[Bd. 3 S. 247] 6. Kapitel: Die Inflation und ihre Folgen.
Vom Kriegsende bis zum Ausgang des Jahres 1923 lassen sich drei weitere Inflationsperioden unterscheiden. Zunächst jene 30 Monate von Anfang November 1918 bis Anfang Mai 1921. Ein rapides Sinken des Markwertes ließ sich besonders bis zum Beginn des August 1920 verfolgen, als die Papiermark noch zehn Pfennige galt. Es bedeutete eine [248] gewisse Erholung, als der Markwert im Laufe der nächsten neun Monate nur drei Pfennige ihres Wertes einbüßte. Mannigfaltige Gründe spielten für die Geldentwertung in dieser Periode mit. Zunächst war es die Revolution, die sich ursprünglich gegen das privatkapitalistische Wirtschaftssystem wandte. Ein Anschwellen der Löhne und Gehälter setzte ein, während auf der anderen Seite ein starkes Sinken der Produktion, der Gütererzeugung, bemerkt wurde. Die zwangsmäßige Einführung des Achtstundentages brachte eine starke Vermehrung der Arbeitskräfte, oft bis zu 20 Prozent, mit sich. Allein die Reichsfinanzverwaltung beschäftigte 65 000 Beamte. Im Bereiche des Reichsverkehrsministeriums wurden 240 000 neue Arbeitskräfte gegenüber der Vorkriegszeit eingestellt. Bei der Reichspost wurde der Beamtenstand infolge des Achtstundentages um 45 000 Köpfe vermehrt. Der Achtstundentag verteuerte die deutsche Verwaltung und die deutsche Wirtschaft um viele, um sehr viele Milliarden, und dies trug offensichtlich zum Sinken des Geldwertes bei. Dazu kam noch die Not der Erwerbslosigkeit. Die allgemeine wirtschaftliche Schwäche zwang andererseits viele Unternehmer, ihre Betriebe zu verkleinern, ohne daß die frei werdenden Kräfte durch die infolge des Achtstundentages bedingte Vermehrung aufgesogen wurden. So wurden im Jahre 1920 etwa 350 000 Erwerbslose mit ebensoviel Familienangehörigen gezählt. Ende 1923 waren es rund vier Millionen, welche den Staat und die Wirtschaft belasteten. Das auf den vor dem Kriege bestehenden Arbeitsverhältnissen begründete Währungssystem entsprach nicht mehr der ungeheuer verteuerten Arbeitskraft nach Kriegsende. Die Revolution wurde von vielen als eine Gelegenheit, sich zu bereichern, betrachtet. Im Sommer 1919 bestand in Berlin ein Vollzugsrat, dessen Mitglieder als höchstbezahlte Arbeiter täglich 25 Mark erhalten sollten. Indessen, die 24 Herren bewilligten sich Jahresgehälter von insgesamt 334 000 Mark, welche nach dem Stande von Anfang Juli 1919 über 100 000 Goldmark betrugen. Zu welchen Absurditäten die revolutionäre Lohnpolitik führte, ließ sich täglich an der ganz unverhältnis- [249] mäßig hohen Bezahlung einfachster Verrichtungen erkennen. So erhielt in der Stadt Benneckenstein im Harz der Bürgermeister ein Gehalt von 65 000 Mark, der Schuldiener derselben Stadt erhielt noch 2500 Mark mehr! Während das Jahreseinkommen eines Straßenbahnschaffners 6000 Mark, das eines Berliner Müllkutschers 9300 und das eines Kellners 12 000 Mark betrug, erhielt der Hochschulprofessor im günstigsten Falle 5000 Mark. Dieser blanke Unsinn in der Verwendung des Geldes mußte den Wert der Währung ganz erheblich herabdrücken. Dieses Chaos in der materiellen Bewertung geleisteter Arbeit wurde zur hauptsächlichen moralischen Ursache der Inflation. Auch der Raubbau an Arbeitskraft und Arbeitszeit konnte nicht spurlos am deutschen Gelde vorübergehen. Das Proletariat besaß, um unsinnige Forderungen durchzudrücken, eine brutale Waffe: den Streik. Jede geringfügige Gelegenheit konnte die Veranlassung dazu werden, tagelang, ja wochenlang die Betriebe stillzulegen, die Produktion zu unterbinden. Im Jahre 1914 gab es in Deutschland 250 Streiks, 1918 zählte man bereits rund 650, 1919 waren es 4000; sie stiegen bis 1922 auf 4900! In den vier Jahren von 1919 bis 1922 spielten sich in Deutschland 17 600 Streiks ab! Erst 1923 ging die Zahl auf 2300 herab. Welchen höchst unheilvollen Einfluß mußten die 20 000 Streiks auf die Entwicklung des deutschen Geldes haben! Diese Streiklust war die politische Ursache für den Währungsverfall. Ein weiterer Faktor für die Geldentwertung bildete unmittelbar und mittelbar der verlorene Krieg. Durch die Landabtrennungen war die Basis der Ernährung, der Rohstoffe und der Arbeitskraft Deutschlands um durchschnittlich ein Siebentel verringert. Die Kolonien und die Flotte wurden weggenommen, die ungeheuren Verpflichtungen des Waffenstillstandes mußten erfüllt werden, die Besatzungstruppen verschlangen gewaltige Gelder, die deutschen Auslandsvermögen wurden kassiert. Allein die Auslandsvermögen – 11,7 Milliarden – , die [250] Besatzungskosten bis Ende 1922 – 4,5 Milliarden – und der Wert der Handelsflotte – 4,6 Milliarden – betrugen zusammen einen Wert von rund 21 Milliarden Goldmark. Wesentlich furchtbarer aber wurde das deutsche Volk durch die mittelbare Folge des verlorenen Krieges betroffen: es hatte seinen blühenden Außenhandel eingebüßt. Infolge der Gebietsabtretungen mußte die Einfuhr vermehrt werden, dagegen war die Ausfuhr durch die Wegnahme der Flotte und durch den Boykott der ehemals feindlichen Länder ganz erheblich herabgedrückt. Hatte das deutsche Volk vor dem Kriege eine Handelsbilanz, die fast im Gleichgewicht war, das heißt die Einfuhr überwog die Ausfuhr nur um 0,7 Milliarde Mark, so war seit 1919 die Handelsbilanz jährlich um 3½ Milliarden Mark passiv; die Einfuhrüberschüsse betrugen bis Ende 1922 14 Milliarden Goldmark! Es bedarf keiner langen Erwägungen, um zu erkennen, welchen verheerenden Einfluß diese Tatsache auf die deutsche Währung hatte. Diese Betrachtung der außenpolitischen Faktoren leitet uns in die dritte Periode der Inflation hinüber, welche mit der Annahme des Londoner Ultimatums Anfang Mai 1921 einsetzte und 20 Monate, bis zum Beginn des Ruhreinfalls, währte. In dieser Zeit fiel die Papiermark von sieben Pfennig auf einen zwanzigstel Pfennig! Die oben auseinandergesetzten innenpolitischen Gründe traten bei dieser stürmischen Abwärtsbewegung in den Hintergrund. Die ausschließliche Verantwortung hierfür traf lediglich den unbedingten Willen der Regierung, die außenpolitischen Bedingungen des Londoner Ultimatums zu erfüllen. Rathenau sagte selbst, daß dem Deutschen Reiche nichts weiter übrigblieb, als seine Währung zu verkaufen. An den Börsen von London, Neuyork, Brüssel und Paris wurde schranken- und gewissenlos mit der deutschen Mark spekuliert. Man kaufte Unmengen auf und brachte ebensolche Unmengen wieder auf den Markt, Deutschland aber mußte immer mehr Banknoten drucken, um dafür Devisen einzuhandeln. 1920 waren 68 Milliarden Mark Zahlungsmittel im Umlauf, 1922 bereits über 352 Milliarden! Schonungslos wurde Deutschland [251] ausgepumpt. Ausländer strömten in Scharen heran und kauften hochwertige deutsche Erzeugnisse, bezahlten sie aber mit der minderwertigen deutschen Mark. Noch nie hatte die deutsche Industrie so viel Aufträge erhalten wie 1921 und 1922. Die Zahl der Erwerbslosen nahm zwar von Tag zu Tag ab: 1921 waren es noch 150 000, im folgenden Jahre nur 43 000. Deutschland war fleißig, es arbeitete fieberhaft, aber es verdiente nichts, es zehrte seine aufgespeicherten Güter auf und verschleuderte den Rest ans Ausland.
Furchtbar waren die Ursachen und der Verlauf der Inflation, furchtbarer ihre Folgen. Ein ganzes, ehedem blühendes und reiches Volk von 60 Millionen wurde in Not, Elend, Verzweiflung getrieben. Nicht nur alle materiellen Bindungen wurden zerrissen, auch die sittlichen Kräfte wurden unterhöhlt, gestürzt und zum Teil vernichtet. Eine schwere Gesellschaftskrisis brach über das Land herein, aber der deutsche Charakter war stark und gesund genug, daß er eine Kulturkrisis, den Bolschewismus, nicht zur Entfaltung kommen ließ. Staffelweise, wie sich die Inflation vollzog, fielen auch ihre Opfer. Die Ersparnisse des Volkes, die in Sparkassen, Hypotheken und Schuldverschreibungen der Industrie angelegt waren, schmolzen dahin. Millionen Deutsche, welche von den Renten und Zinsen ihrer Kapitalien lebten, wurden ohne ihr Zutun zum Bettler. Wie vielen gestattete der frühere Wohlstand ein sorgenfreies Leben ohne Arbeit, wie viele Alte, die im Laufe ihres langen Lebens Sparpfennige zusammengebracht hatten, hofften auf ein stilles, unbekümmertes Alter! Sie waren die ersten, welche geopfert wurden. Ihre Einkünfte und Kapitalien verfielen, sie standen täglich näher vor dem Nichts, dem Tode. Im fortgeschrittenen Stadium der Inflation, in den Jahren 1921 und 1922, griff die Not auf die Beamten über. Es war nicht mehr möglich, die Gehälter der Geldentwertung anzupassen, sie stiegen zahlenmäßig, aber ihr innerer Wert sank erschreckend. Schließlich, 1923, war es auch nicht mehr möglich, die Arbeiterschaft vor der Not und dem Hunger zu schützen.
Im Grunde genommen handelte es sich hierbei ursprünglich nicht um eine Bereicherung, die durch Bewucherung der Volksgenossen herbeigeführt wurde, sondern vor allem um jenen dem Bauern durch die Art seiner Wirtschaft und seiner bodenständigen Kultur innewohnenden Trieb, etwas Dauerndes, Festes, Beständiges zu besitzen, das nicht durch die Unrast der Zeit, der er infolge einer natürlichen Schwerfälligkeit nicht so schnell wie der Städter folgen konnte, zerstört wurde. Später allerdings trat ein gewisser Spekulationstrieb hinzu. Viele Bauern verbesserten und modernisierten ihren Besitz, indem sie hofften, die Neubauten und Neuanschaffungen später mit entwertetem Gelde billig bezahlen zu können. Zur Ehre der deutschen Landwirtschaft sei aber auch gesagt, daß sie in großherzigster Weise die notleidenden Armen unterstützte, daß sie den Universitäten Geld und Lebensmittel spendete, den Studenten Unterhalt und Verdienst [254] gewährte und im Ruhrkampfe einen wesentlichen Anteil zur Unterstützung der besetzten Gebiete beitrug. Der deutsche Bauer hatte Vorteile durch die Inflation, er verdiente Geld und wurde schuldenfrei, aber er entzog sich auch nicht den Forderungen, die sein Kulturgewissen an ihn stellte. Seine Opferbereitschaft, die er bei der Einführung der Rentenmark bewies, bildete einen gewissen Ausgleich mit den Vorteilen, die er aus der Inflation gezogen hatte. Es gab auch weniger intelligente Bauern. Von den Millionen bestochen, ließen sie sich verleiten, ihre Scholle zu verkaufen. Mit einem Wagen voll Geld zogen sie zur Stadt voller Hoffnungen und Träume und gingen in grausamem Elend zugrunde.
Raffkes Entwicklungsgang war sehr kurz. Erst hausierte er mit Schnürsenkeln und Streichhölzern. Nach vier Wochen nahm er Kokain hinzu. Dann bekam er durch irgendeinen Zufall einen Waggon Kartoffeln oder Kohlen in die Finger, und er war der gemachte Mann. Seine Tätigkeitsgebiete waren die Börse und die Bar, dort wurden die Preise gemacht, hier wurde die Ware verschoben. Ihm war das Geld höchster Selbstzweck, er war der Sklave des Mammons. Geld war ihm der Schlüssel zur Macht, Ansehen, gesellschaftlicher Geltung, Geld war ihm das Zaubermittel, mit dem er die Welt zu beherrschen vermeinte. Er schöpfte es mit vollen Händen, er streute es mit vollen Händen: er kaufte, verkaufte und bestach. Es bereitete ihm Freude und Vergnügen, Steuern zu hinterziehen. Er kaufte Rittergüter und Paläste und schmückte sie mit pompösen, extra für ihn gekauften oder angefertigten Ahnengalerien. Er besaß keine Bildung, er konnte oft kaum seinen Namen schreiben. Seine einzige Freude war es, sich in den Varietés an nackten Mädchenleibern zu entzücken. Auch liebte er berauschende Genüsse. Bei Rennen und gesellschaftlichen Veranstaltungen zeigte er sich, um zu protzen. Deswegen besuchte er auch die Theater. Er saß auf den teuersten Plätzen, aber es machte ihm nichts aus, mitten in der [256] Darstellung ein knisterndes Papier zu entfalten und schmatzend sein Butterbrot zu verzehren. Er trachtete mit wahrer Leidenschaft danach, einzudringen in die herrschende Gesellschaftsklasse, die ihn verachtete und abwies. Das geistige Herrenmenschentum der deutschen Oberschicht lehnte die protzigen Parvenüs ab, sie trug mit einem gewissen Stolz die unverschuldete, von Tag zu Tag sich vergrößernde Armut, war sie doch der beste Freibrief für eine anständige und vornehme Gesinnung. Raffke hielt sich Hauslehrer, die ihn in den elementarsten Kenntnissen der deutschen Sprache, der Literaturgeschichte und Musik unterrichteten. Er bezahlte sie gut, und seine Gebefreudigkeit hatte eine gewisse mäzenische Ader. Er bevorzugte als Kraftwagenführer ehemalige Offiziere, wenn möglich, adlige, die in ihrer Wirtschaftsnot zum letzten Strohhalm griffen. Häufig veranstaltete er geräuschvolle Gesellschaften, bei denen Familie Raffke mit dem Messer aß und die Gabel als Zahnstocher benutzte. Raffke bot seinen Gästen Gelage, die von auserlesenen gastrischen Genüssen strotzten, aber nicht die geringste geistige Anregung vermittelten. Er war ein Eingänger; er liebte es nicht, mit den öden Gesellen seiner Zunft Astrachan-Kaviar zu verzehren und Kupferberg Gold zu trinken; er verschmähte den gesellschaftlichen Verkehr mit seinesgleichen, weil er die Schliche der andern Raffkes kannte und sie deshalb verachtete. Er liebte die vornehme Welt und glaubte, sich mit seinem Geld aufdringlich die Pforten dahin erschließen zu können. Vor allem aber ebnete er sich durch sein Geld den Weg zu den Inhabern der politischen Macht, und dies war oft nicht allzu schwer. Dieser Typ beherrschte das Leben der Städte. Er war verhältnismäßig nicht sehr zahlreich, trat aber überall durch sein lautes, rücksichtsloses, prahlerisches Benehmen in den Vordergrund. Er ist der Typ der Inflation, mit dem Ende der Geldentwertung war auch seine Herrlichkeit dahin; nur in Millionen und Milliarden konnte er leben und atmen; er sank spurlos ins Nichts zurück, nachdem er einige Jahre von der unverschuldeten Armut der andern gelebt hatte.
Die Hauptspekulation Barmats lag aber vor allem darin, daß er sich gegen jede handelsübliche Gepflogenheit die Ware bereits bei der Bestellung in deutschem Gelde bezahlen ließ und dafür sofort holländische Gulden kaufte. Er bedang sich dann Lieferfristen von zwölf bis dreizehn Wochen aus und trat dann von den nichterfüllten Verträgen zurück, indem er den entsprechenden Markbetrag zurückerstattete. Hatte sich in dieser Zeit das deutsche Geld weiter entwertet, so brauchte er nur einen Bruchteil derjenigen Guldensumme zum Ankauf der Mark zu verwenden, die er ein Vierteljahr vorher erhalten hatte, als er die Markbeträge verkaufte. Die Differenz [258] war ein ganz hübscher Reingewinn, den ihm seine Spekulation einbrachte. Barmat wurde auf diese Weise reich, lebte herrlich und in Freuden und gründete die gewagtesten Unternehmen. Im Jahre 1922 konnte er sich in Schwanenwerder eine prunkhafte Villa kaufen, wo die rauschendsten Feste nächtelang gefeiert wurden, an denen sich auch führende Sozialdemokraten, wie der Berliner Polizeipräsident Richter, beteiligten. Das Unternehmen Barmats, ursprünglich nur als Lebensmittelgeschäft betrieben, wuchs mit tropischer Geschwindigkeit zu einem ungeheuren Konzern aus. 34 Maschinenfabriken, Eisengießereien, Armaturen- und Feldbahnfabriken und Eisengroßhandlungen gehörten dazu, außerdem 10 Banken und 12 andere Unternehmen, Fabriken für Tuch, Kunstseide, Papier, Elektrizität, Holz, Kohle, Terpentin – bunt zusammengewürfelte und wahllos zusammengeraffte Betriebe, ohne jede Spur jenes großartigen inneren Aufbausystems und jener Wirtschaftsrationalisierung, wie sie den Stinneskonzern oder die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft auszeichnete. Für seinen Konzern brauchte Barmat Geld, und so kam er auf Empfehlung zweier sozialdemokratischer Minister im Mai 1923 zur preußischen Staatsbank. Er fing damit an, daß er am 12. Mai 1923 72 000 Goldmark borgte, und Ende Dezember hatte er bereits anderthalb Millionen Goldmark Schulden. Das Schuldkonto wuchs lawinenhaft an und hatte Ende 1924 die Höhe von 14½ Millionen Goldmark erreicht. Da brach Barmat finanziell zusammen, nachdem er noch einmal vergeblich fünf Millionen zu erlangen gehofft hatte. Ein großer Prozeß enthüllte den Werdegang dieses Raffke, seine gewissenlose, betrügerische Art, sich auf Kosten des deutschen Volkes zu bereichern, und seine intimen Beziehungen zu den sozialdemokratischen Staatsmännern. – So wie diesen Barmat gab es aber Hunderte und Tausende von Emporkömmlingen, die, vielleicht weil sie sich weniger gewaltig entwickelten, das Glück hatten, der strafenden Gerechtigkeit zu entgehen, trotzdem aber wieder in Bedeutungslosigkeit und Armut untergingen, als wieder gesunde und geordnete Verhältnisse eingetreten waren.
Welche Herzenskämpfe, welche Tragödien spielten sich in aller Stille ab! Schmuck und Kleinodien, die einst in glücklicheren Tagen zur Schau getragen wurden, Silbergerät und alles, was irgendeinen Wert hatte, wurde zusammengerafft [260] und zum Trödler gebracht. Viele Stücke jahrhundertealter Familientradition gingen diesen Weg, von Schluchzen und Herzeleid begleitet, aber der angeborene Stolz verbot es den Unglücklichen, offen ihre Tränen zu zeigen. Andere wieder machten aus ihrer Wohnung einen Erwerb. Sie beschränkten sich auf ein, zwei Hinterzimmerchen, während sie die Prunkräume einer versunkenen Zeit, ausgestattet mit den Möbeln, die noch nicht verkauft waren, an Untermieter weitervermieteten, am liebsten an Ausländer, die in Dollar bezahlten. Sie verrichteten in ihrer eigenen Wohnung die Geschäfte des Kammerdieners und Zimmermädchens und waren dankbar für jeden gnädigen Blick, den ihnen der hochmütige, valutastarke Fremde schenkte. Wie wurde mit dem kostbaren Gelde geknausert! Es gab Familien, in denen es wochenlang nichts anderes als Kartoffelsuppe zu essen gab, selbst Heringe und Pferdefleisch waren unerschwinglich im Preise. Versagten aber alle Mittel, Geld zu verdienen, dann gab es noch einen Ausweg, der Not ein Ende zu bereiten: schweigend und unbemerkt aus der Welt zu gehen. In schwarzer Hoffnungslosigkeit schleppte sich der Unglückliche, dessen Nerven versagten, vor die Stadt hinaus zum Fluß und stürzte sich in die gurgelnde Flut, allen Jammer mit sich begrabend. Oder er legte sich bei geöffneten Gashähnen zum Schlafe nieder, um nicht wieder zu erwachen. Dieses Nirwana nach vielen sorgenvoll durchwachten Nächten wurde als Wohltat herbeigesehnt. In Berlin begingen in drei Tagen, Anfang November 1923, 16 Menschen Selbstmord aus Hunger! –
Besonders in Preußen unter dem sozialdemokratischen Minister Severing, dann auch in Sachsen, besonders unter Zeigner, in Thüringen und Braunschweig hatten diese sozialistischen Beamtenschubs große Bedeutung. Von den zwölf preußischen Oberpräsidenten waren fünf Parteisekretäre gewesen und nur zwei Verwaltungsbeamte. Von den 77 wichtigsten Stellen in der preußischen Verwaltung waren etwa 30 mit sozialdemokratischen Parteisekretären besetzt. Von 215 höheren Beamten der inneren Verwaltung in den Ministerien, Provinz- und Lokalbehörden war nur der achte Teil akademisch vorgebildet, während vier Fünftel Sozialdemokraten und die Hälfte ehemalige Parteisekretäre waren. Der sächsische sozialistische Minister sagte ganz unumwunden: "Weil von der Partei, die ans Ruder kommt, das Schicksal der Beamten abhängt, müssen sie bewußt und absichtlich in den Kreis der revolutionären Klassenkämpfer treten." [263] Die Beamtenpolitik der Thüringer Regierung wurde in einer Denkschrift vom Jahre 1923 folgendermaßen gekennzeichnet:
"Die Beamtenpolitik der Thüringer Regierung geht dahin, die Beamten immer mehr zu gefügigen Werkzeugen der herrschenden sozialistischen Parteien zu machen. In der Linie dieser Entwicklung liegt es, daß die thüringische Regierung ihren Beamten den sogenannten Beamtenrevers zur Unterschrift vorgelegt hat. Den Beamten wird darin zugemutet, daß sie eine "eidesstattliche und ehrenwörtliche" Erklärung darüber abgeben, ob sie nach Inkrafttreten der Reichsverfassung einer der im Lande Thüringen verbotenen Vereinigung – "Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund", "Deutschvölkische Jugend", "Bund der Aufrechten", "Alldeutscher Verband", "Verband nationalgesinnter Soldaten", "Stahlhelm", "Bund der Frontsoldaten", "Germanenorden", "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" – oder einer anderen Vereinigung angehört haben oder noch angehören, die an die Stelle einer verbotenen Vereinigung getreten ist oder monarchistische und antirepublikanische Ziele verfolgt. Die Vorschriften des Reverses sind für die Beamten eine schwere Gewissensbedrückung. Eine Anzahl von Maßregelungen ist tatsächlich erfolgt." Die Inflation unterstützte außerordentlich diese sozialistische Beamtenpolitik, die letzten Endes eine Machtfrage war. Wie viele andersgesinnte Beamte wurden zu Heuchlern, aus Furcht, in dieser allgemeinen Wirtschaftsnot ihre Stelle zu verlieren. Für den, der von diesem Schlage betroffen wurde, war dies das größte Unglück, und es kam einer Verurteilung zum Hungertode gleich. Für hundert andere aber, die einen Beamtenposten zu erwischen hofften, wurde jede freiwerdende Beamtenstelle zum Gegenstand heftigster Umwerbung. Aber mehr und besser als alle Schilderungen werden diese Zustände beleuchtet durch eine Anzeige, die sich Anfang März 1920 in der Volksstimme, dem sozialdemokratischen Organ in Halle, fand. Da hieß es: "Welcher Genosse verhilft zu einer Amts- oder Gemeindesekretärstellung oder ähnlichem Posten? Entsprechende Kenntnisse vorhanden." Der Staat wurde durch die Partei regiert, die Partei aber wurde durch die Inflation tatkräftig unterstützt. Zu einer Zeit, [264] da das deutsche Volk mit dem Hungertode rang, wurde das Beamtentum zu einer wohlbezahlten Pfründe für die Anhänger des herrschenden politischen Systems. Der Druck auf den Magen war für die deutsche Demokratie das sicherste Mittel zur Beherrschung der Staatsmaschine. Die gegnerischen Parteien brandmarkten diesen Brauch als "Futterkrippenwirtschaft", als "Raubsystem", da nicht Befähigung, sondern Parteizugehörigkeit den Ausschlag gab.
Verhältnismäßig harmlos, aber nicht anständig war der Spekulationstrieb, sofern er mit eigenem Gelde betrieben wurde. Das Spiel an der Börse wurde zur Leidenschaft. Das Studium der Kurszettel war sehr umfangreich und forderte viel Zeit. In Kürze waren einem Manne, der sonst nichts als seine Akten kannte, alle finanztechnischen Kniffe geläufig. Er bewegte sich an der Börse ebenso sicher wie in seinem Büro. Er führte ein Doppelleben und war ein halber Mann in seinem Beruf. Mit einer wahren Gier stürmte er auf alles, wo Geld zu verdienen war. Zum Verhängnis wurde die Erweckung dieser Leidenschaft bei solchen Beamten, welche Gelder zu verwalten hatten. Manche von ihnen griffen in die Kasse, um das fehlende Geld für irgendeine große Spekulation zu "bor- [265] gen". Sie waren fest entschlossen, nach geglückter Transaktion – und sie mußte glücken! – die Summe sofort wieder an ihren Platz zu tun. Oft aber wurde der verwegene Griff zur Katastrophe. Die Spekulation mißlang, das Geld wurde nicht zurückerstattet und der ungetreue Beamte büßte seine Schuld im Zuchthaus. Die Inflation hatte in manchem Beamten der Post, Eisenbahn, Gericht, Finanz, Sparkassen und Banken die Leidenschaft des Spielers geweckt. Viele hatten Erfolg im Glücksspiel an der Börse, viele aber auch wurden seine Opfer, indem sie Unterschlagungen begingen, die sie nicht wieder ersetzen konnten. Bei anderen machte sich ein regelrechter Handelsgeist bemerkbar. Sie kauften Sachwerte, die sie zum größten Teil erst bezahlten, wenn die Entwertung weiter fortgeschritten war; im geheimen ließen sie dann durch ihre Frau und Kinder einen schwunghaften Handel treiben, oder sie betrieben ihn ungeniert auf eigene Faust. Oft war die Amtsstube nicht mehr die Stätte ernster Arbeit, sondern ein Markt, wo gefeilscht und gehandelt wurde, indem ein Kollege beim andern seine Ware möglichst vorteilhaft an den Mann zu bringen suchte. Hier war von Möbeln, Kristall, Schuhen, Kartoffeln, Fleisch bis hinab zu Likör und Seife alles zu haben. Es war nun nur noch ein Schritt, daß man auch für milde Gaben der Bittsteller aus dem Publikum eine offene Hand und ein weites Gewissen hatte. Nie blühte das Bestechungswesen so sehr wie in der Inflation. Die Käuflichkeit des Beamtentums war der Faktor, der den skrupellosen Wucherern und Schiebern bei der Durchführung ihrer Pläne förderlich war. Der ehemalige sozialdemokratische Reichskanzler Bauer erhielt Tausende von Mark von Barmat, und der Reichspostminister Hoefle gab aus Reichsgeldern Darlehen an Schieber, die ihm schließlich den Erwerb einer prächtigen Villa ermöglichten, bis auch ihn die unerbittliche Gerechtigkeit ereilte. Das furchtbarste Beispiel dieser Verworfenheit und Bestechlichkeit war der sächsische Ministerpräsident Zeigner, der Leute hoch bestrafen ließ, um sich von ihnen seine Gnade teuer abkaufen zu lassen. In seiner 15 Monate währenden Ministertätigkeit verfügte er nicht weniger als 19 000 Begnadigungen, ein [266] wahrhaft lukratives Geschäft! Er büßte diesen allzu geschäftstüchtigen Geist mit drei Jahren Gefängnis und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Auch Sepp Örter, der braunschweigische Ministerpräsident, mußte vier Monate wegen Bestechung ins Gefängnis. – In jener Zeit waren nur allzu viele Beamte der Regierungen, der Finanz, der Banken, der Wohnungsämter der Bestechung zugänglich. Ehrlichkeit, Treue, Pflichterfüllung hatten sich auf einen keineswegs allzu großen Kreis des Beamtentums zurückgezogen.
Man legte sich bei Einbruch der Dunkelheit zu Bett, um keine Unkosten durch Licht und Heizung zu haben. Man starb, um keinen Arzt bezahlen zu müssen. Arbeiterfrauen wickelten ihre Säuglinge in Zeitungspapier statt in kostspielige Windeln. Überall wurde der billigste Ersatz, Leder von Pappe, Stoffe von Papier, Seife von Ton, bevorzugt. Der Fleischverbrauch war um zwei Fünftel, der Mehlverbrauch um ein Drittel, der Kartoffelverbrauch um die Hälfte gegenüber der Vorkriegszeit zurückgegangen. Sogar der Biergenuß hatte sich um zwei Drittel verringert. Die Genußmitteleinfuhr war um die Hälfte zurückgegangen; Kaffee, Tee, Gewürze, Lachs, Kaviar, Likör, Wein und Bier waren nicht für die hungernden Deutschen, sondern nur für die Ausländer und Raffkes vonnöten. Noch krasser zeigte sich der Rückgang in der Einfuhr der Luxusfabrikate: Seide, Samt, Federn, Pelze, Parfüme, Perlen, Möbel, Gold, Silber, Kinderspielzeug. Von all diesen Dingen wurde 1922 nur noch der sechste Teil gegen 1913 eingeführt! Das deutsche Volk hatte keine Bedürfnisse mehr, es hungerte!
Auch die Industrie lag schwer darnieder. Ihre Aktien [269] waren zwar gestiegen, aber auf einen ganz geringen Bruchteil ihres ehemaligen Goldmarkwertes gesunken. Die Dividenden betrugen kaum den fünfzigsten Teil der Vorkriegszeit. [Scriptorium merkt an: d.h. weniger als 2 Prozent!] Das deutsche Nationalvermögen war bodenlos zusammengeschrumpft. Nicht nur deshalb, weil es durch den verlorenen Krieg starke Verluste erlitten hatte, sondern auch deshalb, weil kein Geld mehr in Deutschland vorhanden war, um Sachwerte einigermaßen zu bezahlen. Das Nationalvermögen, vor dem Kriege auf über 300 Milliarden geschätzt, wurde Mitte 1922 auf 130 Milliarden geschätzt, und, wie der ehemalige Minister Gothein sagt, das war noch zu hoch. "Denn nicht auf den Anschaffungswert kommt es an, sondern auf den realisierbaren." Der aber habe beispielsweise bei Hausverkäufen in Wiesbaden nur sieben Prozent des ursprünglichen Goldwertes betragen. Der Gesamtkurswert der deutschen Aktien, der vor dem Kriege, am 31. Dezember 1913, über 31 Milliarden Goldmark betrug, war Ende 1922 nur kaum 5 Milliarden wert. Da strömten die Fremden aus aller Herren Länder herzu, kauften Häuser und Fabriken zu billigem Preise und drückten die Deutschen in Abhängigkeit hinab. Das deutsche Volk wurde ein Tagelöhnervolk. Was galt Besitz? Was galt Vermögen? Sie zerrannen unter den Händen. Das höchste Gut, das erstrebenswerteste, war die Dienststellung in einer Behörde, in einer Fabrik. So setzte ein wahrer Ansturm auf die "gesicherte Lebensstellung" ein. Die Handwerker schlossen ihre Werkstätte und suchten ihr Brot in der Fabrik. Die Söhne mit dem Reifezeugnis des Gymnasiums oder mit einigen Semestern Studium strebten nach dem Posten eines Büroschreibers oder Buchhalters. Die höheren Töchter erlernten Stenographieren und Maschineschreiben, um Geld zu verdienen und um sich die Aussteuer Stück für Stück anschaffen zu können, die die Väter nicht mehr bezahlen konnten. Oft wurden zwei, drei Kinder einer Familie erwerbstätig. Es gab kaufmännische Betriebe, welche nur Abiturienten als Lehrlinge einstellten. So einschneidend wirkte der Verlust des Besitzes durch die Inflation! –
Für die Falschmünzer war das goldene Zeitalter angebrochen. War es doch so leicht, die aus unedlem Metall, Zinn, Aluminium, hergestellten Münzen nachzuahmen, die Geldscheine nachzudrucken, auf die bei der milliardenweisen Anfertigung keine besondere Sorgfalt verwendet werden konnte. Fast in allen Städten gab es verschwiegene Keller mit geheimnisvollen Apparaten und Maschinen, die sich befleißigten, der Reichsdruckerei die Arbeit zu erleichtern. Falsche Geldscheine durchschwirrten das Land, und man gab sich kaum die Mühe, sie vom richtigen Geld zu unterscheiden. Glaubte jemand einen unechten Schein in der Tasche zu haben, so ging er in den nächsten Bäckerladen und kaufte ein Brot dafür. Der Kampf aller gegen alle nahm ganz bizarre Formen an.
Massenmörder hat es zu allen Zeiten gegeben. Kaum aber dürfte den blutigen Verbrechen die Menschenfresserei gefolgt sein, wie dies bei dem Massenmörder Haarmann in Hannover während der fünf Jahre der Inflation der Fall war. Dieser entmenschte Geselle wurde durch seine widernatürliche, homosexuelle Veranlagung zum Mörder. Er mordete von 1919 bis 1923 an die 25 junge Männer, deren Leichen er zerstückelte und als Schweinefleisch höchst billig an die notleidende niedere Bevölkerung verkaufte. Zwar waren seine Abnehmer nur Dirnen und Zuhälter, aber grausam und beschämend war die Tatsache, daß in einer hochstehenden Kulturnation Fälle von Menschenfresserei vorgekommen waren – eine Folge der Inflation und ihrer teuren Preise.
Hatte man vor den Toten keine Achtung mehr, so hatte man erst recht keine vor den Lebenden. Das Leben des Menschen galt nichts, keinen Deut mehr, um so höher aber bewertete der Straßenräuber alles das, was der lebende Mensch mit sich herumtrug. Sehr häufig waren die Fälle, daß einsame Wanderer nachts an entlegenen Stellen überfallen und splitternackt ausgezogen wurden. Dann ließ man sie laufen. Das Hemd, die Kleider, [273] die Schuhe, der Hut, all dies war eine kostbarere Beute als Milliardenscheine, für die man sich kaum einen Teil dieser Ausstattung kaufen konnte.
Im Jahre 1923 wurden fast zwei Prozent der gesamten strafmündigen deutschen Bevölkerung durch den Strafrichter verurteilt, während es 1912 kaum 0,9 Prozent, 1925 dagegen 5¼ Prozent waren. Fast eine Million Verurteilungen wurden 1923 ausgesprochen, während es 1912 und 1925 kaum 600 000 waren! 40 Prozent aller abgeurteilten Straftaten waren Diebstähle jeder Art. Auch Mord, Raub und Erpressung, Unterschlagung, Gewalt und Drohung gegen Beamte, Hehlerei, Glücksspiel und Lotterie wurden wesentlich [274] zahlreicher abgeurteilt als früher. So zeigte sich die Not der Inflation in der ungeheuren Zunahme aller Verbrechen gegen Leben, Geld und Eigentum.
War es nicht eine trostlose, wirtschaftliche und sittliche Zerrüttung, in der sich das deutsche Volk befand? Hier setzte man sich gewissenlos über alle sittlichen Bedenken hinweg, man bestahl, betrog, bewucherte, mordete seinen Mitmenschen und spottete aller göttlichen Vergeltung, dort stöhnte man in Verzweiflung und krümmte sich im Hungertode, setzte man seinem Leben selbst in Not und Elend ein Ziel. Hatte es [275] nicht den Anschein, als sollte das deutsche Volk endgültig zugrunde gehen an der Entfesselung all jener wilden Instinkte des Kampfes aller gegen alle? Das Verbrechen und der Tod waren gut organisiert. Der Glaube an alles Große, Befreiende, Göttliche, war durch den Hunger erdrosselt worden, und das von der Weltgeschichte gezeichnete Volk taumelte seinem Untergang entgegen. Das Geld allein beherrschte das Leben, wer es besaß, war der Mächtige, wer keines besaß, war zum Tode verurteilt.
Die Wissenschaft und ihre Kulturpioniere hatten unter grausamer Not zu leiden. Universitäten, wissenschaftliche Institute, Laboratorien, Bibliotheken, Sammlungen konnten nur die allergeringsten Mittel von Reich und Staat erhalten. Sie waren kaum lebensfähig, geschweige denn ausbaufähig. Wissenschaftliche Veröffentlichungen waren unmöglich. Doktordissertationen wurden nicht mehr gedruckt, alte, bedeutende Zeitschriften stellten das Erscheinen ein. Die Wissenschaft half sich selbst durch die von ihr gebildete Notgemeinschaft, welche alle Freunde der deutschen Universitäten in Landwirtschaft, Handel und Industrie vereinigte. Hierdurch kamen Spenden ein, welche die äußere Not abwendeten, andererseits bildete [276] sich ein festerer Zusammenschluß aller Freunde der Kultur über die Grenzen der Universität hinaus als Abwehrdamm gegen die drohend emporstrebende kulturlose Schicht der Neureichen, – dieser Neureichen in Staat und Wirtschaft.
In den Sommerferien 1921 arbeiteten etwa 10 000 deutsche Studenten in Bergwerken, Fabriken und auf Gütern, im folgenden Sommer war es bereits die sechsfache Anzahl, die sich auf diese Weise das Studium im Winter ermöglichte. Das war die jeunesse dorée Deutschlands, die nicht, getrieben von erschlaffender Genußsucht und Geldgier, Gütern nachjagte und sich an dem wahnsinnigen Taumel der Genießer beteiligte, die auch nicht alles verloren gab und das Leben in Ekel und Verzweiflung von sich warf, sondern die, auf sich selbst gestellt, die freudige Kraft in sich spürte, ihr Schicksal zu meistern! Das Doppelleben in Hörsaal und Werkstatt erforderte gewaltige seelische Opfer, enorme Opfer an Nervenkraft. Was aber wollte das besagen, wo es um das Schicksal der Nation ging auf ein Menschenalter, auf hundert Jahre oder länger hinaus, vielleicht auf ewig? Während alles versank, blieb die Macht der Kultur bestehen. Diese Fähigkeit zu Opfer und Entsagung, welche die Jugend der am härtesten betroffenen Volkskreise Deutschlands bewies, war die schützende Macht. Die deutsche Studentenschaft war das Bollwerk, welches verhinderte, daß die aufgewühlte Sturmflut der Inflation auch die deutsche Gesellschaft mit in den Abgrund riß. In Frankreich und Rußland brachten die großen politischen Revolutionen und die damit verbundene Inflation auch gewaltige, dauernde gesellschaftliche Umwälzungen mit sich, weil die führenden Schichten, die Träger der Kultur, entnervt und erschlafft waren, keine Kraft mehr besaßen. In Deutschland zeigte sich, daß die geistige Führerschicht, an der Adel, Bürger- [278] tum und Mittelstand teilhatten, einen granitenen Kern besaß und allen Stürmen gewachsen war. Aus diesem souveränen Stolz der Selbstbehauptung leitete die deutsche Studentenschaft das wohlbegründete Recht ihrer freien Selbstverwaltung und der Kritik an der demokratischen Verfassung und an ihren Nutznießern her. Auch hatte sich unter den Akademikern ein System der Selbsthilfe herausgebildet. Sie stellte billige Studentenwohnungen zur Verfügung, verschaffte wohlfeile Kohle und richtete akademische Speiseanstalten ein, in denen für wenig Pfennige eine gute und kräftige Mahlzeit geboten wurde. Auch an hochherzigen Zuwendungen reicher Deutsch-Amerikaner und Amerikaner fehlte es nicht. Die für diese Zwecke eingehenden Dollarspenden wurden ausschließlich für studentische Wohlfahrtszwecke verwendet. Auch Lesehallen wurden eröffnet, in denen man sich bis in die späten Abendstunden aufhalten konnte, um Licht und Heizung zu ersparen. –
[279] Durch die Umschichtung der wirtschaftlichen Verhältnisse ergaben sich weitere Schwierigkeiten im Wohnungswesen. Die Kriegsgewinnler, die Schieber und Neureichen begehrten große, herrschaftliche Wohnungen. Auch ein Teil der Arbeiter, die jetzt bessere und höhere Löhne erhielten, strebte nach größeren Wohnungen. Doch dies Moment war nicht sehr nachhaltig, denn Arbeiter und Angestellte verwandten meist ihren höheren Verdienst für bessere Ernährung und für Vergnügungen, in zweiter Linie für Kleidung und ganz zuletzt erst für Wohnung. Zudem kam hier die Unsicherheit des Arbeitsverhältnisses hinzu, die drohende Gefahr der Erwerbslosigkeit und der damit verknüpften Unfähigkeit, weiterhin eine große Miete zahlen zu müssen. Die Angehörigen des mehr und mehr verarmenden Mittelstandes dagegen versuchten ihre mittleren Wohnungen gegen Kleinwohnungen einzutauschen. Auch aus den oberen Schichten fand eine Abwanderung aus großen Wohnungen in mittlere statt, um der von der Behörde angeordneten Zivileinquartierung Wohnungsloser zu entgehen. Jedoch zeigte sich, daß die Abwanderung der oberen und mittleren Schichten in kleinere Wohnungen wesentlich größer und erheblicher war als das Streben der besser bezahlten unteren Schichten nach größeren Wohnungen. Hervorgerufen durch die Wirtschafts- und Währungsnot, ließ sich im deutschen Volke der vorherrschende Zug nach beschränkten kleinen Wohnungen deutlich erkennen. Viele allerdings mußten in ihren großen Wohnungen bleiben, da es nicht so viel Kleinwohnungen gab, wie gesucht wurden. Dieser Zwang führte dazu, daß die Inhaber großer Wohnungen einen Teil ihrer Räume an Untermieter weitervermieteten. Dies "Abvermieten" erwies sich bald als eine besonders gute Einnahmequelle, und viele in Not geratene Familien machten einen einträglichen Erwerb daraus, und es wurde bald festgestellt, daß das Unter- oder Aftermietwesen in Deutschland eine weitverbreitete Erscheinung war. Das Reich, die Länder und die Gemeinden versuchten auf die verschiedenste Weise, der Wohnungsnot abzuhelfen. Große Wohnungen wurden beschlagnahmt und mit "Zwangsmietern" belegt. Dieses System entwickelte sich bald zu einer Art [280] politischer Dragonade, indem sozialistische Gemeindebehörden in erster Linie kinderreiche Arbeiterfamilien in die gepflegten Wohnungen des wohlhabenden Bürgertums einquartierten. Dies geschah "von Amts wegen" in Tausenden von Wohnungen. Kasernen, Schulen, Hotels und studentische Verbindungshäuser wurden in Kleinwohnungen aufgeteilt, Lagerschuppen, Wagenremisen, Ställe, Dachböden und dumpfe Keller wurden als Wohnungen hergerichtet. Neue Häuser wurden kaum gebaut infolge der damit verbundenen ungeheuren Schwierigkeiten. Zunächst fiel die große Verteuerung des Bauens ins Gewicht. Anfang 1921 kostete die Errichtung eines Hauses das Zehn- bis Fünfzehnfache, zwei Jahre später über das Viertausendfache des Preises von 1914! Die Inflation entwertete das Geld, die Löhne waren gestiegen, die Arbeitsleistung war gesunken infolge des Achtstundentages, der allgemeinen Arbeitsunlust, der vielen Streiks. Vor allem herrschte ein großer Mangel an Baustoffen, besonders an Kohle, da diese durch den Friedensvertrag zum Zwecke der Reparationen an Frankreich abgeliefert werden mußten. So war die Unternehmungslust durch die Unsicherheit der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse aufs äußerste gehemmt. Wer auch hätte die ungeheuren Mieten bezahlen sollen, welche die Folge dieser allgemeinen Teuerung waren? Es war keine Seltenheit, daß ein Neubau, der vor dem Kriege in wenigen Monaten aufgeführt wurde, sich jetzt über Jahre erstreckte, ehe er fertiggestellt werden konnte. Bald fehlte es an Steinen, bald fehlte es am Geld, bald war wieder ein Streik ausgebrochen. Unterdessen heulte der Wind durch die kahlen Mauern, und Schnee und Regen sammelten sich in den hohlen Räumen und wurden von den roh aufgeführten Wänden aufgesogen. Es bildeten sich gemeinnützige Siedlungsgenossenschaften, deren Mitglieder solche Leute waren, die nach einer Wohnung verlangten. Oft wurden sie die Opfer betrügerischer Spekulanten. Vor den Städten entstanden Siedlungen, armselige, einstöckige Hütten, in langen, nüchternen Reihen aneinandergelehnt. Aus Lehm, Asche und Schlacke waren sie zusammengebacken, und es ereignete sich, daß die braunen Wände bei heftigem Gewitterregen sich in Brei verwandelten [281] und unter dem Dach davonflossen. Die großen Industriebetriebe und die Gutsbesitzer linderten die allgemeine Not dadurch, daß sie für ihre Angestellten und Arbeiter Siedlungshäuser errichteten, in denen sogenannte "Werkswohnungen" für ein, zwei oder mehrere Familien vorhanden waren. Leichte, hölzerne Lauben in den Schrebergärten, kaum nur einen einzigen kleinen Raum fassend, wurden als Wohnungen benutzt. In diesem einzigen Raume wurde gekocht, gewohnt und geschlafen, oft zu dritt, zu viert und zu fünft. Von den ausgemusterten Güterwagen der Reichsbahn wurden die Räder entfernt, während das Gehäuse, auf Sockel gesetzt, eine obdachlose Familie beherbergte. Einsiedler gingen sogar dazu über, sich im Walde oder auf dem Felde Höhlen und Unterstände zu schaffen, um so der Obdachlosigkeit zu entgehen. – Die Wohnungsnot war die furchtbarste und aufreibendste Folge der Inflation, und an ihr ist das Glück und die Existenz von Tausenden von Familien gescheitert. Männer verließen ihre Frauen, Brüder lebten mit ihren Schwestern in Blutschande. Es war eine elementare Not, der gegenüber die Menschen und ihre Regierungen machtlos waren. Das Reich, die Länder, die Gemeinden steuerten Millionen und Milliarden bei, um neue Wohnungen und Häuser bauen zu helfen. Doch umsonst! Der unerbittliche Moloch Inflation fraß diese Summen, ohne auch nur eine Spur zurückzulassen.
Inzwischen führte die Inflation und die damit verbundene Unfähigkeit, neue Häuser zu errichten, zwangsläufig zu Maßregeln, welche einer tatsächlichen Enteignung des Hausbesitzers so gut wie gleichkamen. Es war dies die Folge der von den bürgerlichen und proletarischen Mietern gemeinsam erhobenen Forderung auf Schutz der eigenen Wohnung. Das Reichsmietengesetz vom März 1922 sollte den Mieter gegen jede ungerechtfertigte Mietssteigerung schützen, dagegen dem Hausbesitzer die zur Erhaltung des Hauses erforderlichen Mittel geben. Dies war ohne Zweifel eine Tendenz, die gewisse Konflikte mit sich bringen mußte, besonders aus dem Grunde, da sich die Hauszinssteuer zwischen Mieter und Hausbesitzer geschoben hatte, welche zwar die Mieter belastete, aber dem [284] Besitzer seine Einkünfte schmälerte. Die heikle Frage wurde gelöst, indem man dem Besitzer jegliche Grundrente versagte, denn dies war ja die tatsächliche Auswirkung der Bestimmung, daß die Grundrente nach dem Friedensstande in vollkommen entwerteter Papiermark berechnet blieb, ohne durch irgendwelche Entwertungszuschläge erhöht werden zu können. Diese drakonisch harte Maßnahme zog das Elend aller Hypothekengläubiger nach sich, da ihre Kapitalien und Zinsen infolge der entwerteten Hausrente ebenfalls nicht im geringsten aufgewertet werden konnten. Das Gesetz gehörte zu denjenigen Maßnahmen der Regierung Wirth, welche den stark vorherrschenden sozialistisch-proletarischen Charakter dieses Kabinettes deutlich offenbarten. Unter seinem Einfluß kam es allmählich dahin, daß die Ausgaben für Miete, die vor dem Kriege durchschnittlich ein Fünftel aller Ausgaben für die Lebenshaltung betrugen, immer mehr auf ein verschwindendes Maß zurückgedrängt wurden auf Kosten der Besitzenden. Der wirtschaftlichen Knebelung des Hausbesitzes folgte bald auch die rechtliche. Mitte Mai 1923 nahm der Reichstag gegen die Stimmen der Deutschnationalen und Kommunisten und eines Teiles der Deutschen Volkspartei und des Zentrums das Gesetz über Mieterschutz und Mieteinigungsämter an, das vorläufig bis zum 1. Juli 1926 in Kraft bleiben sollte. Dem Hausbesitzer wurde prinzipiell das Kündigungsrecht entzogen. Nur in besonderen Fällen durfte er einen Mieter die Wohnung kündigen, z. B. wegen erheblicher Belästigungen des Hausbesitzers oder eines Hausbewohners oder wegen Mißbrauch der Wohnung. Eine Kündigung durfte nur auf dem Wege der Räumungsklage durchgesetzt werden. Man ließ auch in einigen Fällen, nicht in allen, Räumungsklage wegen Nichtzahlung der Miete zu. Ein Besitzer, der im eigenen, dringenden Interesse einen andern Gebrauch von seiner Wohnung machen wollte, sollte verpflichtet sein, nach dem Ermessen des Gerichts den Mieter für seine Umzugskosten zu entschädigen. Es waren für den Hausbesitz geradezu furchtbare Gesetze, die in der Notzeit der Inflation geschaffen wurden. Kaum ein anderer privatkapitalistischer Wirtschaftszweig wurde so seiner Besitzrechte in jeder Beziehung beraubt wie der städtische [285] Hausbesitz. Die Betroffenen setzten sich leidenschaftlich zur Wehr, aber ohne Erfolg. Sie protestierten gegen die "Bolschewisierung", wie sie es nannten, doch war es nach Lage der Dinge in Wirklichkeit keine Bolschewisierung, sondern ein gewisser Schutz gegen den drohenden Bolschewismus der Mieter. Diesen Schutz übten die Regierungen aus einer gewissen politischen Zweckmäßigkeit heraus in der Weise aus, daß sie ihn nicht den Besitzenden, sondern den Besitzlosen zukommen ließen, derjenigen Partei, welche die größere bolschewistische Gefahr in sich barg. Viele Hausbesitzer verkauften damals ihre Häuser an Ausländer. Die Überfremdung dieses Teiles des Nationalvermögens nahm erheblichen Umfang an. Nicht nur Engländer, Amerikaner, Dänen, Rumänen und andere Ausländer, sondern auch aus dem Osten zugewanderte Elemente kauften zu Spekulationszwecken Häuser zusammen, die sie für geringe Summen ihrer hochwertigen Devisen erhielten. Auf diese Weise beförderte die deutsche Wohnungsgesetzgebung, die einen inneren Schutz darstellen sollte, die Verschleuderung des deutschen Nationalgutes an das Ausland. Eine ungeheure Spannung zwischen Hausbesitzer und Mieter war die Folge all dieser Zustände. Beide betrachteten sich wie zwei durch eine höhere Gewalt aneinandergefesselte Todfeinde, die augenblicklich, wenn sie sich begegneten, bereit waren, auf Tod und Leben miteinander zu kämpfen. Ein regelrechter Kleinkrieg wurde geführt. Bald verübte diese Partei eine Attacke, bald ging jene zum Angriff über. In blinder Kampfeswut kehrte man sich nicht mehr an die verhängnisvollen Folgen des Hausfriedensbruches, man drang gegenseitig in die Wohnungen ein und schlug, stach, schoß sich halb oder ganz tot. Ging einer in den Keller, stand der andere mit der erhobenen Axt hinter der Tür und versuchte seinem Gegner den Schädel zu spalten. Die raffiniertesten Schikanen wurden gegeneinander erdacht und ausgeführt. Fenster wurden zertrümmert, Wohnungen verwüstet. Selbst Brandstiftungen gehörten nicht zu den Seltenheiten. Im großen ganzen hatte die schöne Sentenz: "Mein Haus ist mein Heim" die Variation erfahren: "Mein Haus ist meine Hölle." Man soll dem nicht entgegenhalten, daß die Verurteilungen [286] wegen Hausfriedensbruches im Jahre 1923 auf ein Drittel dieser Verurteilungen im Jahre 1912 zurückgegangen sei; wie ja denn überhaupt die Zahl der Verurteilungen wegen der Antragsdelikte (Hausfriedensbruch, Beleidigung, Sachbeschädigung, leichte Körperverletzung) nicht ganz zwei Drittel der Verurteilungen von 1912 erreichte (83 153 : 133 334). Sehr häufig wurden keine Anzeigen von der betroffenen Partei erstattet aus Angst, den Haß des Gegners zu steigern. Auch trugen die deutschen Gerichte in weitgehendem Verständnis durch Milde dieser traurigen Not der Deutschen Rechnung. Andererseits entlud sich der Groll des gequälten Volkes vor allem auch gegen die betreffenden Behörden. Die Mieteinigungsämter und Wohnungsämter wurden die Schauplätze schrecklichster Auftritte, und nie hat der Revolver eine so bedeutungsvolle Rolle gespielt wie bei der Regelung von Mietsstreitigkeiten. Der sanfteste Mensch wurde zum blutdürstigsten Tiger, der sich mit haßfunkelnden Augen auf seinen Gegner stürzte, sobald er in die Tür trat. Verzweifelte Bluttaten, herzzerreißendes Elend spielte sich ab. Besonders gefährlich wurden diese Vorgänge dadurch, daß sie stets mit einer politischen Note versehen wurden. Der Hausbesitzer sah in dem von ihm bekämpften Mieter gewöhnlich immer den "roten Hund", und viele Mieter bezeichneten ihren Gegner meist als "reaktionären Hausagrarier und Haustyrannen". Die kommunistische und sozialdemokratische Presse erläuterte dann derartige Vorgänge mit einem breiten, hetzerischen Kommentar. Wollten doch die Linksparteien nichts anderes, als aus der Not der Zeit die vollständige Sozialisierung des Hausbesitzes herbeiführen. – Viele Ströme von Blut und Tränen ergossen sich aus diesem Bette in die trübe Flut der Inflation!
Dadurch, daß sich das Reich durch Erzbergers Steuerreform die ergiebigsten Steuern vorbehalten hatte, vor allem aber die Einkommensteuer als sein Monopol betrachtete, waren Länder und Gemeinden, dieser ihrer besten Einnahmequelle aus früheren Zeiten beraubt, gezwungen, die ihnen verbleibenden Steuern vom Ertrag, Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern, übermäßig anzuspannen, wozu noch die für den besonderen Zweck der Linderung der Wohnungsnot geschaffene Hauszinssteuer oder Wohnungsbauabgabe kam. Geradezu erfinderisch wurden die Parlamente, wenn es eine neue Steuer zu ersinnen galt. Es gab Gemeinden, die besteuerten den Besitz eines Klaviers, das Halten von Dienstpersonal, ja sogar die Markisen vor den Schaufenstern der Kaufläden. In einigen Orten wurden auch die trunkfesten Männer und seßhaften Skatspieler zu ihrem Kummer mit Steuern bedacht, indem man von ihnen eine sogenannte Hockersteuer erhob, wenn sie nach einer bestimmten Stunde im Wirtshaus angetroffen wurden.
Dabei entsprach das Einkommen von fünf Millionen Papiermark einem solchen von 15 000 Goldmark.
Wer möchte leugnen, daß außer all den vielen anderen Nöten der Inflation auch die Steuerpolitik des Reiches, der Länder und Gemeinden sich zu einem wesentlichen Faktor der gegenseitigen Verbitterung, zu einer Quelle von Unzufriedenheiten, Vergehen und Betrügereien entwickelte? Die Besitzenden, welche sich der Überzeugung hingaben, daß ihr seit Generationen erhaltener Besitz täglich der Gegenstand neuer Bedrückungen und Opfer wurde, sannen darauf, sich ihren Verpflichtungen zu entziehen. Sie versuchten, den Steuern zu entfliehen, indem sie ihren Besitz zu niedrig einschätzten oder ihn über die Grenze ins Ausland brachten. Es bildete sich ein großartiges System der Kapitalflucht heraus, welches in wenigen Jahren Werte in der Höhe von sieben bis acht Milliarden Goldmark über die Grenzen abschob. Auch die drakonischsten Strafbestimmungen der Reichsregierung, welche geradezu mit Vermögenskonfiskation drohte, vermochten hieran nichts zu ändern. Die besitzlosen Lohnempfänger dagegen grollten, sie allein hätten die ganze Steuerlast zu tragen, ihnen könnte man das unzureichende Einkommen auf Heller und Pfennig nachrechnen, ihnen würden die Steuern bereits abgezogen, ehe sie ihren Lohn ausgezahlt erhielten, und so seien sie nicht in der Lage, auch nur einen Pfennig zu hinterziehen, wie dies die "Reichen", die Besitzer der Sachwerte, täglich im großen Stile täten! [291] Die Steuern der Inflation waren nicht zuletzt die Ursache, daß sich ein tiefer Grimm im Volke ausbreitete, ein Neid und eine Mißgunst der einzelnen Volksschichten gegeneinander, die in furchtbarer Weise alle sittlichen Grundlagen zerrütteten. Der Kaufmann schmähte den Beamten, der Arbeiter den Landmann, der Mieter den Hausbesitzer. Und wie die Wohnungsämter, so wurden die Finanzämter öfter zu Schauplätzen erschütternder Tragödien. Der Steuerzahler wurde von einem wilden Haß gegen das erbarmungslose, inquisitorische Vorgehen der Behörde gepackt, die ihrerseits von der unerbittlichen Not der Regierung getrieben wurde. Oft kam es vor, daß der ganze Besitz eines Mannes vom Finanzamt gepfändet und versteigert wurde, um rückständige Steuern einzuziehen. Der verzweifelte Steuerzahler stürmte mit dem Revolver auf das Finanzamt, griff die Beamten an, oder er kam mit seiner Familie und schoß sie und sich vor den Augen der Beamten tot. Wie viele offene und geheime Verzweiflungstaten quollen in jenen Jahren aus der blutigen Steuernot, in jenen grauenvollen Jahren, da das deutsche Volk nicht für sich arbeitete, sondern für den Moloch Inflation Frondienste tat! –
Oft war die Reichsbank gar nicht in der Lage, die genügende Anzahl von Scheinen mit den erforderlichen hohen Werten herzustellen. Dann mußten die Löhne und Gehälter in kleinen Werten gezahlt werden, was zur Folge hatte, daß [293] ungeheure Mengen davon gebraucht wurden. Im Jahre 1923 glichen die Empfangsräume der Banken gleichsam Bahnhofswartehallen. Die Kassierer der Behörden und Betriebe erschienen mit Koffern und Körben, in denen sie zentnerweise das bedruckte, beschnittene und gebündelte Papier verpackten, unbesehen und ungezählt. Dem glücklichen Gehaltsempfänger wurden dutzendweise gebündelte und stoßweise geschichtete Papiernoten ausgehändigt, die er ebenso unbesehen und ungezählt hinnahm. Da es unmöglich war, solche Mengen in Geldtaschen unterzubringen, wurden sie in Aktentaschen befördert. Oft kam es vor, daß Bankhäuser während der Geschäftsstunden schlossen, weil ihr Papiervorrat erschöpft war. Waggonweise wurden die Banken täglich von der Reichsbank mit dem Zettelgeld des Reiches beliefert. Einige zaghafte Versuche wurden auch mit der Ausgabe von Metallgeld gemacht. Man wählte, in verständiger Würdigung, hierzu ein leichtes und billiges Metall, dessen erste Eigenschaft dem Empfänger, die zweite dem Hersteller, dem Reich, zustatten kam: man stanzte Aluminium in Münzform. So erschienen 1922 Fünfzigpfennigstücke, die auf der Rückseite vor einer Ährengarbe die Devise "Sich regen bringt Segen" führten. 1923 gab es kleine Aluminiummünzen über 200 Mark, deren Rückseite den Reichsadler zeigte mit der Umschrift: "Einigkeit und Recht und Freiheit." Dieses federleichte Idealgeld hatte nur den einen Fehler, daß hundert von ihm auf eine Goldmark gingen schon zur Zeit der Ausgabe. Wer 2000 Mark in Zweihundertmarkstücken in der Tasche trug, war keineswegs vom Gewicht beschwert.
Kluge Praktiker verkauften die Masse kleiner Geldscheine, welche im täglichen Leben nicht mehr verwendet wurden, als Altpapier an den Lumpenhändler und erzielten einen Erlös, der vielleicht doppelt, dreimal oder noch größer war als der Nennwert der unbrauchbaren Scheine! Was keine Bank vermochte, das brachte der Lumpenhändler zustande: er verzinste das Kapital in einer bis dahin ungekannten Weise! – Andere wieder zündeten sich die Zigarette mit Tausendmarkscheinen an, da diese im Kurs niedriger standen als Streichhölzer, oder sie hefteten ein Bündel Banknoten [294] zusammen, um einen billigen Notizblock zu haben! Witze, wie sie schon zur Zeit der französischen Revolution umherschwirrten, lebten wieder auf: man erteilte einander den Rat, die Wohnräume mit Reichsbanknoten zu tapezieren, da es augenblicklich keine billigere und zeitgemäßere Wandbekleidung gebe!
"Unsere Mark ist bis auf einen winzigen Bruchteil des Friedenswertes gegen den Dollar gesunken. Diese Entwertung der Mark schmälert immer mehr die Einfuhr notwendiger Rohstoffe und Lebensmittel und läßt die Preise im Inland sprunghaft in die Höhe schnellen. Dies alles bedeutet eine ungeheure Umschichtung der Lebenslage unseres Volkes, wie sie noch nie in so kurzer Zeit erlebt wurde, Entschuldung derjenigen, die Goldmarkschulden in Papiermark zurückzahlen, Enteignung der Gläubiger, die an Privatleute und besonders an den Staat hochwertige Mark in gutem Glauben hingegeben haben. Löhne und Gehälter können bei weitem nicht dem Sinken des Geldwertes angemessen werden, die Mark hat ihre Geltung als Mittel der Werterhaltung und ‑bemessung verloren. Die Folge ist, trotz des äußeren auf die Papiermark gegründeten und daher irreführenden Scheins der Prosperität mancher Unternehmungen, fortschreitende Minderung der Substanz, ist steigende Kreditnot, die alsbald die Beschaffung von Rohstoffen und damit die volle Beschäftigung der Arbeiter gefährdet, ist eine außerordentlich gesteigerte Nachfrage nach ausländischen Zahlungsmitteln, verabscheuenswürdig da, wo nur für spekulative Zwecke gekauft wird, volkswirtschaftlich berechtigt bei den mit der Einfuhrwirtschaft verbundenen Betrieben, ist ferner die Tötung des alten Sparsinns, eine vielfach unberechtigte Flucht in Waren, und zwar nicht bei dem breiten Durchschnitt des Volkes, dessen Lebenshaltung immer [295] tiefer sinkt; in gewissen Kreisen eine für Volkswirtschaft wie Volkssitte gleich schädliche Flucht in den Genuß mit all den unerfreulichen Bildwirkungen, die im Inland verbittern, den ausländischen Beobachter aber irreführen." Und am 9. Juni 1923 erklärte Cuno:
"Die Verworrenheit unserer Wirtschaftslage hat wertvolle Schichten unseres Volkes zum Sinken gebracht und weiterhin schwere Not verbreitet. Manche häßliche Erscheinung von Wohlleben und Ausschreitungen erregen die Notleidenden nicht allein gegen diejenigen, die solche Erscheinungen zur Schau tragen, sondern auch gegen den Staat, dem man Mangel an Willen und Kraft zum Vorwurf macht." Cunos Nachfolger, der Reichskanzler Dr. Stresemann, wies besonders auf den Untergang der deutschen Kulturschicht hin. Am 22. August gewährte er dem Arbeitsausschuß des Schutzkartells für die notleidende Kulturschicht Deutschlands eine Unterredung, in der er sagte:
"Der Verlust der Kulturschicht, zu deren Ersetzung wir sehr viel längere Zeit brauchen als zum Aufbau von Ruinen, ist für uns völlig untragbar. Ich erkenne durchaus die Pflicht des Staates an, diesen Schichten in erster Linie zur Seite zu stehen, denn wenn diese Schichten ins Elend gekommen sind, so sind sie in erster Linie ins Elend gekommen wegen ihrer Staatsgesinnung. Sie waren die Träger des Patriotismus, sie waren die Träger der Kriegsanleihen, damit vor allem auch die Träger all der Vermögen, die dahingeschwunden sind. Sie waren ferner die Träger der seelischen Auffassung des deutschen Lebens, die sich nicht in Spekulationen, sondern in Spareinlagen und Hypothekeneinlagen äußerte; und alles, was in Deutschland an Vermögenswerten dahingeschwunden ist, hat diese Schicht getragen, die von der Spekulation nichts wissen wollte, die nichts anderes wollte als eine gesunde Vermögensgrundlage aus dem Ertrag eines arbeitsreichen Lebens. Wenn der Staat nicht in der Lage war, diesen Währungsverfall, die Folge eines verlorenen Krieges und einer brutalen Weitervergewaltigung des deutschen Volkes, die sich bis in die letzten Tage weiter auswirkt, aufzuhalten, so hat der Staat mindestens die Verpflichtung, diejenigen, die in diese Notlage gekommen sind, in erster Linie bei der Gesetzgebung zu berücksichtigen, hindernd und [296] fördernd, hindernd, indem er sie vor weiterer Belastung schützt, aber auch fördernd in der Wiedererlangung ihrer Stellung... Infolge unseres Währungsverfalles sehen wir auf der einen Seite eine immer größere Zusammenfassung der ganz starken Kräfte und auf der andern Seite eine immer größer werdende Zahl der abhängigen Existenzen... Eine starke geistige Mittelschicht in Deutschland ist auch ein Aktivposten in unserer auswärtigen Politik... Der Wiederaufbau wird nicht kommen auf der Grundlage der Wirtschaft und Politik, wenn ihm nicht der Wiederaufbau der geistigen Kräfte in unserem Vaterlande vorangeht." Die Reichsregierung versuchte, soweit es in ihrer allerdings sehr beschränkten Macht stand, die täglich sich vergrößernde Not nach Möglichkeit zu lindern. Sie gab Unterstützungen an verarmte und erwerbsunfähige Rentner, sie stellte Summen zur Verfügung, die zur Verbilligung der notwendigsten Lebensmittel verwendet wurden. Um die Beamten einigermaßen vor der Geldentwertung zu schützen, wurde statt der vierteljährlichen, die monatliche Gehaltszahlung eingeführt, wobei man durch Vor- und Nachschüsse die Inflationsverluste auch während dieser kurzen Spanne möglichst herabzumindern suchte, ein Verfahren, das übrigens auch in den Privatbetrieben angewandt wurde. Ja, bei vorgeschrittener Inflation ging man zu vierzehntägiger, oder gar wöchentlicher Gehaltszahlung über. In Form von Vorschüssen wurden Beträge in namhaften Höhen ausgezahlt, die aber bereits zum Termin der ordentlichen Gehaltszahlung derart entwertet waren, daß ihr Abzug gar nicht mehr empfunden wurde. Andererseits aber konnte das Reich auch gewissen Härten nicht aus dem Wege gehen. Die ständige Erhöhung der Beiträge zur Sozialversicherung, der Eisenbahnfahrpreise und Postgebühren wurde vom Volke mit Unmut hingenommen. Seit dem April 1923 wurden die Steuern der Geldentwertung angepaßt und wertbeständig festgesetzt, um die großen Verluste des Reiches infolge verzögerter Steuerzahlung zu vermeiden.
Auch der Kampf gegen den Wucher wurde von den Regierungen des Reiches und der Länder aufgenommen. Im September 1922 waren die Lebensmittelpreise bereits auf den dreihundertfachen Vorkriegspreis gestiegen. Die Linksparteien beschuldigten in gewissenloser Weise die Landwirtschaft des Lebensmittelwuchers. In Wahrheit waren es jene dunklen Zwischenhändler in den Städten, jene Neureichen, jene Lebensmittelschieber, welche die Waren an sich rafften und dann zu ungeheuren Preisen verkauften. Dieser früher unbekannte, verbrecherische Typ der Inflationsdrohnen, den ich bereits oben schilderte, schob sich in Gestalt von Aufkäufern und Großhändlern zwischen den ländlichen Erzeuger und den städtischen Verbraucher und verteuerte die Lebensmittel in ungeheuerlicher Weise. Was nützten die Drohungen der Regierung, die Strafen, die von den Gerichten verhängt wurden? Diese Bande von Wucherern ohne Ehre und Scham ließ sich [298-299=Tabelle] [300] durch keine Strafe von ihrem anrüchigen Handwerk abschrecken, wurde doch in der Auffassung dieser Leute ein Jahr Gefängnis vollkommen aufgewogen durch einen Verdienst von Hunderttausenden, der meist schon in Sicherheit gebracht war, ehe ihn der Staat konfiszieren konnte. Immerhin wachten Wuchergerichte, die nach den Bestimmungen der Verordnungen gegen die Preistreiberei arbeiteten, darüber, daß die Preise nicht höher stiegen, als dies mit einem verhältnismäßigen Anstieg der Löhne und Gehälter in Einklang zu bringen war. Vielfach wurden aber hierdurch die ehrlichen Kaufleute in ihrer Existenz erschüttert, während die richtigen Wucherer kaum gefaßt werden konnten.
Diese rein formale Gleichsetzung von Goldmark und Papiermark war die Quelle all des vielen Elends, das den deutschen Mittelstand und die deutsche Kulturschicht traf. So machten sich Bestrebungen bemerkbar, welche diesem drückenden Zustande auf gesetzlichem Wege ein Ende bereiten wollten. Anfang Juli 1923 legte Dr. Düringer, ein Abgeordneter der Deutschen Volkspartei, dem Reichstag einen Gesetzentwurf zum Schutze der Hypothekengläubiger vor. Hier aber versagte die Reichsregierung. Der Reichsjustizminister Dr. Heintze bekämpfte den Entwurf als undurchführbar. Schwere Erschütterungen müßte ein solches Gesetz für die Wirtschaft mit sich bringen, da ihr hierdurch neue Zinslasten auferlegt würden zu einer Zeit, in der sie überhaupt kaum lebensfähig sei. Auch der spätere Reichsfinanzminister Hilferding, der dem unabhängigen Flügel der Sozialdemokratie angehört hatte, bekämpfte entschlossen jede Aufwertung. Wenn etwas dieser Art in Frage käme, so könne es sich lediglich um eine rein charitative Fürsorge für die Enteigneten handeln. Die Sozialdemokratie mußte ja aus Prinzip den Verfall der Kapitalvermögen als einen großen Fortschritt auf ihrem Wege zur Sozialisierung des Privatbesitzes betrachten! Auch das Reich und die Staaten erklärten kurzerhand ihre Unfähigkeit, zeitgemäße, der Geldentwertung angepaßte Zinsen für Vorkriegsanleihen aufbringen zu können. So opferte das Deutsche Reich seine Sparer, weil man keine Möglichkeit sah, die Mittel zur Tilgung goldwerter Schulden und ihrer Zinsen zu beschaffen. Erst am 23. November 1923, nachdem die Rentenmark eingeführt war, bejahte das Reichsgericht in einer Entscheidung die rechtliche Zulässigkeit der Aufwertung von hypothekarisch gesicherten Darlehnsforderungen auf Grund des Bürgerlichen Gesetzbuches § 242, der von der Beachtung von Treu und Glauben durch den Schuldner handelt. – Man hat häufig gegen die deutschen Reichsregierungen im Inland und Ausland den Vorwurf erhoben, sie hätten absichtlich die Inflation herbeigeführt oder befördert, um sich [302] den Versailler Verpflichtungen zu entziehen und um den deutschen Besitz zu zerstören. Diese Vorwürfe waren ungerecht. Die Inflation war eine Art höherer Gewalt, eine notwendige Folge des verlorenen Krieges, eine Folge des auf utopischen Illusionen aufgebauten grenzenlosen Trugschlusses der Sozialdemokratie von der allgemeinen Völkerversöhnung und der Beseitigung des Klassenstaates, sie war das Produkt, das mit geschichtlicher Notwendigkeit sich ergab aus der ganzen gewitterschwülen Atmosphäre des zwanzigsten Jahrhunderts. Sie war, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf, die Lava all der politischen und sozialen Vulkane, die seit Jahrzehnten unter dem Abendlande wühlten und schütterten. Weit mehr als die Inflation des bolschewistischen Rußland, war die deutsche Inflation eine europäische Katastrophe von generellem Charakter, traf sie doch eines der kulturell und wirtschaftlich am höchsten entwickelten Völker.
[303] Der Ruhreinbruch der Franzosen und das damit verbundene weitere unaufhaltsame Sinken der Mark zeigten auch dem hoffnungsfreudigsten Optimisten zweierlei: erstens, daß an eine Hilfe des Auslandes überhaupt nicht mehr zu denken war, und zweitens, daß es verlorene Liebesmühe war, die schrecklich gestürzte Mark zu retten oder sie gar aufzurichten. So blieb dann nur noch ein letzter Ausweg übrig, nämlich der, daß Deutschland aus sich selbst von innen heraus eine neue gesunde Währung hervorbrachte. Mannigfach waren die Versuche, welche seit dem Frühjahr 1923 hierin unternommen wurden. Der Ruf des Volkes nach wertbeständigen Zahlungsmitteln wurde immer lauter. Die Industriewerke gaben Schuldverschreibungen heraus, die nicht mehr auf Mark, sondern auf Zentner Kohle lauteten. Die landschaftlichen Banken gaben Pfandbriefe nicht mehr auf Mark, sondern auf Zentner Roggen heraus. Diesem Beispiel folgte die Reichsregierung, als sie Ende Juli eine sogenannte wertbeständige Anleihe auflegte, welche den breitesten Volksschichten die Möglichkeit bieten sollte, das Sparbedürfnis zu befriedigen, sich gegen die Entwertung zu sichern und so dem ungesunden Ansturm auf Warenvorräte und Devisen entgegenzuwirken. Neben dieser Roggenrentenanleihe wurde eine Roggenzwangsanleihe ausgegeben, die nach der Verordnung vom 25. August mit Devisen und anderen ausländischen Vermögensanteilen bezahlt werden und zur Sicherung der Brotversorgung verwandt werden sollte.
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