[Bd. 4 S. 128] 4. Kapitel: Die Wahl des Reichspräsidenten, Das Aufwertungsgesetz.
Zwar war in dem Prozeß nicht, wie das auch aus der Meldung nicht hervorging, die Unschuld Friedrich Eberts während des Januarstreiks erwiesen worden, aber die Zurückziehung des Strafantrages hatte wenigstens zur Folge, daß der Angeklagte nicht mehr den Wahrheitsbeweis für seine Behauptung erbringen konnte. Nun hatte aber ein stellvertretender Schriftleiter einer Kleinstadtzeitung, Rothardt in Staßfurt, das heikle Thema aufgegriffen und durch einige eigene, etwas plumpe Bemerkungen ergänzt und seinen Lesern vorgesetzt. Diesem Rothardt wurde der Prozeß gemacht, und er hatte sich für seine Behauptung zu verantworten. Die Verhandlung vor dem Großen Schöffengericht in Magdeburg, die im Herbste 1924 stattfinden sollte, wurde [129] durch Eberts Vertreter verschleppt, um den Gegnern der Sozialdemokratie für die im Dezember stattfindenden Reichstagswahlen keinen Agitationsstoff zu liefern. So begann sie dann am 9. Dezember. Sie wurde sehr gründlich geführt unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Bewersdorff und vom ganzen Volke mit großer Spannung verfolgt, da eine Menge Zeugen geladen war. Die Sozialdemokraten boten zahlreiche Volksbeauftragte, Reichskanzler, Minister a. D., Reichstagsabgeordnete und Gewerkschaftssekretäre auf, um den Versuch zu machen, den ihnen von rechts gemachten Vorwurf, sie hätten die Front erdolcht, zu widerlegen. Es war weniger ein politischer Kampf als vielmehr ein Kampf der Weltanschauungen um die Tragödie Deutschlands. In dramatisch-leidenschaftlichen Auseinandersetzungen wurden alle Vorgänge aus dem Januar 1918 aufgerollt. Am 23. Dezember wurde das Urteil verkündet. Zwar erhielt Rothardt eine Strafe von drei Monaten Gefängnis wegen formaler Beleidigung des obersten Reichsbeamten, aber der letzte Absatz der umfangreichen Urteilsbegründung verurteilte doch gewissermaßen den Reichspräsidenten Ebert. Hier hieß es nämlich:
"Es mußte somit festgestellt werden, daß der Nebenkläger (Friedrich Ebert) durch seine Beteiligung an der Streikleitung und durch die einzelnen Handlungen in dieser seiner Stellung zusammen mit den übrigen Mitgliedern der Streikleitung objektiv und subjektiv den Tatbestand des § 89 StrGB. verwirklicht hat. Damit war weiterhin festzustellen, daß die Tatsache, die der Angeklagte behauptet und verbreitet hat, daß nämlich der Nebenkläger durch seine Beteiligung am Berliner Massenstreik im Januar 1918 Landesverrat begangen habe, erweislich wahr ist." Das ungeheuerlichste Urteil, das wohl je in der Weltgeschichte gegen das Staatsoberhaupt einer Nation gefällt worden ist, wurde in Magdeburg gesprochen: Der Reichspräsident Ebert wurde des Landesverrates für schuldig befunden! Dieser Richterspruch wirkte wie ein Donnerschlag. Die parteipolitischen Meinungsgegensätze entzündeten sich heftig an dem Urteil. Die Stimmen erhoben sich für und wider [130] Ebert; Millionen Deutscher bis in die Deutsche Volkspartei hinein redeten von einem Fehlspruch und drückten dem Reichspräsidenten ihre Verehrung und Sympathie aus. Die Sozialdemokraten wetterten über den reaktionären, republikfeindlichen Richter und forderten erneut tatkräftige Demokratisierung des Richterstandes, gleich als ob die unbeeinflußbare Urteilsfindung nach den Gesetzen des Reiches von der politischen Überzeugung des Richters abhängen würde! Heftige Pressefehden wurden ausgefochten, man sparte nicht mit gegenseitigen Beschimpfungen. Selbst die Juristen waren nicht einig in der Beurteilung des Falles. Die Mehrzahl der Beamtenschaft, an ihrer Spitze die Reichsregierung, stellte sich hinter den Reichspräsidenten. Die Rechte aber triumphierte. Laut und unablässig erhob sie die Forderung, Ebert abzusetzen und einen neuen Reichspräsidenten nach der Verfassung durch das Volk wählen zu lassen.
"Am heutigen Tage ist der Deutsche Reichspräsident Friedrich Ebert aus dem Leben abberufen worden. Tieferschüttert steht die deutsche Reichsregierung und mit ihr das deutsche Volk an der Bahre des deutschen Staatsoberhauptes. Mit Friedrich Ebert ist ein Mann dahingegangen, der unter Einsatz seiner starken Persönlichkeit erreichte, daß in den Wirren der Revolution die Einberufung der Nationalversammlung aus freier Wahl des deutschen Volkes beschlossen und durchgeführt und damit dem deutschen Staatsleben wieder eine gesetzliche Grundlage gegeben wurde. In schwerster Zeit hat er das Amt eines Deutschen Reichspräsidenten mit vorbildlicher Gewissenhaftigkeit und staatsmännischer Klugheit verwaltet und sich dabei in der Heimat wie im Ausland reiche Anerkennung erworben. In den außenpolitischen Wirrungen, die nach dem Kriegsende dem Deutschen Reiche erwuchsen, nahm er die Verantwortung für die Entscheidung, die nach vielen Miß- [131] erfolgen endlich den Weg zum Wiederanstieg anbahnte, auf sich. Unparteilichkeit und Gesetzlichkeit waren die Richtlinien seiner Amtsführung. Die Charaktereigenschaften des Menschen Friedrich Ebert und die hervorragende Begabung des Staatsmannes, der an der Spitze des Deutschen Reichs gestanden hat, haben ihm bei all denen, die den Mann und sein Wirken kannten, Wertschätzung und Verehrung erworben. Er hat dem deutschen Volke und dem deutschen Vaterlande in schwerster Zeit als aufrechter Mann gedient." Ebert wurde am 5. März in seiner badischen Heimat, in Heidelberg, bestattet.
Aus diesem gesunden, noch nicht vom Tempo der Industrie und Kapitalsbildung tiefgehend beeinflußten Milieu brachte Ebert ein gut Teil seiner gemäßigten Anschauungen mit. Er kam als Sattler nach Bremen, wurde dann, nicht lange, Redakteur der Volkszeitung, betrieb zeitweilig eine Schankwirtschaft und nahm schließlich die Stelle eines Arbeitersekretärs an. Sechs Jahre hindurch (1900–1906) hatte er einen Sitz in der Bürgerschaft der Hansestadt inne. Seine ernste, vorsichtige und maßvolle Art ermöglichten ihm auch mit Andersdenkenden eine sachliche und ruhige Zusammenarbeit. Seit 1912 saß [132] Ebert im Reichstag. Einen Sitz im Parteipräsidium lehnte er damals ab, vielleicht aus Achtung vor dem noch lebenden Bebel. Erst nach dessen Tode im August 1913 nahm er ein zweites Angebot an und trat neben den der radikalen Richtung angehörenden Haase an die Spitze der Sozialdemokratischen Partei. Er hat auch während des Weltkrieges zu dem gemäßigten Flügel der Partei gehört, der die Kriegskredite bewilligte und für einen Frieden war, der für Deutschland zwar ohne Annexionen sein, aber doch keine schweren Lasten mit sich bringen sollte, während sich Haase mit den Unabhängigen absplitterte. Als dann aber auch die Mehrheitssozialisten im Jahre 1917 ihre verhängnisvolle Wendung gegen die kaiserliche Regierung vollzogen, fügte sich Ebert gehorsam dem Parteibefehl. Dabei suchte er engere Fühlung mit denjenigen bürgerlichen Parteien und Gruppen, Zentrum und Freisinn, welche dem Sozialismus nicht schroff ablehnend gegenüberstanden. Durch Eberts Verhalten war es möglich, daß Sozialdemokratie und bürgerliche Demokratie weite Strecken ihres Weges gemeinsam gehen konnten. Durch seine süddeutsche Herkunft wurde ihm diese Politik sehr erleichtert. Er spielte während des großen Januarstreikes 1918 die Rolle, die, wie wir eben sahen, rein juristisch als Landesverrat zu bezeichnen ist, während er selbst bestrebt war, die Bewegung einerseits im sozialdemokratischen Sinne zu fördern, anderseits zu mäßigen und nicht ins radikale Fahrwasser geraten zu lassen. Friedrich Ebert hatte selbst zwei Söhne im Weltkrieg verloren. Durch sein maßvolles Vorgehen genoß Ebert das besondere Vertrauen des Prinzen Max von Baden, so daß dieser ihn in sein Kabinett aufnahm. Im November und Dezember 1918 war es vor allem Eberts Verdienst, daß die Revolution nicht in die hemmungslose Führung durch die radikalen Spartakisten geriet und in einen verheerenden, blutigen Umsturz ausartete, sondern sich der bürgerlichen Demokratie zuwandte. Ebert war bescheiden, schlicht und zurückhaltend. Er lehnte es ab, sich in einer rechtlosen Zeit als Reichspräsident von seinen Freunden ausrufen zu lassen. Seine Zurückhaltung, die sich mit festem Willen und klarem Urteil verband, hatte dazu [133] beigetragen, daß die Nationalversammlung ihn zum Reichspräsidenten wählte. Er ist während seiner fünfjährigen Amtsführung nie mehr als unbedingt nötig an die Öffentlichkeit getreten. Die Ereignisse nach 1918 mögen seinen internationalen Illusionen schwere Enttäuschungen bereitet haben. Er hat manches bewegende Wort für die deutsche Trauer und gegen den Vernichtungswillen der Feinde gefunden. Dennoch fehlte ihm die Größe des Geistes. Die Quintessenz seiner Politik war das Lavieren, das Ausgleichen. Er hat sein Amt ernst genommen, er wollte das Vorbild eines unparteiischen Beamten sein und wünschte über alle Parteischranken und politischen Zerklüftungen hinweg Kraft und Einigkeit im deutschen Volke wachzurufen und zu stählen. Aber als Mensch war und blieb er Sozialdemokrat; das hat er nie verleugnet. Hierbei mag ein gewisses Gefühl des Dankes gegen die Partei, die ihn so hochgehoben hatte, mitgesprochen haben. So aber wurde sein Wesen zwiespältig und schwach. Seine ehrlich gewollte Unparteilichkeit als Reichspräsident hob er auf durch sein persönliches Verhalten als Sozialdemokrat. Er hatte nicht die Kraft, die doktrinären Schranken der Partei zu zerbrechen und in Größe seinen Weg zu gehen. Es gelang ihm nicht, jene drei Seiten seines Seins als Mensch, als Staatsoberhaupt und als Parteimann zu einem einzigen harmonischen Ganzen zu verschmelzen. Immer wieder erfüllte ihn dieser Mangel mit inneren Gegensätzen. In zweierlei Angelegenheiten machte sich diese Schwäche Eberts bemerkbar: in seinem Verhältnis zu den Rechtsparteien und in seiner gesellschaftlichen Einstellung. Die Deutschnationalen sahen in Ebert den Zerstörer des Kaiserreichs und Usurpator. Sie warfen ihm vor, daß er und seine Partei Frieden, Freiheit und Brot versprachen, aber Unfrieden, Knechtschaft und Hunger gebracht hätten. Sie klagten ihn an, daß er unter diesen Umständen die Stirn besitze, Präsident des Reiches zu bleiben, trotzdem ihm dies Amt noch nicht einmal verfassungsmäßig vom Volke, sondern nur von der Nationalversammlung überlassen worden war. Viele von den Deutschnationalen warteten auf einen Funken von Genie, das über das Parteimäßige hinausging, um mit diesem Manne einen erträglichen [134] Frieden zu machen. Dieser Funke aber zeigte sich nicht. So loderte die Flamme des Hasses immer größer und heftiger. Ebert war gefühlsmäßig von seiner Unterlegenheit gegenüber den Deutschnationalen innerlich überzeugt, darum versuchte er nicht, durch staatsmännische Größe sie zu gewinnen, sondern sie möglichst auszuschalten. Ihn trifft ein wesentlicher Anteil am Gesetz zum Schutze der Republik und an den daraus hergeleiteten Ausschreitungen und an der Verhinderung des Eintritts der Deutschnationalen in die Regierung im Jahre 1924. Er wollte ehrlich dem Volke dienen, konnte es aber nicht, da er zu sehr an seine Partei gebunden war. Einem gewissen Mangel an Menschenkenntnis muß es zugeschrieben werden, daß Ebert und seine Familie gesellschaftliche Verbindungen mit dem übel berüchtigten Barmat unterhielten. Der war der reinste Typ jener skrupellosen Revolutions- und Inflationsgewinnler, und die Aufdeckung seiner unlauteren und schändlichen Machenschaften verdunkelten auch den Namen des Reichspräsidenten. Dieser hatte es nicht verstanden, mit der Sicherheit des Selfmademans wie etwa ein Napoleon sich Eingang in die höchsten Gesellschaftskreise zu verschaffen, um sein neues Amt zu Würde und Ansehen zu bringen. So blieb er eben für die führende Schicht der Nation der Außenstehende, der Usurpator. Er fühlte nicht das Bedürfnis, diese Kreise zu gewinnen, da die staatsmännische Erkenntnis durch doktrinäres Parteigebot unterdrückt wurde. Er verstand darüber hinaus natürlich auch nicht, die gesellschaftlichen Sympathien des Auslandes im vollen Umfange zu gewinnen. Der Rüstungsstreik vom Januar 1918 lag wie ein dunkler Schatten auf dem ferneren Leben Eberts. Nicht nur die Rechtsparteien warfen ihm Landesverrat vor, auch aus den Reihen seiner eigenen Leute wurde er in aller Öffentlichkeit bloßgestellt. Schon 1920 hatte Eberts langjähriger Parteifreund Emil Kloth in seinem Buche Einkehr auf die Teilnahme Eberts am Rüstungsstreik hingewiesen, und am 10. Februar 1922 führte der Unabhängige Dittmann, der sich scharf gegen das von Ebert ergangene Verbot des Eisenbahnerstreiks wandte, aus: Ebert sei 1918 in die Leitung des Rüstungsstreiks [135] eingetreten und nur durch Zufall der gleichen Verhaftung und Bestrafung wegen Landesverrates, die ihn, Dittmann, betroffen, entgangen, nachdem er vor ihm zwanzig Minuten für das Streikziel gesprochen habe. Mag sein, daß dieses allgemeine und persönliche Gedächtnis an jene dunkle Januaraffäre, die aus einem unfreien, von der Partei suggerierten Willen entsprang, auch dazu beigetragen hat, die Wirkungskraft und Entwicklungsmöglichkeit Eberts zu lähmen und zu hemmen. Der Rüstungsstreik verfolgte ihn, fast wie ein Fluch, bis in den Tod. Der erste Reichspräsident besaß als Mensch einen guten und ehrlichen Charakter, einen treuen Willen, als Beamter befleißigte er sich größter Gewissenhaftigkeit und Unparteilichkeit. Dennoch war er stets ein Höriger der Sozialdemokratie. Er war ein Parteiführer. Dies Urteil umfaßt die einseitige Größe und universale Schwäche eines Menschen, dem Parteidoktrinen oberstes Glaubensbekenntnis sind. Das aber war bei Ebert der Fall. – Nach dem Tode Eberts trat ein Interregnum ein. Am 12. März wurde als stellvertretender Reichspräsident der Reichsgerichtspräsident Dr. Simons in Leipzig vereidigt. Er bekleidete dies Amt während zweier Monate. Nach der Reichsverfassung (Artikel 41) hatte das ganze deutsche Volk den neuen Reichspräsidenten zu wählen auf die Dauer von sieben Jahren. Wählbar war jeder Deutsche, der das 35. Lebensjahr vollendet hatte. Nach dem Gesetz mußte derjenige, der das Amt des Präsidenten bekleiden sollte, die absolute Mehrheit sämtlicher abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen. War dies nicht der Fall, dann wurde ein zweiter Wahlgang abgehalten, aus dem dann derjenige als gewählt hervorging, der die meisten Stimmen erhalten hatte.
Der Deutsche Republikanische Reichsbund gab am 4. April einen von Hänisch und Preuß unterzeichneten Aufruf für die Kandidatur Marx heraus:
"An der Spitze der Deutschen Republik muß als würdiger Nachfolger unseres Friedrich Ebert ein Mann treten, der seiner politischen Stellung und seiner persönlichen Haltung nach wieder ein von allen verfassungstreuen Kreisen Deutschlands getragener und Gesamtdeutsch- [137] land führender Reichspräsident ist. An der Spitze der deutschen Republik darf kein Monarchist stehen. An diese Stelle gehört ein Mann, der innerlich erfüllt von der Idee des sozialen Fortschritts, getragen von dem Willen zur Verständigung der Völker, auf den Bahnen vaterlandstreuer, republikanischer Staatspolitik das mühsame Aufbauwerk der letzten Jahre in treuer Pflichterfüllung fortsetzen wird. An der Spitze der deutschen Republik muß ein Mann des deutschen Volkes stehen." Diese Botschaft wurde von den außerhalb der beteiligten Parteien stehenden Deutschen nur mit halbem Glauben aufgenommen, denn Marx hatte während seiner Kanzlerschaft bewiesen, daß er nicht ein "Gesamtdeutschland führender Reichspräsident" sein werde, sondern ein Mann, der in bezug auf Parteihörigkeit eine große Ähnlichkeit mit Ebert besaß. Das Zentrum rühmte in einem Aufruf vom 6. April seinen Versöhnungsgeist:
"Marx ist ein Mann des Volkes, aus dem er hervorging und mit dem er in allen seinen Gruppen verbunden blieb und sich verbunden fühlt. Marx ist Geist der Sammlung: er hat die Gabe der Vermittlung und spricht die Sprache des Vertrauens! Reinen Herzens und aufrichtigen Willens steht er unter uns, eine Verkörperung deutscher Pflichterfüllung und deutscher Treue." Nachdem auch die Demokratische Partei am 7. April für Marx eine Lanze gebrochen hatte, sandte vier Tage später noch die Sozialdemokratie für ihn eine Empfehlung hinaus:
"Unsere Trennung ist der Sieg für die monarchistischen Parteien, unsere Einigung ist ihre Niederlage. Stark ist die Partei der Arbeiter, als Kerntruppe der Republik hat sie sich aufs neue erwiesen. Wir wählen in Wilhelm Marx die Persönlichkeit, die als treuer Hüter der Verfassung Schutz und Schirm der Republik sein soll. Wir stimmen für Marx als den Mann, der in der inneren Politik die Herrschaftsansprüche der Deutschnationalen, die Diktaturgelüste des Großkapitals und der großen Landwirtschaft abgewiesen hat. Wir stimmen für Marx, weil er von der Notwendigkeit des sozialen Fortschritts überzeugt ist, weil er die Rechte, die die Verfassung dem Staatsbürger und Reichstag gibt, nicht antasten wird. [138] Wir stimmen für Marx als den bewährten Verfechter einer Außenpolitik der Völkerverständigung, der Befreiung von fremder Besatzung und erneuter Kriegsgefahr."
Am 8. April verkündete der "Reichsblock" dem Volke die Kandidatur Hindenburgs. Ein nationaler, christlicher und sozialer Mann, der das Vaterland über die Parteien stelle, müsse an die Spitze des Reiches treten.
"Wir betrachten es als die ganz selbstverständliche Pflicht aller Deutschen in Stadt und Land, ohne Unterschied des Standes und des Berufes, sich mit ganzer Kraft und Hingabe für unseren Hindenburg einzusetzen. Hindenburg war Euer Führer in großer und schwerer Zeit, Ihr seid ihm gefolgt, Ihr habt ihn geliebt! Er hat Euch nie verlassen! Kämpft für ihn auch jetzt, wo er in alter Führertreue wieder an die Spitze treten will, um seinem Vaterlande in friedlichem Aufbau zu dienen. Unsere Losung lautet deshalb: mit Hindenburg zum Sieg für die Einheit aller Deutschen, für christliche Art und sozialen Fortschritt, für des Vaterlandes Größe und Freiheit! Hindenburg der Retter aus der Zwietracht!" Es war ein Appell an alle sittlichen Gefühle des ganzen Volkes, über kleinlichen Parteihader hinweg.
Durch das Eintreten Hindenburgs nahm die Schärfe des erneuten Wahlkampfes beträchtlich zu. Da man dem Generalfeldmarschall keine persönlichen Makel anhaften konnte, wie das allmählich bei den erbitterten Wahlschlachten des deutschen Volkes Brauch geworden war, so suchten seine Gegner ihn doch als eine Gefahr für die Republik und den Frieden hinzustellen. Er sei unzweifelhafter Monarchist und werde sich als Statthalter der Hohenzollern betrachten; er, als deutscher Führer im Weltkriege, der er war, werde einen neuen europäischen Krieg entfesseln, denn man müsse bedenken, daß die Alliierten die Wahl Hindenburgs als eine Kampfansage betrachten würden. Außerdem sei er bereits 77 Jahre alt und nicht mehr recht leistungsfähig. Es sei geradezu ein Verbrechen, dem alten General seine wohlverdiente Ruhe zu rauben. Schließlich sei Hindenburg Offizier und verstehe [140] nichts von Politik. Ja das Zentrumsblatt, die Germania, ging sogar soweit, dem Generalfeldmarschall Eitelkeit und Unehrlichkeit vorzuwerfen.
Es wäre grundverkehrt, die Wahl Hindenburgs mit der Wahl des Generals MacMahon zum Präsidenten der französischen Republik 1873 zu vergleichen. Der französische General kam ans Ruder durch die Hoffnung der Franzosen auf Revanche, auf den Beginn eines siegreichen Krieges gegen Deutschland. Die Deutschen, die Hindenburg wählten, waren weit entfernt, solche verwegenen Gedanken zu hegen. In Deutschland stand das innerpolitische Interesse obenan. Die erbitterte Engherzigkeit, in welche die Parteiherrschaft allmählich auszuarten begann, stieß einen sehr großen Teil des deutschen Volkes ab. Die zertretene Nation entfaltete ein gesundes Geltungsbedürfnis. Sie sehnte sich nach innerer Stärke, Kraft und Tradition. Sie wollte ihre Kultur wieder da aufbauen, wo sie 1918 leichtfertig zertrümmert worden war. Der Deutsche braucht ein sinnfälliges Zeichen als Inbegriff seiner Ideale. Die deutsche Treue ist sprichwörtlich, und sie ist die Grundlage deutscher Kultur. Der Teil der Nation, der sich nach sechsjähriger Unterdrückung wieder erholt hatte, verlangte einen Mann als Führer, den er aus aufrichtigem Herzen verehren konnte. Er wollte ein Unterpfand haben dafür, daß Christentum und nationale Sittlichkeit nicht gestorben seien, sondern noch lebten. Er wollte sich nicht verlieren in den endlosen, gewundenen Maulwurfsgängen versöhnlicher Koalitionspolitiker, sondern geführt von einem aufrechten Charakter, den starken, geraden Weg zur inneren Sammlung und Läuterung gewinnen. Die Einführung der Rentenmark im Herbst 1923 war das materielle Bekenntnis zu alter Ehrlichkeit und Solidität, die Hindenburgwahl im Frühjahr 1925 [141] war das ideelle Bekenntnis zu traditioneller Kultur. Beide Ereignisse waren durchaus nüchtern und realpolitisch, ohne jeden Beigeschmack ausschweifender und verwegener Projekte. Ernst geworden in den unseligen Jahren namenloser Not, suchten die Deutschen aufs neue festen Grund.
"Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, die Verfassung und die Gesetze des Reiches wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde, so wahr mir Gott helfe." Nach diesem feierlichen Augenblicke richtete Löbe eine kurze Begrüßungsansprache an Hindenburg, worauf dieser in einer ebenfalls kurzen Rede dankte. Zum Schluß brachte Löbe einen Hochruf aus auf das Deutsche Reich und das in der deutschen Republik geeinigte deutsche Volk. Beim Verlassen des Gebäudes wurde der Generalfeldmarschall auf der Freitreppe vom Reichskanzler Dr. Luther begrüßt, der ein dreifaches Hoch auf den neuen Reichspräsidenten ausbrachte. Eine unübersehbare, begeisterte Menschenmenge, von einem Polizeigürtel zurückgehalten, wogte auf dem Platze vor dem Reichstagsgebäude. Hindenburg schritt die Ehrenkompanie der Reichswehr ab, dann bestieg er seinen Kraftwagen, um zur Amtsübergabe zum Präsidenten Simons zu fahren. Die Reichsregierung, die Länderregierungen, der Reichstag brachten dem neuen Reichspräsidenten ihre Glückwünsche dar, und wochenlang empfing Hindenburg Vertreter der verschiedensten Organisationen, der Religionsgemeinschaften, Wirtschaftsverbände usw., um deren Huldigungen entgegenzunehmen. –
Die dritte Steuernotverordnung wurde nicht allein von den davon betroffenen Gläubigern als schweres Unrecht empfunden, sondern auch ein großer Teil der deutschen Richter griff sie an, da sie mit den überlieferten Anschauungen von Treu und Glauben unvereinbar sei. Der Reichstag wollte zwar schon im Sommer 1924 die Aufwertung in einer zufriedenstellenden Form erledigen, war aber dann durch die mit dem Dawes-Plan zusammenhängenden Ereignisse derartig beschäftigt, daß er an eine Lösung der schwebenden Frage nicht denken konnte.
Trotz dieser Versicherungen, welche eine neue gerechte Lösung des Aufwertungsproblems verhießen, verordnete die [143] Reichsregierung am 4. Dezember 1924, daß bis zur Regelung im Wege der ordentlichen Gesetzgebung einstweilen die Vorschriften der dritten Steuernotverordnung und deren Durchführungsbestimmungen für die Aufwertung und die übrigen in dieser Verordnung behandelten Gegenstände maßgebend sein sollten. In den maßgebenden Kreisen der deutschen Regierung gab es zwei entgegengesetzte Strömungen. Die eine trat unbedingt für eine Erhöhung der unzureichenden Aufwertungsbestimmungen ein, während die andere, von Luther beeinflußt, starr an der dritten Steuernotverordnung festhalten wollte. Das gab Verzögerungen und Widersprüche.
"tritt ein für den großen Gedanken von Treu und Glauben, der mit dem des Rechtsstaates untrennbar verbunden ist. Sie bekämpft daher aufs schärfste die dritte Steuernotverordnung, die diesem Grundsatz ungenügend oder gar nicht Rechnung trägt. In der Hypothekenfrage wird von einer Aufwertung von 15 Prozent gesprochen, tatsächlich handelt es sich um eine Entwertung von 85 Prozent. Allerschärfsten Kampf aber gilt es der in § 16 der dritten Steuernotverordnung zugunsten unserer Feinde getroffenen Bestimmung: 'Die Verzinsung und Einlösung von Anleihen des Reiches usw. kann bis zur Erledigung sämtlicher Reparationsverpflichtungen nicht gefordert werden.' Mit einem Federstrich sollen gerade die treuesten Staatsangehörigen ihres Vermögens beraubt werden. Vor allem muß an Stelle des berüchtigten § 16 der Satz treten: 'Der Staat sieht die Verzinsung und Einlösung seiner Schuld als erste und vornehmste Pflicht an, der er nach Maßgabe seiner Fähigkeiten nachkommen wird.'" In einem anderen Flugblatt aus diesen Tagen stellte die [144] Deutschnationale Volkspartei folgende Forderungen auf:
"Aufhebung der Aufwertungsbestimmungen der dritten Steuernotverordnung; Wiederherstellung und Wirksammachung der durch die dritte Steuernotverordnung beseitigten Rechte der Gläubiger, und zwar unter voller Berücksichtigung des Dr. Bestschen Gesetzentwurfes, soweit die wirtschaftlichen Verhältnisse dies gestatten; Wiederaufnahme des Zinsendienstes nach der Leistungsfähigkeit des Schuldners, wobei die Reichs-, Staats- und Kommunalanleihen unterschiedlich zu behandeln sind; weitgehende soziale Maßnahmen zum Schutze der besonders bedrohten Kleinrentner, und zwar unter voller Berücksichtigung der vom Deutschen Rentnerbund aufgestellten Forderungen." Dies waren die Grundsätze, welche die Partei aufstellte, als sie noch nicht an der Regierung beteiligt war. Der Reichstag war gewählt, und die Wähler verlangten von der Deutschnationalen Volkspartei die Einlösung der gegebenen Wahlversprechungen. Nachdem eine Reichsregierung mit deutschnationalen Ministern gebildet worden war, erklärte die Deutschnationale Partei, die Forderung Dr. Bests nach einer individuellen Aufwertung bis zu 50 Prozent in der Privatwirtschaft gehe zu weit; die von Best geforderte Klärung jedes Einzelfalles belaste die Gerichte ungeheuer und sei undurchführbar. Man habe seinen Vorschlag fallen lassen und müsse sich auf eine mittlere Linie zurückziehen. Dieser Entschluß hatte darin seinen Grund, daß die Partei bei der Bildung der neuen Regierung besonders die Besetzung des Finanzministeriums im Auge hatte, es aber für unmöglich hielt, das Aufwertungsproblem vor dem Reichstage zu vertreten und zu lösen, wenn nicht ein Finanzminister gefunden würde, der in den Grundlinien mit dem ehemaligen Reichsfinanzminister und jetzigen Reichskanzler Dr. Luther übereinstimme. Mit anderen Worten: die Deutschnationale Volkspartei fügte sich, nachdem sie nun in der Regierung saß, geschickt in die Rolle der Koalitionspartei, Dr. Luther, der Reichskanzler und Schöpfer der dritten Steuernotverordnung, schrieb ihr den Weg vor, den sie bei der Lösung der Aufwertungsfrage zu beschreiten habe. Die Ansicht dieses Mannes [145] aber war es, daß der Ruf nach einer gerechten Aufwertung "geradezu ein Spuk" sei, der endgültig zerstört werden müsse, indem man einen Strich unter die Aufwertungsfrage mache. Dr. Best überwarf sich nach dieser Wendung mit den Deutschnationalen, er trat zur Fraktion der Völkischen über, und die Sozialdemokraten räumten ihm ihren Sitz im Aufwertungsausschuß des Reichstages ein.
Am 30. April legte die Regierung dem Reichstag das neue [146] Gesetz vor. Der dem Zentrum angehörige Justizminister Frenken erklärte dazu, die Reichsregierung betrachte die Aufwertungsfrage weder als eine reine Rechts- noch als eine reine Wirtschaftslage, sondern sie gehe davon aus, das Streben nach höchster Gerechtigkeit mit der Verantwortung für den wirtschaftlichen Fortbestand und den wirtschaftlichen Aufstieg unseres Vaterlandes zu versöhnen. Die Aufwertungsfrage würde zu einer Schicksalsfrage für das Deutsche Reich werden, wenn bei ihrer Lösung nicht alle die erwähnten Gesichtspunkte berücksichtigt würden. Darum mußte die Regierung die individuelle Lösung ablehnen, darum mußte sie sich bei ihrer Vorlage auch auf die reinen Vermögensanlagen beschränken.
Mit Spannung verfolgte das deutsche Volk die weitere Entwicklung. Sehr viele sahen sich in ihren Hoffnungen getäuscht, und diese Enttäuschung machte sich in wilder Empörung Luft. Die Deutschnationalen wurden des Wortbruchs, ja, des Verrates an der nationalen Sache bezichtigt. Die Abgeordneten der Partei mußten, soweit dies möglich war, in die Städte fahren und sich vor erregten Versammlungen rechtfertigen. Besonders bei den Alten und den Rentnern wuchs bitterer Groll empor. Wozu hatten sie ein ganzes Leben lang gearbeitet und gespart, wenn sie im Alter darum betrogen wurden? Sie hatten nie ihren Frieden mit dem neuen Reiche gemacht, und da sie nun ihre letzte Hoffnung auf Gerechtigkeit zunichte werden sahen, wurden sie feindseliger denn je. Denn vor allem auf die alte Generation wirkte der Schlag vernichtend, sie empfand es als entehrend, ohne ihre Schuld ihrer Ersparnisse beraubt und nun der allgemeinen Fürsorge überantwortet zu werden. Im Juli brachte der Reichstag das Aufwertungsgesetz zum Abschluß. Noch einmal prallten die Gegensätze aufeinander. Der Sozialdemokrat Keil griff das Aufwertungskompromiß scharf an; es sei nur auf den Vorteil der Schuldner zugeschnitten. Er beharrte auf der Forderung von 40 Prozent und auf Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse. Hergt entgegnete als Vertreter der Deutschnationalen, die Deutschnationale Volkspartei hätte die ganze Aufwertungsfrage erst aufgerollt, und die Sozialdemokratie treibe jetzt nur Agitation; aber der gute Wille scheiterte an den ungünstigen Verhältnissen. Dr. Wunderlich hob die Verdienste der Volkspartei hervor. Die Wirtschaft habe einen dicken Strich unter [148] die Inflation machen wollen, aber die Deutsche Volkspartei habe dies als unmöglich erklärt, da sonst eine neue Revolution ausgebrochen wäre. Bei der Fixierung der Aufwertungsquote hätte man die tatsächlichen Verhältnisse berücksichtigen müssen. Der Bestsche Entwurf einer individuellen Aufwertung sei zwar juristisch logisch, aber praktisch undurchführbar. Im Namen der Demokraten lehnte der Abgeordnete Koch die Vaterschaft an den Aufwertungsgesetzen ab. Sie wollten sich zwar an den Beratungen beteiligen, jedoch bei der Verabschiedung ihre Zustimmung verweigern. Sie seien der Überzeugung, daß man nicht bis an die Grenze des Möglichen gegangen wäre. Der Vertreter der Bayerischen Volkspartei, Emminger, hielt einen Aufwertungssatz von 30 Prozent für durchaus tragbar, er machte der Regierung den Vorwurf, daß sie nicht darauf eingehen wollte. Zuletzt schleuderte Dr. Best den Deutschnationalen eine schwere Anklage entgegen. Er bezeichne die dritte Steuernotverordnung als eines Kulturstaates unwürdig und vertrete die individuelle Aufwertung deshalb, weil sie eine große Hypothekenaufwertung ermögliche, wenn das Objekt an Wert nicht viel verloren habe, wie es bei Häusern sehr vielfach der Fall sei. Dann wandte er sich zu den Deutschnationalen:
"Sie haben Ihr Wort gebrochen! Ich habe für Sie bei Wahlversammlungen gesprochen in dem Bewußtsein, daß bei Ihnen der Grundsatz gilt: Ein Mann, ein Wort! Ich habe mich getäuscht." Die Regierung irre, wenn sie glaube, nun sei die Ruhe im Volke hergestellt. Der Kampf werde erst beginnen, wenn die Vorlage Gesetz werde. Am 15. Juli fanden im Reichstag die Abstimmungen über die beiden Aufwertungsgesetze, das Gesetz über die Aufwertung von Hypotheken und anderen Ansprüchen und das Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen, statt. Das Hypothekenaufwertungsgesetz wurde mit 230 Stimmen der Kompromißparteien gegen 197 Stimmen der Demokraten, Sozialdemokraten, Kommunisten und Völkischen angenommen. Das Anleiheablösungsgesetz erhielt 227 Stimmen der Kompromißparteien, während 196 [149] dagegen abgegeben wurden. Der Reichsrat befaßte sich am folgenden Tage mit dem Anleiheablösungsgesetz. Der bayerische Gesandte Dr. v. Preger konnte ihm nicht zustimmen. Das Reich sollte aus rechtlichen und moralischen Gründen, wenn es auch zur Zeit nicht in der Lage sei, seinen Anleihegläubigern mehr zu bieten, doch die Möglichkeit einer Besserung für die Zukunft offen lassen. Auch die Vertreter Württembergs und Sachsens waren dagegen. Der sächsische Gesandte, der Sozialdemokrat Dr. Gradnauer, meinte, das Gesetz habe im Reichstage nur mit einer solchen Mehrheit Annahme gefunden, daß man leider nicht erwarten könne, es sei eine endgültige Regelung erreicht. Schließlich beschloß der Reichsrat mit 43 gegen 23 Stimmen, das Gesetz in der Fassung des Reichstages zur Kenntnis zu nehmen, ohne Einspruch zu erheben. Am gleichen Tage ließ der Reichspräsident die Gesetze verkünden.
Durch diese Gesetze wurde ein deutsches Sparvermögen von insgesamt etwa 150 Milliarden erfaßt, daran waren Hypotheken mit 65, Sparkassenguthaben, Pfandbriefe usw. mit 10, Reichs- und Kriegsanleihen mit 70, Kommunalanleihen mit etwa 9 Milliarden beteiligt. Diese gesamte Summe wurde jetzt auf etwa 30 Milliarden aufgewertet. Es lag auf der Hand, daß eine hundertprozentige Aufwertung unmöglich war, denn das gesamte Nationalvermögen betrug 1925 kaum mehr als 160 bis 180 Milliarden Goldmark. Dennoch waren die Aufwertungsgläubiger bitter enttäuscht. Es gibt in der deutschen Geschichte kaum ein eklatanteres Beispiel für die Massensuggestion, als es der Komplex der Aufwertungsfragen bildet. Der Wahlkampf des Herbstes 1924 hatte die Gemüter hypnotisiert, nicht zum wenigsten durch die Schuld der Deutschnationalen Volkspartei. Aber die Hypnose wich nicht, nein sie steigerte sich noch, als die Deutschnationalen, nachdem sie in die Regierung eingezogen waren, eingestehen mußten, daß sie ihre Versprechungen nicht voll einlösen konnten. Wenn vielleicht auch eine Erhöhung des Aufwertungssatzes auf 30 oder 35 Prozent durchaus möglich gewesen wäre, so war die Neuverschuldung doch ein erheblicher Faktor, der sich allen höheren Forderungen hindernd entgegenstellte. Einen wirklichen Fortschritt gegenüber der dritten Steuernotverordnung stellte das Gesetz über Ablösung öffentlicher Anleihen dar. Man kam den staatstreuen Bürgern wenigstens etwas entgegen und versuchte, sie für ihre Verluste zu entschädigen. Bei allem Streit um die Höhe der möglichen Aufwertung ließ sich doch, im ganzen genommen, nicht leugnen, daß durch die Juligesetze von 1925 sich die Lage der Gläubiger und Sparer gebessert hatte. Das deutsche Volk mußte, wie schon so oft, auch in dieser Frage wieder erkennen, welch ein furchtbares Los ihm durch den verlorenen Krieg bereitet worden war. Und gerade in dieser Frage prallten wieder Gegensätze und Parteifanatismus aufeinander, indem sie, durch [152] egoistische Motive angetrieben, eine staatsmännische Lösung außerordentlich erschwerten.
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