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[Bd. 5 S. 55]
Um 1500 geht eine tiefe Bewegung durch die deutsche Kunst. Die
mittelalterliche Werkstatt mit ihrer namenlosen Gemeinschaft und dem Glanz
einer geheiligten Kunst wird zur Arbeitsstätte einzelner, sich frei
entwickelnder Persönlichkeiten. Bürgertum und
Fürstentum treten gleichberechtigt als Auftraggeber neben die Kirche.
Der Umkreis der Ideen weitet sich mit dem Auftauchen eines neuen
Weltbildes. Zum ersten Male sieht der Künstler die Natur frei vor sich
ausgebreitet. Der neuen Zeit gibt die Gotik ihre besten Kräfte als
spätes Erbe mit. Italienische Formenschönheit dringt über
die Alpen vor und wird in ein neues nordisches Renaissanceideal
umgegossen. Mit gesammelter Kraft tritt Dürer wie ein Lehrer vor
diese neue Generation. Seine Holzschnitte und Stiche wandern von Hand zu
Hand. Aus ihnen spricht die ausgereifte Menschengestalt ihre eindringliche
Sprache zum Volk. Von allen Seiten dringen neue Probleme auf den
Künstler ein. Grünewald läßt noch einmal mit
magischer Gewalt mittelalterliche Mystik aufleuchten. Der junge Cranach
malt auf seiner Reise nach Wien 1500 bis 1503 Altarbilder und geniale
Bildnisse mit wilden Felslandschaften als Umgebung. Auf dem großen
Tafelbild der "Kreuzigung" stehen die drei Kreuze in kühner
Überschneidung schräg im Raum vor düsterer
Berglandschaft, während winterlich kahle Äste in trostloser
Wirrnis gegen den Himmel starren. Donautal und Alpen sind für ihn
die großen Eindrücke dieser Reise. Die Landschaftsmalerei, der
Spätgotik schon lange vertraut in den Hintergründen der Bilder,
in den Baumkulissen der Altäre oder den Monatsdarstellungen der
Kalender, schien endlich ihren Entdecker gefunden zu haben. Aber Cranach
wendet schon 1504 Süddeutschland den Rücken, und mit dem
Verlassen der großen Natur der Berge verliert seine Landschaft ihre
Kraft. So bleibt es Altdorfer und Huber vorbehalten, an diesen
Landschaftsstil, den "Donaustil", anzuknüpfen und die ersten
großen Gestalter deutscher Landschaft zu werden.
Albrecht Altdorfer erwirbt 1505 das Bürgerrecht in Regensburg und
macht sich damit in der bedeutenden freien Reichsstadt ansässig: so
lautet die erste Nachricht, durch die wir von seinem Leben erfahren. Da man
in Regensburg mindestens fünfundzwanzig Jahre alt sein mußte,
um Bürger werden zu können, wird Altdorfer um 1480 oder
zumindest kurz vorher geboren sein. Vermuten können wir, daß
der Regensburger Maler Ulrich Altdorfer sein Vater war, bei dem er
wahrscheinlich den ersten Unterricht erhielt. Auch die Namen seiner drei
Geschwister: Erhard, Magdalena, Aurelia, weisen mit Sicherheit auf
Regensburg als Vaterstadt [56] hin. Altdorfer ist
also ein richtiges Kind dieser Stadt, und die tiefen Höfe, die dunklen
Straßen, die Kirchen waren ihm seit seiner Kindheit vertraut.
Wir wissen nicht, wohin sich Altdorfer auf Wanderschaft begab, und kennen
auch nicht seinen Lehrer. Vielleicht war er einige Zeit bei dem Innsbrucker
Meister Jörg Kölderer tätig, an dessen Miniaturstil
Altdorfers Werke mitunter erinnern. Seine ersten Kupferstiche und
Zeichnungen aus dem Jahre 1506 stehen in entzückender
Unbeholfenheit und höchst persönlicher Auffassung vor uns.
Diese Blätter tragen als Monogramm zwei übereinandergesetzte
große A, Dürers bekanntem Zeichen nachgebildet, und legen damit
Zeugnis ab von der großen Verehrung, die Altdorfer als junger Mensch
für Dürer empfand. Er übernimmt auch einzelne Figuren
des Nürnberger Meisters, ahmt ihn jedoch nie nach. Seine Menschen
sind von anderem Wuchs: hochaufragende Figuren mit kleinen Köpfen
und strähnigen Haaren, in sackartige Gewänder gehüllt,
mit krausen Linien spielerisch hingeworfen. Nackte Frauenkörper
stehen fast unwirklich wie Gestalten aus einem Mythos in zaghaftem
Licht.
Altdorfer erschließt sich schon in dieser Frühzeit die Zeichnung
als eigenstes Gebiet. Meist nimmt er getöntes Papier, bevorzugt
braun-rote und grau-blaue Töne, um in emsiger Stricharbeit mit
weißen Lichtern malerische
Hell-Dunkelwirkung zu erzielen. Während man noch um die
Jahrhundertwende die Zeichnung fast ausschließlich als Vorstudie und
Skizze betrachtete, reift bei Altdorfer die Handzeichnung zum
bildmäßigen Werk. Diese Blätter, die bei Liebhabern
Albrecht Altdorfer: Christophorus.
Feder in Schwarz, weiß gehöht,
auf blaugrün grundiertem Papier. 1510.
[Nach zeno.org.] [Vergrößern]
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großen Anklang fanden und auch zum Verkauf bestimmt waren, sind
deshalb von großer Bedeutung für die Geschichte der Zeichnung.
Hier konnte sich auch seine Neigung zum kleinen Bildformat, die einen
besonderen Wesenszug seiner Kunst bildet, voll auswirken. So ziehen
glückliche Schilderungen des Landknechtslebens, vornehme Leute in
phantastischen Kostümen an uns vorüber, wir sehen Liebespaare
im hochaufragenden Kornfeld, Hexen bei ihrem dunklen Werk, den heiligen
Christophorus, mit vom Sturmwind aufgeblähtem Mantel
mühsam durch das Wasser watend. Frei entfaltet sich hier das
Erzählertalent Altdorfers, der mit unermüdlicher Phantasie
genrehafte Szenen vor uns hinzaubert. Nie ist er um eine Geste, um ein Motiv
verlegen.
Die Landschaft hat an diesen Blättern stärksten Anteil. Da stapft
ein Riese mit nacktem, breitem Körper durch einen Wald voll
mächtiger Stämme und trägt einen klotzigen Baum,
dessen Zweige schwer nach unten hängen. In wiegendem Gang
stützt er seine Last. Eine urtümliche und wilde Landschaft
wächst empor. Knorrige Äste, abgerissene Stümpfe
erzählen vom Schicksal des Waldes.
Auch die ersten Gemälde beherrscht die Landschaft. Auf dem Bild
"Satyrfamilie im
Walde" – der echt nordischen Umgestaltung eines antiken
Vorwurfs – ragen über den Figuren dunkle Tannen auf, während
sich der Blick in der Mitte bis zu fernen Bergzügen weitet. Mensch
und Landschaft gehen ineinander auf.
[57] Im Jahre 1510, als
Wolfgang Huber in Österreich seine erste kühne Skizze nach der
Natur zeichnet, erreicht Altdorfer den Höhepunkt seiner
Frühzeit in dem "Laubwald mit dem heiligen Georg" (München,
Pinakothek). Eine breite Wand von Bäumen steht vor uns. Mit spitzen
Pinselstrichen sind Zweige und Laubwerk in dichter Undurchdringlichkeit
gemalt. Es ist kein Blick in einen Wald, sondern auf ein sich
emportürmendes Bollwerk von Baumriesen. Unten, ganz klein, zierlich
wie ein Spielzeug, reitet der heilige Georg auf hellem Schimmel gegen einen
Drachen an, vor dem man kaum Angst empfindet, so zahm liegt er am
Boden. [58] Dieser Wald hat
etwas Heiliges, er wirkt wie ein Altarbild, wie Orgelklang. Nicht für
eine Kirche bestimmt, überträgt dieses erste große
Landschaftsbild unserer Kunst die Religiosität des Mittelalters
gläubig auf die neuentdeckte Natur.
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Die schwierige Aufgabe eines Nachtbildes mußte Altdorfer bei seiner
Begabung für malerische Probleme besonders anziehen. So entsteht
schon 1507 das Gemälde der "Geburt Christi" mit den noch
unbeholfen gezeichneten Gestalten der Heiligen Familie (Bremen,
Kunsthalle). Engel verwandeln die Ruinen in einen Spielplatz, einige sitzen
auf der Leiter, die zu freiem Sparrenwerk hinaufführt. Joseph
hält eine Stallaterne, deren Licht mit dem Mond wetteifert. Fahler
Glanz strahlt von dem Schnee, der den Boden bedeckt, aus: ein
Hell-Dunkelbild mit bizarren Lichteffekten, das zu den frühesten
dieser Art gehört.
Volle Reife und unbekümmerte Jugendfrische vereinigt eines der
glücklichsten Bilder Altdorfers, die "Ruhe auf der Flucht" aus dem
Jahre 1510 (Berlin, Deutsches Museum). An einem Renaissancebrunnen sitzt
Maria im Lehnstuhl. Weit über den Rand des Brunnenbeckens streckt
das Kind einem der vielen kleinen Engel, die die weite Schale als
Tummelplatz benutzen, seine Händchen entgegen, um mit ihm zu
spielen. Die biblische Geschichte wird hier zu einem
bürgerlich-bäuerlichen Familienbild voll köstlicher
menschlicher Züge. Im Hintergrund dehnt sich eine echte
Altdorfer-Landschaft mit felsigen Uferbuchten und
tief-dunkelblauen Bergzügen. Satte Harmonie der Farben begleitet das
aus reicher und wahrhaft poetischer Phantasie gestaltete Spiel der Figuren.
Heilige Gestalten verlassen die Strenge kirchlicher Tradition und die
himmlische Sphäre des Goldgrundes und steigen zu den Hütten
und Häusern der Menschen herab. Diese Vermenschlichung des
Heiligen, die von der Renaissance zur frischen Schilderung täglichen
Lebens genutzt wurde, gelingt Altdorfer in höchstem Maße.
Das Jahr 1511 bringt einen plötzlichen Einschnitt und eröffnet
eine neue Epoche in Altdorfers Schaffen. Eine Reise führt ihn
donauabwärts und weitet seinen Blick. Größere Reisen
waren damals immer noch sehr umständlich. Man verließ auf
längere Zeit eine vertraute Umgebung und konnte sich, losgelöst
von gewohnten Aufgaben, der Fülle neuer Gesichte frei hingeben.
Denken wir nur an Dürer, der auf seiner Reise nach Venedig 1506 aufs
heftigste von den Problemen der Proportion und der zarten Gewalt
Albrecht Altdorfer: Sarmingstein an der Donau.
Zeichnung, 1511.
[Nach wikipedia.org.]
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südlicher Farben ergriffen wurde, dann verstehen wir auch, daß
dieses Donautal mit den hart aus dem Strom aufsteigenden Felspartien in
unmittelbarer Stärke auf Altdorfer wirkte. Zwei nach der Natur
gezeichnete Blätter sind Niederschlag dieser Erlebnisse. Das eine zeigt
den mit Mauern, Burg und Tor wehrhaft ausgestatteten Ort Sarmingstein,
hinter dem sich das Donautal bedrohlich verengt. Felsen ragen düster
in die Höhe und hängen so stark über, daß man
Furcht hat, der Ort könnte im nächsten Augenblick
verschüttet werden. Mit nervösen, spitzen Strichen und erregtem
Zittern der Linien sind Berge und Bäume hingeworfen. Das andere
Blatt stellt eine wilde Gebirgslandschaft dar. Hohe Felsen türmen sich
in steilen Graten. Baumreihen klammern [59] sich an die
Vorsprünge, die bandartig zwischen den Abstürzen liegen. Zwei
alte Weidenstämme ragen wie Ungetüme auf; der eine,
geborsten, vom Sturm heruntergedrückt, steht da wie ein Berggeist, ein
Riesengewächs aus mythischer Zeit. Die tiefe Dämonie der
Berge dringt mit ungestümer Gewalt auf Altdorfer ein, der wie ein Grünewald der Landschaft vor uns steht.
An dem berühmten Altar von Sankt Wolfgang, in dessen Tafeln der
Spätgotiker Michael Pacher sich um die Gesetze der Perspektive
bemüht, holte sich Altdorfer ebenso wie später Wolfgang Huber
neue Anregungen, denn gerade jetzt beschäftigte ihn das Problem der
Tiefenwirkung. Riesige Vordergrundgestalten tauchen von nun an in seinen
[57]
Liebespaar.
Holzschnitt von Albrecht Altdorfer, 1511.
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Werken auf und lassen den Abstand von den kleineren Figuren des
Mittel- und Hintergrundes mit Deutlichkeit ablesen. Um diese
Raumprobleme zu verwirklichen, schien ihm der Holzschnitt, der ja immer
auf große Wirkungen abzielt, besonders geeignet. Mit der
Sprunghaftigkeit, die für Altdorfer so charakteristisch ist,
läßt er plötzlich vom Kupferstich ab und zeichnet
für den Holzschnitt reich belebte Szenen mit eigenartigen
Lösungen des Raumproblems. Eine Holzschnittpassion in ganz
kleinem, für den Holzschneider höchst anstrengendem Format
zeigt eindringliche Raumgruppierungen weniger Figuren auf kleinster
Bühne wie Variationen eines schlichten und unerschöpflichen
Themas.
Reiche Ernte bringen die Jahre nach der Donaureise für seine
Zeichnungen. Nie strömten ihm so leicht die Anregungen zu. Mit
wenigen Strichen erhebt sich geisterhaft vor uns eine Episode aus der Antike,
oder es erscheinen die Heiligen Drei Könige in phantastischer
Gewandung vor Maria mit dem Kind. Jetzt hat Altdorfer auch das Nachtbild
zu souveräner Meisterschaft gesteigert und mit dem Gemälde
des Deutschen Museums zu Berlin "Geburt Christi" das Unbeholfene seiner
Frühzeit überwunden. Ängstlich birgt sich die kleine
Gruppe von Maria, Joseph und dem Kind in dem zerfallenen Mauerwerk.
Hell auf den Grund gezeichnete Gräser und Blumen, das Spiel des
Mondlichts auf den Ziegeln, die Arabeske der in der Höhe
schwebenden Engelgruppe lassen die Innigkeit einer stillen und zarten Freude
spüren.
Altdorfer hatte sich in Regensburg als Künstler durchgesetzt. 1513
erwirbt er mit seiner Frau Anna ein stattliches Haus, eine "eigene Behausung
sammt Thurm und Hofstatt am
Sankt-Veitsbach bei den Augustinern in Regensburg". Auch über die
Grenzen seiner Heimatstadt hinaus dringt sein Name. Er wurde herangezogen
von Kaiser Maximilian I., der in großzügig angelegten
Holzschnittwerken Kunst und Macht zu verbinden suchte und in einer Art
Albrecht Altdorfer: Christus am Ölberg.
Sebastiansaltar des Augustiner-Chorherrenstifts St. Florian bei Linz, linker Innenflügel zur Passion Christi, Szenen oben links: Christus am Ölberg. Um
1509-1516.
[Nach zeno.org.] [Vergrößern]
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Gemeinschaftsarbeit die Künstler nach einem festen Plan vereinen
ließ. Holzschnitte mit Szenen aus dem Leben des Kaisers von der
großen, unter Dürers Leitung entstandenen "Triumphpforte" darf
man ihm wohl zuschreiben. Er erhält mehrere große
Altaraufträge, die ihn zu breiterer Malart und größerem
Format einfach zwingen. Nicht immer gelingt ihm dieser Schritt zur
Großkomposition, denn nur ungern gibt er die sorgfältig
ziselierte Feinarbeit auf. Aber erstaunlich ist es, wie in den Bildern der
[60] Passion Christi oder
den Darstellungen aus dem Leben des heiligen Florian, die für das Stift
Sankt Florian in Österreich bestimmt waren, einige Szenen in
monumentaler Rhythmik dastehen. Ein Nachtstück bildet den
Höhepunkt dieser Reihe: in einer echten
"Donaustil"-Landschaft mit finsteren Weiden wird die Leiche des heiligen
Florian von Frauen und Männern aus dem Fluß geborgen und
auf einen Wagen gehoben. Im Hintergrund bricht die Sonnenscheibe mit
blutrotem Schein wie eine Anklage aus dem düsteren Himmel hervor.
Leider sind im Kaiserbad des Bischofshofs von Regensburg kulturhistorisch
höchst amüsante Wandmalereien mit badenden Männern
und Frauen untergegangen.
Am Abschluß dieser mittleren Periode steht das Gemälde der
"Geburt Marias" (München, Pinakothek). Altdorfer verlegt die
häusliche Szene in einen weit- aufragenden Kirchenraum, in dessen
Innern ein Kranz von tanzenden Engeln wie ein lebendiger Kronleuchter
schwebt, weit ausholend in seiner Rundung bis in die tiefste Tiefe des
Kirchenschiffs. Als Vorstudie hatte Altdorfer eine Skizze des Kirchenraums
in planmäßiger Konstruktion der schwierigen
Überschneidungen sorgfältig gezeichnet. Diese Zeichnung ist so
baumeisterlich sicher und treffend, daß wir hier den ersten Einblick in
seine spätere Tätigkeit als Architekt gewinnen.
Mit dem Jahre 1519 brachen für Regensburg Tage gewaltsamer
Erschütterungen an. Kaiser Maximilian war gestorben. Seine zentrale
Politik hatte auch in den freien Städten für Ordnung und
Festigkeit gesorgt. Jetzt benutzte man die Gelegenheit seines Ablebens, um
die Juden aus Regensburg auszutreiben, die sich sonst mit Erfolg an
Maximilian hätten wenden können. Jahrelang schon lagen
Geistlichkeit und Judentum in Regensburg im Kampf. Religiöse
Erregung und das energische Auftreten der Handwerker, die sich von den
Juden bedrängt fühlten, brachten den Rat der Stadt dahin, die
Albrecht Altdorfer:
Vorhalle der Synagoge von Regensburg.
Radierung, 1520-1522.
[Nach zeno.org.] [Vergrößern]
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Ausweisung der Juden binnen acht Tagen zu beschließen. Altdorfer
gehörte als Mitglied des sogenannten Äußeren Rats der
Abordnung der Stadt an, die den Juden diesen Ausweisungsbefehl
mitzuteilen hatte. Unbeschreibliche Erregung bemächtigte sich der
ganzen Bevölkerung. In kurzer Zeit wurde die Synagoge eingerissen,
bald darauf auch das ganze Judenviertel. Altdorfer selbst hat das Innere der
Synagoge kurz vor ihrer Zerstörung noch in zwei Radierungen von
kühler topographischer Treue festgehalten. Auf den Trümmern
der Synagoge errichtete man eine hölzerne Kapelle für das
wundertätige Bild der "schönen Maria". Das Volk strömte
zu dieser neuen Stätte, und Wallfahrten kündeten von der
religiösen Volksbewegung, die damals große Teile Deutschlands
ergriff. In ekstatischer Begeisterung rissen sich einzelne Gläubige
sogar die Kleider vom Leib und widmeten sie dem Wunderbild.
Religiöser Taumel ergriff das Volk. Altdorfer hatte an dieser inneren
Bewegung der Stadt stärksten Anteil. Er war mitbestimmend bei der
Wahl des Baumeisters, der für die "schöne Maria" einen neuen
stattlichen Renaissancebau errichten sollte. Er malte eine Kirchenfahne
für die berühmte kleine Kapelle, und auf einem alten
Holzschnitt sehen wir sie breit und schwer aus dem Turmfenster [61] hängen:
zwischen den gekreuzten Schlüsseln, dem Wappen der Stadt, steht die
"schöne Maria", das Kind im Arm, und blickt ruhig auf die
Gläubigen herab. Altdorfer lieferte auch den Entwurf für die
Ablaßmedaille, die in Zehntausenden von Exemplaren Geld für
den Neubau zusammentragen half.
Mit innerlicher Ergriffenheit erlebt Altdorfer diese religiöse Wende.
Nie knieten Menschen vor seinen Werken so versunken in Gläubigkeit,
wie wir es auf dem Holzschnitt mit der thronenden "schönen Maria"
sehen, vor der in weiter Halle ein Mann andächtig betet,
während ein Engel neben dem Thron leise die Laute spielt. Altdorfer
gestaltet überhaupt erst den neuen Typus der "schönen Maria",
der bald zu größter Volkstümlichkeit gelangt: die
schönen, fast
bäuerlich-breiten Züge des vollen Gesichts werden von einem
tief in die Stirn fallenden Kopftuch gerahmt, dessen breiter, reich verzierter
Rand wie ein Heiligenschein wirkt. Hier verwirklicht Altdorfer in den
ebenmäßigen Zügen und den tiefblickenden Augen der
"schönen Maria" ein Gesicht aus dem Volk voller Leben und
Wärme, die erste und innigste Verbindung von Heiligem und
Schönem, wie es die Romantiker später mit tiefer Dankbarkeit
Albrecht Altdorfer:
Die "Schöne Maria" von Regensburg.
Farbholzschnitt, um 1519.
[Nach zeno.org.] [Vergrößern]
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empfanden. In einem von sechs Platten gedruckten Farbholzschnitt, der
Wallfahrern und Andächtigen als bunte Erinnerungsgabe dienen
sollte, steht die "schöne Maria" in ruhiger Renaissanceumrahmung
hinter einer Brüstung. Unter das Bild schreibt Altdorfer in dreifacher
Wiederholung: "Ganntz schön bistu mein freundin und ein makel ist
nit in dir. Ave Maria." In diesen Worten drängt sich die ganze
Süße der religiösen Empfindungen dieser Zeit zusammen.
Das reifste Bild der "schönen Maria" gelingt Altdorfer mit dem
Holzschnitt "Ruhe auf der Flucht". Unter dem Sterngewölbe einer
Kapelle erhebt sich ein Renaissancebrunnen, wie ihn Altdorfer so sehr liebt.
Maria beugt sich mit dem Kind über den Rand der runden Schale;
Joseph tritt in Reisekleidung hinzu. Stille liegt über dem harmonischen
Raum, der von Engelsgestalten belebt wird. Die Bewegtheit der
früheren Zeit weicht einer fast klassischen Ruhe.
Zu dieser harmonischen Haltung kommt Altdorfer auch in den Landschaften,
deren Blicke sich langsam beruhigen, in unendliche Weiten dehnen. Die
Berge, die Felszacken, die wilden Bäume haben nichts
Bedrängendes, nichts Wüstes mehr, sie werden ihm vertraut. Er
sieht einen einzelnen Baum vor sich und versenkt sich ruhig und gelassen in
seine Gestalt. Tief hängt das Moos von den Zweigen, Laub zittert im
Wind, die Rinde sieht in ihrer zerfressenen Rauheit wie ein verrunzeltes
Gesicht aus. Silhouetten dunkler Bäume stehen gleich beseelten
Gestalten vor dem rot aufglühenden Abendhimmel. In sparsamer
Farbtechnik entstehen in den zwanziger Jahren die ersten
Landschaftsaquarelle der deutschen Kunst, die eine geschlossene
Bildwirkung vermitteln und nicht wie die früherliegenden
kühnen Aquarelle Dürers persönliche Studien und
Skizzen sind, die zum Teil unvollendet hingeworfen wurden.
[56a]
Albrecht Altdorfer: Landschaft.
Aquarellierte Federzeichnung, 1522. Wien, Albertina.
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Den Aquarellen und Zeichnungen schließen sich die Radierungen an,
in denen Altdorfer diese noch junge Technik mit feinster Ausnutzung der
weichen [62] Strichbildung zur
Landschaftsdarstellung heranzieht. Weite Ausblicke, gestaffelte
Bergzüge ergeben eine ruhige, klassische Landschaft, die durch
einzelne monumentale, in den Vordergrund gerückte Bäume
noch mehr an Tiefenraum gewinnt. Diese Deutung der Natur verdankt
Altdorfer der vielseitigen mit landschaftlichen Schönheiten
gesättigten Gegend, in der er lebte. Sein Werk ist ganz auf dem Boden
der bayrischen Heimat gewachsen. Die kraftvollen Bergzüge des
Bayrischen Waldes, die wilden Vorberge der Alpen und das Donautal selbst
wurden seine Vorbilder, aus denen er immer wieder neue Kräfte
schöpft. Wenn wir heute durch die Regensburger Gegend wandern,
Albrecht Altdorfer: Donaulandschaft bei Regensburg mit dem Scheuchenberg.
Pergament auf Buchenholz, um 1528.
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begegnet uns an vielen Stellen in kaum veränderter Gestalt die
vertraute Altdorfersche Landschaft. In dieser Periode der Landschaftsbildung
führt die Nähe von Wolfgang Huber in Passau zu gegenseitigem
Austausch und innerer Annäherung der beiden Donaumeister. Aus
dieser Vorbereitung wächst wie ein selbstverständliches
Geschenk als erstes Landschaftsgemälde der deutschen Kunst die
"Waldlandschaft" der Münchener Pinakothek. Zwischen zwei
mächtigen Randbäumen dehnt sich der Blick weit hinüber
zu einem großen, bewaldeten Abhang, um dann mit einer Burg und
felsigen Höhenzügen in die Ferne überzuleiten.
Unendlich viel Raum durchmißt unser Blick, ehe er an der zarten
Bläue des Himmels haltmacht. Welch ein Weg im Werk Altdorfers,
wenn wir an die geschlossene Baumwand der "Landschaft mit dem heiligen
Georg" denken, die etwa zwanzig Jahre früher entstand! Fast zu sehr
hat sich das Temperament Altdorfers gemildert, so klar gleitet das Auge
über die in emsiger Kleinarbeit gezeichneten Bäume. Der ruhige
Atem des Alters liegt über diesem Bild.
In sicherem Aufstieg arbeitet sich Altdorfer als echter Bürger der Stadt
Regensburg empor. Er wird 1526 in den Inneren Rat gewählt. Auf
einer leider dürftigen Miniatur, in der uns das einzige Bildnis des
Künstlers erhalten blieb, sehen wir ihn, im Kreise des Rats in
feierlicher Kleidung einer Festsitzung beiwohnen. Seit 1526 bekleidet er auch
das Amt eines städtischen Baumeisters. Seine Vielseitigkeit findet hier
ein neues Betätigungsfeld, und es ist kein Zufall, daß nicht nur
Altdorfer, sondern auch Huber zugleich als Baumeister und Maler tätig
waren. Hier tritt uns ebenso wie bei Dürer die typische Begabung des
Renaissancemenschen entgegen, sich viele Künste dienstbar zu
machen, sich den weiten Umkreis einer Materie zu erschließen, so wie
man die ganze Natur in einem wahrhaftigen Siegeszug erobert hatte. Als
Baumeister hatte Altdorfer zwar viele praktische Bauvorhaben zur
Ausführung zu bringen, aber bedeutendere Werke von seiner Hand
haben sich nicht erhalten. Wir gewinnen jedoch ein lebendiges Bild seiner
Tätigkeit, wenn wir hören, daß er den Weinstadel, das
Fleischhaus und das Schlachthaus von Regensburg baute, daß der
Marktturm nach seinen Plänen errichtet wurde. Noch heute steht das
Schlachthaus, ein kunstloser Nutzbau, der wenig über Altdorfers
Baugesinnung aussagt. Von größter Verantwortlichkeit ist seine
Tätigkeit zur Zeit der Türkengefahr. Als Sultan
Soliman II. 1529 [63] in
überraschendem Siegeszug bis nach Wien vordringt, sieht sich auch
Regensburg gezwungen, starke Befestigungen zu errichten. So baut Altdorfer
in den Jahren 1529 bis 1530 die
"Osten-Pastey", die "Kreuz-Pastey" und die "Eisengred". Wie sehr Altdorfer
als Ratsmann beschäftigt ist, zeigt uns ein Ratsbeschluß aus dem
Jahr 1533, ihm jährlich "zwei Schaff Hafer" für sein Reitpferd
zu bewilligen, da er sehr oft auswärts tätig sei.
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Das einzige Bauwerk, das uns von Altdorfers Bauplänen eine
lebendige Vorstellung vermittelt, ist der große, mit weiten
Renaissancehallen ausgestattete, palastartige Bau auf dem Gemälde
mit der Darstellung der Susanna im Bade. Hier konnte Altdorfer das
verwirklichen, was er nie bauen durfte. Dieser Palast, in vielen Geschossen
aufsteigend und mit zahlreichen Türmchen bekrönt, zeigt zwar
die Form der Renaissance, aber so ins Nordische gewandelt, mit lustiger
Unregelmäßigkeit und bunter Phantasie gestaltet, daß er
mehr einem Märchenschloß als einem klassischen
Renaissancegebäude gleicht. Auch hier legt Altdorfer ebenso wie bei
dem Gemälde der "Geburt Marias" in einer Vorzeichnung die Struktur
seines Baues aufs ernsthafteste fest. Sicher hätte er auch als Architekt
einen eigenen Stil entwickelt, wenn ihm ein großer Auftrag zuteil
geworden wäre.
Eine ehrenvolle Bestellung erhält Altdorfer 1528 von Herzog Wilhelm
von Bayern, der ein Gemälde der Niederlage des Perserkönigs
Darius bei Arbela als Gegenstück zu verschiedenen anderen
Schlachtenbildern in Auftrag gibt. Altdorfer geht mit größter
Sorgfalt zu Werke und malt auf kleinem Raum in mühseliger
Kleinarbeit ein Schlachtgetümmel mit Tausenden von Kriegern in
Renaissancerüstung, mit wehenden Federbüschen. Wir sehen
hoch von oben auf diese weite Schlachtebene, auf der unzählbare
Heerhaufen gegeneinanderrücken und die im Hintergrund in einer
wahrhaft grandiosen Landschaft von Gebirgszügen, Seenketten und
Wolkenbänken endet. Die Sonne bricht durch das Gewölk in
roter Abendglut, die den Untergang des persischen Reichs verkündet.
Die Abstufungen des Lichts sind mit größter Virtuosität
gemalt, düsteres Dunkelblau liegt wie Gewitter unheimlich über
dem Schlachtfeld. Altdorfer war innerlich so beschäftigt mit dieser
"Alexanderschlacht" (München, Pinakothek), daß er den
Vorschlag des Rats, ihn zum Bürgermeister zu wählen, ablehnte,
weil er erst sein Bild fertigstellen wollte. Mit dieser gewaltigen
Raumphantasie, in die Altdorfer das unmittelbare Erlebnis der
Türkengefahr hineinmalte, schuf er nicht nur das erste bedeutende
Schlachtgemälde der deutschen Kunst, sondern auch eine seiner
stärksten Landschaften.
Die Liebe zur Kleinarbeit treibt Altdorfer in der Spätzeit auch wieder
zum Kupferstich. Mit zierlichen Blättern reiht er sich unter die
sogenannten "Kleinmeister", eine Nürnberger Gruppe von Stechern,
ein, die in kleinstem Format mythologische, allegorische Szenen und
Ornamentvorlagen in Kupfer stachen. Auf kleinstem Raum glücken
ihm in exakter Grabstichelarbeit Bilder von intimer Raumwirkung, die zu den
Kostbarkeiten der Kupferstichkabinette gehören.
[64] Aus den letzten
Jahren sind nur wenige Werke Altdorfers erhalten. Er ist als Ratsherr jetzt so
in Anspruch genommen, daß er seltener zum Malen kommt. Eine
kleine Landschaft mit der Darstellung des Sprichworts "Der Hoffahrt sitzt der
Bettel auf der Schleppe" zeigt noch einmal die ganze Erzählerkunst
Altdorfers. In weichen Farbtönen läßt das Bild die weit
geschichtete Landschaft der Niederländer des siebzehnten Jahrhunderts
vorahnen. Der silbrige Dunst der Atmosphäre,
das Zittern der Luft ist hier schon leise aufgespürt.
In Regensburg dringt 1533 die Reformation ein, und so wie sich Altdorfer
leidenschaftlich für die "schöne Maria" eingesetzt hatte, so wird
er jetzt einer der ersten Parteigänger der Lehre Luthers, als man
daranging, die Kirche der "schönen Maria" zur protestantischen Kirche
umzugestalten. Lebendige Anteilnahme trieb ihn immer von neuem zur
Auseinandersetzung mit den religiösen Problemen seiner Zeit. Ein Jahr
später wird er zum Pfleger des Augustinerklosters ernannt, 1538 stirbt
Altdorfer als einer der angesehensten Bürger seiner Heimatstadt. Seine
Ruhestätte findet er in der Augustinerkirche neben seiner Frau Anna,
die sechs Jahre vor ihm gestorben war. Die deutsche Kunst hatte ihren ersten
großen Landschafter verloren.
Wolf Huber: Portrait eines Mannes mit Kappe.
Angebliches Selbstportrait, ca. 1522.
[Nach artroots.com.]
[Scriptorium merkt an: ob Wolfgang Huber sich in dieser Kreidezeichnung tatsächlich selbst darstellte, konnten wir leider nicht feststellen; außer auf artroots.com und einigen wenigen ähnlichen
Kunst-Netzseiten wird weder dieses Bild, noch irgendein anderes, als Portrait Wolf Hubers bezeichnet.]
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Während das Werk Altdorfers nie ganz unterging und besonders in
Regensburg immer gehütet wurde, verschwindet der Name Wolfgang
Hubers, des zweiten großen Landschafters des Donautals, schon bald
nach seinem Tod aus dem Gedächtnis der Menschen. Für
Generationen geht die Erinnerung an sein Werk verloren, bis es 1838 einem
Forscher gelingt, das Monogramm W. H. auf einigen Holzschnitten als
Wolf Huber aufzulösen. Aber erst seit dem Anfang des zwanzigsten
Jahrhunderts erschloß sich uns das Werk Hubers wie eine
Neuentdeckung.
Jetzt wird es möglich, die beiden nebeneinander wirkenden und
gleichen Zielen zustrebenden Meister Huber und Altdorfer in die
Entwicklung der deutschen Kunst einzureihen, ihre Bedeutung für die
Entstehung der Landschaftsmalerei zu erkennen.
Ein sicheres Geburtsdatum kennen wir für Huber ebensowenig wie
für Altdorfer. Wir können nur aus der frühesten
gesicherten Zeichnung Hubers, die 1510 entstand, schließen, daß
er etwa 1490 oder wenig früher geboren wurde. Als Geburtsort kommt
entweder Passau oder mit etwas größerer Wahrscheinlichkeit der
Vorarlberger Ort Feldkirch in Frage, denn in dem ersten
größeren Altarauftrag für die Annenbruderschaft in
Feldkirch wird Huber als "Wolfgang Hueber von Veldtkürch, jetzt
wohnhaft zu Passau" genannt, eine andere Urkunde aus dem Jahre 1529
bezeichnet ihn als "Maler von Veldtkirchen". Da jedoch bei ähnlichen
Angaben der letzte Aufenthaltsort häufig vorkommt, braucht Feldkirch
nicht der Geburtsort zu sein. Dunkel liegt auch über der Lehrzeit
Hubers. Vermuten können wir vorläufig nur, daß er seine
Jugend in der Nähe der Alpengegenden verbringt und von früh
an in den Landschaftsstil des Donaugebiets [65] und der Salzburger
Gegend hineinwächst. Vielleicht lernte er einige Zeit in Salzburg
selbst, vielleicht traf auch er mit Jörg Kölderer in Innsbruck
zusammen.
Aber das sind nur Vermutungen. Auch ist kein gesichertes Bildnis Hubers
nachzuweisen.
Schon früh, sicher vor 1515, kommt Huber nach Passau, und diese
beherrschend gelegene und an landschaftlichen Schönheiten
überreiche Stadt wurde von nun an seine Heimat. Hier arbeitet er von
1517 bis 1540 als Hofmaler des Passauer Bischofs, des Herzogs Ernst von
Bayern, eines strengen Katholiken, der mit äußerster
Schärfe gegen Wiedertäufer und Luthertum vorging. In Passau
waren die Elemente des "Donaustils" schon vor Huber wirksam. Hans
Pruckendorffer als älterer Meister zeigt Ansätze zu einem
kernigen Landschaftshintergrund. Cranachs bedeutsame Reise nach Wien
hatte auch hier Spuren hinterlassen. Daneben wirkte immer noch der strenge
Einfluß Michael Pachers nach. Aus dieser Umgebung ragt ganz
plötzlich Huber mit seinem Erstlingswerk, einer Landschaftszeichnung
des Jahres 1510, als genialer Neuerer hervor. Mit strengen, klaren
Federstrichen zeichnet er in kühlen Umrissen den Mondsee im
Salzkammergut, während im Hintergrund die Silhouette des
Schafsbergs aufsteigt. Die feinen Linien des fernen Seeufers werden von
einem Steg im Vordergrund wie von einer unerbittlichen Barriere
überschnitten. Mit schärfster Beobachtungsgabe ist dieser
Naturausschnitt treu und zuverlässig festgehalten. Ein geborener
Landschafter steht plötzlich vor uns. Wenn wir bedenken, wie selten
damals die Landschaftszeichnung nach der Natur geübt
wurde – erst allmählich rückte ja die Schilderung
der Natur zu den Aufgaben der Kunst
empor –, dann verstehen wir die Kühnheit Hubers. Ohne
jede Anknüpfung an das Vorhergehende entstand dieses kostbare Blatt,
das Werk eines Frühreifen. Huber besuchte damals sicher den
nahegelegenen Ort Sankt Wolfgang mit dem berühmten Altar Pachers,
dessen Herbheit dem Charakter dieser Landschaft noch am ehesten verwandt
ist.
In Huber steigt in Vergleich zu Altdorfer etwas von der nächsten
Generation auf: noch sicherer empfängt er als ein Fertiges den
Dürerschen Stil
und den freien Blick der Renaissance. Er kämpft
nicht mehr um die Eroberung der Landschaft, er findet sie von früh an.
Für ihn ist sie Selbstverständlichkeit. Viel unmittelbarer,
realistischer steht er deshalb der Natur gegenüber. Er hält sich
nicht bei der wilden Waldlandschaft auf, in die Altdorfer sich versenkt, er
phantasiert nicht, sondern wählt mit scharfem Auge Ausschnitte aus
Wolfgang Huber: Der Heilige Christophorus.
Holzschnitt, um 1518.
[Bildarchiv Scriptorium.]
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der Natur. Diese ungewöhnliche Begabung erklärt, daß
ihm die Figurengestaltung, die innere Komposition schwerfällt,
daß ihm die Fülle der Ideen Altdorfers, des großen
Erzählers, fehlt. Seine Menschen stehen hinter den Landschaften weit
zurück. In Hubers frühen Zeichnungen tauchen wilde
Landknechtsfiguren auf, selbst der heilige Christophorus wird in ein
geschlitztes Wams und geschlitzte Hosen gesteckt; die ersten Holzschnitte in
derben, krausen Linien entstehen. Einzelne Anregungen des großen
Regensburgers gehen auch zu Huber hinüber. In einer Engelsgestalt,
[66] die etwas
unbeholfen mit rührend bäurischer Gebärde sich zu einem
Heiligen herunterwendet, ahnt man die Nähe Altdorfers.
So wie für Altdorfer die Donaureise steht in Hubers Entwicklung das
Jahr 1514 als neuer Anstieg vor uns. Zwei Landschaftszeichnungen werden
zu Symbolen einer
[67]
Landschaft mit Weiden.
Federzeichnung von Wolfgang Huber, 1514.
Budapest, Kupferstichkabinett.
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Sturm- und Drangperiode: Zeichnungen mit Weiden, die ihre Zweige wie
spitze, lange Stacheln gegen den Himmel strecken. Knorrig dastehend, in
festen, metallischen Federstrichen umrissen, bilden die Weiden eine seltsame
Versammlung von drohenden, in ekstatischer Erregung sich aufreckenden
Gestalten. In dieser Landschaft ist kein Raum für einen Menschen.
Leere rinnt zwischen den schwarzen Strichen des Blattes. Mit zeichnerischen
Mitteln sich ganz auszusprechen, diese echt deutsche Fähigkeit, ist hier
in höchstem Maße Form geworden.
Der nächste Schritt, den Huber in seiner Landschaftsgestaltung geht,
führt ihn zur Eroberung der Raumtiefe. Schwere Baumkulissen, deren
Zweige in geschwungenen Rundkonturen fast schematisch gezeichnet
werden, stehen stämmig im Vordergrund. Schräg in das Bild
hinein dehnt sich eine Brücke, ein Fluß oder eine
Küstenlinie, die kräftig in die Tiefe führt. In
allmählichem Vordringen durchmißt der Blick die Weite der
Landschaft, die mit sparsamen Strichen äußerste Klarheit
erreicht. Köstlich ist die Zeichnung der Stadt Feldkirch, deren
Umgebung ja Huber so vertraut war. Häuser drängen sich
hintereinander, von Berghöhen überragt. Im Vordergrund steigt
ein riesiger Baum auf, der mit tief herabhängenden Zweigen sich
über das Tal mit weit ausladender Gebärde breitet. Mit dieser
Form der Landschaftskomposition wendet sich Huber von der zarten
Realistik seiner Frühzeit nahe hin zu Altdorfer, auch wenn er in der
sicheren Führung seines Strichs ganz er selbst bleibt. Hier
berühren sich die Bahnen der beiden Großen so stark, daß
Huber fast seinen Stil aufzugeben scheint, bis er wieder auf eigenen Wegen
weiterzieht, um sich schließlich von Altdorfers Landschaftsgestaltung
ganz zu entfernen. Auch in seinem Streben, Mensch und Landschaft zu
verbinden, nähert er sich dem Regensburger. Einzelne Gemälde,
zum Beispiel der "Abschied Christi von den Frauen", wirken wie die
Umdeutung einer Altdorferschen Idee.
In diese Zeit fallen auch die wenigen Holzschnitte Hubers. Mit energischen
Strichen sind sie gearbeitet und sprechen eine volkhafte, einfältige
Sprache. "Christus am Kreuz", frei vor die Lichtglorie der Sonne in eine
Berglandschaft gestellt, und die kräftige Gestalt des "heiligen
Christophorus", einen knorrigen Baumstamm in der Hand, mit den
ungelenken Bewegungen eines Riesen, sind besonders einprägsam.
Huber hat nie zum Grabstichel gegriffen. Altdorfers Feinarbeit des
Kupferstichs lag seinem Wesen ganz fern.
Wie ernsthaft er seine Aufgabe, ein großes Gemälde der
"Kreuzaufrichtung" zu malen, nimmt, beweisen die physiognomisch
höchst eigenartigen, fratzenhaften Köpfe, die Huber als
Vorstudien zu den rohen Schergen zeichnet, die sich in dem Gemälde
an Bösartigkeit zu überbieten
trachten – ein Zurückgreifen auf die [67] spätgotischen
Wolfgang Huber: Gefangennahme Christi.
Passionsaltar, rechter Flügel außen oben.
Um 1530.
[Nach zeno.org.] [Vergrößern]
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Henker- und Martyriumsbilder. Daß die Verzerrtheit der Gestalten eine
echte Ader in Hubers Schaffen aufdeckt, zeigt die Altartafel der
"Gefangennahme Christi", auf der sich wüste Menschenmassen zu
einem dämonischen Inferno versammelt haben, während das
Gegenstück, der "Ölberg", das von Leid zerquälte Profil
Christi in den Mittelpunkt stellt. Das Grausame in diesen Werken
erklärt sich aber auch aus der allgemeinen Härte der Zeit. Folter
und Scheiterhaufen traten nur allzu häufig in Tätigkeit.
Glücklicher erscheinen daneben die Tafeln eines Marienaltars, von
dem sich die "Heimsuchung" und die fast klassisch komponierte Gruppe der
"Ruhe auf der Flucht" erhalten haben. Eine Berglandschaft dient als ruhiger
Rahmen. Dürers Holzschnitt aus dem "Marienleben" stand dabei Pate
und verpflichtete zu klarem Bildaufbau.
Die große Leistung Hubers liegt fast ausschließlich in der
Landschaftsgestaltung, soviel Gutes seine Altargemälde und seine
eigenartigen Vorstudien auch enthalten mögen. Um 1530 steht Huber
in voller, ruhiger Reife da. Er zeichnet das Donautal bei Krems hoch oben
von einem Berge aus. Unten schlängelt sich der Strom um die
Anhöhen, man sieht weit in das Tal, bis die Donau in der Ferne der
Ebene sich verliert. Die Sonne bildet einen weiten Strahlenkranz. Das Laub
einer Birke im Vordergrund rinnt in leiser Musik hernieder. Reife [68] und Ruhe, die wir
[64b]
Wolfgang Huber: Blick ins Tal.
Federzeichnung. Berlin, Kupferstichkabinett.
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auch bei Altdorfer in den späten Landschaften kennenlernen,
strömen aus diesem Blatt wie aus zahlreichen anderen derselben Zeit.
Huber steht auf der Höhe seines Schaffens. Die Natur scheint
unhörbar und still zu atmen. Der Mensch tritt zurück: er
würde den geheimnisvollen, geschlossenen Ring dieses Seins
durchbrechen.
Im Grunde seines Wesens wendet sich Huber gegen den
Persönlichkeitskult der Renaissance, so wie er aus seinen Landschaften
die Figur des Menschen gänzlich verbannt, um sich dem innersten
Kern der Natur zu nähern. Während bei Altdorfer sich das
Menschliche und Naturhafte die Waage halten und durchdringen, strebt
Huber unmittelbar zu reiner Naturbeobachtung. Aber beide Wege
führen zur Entdeckung der beseelten Landschaft, zur Gestaltung der
tiefen Hintergründe naturhaften Seins, zu dem, was die Romantiker in
ihrer symbolhaften Sprache "Erdleben" nannten. Das Zittern des Waldes, das
ruhige Schwingen der Zweige, hängende Moose, verschleierte
Fernblicke, die weite Unendlichkeit des Naturraums werden zu Elementen
seiner Landschaft. Hier erreicht er die gleiche Höhe wie Altdorfer.
Wolfgang Huber: Portrait des Jakob Ziegler.
1544-49.
[Nach wikipedia.org.]
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Huber erlebt in Passau einen ruhigen und gleichmäßigen
Aufstieg. 1539 erwirbt er ein Haus und erhält erst damals das
Bürgerrecht, da er als Hofmaler der Zunft bis dahin nicht
anzugehören brauchte. Von 1540 bis zu seinem Tode ist er in Diensten
des Bischofs Grafen Wolfgang von Salm, der im Gegensatz zu Herzog Ernst
frei und offen nach Bildung strebt und einen Kreis humanistischer Gelehrter
um sich versammelt. Zu diesen zählt auch der berühmte
Humanist Jakob Ziegler, dessen Züge Huber in einem auf einsamer
Höhe stehenden Bildnis festhält. Streng und aszetisch im
Aufbau, rein frontal gemalt, Auge in Auge, steht ein ausdrucksvolles
Greisengesicht vor uns, in seiner weisen Ruhe ergreifend. Es bleibt der
einzige große Wurf unter den wenigen Gemälden der
Spätzeit Hubers, denn das große Bild der "Kreuzesallegorie"
wirkt durch die theologischen Vorschriften des Bischofs, seines Bestellers,
überladen und wirr. Es trägt schon ganz die Züge der
dürren allegorischen Malerei der Spätrenaissance und zugleich
einen unfruchtbaren Manierismus in sich, durch den sich der tragische
Niedergang der deutschen Malerei in der zweiten Hälfte des
sechzehnten Jahrhunderts nur noch beschleunigte.
Den Wechsel im Bischofsamt benutzt 1540 die Malerzunft, um den ihr
verhaßten "Hofmaler" in einer großen Beschwerdeschrift
anzuklagen. Aber Huber wird von seinem neuen Herrn als Hofmaler
bestätigt und untersteht damit nicht mehr der Gerichtsbarkeit der Stadt.
Aufschlußreich ist diese Urkunde, weil wir aus ihr erfahren, daß
Huber damals mit sieben Gesellen und Lehrknaben arbeitete, also einen recht
umfangreichen Aufgabenkreis auszufüllen hatte. Huber betätigt
sich in dieser Zeit auch als Baumeister und Innenarchitekt,
aber – ebenso wie Altdorfer – gleichsam im
Nebenberuf. Es beweist seine Vielseitigkeit, wenn er in Schloß
Neuburg am Inn, oberhalb Passau, zu Umbauten herangezogen wird und
mehrere Prunksäle, so das "Weißmarmelsteinerne und
Roth- [69] marmelsteinerne
Zimmer", sowie die "gemahlte Camer" als Innenarchitekt ausstattet. Solche
Aufträge führt er natürlich mit zahlreichen Gesellen
aus.
Wolfgang Huber: Voralpenlandschaft.
Aquarell, 1532. [Nach wikipedia.org.]
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Huber greift nur selten zum Aquarell. Erst sehr spät fängt er an,
seine Federzeichnungen zu lavieren, das heißt mit Pinselstrichen zu
tönen, um auf diese Weise dramatische Lichtgegensätze und
Hell-Dunkelwirkungen zu erreichen, die schon zum Barock überleiten.
In die Täler der Gebirgslandschaften senken sich tiefe Schatten, die
Bäume, mit schwarzen Flecken übermalt, wiegen sich im Raum.
Einer großen und phantastisch gesteigerten Ansicht der Stadt Passau
gibt Huber durch leicht hingehauchte Schattenpartien fast
impressionistischen Charakter. Die Auflösung der strengen Zeichnung
beginnt. Vielleicht verliert Huber damit den festen Boden unter den
Füßen, obwohl er zugleich auch die großen Schattentiefen
des Barocks, wie sie später Rembrandt aus der Federzeichnung
herausholte, zu ahnen beginnt. Es ist ein letzter Anstieg, der aber auch Ende
bedeutet. Altdorfer war schon l538 gestorben, Huber verwaltet also
gleichsam als letzter bis zu seinem Tode im Jahre 1553 das große Erbe
des Donaustils. Huber ist kein Maler der Landschaft, er ist der große
Zeichner. Diese gezeichnete Landschaft mußte mit dem Eindringen des
Barocks untergehen. Tragisch für die deutsche Kunst war es nur,
daß ein Meister fehlte, der wie Breughel in den Niederlanden
Brücke zu der neuen Zeit wurde.
Die glückliche Epoche einer deutschen Landschaftsmalerei bricht ohne
Nachfolge ab. Was die beiden "Kleinmeister" Augustin Hirschvogel und
Sebald Lautensack im Sinne der Donauschule noch weiterzuführen
versuchen, sinkt im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts herab zu einem
kalten topographischen Stil, der dann bis zu den realistischen Stadtansichten
der Merians führt. Auch Elsheimer gelingt es nicht, eine neue
Gestaltung der deutschen Landschaft herbeizuführen. Im siebzehnten
und achtzehnten Jahrhundert bemühen sich einzelne Begabte um die
Landschaft, aber ohne tiefere Wirkung und ohne die Höhe der
Donauschule zu erreichen. Es bedurfte erst der Erweckung eines neuen
Naturgefühls durch die
Sturm- und Drangperiode und die Romantik, um wieder eine lebendige
deutsche Landschaftsmalerei hervorzubringen. Erst in den verinnerlichten
Werken Caspar David Friedrichs und der anderen Romantiker erleben wir
eine Auferstehung der großen Zeit Altdorfers und Hubers.
Ein riesiger Bogen spannt sich über Generationen hinweg von der
beseelten Landschaft der deutschen Renaissance hinüber zu den
verträumten Fernblicken, den glasklaren Gebirgsbildern und den
einsamen Bäumen der Romantik. Aus der Natur selbst strömen
die Kräfte diesen beiden großen Epochen zu, weil sie mit
gläubiger Kühnheit in ihre Geheimnisse und Schönheiten
einzudringen vermochten. Durch die tiefe Schau der Natur erhält das
Werk der beiden Donaumaler überpersönliche Geschlossenheit.
Ihr gemeinsamer Weg führt zum ersten Höhepunkt deutscher
Landschaftskunst, und die Namen Altdorfer und Huber verschmelzen zu
einer Einheit, zu einem einzigen Klang.
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Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz
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