Die ostdeutsche Wirtschaftslandschaft und ihre Zerstörung durch das Diktat von Versailles (Teil 2) Walter Geisler Das Wesen der Wirtschaftslandschaft Wir haben eingangs festgestellt, daß der Anteil Ostdeutschlands am Mittelgebirge zu einer besonderen wirtschaftlichen Entwicklung Anlaß gegeben hat. Es waren deutsche Siedler, die erstmalig den Sudetenraum betraten und in kühner Pionierarbeit die Schätze des Bodens hoben. Im Laufe der Jahrhunderte wurde durch den Gewerbefleiß der Handwerker und den Unternehmungsgeist der Knappen aus einer unbewohnten Sperrlandschaft ein dichter besiedeltes Kulturland, als es selbst das fruchtbare Schwarzerdgebiet der Breslauer Bucht ist. Ein fremdes Volkstum hat daran keinen Anteil. Es wird des öfteren behauptet, daß an der Entwicklung des oberschlesischen Bergbau- und Industriegebietes Polen von jenseits der Grenze beteiligt gewesen seien. Die Bevölkerung Oberschlesiens sei viel zu schwach für diese schnelle Entwicklung gewesen. Man vergißt dabei, auf den hohen Geburtenüberschuß Oberschlesiens hinzuweisen, der den Reichsdurchschnitt weit überschreitet. Außerdem sind, und zwar nicht erst seit dem zwanzigsten Jahrhundert, deutsche Fachleute aus anderen Teilen des Reiches herangezogen, wie es die Entwicklung dieses Bergbau- und Industriegebietes erforderte. Nur böswillige Verleumdung kann in diesem natürlichen Vorgang eine gewaltsame Germanisierung sehen wollen. Dabei ist die Feststellung richtig, daß in den Kreisen Beuthen, Kattowitz, Hindenburg, Königshütte und Tarnowitz im Jahre 1781 nur 12.300 Menschen lebten, im Jahre 1871 aber schon fast 254.000 und im Jahre 1910, dem Jahre der letzten Volkszählung vor dem Kriege, waren es 835.000. Im Jahre 1804 besaß keine oberschlesische Stadt mehr als 4.000 Einwohner; 1919 hatte sich die Zahl der größeren Städte mindestens verzehnfacht. Die Entwicklung, die also erst in preußischer Zeit beginnt, zeugt wohl von großer Tatkraft und weitschauender Wirtschaftsführung, war aber nicht einmal stürmisch genug, um den Wanderungsverlust allein von Schlesien aufzunehmen, der für die sieben Jahrzehnte von 1840 bis 1910 auf 693.400 errechnet worden ist. Das oberschlesische Industriegebiet hat sich in organischer Entwicklung als Teilgebiet des Deutschen Reiches herausgebildet und verdankt seinen Aufstieg gerade eben der Zugehörigkeit zum Gesamtorganismus des Deutschen Reiches. Es bildet mit den anderen Industriegebieten Schlesiens den einen Lungenflügel des industriellen Deutschlands. Hat Oberschlesien Stein- [158] kohlenbergbau und Schwerindustrie, so besitzt der Sudetenraum eine gemischte Industrie, die durch Textilbranche und Porzellanmanufaktur ihre besondere Note erhält. Dazu gesellt sich die Industrie der Lausitz, die auf der Braunkohle aufgebaut ist, während der Waldenburger Bezirk über Steinkohle als Kraftstoff verfügt. Als Handelsmittelpunkt entwickelte sich in verkehrsgeographisch günstiger Lage Breslau. Die Industrie der Steine und Erden verbindet gewissermaßen die einzelnen Industriegebiete miteinander. Es versteht sich von selbst, daß sich so große Bergbau- und Industriegebiete nur im Rahmen eines großen und leistungsfähigen Wirtschaftsorganismus gedeihlich entwickeln können. Den gesamten industriellen Aufbau hat der Osten innerhalb des Reiches erlebt. Die wirtschaftliche Entwicklung des Ostens kann man von der Neuordnung der politischen Verhältnisse durch den Wiener Kongreß ab bis zum Weltkriege in zwei große Abschnitte gliedern. Die Entwicklung Schlesiens war der des übrigen Ostdeutschland in dem ersten Abschnitt, der bis 1871 dauerte, aus Gründen der natürlichen Ausstattung und der geschichtlichen Ereignisse vorausgeeilt. So war Schlesien schon zu Beginn dieses Abschnittes ein gut erschlossenes Bauernland mit den Anfängen der Industrie. So kommt es, daß sich Niederschlesien in der Zeit von 1816 bis 1871 nur um 70 v.H. vermehrt hat, während sich in der gleichen Zeitspanne Ostpreußens Bevölkerung um 125 v.H. und die Westpreußens sogar um 152 v.H. vermehrt hat. Der Nordosten mußte in dieser Zeit erst den Vorsprung Schlesiens einholen; denn der Nordosten war ja erst durch die beiden ersten Teilungen Polens politisch zu einem einheitlichen Raum zusammengewachsen, lag doch damals Ostpreußen sehr entlegen und waren die früher polnischen Gebiete arg heruntergewirtschaftet. Durch diese starke Innenkolonisation entwickelten sich insbesondere auch die Mittel- und Kleinstädte, die von ihrem engeren Hinterlande in besonderem Maße abhängig sind. Das war um so wichtiger, als in dieser Zeit eine Strukturwandlung des Tuchmachergewerbes vor sich ging, als deren Folgeerscheinung sich die moderne Textilindustrie an bestimmten Stellen zusammenballte. In den Jahren 1815 bis 1830 erlitt vor allem die Tuchmacherei in Polen infolge der russischen Zölle schwere Rückschläge. Damals wanderten Zehntausende von Tuchmachern aus und siedelten sich innerhalb des russischen Zollgebietes in und um Lodz an. Dennoch konnte die Provinz Posen ihre Bevölkerung bis 1871 um 136 v.H. vermehren. Der gesamte Osten hat in dieser Zeitspanne um 110 v.H. zugenommen, während das übrige Reich seine Bevölkerung nur um genau die Hälfte des Prozentsatzes, nämlich um 55 v.H., erhöhen konnte. Der gesamte Osten hatte im Jahre 1816 4.787.000 Einwohner, im Jahre 1871 schon 9.980.000 Einwohner und im Jahre 1910 13.078.000 Einwohner. Wir ersehen aus dieser Zahl, daß sich in dem zweiten Abschnitt die Bevölkerung nicht mehr in demselben Tempo vermehrte sondern in dem gesamten Raume nur noch um 31 v.H. gegen 68 v.H. im übrigen Reich. Die Gründe hierfür liegen in der verstärkten Industrialisierung im übrigen Reiche und in der Abwanderung der Bevölkerung aus dem Osten. In dem zweiten Abschnitt macht die Landwirtschaft weitere Fortschritte. Man geht zur Fruchtwechselwirtschaft über, und die Düngung mit chemischen Mitteln findet überall Eingang. Ostdeutschland behält seinen rein agrarischen Charakter mit Ausnahme eben der schlesischen Industriegebiete. Man kann hier den Vorwurf erheben, daß für die industrielle Entwicklung Ostdeutschlands nichts getan worden ist. Wir wissen heute, daß dadurch schwere Fehler gemacht worden sind. Aber das Zeitalter des Hochkapitalismus und des Liberalismus hatte für volkspolitische Aufgaben keinen Sinn. [159] Wollen wir die Wirtschaftslage Ostdeutschlands begreifen, so können wir das nur tun, indem wir den Osten als Teilraum des Gesamtorganismus betrachten. Wir sind uns wohl darüber klar, daß in der Vorkriegszeit so gut wie keine Planwirtschaft bestand, aber die Wirtschaft hatte sich doch innerhalb des Reichsgebiets irgendwie aufeinander eingestellt, und das trotz der
Es ist noch heute die irrige Ansicht vertreten, daß die Voraussetzungen für die Landwirtschaft in Ostdeutschland infolge der Böden und des Klimas ungünstig seien. Diese Ansicht hat in der Vergangenheit verhängnisvolle Folgen gehabt. Wohl ist die Vegetationsperiode im Osten kürzer als im Westen, aber der gebirgige Charakter des Westens gleicht diesen Unterschied regional wieder aus. Vor allem aber hat Norddeutschland den Vorteil der Tiefgründigkeit des Bodens gegenüber dem Mittelgebirge.
Die natürlichen Grundlagen der Landwirtschaft ermöglichen sowohl Ackerbau als auch Viehzucht. Die Verschiedenheit der Bodengüte und die territoriale Entwicklung haben überdies den Großgrundbesitz entstehen lassen, der mit Ausnahme von Mecklenburg in [160-161=Abb.] [162] diesem Ausmaße im übrigen Reich nicht anzutreffen ist. An einen strukturellen Ausgleich der Größe der landwirtschaftlichen Betriebe hatte man nicht gedacht. So blieb dann auch aus diesem Grunde die Bevölkerungsdichte des deutschen Ostens viel zu
Vor dem Weltkriege hat Ostdeutschland nur geringe wirtschaftliche Beziehungen zu Rußland gehabt, da bei dem östlichen Nachbarn die landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht abgesetzt werden konnten. Selbst die schlesische Industrie fand ihre wichtigsten Abnehmer im deutschen Osten selbst. Das wirtschaftliche Gesicht der ostdeutschen Landesteile, auch der, die wir 1918 verloren haben, war nach Westen ins Reich gerichtet. Besonders wichtig ist es aber, daß der Verkehr der ostdeutschen Provinzen untereinander bei weitem an erster Stelle stand. Die Verkehrsstatistik beweist die Einheitlichkeit des ostdeutschen Raumes. Einige Tatsachen mögen zur Veranschaulichung angeführt werden. Durch die Entwicklung des oberschlesischen Industriebezirkes hatte auch die oberschlesische Landwirtschaft einen nahegelegenen und aufnahmefähigen Absatzmarkt gefunden. Die starke Vermehrung der Bevölkerung hatte der Landwirtschaft einen starken Impuls gegeben, und die leichten Böden eignen sich besonders für den Anbau der Kartoffel. Aber auch der Gemüsebau ist auf dem linken Oderufer wesentlich durch die Entwicklung des Industriegebietes gefördert worden. Die Forstwirtschaft der gebirgigen Teile Schlesiens hat in den Bergwerken Oberschlesiens einen guten Abnehmer gefunden. Zwischen Niederschlesien und Posen hatten sich weitgehende Wechselbeziehungen angebahnt. Die ausgedehnte
Die einzelnen Teile des Nordostens standen in gleicher Weise in enger wirtschaftlicher Wechselbeziehung. Die ostpommersche Landwirtschaft hatte ein wichtiges Absatzgebiet für Kartoffeln sowie für Vieh und Saatgut in Posen und Westpreußen, wo sich zahlreiche Kartoffelveredlungsfabriken entwickelt hatten. Besonders wichtig war die räumliche Einheit des Ostens selbstverständlich für Ostpreußen. Man hat den Verkehr mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen zwischen Ostpreußen und den abgetrennten Gebieten für das Jahr 1913 auf 220.000 Tonnen berechnet. Je nach dem Ausfall der Ernten in den einzelnen Gebieten konnte der fehlende Bedarf aus nächster Nähe gedeckt werden. Der ostpreußische Viehabsatz war erheblich und betrug im Jahre 1913 rund 191.000 Stück, waren doch die Brennereiwirtschaften in Westpreußen Abnehmer für das ostpreußische Magervieh, um ihre Schlemperückstände zu verwerten.
Wie notwendig für eine gesunde Entwicklung des deutschen Ostens die Unverletzlichkeit des Raumes war, zeigt sich am deutlichsten in der Verkehrspolitik. War es verhältnismäßig einfach, die einzelnen Teile Ostdeutschlands mit Berlin beziehungsweise dem mittleren Deutschland zu verbinden, so war die Frage der Nordsüd-Verbindungen nur durch die Vermitt- [163-164=Abb.] [165] lung des Posener Landes befriedigend zu lösen. So hatte sich denn in der Vorkriegszeit die Stadt Posen zu einem Verkehrsmittelpunkt des deutschen Ostens entwickelt, der die Vermittlung zwischen den ostdeutschen Provinzen übernahm.
Die Zerstörung des einheitlichen Wirtschaftsraumes Die gedeihliche Entwicklung des deutschen Ostens wurde durch die territorialen Bestimmungen des Vertrages von Versailles mit einem Schlage unterbrochen. Der deutsche Osten wurde durch diese Bestimmung völlig vernichtet, verlor er doch über 5.100.000 Hektar und über 4.375.000 Menschen. Diese Zahlen bedeuten, daß der deutsche Osten 28 v.H. seiner Fläche und 31 v.H. seiner Bevölkerung verloren hat. So furchtbar diese Zahlen auch sein mögen, so werden durch sie doch die schweren Wunden nicht annähernd gekennzeichnet. Die Tragik liegt eben darin, daß der geschlossene Wirtschaftsraum in zwei Halbinseln und eine Insel aufgelöst wurde. Dadurch wurden die verursachten Schädigungen in ihren Auswirkungen noch katastrophaler. Die Industriegebiete Schlesiens gerieten ebenso in eine vernichtende Frachtenferne zum einzig möglichen Absatzgebiet des Reiches wie die landwirtschaftlichen Gebiete Ostpommerns. Ostpreußens Lage wurde nicht nur durch die Frachtenferne an sich noch viel empfindlicher getroffen, als vielmehr durch die Tatsache der territorialen Abtrennung, durch die der Transport von Personen und Gütern von einer fremden Macht abhängig wurde. Die flammenden Proteste der ostdeutschen Bevölkerung gegen die Vergewaltigung ihres Selbstbestimmungsrechtes haben im Verein mit der Aufdeckung von Kartenfälschungen schließlich dazu geführt, daß das urdeutsche Danzig mit der von deutschen Bauern besiedelten Deltaebene zur Freien Stadt erklärt wurde und daß in Masuren und Oberschlesien eine Volksabstimmung verfügt wurde. Der Ausgang dieser Volksabstimmung hat deutlich den einheitlichen Charakter der Bevölkerung Ostdeutschlands erwiesen, einer Bevölkerung, die sich ihrer schicksalhaften Verbundenheit in dem gleichen Wirtschaftsraume sehr wohl bewußt ist. Obwohl sich über 60 v.H. der oberschlesischen Bevölkerung für Deutschland erklärt hatten, wurde Oberschlesien dennoch geteilt. Die Absicht ist klar erkennbar, wenn man sich die hohe Verkehrsbedeutung des Raumes der Mährischen Pforte vergegenwärtigt und die Tatsache, daß in den abgetrennten Teilen Oberschlesiens die weitaus größten Steinkohlenvorräte liegen, nämlich nicht weniger als über 90 v.H. der Vorkommen! Polen erhielt von den Pro- [166] duktionseinrichtungen der Steinkohle 74,4 v.H., 81 v.H. der Zinkblende, 72,5 v.H. der Bleierz-, 62 v.H. der Roheisen-, 69 v.H. der Rohstahl- und 78 v.H. der Walzwerkproduktion. Der einheitliche und sehr empfindliche Wirtschaftsorganismus des oberschlesischen Bergbau- und Industriegebietes wurde rücksichtslos in zwei Teile zerschnitten. Was als Ganzes in einem wohlgeordneten Industriestaate lebenskräftig erhalten werden konnte, wurde zu einem Teile dem Agrarstaate Polen zugewiesen, dem nicht nur jede Erfahrung fehlte sondern in dem auch die Voraussetzung für die gedeihliche Entwicklung eines Industrieraumes nicht gegeben war. Daß dem so war, zeigte sich sehr bald in den Absatzschwierigkeiten Ostoberschlesiens bezüglich der Steinkohle. Da sie in eigenem Lande nicht verbraucht werden konnte, mußte sie auf der eigens zu diesem Zwecke mit französischem Gelde gebauten Kohlenmagistrale nach dem neu errichteten Konkurrenzhafen zu Danzig, nämlich Gdingen, gebracht werden. Der natürliche Weg wäre der auf der Oder nach Stettin, so weit die Kohle nicht schon in Deutschland verbraucht worden wäre. Das Beispiel zeigt deutlich den Zusammenhang der oberschlesischen Probleme mit denen des Korridors; denn die Hauptfracht nach Gdingen besteht aus dieser oberschlesischen Kohle. Außer Ostoberschlesien ist fast die gesamte Provinz Posen und der größte Teil der Provinz Westpreußen Polen zugeteilt worden. Damit sind die wichtigsten Korn- [167=Karte] [168] kammern des deutschen Nordostens verloren gegangen, nämlich die Geschiebemergelflächen Kujawiens und des Kulmerlandes, und in Kulmsee stand auch die größte Zuckerfabrik des Ostens. Die Schädigungen des deutschen Wirtschaftsorganismus sind aber durch diese Tatsache allein nicht erfaßt, sondern wir müssen uns vergegenwärtigen, daß durch die Herausschneidung dieser großen Gebiete die Wirtschaft des Ostens aus den Fugen geriet, da, wir wie gesehen haben, sich eine enge innere Verflechtung zwischen den einzelnen Gauen herausgebildet hatte.
Mit der gleichen Rücksichtslosigkeit hat man aber auch die Verkehrswege und Eisenbahnlinien zerschnitten, so daß die Verbindungen der Landstädte zu den größeren Städten in empfindlicher Weise verlängert wurden. So betragen die Bahnentfernungen von Guhrau nach Breslau vor der Grenzziehung 21 Kilometer und nach der Grenzziehung 133 Kilometer. Noch schlimmer wirken sich die
Ja man hat sogar Hunderte von Gemeindefluren durch die politische Grenze zerschnitten, nämlich in Ostpommern in 4 Kreisen 24 Gemeinden, in der Grenzmark in 7 Kreisen 77 Gemeinden, in Niederschlesien in 6 Kreisen 36 Gemeinden und in Oberschlesien in 7 Kreisen 66 Gemeinden. Dazu kam noch die Zerschneidung der Verkehrswege durch die Polen und die Festsetzung offizieller Grenzübergänge, die polnischerseits in viel zu weiten Abständen zugelassen wurden. Eine allgemeine Verwirrung und Mutlosigkeit erfaßte die Menschen des deutschen Ostens und lähmte die Wirtschaft. Dazu kommt, daß die polnische Landwirtschaft, auch die der abgetrennten Gebiete, in scharfen Konkurrenzkampf zu den deutschen Erzeugnissen trat. Die Polen haben außerdem alles daran gesetzt, um Königsberg von seinem natürlichen Hinterlande zu trennen, war doch Königsberg einer der Hauptausfuhrhäfen für russisches Getreide. Ebenso eifersüchtig wurde darüber gewacht, daß das Holz weder nach Ostpreußen noch nach Danzig gelangen konnte. Man kann sich vorstellen, welche Schwere über der Wirtschaft des ostdeutschen Raumes lagerte. Nicht zuletzt übte die allgemeine Spannung, die namentlich in den Grenzbezirken herrschte, eine lähmende Wirkung aus. Bei der allgemeinen Unsicherheit war auch das Kreditwesen in Unordnung geraten, und niemand wollte den Grenzbauern Geld leihen. Diese Lage herrschte in Ostdeutschland bei der Machtübernahme im Jahre 1933. Sollte die Wirtschaft einigermaßen geordnet werden, so mußte in erster Linie die gespannte politische Lage so gut wie nur möglich behoben werden. Die Aufgabe war ungemein schwer; denn politische Unvernunft hatte hier ein Wirtschaftsgebiet zerrissen, wie es in dieser Geschlossenheit kaum an einer anderen Stelle Europas wieder angetroffen werden konnte. In seiner räumlichen Gestaltung war der deutsche Osten wieder auf die Grenzziehung vor 1772 zurückgeworfen worden, wozu noch der Verlust Oberschlesiens getreten war. Aber mit ungeheurer Energie wurde das Aufbauwerk in Ostdeutschland begonnen und mit beispiellosem Erfolge durchgeführt. Die dem Reich verbliebenen Teile Ostdeutschlands wurden dadurch vor dem Untergang gerettet. Die Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierung sind darauf gerichtet, die Fehler der früheren Zeiten wiedergutzumachen. Dieses ist möglich durch eine großzügige Raumordnung, die das Gebiet des Deutschen Reiches als einheitlichen Wirtschaftskörper erkennt. Jedes Teilgebiet erhält seine besondere Aufgabe im Rahmen des Ganzen. Mit aller Kraft wird das Steuer im Osten herumgeworfen, wonach die Zeit der Vereinzelung für den Osten vorbei ist. Die Gefahr, aus Ostdeutschland ein Roggen- und Kartoffelland zu machen und es der Monokultur entgegenzuführen, ist damit behoben. Ostdeutschland wird nunmehr auch einen gebührenden Anteil an der industriellen Entwicklung nehmen können und die Intensivierung von Ackerbau und Viehzucht durchführen. Aber es ist klar, daß trotz allen Anstrengungen die Schäden, die durch die politische Zersplitterung entstanden sind, nur durch die große Politik wiedergutgemacht werden können; denn wir haben nachweisen können, daß Ostdeutschlands große Not in erster Linie durch die Auflösung des Raumes herbeigeführt worden ist. Die schwerste Wunde, die dem Deutschen Reich durch den Vertrag von Versailles geschlagen worden ist, besteht in der Loslösung Ostpreußens vom Reiche. [170] Trotz den rigorosen Entdeutschungsmaßnahmen im Gebiete des Korridors hat dieses Gebiet seinen deutschen Charakter nicht verloren. Zeugen davon die Baudenkmäler früherer Jahrhunderte ebensosehr wie die kulturellen Maßnahmen der Neuzeit bis zur Abtrennung, so ist doch das Bekenntnis zum deutschen Volkstum im Osten nicht an die Sprache gebunden. Die Verdrängung ist allerdings erheblich. Die deutsche Bevölkerung betrug in Pommerellen 1910 421.000, im Jahre 1931 nur noch 105.400. In Posen fiel in den gleichen Jahren die Zahl der deutschen Bevölkerung von 676.000 auf 193.100.
Mit dem Rückgang des Deutschtums ist in den abgetrennten Gebieten auch
ein Rückgang der wirtschaftlichen Leistung Hand in Hand gegangen. Der
Raum ist der Fürsorge der deutschen Leitung verlustiggegangen. Die
Auswirkungen der zielbewußten deutschen Leitung finden an der
politischen Grenze des Reiches ihr Ende. Die politische Lösung dieser
Frage ist die Voraussetzung für die Beseitigung der wirtschaftlichen
Zerstörung des ostdeutschen Wirtschaftsraumes.
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