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[Bd. 5 S. 347]
Anselm Feuerbach, 1829-1880, von Kurt Martin

Anselm Feuerbach.
[344b]      Anselm Feuerbach.   [farbig hier]
Selbstbildnis, 1875.
München, Kronprinz von Bayern.
"Der einzige Weg für uns, groß, ja wenn möglich unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten." Mit diesen Worten hatte Winckelmann seiner Zeit die Richtung gewiesen. Geßner erklärte diesen Satz genauer, indem er den Maler auf das Vorbild der antiken Skulptur hinwies, von der allein die eigentlichen Begriffe vom Schönen erlangt werden könnten und zu lernen sei, "was man der Natur leihen muß, um der Nachahmung Anstand und Würde zu geben". Für die deutsche Kunst dachte Asmus Carstens den Gedanken Winckelmanns zu Ende: Das Interesse an der Welt bekundet sich nicht mehr in der farbigen und malerischen Erfassung, sondern in der festen Gestalt, die der umreißende Kontur als klarste Form verbürgt. Noch Cornelius schrieb: "Der Pinsel ist der Verderb der Kunst geworden" und unterstrich damit die Verachtung, die die Nazarener allem Malerischen entgegenbrachten. Es liegt mit an dieser vollständigen Verneinung einer großen, über Jahrhunderte reichenden Überlieferung, daß die Künstler späterer Generationen, als sie nach malerischem Ausdruck verlangten, in Deutschland nichts mehr fanden, weder die Möglichkeit tieferer Ausbildung noch den Boden fruchtbarer Wirkung. Feuerbach und Böcklin, Marées und Hildebrandt mußten nach Paris und Rom, um das wieder zu suchen und aufzunehmen, was die Väter preisgegeben hatten.

Der zeichnerisch-lineare Stil, mit dem die deutsche Kunst des neunzehnten Jahrhunderts einsetzt, drängte zu einer Betonung des Thematischen: man will bedeutende Inhalte und wünscht sie bedeutungsvoll darzustellen. Neben die religiösen Geschichten treten Dichtung und Sage und schließlich die große Historie eigener Vergangenheit. Aus Homer, Dante, Ariost, aus dem Sagenkreis um Karl den Großen, aus dem Nibelungenlied und aus mittelalterlicher Geschichte sind die Vorwürfe entnommen. Je wörtlicher sie verstanden und erlebt werden, desto illustrativer wird diese Kunst. Der Sinn für die Folge innerhalb einer Dichtung, für den Zusammenhang eines geschichtlichen Vorganges führte vom einzelnen Bild weiter zur Reihe, im Buch als Illustration in der neubelebten Technik des Holzschnittes, im Raum als zyklische Monumentalmalerei in der wiederentdeckten Technik des Freskos. Das Bildungserlebnis und der literarische Ballast, an denen das neunzehnte Jahrhundert so schwer zu tragen hatte, sind der deutschen Kunst damals aufgeladen worden.

Mit dieser Situation hatte sich die Generation Feuerbachs auseinanderzusetzen. Cornelius, zu dem die Zeitgenossen in Verehrung aufblickten, baute seine aus [348] verstandesmäßiger, nicht aus sinnlicher Anschauung geborene Kunst auf wie ein philosophisches System. Er übertrug die "schwere Kunst des Denkens, worin der Deutsche anderen Völkern vorangeht, in die Sprache der Malerei". Das Schöne ist ihm eine Erscheinung der Idee, die von allen Schlacken gesäubert als reine geistige Vorstellung gestaltet werden muß. Der junge Feuerbach lehnte das ab: "Wie fuhr ich vor den Fresken des Cornelius zurück! Ist das Cornelius, der große Cornelius?... man entdeckt immer mehr mangelhafte Stellen der Zeichnung, grobe Zeichnungsfehler... von Colorit keine Spur."

Mit Rethel erreicht die deutsche Historienmalerei ihren Höhepunkt; nicht mehr die Illustration eines Vorganges, sondern – tiefer gegriffen – der Widerschein geschichtlicher Wahrheit glänzt in diesen Bildern, in denen Vergangenes bis zur Wucht des Gegenwärtigen erhoben wird. An Rethel hatte sich Feuerbach in seiner Düsseldorfer Zeit persönlich angeschlossen. Zur Historie jedoch, die seine Mitschüler und Lehrer mit trockenen und matten Kompositionen quälte, fand er keine Verbindung.

Neben der Historie und als ihre Ergänzung steht in der Entwicklung der deutschen Kunst die Malerei der heroischen Landschaft, in welcher nach einem Worte Goethes "ein Menschengeschlecht zu hausen scheint, von wenigen Bedürfnissen und von großen Gesinnungen". Joseph Anton Koch wollte nicht die Natur als solche, sondern eine dichterisch erhabene Natur als Idee glücklicher und ungebrochener Vorzeit. War diese Landschaft fern der Naturnachahmung nur mythologisch gesehen, so wurde sie bei Rottmann zum Abbild einer geschichtlich oder sonst bedeutsamen Örtlichkeit. Auch bei Friedrich Preller d. Ä. bleibt die Landschaft Hauptsache; die Gestalten der Odyssee, mit denen er sie bevölkert, werden nicht zum Erlebnis. Prellers Odysseebilder sind für das Museum in Weimar gemalt worden; das ist bezeichnend: es enthüllt den musealen Charakter dieser Kunst.

Aus solchen Voraussetzungen entstand die Kunst Feuerbachs und seiner Zeitgenossen. Mit Piloty geht die Entwicklung zu Ende. Die große Historienmalerei ist überwunden, der geschichtliche Stoff wird in die Sphäre des Theatralischen übertragen, der Regisseur drängt den Effekt vor das Geschehen, der dankbare Augenblick des Schauspielers bestimmt den Inhalt des Bildes. Feuerbach, Böcklin und Marées führen weiter und zu neuen Zielen. Nicht mehr der besondere historische Vorgang ist als Bildvorwurf wichtig: das Geschichtliche wird zum menschheitlichen Thema gesteigert. Nicht mehr auf das Illustrative, das Einzelne kommt es an: jetzt spricht man von erhöhtem Dasein, das allein der Natur und dem Menschen Bedeutung geben kann und im Kunstwerk zur nachdrücklichen Existenz geformt werden möchte. Kunst ist wieder Gestaltfindung für etwas, was vorher in dieser Intensität noch keine Gestalt hatte, und Kunst hat wieder die Möglichkeit, die Vorstellung vom Menschlichen in neue und ungeahnte Bezirke zu erweitern. Eine Zeit, der es ein wesentliches Problem ist, den Helden gegen seine Umwelt abzuwägen, denkt und erlebt von innen heraus aktiv und monumental. [349] Sie sucht den großen Stil, von dem Nietzsche gesagt hat, er sei ein Sinn für Weniges und Langes und die Verachtung der kleinen und kurzen Schönheit.

Die Familie Feuerbach stammt aus einem hessischen Dorf. Außergewöhnlich begabt, war sie zugleich reizbar und krankhaft ehrgeizig: der Name erscheint wie eine Anspielung auf charakterliche Eigenschaften, denen alle seine Träger mehr oder weniger unterworfen waren. Der erste, dessen künstlerische Begabung bezeugt ist, und zugleich der erste mit dem Namen Anselm, ist Advokat in Frankfurt am Main. Sein Sohn, der Großvater des Malers, Ritter Anselm von Feuerbach, bayrischer Staatsrat und Präsident des Appellationsgerichtes in Ansbach, hat durch seine gesetzgeberische Tätigkeit die Entwicklung des neueren Rechtes in Deutschland entscheidend mitbestimmt. Dieser seltene Mann, der zugleich einer der bedeutendsten Kriminalisten und ein leidenschaftlicher Gegner Napoleons gewesen ist, war der erste, der den Namen Feuerbach zu Ruhm und Ansehen erhob. Von unbeugsamem Willen, im Kampf mit seiner bis zur Unbeherrschtheit aufflammenden Leidenschaft, bei aller geistigen Höhe infolgedessen unausgeglichen und empfindlich in seinem Geltungsbedürfnis, bekennt er sich zu dem Dämon, dem alle Feuerbachs auf Kosten ihres Glückes gehorchen müssen. "Ehrgeiz und Ruhmbegierde machen einen hervorstechenden Zug in meinem Charakter aus. Von Welt und Nachwelt gepriesen zu werden, dünkt mich das größte Erdenglück. Oft wünsche ich Gelegenheit zu haben, mein Leben im Vollbringen großer Taten qualvollen Martern hinzugeben, um nur in den Jahrbüchern der Menschheit als großer Mann zu glänzen..."

In den fünf Söhnen wirken diese Eigenschaften gedämpfter; wie oft in alten Familien wächst die Begabung auf erschöpftem Boden. Der Orientalist Friedrich Feuerbach lebte in vollkommener Zurückgezogenheit und predigte nach seiner eigenen Äußerung, was sein berühmterer Bruder, der Philosoph Ludwig Andreas Feuerbach, lehrte. Materialistischer und radikaler Denker, hatte der ehemalige Student der Theologie seine Aufgabe darin gesehen, "die Verwandlung und Auflösung der Theologie in die Anthropologie" zu fördern und unter dem Einfluß eines anbrechenden naturwissenschaftlich-technischen Zeitalters den Kampf der Vernunft gegen die Theologie, des Wissens gegen den Glauben zu führen. Von Eduard Feuerbach wird eine Arbeit über das salische Recht anerkannt. Er wirkte als Professor der Rechte an der Universität in Erlangen, wo auch sein Bruder Karl tätig war. Die immer wieder betonte Genialität dieses Mathematikers schlug früh in Wahnsinn um, dem er nach wiederholten Selbstmordversuchen in jungen Jahren erlag.

Der Vater des Malers und der älteste der Brüder, der nach der Familienüberlieferung den Namen Anselm erhielt, hatte die künstlerischen Anlagen des Großvaters geerbt. Früh traten bei dem selbstquälerischen Menschen bedenkliche Überschwenglichkeiten auf, die ihn in religiösen Mystizismus und tiefe Schwermut, fast an die Grenze geistiger Umnachtung führten. Gemütskrank nennt [350] ihn der Sohn, und vor die nachgelassenen Schriften hat seine zweite Gemahlin das bezeichnende Motto gesetzt: Des Menschen Schicksal ist sein Gemüt. Vom Studium der Theologie wendet er sich der Archäologie zu. Der Kampf um das Dasein zwingt ihn, sich mit einer bescheidenen Anstellung als Gymnasiallehrer in Speyer zu begnügen. Hier gründet er mit Amalie Keerl aus Ansbach seinen Hausstand, dessen Glück sich durch die immer wiederkehrenden Anfälle von Schwermut verdüstert. 1827 wurde eine Tochter geboren, am 12. September 1829 erblickte Anselm Feuerbach das Licht der Welt. Ein halbes Jahr später starb die Mutter an Schwindsucht. Die Reizbarkeit, der Ehrgeiz, die Neigung, gekränkt zu sein, die Verstimmbarkeit der Seele, aber auch die Feinfühligkeit und der aristokratische Sinn für das Gehobene haben sich aus dem väterlichen Geschlecht auf den Sohn übertragen.

Bildnis der Stiefmutter Henriette Feuerbach.
Anselm Feuerbach:
Bildnis der Stiefmutter Henriette Feuerbach.
Öl auf Leinwand, 1867.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]
Die Kinder werden in Ansbach erzogen, während der Vater in Speyer seinem Beruf nachgeht. 1834 heiratet er zum zweiten Male. "Grenzenloses Mitleid mit dem kläglichen Anblick eines unpraktischen Mannes und zweier Waisen mag unsere zweite Mutter zu diesem gesegneten Schritt veranlaßt haben." Henriette Heydenreich, die sich den Namen einer Mutter auf das herrlichste verdiente, ist die einzige Stütze im Leben des Vaters und des Sohnes, den sie bis zu seinem Tode in allen Kämpfen und Entwicklungen in wunderbarem Glauben an seine künstlerische Berufung und mit einzigartiger menschlicher Treue begleitet. Ihr mütterliches Werk krönte sie durch die Veröffentlichung des Vermächtnisses, das 1882 in der ersten, 1885 in der zweiten, maßgeblichen Ausgabe erschien und für den Sieg des verkannten Künstlers kämpfen sollte. Es liegt ein Ton merkwürdiger Verwahrung über diesem Buch, mit dem ein Mensch sich gegen die Mit- und Nachwelt zu sichern sucht. Vorhandene Aufzeichnungen sind durch Briefstellen und vielleicht auch durch Erinnerungen der Mutter ergänzt worden; Sätze und Fragmente, die aus anderen Veranlassungen und Stimmungen entstanden, wirken im nachträglich geschaffenen Zusammenhang dieser Selbstbiographie nicht mehr ganz in ihrem ursprünglichen Sinn. Dennoch ist das Vermächtnis durch die Unmittelbarkeit, mit der Feuerbach zu uns spricht, durch das tragische Geschick, das uns nahegebracht wird, und nicht zuletzt durch seine literarische Bedeutung weit über die eigentliche Absicht der Veröffentlichung hinausgewachsen.

Seit 1836 spielte sich Feuerbachs Jugend in Freiburg ab, wo sein Vater eine Professur an der Universität erhalten hatte. Die ersten bleibenden künstlerischen Eindrücke erhielt der siebenjährige Knabe während einer schweren Erkrankung, als er an Hand der Flaxmannschen Illustrationen die Odyssee kennen lernte. Es war ihm in der Folgezeit natürlich, "sowohl mit der rechten als mit der linken Hand alle irgend habhaften, weißen, grauen, blauen oder gelben Papierstücke mit Kreide oder Kohle anzufüllen... Ich hatte den Kopf voller Bilder, warum sollte ich sie nicht festhalten, so gut es anging?" Mit zwölf Jahren zeichnet er einen lebensgroßen, schlafenden Barbarossa und empfindet zum erstenmal bewußt das Glücks- [351] gefühl, mit dem künstlerische Arbeit verbunden sein kann. Der Drang nach Äußerung hält an, so daß man sich entschließt, an die Größen der Düsseldorfer Akademie Zeichnungsproben zu schicken, um sich durch berufenes Urteil Klarheit über den Grad der Begabung zu verschaffen. Lessing antwortete: "Der junge Mensch sollte sein Gymnasium absolvieren und dann weiter sehen." Schadow aber schrieb: "Der junge Feuerbach könne nichts anderes werden als Maler und möge sogleich kommen."

Der Sechzehnjährige bezieht 1845 für zwei Jahre die Düsseldorfer Akademie. Er arbeitet bei Schadow, bei Lessing und schließlich bei Carl Sohn. Rückblickend bucht er diese Zeit als Verlust, gewiß ohne zu bedenken, daß der Lernende der Unterweisung bedarf und die handwerkliche Grundlage der Kunst gelegt sein muß. Mit dem Recht der Jugend, über sich selbst einen Schritt hinauszugehen, wählt er sich große Vorwürfe und ist bedrückt, daß die Vollendung nicht gelingt. "Ich habe zwar nicht geträumt davon, sondern es lebt in meiner Idee beständig fort,
Selbstbildnis, 1845/46.
Anselm Feuerbach:
Selbstbildnis, 1845/46.
[Nach wikipedia.org.]

Selbstbildnis, 1849.
Anselm Feuerbach:
Selbstbildnis, 1849.
[Nach wikipedia.org.]
ein ausgeführtes Bild; ich sehe es vor Augen, sehe die Figuren sich bewegen, deutlich, ich könnte es kopieren und kann es doch nicht." Aus der Unzufriedenheit mit sich selbst entsteht die frühreife Einsicht, "daß ein Maler fest in den Bügeln sitzen muß, sonst hält er das gewaltige Turnier der Kunst nicht aus... Es ist ein beständiges Wogen, Momente der tiefsten Demut, aber auch Momente des Gefühls der Kraft... Ich werde wohl nie ganz das erreichen, nach was ich strebe, immer werde ich unvollkommen bleiben".

Unter den Arbeiten dieser Zeit fallen zahlreiche Selbstbildnisse auf; sie sind ein Hinweis, wie sehr der Künstler mit sich selbst beschäftigt, wie sehr er von sich selbst erfüllt war. Andere Bilder, vor allem ein flötenblasender Faun in der Karlsruher Kunsthalle, zeigen deutlicher das in Düsseldorf Erreichte. Vorwurf und Auffassung sind eigenes Erlebnis, die Ausführung bleibt befangen, die Farbe wirkt schwer, als hafte sie den Dingen körperlich an. Dennoch ist das Bild nicht koloriert, sondern koloristisch empfunden.

Als Düsseldorf nichts mehr zu bieten hatte, ging Feuerbach 1848 nach München. Zum erstenmal begegnet ihm große Kunst in originalen Werken. Rubens ist ihm alles; er beginnt, den Simson in der Alten Pinakothek zu kopieren. Dabei lernt er, wie leicht man sich ans Äußerliche des Genies hängt und sich dabei unmerklich immer mehr von der Natur und sich selbst entfernt. "Manche können den Rubens ihr ganzes Leben nicht verdauen; ich habe ihn mit achtzehn Jahren verstanden, und im neunzehnten bin ich wieder Ich geworden." Die Düsseldorfer Erfahrungen haben ihn skeptisch gegen die Akademie gemacht. Die Technik, die man dort beherrscht, möchte er sich wohl aneignen, doch die Bilder lassen ihn gleichgültig. Er fühlt: "Jene sind Maler und du bist Künstler." Ein erstes Bild wird ausgestellt und führt zum ersten Mißerfolg in der Öffentlichkeit. Karl Rahl ist der einzige, der ihn in dieser künstlerischen Vereinsamung verteidigt und den Lernenden stützt. "Er zeigt mir mit einer Aufrichtigkeit seine Kunstgriffe, daß ich deutlich sehe, er will mich zu [352] seiner Ehre erziehen, wie die alten Meister." Doch auch dieses Verhältnis zum Lehrer erschöpft sich in der Erkenntnis, daß Rahl in Paris als Künstler nur eine Nebenrolle spielen würde.

Das nächste Ziel war Antwerpen. Feuerbach findet dort "ein reges, praktisches Streben nach der Natur, entfernt von aller Schwindelei". Er lernt, "wie viel Handwerker der Künstler sein muß, und daß dann, nach vorhandenem Meisterbrief, erst der Geist kommt, der ihn vor den anderen auszeichnet und adelt". Ein nüchternes, gewissenhaftes Studium setzt ein; bewußt wird jeder falschen Selbständigkeit entsagt. Eine gut gemalte Hand ist ihm mehr wert geworden als alle seine "verfrühten Expektorationen einer unreifen Phantasie". "Oft habe ich Sehnsucht nach einem höheren, idealischeren Kunsttreiben; oft ist es mir hier gar zu eng und gemein, aber dann denke ich immer an mein früheres ungestümes Wünschen, und schnell ist die nötige Ruhe bei der Hand." Neben dem Gewinn im Technischen ist diese Bändigung das entscheidende Ergebnis des Antwerpener Aufenthaltes.

Hafis vor der Schenke.
Anselm Feuerbach: Hafis vor der Schenke.
Öl auf Leinwand, 1852.
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Antwerpen war die richtige Vorbereitung für Paris, wo Feuerbach fast drei Jahre (1851–1854) blieb und Not und Hunger kennenlernen mußte. Es war eine Zeit steter Anregung, der er sich voll und ganz hingab. "Ich will die französische Kunst aus dem Fundament kennenlernen und dann ganz in mich zurückkehren." Er weiß jetzt mit wenigen, aber transparenten Farben zu malen und arbeitet an dem "ersten Kunstwerk seines Lebens", Hafis vor der Schenke (Kunsthalle Mannheim), das zugleich sein erstes Hauptwerk werden sollte. Immer unzufrieden, ist er oft der Verzweiflung nahe, aber er ruht nicht. Während er früher in diesem Stadium seiner Bilder abspringt, weil er nicht mehr weiter fühlt, möchte er jetzt lieber vergehen, als dieses Bild nicht mit aller Inbrunst zu vollenden. Alles Bisherige ist zur bloßen "Talent- oder Geistessache" geworden, hier endlich "ist der erste Abguß der Natur", hier "wird ein Stück Leben herauswachsen". Das Bild wandert durch die deutschen und österreichischen Ausstellungen und wird abgelehnt. Die Sicherheit, mit der sich der dünne transparente Farbauftrag gelegentlich zum Pastosen steigert, wird als "genial sein sollende Nachahmung der französischen Spachtelmalerei" abgetan.

Inzwischen war der Vater gestorben. Mutter und Schwester siedelten nach Heidelberg über, wo Feuerbach während seiner vorübergehenden Aufenthalte versucht, für billiges Geld Bildnisaufträge zu erhalten. In Heidelberg sieht ihn Gottfried Keller, der bekennt, nie in seinem Leben einen schöneren Jüngling getroffen zu haben. Er zweifelt allerdings, daß bei der grenzenlosen Eitelkeit etwas aus ihm werden möchte. – Wieder in Paris, tritt Feuerbach in das Atelier von Couture ein, der sich mit seinem Werk "Les Romains de la décadence" (Louvre) einen Namen gemacht hatte und ein vorzüglicher Lehrer gewesen sein muß. Er "behandelt meine Mängel mit medizinischer Genauigkeit... seine Leitung ist wirklich ganz frappant und reell". "Ich fühle, daß ich von Tag zu Tag Fort- [353] schritte mache." Ein neues Thema wird aufgegriffen, der Tod des Aretin. Das Bild kann erst später vollendet werden, da große wirtschaftliche Not und ein Erlebnis, in dem er sich zu verlieren drohte, Feuerbach zur Flucht aus Paris zwangen.

Der Tod des Pietro Aretino.
Anselm Feuerbach:
Der Tod des Pietro Aretino.
Öl auf Leinwand, 1854.
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Blumenmädchen.
Anselm Feuerbach:
Blumenmädchen.
Öl auf Leinwand, 1854.
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In Karlsruhe sollte eine neue Existenz aufgebaut werden. Statt dessen begann hier die "lange Kette von Dummheit, Schwatzhaftigkeit und Unterdrückungssucht, die mir von meiner Heimat blühte." Das Hafisbild war schon früher von der Ausstellung im Kunstverein ausgeschlossen worden. Der Ankauf des fertigen "Tod des Aretin" wurde abgelehnt. Seinen Hafis wollte er mit dem Hauptwerk dieser Zeit, einer Versuchung des Heiligen Antonius, in Paris ausstellen. Die Karlsruher Jury, die über die Zulassung zu entscheiden hatte, nahm Anstoß an einer halbnackten Frauengestalt und sprach die Zurückweisung aus. "Ich möchte mich darüber wegsetzen mit aller Kraft, aber das nagt an mir, ich kann nichts essen, alles quillt im Munde, das war der Rest." In einem Anfall von Verzweiflung wird das Bild vollständig zerstört. Neben allen diesen Kränkungen hatte Feuerbach jedoch das Glück, daß sich der Regent für ihn interessierte. Er erhält den Auftrag für acht Supraporten im Karlsruher Schloß, ein Bild "Mädchen mit Blumen" wird für die fürstliche Privatgalerie erworben, und schließlich gewährt man ihm ein Stipendium für Italien.

Zusammen mit Viktor von Scheffel geht die Reise im Mai 1855 nach Venedig: Feuerbach betritt zum erstenmal Italien, das sein Schicksal werden sollte. Die seelische Verstimmung weicht einer "inneren Freude, die die Brust zu zersprengen droht". "Ich bin da, wo ich sein muß." Der Ernst und der Glanz des venezianischen Kolorits werden ebenso bestimmend wie das Gewicht und die Haltung der klassischen Komposition. Feuerbach studiert sie an der Quelle, bei Tizian, dessen "Assunta" er auftragsgemäß für Karlsruhe kopiert. Die gute Aufnahme des Bildes ermutigt den Künstler zu einem weiteren Werk, der "Poesie", die er als Zeichen der Dankbarkeit seinem Landesfürsten zur Verlobung widmet. Die gute Absicht wird als Aufdringlichkeit aufgefaßt, das Bild, in dem der Künstler Italien verkörpert hatte, wie es vor seiner Seele stand, wanderte auf den Speicher des Karlsruher Schlosses. Die Bitte um Fortsetzung des Stipendiums wurde abgelehnt: Feuerbach stand vor dem Nichts und zugleich in der größten Entscheidung seines Lebens. Er entschließt sich, in Italien zu bleiben und nach Rom zu gehen.

In Parma wirken die Fresken Correggios auf ihn wie "sichtbare Musik"; in Bologna steht Feuerbach wie einst sein Vater vor Raffaels Heiliger Caecilie; in der Tribuna von Florenz überkommt ihn eine Empfindung, die er selbst mit biblischer Offenbarung vergleicht. Die Vergangenheit war ausgelöscht, er erkennt, daß der Deutsche allzu leicht mit dem Verstande arbeitet und die Natur nur benützt, um seine Gedanken auszudrücken. Der umgekehrte Weg erscheint ihm richtig, "der Weg der vollkommenen Wahrheit", die von der Natur ausgeht. Indem der Künstler "an ihr schafft und bildet, vollzieht sich das Wunder, das wir [354] Kunstwerk nennen. Das Ideal wird zur Wirklichkeit und die Wirklichkeit zur idealen Poesie."

In Rom wird diese Gewißheit Gestalt, denn diese Stadt "weist einem jeden die Stelle an, für die er berufen ist." Hier begegnet er Böcklin, vor dessen Werken er voller Bestürzung bekennt: "Ich muß von vorne anfangen." In dem Kupferstecher Julius Allgeyer findet er den selbstlosen Freund, der ihm später mit einer großen biographischen Veröffentlichung das würdigste Denkmal setzen sollte. Zwei Frauen treten in den Kreis des Menschen und Künstlers: Nana Risi und Lucia Brunacci, deren hoheitsvolle Erscheinung mit der Kunst Feuerbachs untrennbar verbunden ist.

In den sechzehn Jahren des römischen Aufenthaltes entsteht die Reihe der Hauptwerke. "Dante mit den edlen Frauen" (1858, Karlsruhe, Kunsthalle) ist das erste Zeugnis der großen Form, einfach in der Komposition, die den Menschen und die Natur ins Bedeutende hebt, erfüllt von einer tonigen Farbigkeit, die die Kenntnis der venezianischen Meister voraussetzt. Die Stimmung ist bei aller Bestimmtheit zart, musikalisch, erlesen, eine etwas elegische, edle Einfachheit, die für Feuerbachs Wesen typisch und für die Anerkennung seiner Kunst bezeichnend ist. Die bildmäßige Geschlossenheit und Beruhigung wird in den zahlreichen Bildnissen der Nana (1861, Karlsruhe, Kunsthalle; 1861, Stuttgart, Gemäldegalerie usw.) zu einer Auffassung gesteigert, die den Menschen in einem höheren Sinn sieht und die Geliebte durch den Adel innerer Anschauung verklärt.

Anselm Feuerbach: Nana.
[352a]      Anselm Feuerbach: Nana.
Gemälde, 1861. Karlsruhe, Kunsthalle.

Es folgen die großen Themen: Iphigenie, Medea, das Gastmahl des Plato. Meistens entstehen mehrere Fassungen desselben Bildgedankens, begründet in dem Wunsch, den Gegenstand inhaltlich und formal erschöpfend zu behandeln. Nicht zufällig gestalten sich immer wieder Stoffe, die Einsamkeit und Verlassenheit in mythischer Größe umfassen. Nicht unabsichtlich blicken diese Frauen in eine Ferne, die der Sehnsucht vorbehalten ist.

Anselm Feuerbach: Iphigenie.
[348a]      Anselm Feuerbach: Iphigenie.
Gemälde, 1871. Stuttgart, Staatsgalerie.

Die ständige Arbeit an gleichen und verwandten Stoffen führte zu immer eindringlicheren Lösungen. Iphigenie tritt in der ersten Fassung des Themas aus dem Walde und hält beim Anblick des Meeres im Schreiten inne. Dann findet Feuerbach, daß die Sehnsucht in einer sitzenden Gestalt wesentlicher zum Ausdruck kommt (1862, Darmstadt, Museum). In einem letzten Bilde (1871, Stuttgart, Gemäldegalerie) schließlich wird der Gedanke nochmals verdichtet. Der hochgenommene Horizont ist für die Stimmung entscheidend geworden. Übertragen auf die mehrfigurige Komposition wiederholt sich dieser Vorgang bei der Darstellung der Medea (1867, Berlin, Nationalgalerie; 1870, München, Neue Pinakothek).

Anselm Feuerbach: Medea zur Flucht gerüstet.
[348b]      Anselm Feuerbach: Medea zur Flucht gerüstet.
Unvollendetes Gemälde, 1867. Berlin, National-Galerie.


Anselm Feuerbach: Medea, 1870.     [Nach wikipedia.org.]
Anselm Feuerbach: Medea, 1870.

Paolo und Francesca.
Anselm Feuerbach:
Paolo und Francesca.
Öl auf Leinwand, 1864.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]

Familienbild.
Anselm Feuerbach:
Familienbild.
Öl auf Leinwand, 1866.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]
Aus den Gegensätzen: Land und Meer, Bleiben und Gehen baut sich das Bild auf mit der einzeln ragenden Gestalt der Medea und der Gruppe der Männer, die das Boot durch die Brandung stoßen, so daß der Schmerz der Verlassenen sinnbildlich wird. Die Farbe fügt sich ein, sie wird kühl und silbrig und unterstützt mit ihrer Zurückhaltung die erstrebte monumentale Wirkung. Zum [355] Monumentalen fühlt sich Feuerbach trotz der Ungunst der Verhältnisse immer mehr gedrängt. Das Gastmahl des Plato entsteht (1869, Karlsruhe, Kunsthalle; 1873, Berlin, Nationalgalerie), ein Bild, das ihm ins innerste Leben gegriffen hat. Er lehnt eine verkleinerte Ausführung ab, die Graf Schack als bezahlten Auftrag abnehmen will. "Das Bild war groß empfunden und gedacht; es mußte groß ins Leben treten." Fast gleichzeitig beschäftigt ihn die "Amazonenschlacht" (1869, Berlin, Nationalgalerie), die in der endgültigen Form 1873 vollendet und nach dem Tode des Künstlers von der Mutter der Stadt Nürnberg geschenkt wurde. Als weitere wesentliche Bilder entstanden in dieser Zeit sind: Madonna 1860, Dresden; Pietà 1863, Paolo und Francesca 1864, Familienbild 1866, alle München; Ricordo di Tivoli 1867, Berlin; Orpheus und Eurydike 1869, Wien; Urteil des Paris 1870, Hamburg.

Obwohl Feuerbachs Werke immer wieder in Deutschland ausgestellt wurden, blieb sowohl der wirtschaftliche als auch der künstlerische Erfolg aus, den er ehrgeizig wünschte. Trotz aller Intensität und Schaffenskraft nervös und differenziert, als Charakter zu vornehm, leidet Feuerbach unter dem Gefühl, ausgestoßen zu sein und ohne Anerkennung leben zu müssen. Über die finanziellen Nöte helfen Aufträge, die Graf Schack erteilt, freilich nicht ohne den gelegentlichen Versuch, in die Gestaltung einzugreifen.

Anselm Feuerbach.
Anselm Feuerbach.
Selbstbildnis, 1873.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 340.]
Im Sommer 1873 übernimmt Feuerbach die Professur für Historienmalerei an der Wiener Akademie, allein die Stadt Makarts hatte für seine Kunst kein Verständnis. "Ich setzte mich nicht zu Tisch ohne Spott- und Hohnkritiken, ohne [356] Karikaturen neben meinem Kouvert zu finden, und ich legte mich nicht zu Bette, ohne von den Dachtraufen meine Niederlagen erzählen zu hören." Die beispiellose Ablehnung und der Hohn der Gegner hielten an und steigerten die Reizbarkeit des allzu leicht Verletzbaren. Auch künstlerisch war diese Zeit weniger reich. Der große Auftrag für die Deckengemälde der Aula in der Akademie, den er nicht mehr vollenden sollte, war von zahlreichen Schwierigkeiten, von unerfreulichen Verhandlungen, von jahrelangem Kampf und Ärger begleitet, die die Schaffenskraft lähmten.

Venus im Muschelwagen.
[355]      Venus im Muschelwagen.
Skizze zum Deckengemälde in der Akademie der Künste, Wien.

Eine schwere Lungenentzündung wurde zum Anlaß, die unfreundliche Stadt zu verlassen. Feuerbach suchte Heilung in Heidelberg und übersiedelte 1876 mit seiner Mutter nach Nürnberg, an das sich manche Jugenderinnerung knüpfte. Die Zeit der Genesung wurde zur Niederschrift biographischer Notizen benützt, aus denen später unter der ordnenden Hand der Mutter das Vermächtnis entstand. Die Nürnberger Handelskammer erteilte einen monumentalen Auftrag für die Ausschmückung ihres Saales im neuen Justizpalast. Das Thema "Kaiser Ludwig erteilt Nürnberger Bürgern Privilegien" war vorgeschrieben.

Im Oktober 1876 mietet Feuerbach als beurlaubter Professor in Venedig ein Atelier, um den Nürnberger Auftrag und die Wiener Bilder auszuführen. Zugleich greift er einen neuen Bildgedanken auf, das

Henriette Feuerbach.
Anselm Feuerbach:
Bildnis der Henriette Feuerbach
Öl auf Leinwand, 1877.
[Nach wikipedia.org.]
"Konzert" (1879 Berlin Nationalgalerie), das ihm "wie die Verklärung einer Malerseele" erscheint. Es ist das letzte große Werk seines Geistes geworden. Daneben malt er eine Reihe von Selbstbildnissen – man möchte glauben, daß sie dem Bedürfnis nach Rechtfertigung und Bestätigung des eigenen Wertes entsprungen sind (1875, früher München, Neue Pinakothek; 1877, Karlsruhe, Kunsthalle; mehrere in Privatbesitz). Alle diese Werke überstrahlt der seelische Ausdruck und die einmalige künstlerische Größe, die sich in dem hoheitsvollen Bilde der Mutter offenbart (1877, Berlin, Nationalgalerie).

Anselm Feuerbach ist am 4. Januar 1880 in Venedig gestorben; er wurde in Nürnberg auf dem Johannisfriedhof nahe dem Grabe Albrecht Dürers beigesetzt. Die Nachlaßausstellung in Berlin brachte zu spät den ersten allgemeinen Erfolg, den der Künstler sein ganzes Leben ersehnt und erkämpft hatte. "Ich bin zu Großem berufen, das weiß ich wohl. Zur Ruhe werde ich erst im Tode kommen. Leiden werde ich immer haben, aber meine Werke werden ewig leben."




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Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz