[153] Die ostdeutsche Wirtschaftslandschaft und ihre Zerstörung durch das Diktat von Versailles (Teil 1) Walter Geisler Die Raumbegriffe Deutscher Osten und Ostmark Wenn man vom deutschen Osten spricht, so bezeichnet man damit den östlichen Teil des mitteleuropäischen Raumes, der durch die Deutschen sein charakteristisches Gepräge erhalten hat und vornehmlich von Deutschen bewohnt wird. Im einzelnen ist der Raum schwieriger zu begrenzen, als es den Anschein hat; denn im Westen müssen wir einen allmählichen Übergang zu den mittleren und westlichen Teilen Deutschlands feststellen, da bei der Wesensgleichheit des gesamtdeutschen Raumes nur sekundäre Merkmale für die Abgrenzung der Teilgebiete gefunden werden können, und nach Osten hin schieben sich Gebiete mit deutschem Kulturcharakter weit über die Reichsgrenzen in das eigentliche mitteleuropäische Übergangsgebiet vor. Der Gang der Besiedelung des ostdeutschen Raumes ist naturgemäß von ausschlaggebender Bedeutung für seine Raumentwicklung gewesen; denn der Mensch drückt nach Maßgabe seiner rassischen und völkischen Eigenart dem Lande seinen charakteristischen Stempel auf. Die Raumentwicklung wiederum zeigt eine deutliche Abhängigkeit von den physio-geographischen Verhältnissen, die schließlich zu einer Untergliederung in nordsüdlicher Richtung geführt haben. Nach der Völkerwanderung waren die slawischen Völker in den ostdeutschen Raum eingedrungen und hatten ihn in dünnen Wellen
Der erste kräftige Gegenstoß der Deutschen führte die Donau abwärts in der Richtung auf Wien. Im Norden waren für den deutschen Gegenstoß von Natur zwei Leitlinien gegeben, und zwar die eine längs der Küste und die andere am Nordrande des Mittelgebirges. Beide Stoßrichtungen entfernen sich je mehr voneinander, je weiter wir nach Osten kommen. Die Stellung der Slawen im Wartheraum wurde auf diese Weise in doppeltem Flankenstoß überflügelt, aber es blieb in der Mitte ein Schwächepunkt übrig. Der Vorstoß die Oder aufwärts längs dem Mittelgebirge verlor im Raume der Mährischen Pforte an Kraft, und auch von der Donau her konnte im Marchtal in Richtung auf die Mährische Pforte der slawische Wall nicht ganz durch- [154] brochen werden. Das obere und mittlere Odergebiet, also der Raum Schlesien, hat lange Zeit eine Vermittlerrolle gespielt, bis es sich seit der friderizianischen Zeit nach Norden orientierte. Der Dualismus zwischen Preußen und Österreich führte zur Zeit des Reiches nach 1871 zum kleindeutschen Denken, und wenn man vom deutschen Osten sprach, so dachte jedermann im Reiche an die preußischen Ostprovinzen. Wir haben hierin ein Beispiel, wie das staatlich-politische Schicksal das völkische Denken infolge Mangels an zielbewußter Erziehung vollkommen überschattete. Zur Zeit des Reiches nach 1871 hatte sich der Begriff Ostmark für das Gebiet der Provinzen Westpreußen und Posen eingebürgert. Da nun heute dieser Begriff wieder auf Österreich angewandt wird, so ist es wohl richtig, daß er auch darauf beschränkt bleibt. Wenn wir von einem deutschen Wirtschaftsraum im Osten sprechen, handelt es sich im engeren Sinne um den deutschen Nordosten, um den Raum der östlichen preußischen Provinzen von der Lausitzer Neiße und unteren Oder bis zu der ehemaligen Ostgrenze des Reiches im Umfange der Vorkriegszeit. Die Abgrenzung gegen Westen kann aus den oben angegebenen Gründen nur eine willkürliche Linie sein, an der die Städte Görlitz, Frankfurt und Stettin als Brückenköpfe liegen. Diese Umgrenzung durch politische Linien hat bis zu einem gewissen Grade ihre innere Begründung, nämlich insofern, als die wirtschaftliche Entwicklung des Raumes von der kulturellen Arbeit des deutschen Volkstumes nicht zu trennen ist. Gilt dies schon für die früheren Jahrhunderte
Der deutsche Ostraum zwischen der Ostsee und dem Mittelgebirge bildet eine große physische Einheit; es ist ein Teil des norddeutschen Flachlandes. Eine Ausnahme macht nur der Teil Schlesiens, der den Sudeten angehört sowie das oberschlesische Bergbau- und Industriegebiet, also Teilräume, die das Flachland im Süden begrenzen. So kommt es, daß die Provinz Schlesien
Die Herausbildung des einheitlichen Wirtschaftsraumes im deutschen Nordosten Die frühgeschichtliche Besiedlung zeigt uns, daß zu jener Zeit, als die Slawen das Land besetzt hielten, von einem einheitlichen Siedlungs- und Wirtschaftsraume im Osten überhaupt noch nicht gesprochen werden kann. Die Slawen waren mit den Mitteln ihrer niederen Kultur nicht in der Lage, die breiten Sperrlandschaften zwischen den einzelnen Diluvialplatten zu überwinden, das heißt, die sumpfigen Niederungen der Urstromtäler urbar zu machen und zu besiedeln, so daß aus den temporären Sperrlandschaften besiedelte Zwecklandschaften hätten entstehen können. Mit ihren einfachen Werkzeugen konnten die Slawen nur die leichten Böden bearbeiten, wobei sie auch leicht bewaldetet Gebiete in Besitz nahmen. So kommt es, daß sie sich, durch die [155] weiten Niederungen getrennt, in einzelnen Siedlungsgebieten der Diluvialplatten niederließen und sich volklich und staatlich zersplitterten. Vor allem war zwischen der Mitte, dem sogenannten Groß-Polen, und den beiden Flanken keine engere Verbindung. Im Norden lagen nördlich des Netze-Warthe-Bruches die Herzogtümer Pommern und Pommerellen, von denen das erstere schon 1181 deutsches Lehn wurde. Das Herzogtum Schlesien im Süden wurde durch die Bartsch- und Oderniederungen abgeschlossen und nahm unter den Piasten eine eigene Entwicklung, die dazu führte, daß sich Schlesien seit 1163 endgültig von Polen trennte. Es ist nicht verwunderlich, daß sich diese Entwicklung auch in einer Differenzierung der Sprache auswirkte. Das heutige Polnisch ist eine Weiterentwicklung des Großpolnischen. Das Oberschlesische hat aber nur Beziehungen zum Klein-Polnischen und ist seit 1163 allmählich zu einer Mischsprache geworden, die sich immer mehr vom eigentlichen Polnischen entfernen mußte, je mehr deutsche Lehnsworte aufgenommen wurden. Im Südwesten nahm das Oberschlesische im übrigen auch mährische Bestandteile auf. Im Norden hatte sich durch die Tätigkeit des Deutschen Ordens eine grundlegende Veränderung angebahnt. Durch den Kreuzzug der Ritter in das heidnische Pruzzenland, der 1230 begann, wurde Ostpreußen endgültig der deutschen Kultur gewonnen. Dem Ritter folgte der Bauer, und in kurzer Zeit waren das Weichselland und das nördliche Ostpreußen gewonnen. Mit Hilfe der holländischen Mennoniten wurden die Niederungen der Weichsel und der Netze urbar gemacht. Damit verschwanden die temporären Sperrlandschaften zwischen Pommern und Preußen sowie zwischen dem Wartheland und Pommern. Als dann die Herrschaft des Ordens zusammenbrach, konnten sich die Polen der so geschaffenen Brücke bedienen und ihren Einfluß auf die Kaschuben ausdehnen, die einem anderen slawischen Sprachstamm angehören. Diese Herrschaft konnten sie mit Hilfe der katholischen Kirche vertiefen, da das Erzbistum Gnesen, das im Jahre 1000 gegründet worden war, Magdeburg nicht unterstellt wurde und unter polnischen Einfluß geriet. Der Deutsche Orden wandte sich nach dem Verluste Pommerellens und des Ermlandes der Kolonisation des einstigen Bannwaldes im Süden und Osten des Preußenlandes zu, und da der Zuzug deutscher Siedler merklich nachgelassen hatte, zog er Masowier hinzu, die sich mit den Resten der Pruzzen und den deutschen Siedlern vermischten, wodurch der Stamm der Masuren entstand, der sich kulturell von den Polen abwendete und deutsches Volkstum annahm. Nach dem Siegeszug der Reformation schlossen sich die Masuren dieser Bewegung an, wodurch der Gegensatz zu den Polen noch vertieft wurde. Der östliche Teil der heutigen Provinz Ostpreußen blieb auch in der Herzogszeit noch dünn besiedelt, und hier haben erst die Maßnahmen des väterlich besorgten preußischen Königs Friedrich Wilhelms I. eine dichtere bäuerliche Besiedlung herbeigeführt. Eine bedeutend ruhigere Entwicklung konnte Schlesien nehmen, das niemals wieder unter polnische Oberhoheit gekommen ist und das sich der deutschen Kultur durch den dauernden Zuzug deutscher Bauern, die von den Piasten als Kulturträger mit offenen Armen aufgenommen wurden, zuwandte. Östlich
Dieses mittlere Stück war jedoch keineswegs dem deutschen
Kultureinfluß verschlossen geblieben. Die Askanier, die 1250 Lebus
kauften und später die Neumarkt bis zur Küddow hinzunahmen,
waren die Hauptträger des ostmarkischen Deutschtums. Während im
Süden die Wettiner vordrangen, riefen die großpolnischen
Die Tätigkeit der deutschen Bauern und Kaufleute hat somit im Laufe der Jahrhunderte aus dem Raum zwischen Ostsee und Sudeten einen einheitlichen in seinen Grundlinien durch die Natur bestimmten Wirtschaftsraum geschaffen. Wohl blieben in der Mitte dadurch noch Schwachpunkte, daß sich das Königreich Polen wie ein Keil zwischen die deutschen Lande schob. Es ist bekannt, daß die polnische Mißwirtschaft bis zur ersten und zweiten Teilung Polens der Wirtschaft dieses Raumes schwerste Wunden geschlagen hat. Der Zustand namentlich der Städte war geradezu grauenerregend; Bromberg war so gut wie völlig vernichtet, und die übrigen Städte waren durch Mißwirtschaft und Kriege an den Rand des Verderbens gebracht. Die Dörfer waren mit Ausnahme der deutschen Gebiete durch das Bauernlegen zu Gutssiedlungen herabgedrückt, so daß die Bevölkerungsdichte auf dem platten Lande verhängnisvoll zurückgegangen war. Über den erbarmungswürdigen Zustand wissen wir durch die sogenannte "Friderizianische Landesaufnahme" Bescheid; denn durch diese ließ Friedrich der Große eine genaue Bestandsaufnahme über die Bewohner und die Besitzverhältnisse sowie den Zustand der Äcker durchführen. Darauf ging der große König ans Werk und vollendete das große Kolonisationswerk der Deutschen im Osten, indem er die Obra-, Warthe- und Netze-Brüche trockenlegte und in fruchtbares Acker- und Wiesenland umwandelte. Somit wurde nach der zweiten polnischen Teilung der Schlußstein für die Herausbildung des Siedlungs- und Wirtschaftsraumes Ostdeutschland gelegt. Da schon vorher Schlesien der preußischen Krone angegliedert war, so erfüllte sich auch zugleich die Forderung nach der politischen Einheit des Raumes, der überdies als Teil des preußischen Staates an dem Gesamtraum wesentlichen Anteil hatte.
[157] Es bedurfte einer jahrelangen Lügenpropaganda und gefälschter Nationalitätenkarten, um den Raub deutschen Landes durch Scheingründe verständlich zu machen. Das Nationalitätenprinzip wurde unter Mißachtung der tatsächlichen Lage im Osten als Begründung herangezogen. Man muß schon die wirtschaftlichen Verhältnisse des Raumes vor und nach dem Kriege vergleichen, um einigermaßen begreifen zu können, welches Elend über die Menschen des ostdeutschen Raumes gekommen war, ganz gleich, ob es sich um solche Teilgebiete handelt, die beim Reiche verblieben, oder um solche, die Polen zugefallen waren. Ostdeutschlands große Not wurde hervorgerufen durch die territorialen Bestimmungen des Vertrages von Versailles und die dadurch verursachte Störung der Wirtschaftsharmonie des Reiches. Die allgemeine Wirtschaftskrisis mußte sich bei dieser besonderen Lage im Reichsgebiet und namentlich im Osten mit besonderer Schärfe auswirken.
Wir betrachten nunmehr Zustand und Wesen der nordostdeutsche Wirtschaftslandschaft vor ihrer Zerreißung und sodann die Folgen der Zerstörung dieses einheitlichen Wirtschaftsraumes, um schließlich die Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierung zur Überwindung dieser Zustände wenigstens zu streifen. |