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Deutschland östlich der Elbe - Max Wocke

Das mittlere Norddeutschland
(Mecklenburg und Pommern)

Das Norddeutsche Flachland wird jenseits der Elbe durch den polnischen Korridor und die Weichsel in zwei Teile zerschnitten: in das mittlere Norddeutschland mit Mecklenburg, Pommern, Brandenburg und der Grenzmark, und das jenseits der Weichsel gelegene vom Reich abgeschnürte Ostpreußen. Beide Teile des Tieflandes sind Gebiete, in denen die Eiszeit und ihre Formen dem Lande das Gesicht gegeben haben; beide Teile sind, wenn auch die meisten Gewässer über die Elbe der Nordsee untertan sind, zur Ostsee gerichtet; das heißt zu einem Meere, das nach der Entdeckung der neuen Welt und der Entwicklung des Welthandels die Folgen seiner Abgelegenheit zu fühlen bekam. Beide Teile - ursprünglich von Germanen bewohnt - wurden nach kurzer und kulturell wirkungsloser Besetzung durch slawische Völkerschaften im Laufe der Jahrhunderte wieder eingedeutscht. Beide Teile sind dünnbesiedeltes Bauernland, landwirtschaftliches Überschußgebiet. Aber die kontinentale Lage Ostpreußens, seine besondere Wirtschaftslage, seine stark ausgeprägten Charakterlandschaften und schließlich der eigenartige Verlauf seiner Wiedergewinnung für das Deutschtum - alle diese Tatsachen zwingen uns zu einer getrennten Behandlung des Landes jenseits der Weichsel.

Das Gebiet zwischen Elbe und Weichsel ist in Ost-West verlaufende Zonen gegliedert. Es sind Landschaftsringe, die nach Norden geöffnet sich um die Ostsee legen und weiter ins Binnenland hinein fortpflanzen, bis sie durch die Vorposten und Ausläufer der Mitteldeutschen Gebirge langsam aufgelockert und schließlich durch ihre Bauwerke verdrängt werden.

Das von der Natur recht vielgestaltig ausgestattete Gebiet der Küste und seines unmittelbaren Hinterlandes mit den alten Handelsstädten und den neuen erst jüngst groß gewordenen Seebädern stellt die erste Zone dar. Landeinwärts wird dieser Streifen lebhaften Verkehrs und starker Verdichtung der Bevölkerung abgelöst durch den Baltischen Landrücken, der in nach Norden offenem Bogen langsam aus der Küstenebene aufsteigt, in der Mitte zerschnitten durch das breite Tal der Oder. Westlich des Stromes fällt der Höhenzug von Lübeck nach Prenzlau zu ab, östlich der Odersenke steigt er in Richtung Danzig hinauf. In den Rinnen und Senken dieses großen vom Eise in einer längeren und oft schwankenden Stillstandslage aufgeschütteten Walles glänzen Hunderte von Seen. Ein breiter Fächersaum von Sandflächen, den die nach Süden abströmenden Schmelzwässer aufschütteten, schließt sich landeinwärts an und fällt langsam zur vierten Zone ab: das Gebiet der großen Täler, das "Zwischenstromland" der Mark. Auf der Höhe von Magdeburg setzt dann im Fläming die fünfte Zone an, der südliche Landrücken, der - zwar landschaftlich etwas anders geartet - als eine Fortsetzung der Lüneburger Heide angesehen werden kann. Als langgestreckter Hügelgürtel zieht er sich im Süd- [219] osten nach Schlesien hinüber, bildet die Grünberger Höhen, die Glogau-Dalkauer Berge und endet schließlich im Katzengebirge nördlich Breslau in Höhen von über 250 Metern.

Auch der Vorgang der Wiedereindeutschung des Landes nach der vorübergehenden Besetzung durch Slawen vollzog sich zonenförmig. Als die deutsche Königsgewalt 919 nach Sachsen verlegt wurde, erhielt das Ausdehnungsbestreben deutscher Macht und Art nach Norden und Osten neuen Antrieb. So trugen die ersten Sachsenkaiser das Deutschtum und das Christentum bis zur Oder und zur Görlitzer Neiße vor. Aber bis ins 12. Jahrhundert hinein war hier die Herrschaft keineswegs gesichert, denn die Grenzmarken Lausitz, Meißen und Brandenburg waren immer wieder bedroht. Die in diesen Gebieten besonders zahlreich auftretenden "Rundlinge" (Dörfer mit radialer Anordnung der Gehöfte und Häuser - ähnlich der einer Wagenburg - und meist nur einer leicht zu verteidigenden Einfahrt) sind nicht, wie früher oft behauptet, slawische Gründungen, sondern Siedlungsformen, die sich im Anschluß an die in diesen Gebieten herrschenden Grenzkämpfe als Schutzform gebildet haben. Der in den Alpenländern schon eher vollzogene Vorgang des Aufgehens der dünnen slawischen Bevölkerung setzt hier im Tieflande im Raume zwischen Ostsee und Böhmen erst viel später ein, verzögert durch die italienfreundliche Politik der Herrscher und die spärliche Neusiedlung. Erst der welfische Herzog von Sachsen, Heinrich der Löwe, der askanische Markgraf von Brandenburg, Albrecht der Bär, und der wettinische Markgraf von Meißen nehmen zusammen mit dem Errzbischof von Magdeburg die große Aufgabe zielstrebig in ihre Hände. Nach dem Sturze des großen Heinrich sichern im Norden die einheimischen Fürsten, slawische Herzöge von Pommern, Rügen und Mecklenburg, den weiteren Anschluß an das Christentum und die deutsche Kultur. Zwischen diesem Gebiete und den ebenfalls selbsteingedeutschten Herzogtümern in Schlesien lag jener Raum der Markgrafschaften Brandenburg, Meißen und Lausitz, in dem die Besiedlung und Sicherung nicht ganz so friedlich verlief. Aber im 12. Jahrhundert kann auch dieses Land als gewonnen gelten, und allmählich geht die spärliche, Fischfang und Ackerbau treibende Bevölkerung in den zahlreichen deutschen Siedlern auf.



Mecklenburg

Die ganze Mannigfaltigkeit der Küstenformen deutscher Meere findet in einem Wort von Selma Lagerlöf treffenden Ausdruck: "Nun können sich Meer und Land auf viele verschiedene Arten begegnen." Die Formen der Küsten an der Nordsee tragen alle Kennzeichen eines erbitterten Kampfes zwischen den beiden Elementen. Es ist eine Einbruchsküste, an der das Meer

Ostseeküste. Kirchenruine Hoff. Die Steilküste wurde vom Meer unterspült.
[192]      Ostseeküste.
Kirchenruine Hoff. Die Steilküste wurde vom Meer unterspült.
immer wieder den Versuch macht, den Strand zu zerstören und Land zu gewinnen. Die Ostsee hat eine Ausgleichsküste, und an vielen Stellen hat man den Eindruck, als ob die beiden feindlichen Mächte hier schon Frieden miteinander geschlossen hätten oder ihn anstrebten. Trotzdem ist die Küste der Ostsee immer noch sehr vielgestaltig: Enge, weit eingreifende Buchten wechseln mit glattem Verlauf, [220] Inseln sind ins Meer hinausgeschoben, breite Hafflächen werden von langen, schmalen Landzungen abgeriegelt und zu einem stillen Dasein als Strandseen verurteilt, weite Wiesenflächen senken sich langsam dem Wasser entgegen, steile Küsten steigen unerwartet aus dem Meere empor. Der Formenreichtum erklärt sich aus einer Senkung des ganzen Küstengebietes, genannt "Litorinasenkung", in der Zeit nach der Eiszeit einerseits und der Arbeit der gegenwärtig wirksamen Kräfte des Windes, der Meeresbrandung und der Flüsse andererseits.

Die Mecklenburgische Küste ist im wesentlichen Teile offen: runde Buchten - Bodden oder Wieck genannt - greifen tief in das Land ein und schaffen mit gewundenen und zerlappten Halbinseln eine Zone seltsamer Durchdringung von Meer und Land. Durch die Litorinasenkung wurden alle Vertiefungen mit Wasser erfüllt, und erst langsam wird das Land durch Flüsse und vordringende Pflanzen vom Rande her wieder zurückgewonnen. Ausgeglichener ist der östliche Teil. Hier, wo auf weiten Strecken dichte Wälder das Meer begleiten, sind aus armseligen Fischerdörfern eine Reihe der größten deutschen Ostseebäder entstanden.

Jenseits vom Wohlenberger Wieck inmitten von weiten Kiefernwäldern liegt Boltenhagen, das westlichste der Bäder Mecklenburgs. Es folgen das am Salzhaff gelegene Altgaarz und das urwüchsige Kirchdorf. An der nördlichsten Spitze des Landes, an dem sogenannten Buck oder Buscheck, wo das Land vor dem Meer wie zur Abwehr eine mit großen Felsen durchsetzte Steilküste aufrichtet, dort liegt das Ostseebad Arendsee, umgeben von Wäldern mit breitem Strand. Hier führt zwischen Kiefern und silbrig schimmernden Sanddornkuppeln eine drei Kilometer lange Strandpromenade nach der Gartenstadt Brunshaupten, wo weit ins Meer vorgeschobene Buhnen die zerstörende Macht der Brandung brechen. Unmittelbar daran schließt sich das älteste der deutschen Seebäder, Heiligendamm, das mit seiner breiten Front von weißleuchtenden Logierpalästen beinahe an Bäder in südlichen Ländern erinnert. Auf fruchtbarem eiszeitlichen Lehmboden gedeihen hier hohe Buchenwälder, die sich mit denen von Rügen messen können. Jenseits der Steilküste der Stolteraa liegt das letzte der ganz großen mecklenburgischen Bäder: Warnemünde, der Vorhafen Rostocks, das mit 30 000 Kurgästen - vorzugsweise Berliner und Sachsen - an der Spitze aller Bäder des Landes steht. Durch den von hier ausgehenden Fährverkehr über die Ostsee sind Fahrwasser, Hafenanlagen und Landschaftsbild entscheidend verändert worden. Nur am "Strom" ist noch ein kleines Stück des alten Fischerdorfes erhalten. Ganz anders ist das weiter östlich gelegene Graal: heiter und friedlich liegt es da, den Urkunden nach eines der ältesten Dörfer der Umgebung von Rostock, Ostseebad und Waldkurort zugleich, denn es ruht mitten in der Rostocker Heide. Nicht weit davon ist das alte Großherzogliche Jagdrevier Gelbensande mit uralten Buchen, Eichen und seltenen Nadelhölzern und einem reichen Wildbestand. Auf ganz schmaler Landzuge liegen, dem Saaler Bodden zugewandt, die letzten Dörfer Mecklenburgs: Wustrow und Althagen. - Das ist die Zone des Wassers, des [221] Sandes und des Waldes, die im Sommer viel Menschen an sich zieht, in der dann so viel buntes Leben wirbelt, die Zone, die im Winter, wenn der Nordsturm gegen Steilküste und Buhnen anrennt, fast verlassen daliegt, die Boote geborgen, die vielen Balkone kahl, die Fenster verhangen, die Tore verschlossen.

Hinter diesem schmalen Streifen, in dem im Zuge unserer Großstadtentwicklung sich heute der regste Verkehr des Landes abspielt und zeitweise zu einer starken Verdichtung der Bevölkerung führt, liegen - wir greifen hier zum Teil nach Vorpommern über - vier Städte, die vor einigen hundert Jahren Vorposten im Kampfe für das Deutschtum waren und lange Zeit das wirtschaftliche und kulturelle Leben des Landes bestimmt haben: die Ostseestädte Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald. Alle vier waren einst wichtige Plätze der Hansa. Über das Gemeinsame hinaus, das alle Hafenstädte durch geographische Lage und Zweck ihrer Anlage immer einander ähnlich werden läßt, gehören diese vier noch enger zusammen. Sie gehören baulich nahe zu Lübeck, und in der Kunstgeschichte, das heißt in der Geschichte des norddeutschen Backsteinbaues, nennt man sie das "Wendische Quartier". In diesen vier Städten und ihrem Hinterland sind in der Gefolgschaft jener benachbarten großen Hansastadt Bauten errichtet worden, die in ihrer Großartigkeit diesen Raum zu einem der wichtigsten Gebiete der norddeutschen Backsteinkunst machen.

Zeitlich gliedern sich die Bauten in zwei Gruppen: die eine bis 1360, die zweite nach dem glücklichen Kriege der Hansa gegen Dänemark von 1380 bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. Die zur ersten Gruppe gehörigen Dome sind alles hohe, langgestreckte Basiliken, die auf den Längsseiten und am Chorschluß von einer ununterbrochenen Reihe von Strebepfeilern umstellt sind. St. Marien und St. Nikolai in Wismar sind zwar nur eintürmig, aber sie erinnern stark an die berühmte Lübecker Marienkirche. St. Nikolai in Stralsund ist eine Übersetzung des Lübecker Vorbildes ins "Pommersch Breite". Zu einer zweiten Gruppe gehören die in ihrem Innenbau an englische Werke erinnernden Jakobikirchen in Rostock und Stralsund und die Nikolaikirche in Greifswald. Eine der wichtigsten Eigenformen, die diese Bauten von dem Lübecker Muster trennt, ist die Bereicherung der schlichten Längsform durch ein Querschiff,

Rostock. Die Marienkirche.
[186]      Rostock. Die Marienkirche.

Wismar. Der Fürstenhof.
[185]      Wismar. Der Fürstenhof.
das heißt der Übergang zur kreuzförmigen Basilika. Niederländische Einflüsse spielen hier eine gewisse Rolle. Es waren die Zisterzienser, die in Doberan diese Kreuzform der Kirche - sie ist von dem ersten christlichen Wendenfürsten Pribislaw gegründet - zuerst aufnahmen, wo sie allerdings nur im Außenbau deutlich zu erkennen ist. Der an nordfranzösische Kathedralen erinnernde Kapellenkranz um den Hauptchor zeigt, wie weit der Handel in damaliger Zeit reichte. Die Marienkirche zu Rostock und die Georgenkirche in Wismar haben einen einschiffigen Querbau, während sich in dem langgestreckten Dom von Schwerin in ausgesprochener Anlehnung an französische Muster zwei gleichartige Langhausgruppen überschneiden. Gleichzeitig mit dieser Entwicklung werden die Strebebogen aufgegeben und das Flächenhafte mehr betont. Ihre höchste Erfüllung findet diese von den Niederlanden her eindringende Bauweise in der Marienkirche in Stralsund: sie will schlank und hoch [222] gereckt sein wie die Hansekirchen, sie will zugleich die völlige Ausbildung der Vierung wie im Schweriner Dom. Das Zurücktreten aller Einzelformen und die betonte Schlichtheit der großen Flächen zugunsten der Gestaltung des Ganzen macht sie zu einer echt pommerschen Kirche. Der bisher in diesem Gebiet noch nicht bekannte Übergang vom Viereck zum Achteck am Hauptturm fußt wahrscheinlich auf flämischen Vorbildern.

Es ist schwer zu entscheiden, welcher von den Städten des "Wendischen Quartiers" der Vorrang gebührt, denn jede zeigt in Domen und Bürgerbauten bei aller Verwandtschaft ein durchaus eigenes Gepräge: Die Eigenart von Wismar, die "Stadt der Dome" an der Ostsee, besteht in dem Zusammenklingen von drei großen Baumassen. Der hier an der Küste seltene figurale Schmuck findet sich an der Nikolaikirche in reicher Form. Im Mauerwerk sind glasierte Binder zu einem Rautenmuster zusammengestellt. Auffallend reich ist der Reliefziegelschmuck des Südgiebels. Weit ungefüger ist Wismars Georgenkirche, berühmt durch ihren Schnitzaltar, deren Wucht im ursprünglichen Plane des Turmes und Chores noch weit größer vorgesehen war. - In Rostock, einer der ältesten Universitätsstädte des Reiches, ist das Rathaus in unmittelbarer Anlehnung an die Schauwand von Lübeck erbaut worden. Der Raum der Marienkirche in Mecklenburgs Hauptstadt ist sicher einer der harmonischsten der ganzen Kirchen des "Wendischen Quartiers". Der Eindruck von außen ist durch das breite Kreuzschiff und das schillernde Leben der Glasursteine auf den Mauerflächen unübertroffen. Auch die barocke Haube des Turmes, das Wahrzeichen der Stadt, zeigt viel Eigenart, wenn sie auch von den Türmen der drei Pfarrkirchen überragt wird. - In Stralsund sind es nicht nur Einzelheiten, die das Auge fesseln, wie - nur eine von vielen - der ungewöhnliche Turmaufbau der Marienkirche mit seinen Ecktürmen, die sich in hellgrün schimmerndem gotländischem Kalk von dem dunklen Braunrot der Backsteine wunderbar absetzen. Hier ist es viel mehr das ganze Stadtbild des ursprünglich slawischen Fährdorfes, gewachsen in eigenartiger Lage, geprägt durch eine ereignisreiche Geschichte. Der Stralsunder Alte Markt ist mit der prunkvollen Schauwand des Rathauses, der Nikolaikirche und den aus Gotik, Renaissance und Barock stammenden Bürgerhäusern ein lebendiger Ausdruck von Tatkraft und Wille der bürgerlichen Gemeinschaft dieser alten Hansastadt, die 1628 den Plänen Wallensteins trotzte, in deren Mauern der preußische Husarenmajor Schill 1809 zum Aufstand gegen Napoleon aufrief und im Straßenkampf fiel.

Stralsund. Das Rathaus.
[189]      Stralsund. Das Rathaus.

Und welche Stadt kann neben solchen Bauwerken zugleich noch eine solche Lage vorweisen?! Die Altstadt ist umfangen von schimmernden Wasserflächen, ein Dreieck, an den Ecken durch Dämme dem Festland verbunden, umkränzt von einem Saum grüner Bäume, umschlossen von Mauern mit mittelalterlichen Stadttoren. Unvergleichlich der Blick, wenn man auf dem Schiff von Hiddensee her sich der Stadt nähert. Wie riesige Blöcke tauchen die Türme aus dem flachen Wasser auf! "Meerstadt ist Stralsund, vom Meere erzeugt, dem Meere ähnlich, auf das Meer ist sie bezogen in ihrer Erscheinung und in ihrer Geschichte." (Ricarda Huch)

[223] Das heutige Leben dieser Städte ist unvergleichlich ruhiger als zu der Zeit, da ihre großen Bauten errichtet wurden. Das kleine Hinterland hat ihren Handel mehr und mehr schrumpfen lassen; in der letzten Zeit ist eine Belebung zu verzeichnen. Alle vier Städte sind von Stettin, dem Hafen am großen Strom mit dem weiten Hinterland, überflügelt und zurückgedrängt worden. Durch Schienenwege sind sie miteinander verbunden, aber die weiter südlich geführte Stettin - Lübecker Bahn berührt sie nicht! Beide Linien dienen fast nur der Beförderung im Lande von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf und haben nur sehr wenig Durchgangsverkehr. Der Reisende, der von Stettin nach dem Westen des Reiches fahren muß, fährt schneller und bequemer über Berlin. - Wismar hat von Natur eine günstige Lage durch die nur 37 Meter hoch gelegene Verbindung über den Landrücken zur Elbe. Aber durch die lange Herrschaft der Schweden ist es von seinem Hinterlande abgedrängt worden. Ehemals hatte es den Versand von Bier und Heringen, heute handelt es mit Korn, Zucker und skandinavischem Holz. - Rostock, die Stadt des Marschall Vorwärts, liegt auf einer buckligen Höhe an der Mündung der Warnow in den Breitling, wo ein hohes Ufer einst Schutz und Übergangsmöglichkeit gewährte. Aus drei verschiedenen Siedlungen wuchs es zusammen. Da aber die Warnow nur fünf Meter tief ist, müssen heute alle größeren Schiffe im Vorhafen Warnemünde anlegen und Ladung löschen. Am Flußufer haben sich Schiffswerften und Maschinenindustrien niedergelassen, die zu einem regen Wachstum der Stadt im 19. Jahrhundert führten. Das etwas bewegte Gelände macht das Stadtbild mit Mauern, Türmen, Toren und schönen gärtnerischen Anlagen besonders reizvoll. - Am drei Kilometer schmalen Strelasunde, der die Insel Rügen seit der Litorinazeit vom Lande trennt, liegt Stralsund, Pommerns größter Umschlagplatz für Getreide nächst Stettin. Von hier aus geht der Fährverkehr nach Rügen und über Saßnitz nach Trelleborg. Der neue Rügendamm, eine Verbindung von schwebender Brücke und festem Damm, bestätigt die alte Brückenkopfstellung der Stadt in Gestalt eines neuen Wunders der Technik, das Schienenweg und breite Straße trägt, das uns die nordischen Länder um fast eine Wegstunde näher rückt, das für den Bau des großen KDF-Bades bei Binz die notwendige Verkehrsgundlage schafft. - Das von Mönchen gegründete Greifswald hat völlig aufgehört, eine Rolle als Seestadt zu spielen. Den Studenten der stillen Ernst Moritz Arndt-Universität künden die Türme des "schlanken Nikolai" und der "dicken Marie", die die kleinen Bürgerhäuser beinahe erdrücken, von der bewegteren Vergangenheit der Stadt. Ihr Bild inmitten fruchtbarer Wiesen ist unvergeßlich festgehalten in dem Werk des großen Meisters Kaspar David Friedrich, dem feinsinnigen Gestalter des flutenden Lichts und der stufenreichen Farbigkeit dieses allseits offenen Landes, das uns auch den anderen tiefen Romantiker gab: Philipp Otto Runge.

Landeinwärts hinter der verkehrsreichen Strandzone der Bäder und der Städtelinie mit ihrer großen Vergangenheit erhebt sich der Baltische Landrücken, heute wie einst ein Gebiet der Abgelegenheit und der Stille des Lebens, [224] aber hoher Bewegtheit und Schönheit seiner Landschaft: In mehreren hintereinander gestaffelten Zügen - die nach Süden ausgreifenden Ruhnerberge und die Helpterberge im Osten mit fast 180 Metern überragen sogar den Wilsederberg der Lüneburger Heide - zieht der Landrücken von Wismar über Plau und Waren nach Neubrandenburg und Neustrelitz. In diesen bewegten 30 Kilometer breiten Gürtel der Hügel und Höhen sind über 600 Seen eingebettet, kleine und große: lange schmale in ehemaligen Schmelzwasserrinnen, große, breite und viel gelappte mit Landzungen, Vorsprüngen und Inseln in den flachen Mulden

Mecklenburg. An der Müritz.
[192]      Mecklenburg. An der Müritz.
zwischen den Wällen und Buckeln der wasserhaltenden Lehme aus der Eiszeit. In allen Größen und in allen Tiefen kommen sie hier vor, angefangen von den kleinen Strudellöchern der Sölle bis hin zur Müritz, die mit allen Nebenflächen 133 Quadratkilometer bedeckt. Zwischen den randlichen Höhenzügen mutet das etwas ruhigere Gebiet im Innern in der Tat wie eine Platte an. Nadelwälder und weite Buchenforsten - diese besonders bei Ratzeburg, Schwerin und Waren - umgeben die blanken Seeflächen, auf denen der Wasserwanderer auf leichten Booten von Berlin bis in die Ostsee fahren kann. Am Rande der Platte, an den Zipfeln der Seen, an den Mündungen der kleinen Flüsse, auf Halbinseln und Landrücken zwischen dem blinkenden Wasser liegen viele kleine Städte, deren unverhältnismäßig große Zahl sich nur aus dem Gange der Besiedlung und Eindeutschung erklären läßt: sie entstanden einst als notwendige Stützpunkte des vordringenden Deutschtums. Heute sind viele von ihnen weit kleiner als sie ehemals waren, eigentlich nur Dörfer mit Kühen und Anglern, Bauernwagen und Aalfangschleusen. Das gilt allerdings nicht von der Hauptstadt Schwerin, das umgeben von hohen Buchenwäldern mit seiner Schloßinsel zu den schönsten Plätzen im Innern des Landes zählt.

Schwerin, Mecklenburg. Das Schloß.
[187]      Schwerin (Mecklenburg). Das Schloß.

Zur Slawenzeit herrschte hier der Obotritenfürst Niklot, und Heinrich der Löwe machte es nach dessen Niederwerfung zum Hauptstützpunkt für die Wiedereroberung des Landes. Der Dom zu Schwerin ist neben dem von Marienwerder das großartigste Bauwerk seiner Art in Norddeutschland. Auch andere Städte zeigen mit ihren Türmen und Toren und Kirchen manche Anklänge an das "Wendische Quartier". Güstrow, südlich von Rostock, das einst Wallenstein, der Herzog zu Friedland und Mecklenburg, zur Hauptstadt des Landes gemacht hatte, ist durch den Dom mit seinen holzgeschnitzten Aposteln berühmt, die von einem unbekannten Lübecker Meister stammen sollen. Diese zwölf Gestalten sind riesige nordische Soldaten mit Trutz und Kämpfermut im Gesicht. Sie können an Blücher und Moltke erinnern, die Feldherren der Freiheitskriege, die dieses Land dem Reich geschenkt hat. Völlig einzigartig stehen die Pfosten und Maßwerkformen der Ostgiebel an den Marienkirchen zu Neubrandenburg und Prenzlau da. Kunstgeschichtlich gehören beide schon zur Mark, wo eine größere Schmuckliebe zu Hause war. Bei Neubrandenburg hat man auf die Westseite des Straßburger Münsters hingewiesen; wahrscheinlicher sind Vorbilder aus England.

Neubrandenburg, Mecklenburg. Das Treptower Tor.
[188]      Neubrandenburg (Mecklenburg). Das Treptower Tor.

Nicht weit von Schwerin liegt das kleine Städtchen Gadebusch, schon vor 1225 als eine der ältesten Grenzburgen genannt, bekannt durch seine aus dem [225] 12. Jahrhundert stammende Kirche, den ältesten Steinbau des Landes. An einem Augustmorgen des Jahres 1813 fiel hier auf der Straße von Schwerin der Leutnant im Lützowschen Freikorps Theodor Körner. Eine Stunde vorher hatte er sein Gedicht "Du Schwert an meiner Linken" in sein Tagebuch geschrieben und seinem Freunde noch vorgelesen. Beim Dorfe Wöbbelin ruht er unter einer hohen Eiche.

Drei Jahre vor dem Heldentod Körners wurde an der vorpommerschen Grenze in Stavenhagen, einer kleiner Ackerbürgerstadt mit viereckigem Marktplatz und hügelan führendem Weg zum Schloß, ein anderer aufrechter Deutscher geboren: Fritz Reuter, der etwas verbummelte Student, der "ungeratene Sohn", der Freiheitskämpfer, der zum Tode verurteilte Hochverräter, der in schlesischen Festungen sitzen mußte, bis er 1840 seine Freiheit wieder erlangte. Und nun wurde der Tier- und Menschenfreund zum Meister des Plattdeutschen der Dichter seiner Heimat, von dem Klaus Groth sagt, daß die plattdeutsche Sprache, die bisher nur "wie ein Bär getanzt" habe, jetzt zu singen und zu klingen, zu lachen und zu weinen begann. Seine Sprache hat etwas von den Domen des wendischen Quartiers: sie ist etwas breiter, schmuckloser als das nordwestdeutsche Platt.

    "Ich weit einen Eikbom, de steiht an de See,
    De Nurdstorm, de brus't in sin Knäst,
    Stolt reckt hei de mächtige Kron in de Höh,
    So is dat all dusend Johr west.
    Kein Minschenhand
    De hett em plant't;
    Hei reckt sik von Pommern bet Nedderland.

    Nix hett em dahn;
    Hei ward noch stahn,
    Wenn wedder mal dusens von Johren vergahn."

Fritz Reuters Schaffen wurzelt tief in Heimat und Volkstum. Er ist ein echter Niedersachse, von denen man sagt, daß sie hartes Holz seien, das langsam Feuer fängt, dann aber auch Glut gibt. Er ist der Dichter der Sprache seines Landes, seiner Landschaft, seiner "leiwen Meckelnborger Landslüt", er ist auch der Schilderer der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse seiner Heimat. Auf diesem Gebiete hat sich mit der Zeit einiges geändert, aber vieles ist noch heute so: Mecklenburg ist arm an eigentlichen Bauerndörfern; sie sind zu einem großen Teil von den Gütern aufgesogen worden. Sechzig bis achtzig Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche gehören dem Großgrundbesitz; meist sind es Besitztümer von 2 000 bis 3 000 Morgen Größe! Dabei werden noch mehr als fünfzig Prozent dieser Ländereien in der bevölkerungspolitisch zweifelhaften Form der Pachtwirtschaft bearbeitet. Mehr als ein Drittel der Anbaufläche gehört - wie in Ostelbien überall - dem Roggen. Eine große Rolle spielt bei dem feuchten Klima der Hafer, eine nur geringe die Kartoffel. Auf den fetten Böden um Rostock, Güstrow, Malchin und Waren werden viel [226] Zuckerrüben angebaut. Weit verbreitet war immer die Wollschafzucht. Auf den kümmerlichen sandigen Böden haben die Bauern mit 100 Morgen noch ein schweres Auskommen. Ärmliche niederdeutsche Bauernhäuser, die die Siedler einst aus ihrer Heimat mitbrachten, stehen in respektvoller Entfernung von den Gutshöfen mit ihrem rechteckigen Grundriß und den stolzen Schlössern. Seitab die Kaserne für die polnischen Wanderarbeiter, die seit dem 19. Jahrhundert stärker als anderswo eine Verschlechterung des Blutes brachten. Mecklenburg ist das Gebiet geringster Volksdichte des ganzen Reiches: selten steigt sie über 50, im Durchschnitt beträgt sie nur 45, im Gebiete der Müritz und des Plauer Sees fällt sie sogar auf unter 25 Einwohner! Mecklenburg ist eine stille Insel, umflossen von der bewegten Ostsee im Norden, von dem Leben zweier großer Häfen und ihrer Ströme im Westen und Osten, von dem Millionenverkehr der Hauptstadt des Reiches im Süden. Hier war es schon immer still, nicht erst - wie in anderen Gebieten - durch den Versailler Vertrag. Aber es ist ein schönes Land und ein fruchtbares Land. Hier ist noch Raum für viele Siedler!



Vorpommern

Der Mecklenburgische Teil der Ostseeküste ist mit Ausnahme des westlichen Teiles ziemlich ausgeglichen. Die gesamte Küste Vorpommerns ist dagegen sehr unruhig. Ihre größeren Erhebungen haben durch die nacheiszeitliche Senkung zur Bildung einer ausgesprochenen Inselküste geführt. Zu dieser Inselzone gehören Darß und Zingst, Usedom, Wollin und vor allem Rügen.

Der Darß. Die Nordspitze des vorpommerschen Festlandes wird durch den inselartigen Vorsprung von Darß und Zingst gebildet, der vom Festlande durch den Saaler und Bodstedter Bodden getrennt wird. Eigentlich ist der Darß eine Insel, denn er hängt nur mit zwei schmalen Strängen am Festlande. Den einen hat der Mensch in der Eisenbahnbrücke bei Bresewitz geschaffen, der andere ist die schmale durch Strömung und Strandversetzung geschaffene Sandnehrung bei Althagen - Ahrenshop. "Noch gibt es einen Wald auf der Nordspitze Deutschlands, auf der Halbinsel Darß in Pommern. Er umfaßt 26 000 Morgen, und gewaltige Sümpfe haben der vernichtend vordringenden Zivilisation einen Riegel vorgeschoben. Dort breiten sich geheimnisvolle Erlenbrüche wie tropische Mangrovenwälder hinter den gewaltigen Dünen aus, und urwüchsige Baumriesen trotzen seit Jahrhunderten den Ostseestürmen." So schrieb Bengt Berg, Schwedens größter Naturforscher, vor fünf Jahren über den Darß.

Ursprünglich war der Darß längst nicht so groß, wie er heute ist. Zwei Geschiebelehminseln, das Wustrower "Fischland" im Westen und das sandige Waldgebiet im Süden, das heute die Ortschaften Wieck und Born trägt, sind die Kerne, um die und an die sich allmählich immer mehr Land angesetzt hat. Das geht auch heute noch weiter. Die Spitze des Darß, Darßer Ort, wächst immer weiter ins Meer hinaus der Insel Hiddensee entgegen, und Jahr für Jahr - vom Leuchtturm sieht man, wie neues Land entsteht - legt sich ein [227] Dünenstreifen vor den anderen. 131 dieser Art sind im Darßer Walde gezählt worden. Die Wege in ihm laufen alle auf solchen Dünenrücken, die hier "Horste" oder "Reffe" genannt werden. Dazwischen liegen langgestreckte versumpfte Niederungen, die sogenannten "Riegen", die ehemals "Lagunen" waren und noch heute oft Wasser führen. Sie tragen alle ihre Namen, und jeder alte Darßer weiß sie zu nennen. Da gibt es den Schmalreff und den Heidesee, das Hochreff und das Wurzelreff. Bei der Anlage des Ortes Prerow spielen die Rücken eine wichtige Rolle: die eigentümlich streifenförmig gelockerte Anordnung der Häuser, zwischen denen immer wieder tiefere Wiesen liegen, geht auf jene alten Reffe zurück. Das lassen viele Straßennamen heute noch gut erkennen.

Als nach 1648 Vorpommern schwedisch und der Darß zwischen 1715 und 1720 dänisch waren, weilten dort oft nordische Könige zur Jagd. Nach einem großen Brande in Kopenhagen wurde das Holz zum Wiederaufbau der Stadt vom Darß geraubt. Damals wurden für den Bau des Schlosses die kostbaren Eibenbestände geschlagen, an deren Vorkommen heute nur noch drei kleine Büsche und der Name der Försterei Ibenhorst erinnern. Auch in der Franzosenzeit mußte der Wald noch einmal furchtbar herhalten. Heute ist er in seiner gesamten Ausdehnung zum Naturschutzgebiet erklärt worden. Denn der Darß ist ein unvergleichliches Paradies der Bäume und der Tiere. Der Wald ist hier wie jeder Urwald ein Mischwald, aber jenes eigentümliche Baugesetz der Insel "entmischt" ihn und ordnet die verschiedenen Arten an vielen Stellen streifenförmig in Baumgemeinschaften des Sandes und des Sumpfes an: In den Riegen mit dem hohen Grundwasserstand wachsen Erlen und Eichen, an ihrem Rande auch Buchen. Auf den trockeneren Reffen gedeihen Kiefer, Birke, Fichte. Das Unterholz bilden Weide und Stechpalme (Ilex), die hier im ausgesprochenen Seeklima gut gedeiht, ferner die im Frühling herrlich blühenden Wildapfel und Weißdorn, nach dem die Halbinsel wohl ihren slawischen Namen erhalten hat. Er kommt im mittleren Norddeutschland noch mehrfach vor: Darß heißt Dornenbusch. Die Baumstämme, die oft von Efeu bis auf 20 Meter Höhe umklammert werden, und die vom Geisblatt umschlossenen Sträucher ragen zusammen mit den schlanken Säulen des Wacholder an vielen Stellen aus einem Teppich von Adlerfarnwedeln heraus, die hier die Höhe von sechs Metern erreichen. Die Wege, die durch diesen Wald führen, sind im Mai von Ginstermauern umschlossen. In diesem Gebiete, wo Farne noch zu Wäldern wachsen und Bilder längst vergangener Zeiten der Erdgeschichte vor uns auftauchen lassen, leben auch Tiere, die sonst selten geworden oder gar ausgestorben sind. Da sind Keiler und Hirsche, da nistet im Eichwald der Fischreiher, der Kranich trompetet im stillen Bruch, der Seeadler, der bis zu zweihundert Jahre alt werden kann, horstet auf den Föhren, und der Fischadler jagt in wunderbarem Spiel des Fluges über dem Meer. Durch die Fürsorge des Staates sollen in diesem von der Natur durch Wasser geschütztem Gebiet die aussterbenden Tiere der baltischen Tiefebene eine neue Heimat finden und ungestört leben können. Der Elch, der in den skandinavischen Ländern und in [228] Ostpreußen noch in größeren Beständen vorkommt, soll auf der "Sundischen Wiese", östlich von Zingst, angesiedelt werden. In der Nähe der Oberförsterei Born sind einige aus Kanada stammende Bisons angesetzt worden, denen ein Wisentstier aus dem hannoverschen Gehege zugesellt worden ist, um auf diese Weise durch die sogenannte "Verdrängungszucht" Wisente zu züchten, die die Härte der Bisons besitzen. Auch Mufflons, die Wildschafe der Mittelmeerinseln, sollen hier heimisch werden. Durch Waldarbeiter und Arbeitsdienst sind auf dem Darß und Zingst 28 000 Morgen Wald mit einem drei Meter hohen Gatter umfriedet worden. Die wenigen Tore schließen sich hinter dem Wanderer wieder selbständig. 13 000 Hektar groß soll der Wildpark werden! Um den Tieren die richtige Pflege zukommen zu lassen, hat man aus dem Elchgebieten Ostpreußens geschulte Förster herangeholt. Ein "Nationalpark" im Werden!

Prerow, der Ort am gleichnamigen Strome, - das Wort bedeutet Durchbruch - war ursprünglich ein slawisches Fischerdorf. Wie überall in Mecklenburg und Pommern weisen die Familiennamen auf niederdeutsche Einwanderung hin. Einige an englische Namen anklingende machen wahrscheinlich, daß früher die Besatzungen gestrandeter englischer Schiffe hier geblieben sind. Heute sind die meisten Einwohner nicht mehr Fischer und auch nicht Bauern, denn Prerow ist ein Ostseebad mit einem drei Kilometer langen Badestrand, und acht Wochen dauert die Saison. Ein Glück nur, daß der Darß so abgelegen und schwer erreichbar ist, daß sein Brunnenwasser stellenweise dunkelbraun ist und gefiltert werden muß, sonst würden die malerischen Schilfdächer und die schön geschnitzten, buntgemalten Türen hier bald verschwinden, die fest zum Bilde des Orten gehören. Eigenartiger als der mit Badekörben gepflasterte Nordstrand ist der Weststrand zwischen dem einsamen Leuchtturm vom Darßer Ort und dem ehemaligen Fischerdorf Ahrenshop an der Grenze gegen Mecklenburg, wo hinter bunten Fensterläden Berliner Künstler in Häusern wohnen, die den Fischerkaten der Dörfer nachgebildet sind. Hier am einsamen Weststrand herrscht der Westwind, der Wind der deutschen Ostseeküste, der Wind Norddeutschlands, und formt alles nach seinem Willen. Hinter dem ersten Sandwall erheben sich Kiefern und Buchen, Wildäpfel und Birken und Krüppelformen im flachen Anstieg glatt wie eine Düne; keine Krone, kein Zweig, kein Trieb darf herausragen - sofort werden sie in die Schnur des Windes genommen, der alles gleichmacht. Geduckt steht hier ein Jagdhaus des Reichsjägermeisters, erbaut im Blockhausstil aus heimischen Stämmen. Die schönste Stelle ist bei Esperort. Hier ragen auf der hohen Düne einige wenige Buchen einsam empor. Diesen Wettergestalten kann der Wind nichts anhaben, er kann sie nicht lebendig im Sande begraben, er kann sie nicht entwurzeln, er kann sie nicht umbrechen, denn sie sind schon zu alt und hart im Kampfe mit dem Element geworden. Aber er hat ihnen ihr lebendiges Baumgesicht genommen. Er hat ihnen eine Maske dafür gegeben. Das ist keine lebende Buchenkrone mehr, die sich über einem stolzen aufrechten Stamme wölbt. Das ist nur noch ein flaches Dreieck aus Zweigen und Blättern, aufgesteckt auf einem nach Osten [229] geneigten Stamm. Das ist die dem organischen Leben fremde Form der Düne mit flachem Anstieg und steilem Abfall. Das ist die Lieblingsform für den Wind, die der Mensch ihm absah und dem Querschnitt des Flugzeugflügels gab. Der Wind und die von ihm in Gang gesetzte Strömung des Meereswassers haben den Darß in seiner heutigen Gestalt geschaffen. Er ist sein Baumeister. Auf den Buchen bei Esperort am Weststrande hat er seine Leibstandarte gesetzt!

Rügen. Auch die größte deutsche Insel ist voller Wunder und Seltsamkeiten. Wer von Stralsund aus sich dem Eilande nähert, sieht zunächst nichts davon, denn das eigentliche Gesicht der Insel ist nordwärts und ostwärts gekehrt. Aber vieles läßt sich schon vorher wissen und sehen: Im Stralsunder Heimatmuseum sind wertvolle vorgeschichtliche Funde aus der Stein- und Bronzezeit aufgestellt. Darunter der kostbare Goldschmuck von Hiddensee, ein Zeugnis edelster nordischer Goldschmiedekunst der Wikinger aus der Zeit um das Jahr 1000. Die Karte zeigt, daß die Insel aus einem Kernland in der Mitte und den angelagerten höheren Teilen Wittow und Jasmund im Norden, Granitz und Mönchgut im Osten besteht, zu denen noch der Dornbusch der kleinen Insel Hiddensee im Westen tritt. Durch waldbewachsene Dünendämme, die sich wie Girlanden von einem festen Punkte zum anderen schwingen, sind diese Teile zu einer Einheit verbunden. Wer von Stralsund aus die Fahrt mit dem Motorboot nach Breege macht, der erkennt, daß sich hier Wasser und Land friedlich durchdringen: Mit Buchten und Bodden greift das Meer zwischen Wälder und Wiesen, Äcker und Weiden ein. Wer über den neuerbauten Rügendamm mit der Bahn hinüber fährt, der bekommt einen Eindruck von der Fruchtbarkeit des Landes, von seinen reichen Dörfern mit den großen Höfen, umzäumt von Holunder und Heckenrosen, und den langen Scheunen, deren Giebel alle abgewalmt sind, als seien sie vom Winde geschoren. Aber auch das für Dichter und Künstler immer wieder so anziehende Hiddensee, "uns söt Länneken", wo Gerhard Hauptmann seine "Versunkene Glocke" dichtete und "Gabriel Schillings Flucht" spielt, gehört nicht zu den eigentlichen Wundern der Insel Rügen. Auch nicht der Park von Putbus mit seiner uralten Lindenallee und dem von Schinkels Schülern aus einer um 1300 entstandenen Burg umgebauten Schloß. Ebenso nicht das von den "Segnungen" der Kultur länger verschont gebliebene, etwas abgelegene Mönchgut "dat Monke-Gaudt", wo sich bei Männern und Frauen, die sich stolz "Mönchguter" und nicht Rügener nennen, eine echte Küstentracht und alte Lieder erhalten haben, wie z. B. das von der Arbeit des Vaters erzählende Wiegenliedchen:

    "Hüsse, büsse, lewes Kind,
    Vatter, de fängt Hiring;
    Mutter, de sitt an de Strand,
    Vatter, de kümmt bald an Land
    Mit en Föder Hiring!"

Alle diese Reichtümer machen noch nicht die Wunder dieser in der Geschichte soviel umkämpften Insel aus! Sie liegen an anderer Stelle:

[230] Wie ein Märcheneiland, wie ein Gebilde aus einer anderen Welt, so taucht Rügen aus dem Meere auf, wenn der Stettiner Dampfer sich dem Lande nähert. In der Tat: hier sind Kräfte einer anderen Welt lebendig, hier sind Stoffe aus einem völlig fremden Lande vor uns hingezaubert, wenn im Sonnenschein die weißen Felswände des steilen Kliffs aus den grünblauen Fluten auftauchen. Hier ist eine der wenigen Stellen Norddeutschlands, wo - als Ausnahme von der Regel - gebirgsbildende Kräfte aus der Tiefe durchgestoßen sind und an der Gestaltung der Oberfläche mitgewirkt haben. Sie haben Gesteine empor gehoben, die in einer Meerestiefe von ungefähr 1500 Metern vor vielleicht 50 oder 100 Millionen Jahren gebildet wurden. Und was für seltsames Gestein ist das doch! Myriaden von winzigen einzelligen Lebewesen - in der Wissenschaft "Lochträger" genannt - haben den im Meere enthaltenen Kalk zum Aufbau ihres Körpers verwandt und im Sterben mit ihren Kalkgerüsten im Laufe der Jahrmillionen eine Schicht von ungefähr 200 Metern Kreide abgelagert! Ab und zu scheint der weiße Kalkschlamm verunreinigt. In breiten Bändern und Schnüren ziehen sich dunkle Knollen bergauf und bergab durch die Wände hindurch. Auch hier wieder ein seltsames Spiel der Natur: die in den Lochträgern enthaltene Kieselsäure hat sich ausgeschieden, um winzige Körperchen gesammelt und so jene Feuersteinknollen gebildet, die dem Menschen der Vorgeschichte als Werkzeug und dem Jäger als Feuerzeug dienten. Als dann nach der warmen Tertiärzeit die nordischen Hochgebirge ihren Eispanzer über die Ostsee nach Norddeutschland schickten, da wurde ganz Rügen vom Gletscher aufgewühlt, und die Feuersteine traten mit ihm Reisen bis an die Mittelgebirge und in den äußersten Winkel von Oberschlesien an. Das weiße weiche Kreidegestein aber konnte dem Gewicht der 1500 Meter Eismasse nicht so ohne weiteres standhalten. Es wurde mit den Feuersteinschichten zerbrochen und durchpflügt, so daß oft mitten in den weißen Kreidewänden schmutzig braungelbe Schollen von Gletscherlehm "schwimmen" und die schwarzen Kieselknollen plötzlich abreißen und an anderer Stelle wieder auftauchen.

Insel Rügen. Große Stubbenkammer.
[190]      Insel Rügen. Große Stubbenkammer (Kreidefelsen).

Über diesen gestörten Kreideschichten, an die Schwalben ihre Lehmnester bauen, wölben sich zwischen Binz und Sellin, Stubbenkammer und Saßnitz die schönsten Buchenwälder Deutschlands. Mit ihren schräge aufsteigenden Ästen kuppeln sich die Buchen zu hohen Hallen auf. Zwischen den grau-grün schimmernden Pfeilern der dicken Stämme breitet sich in dem lichten Walde ein reicher Teppich von Blumen aus: im Vorfrühling Annemonen, Leberblümchen und Lungenkraut, im Mai der zierliche Waldmeister, im Sommer die seltsam gefärbten und fremdartig geformten Knabenkräuter - unter ihnen der seltene "Frauenschuh" - Abkömmlinge einer vor allem in den Tropen heimischen Pflanzenart. Dazwischen Inseln von Bergahorn und Eberesche, wilden Rosen und Schneeball als Unterholz, umklammert von den duftenden Blütenzweigen des Geisblattes, Jelängerjelieber. - Spät im Herbst steigert sich die Farbenpracht der Insel zum Fanal: um den weißen Fels loht rotbraun das weite Buchenblätterdach. Tief unten unterhöhlt das Meer das weiche Gestein, von dem immer mehr nachstürzt, Bäume mit [231] sich reißend, deren Stämme sich in großen "Holzfriedhöfen" sammeln. Unter ihnen mahlt die Brandung die Feuersteinknollen in ewigem Rollen auf und ab.

Kein Wunder, daß diese Insel voller Sagen und Märchen steckt! Im Buchenwald der Stubnitz soll der Führer der Vitalienbrüder, der berüchtigte Seeräuber Klaus Störtebecker, seine Schätze verborgen haben, bevor er mit seinen Gesellen von der Schiffsmacht der vereinigten Städte Schwedens, Norwegens und Dänemarks geschnappt und 1401 in Hamburg hingerichtet wurde. - Auch der hochgelegene Herthasee trägt eine Sage in sich: In dem Wasser des geheiligten Buchenwaldes wurden Wagen, Gewand und Bildnis der germanischen Göttin Herta gewaschen, und ihre Sklaven, die sie auf ihrer Fahrt über die Erde begleitet hatten, mußten dem See geopfert werden, damit die Göttin nicht verraten werden

Insel Rügen. Ein Hünengrab.
[191]      Insel Rügen. Ein Hünengrab.
konnte. - Am Kap Arkona soll der Meeresboden reiche Schätze bergen. Hier vermutet man die "Jomsburg", die angeblich um 950 von Nordländern gegründet wurde.

Unzählige Sagen und Mären künden von der Vergangenheit Rügens, tausend Hünengräber und Dolmen, Burgwälle, Kirchen, Dorfanlagen, Grenzgräben und Ruinen erzählen von Kriegen und Kämpfen. Von allen Seiten sind Völker und Seefahrer gekommen und haben um das Eiland gekämpft, das mit seinen schimmernden Felsen, seinen hohen Wäldern, seinem fruchtbaren Boden sie alle immer wieder in seinen Bann zwang. Heute ist es friedliches deutsches Bauernland. Nur dem Schiffer in Sturm und Finsternis kann es zuweilen zum Verhängnis werden. Aber durch die dunkle Nacht blinken die Leuchtfeuer Arkonas vom hohen Turm hinüber zur dänischen und schwedischen Küste, jedes mit seiner "Kennung", und die Signale von Schonen und Laland treffen sich mit den deutschen Zeichen über dem bewegten Meer - ein friedliches Grüßen.

Usedom und Wollin bestanden auch ehemals aus getrennten Inselkernen, die allmählich durch Nehrungsbildung so zusammenwuchsen und auf einander zukamen, daß zwischen ihnen gerade nur noch die Mündungsarme der Peene, Swine und Diewenow sich hindurchwinden können. Beide Eilande sind ausgesprochene Bäderinseln. In langer Reihe ziehen sich die Badeorte auf den mit Kiefernwald bestandene Nehrungen entlang, beim Blinken der Leuchtfeuer und Aufflammen der vielen Lampen der Strandpromenaden am Abend leichter zu erkennen als oft bei Tage. In lockerem Abstande folgen auf Usedom Karlshagen, Zinnowitz und Koserow; dichter geschart, fast wie ein einziges großes Seebad, liegen sie in der Nähe der Swinemündung: Bansin, Heringsdorf, Ahlbeck und Swinemünde, das größte aller Ostseebäder. Ihm gegenüber, bereits auf Wollin, die "kleine Schwester des trutzigen Marinehafens von Pillau", das Zufluchtswasser für kleine Torpedoboote: Osternothafen. Hinter einem langen Nehrungswalde liegt geschützt in kleinem Talkessel Ostseebad Misdroy dort, wo der Strand zu einer mit herrlichen Buchen und Mischwäldern bestandenen Steilküste ansteigt und sich im Gosanberg unmittelbar über dem Meere auf 60 Meter erhebt. Dieser günstigen Lage und dem über 50 000 Morgen großen Hochwald seiner Umgebung verdankt das Bad seinen großen Ruf.

[232] Auch um diese beiden Bäderinseln spinnen sich viele Sagen. An den Jordansee, der auf Wollin unter weit herunterragenden Ästen großer Buchen friedlich ruht, knüpft sich eine Seeräubersage der Vitalienbrüder. - Dort, wo Wollin heute liegt, vermutet man die Stadt Vineta, das große Geheimnis der Ostsee, das auch Selma Lagerlöf ihren Däumling auf seiner Reise erleben läßt. Andere erzählen, daß die herrliche Stadt auf dem Grunde einer Untiefe liegt, die sich vor Usedom hinzieht. Fünfmal wurde sie von den Dänen erobert und verwüstet, bis die hochmütigen und prunksüchtigen Einwohner mit all ihren Reichtümern vom Meere verschlungen wurden.

Der Ostseehafen Stettin liegt ziemlich tief im Binnenlande, zu dem die Schiffe durch das Haff gelangen, das im Sommer leicht versandet und im Winter wegen seines geringen Salzgehaltes sehr leicht zufriert. Bagger und Eisbrecher müssen stets unter Dampf liegen, um die Fahrrinne offen zu halten. So lange die Oder nur bis Neusalz schiffbar war, konnte aus Stettin kaum etwas werden. So ist dieser Hafen im Gegensatz zu allen anderen der deutschen Küsten noch jung und erst ein Kind der letzten siebzig Jahre. Die Ausgestaltung der Oder zu einer tauglichen Wasserstraße bis Breslau und Oberschlesien, der Bau des Großschiffahrtsweges und die Fertigstellung des Schiffshebewerkes Nieder-Finow brachten dem Hafen ein großes Hinterland, um dessen Vergrößerung es weiter kämpft. Heute wartet es auf den weiteren Ausbau der Oder und auf die Fertigstellung des Adolf Hitler-Kanals in Oberschlesien. An dem Plane eines Donau - Oder-Kanals, der die Ostsee mit dem Schwarzen Meer verbinden könnte, ist es stark interessiert.

Die Stadt hat inzwischen das ihrige getan: durch die Vertiefung der Wasserstraße im Haff auf 9,6 Meter ist auch den größten Überseedampfern die Einfahrt in den Hafen möglich. An dem Kanal zur Oder steht das größte und modernste Umschlags- und Lagerhaus Europas, das die Ladung von mehr als 4000 Waggons in sich aufnehmen kann. Im Massenguthafen sind Verladebrücken gebaut worden, die einen 10 000 Tonnen Erzdampfer in 24 Stunden entleeren können. Durch diese Maßnahmen ist der größte deutsche Ostseehafen trotz der schweren Konkurrenz von Danzig und Gdingen im Jahre 1935 auf einen Umschlag von 6,1 und 1936 auf 8,2 Millionen Tonnen gekommen, der beinahe den Höchstumschlag vom Jahre 1913 erreicht. Ein ansehnlicher Teil der eingeführten Rohstoffe wird in den verkehrsständigen Industrien Stettins selbst verarbeitet. Papierholz, Erze, Ölfrüchte sind die wichtigsten von ihnen. Die Werke der "Feldmühle", die nordische Hölzer verarbeiten, und die Portlandzementfabriken, die sich auf die Kreide von Rügen und Wollin stützen, gehören zu den größten Unternehmungen ihrer Art. Auch Kunstseiden-, Schamotte- und Düngemittelindustrie sind hier heimisch geworden. Alt eingesessen ist in Stettin der Heringsgroßhandel, der aber nach dem Kriege sehr zurückgegangen ist. Ein sehr schönes Bild über weite Teile des Hafens und über den Dammschensee gibt ein Blick von der Hakenterrasse unweit der Baumbrücke. Da ist aus aufgeschütteten und zugeschütteten Festungswällen ein Aussichtspunkt geschaffen worden, wie ihn kein anderer deutscher Seehafen hat.

[233-240=Fotos] [241] Aus einer Fischereisiedlung in Brückenlage ist Stettin hervorgegangen. Im Laufe der Geschichte hat die Stadt soviel unter Kriegen und Bränden zu leiden gehabt, daß von den alten Bauwerken nicht viel übrig geblieben ist. Das ist um so bedauerlicher, als das bewegte Gelände sicher sehr schöne Städtebilder abgegeben hätte. Dafür ist aber Stettin eine Gartenstadt geworden. Eine ganz großartige Anlage ist der Hauptfriedhof, der sich in Aufbau, Gliederung, Bepflanzung und Einpassung in die Landschaft mit dem Hamburger Friedhof durchaus messen kann.

Noch schöner ist die weitere Umgebung der Stadt. Das Odermündungsgebiet mit seinen vielen Wasserflächen und den saftig-grünen, zum Teil mit Gemüse bebauten Niederungen wird überragt von dem mit Seen geschmückten eiszeitlichen Höhenzug der Buchheide, in der einst die Äbte des Klosters Kolbatz jagten, die Gründer des Klosters Oliva. Auch westlich der Stadt liegen riesige Wälder, die Ückermünder Heide und der Rothemühler Buchenforst. Hier jagten oft die pommerschen Herzöge und fochten manchen Strauß gegen Raubgesindel aus. In den schweren Jahren 1806/07 war die Heide der Schauplatz eines erbitterten Kleinkrieges gegen die Franzosen, die in Neuwarp und Ziegenort sich hinter Wasser und Wald verschanzt hatten. In diesem siedlungsarmen Raume zwischen Stettiner Haff, Odermündung und Peene horstet heute noch der Fischadler, und der schwarze Storch hat hier einige Brutstätten. Friedrich der Große ließ in Torgelow Raseneisenstein verhütten, dessen Wert und Vorrat heute aber so gering geworden sind, daß die Verarbeitung längst aufgehört hat. Dafür wird die Beerenernte der Heide allsommerlich nach England und Frankreich verladen.



Ostpommern,

gewöhnlich Hinterpommern genannt und mit diesem Wort zu Unrecht ein wenig geringschätzig angesprochen, zeigt genau wie das übrige Norddeutschland westlich der Oder die Gliederung in jene durch die Eiszeit und ihre Formen geschaffenen Zonen. Und doch hat es in vieler Beziehung ein völlig anderes Gesicht. Die Küste ist eine streng geschlossene Ausgleichsküste, wie sie durchgebildeter nicht gedacht werden kann. Fast durchweg besteht sie aus Flachlandformen, deren Vertiefungen und Flußmündungen nach der Litorinasenkung als breite oder schmale Buchten weit ins Land eingriffen. Die wenigen aus Geschiebelehm bestehenden Landvorsprünge wurden sehr bald vom Meere und seiner Brandung gestutzt und sind heute zum Teil durch Buhnen befestigt. Der abbröckelnde und aufgelöste Schutt wurde nach Westen versetzt und in langen Nehrungen und Dünen wieder dort angelagert, wo Bodden, Haffe und Förden die Strömung langsamer ziehen ließen. So entstanden die bekannten pommerschen Strandseen, die als abgeriegelte Buchten den Saum der Küste begleiten. Diese durch die Sandwälle zu friedlichen Süßwasserbecken gebändigten Buchten, deren Boden oft noch heute unter dem Meeresspiegel liegt, gehen durch die vom Ufer her allseitig durch Pflanzen und Flüsse einsetzende Versandung der endgültigen Eingliederung in das Festland entgegen. [242] Die Kräfte der Gegenwart sind auch hier die Feinde der Formen von gestern. So ist die ostpommersche Küste im Laufe der geschichtlichen Zeit völlig abgeschlossen worden; sie ist eine "eiserne", das heißt verkehrsfeindliche Küste, die für Häfen keine natürlichen Vorbedingungen bieten kann. Von über 263 Kilometern Strand sind nur 55 Kilometer nicht durch Dünen blockiert, und diese Steilufergebiete sind erst recht nicht für Häfen geeignet. Die Hafenplätze, die sich in den Flußmündungen von Persante (Kolberg), Wipper (Rügenwaldermünde) und Stolpe (Stolpmünde) gehalten haben, sind nur von geringer Bedeutung, denn sie dienen fast nur der Küstenschiffahrt und den Fischern zum Schutz für ihre Kutter. Lediglich in Stolpmünde legen größere Schiffe an, die aus den nordischen Ländern den in der Heide knapp gewordenen Rohstoff für die Papier- und Zellstoffwerke an der Wipper einführen. So grenzt Ostpommern zwar ans Meer und hat eine Küste, aber es ist vom Meere abgeschlossen, es ist Binnenland! Das wird auch durch die Tatsache nicht aufgehoben, daß Ostpommern an dem Gesamtfischfang der

Kolberg. Wohnhaus aus dem 17. Jahrhundert.
[210]      Kolberg. Wohnhaus aus dem 17. Jahrhundert.
Ostseeküste mit über einem Drittel der Menge beteiligt ist. Immerhin hat sich in zahlreichen Fischerdörfern ein lebhafter Badebetrieb entwickelt. Aber diese Seebäder sind nicht große Kurorte geworden, sondern - verglichen mit denen Mecklenburgs - meistens noch recht stille Dörfer geblieben von ländlichem Charakter, in denen man die Erholung weit billiger finden kann als dort, allerdings ohne fließendes Wasser! Eine Ausnahme davon macht das schon um das Jahr 1000 erwähnte Kolberg, die sonnenreichste Stadt Norddeutschlands, im Mittelalter durch seinen großen Salzhandel bekannt. Aus einer alten Hansastadt mit einer großen Geschichte - die Namen Gneisenau und Nettelbeck zeugen von ihrer Wehrhaftigkeit - ist es zu einem kleinen Fischerhafen, aber zu einem großen See-, Sol- und Moorbad geworden, das bis zu 50 000 Gäste im Jahre in seiner Kurliste führt.

Hinter den schmalen Nehrungen und Strandwällen, die bei Leba sogar ansehnliche Wanderdünen mit einem guten Segelfluggelände (Lonskedüne) tragen, liegen in drei bis vier Kilometer breitem Bande Küstenseen, verlandete Bodden, Moore und Sümpfe. Dahinter steigt die flache Grundmoränenlandschaft an, die Zone der wenigen größeren, das heißt wirklichen Städte Ostpommerns. Sie, die viel weiter landeinwärts liegen als ihre mecklenburgischen und vorpommerschen Schwestern, können sich mit ihnen im Ruhme ihrer Vergangenheit und in der Größe ihrer Bauwerke nicht entfernt messen. Das landschaftlich reizvoll gelegene Lauenburg hat heute sehr unter der neuen Grenzziehung zu leiden. Stolp ist durch Industrien und seine günstige Lage emporgekommen und spielt hier im Osten als zweitgrößter Ort der Provinz weit ab von Stettin die Rolle einer zweiten "Hauptstadt". Die mehr zentral gelegene Regierungsstadt Köslin ist eine ausgesprochene Beamtenstadt. Sie lehnt sich an einen Berg an, der außerhalb der Endmoränenzone liegt. Es ist der über 130 Meter hohe Gollen. In germanischer Frühzeit trug er eine Opferstätte, danach ein wendisches Heiligtum, später eine Räuberburg, dann eine Wallfahrtskapelle, die in der Reformationszeit zerstört wurde. Als "Demantburg" erscheint der Gollen in den Märchen Grimms. Heute erhebt sich hier auf Findlingen ein nach [243] Schinkels Entwürfen gegossenes Riesenkreuz als Ehrenmal für die in den Freiheitskriegen gefallenen Pommern. Ein hoher Aussichtsturm gibt einen Überblick über den Jamunder und Buckower See, ihre Nehrungen und die weiten Wälder, mit denen der mittlere Teil von Ostpommern gesegnet ist. Bis zur polnischen Grenze könnte man ununterbrochen hundert Kilometer weit durch Wälder wandern. Geschichtsschreiber des 17. Jahrhunderts hielten daher den Gollen für einen Ausläufer der Karpathen!

Nur das an der Küste gelegene Kolberg und das innerhalb des Landrückens gelegene Stargard, das "Stettin" früherer Zeiten, können bemerkenswerte Bauwerke aufweisen. Der große Kolberger Mariendom ist ein bodenständiger, ganz ostdeutscher Bau, der durchaus hansisch-küstenländische Züge trägt. Das riesengroße Satteldach steht einzig da in echt pommerscher Großflächigkeit. Das Westwerk ist ein Klotz, der ähnlich wie bei der Rostocker Marienkirche ursprünglich anders geplant war: es sollte eine Zweiturmgruppe entstehen. Aber auch diese breite Masse erhebt sich weit über das tellerflache Land, und auch weit übers Meer ist sie ein Wahrzeichen der Bedeutung der alten Hansastadt. - Die Marienkirche in Stargard folgt in ihrem basilikalen Bau dem großen Lübecker Vorbilde. In allen anderen Beziehungen ist sie aber ein völlig selbständiges Bauwerk von eigenartiger Schönheit. Wahrscheinlich ist diese Kirche von einem Lehrer des Stettiner Meisters Brunsberg erbaut. Er hat dem Marienchor und dem Innenraum Formen gegeben, die auf eine reiche Kenntnis der schönsten Bauwerke der Zeit in den Niederlanden, England und Frankreich schließen lassen. So ist hier ein Dom entstanden, der zum Teil echt pommersch wirkt, in vielem aber weit über die Grenzen des Landes hinausweist. - Die Kleinstadtkirchen Ostpommerns zeigen mehr als in allen anderen Gebieten des mittleren Norddeutschlands eine starke Abhängigkeit von den Bauwerken der größeren Städte. Immer wieder findet man in ihnen das Spiegelbild jener. Schlicht und großflächig liebt der Pommer seine Dome, ungegliedert und klar. Der Formenreichtum der wendischen Städte ist dieser Landschaft fremd; er paßt nicht zu diesen Menschen.

Die heutige Bevölkerung Pommerns ist das Ergebnis einer wechselvollen Geschichte. Die ursprünglich hier wie in vielen anderen Teilen Ostdeutschlands seßhaften Illyrer wurden von den Germanen verdrängt. In der Bronzezeit kamen sie von Schweden herüber. Zur Zeit der Völkerwanderung und schon früher saßen hier die Burgunden und Rugier. Nach deren Abwanderung drangen Slaven von Osten nach, deren Reste, die Pomeranen - das sind die Leute, die am Meere wohnen - in den Niedersachsen und Niederfranken aufgingen, die im 13. Jahrhundert einwanderten. Die Pommern sind also eine ausgesprochene Mischung, in der aber das nordische Element stark vorherrscht. Sie sind vorwiegend blondhaarig und blauäugig, zeichnen sich durch Kurzköpfigkeit und gerade Nasen aus.

Auch die Hausformen zeigen keine reinen Typen: die Niedersachsen brachten aus ihrer Heimat das niedersächsische Einheitshaus - Mensch, Vieh, Frucht unter einem Dach - mit, das heute noch in einem schmalen, nach [244] Osten sich verjüngenden Streifen an der Küste vorkommt, am schönsten erhalten im Dorfe Kamp bei Deep. In den westlichen Teilen kommen mehr sächsisch-fränkische Mischformen vor, daneben ein "Vierkanthaus" - alle Räume um ein Vierkantgerüst -, das wahrscheinlich von Skandinavien herstammt. Im Süden und Osten erscheint verstreut das Vorhallenhaus.

Der Pommer von der Küste ist eine harte, verschlossene Natur; der Bauer des Binnenlandes ist gemütlicher, zugänglicher und gesprächiger. Außerhalb seines Landes wird er oft als dumm verspottet: "Der Pommer ist im Winter so dumm als im Sommer." Aber dieses Wort stimmt nur in seinem Reime, ist wohl auch nur seinetwegen geprägt! Langsam ist der Pommer und nicht gerade schlagfertig, aber stark und treu in seiner Haltung. Wer ihn in seiner Arbeit stört, der kann seine Grobheit zu hören bekommen:

    Hull din Mul un to din Wark!
    Steck di nich in jeden Quark!

Eindeutig ließ die Kramergilde von Stralsund auf ihr Kirchengestühl in der Nikolaikirche folgende Inschrift setzen:

    Dit is der Kramer er Stohl,
    Dat ken Kramer is, de blief da buten!
    Oder ick schla em up de Schnuten!       Anno 1574.

Schon Friedrich Wilhelm I. hob die Fürstentreue der Pommern hervor. In seinem politischen Testament vom Jahre 1768 kennzeichnet Friedrich der Große diese seinen Untertanen wie folgt: "Die Pommern haben etwas Ungekünsteltes in ihrem Charakter; sie würden nicht ohne Geist sein, wenn sie besser gebildet wären; niemals aber werden sie schlau und verschlagen sein. Der gemeine Mann ist argwöhnisch und hartnäckig. Sie sind eigennützig, aber weder grausam noch blutdürstig und ihre Sitten ziemlich sanft. Man bedarf also keiner großen Strenge, um sie zu regieren. Sie geben gute Offiziere, verläßliche Soldaten ab. Manche leisten im Finanzfach gute Dienste, vergebens aber würde man aus ihnen politische Unterhändler machen wollen."

So hat das Land auch Männer mit Wirklichkeits- und Gemeinsinn, Männer der Tat dem Vaterlande geschenkt, die für es gearbeitet und gelebt haben und gestorben sind: Roon und Lettow-Vorbeck, Schlieffen und Mackensen, Ernst Moritz Arndt, Nettelbeck und York von Wartenberg, nicht zu vergessen Stephan und Virchow.

Höher, gedrängter und ausgeprägter als in Mecklenburg und Vorpommern erhebt sich landeinwärts der Moränenzug des hinterpommerschen Landrückens, mehrfach gestaffelt, stark kuppig, sehr steinig. Bei Polzin, einem der ältesten Moorbäder, bei Tempelburg und bei Rummelsburg und Bütow werden mehrfach Höhen von 200 Metern erreicht. Solche Schuttmengen hat der über 1000 Meter dicke Gletscher hier liegen lassen! Im ehemaligen westpreußischen Gebiet erreicht der Turmberg bei Karthaus sogar 331 Meter. Kein Wunder, daß man hier wie auch an vielen anderen Stellen des norddeutschen Flachlandes zum Namen der "Schweiz" gegriffen hat, um die Schönheit mit [245] einem Schlagworte zu fassen, um so mehr als die zahlreichen Seen an dieser Höhenlage teilhaben. Am höchsten liegen der Dulzigsee und Papenzigsee unweit Rummelsburg: 182 und 175 Meter über dem Meeresspiegel! Auch in bezug auf ihre Tiefe können die pommerschen Seen sich mit ihren Brüdern im Gebirge messen: der Dratzigsee ist 83 Meter, der Pilburgsee 54 Meter und zahlreiche andere um 30 Meter tief. Diese Höhen- und Tiefenzahlen kennzeichnen die starke "Reliefenergie" des Landes. Der Flächengröße nach reichen sie allerdings nicht an die Strandseen Ostpommerns heran, von denen der Lebasee mit 7500 Hektar der zweitgrößte des norddeutschen Flachlandes überhaupt ist. Die Müritz und der Spirding können ja in ihrer flacheren Umgebung mit ihren Wasserflächen viel weiter ausholen. Viele der Seen sind von tiefen Buchenwäldern umschlossen und bergen noch dank der Abgeschiedenheit eine urwüchsige Tierwelt, wie z. B. der Jassener See im Kreise Stolp, auf dessen Waldinseln sogar die sehr selten gewordenen Kormorane horsten. - Unvergleichlich schön liegt Crössinsee mit einer der drei Ordensburgen der Partei. Auf der Halbinsel eines Sees, umgeben von unendlichen Wäldern, erinnert sie in ihrer Gliederung fast an das Heerlager eines niedersächsischen Bauernherzoges.

Ordensburg Crössinsee. Morgenappell der Kreisleiter.
[209]      Ordensburg Crössinsee. Morgenappell der Kreisleiter.

Der starke Wechsel der Geländeformen und der sehr steinige Boden bedingen es, daß nur ein Teil des Höhenzuges der Landwirtschaft erschlossen wurde, zumal auch das hier gegenüber dem Westen rauhere Klima die Feldarbeit erschwert und die Erträge mindert. Nur im Odergebiet und unmittelbar an der Küste ist Ostpommern mit besseren Böden gesegnet. Aber allgemein tritt die Ackerfläche zugunsten der Wiesen und Weiden in den Hintergrund. In Pommern gibt es kaum Vieh, das im Sommer im Stalle gehalten wird. Die zahlreichen Koppeln mit den großen Rindviehherden sind die wirtschaftlichen Hintergründe für die Verkaufsläden der "Pommerschen Molkereigenossenschaft" in den Städten Pommerns, Brandenburgs und Schlesiens. Mit sechzig Prozent des Landes ist der Großgrundbesitz in der flachen, fruchtbaren Grundmoränenlandschaft vertreten. Im steinig-kuppigen Höhenzuge hat er das Land lieber der Faust und dem Fleiß des Bauern überlassen, so daß hier eine Dichte von 60 Einwohnern und mehr erreicht wird, während im Gebiet der vielen Gutsbezirke stellenweise nur 18 auf den Quadratkilometer kommen, wo bequem 60 bis 70 Einwohner Arbeit und Brot finden könnten. Wenn auch heute fast 50 Prozent der Bevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft tätig sind - im Reiche sind es nur 21 - so könnten hier ganz allgemein weit mehr Menschen ernährt werden als nur 56 im Durchschnitt. Immerhin sind in Pommern nach Ostpreußen, das mit 58 000 Neusiedlern an erster Stelle liegt, in den Jahren 1919-1934 nicht weniger als 44 000 Deutsche auf 209 000 Hektar angesiedelt worden. 185 000 Hektar von diesem Siedlerlande stammen aus der Hand des Großgrundbesitzes. Weit einseitiger sind die Verhältnisse in dem nach Süden zu den großen Urstromtälern der Netze und Warthe abfallenden Sandgebieten. Hier fallen 50 Prozent des Landes auf Forsten, und die Volksdichte sinkt gerade in diesem der Grenze so nahe gelegenen Gebiet stellenweise auf unter 32. Aber hier wird sich kaum viel ändern lassen; nur 8 000 Siedler hat man bisher ansetzen können.

[246] Das bei weitem fruchtbarste und daher dichter besiedelte Gebiet Ostpommerns ist der Pyritzer Weizacker, das flache Land an den Ufern des Madü- und Plönsees südlich von Stargard. Hier hat sich auf Mergelsanden und dem fruchtbaren Ton eines eiszeitlichen Stausees eine Insel von echter Schwarzerde bilden können, die sehr gute Erträge liefert. Neben dem Mönchgut auf Rügen ist der Weizacker die einzige Trachteninsel in ganz Pommern. Besiedelt wurde es vom Kloster Kolbatz her, das Märker ins Land brachte, die ursprünglich von Holland und vom Rhein gekommen waren. Friedrich der Große ließ dem Weizacker seine besondere Fürsorge angedeihen. Der lange Rock der Männertracht mit den roten Aufschlägen, die Lederhosen und die Stulpenstiefel erinnern an die soldatische Zeit des großen Königs. Die Frauentracht ist im Gegensatz zu der der Männer überreich in Form und Farbe. Zahlreiche Röcke und Unterröcke - bis zu elf Stück! - werden angezogen, unter denen dann auch noch das Hemd zu sehen sein muß. Das gibt eine etwas unförmige Gestalt für die Weizackerfrauen! Viele Bänder, Streifen, Schleifen und Schnüre machen die Tracht reichlich überladen. Vielleicht ist das ein Erbteil der ehemals slavischen Bevölkerung, vielleicht auch wie das Vorhallenhaus ein Ausdruck für den Reichtum dieser Insel der Fruchtbarkeit.

Pommern ist ein von der Natur recht einseitig ausgestattetes Stück deutschen Landes. Es ist ein landwirtschaftliches Überschußgebiet, es ist ein Land der Bauern und Fischer. Durch die Schaffung des Korridors hat der östliche Teil seinen wichtigsten Markt der Vorkriegszeit, Danzig, eingebüßt. Immerhin hat es besser als Ostpreußen die Möglichkeit, seine Erzeugnisse in Großstädten abzusetzen. Aber innerhalb des großen Wirtschaftsraumes bedeuten die wenigen besonders hochwertigen Erzeugnisse wie Kösliner Edellachs, Rügenwalder Zervelatwurst, Stolper Jungchen und vor allem die zwei bis drei Millionen Gänse - von pommerschen Großhändlern in Oberschlesien und Polen aufgekauft und nur hier zu den geschätzten Weihnachtsvögeln gemästet - nur sehr wenig. Einem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung des Landes stehen die Abgelegenheit und der Mangel an industriellen Rohstoffen entgegen. Außer Kalken hat Pommern an keiner Stelle in größeren Mengen Bodenschätze, die die Schaffung von Industrien möglich machen könnten. Abgesehen von denen in Stettin sind im Lande nur solche heimisch geworden und können sich halten, die sich auf die billigen, an Ort und Stelle vorhandenen Rohstoffe aus der Landwirtschaft und dem Forstbetrieb stützen. Auch nennenswerte Kraftstoffe sind in Pommern nicht vorhanden. Die Wassermassen und das Gefälle der nur kleinen Flüsse reichen nicht aus, um in den Kraftwerken so viel Strom zu erzeugen, wie das Land braucht: selbst Licht und Kraft muß es aus anderen Gebieten beziehen. Der Ruhm, bei Rostin an der Persante das erste Unterwasserkraftwerk der Welt zu besitzen, kann diese durch Natur und Lage des Landes bedingten Mängel nicht wettmachen! So ist auch hier ebenso wie in Ostpreußen die Gefahr gegeben, daß wertvolle Menschen vom Lande in die Städte und weiter nach dem Westen abwandern, wenn nicht durch Fortführung der planmäßigen Siedlung Mensch und Boden genügend gesichert werden.

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