall zur Gruft des großen Königs, und während der Feldherr an den Särgen Friedrichs des Großen und seines Vaters Lorbeerkränze niederlegt, rauscht es draußen über die Massen: "Herr mach uns frei!" und vom Lustgarten her dröhnen die dumpfen Schüsse der Salutbatterie.
Grüßend mit dem Feldmarschallstab tritt nun der Präsident vor die Kirche und läßt an sich den Vorbeimarsch des nationalen Deutschland vorüberziehen. Stunde um Stunde dröhnt der preußische Gleichschritt an der Kirche vorüber: zuerst die Reichswehr, dann in Zwölferreihen die braunen Bataillone der deutschen Revolution. Standarte auf Standarte, Kolonne auf Kolonne aus allen deutschen Stämmen grüßt die Führer des Volkes. Dann nahen der Stahlhelm, die Kriegervereine, die Jugendverbände. Der brausende Jubel will kein Ende nehmen, das Deutschlandlied und das Horst-Wessel-Lied werden immer wieder von der Menge, die wohl fast eine halbe Million Menschen zählt, gesungen, und als der Reichspräsident und der Reichskanzler die Preußische Stadt verlassen, liegt auf den Fahnen der deutschen Nation bereits der letzte Schein der Abendsonne.
Ein Fackelzug, an dem sich 80 000 Menschen beteiligen, beschließt den denkwürdigen Tag. Ganz Deutschland hatte in flammender Begeisterung das machtvolle Ereignis miterlebt, der Rundfunk übertrug die Feier bis in die letzte deutsche Hütte, in allen Städten fanden Gottesdienste, Paraden und Fackelzüge statt.
"Durch ein fluchwürdiges Verbrechen sind wir gezwungen worden, aus dem Hause, das einst dem deutschen Volke erbaut war, auszuziehen. In einem Augenblick, da die ersten Ansätze zu einer neuen Ordnung, zu einem Wiederaufbau des Reiches da waren, in wenigen Wochen, hat die heilige Flamme der nationalen Revolution das deutsche Volk er- [215] griffen. Es ist vielleicht ein einzigartiges Vorzeichen, daß am 21. März der Reichstag eröffnet wird. Es ist nicht allen bekannt, daß schon einmal am 21. März ein Deutscher Reichstag eröffnet wurde, der erste Deutsche Reichstag 1871 durch den Fürsten Bismarck, der an diesem Tage zum ersten Male die deutschen Stämme im Deutschen Reichstag vereinigt sah. Damals wurde dem deutschen Volk der Rahmen gegeben, die Klammer, die alle Stämme zusammenfassen sollte. Langsam aber wurde das Volk zerspalten und zerklüftet. An uns muß es liegen, zu diesem heiligen Rahmen auch die Geschlossenheit und Einheit des Inhalts zu setzen. Wir danken deshalb an dieser Stelle, daß es vor 14 Jahren ein Mann unternommen hat, mitten im Chaos in schwärzester Nacht den Glauben neuaufzurichten an ein kommendes Reich. In mühevoller, schwerer Arbeit und gewaltigem Ringen gegen Terror und Unterdrückung hat sich diese Bewegung durchgesetzt. Heute sehen wir den Anbruch einer neuen Zeit.
[217] "Im Einvernehmen mit der Reichsregierung haben die nationalsozialistische und die deutschnationale Reichstagsfraktion ein Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich dem Reichstag zur Beschlußfassung unterbreitet. Die Gründe für diesen außerordentlichen Vorgang sind folgende: Im November 1918 rissen marxistische Organisationen unter Bruch der Verfassung durch eine Revolution die vollziehende Gewalt an sich. Das Gelingen der Revolution im materiellen Sinne sicherte ihre Urheber vor dem Zugriff der Justiz. Die moralische Legitimierung für ihr Verhalten suchten sie in der Behauptung, Deutschland bzw. seine Regierung trage die Schuld an dem Ausbruch des Krieges. Diese Behauptung war wissentlich und sachlich falsch. Alle von den Männern des November 1918 dem deutschen Volk gemachten Versprechungen erwiesen sich, wenn nicht als bewußte Irreführungen, so als nicht minder verdammenswürdige Illusionen. Für die überwältigende Mehrheit der deutschen Volksgenossen waren die Folgen unendlich traurige.
"Der außenpolitischen Forderung deutscher Gleichberechtigung, die der Reichskanzler erhoben hat, stimmen wir Sozialdemokraten um so nachdrücklicher zu, als wir sie bereits von jeher grundsätzlich verfochten haben. Ich habe als erster Deutscher vor einem internationalen Forum auf der Berner Konferenz am 3. Februar 1919 gegen die Unwahrheit von der Schuld Deutschlands am Ausbruch des Weltkrieges Stellung genommen. Das Wort des Reichskanzlers, daß in der Außenpolitik die Theorie von Siegern und Besiegten ein Aberwitz sei, gilt in gleichem Umfange auch für die Innenpolitik. Aus einem Gewaltfrieden kommt kein Segen – im Innern erst recht nicht. Eine wirkliche Volksgemeinschaft läßt sich aus ihm nicht gründen. Ihre erste Voraussetzung ist gleiches Recht. Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht! Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird niemand von ihr billigerweise verlangen und erwarten können, daß sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt. Durch die Wahlen vom 5. März [226] ist den Regierungsparteien die Möglichkeit gegeben, streng nach Wortlaut und Sinn der Verfassung zu regieren. Wo diese Möglichkeit besteht, besteht auch die Pflicht. Niemals seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten in so weitem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt der Fall und wie es weiter durch das Ermächtigungsgesetz geschehen soll." Der Redner verlangt völlige Rechtsgleichheit. Als er zum Schluß von dem "Bekennermut der Sozialdemokraten" spricht, ertönt auf den Reihen der nationalsozialistischen Abgeordneten lautes Lachen. Die Sozialdemokraten klatschen ihrem Fraktionsführer Beifall. Reichskanzler Hitler, der darauf das Wort erhält, wird wieder mit lauten Heilrufen empfangen. Er begibt sich zum Rednerpult, weist auf die Worte der Sozialdemokraten hin und erklärt:
"Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt! Die schönen Theorien, die Sie, Herr Abgeordneter, vorhin hier verkündeten, sind der Weltgeschichte zu spät mitgeteilt worden. Sie erklären, daß die Sozialdemokratie unser außenpolitisches Programm unterstreicht, daß sie die Kriegsschuldlüge ablehnt, daß sie gegen Reparationen sich wende. Ich erhebe nur die eine Frage: Wo war dieser Kampf in der Zeit, in der Sie die Macht in Deutschland hatten? Sie hatten einst die Möglichkeit, dem deutschen Volk das Gesetz des inneren Handelns vorzuschreiben. Sie haben es auf anderen Gebieten gekonnt. Es wäre genau so möglich gewesen, der deutschen Revolution, die von Ihnen mit ausging, denselben Schwung und dieselbe Richtung zu geben, wie einst Frankreich seiner Erhebung im Jahre 1870. Sie sagen, daß wehrlos nicht ehrlos ist. Nein, das braucht es nicht zu sein. Auch wenn wir wehrlos sein müßten, würden wir nicht ehrlos sein. Unsere Bewegung ist jahrelang hier wehrlos gemacht worden, ehrlos ist sie nicht gewesen. Ich bin der Überzeugung, wir haben dem deutschen Volke den Geist eingeimpft, daß es auch bei seiner heutigen Wehrlosigkeit sicherlich nicht ehrlos sein wird. Der Kanzler kommt dann auf die Lügennachrichten ausländischer sozialdemokratischer Zeitungen über die gegenwärtigen Zustände in Deutschland zu sprechen und erwähnt dabei insbesondere auch die sozialdemokratische Presse in Deutsch-Österreich.
"Sie (zu den Sozialdemokraten, so erklärt der Kanzler,) haben nichts getan, um durch ihre internationalen Verbindungen dafür zu sorgen, daß die Welt nicht ein schiefes Bild über Deutschland erhält. (Abg. Wels: Doch, das haben wir getan!) Dann bin ich neugierig, wann Ihr Schritt wirksam werden wird. Ihre Zeitungen im Saargebiet treiben täglich Landesverrat und versuchen dauernd, Deutschland dem Ausland gegenüber in eine schiefe Lage zu bringen. Wenn Sie vom Recht sprechen, darf ich sagen: Wenn wir nicht das Gefühl für Recht hätten, dann wären wir nicht hier, und dann säßen Sie nicht da. Sie haben im Jahre 1918 sich gegen die gewandt, die Ihnen nichts getan hätten. Wir beherrschen uns, uns gegen die zu wenden, die uns 14 Jahre gequält und gepeinigt haben. Sie reden von Verfolgungen, wer hat Sie denn bisher verfolgt? Sie haben sich als den einzigen Träger des [228] Sozialismus in Deutschland bezeichnet. In Wirklichkeit sind Sie der Träger jenes geheimnisvollen Sozialismus gewesen, den das deutsche Volk niemals zu sehen erhielt. An den Früchten soll man auch Sie erkennen und diese Früchte zeugen gegen Sie. Wenn das Deutschland das Spiegelbild ihres sozialistischen Wollens ist, dann geben Sie uns vier Jahre Zeit, damit wir das Spiegelbild unseres Wollens zeigen können. Als der Reichskanzler das Rednerpult verläßt, umjubeln ihn die Heilrufe der Nationalsozialisten. Auch die Tribünenbesucher beteiligen sich an den Kundgebungen. Das Zentrum, das nach dem Ergebnis der Wahlen vom 5. und 12. März eine merkliche Erschütterung seiner Stellung verspürt hatte, hielt es für geraten, einzulenken. Entsprechende Weisungen zu positiver Mitarbeit waren auch aus Rom eingegangen. Prälat Kaas erklärte, daß seine Partei eine Reihe wesentlicher Bedenken, die sie vorher noch gehabt habe, durch die Erklärungen des Kanzlers als gemildert betrachte und dem Ermächtigungsgesetz zustimme. Auch die Redner der Bayrischen Volkspartei und die Splitterparteien der Mitte stimmten zu.
[230] Artikel 1. Reichsgesetze können außer dem in der Reichsverfassung vorgenommenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. Das gilt auch für die in den Artikeln 85, Abs. 2, und 87 der Reichsverfassung bezeichneten Gesetze.
Das Gesetz wurde mit 441 Stimmen gegen 94 Stimmen der Sozialdemokraten angenommen. Darauf wurde der Reichstagspräsident ermächtigt, Zeitpunkt und Tagesordnung der nächsten Sitzung zu bestimmen. Die Sitzung wurde mit einem brausenden Heil auf den Kanzler geschlossen. Die dreitägige Arbeit des Parlamentes war zu Ende.
Es war ein raffiniertes Vorgehen der Kommunistischen Internationale gewesen, daß sie einen Ausländer, einen Hollän- [232] der, als Brandstifter des Reichstages vorschickte. So wurden die deutschen Ereignisse gleichsam eine internationale Angelegenheit, und um das Ereignis rankten sich alsbald phantastische Lügen des hitlerfeindlichen Auslandes. Man behauptete, der Kommunist Marinus van der Lubbe sei mit deutschen Nationalsozialisten bekannt geworden und habe auf deren Anstiftung den Reichstag in Brand gesteckt! In Schweden erlaubte sich Anfang Februar die Göteborg Handelstidning gehässige Angriffe auf die Männer der Hitlerregierung, und am 6. März machte der sozialdemokratische Ministerpräsident Hansson seinem Hasse gegen Hitler Luft. Die englische Presse bemühte sich, die Maßnahmen der Regierung Hitlers zu verstehen, konnte aber eine gewisse Unfreundlichkeit in bezug auf befürchtete Wirtschaftsmaßnahmen nicht unterdrücken. Simon erklärte am 28. Februar im Unterhaus, er habe keinen Grund, bei der deutschen Regierung Vorstellungen zu erheben, da britische Bürger und britisches Eigentum nicht gefährdet würden. Im Laufe des März aber entfalteten in den angelsächsischen Ländern die Juden eine wüste Lügenpropaganda gegen die Hitlerregierung. Es wurde von blutigen Judenverfolgungen phantasiert, man entrüstete sich, daß die Gewalttaten gegen die Juden, die zu Tode gequält würden, allen Kulturbegriffen Hohn sprächen! Da wurde berichtet, daß Hunderte von Juden in die Schweiz geflüchtet wären, deren Rücken von Peitschenhieben blutunterlaufen gewesen seien! Weder Frauen noch Kinder seien geschont worden. Andere Juden seien grausam zu Tode gequält. Es waren ähnliche Greuelmärchen wie am Anfang des Weltkrieges. Diese Lügen über Pogrome wurden mit einem derartigen Eifer und einer solchen Folgerichtigkeit verbreitet, daß daraus eine ernstliche Gefährdung der deutschen Wirtschaftsbeziehungen sich zu entwickeln drohte. Ende März beantragte im Repräsentantenhaus zu Washington der linksradikale Judenführer Rabbi Stephen Weiß ein Einschreiten gegen die "Unterdrückung der Juden in Deutschland", aber das Staatsdepartement erklärte, daß es nicht gewillt sei, amtliche Schritte in der deutschen Judenfrage zu unternehmen, sondern nur dann [233] einschreiten werde, wenn amerikanische Bürger betroffen würden. Die Juden waren der zäheste, gefährlichste und heimlichste Feind, den die deutsche Regierung für die Folgezeit in der Welt hatte. Für die Juden war es geradezu eine Existenzfrage, daß die völkisch bestimmte Hitlerregierung gestürzt wurde. Denn sollte dieser deutsche Präzedenzfall, daß die Juden aus Volk, Politik und Kultur ausgeschlossen wurden, Bestand haben oder sich gar günstig auswirken, dann bestand die Gefahr, daß das deutsche Beispiel allmählich von allen Nationen nachgeahmt würde. Eine solche Entwicklung mußte im Keime erstickt werden, und die Juden des Auslandes bedienten sich mannigfacher Mittel, mit denen sie das nationalsozialistische Deutschland zu stürzen versuchten: sie verbreiteten Lügen über deutsche Greuel an Juden, sie boykottierten die deutsche Wirtschaft, sie stempelten den Verbrecher Marinus van der Lubbe zum unschuldigen Märtyrer, sie stachelten die Zweite Internationale, die ausländische Sozialdemokratie, zu Angriff und Hetze gegen Deutschland auf, ja, ihr unheilvoller Einfluß betäubte das Ausland derart, daß auch das deutsche Recht auf der Abrüstungskonferenz mit Füßen getreten wurde! Völkerbund, Marxismus, Staatsregierungen – überall machten die Juden ihren Einfluß geltend, überall versuchten sie nun, Deutschland, das nichts als sein Recht forderte, zu erdrosseln. Vor allem aber fühlte sich auch Frankreich durch Hitler bedroht. Mit Hitler war eine Regierung ans Ruder gekommen, die, das wußte man in Paris, sich nicht weiterhin alles bieten lassen würde, wie das von Erzberger bis Brüning der Fall war, und vor dem erwachenden Selbstbewußtsein der Deutschen hatten die Franzosen Angst! Ihr besonderer Kummer war, daß nun Deutschland und Italien in Genf eine geschlossene Einheitsfront gegen Frankreich bilden würden. Herriot, der frühere Ministerpräsident, schrieb am 1. Februar in der Ere Nouvelle:
"Der außenpolitische Horizont ist umdüstert. Hitler ist an der Macht. Die Reichstagsauflösung steht bevor. In Doorn herrscht Bewegung. Sicheren Nachrichten zufolge gibt es dort ein verdächtiges Kommen und Gehen. Paul Boncour wird also in Genf eine sehr heikle Situation vorfinden." Die [234] vom bösen Gewissen Geplagten verkündeten mit umwölkter Stirn: "Das Ziel der Hitlerbewegung ist die Revanche." Frankreich fürchtete um seine europäische Hegemoniestellung, die es sich 1919 erschlichen hatte. Es war nötig, sich nicht nur noch mehr zu bewaffnen, sondern auch sich neue Freunde zu suchen. Die öffentliche Meinung forderte kategorisch eine Annäherung an Italien, um dieses von Deutschland abzuziehen. Der Pessimist Herriot empfahl als ein "glänzendes Mittel" zur Niederhaltung Deutschlands und zur Bekämpfung der revisionistischen Bestrebungen eine Allianz zwischen Frankreich und Sowjetrußland. Der Vizekanzler von Papen versuchte, die französischen Ängste zu beschwichtigen. In einer Unterredung mit dem französischen Journalisten Suarez Anfang Februar erklärte Papen, daß Deutschland den Frieden und die Freundschaft mit der ganzen Welt wünsche. Nur derjenige würde Deutschlands Gegner sein, der sich systematisch dem Streben Deutschlands nach dem ihm gebührenden Platz unter den Nationen widersetze. Papen versicherte, daß alle deutschen Parteien ausnahmslos eine Entspannung in den deutsch-französischen Beziehungen wünschten. Man müsse auch in Frankreich begreifen, daß man Deutschland 14 Jahre nach dem Kriege nicht weiterhin Bedingungen auferlegen kann, die Frankreich anzunehmen sich sehr wohl hüten würde, wenn es an Deutschlands Stelle stünde. Aber Frankreich begriff gar nichts. Es erblickte die Linie seiner zukünftigen Politik in der Erhöhung seiner Rüstungen und im Anschluß an die "großen Demokratien der Welt", wie sich Daladier als Kriegsminister ausdrückte, im Gegensatz zur deutschen "Gewaltherrschaft".
Nach den Reichstagswahlen unternahm Frankreich einen Vorstoß gegen die Hilfspolizei. In Kehl hatten 90, nach französischer Meldung 500,
S.A.-Leute die Kaserne der Polizei besetzt, worüber jenseits des Rheins große Aufregung herrschte. Man traf die "notwendigen Schritte, um die Rheinbrücke zu sichern"! Dann versuchte man England zu gemeinsamem Vorgehen gegen Deutschland zu veranlassen. Aber Macdonald und Simon lehnten eine Einmischung in innerdeutsche
Angele- [235] genheiten ab, so daß am 14. März der französische Botschafter François Poncet allein sich zu Neurath begab und im Auftrage seiner Regierung Einspruch erhob gegen die Verwendung von Hilfspolizei in Kehl und in der entmilitarisierten Zone. Dies stünde im Widerspruch zu Artikel 43 des Versailler Vertrages. Jedoch Neurath wies die Beschwerde als unbegründet zurück; in Kehl sei die Hilfspolizei nur 36 Stunden in der Polizeikaserne untergebracht gewesen, und jeder zehnte Mann habe eine Pistole gehabt, so daß von bewaffneten Streitkräften nicht die Rede sein könne. Im übrigen handle es sich um innenpolitische Maßnahmen, die nötig seien, um die Gefahren für Ruhe und Sicherheit abzuwenden.
"Die deutsche Delegation wird sich von dem Grundgedanken leiten lassen, daß die erste Etappe der Abrüstung wirklich ein entscheidender Schritt in der Herabsetzung der Rüstungen der hochgerüsteten Staaten werden muß." [236] Hatte schon die italische und deutsche Erklärung, der am 3. Februar auch die Absage Englands folgte – Hauptmann Eden erklärte, daß die englische Regierung nicht in der Lage sei, über den Völkerbundspakt, Locarnovertrag und Kelloggpakt hinausgehende Verpflichtungen zu übernehmen und eine sofortige allgemeine Herabsetzung der Rüstungen für nötig halte – die Franzosen merklich beunruhigt, so gerieten sie außer Fassung, als am 6. Februar der polnische Vertreter Raszinski meinte, daß der französische Sicherheitsplan im Augenblick undurchführbar sei. Die erboste Presse bezeichnete die Erklärung des polnischen Bundesgenossen für eine Schlappe Paul Boncours, die Politiker in Paris verloren bei den Aussichten einer solchen Entwicklung allen Geschmack an der Konferenz und erwogen eine schnelle Beendigung durch eine bescheidene ganz allgemeine Konvention. Dann wäre allerdings auch die Gleichberechtigungserklärung vom 11. Dezember 1932 hinfällig. In einer persönlichen Unterredung mit Paul Boncour forderte auch Nadolny ein baldiges Ende der Konferenz und kritisierte wieder die französischen Sicherheitsforderungen. Boncour erklärte aber gerade diese als Vorbedingung für die Anerkennung der deutschen Rechtsgleichheit: Die französische Regierung werde nicht gestatten, daß Deutschland die Gleichberechtigung im Sinne einer Wiederaufrüstung auslege. Deutschland hätte die Wahl zwischen der Reichswehr und einer nationalen Miliz, beides zugleich dürfe es nicht besitzen. Die Franzosen merkten wohl, daß ihre Lage in Genf durch Deutschlands Festigkeit kritisch wurde, und wollten jetzt die Konferenz so schnell wie möglich durch ein ganz allgemeines Abrüstungsabkommen beenden, das den gegenwärtigen Rüstungsstand praktisch auf weitere fünf Jahre verlängern sollte. Solche Pläne fanden aber in Berlin ebensowenig Anklang wie in Rom, London und Moskau.
Doch Paul Boncours These, daß Abrüstung und Sicherheit unlöslich miteinander verbunden seien und daß das gegenwärtige Sicherheitssystem nicht ausreiche, fand nirgends Anklang. Amerika erklärte sich desinteressiert und lehnte ein Urteil ab, England wies schroff alle neuen Sicherheitsverpflichtungen ab, Deutschland, Italien und Holland meinten, Frankreichs Forderung, erst Sicherheit, dann Abrüstung habe nichts mit der Abrüstungskonferenz zu tun. Am 9. Februar war der französische Plan erledigt, – abgelehnt, worauf Paul Boncour erklärte, die Regelung der Gleichberechtigungsfrage vom 11. Dezember 1932 sei lediglich eine Vereinbarung zwischen einigen Mächten und in keiner Weise bindend für die Konferenz, womit er die Verhandlungen auf den Stand vom Juli 1932 zurückführte und in ein außerordentlich kritisches Stadium hineinbrachte. In diesen Tagen waren die Genfer Diplomaten wirklich konferenzmüde. Man sehnte sich nach Ruhe, denn das stand fest: das leichte Spiel mit Deutschland war vorüber! Am besten wäre es, wenn die Konferenz geschlossen würde und erst nach Jahren wieder zusammentrete. Man konnte ja solange an den Entwaffnungsbestimmungen der Friedensverträge festhalten. Allerdings zu einem derartigen Entschluß fehlte allerseits der Mut, und so begnügte man sich zunächst mit einer einwöchigen Vertagung. Macdonald begann sich mit dem Gedanken einer Wiederaufnahme der Fünfmächtekonferenz zu beschäftigen. Unterdessen reichte Nadolny die deutschen Abänderungsvorschläge zum materiellen Teil des englischen Arbeitsprogramms [238] ein. Hauptsächlich wurden darin ziffernmäßige Festsetzung der Truppenbestände und die Vernichtung des verbotenen schweren Angriffsmaterials gefordert. Auch wurde eine Entscheidung über die Luftrüstungen beantragt, wie sie dann einige Tage später von Brandenburg im Luftfahrtausschuß gefordert wurde. Die deutsche Gleichberechtigung wurde als selbstverständlich und außer jeder Diskussion stehend vorausgesetzt. – Dieser Vorschlag, erklärte Nadolny, sei die Voraussetzung für eine weitere Teilnahme Deutschlands.
Das Drängen der Deutschen war den unnachgiebigen Franzosen und den kompromißfreundlichen Engländern außerordentlich unangenehm. Sie wußten nicht mehr ein und aus bei all den heiklen Punkten, deren sofortige Klärung von den Deutschen beharrlich und kategorisch verlangt wurde. Die Haltung der Deutschen war um so beunruhigender, als Nadolny erklärte, daß die deutsche Regierung, falls die Abrüstungskonferenz durch die Schuld der anderen scheitere, sich ihre Entscheidungen für die Zukunft vorbehalten müsse. Am 16. Februar begann der Hauptausschuß, sich mit dem französischen Vorschlag auf Vereinheitlichung der Heeressysteme
Erklärung Nadolnys
"Im Jahre 1919 mußte das damalige deutsche Heer mit kurzer Dienstzeit in ein Heer mit langer Dienstzeit umgewandelt werden. Kaum sind 14 Jahre verflossen, so wird von Deutschland die Rückkehr zu einem System mit kurzer Dienstzeit verlangt. Es ist selbstverständlich, daß die Reichsregierung unter diesen Umständen fragt, ob diesmal eine Bürgschaft vorliegt, daß dieses neue Heeressystem tatsächlich die ideale und gerechte Lösung für immer darstellt. Ein einheitliches Heeressystem und eine für alle Staaten gleiche Heeresorganisation ist nicht möglich. Der französische Vorschlag schafft einen Unterschied zwischen Heeren mit Angriffs- und Verteidigungscharakter. Die Reichsregierung muß ihr Erstaunen zum Ausdruck bringen, daß ein derartiger Trennungsstrich zwischen einzelnen Heeren geschaffen wird. Der französische Plan widersetzt sich nun der Aufrechterhaltung [239] der Heere mit langer Dienstzeit. Tatsächlich gibt es aber gegenwärtig auf dem europäischen Festland Berufsheere nur in den durch die Friedensverträge entwaffneten Staaten. Es muß deshalb der Eindruck entstehen, daß der französische Vorschlag auf eine Abschaffung der Heeressysteme hinzielt, die Deutschland und den übrigen Staaten auferlegt worden sind. Die Reichsregierung sieht das System der Berufsheere keineswegs als eine ideale, den besonderen deutschen Bedingungen angepaßte Lösung an. Am folgenden Tage antwortete der französische Vertreter, Luftfahrtminister Pierre Cot, auf Nadolnys Rede und faßte den französischen Plan in folgende Punkte zusammen: daß
1. allein ein Militärstatut ausschließlich defensiven Charakters mit der Sicherheit vereinbar sei, und 2. in Kontinentaleuropa die Armee mit kurzer Dienstfrist und geringen Effektivbeständen der einzige Typus eines rein defensiven und langsam mobilisierbaren Militärsystems sei und daß durch die allgemeine Einführung dieses Armeetyps eine allgemeine Herabsetzung der Effektivbestände herbeigeführt werde. Cot machte dann noch für den Fall der grundsätzlichen Annahme [240] der Vereinheitlichung der Heerestypen drei Vorschläge:
1. Herabsetzung der Dienstzeit auf
8–9 Monate einschließlich der Reservedienstzeit auch in Frankreich, wenn dessen allgemeine
Sicherheits- und Kontrollforderung im wesentlichen berücksichtigt werde. 2. Prozentual gleichmäßige Festsetzung der Zahl des Ausbildungsmaterials bei allen großen Staaten und 3. Verwirklichung der Umwandlung der Heerestypen in zwei Etappen von drei bis vier Jahren und Anpassung dieses Systems an die besonderen Verhältnisse der einzelnen Länder, auch Deutschlands. Die Delegierten der andern Staaten waren über dieses Anzeichen beginnender Einsicht bei den Franzosen hochbeglückt, und insbesondere Aloisi sprach Cot seine Anerkennung aus. Es war doch schon viel gewonnen, wenn Frankreich selbst zu gewissen Opfern bereit war. – Aber wie tobten die französischen Chauvinisten! Cot sei verrückt, er sei ein Verräter, der mit seinen skandalösen Worten die französische Politik der Kapitulation entgegenführe! Paul Boncour mußte wieder einmal harte Worte hören wie kurz zuvor bei dem polnischen Zwischenfall. In der weiteren Verhandlung des Hauptausschusses forderte Nadolny restlose Abschaffung der Militärluftfahrt und ein Verbot des Bombenabwurfs. Es wurde beschlossen, einen Sonderausschuß für Luftfahrtfragen einzusetzen, an dem sich 18 Mächte unter Vorsitz des Spaniers Madariaga beteiligen sollten. In diesem Sonderausschuß sollten alle vorliegenden Vorschläge behandelt und untersucht und schließlich ein abschließender Vorschlag gefunden werden, der dem Hauptausschuß zu unterbreiten sei. In diesem Ausschuß verlangte der deutsche Vertreter am 20. Februar, Ministerialdirektor Brandenburg, gemäß dem von Nadolny überreichten Abänderungsantrag eine klare Entscheidung über das allgemeine Verbot der Militärluftfahrt und des Luftbombardements. Brandenburg verlangte, daß der Hauptausschuß unverzüglich eine Entscheidung treffe, ob
1. eine völlige Abschaffung der Militärluftfahrt mit einem uneingeschränkten Verbot des Bombenabwurfs und einer Reglementierung für die Zivilluftfahrt, oder 2. eine völlige
Ab- [241] schaffung der Militärluftfahrt mit einem uneingeschränkten Verbot des Bombenabwurfs und einer Reglementierung sowie einer Kontrolle der Zivilluftfahrt, oder 3. ein uneingeschränktes allgemeines Verbot des Bombenabwurfs durchgeführt werden soll. Aber Pierre Cot war gar nicht dafür, daß hier klare Entscheidungen getroffen wurden. Er durchkreuzte die deutsche Forderung, indem er für die Gründung einer internationalen Lufttransportgesellschaft und für die Errichtung einer internationalen Luftpolizei eintrat. Wenn diese Forderungen und im übrigen Frankreichs allgemeine Kontrollwünsche im Rahmen der allgemeinen Abrüstungskonvention erfüllt würden, sei Frankreich für die vollständige Abschaffung der Militärluftfahrt zu haben. Es war die übliche Scheinheiligkeit, mit der die Franzosen in entscheidenden Augenblicken alle Abrüstungsbemühungen sabotierten.
"Wir sind durchaus nicht gegen die Internationalisierung der Zivilluftfahrt, bevor wir uns aber dazu äußern," erwiderte Brandenburg, "wollen wir die Erklärung haben über die Abrüstung der Militärluftfahrt. Solange diese Erklärung nicht besteht, halte ich eine Erörterung der Internationalisierung für verfrüht. Ich vermag mich an ihr nicht zu beteiligen." Der deutsche Standpunkt rief einen lauten Tumult hervor, und die Mehrheit des Ausschusses stand auf der Seite des Franzosen, und der franzosenfreundliche Vorsitzende, der Spanier de Madariaga, lehnte den deutschen Antrag ab und schlug vor, die französische Forderung zu behandeln. So war es den Franzosen wieder einmal gelungen, die Behandlung der Frage, ob die Militärluftfahrt abgeschafft werden solle, zu verschleppen. Dieser Vorfall führte zu einer vollständigen Stockung der Verhandlungen im Ausschuß, und am 1. März endlich kam ein Kompromiß zustande, daß Deutschland sich formell weiter beteiligen wolle, aber den sachlich ablehnenden Standpunkt gegen die von Frankreich geforderte Internationalisierung der zivilen Luftfahrt uneingeschränkt aufrecht erhalte.
"Der Hauptausschuß stellt fest: Paul Boncour, der es auf die Zertrümmerung der deutschen Reichswehr abgesehen hatte, protestierte und Aloisi brachte einige Abänderungsvorschläge zum französischen Plane vor. Ohne auf Nadolnys Vorschläge einzugehen, beauftragte Henderson Paul Boncour und Aloisi, den französischen Vorschlag abzuändern. Auf Nadolnys Frage, warum nicht auch sein Vorschlag berücksichtigt werde, entgegnete Henderson, der Haupt- [243] schuß könne nicht andere Entscheidungen vorwegnehmen, bevor er sich über das Prinzip der Vereinheitlichung der Heerestypen ausgesprochen habe. Als sich Nadolny nochmals zum Worte meldete, beachtete ihn der Engländer nicht, sondern schloß die Sitzung. – Bei der Abstimmung am 24. Februar wurde der französische Vorschlag auf Vereinheitlichung der kontinental-europäischen Armeen in einem Heeressystem mit kurzer Dienstzeit und beschränkten Truppenverbänden mit 21 Stimmen von 64 angenommen, der deutsche Vorschlag aber abgelehnt. Frankreich triumphierte: es hatte wieder gesiegt. Als man nun in den nächsten Tagen dazu überging, die Frage zu prüfen, ob auch die Kolonialtruppen von der Vereinheitlichung der Heerestypen betroffen werden sollten, wurde diese von den Vertretern der Kolonialmächte einmütig verneint. Der Widerspruch Nadolnys und Aloisis blieb ohne jeden Erfolg. Am 1. März nahm der Hauptausschuß den französischen Antrag, der eine Folge des Beschlusses vom 24. Februar war, an, daß Berufsheere neben Milizheeren in einem Staate nicht gestattet sein dürften. Damit war das Schicksal über die deutsche Reichswehr gesprochen, wenn die Milizheere anerkannt wurden. Zwei Tage später wurde mit 20 Stimmen gegen Deutschland, Österreich und Ungarn der französische Antrag angenommen, die Frage, in welchem Verhältnis die Effektivbestände herabgesetzt werden sollen, fristlos zu vertagen. Nadolny war empört: ein Jahr tage nun die Abrüstungskonferenz, neun Monate seien seit der Hooverbotschaft verflossen, aber ihrer Hauptaufgabe, die Truppenstärke herabzusetzen, entziehe sich die Konferenz beharrlich. In grobem Tone entgegnete Henderson, niemand habe das Recht, Steine auf die Konferenz zu werfen oder anderen Mächten Vorwürfe zu machen.
"Jetzt müssen sichtbare Ergebnisse herbeigeführt werden, jetzt muß man sich entscheiden, die wenigen Waffen, die einen spezifisch offensiven Charakter haben, abzuschaffen." Sofort war der Franzose Massigli auf dem Plan: Frankreich mache die quantitativen und qualitativen Rüstungsherabsetzungen von zwei Bedingungen abhängig: von einer allgemeinen Organisation der europäischen Sicherheit und von der Vereinheitlichung der Heerestypen auf der Grundlage kurzer Dienstzeit und beschränkter Effektivbestände. Die Frage des Kriegsmaterials sei unlöslich verbunden mit der Frage der Heeresorganisation und der Effektivstärken. Man könne nicht verlangen, daß ein Staat seine Verteidigungsmittel aufgebe, wenn er, falls er angegriffen werde, nicht auf die Hilfe der anderen Staaten rechnen könne. Deswegen könne Frankreich jetzt keine Erklärungen abgeben, zu welchen Rüstungsherabsetzungen es bereit sei. Nach langem Hin und Her wurde endlich der italische Vorschlag angenommen, einen Dreizehnerausschuß zu bilden, der einen Fragebogen über das abzuschaffende oder zu begrenzende Kriegsmaterial aufstellen sollte.
Am letzten Februartage einigten sich die Locarnomächte auf folgende Gewaltverzichtsformel:
[245] "Die Regierungen, in dem Wunsche, die Sache der Abrüstung zu fördern, indem sie den Geist gegenseitigen Vertrauens unter der Bevölkerung Europas durch eine Erklärung stärken, die ausdrücklich den Gebrauch der Gewalt unter den Umständen untersagt, wo der Pakt von Paris den Krieg untersagt, bestätigen von neuem ausdrücklich, daß sie unter keinen Umständen untereinander zur Gewalt als Werkzeug nationaler Politik greifen werden." Von deutscher Seite wurde darauf hingewiesen, daß nun der endlosen Kette der "Sicherheiten" ein neues Glied angefügt worden sei und somit die französischen Sicherheitswünsche befriedigt seien. Dem Völkerbundsvertrag, dem Locarnovertrag, dem Kelloggpakt, den internationalen Schiedsgerichtsabkommen geselle sich jetzt noch die Gewaltsverzichtsformel hinzu, und so bestehe für sofortige und wirksame Abrüstungsmaßnahmen kein Hinderungsgrund mehr. Frankreich aber wollte mehr: es verlangte europäische Abkommen für gegenseitige Hilfeleistung zur Stabilisierung der gegenwärtigen kontinental-europäischen Verhältnisse. Das aber lehnten England und Deutschland, Italien und Sowjetrußland, Österreich, Ungarn und Holland ab. Nur die kleine Entente, Griechenland und Finnland traten für Frankreich ein. Am 7. März jedoch waren die französischen Bemühungen gescheitert. Es blieb bei der Gewaltverzichtsformel. Anfang März 1933 hatte sich die Abrüstungskonferenz derart auseinandergeredet, daß sie kurzerhand ohne jeden Erfolg abgebrochen werden konnte. Aber niemand wollte die Verantwortung für einen solchen Schritt übernehmen. Der eigentlich schuldige Teil war das starrköpfige Frankreich. Adolf Hitler hatte, ebenso wie seine Vorgänger, den ehrlichen Willen einer Abrüstung, aber er forderte eine wirkliche, nicht verklausulierte Abrüstung! Diese Abrüstung müsse auf der Grundlage unbedingter Gleichberechtigung aller Staaten vor sich gehen und dieselbe Sicherheit für alle Völker mit sich bringen. Die Teilung zwischen Sieger und Besiegten müsse aufhören, da sie das gegenseitige Vertrauen untergrabe. Frankreich anderseits war nicht gewillt, die Hegemonie, die es 1919 gewonnen hatte, wieder preiszugeben. Es ging sogar [246] jetzt soweit, die deutsche Reichswehr, deren legale Grundlage der Versailler Vertrag war, anzugreifen und ihre Zerstörung zu fordern, weil es in diesem "Berufsheer" einen schrecklichen Gegner ahnte. Da es den Schein des Rechtes wahren wollte, um nicht die gesamte Welt gegen sich zu mobilisieren, versuchte es die Abrüstungskonferenz durch raffinierte Verschleppungsmanöver zu sabotieren. Italien stand zu Deutschland. England suchte zu vermitteln. Es wollte unter allen Umständen den Abrüstungsgedanken zum Erfolg führen, da dieser zugleich ein Erfolg der britischen Politik sein würde. Aber es war ratlos, wie es einen Ausweg aus dem französischen Labyrinth der Winkelzüge finden sollte. Ein Scheitern der Abrüstungskonferenz, darüber waren sich die englischen Staatsmänner klar, würde auch ein Scheitern der geplanten Weltwirtschaftskonferenz zur Folge haben. Das aber war nicht nach Englands Sinn. So faßten denn Anfang März, als die Abrüstungskonferenz wieder einmal auf dem toten Punkte angekommen war, Macdonald und Simon den Plan, selbst nach Genf zu fahren und die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen.
Am Nachmittag des 8. März trafen Macdonald und Simon in Paris ein. Die Franzosen sahen diesem Besuch mit Mißtrauen entgegen, denn sie fürchteten, Macdonald werde ihnen Vorhaltungen wegen Genf machen. Andererseits versuchten sie [247] den englischen Premierminister durch die Drohung mit einem bevorstehenden Kriege zwischen Deutschland und Frankreich dahin zu bringen, daß er ihnen Bündnishilfe versprach. Macdonald fand in Paris eine derart überhitzte Atmosphäre vor, daß in der Tat der einzige Ausweg, europäische Verwicklungen zu vermeiden, jetzt nur noch eine Vertagung der Konferenz darstellt. Eine Vertagung würde zwar England aus der unangenehmen Lage befreien, eingreifen zu müssen, falls wirklich ein deutsch-französischer Konflikt durch die Fortführung der Konferenz heraufbeschworen würde. Andererseits aber würde aus einer solchen Vertagung Deutschland das Recht auf seine Handlungsfreiheit herleiten, was dem Engländer ebenfalls unangenehm war, denn deutsche Handlungsfreiheit bedeutete, darüber war man sich klar, Wiederaufrüstung. Es scheint, daß die Pariser Besprechungen, die sich bis zum 11. März hinzogen, die Franzosen sehr enttäuscht haben. Die Franzosen forderten von Macdonald und Simson ein gemeinsames Vorgehen gegen die deutsche Regierung wegen der S.A.-Hilfspolizei im Rheinland. Die englischen Kronjuristen sahen aber in dieser Tatsache keinen Verstoß gegen den Versailler Vertrag, da die S.A. weder als militärische Formation noch als Polizeikräfte anzusehen seien. Übrigens könnten bei einer Revolution, wie sie zur Zeit in Deutschland vor sich gehe, rein juristische Gesichtspunkte nicht vorherrschend sein. Der Übergang der Macht auf die Nationalsozialisten in den Städten des Rheinlandes sei eine rein innerdeutsche Angelegenheit, in welche sich einzumischen England ablehnen mußte. Diesen Standpunkt machte sich Macdonald zum heftigen Ärger der Franzosen zu eigen. So waren die Pariser Besprechungen für beide Teile ohne Erfolg geblieben. Am 11. März traf Macdonald in Genf ein Er wußte nun, daß eine Fortführung der Konferenz gleichsam zu einem Ultimatum Frankreichs, eine Vertagung aber zu einem Ultimatum Deutschlands führen konnte. Hier galt es allen Ernstes zu vermitteln. Zunächst hatte er eine Besprechung mit Paul Boncour, dem er erklärte, daß die im französischen Plan vorgesehenen Maßnahmen ungenügend seien und keine Aussicht hätten, von Deutschland und Italien angenommen zu werden, [248] französische Zugeständnisse seien deshalb unbedingt nötig. Eine von Paul Boncour vorgeschlagene Mehrheitskonvention, der Deutschland und Italien später beitreten sollten, verwarf der Engländer ebenso wie den Gedanken einer Fünfmächtekonferenz. Die Unterredung endete ohne jedes Ergebnis. Sehr zur Beunruhigung der Franzosen nahm Macdonald dann sofort die Beziehungen zu Aloisi auf und gelangte am folgenden Tage in den Gesprächen mit dem Italiener zu einem neuen Abrüstungsplan. Macdonald und Aloisi erwogen eine Vertagung der Konferenz auf sechs Wochen, um in der Zwischenzeit die aufgetürmten Schwierigkeiten auf diplomatischem Wege zu beseitigen und die Haltung der deutschen Regierung kennen zu lernen.
1. Bestätigung der Gleichberechtigung aller Nationen. 2. Sicherheit durch abermalige Bestätigung aller Garantieverträge. 3. Einsetzung eines internationalen Kontrollausschusses, eines dauernden Abrüstungsausschusses und eines Ausschusses zur Entgegennahme von Beschwerden. 4. Abschaffung der schweren Geschütze, der schweren Tanks und anderer schwerer Angriffswaffen, wie Deutschland und Italien es wünschen. 5. Herabsetzung der Heeresstärke im Sinne des amerikanischen Vorschlages. 6. Verbot des bakteriologischen, chemischen und Gaskrieges. 7. Abschaffung des Luftbombardements und internationale Kontrolle der Zivilfliegerei. 8. Seeabrüstung und Beschränkung der Verwendung von Unterseebooten. 9. Begrenzung der Etats für Heer und Flotte. 10. Unbedingtes Verbot einer Wiederaufrüstung für Deutschland. Interessant waren Macdonalds Vorschläge über Heerestypen und Heeresstärken. Ein Milizsystem sollte die Basis bilden. [249] Die Dienstzeit sollte acht Monate, in Ausnahmefällen bis zu zwölf Monaten betragen. Die Heeresstärken sollten sein: Deutschland 200 000, Frankreich 400 000 (davon 200 000 Festlandstruppen), Italien 250 000, Polen 200 000, Rumänien 150 000, Tschechoslowakei 100 000, Belgien 75 000, Ungarn und Bulgarien je 60 000, Rußland 500 000, Jugoslawien 100 000 Mann. Bezüglich der qualitativen Abrüstung wurden ebenfalls konkrete Vorschläge gemacht. Bei der Artillerie schlug Macdonald 105 mm als höchstes Kaliber vor. Aber Staaten, die schwerere Geschütze hätten, dürften solche bis zur Grenze von 155 mm vorläufig behalten. Für Tanks sollten 16 Tonnen als Maximalgrenze gelten. In Etappen von ein bis drei Jahren sollte das verbotene Material zerstört werden. In bezug auf die Flottenrüstungen soll sich an Deutschlands Lage bis 1936 nichts ändern. Das Luftbombardement sollte verboten und nur in weit entlegenen Gebieten als Polizeimaßnahme gestattet sein. Die Zahl der Militärflugzeuge, die Macdonald nach Ablauf von fünf Jahren gestattete, betrug für Frankreich, Italien, Japan, Rußland, England, Vereinigte Staaten je 500, für Tschechoslowakei, Polen, Jugoslawien je 200, für Rumänien und Belgien je 150. Aber für Deutschland und die andern abgerüsteten Staaten war die Beibehaltung des status quo bis nach Ablauf der ersten fünfjährigen Etappe vorgesehen. Vorhandene Luftschiffe sollen gestattet, Neuanschaffungen verboten sein. Die Hälfte der Flugzeuge, welche die angegebene Grenze übersteigen, sollen bis 30. Juli 1936 zerstört werden, der Rest vor Ablauf der Konvention. Nach Ablauf der ersten Abrüstungsetappe soll die Militär- und Marineluftschiffahrt unter Vorbehalt einer wirksamen internationalen Kontrolle vollständig abgeschafft werden. Für die Zivilluftfahrt sah der Plan eine Reglementierung vor, der gesamte chemische und bakteriologische Krieg soll verboten sein. Am Nachmittag des 16. März hielt Macdonald im Hauptausschuß eine große Rede, mit der er die Konferenz vor endgültigem Zusammenbruch zu retten versuchte. Die Konferenz trete in ihre entscheidende Phase und jeder müsse Zugeständ- [250] nisse machen. Gewiß sei es so, wie ein "langjähriger Freund" – er meinte Neurath – ihm einmal gesagt habe: "Entweder gewährt man Deutschland Gerechtigkeit und Freiheit, oder Europa läuft Gefahr, zusammenzubrechen." Aber als nur fordernde Macht werde Deutschland in eine falsche Lage geraten. Die Grundzüge seines neuen Planes seien die Festsetzung einer ersten Abrüstungsetappe von fünf Jahren, Bekundung des Abrüstungswillens vor aller Welt, Einsetzung eines ständigen Abrüstungskontrollorgans, Vorbereitung weiterer Rüstungsherabsetzungen für die zweite Etappe, Schaffung einer Vertrauensatmosphäre.
"Die Konferenz hat die Freiheit, den Plan zurückzuweisen, aber sie muß sich darüber klar sein, daß sie mit dieser Ablehnung eine andere Wahl trifft. Abrüstung ist kein Selbstzweck, sondern ein Beitrag zum Frieden. Nur hierauf kommt es an. Eine Ablehnung bedeutet das Risiko eines neuen Krieges. Ein Mißerfolg würde die zerstörenden Kräfte im Leben der Völker wieder an die Oberfläche bringen. Um eine solche Tragödie zu verhindern, sind wir hier." Daladier und Gibson wie auch Aloisi und Nadolny stimmten dem Plane Macdonalds zu. Nadolny drückte die Genugtuung und Hoffnung aus, daß der englische Vorschlag endlich zu einem praktischen Ergebnis führen möge. Die deutsche Regierung stelle mit Befriedigung fest, daß der englische Konventionsentwurf eine wahrhafte und wesentliche Abrüstung anstrebe. Im übrigen behalte sich die deutsche Regierung eine eingehende Prüfung des Planes vor. – Um allen Regierungen eine solche Prüfung zu ermöglichen, wurden die Sitzungen des Hauptausschusses auf eine Woche vertagt. Der Reichsaußenminister Neurath war sehr pessimistisch über den Fortgang der Konferenz, da er bei den anderen die Absicht erkannte, Deutschland um sein gutes Recht zu betrügen. Die Hoffnungen, die man auf die Gleichberechtigungsformel vom 11. Dezember gesetzt habe, hätten sich in keiner Weise erfüllt, äußerte Neurath Mitte März, nun, wo es ans Praktische gehen solle, erlebe die Politik der Winkelzüge nicht ihr Ende, sondern ihre Blütezeit. Überall werde das Wesentliche durch das Unwesentliche in den Hintergrund gedrängt. Das deutsche Volk wolle sich aber keineswegs mehr mit negativen Beschlüssen [251] abspeisen lassen. Wenn das hochgerüstete Frankreich nach Sicherheit verlange, was solle da erst das waffenlose Deutschland tun? Jede Vertagung der Konferenz, jeder Vorschlag von Rüstungsfeierjahren, jede gehaltlose Notlösung schaffe neue Beunruhigung. Das deutsche Volk beanspruche keine Sonderrechte für sich. Es wolle kein Vorrecht, das einem anderen Volke nicht gewährt werde. Aber auf Grund seiner Geschichte und seiner Selbstachtung sei auch das deutsche Volk nicht gewillt, weiterhin Bevormundungen über sich ergehen zu lassen, die jeder andere, seiner Würde bewußte Staat, mit Entrüstung zurückweisen würde. Über den Macdonaldplan äußerte Neurath, daß die Herabsetzung der Heeresstärken dem Hooverplane entspreche, aber nicht genüge. Unklar sei die Stellung der militärischen Verbände. Unmöglich sei es für Deutschland, daß die Staaten, die keine Luftflotte besitzen, auch in Zukunft keine haben sollten. Die anderen Völker konnten seit Wochen nicht mehr darüber im Zweifel sein, daß die Regierung Adolf Hitlers, nachdem die Regierungen Papens und Schleichers die Gleichberechtigung erkämpft hatten, nun auch fest und unerschütterlich die praktische Durchführung ihrer Rechte forderten und von dieser Forderung keinen Schritt abwichen. Die Zeiten der konzilianten Liebenswürdigkeiten und faulen Kompromisse waren vorüber, und diese Erkenntnis lastete schwer auf Frankreich und England. Die Franzosen fühlten sich derart in die Enge getrieben, daß sie keinen anderen Ausweg fanden, als mit dem Gedanken des Krieges zu spielen, und die Engländer versuchten ernstlich, eine Vermittlung zwischen den kontinentalen Gegensätzen zu betreiben. Deshalb hatten Macdonald und Simson die Reise nach Paris und Genf unternommen und begaben sich nun nach Rom, wo sie am 18. März eintrafen.
[252] Das Ergebnis der Romreise, um dies vorwegzunehmen, war, daß die Initiative in der Fortentwicklung der europäischen Dinge von England auf Italien überging. Mussolini erklärte Macdonald, daß dessen Abrüstungsvorschlag eine geeignete Verhandlungsgrundlage bilde, insbesondere, weil er konkrete Ziffern enthalte. Dann aber überzeugte Mussolini den englischen Premierminister davon, daß es nicht den Tatsachen entspreche, wenn man in der deutschen Umwälzung eine Gefahr für den Frieden Europas sehen wolle. Schließlich aber lehnte Mussolini den Gedanken Macdonalds einer englisch-französisch-italischen Zusammenarbeit ab, denn Deutschland habe Anspruch, als gleichberechtigter Partner zu allen Verhandlungen hinzugezogen zu werden.
Um diesen Pakt in Gang zu setzen, entwickelte Mussolini den Plan einer Viermächtekonferenz in Rom, deren Aufgabe es sein müsse, die Kriegsbefürchtungen zu zerstreuen und damit das Werk der Abrüstungskonferenz zu erleichtern. Dieser Plan gab der internationalen Politik eine überraschende Wendung. In die mit Hochspannung geladenen, völlig zerfahrenen machtpolitischen Strömungen, die in tiefen Gegensätzen aufeinander- [253] prallten, trat plötzlich wieder der Gedanke der Einigung und Einheit. Und so geschah es, daß in dem Augenblicke, da Hitler durch die Eröffnung des Reichstages die Wende des deutschen Schicksals aller Welt vor Augen führte, sich der Schwerpunkt der internationalen Politik von Genf nach Rom verlegte, ein Vorgang, der die Stellung der Hitlerregierung im Auslande stark festigen mußte. Auf der Rückreise von London hatten Macdonald und Simon in Paris eine Unterredung mit den französischen Staatsmännern, die nach einigem Widerstreben sich bereit erklärten, in eine Erörterung des Mussolinipaktes eintreten zu wollen. Am gleichen Tage, dem 21. März, wurde auch in Washington ein Plan bekanntgegeben, dessen Ziel ein europäisches Abrüstungsabkommen war. Der Plan, den Norman Davis nach Europa mitnehmen sollte und der die volle deutsche Gleichberechtigung anerkannte, hatte vier Punkte:
1. Die Vereinigten Staaten sind für eine Mitarbeit am Mussoliniplan. Sie treten darüber hinaus ein für ein Abkommen, das auf die Dauer von 10 Jahren in Europa den Gewaltverzicht festlegt. 2. Die Bestrebungen der europäischen Länder bezüglich eines endgültigen Abkommens über die Landrüstungen werden im Interesse der Erhöhung des gegenseitigen Vertrauens gebilligt. 3. Amerika bietet seine Mitarbeit bei der Aufstellung der Ziffern für ein derartiges Übereinkommen an. 4. Die Regierung der Vereinigten Staaten tritt dafür ein, alle europäischen Länder in den Mussolinipakt aufzunehmen.
Der Mussoliniplan war in den Vordergrund des internationalen Interesses getreten. Um ihn ungestört erörtern und zum Erfolge führen zu können, wurde die Abrüstungskonferenz in der letzten Märzwoche auf 5 Wochen bis Ende April vertagt. |