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[Bd. 6 S. 434]

Schluß: Die geschichtliche Bedeutung der deutschen Entwicklung
von 1929–1932.

Sommer 1929 bis Sommer 1932 – drei Jahre, vierzig Monate von schicksalsschwerer Bedeutung für das deutsche Volk! Drei Jahre, die zeigen mußten, ob die ganz neue deutsche Volksbewegung des Nationalsozialismus, die nichts zu tun haben wollte mit dem alten Parteiensystem, kraftvoll genug war, sich durchzusetzen, sich zu behaupten und die Führung des deutschen Volkes zu übernehmen. Drei Jahre, die zeigen mußten, daß die neue deutsche Volksbewegung stark genug war, sich nicht von ihren inneren und äußeren Gegnern verschlingen zu lassen, sondern diese selbst zu überwinden durch die Waffe der nationalen Wahrheit.

Wer das Schicksal des deutschen Volkes kennt, der weiß, daß es schon einmal in der deutschen Geschichte drei Jahre von schicksalsschwerer Bedeutung gab. Das waren die drei Jahre, die da erweisen mußten, ob die Tat Luthers wirklich die religiöse Wahrheit und die religiöse Läuterung war, als die sie ihr Verkünder hinstellte, oder ob sie von Desperados und Wirrköpfen und Gegnern erstickt werden sollte. Von der Reichsregierung geächtet, vom Papste in den Bann getan, hauste der einsame Luther in der Schutzhaft seines Kurfürsten auf der Wartburg. Und das benutzten seine Gegner, die Bilderstürmer und die Wiedertäufer, um das Werk Luthers zu verfälschen. Drei Jahre brauchte Luther, vom Frühling 1522 bis zum Frühling 1525, um seine Reformation gegen die anstürmenden feindlichen Gewalten zu sichern. Dies gelang ihm mit Hilfe der weltlichen Obrigkeit, und so verwuchs die Reformation mit dem deutschen Volke.

Wie nah verwandt sind geistig die Reformation und der Nationalsozialismus! Es war beide Male das Aufbäumen des deutschen Menschen dagegen, daß das Geld die Menschen, das Volk beherrschen sollte. Der Mißbrauch des Geldes zur Unterjochung menschlicher Freiheit und menschlicher Sittenwerte löste die [435] Kraft aus, die sich gegen diese frevelhafte Machtgier auflehnte. Luther erhob sich gegen den Ablaßhandel des Papstes. Hitler erhob sich gegen die von Frankreich und England geforderten Tribute, gegen die Zinsherrschaft der internationalen Finanzwelt.

Einen ähnlich gewaltigen Existenzkampf wie Luthers Reformation zu gleichem siegreichen Ende führte die Freiheitsbewegung des Nationalsozialismus vom Sommer 1929 bis zum Sommer 1932. Sie hatte nicht die starke Macht der Obrigkeiten hinter sich, sondern wurde von ihnen unterdrückt, verfolgt, mit heimlichem Bürgerkrieg gequält. Aber das Volk, und vor allem seine Jugend, stand hinter der Bewegung und so blieb sie im Zeitalter des Parlamentarismus ebenso legal wie die Reformation, die sich auf Fürstenmacht stützte. Bodenlos waren der Haß und die Gemeinheit, mit denen Republikaner und Kommunisten die Freiheitsbewegung bekämpften, und die drei nach unten gerichteten weißen Pfeile im roten Feld, welche die "Eiserne Front" zu ihrem Zeichen wählte, wurden alsbald das Wappen von Meuchelmördern und Staatsverderbern.

Es ist eine alte Geschichtstatsache, daß Bürgerkriege heraufbeschworen werden entweder von einer ins Grab sinkenden, an ihrer Zukunft verzweifelnden Bewegung oder von einer jungen, zur Macht strebenden, aber in ihrem Fanatismus irre geleiteten Bewegung. Beide Tendenzen waren im deutschen Marxismus von 1929–1932 wirksam: die "Eiserne Front" und der kommunistische "Antifaschismus". Eine Bewegung aber, die von der Zuversicht ihres Sieges erfüllt ist, achtet Gesetz und Sittlichkeit und watet nicht durch Ströme von Blut ihrer Brüder, denen sie Freiheit und Staatsordnung bringen will. So erhoben im 16. Jahrhundert die Protestanten die Waffen in der Abwehr all ihrer Gegner, die von der Reichsmacht, der katholischen Kirche bis zu den aufständischen Bauern reichten. So erhob im 20. Jahrhundert der Nationalsozialismus sich in der Notwehr gegen alle Feinde der deutschen Freiheit und Ordnung.

Die Mark- und Merksteine großer Volksbewegungen sind klar abgezeichnet, so auch in den drei Jahren 1929–1932. Der Nationalsozialismus hatte noch nicht die höchste Gewalt im [436] Reiche erobert, und darum zeigt sich in den äußeren Dingen sein Einfluß noch recht schwach. Allerdings gab es auch hier schon Anzeichen für den Umschwung, hervorgerufen durch die grenzenlose Not, die infolge von Verantwortungslosigkeit und Mißwirtschaft über das deutsche Volk hereingebrochen war, befördert durch das Drängen des im Volke immer machtvoller anwachsenden Nationalsozialismus. Die Tributkonferenz in Paris 1929, die erste und zweite Tributkonferenz im Haag, 1929 und 1930, der Finanzzusammenbruch Deutschlands und das Hoovermoratorium 1931 und die Tributkonferenz in Lausanne 1932, die das ganze Gebäude des Versailler Vertrages erschütterte, waren die Etappen der Entwicklung.

Deutlicher schon hob sich die Entwicklung im Innern ab. Die Reichstagswahl von 1928 erweckte den Anschein, als sei das demokratische System unerschütterlich. Dann kam der erste Vorstoß der nationalen Front, noch ohne greifbaren Erfolg: das Volksbegehren und der Volksentscheid gegen den Youngplan. Doch schon in engerem Kreise zeigte sich das Erstarken des Nationalsozialismus bei verschiedenen Länderwahlen. Zum erstenmal wurde in Thüringen ein Nationalsozialist deutscher Minister im Januar 1930. Acht Monate weiter, und der zweite Vorstoß, die Reichstagswahl vom September 1930, brachte den Nationalsozialisten ein Fünftel aller Mandate. Eine schwere Krisis zog über den demokratischen Parlamentarismus herauf, und die demokratische Reichsgewalt, in den Händen eines hierarchisch gerichteten Zentrumskanzlers, in die Abwehr gedrängt, griff zur Diktatur. Eine Verschärfung der inneren Gegensätze war die Folge. Den dritten Stoß gegen die demokratische Gewalt führte der Stahlhelm mit seinem Volksentscheid für Auflösung des preußischen Landtages, der zwar auch noch nicht zum Erfolge führte, aber das bedrohliche Anwachsen der Gegner des "Systems" war nicht zu leugnen: mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten stand hinter ihnen!

Das vierte Stadium dieses Kampfes begann im Herbst 1931. Die Einheitsfront des Nationalsozialismus und der Deutschnationalen, die im Oktober 1931 zu Harzburg auf [437] Hugenbergs Initiative errichtet wurde, hatte untergeordnete, vorübergehende Bedeutung. Alsbald wurde die Deutschnationale Partei durch den Nationalsozialismus überflügelt, und nun begann jenes denkwürdige Ringen, welches in der Folge alle Parteien, die Deutschnationalen eingeschlossen, gegen den Nationalsozialismus eröffneten. Die Demokratie schuf sich in der "Eisernen Front" eine Kampftruppe, die nach kommunistischen Prinzipien dieselbe Freiheit des Volkes heuchelte, die sie 13 Jahre zuvor als Heiligtum vergötterte.

Inzwischen wuchs die Macht des Nationalsozialismus lawinenhaft. Jede neue Wahl in deutschen Ländern brachte neue Erfolge. Das Rückgrat der Bewegung, die Sturmabteilungen und Schutzstaffeln, faßten in sich etwa eine halbe Million wehrfähige deutsche Männer zusammen. Im Frühjahr 1932 zählte die Partei eine Million eingeschriebener Mitglieder. Der Reichswehrminister Groener öffnete jetzt den Nationalsozialisten die Reichswehr, während er noch zwei Jahre vorher die nationalsozialistischen Soldaten verfolgen ließ! Die Reichspräsidentenwahl im April brachte dem Führer Adolf Hitler mehr als 13 Millionen Stimmen.

Die demokratischen Gewalten im Reich und Preußen waren von Schrecken erfüllt. Da sie der nationalsozialistischen Bewegung nicht vorwerfen konnten, daß sie nicht legal sei, griffen sie zu Unaufrichtigkeiten und Hinterlist. Severing, der schon im Jahre 1930 den nationalsozialistischen Minister Frick in Thüringen bespitzeln ließ, der im Herbst 1931 gegen die hessischen Nationalsozialisten die Lüge von den Boxheimer Dokumenten aufbrachte, führte im März 1932 einen brutalen Schlag gegen die S.A. und S.S. in Preußen. Der Reichsinnenminister Groener benutzte die neuen "Enthüllungen", um, unter gleichzeitiger Täuschung des Reichspräsidenten, ein Verbot der S.A. und S.S. von Rechts wegen zu erwirken. Die demokratische Gewalt zitterte vor der Wehrhaftigkeit der deutschen Freiheitsbewegung!

Und gerade diese demokratische Gewalt hatte ihre jahrelange Unfähigkeit aufs klarste erwiesen: die Zahl der Hungernden und Darbenden umfaßte jetzt ein Viertel des gesamten Volkes, die Zahl der Arbeitslosen hatte sich vom Frühjahr 1930 bis zum [438] Frühjahr 1932 verdreifacht, sie war von 2 auf 6 Millionen gestiegen!

Da schüttelte ein Dröhnen und Beben das deutsche Volk in seinen Grundfesten, und ein neuer nationalsozialistischer Sturm erfaßte das Land. Die Länderwahlen im Frühjahr waren ein Stoß von noch nie geahnter und erlebter Wucht gegen das vergreiste demokratisch-marxistische System. Vor dem siegreichen Nationalsozialismus breitete sich ein Trümmerfeld der alten zerschlagenen Parteien, aus dem nur Zentrum und Sozialdemokratie als festere, kompaktere Säulen herausragten. Diese beiden Parteien erhielten zusammen soviel Stimmen, wie der Nationalsozialismus allein! Die Koalitionsregierung Preußens, die sich noch ganz sicher fühlte, schwankte und wurde von der Höhe ihrer Macht gezogen: der neue Landtag wuchs als ein drohender Rächer vor ihr auf. In Oldenburg und Mecklenburg wurden sogar nationalsozialistische Mehrheiten erreicht!

Jetzt war die Zeit erfüllt. Der Machtgedanke der liberalistisch-zentrümlich-marxistischen Koalition vom 19. Juli 1917, vom 3. Oktober 1918 und vom 11. August 1919 sank in sich zusammen, verblaßte zu einem Schemen. Brüning, der demokratische Diktator, das letzte Verteidigungsbollwerk des demokratischen Systems im Reiche, stürzte, eine Regierung der "nationalen Konzentration", an der die Nationalsozialisten noch keinen Anteil hatten, folgte.

Der Damm war gebrochen: der Nationalsozialismus hatte zum ersten Male den alten Staat besiegt! Die politischen Ordonnanzen der demokratischen Diktatur wurden weggewischt, der Reichstag wurde aufgelöst, die S.A. und S.S. wurden wieder hergestellt! Der Rundfunk, den die Demokraten bisher als ihr Heiligtum beschützt hatten, wurde den Nationalsozialisten freigegeben.

Nun hub allerdings eine Zeit an, in der alle Schleusen schrankenlosen Hasses und blutgieriger Vernichtungswut geöffnet waren. Der Bürgerkrieg der Marxisten, der Eisernen Front und der Kommunisten raste durchs Land und viele unschuldige Märtyrer vergossen Blut und und Leben für den Nationalsozialismus, tausende trugen Wunden davon aus unwürdigem, [439] meuchlerischem Kampfe. Und Severing, dem von Staats wegen der Schutz der Preußen zur Pflicht gemacht war, höhnte der Reichsgewalt und freute sich der Opfer des teuflischen Totentanzes, ja, er bekannte sich offen zu den Marxisten, die diesen Bürgerkrieg heraufgeführt hatten, und feuerte sie noch an! – bis die Reichsregierung ihn und seine Helfershelfer beseitigte.

Zwischen den Länderwahlen vom 24. April 1932 und der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 war der Uhrzeiger der deutschen Republik um ein gewaltiges Stück vorwärts gerückt: Er hatte die Linie Hindenburg – Brüning – Groener – Severing verlassen und hatte die Linie Hindenburg – Papen – Schleicher – Hitler erreicht. Deutschland war entschlossen, den Kampf um die nationale Macht zu führen, sich zu befreien von dem französischen Gift, das ihm eingeflößt war 1919 politisch durch den Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 und geistig durch die Weimarer Verfassung vom 11. August 1919. Das deutsche Volk war entschlossen, sich frei zu machen von der demokratischen Sklaverei im Innern, zu der sich kaum mehr als ein Drittel noch bekannten, und von der helotischen Sklaverei vor den andern Völkern. In den inneren Dingen sollte wieder die sittliche Macht des Menschen über die materialistische Herrsch- und Habgier erhöht werden, und draußen in der Welt sollte das deutsche Volk dastehen als gleichberechtigt, frei von der Sklavenfron der Tribute, wehrhaft und arbeitsam wie die andern. Die treibende Kraft auf dem Wege zu diesem Ziel aber war der Nationalsozialismus.

So hatten sich die Dinge im Sommer 1932 zugespitzt: ein großes und mächtiges Volk zerfleischte sich im Kampfe für oder gegen den Nationalsozialismus, im Kampfe für oder gegen Deutschlands Befreiung; um dies allein ging es nur noch: für oder gegen den Nationalsozialismus. Und ein Wort Gustav Adolfs, des Schwedenkönigs, erhielt einen neuen Inhalt für jeden einzelnen Deutschen: "Was ist das für ein Ding, Neutralität? Ich verstehe es nicht. Freund oder Feind – tertium non dabitur – ein Drittes gibt es nicht!"



Geschichte unserer Zeit
Dr. Karl Siegmar Baron von Galéra