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[Bd. 5 S. 55]
Albrecht Altdorfer und Wolfgang Huber, Etwa 1480-1538 bzw. etwa 14901553, von Adolf Jannasch

Albrecht Altdorfer.
Albrecht Altdorfer.
Gravur aus der "Teutschen Academie"
von Joachim Sandrart.
[Nach wikipedia.org.]
Um 1500 geht eine tiefe Bewegung durch die deutsche Kunst. Die mittelalterliche Werkstatt mit ihrer namenlosen Gemeinschaft und dem Glanz einer geheiligten Kunst wird zur Arbeitsstätte einzelner, sich frei entwickelnder Persönlichkeiten. Bürgertum und Fürstentum treten gleichberechtigt als Auftraggeber neben die Kirche. Der Umkreis der Ideen weitet sich mit dem Auftauchen eines neuen Weltbildes. Zum ersten Male sieht der Künstler die Natur frei vor sich ausgebreitet. Der neuen Zeit gibt die Gotik ihre besten Kräfte als spätes Erbe mit. Italienische Formenschönheit dringt über die Alpen vor und wird in ein neues nordisches Renaissanceideal umgegossen. Mit gesammelter Kraft tritt Dürer wie ein Lehrer vor diese neue Generation. Seine Holzschnitte und Stiche wandern von Hand zu Hand. Aus ihnen spricht die ausgereifte Menschengestalt ihre eindringliche Sprache zum Volk. Von allen Seiten dringen neue Probleme auf den Künstler ein. Grünewald läßt noch einmal mit magischer Gewalt mittelalterliche Mystik aufleuchten. Der junge Cranach malt auf seiner Reise nach Wien 1500 bis 1503 Altarbilder und geniale Bildnisse mit wilden Felslandschaften als Umgebung. Auf dem großen Tafelbild der "Kreuzigung" stehen die drei Kreuze in kühner Überschneidung schräg im Raum vor düsterer Berglandschaft, während winterlich kahle Äste in trostloser Wirrnis gegen den Himmel starren. Donautal und Alpen sind für ihn die großen Eindrücke dieser Reise. Die Landschaftsmalerei, der Spätgotik schon lange vertraut in den Hintergründen der Bilder, in den Baumkulissen der Altäre oder den Monatsdarstellungen der Kalender, schien endlich ihren Entdecker gefunden zu haben. Aber Cranach wendet schon 1504 Süddeutschland den Rücken, und mit dem Verlassen der großen Natur der Berge verliert seine Landschaft ihre Kraft. So bleibt es Altdorfer und Huber vorbehalten, an diesen Landschaftsstil, den "Donaustil", anzuknüpfen und die ersten großen Gestalter deutscher Landschaft zu werden.

Albrecht Altdorfer erwirbt 1505 das Bürgerrecht in Regensburg und macht sich damit in der bedeutenden freien Reichsstadt ansässig: so lautet die erste Nachricht, durch die wir von seinem Leben erfahren. Da man in Regensburg mindestens fünfundzwanzig Jahre alt sein mußte, um Bürger werden zu können, wird Altdorfer um 1480 oder zumindest kurz vorher geboren sein. Vermuten können wir, daß der Regensburger Maler Ulrich Altdorfer sein Vater war, bei dem er wahrscheinlich den ersten Unterricht erhielt. Auch die Namen seiner drei Geschwister: Erhard, Magdalena, Aurelia, weisen mit Sicherheit auf Regensburg als Vaterstadt [56] hin. Altdorfer ist also ein richtiges Kind dieser Stadt, und die tiefen Höfe, die dunklen Straßen, die Kirchen waren ihm seit seiner Kindheit vertraut.

Wir wissen nicht, wohin sich Altdorfer auf Wanderschaft begab, und kennen auch nicht seinen Lehrer. Vielleicht war er einige Zeit bei dem Innsbrucker Meister Jörg Kölderer tätig, an dessen Miniaturstil Altdorfers Werke mitunter erinnern. Seine ersten Kupferstiche und Zeichnungen aus dem Jahre 1506 stehen in entzückender Unbeholfenheit und höchst persönlicher Auffassung vor uns. Diese Blätter tragen als Monogramm zwei übereinandergesetzte große A, Dürers bekanntem Zeichen nachgebildet, und legen damit Zeugnis ab von der großen Verehrung, die Altdorfer als junger Mensch für Dürer empfand. Er übernimmt auch einzelne Figuren des Nürnberger Meisters, ahmt ihn jedoch nie nach. Seine Menschen sind von anderem Wuchs: hochaufragende Figuren mit kleinen Köpfen und strähnigen Haaren, in sackartige Gewänder gehüllt, mit krausen Linien spielerisch hingeworfen. Nackte Frauenkörper stehen fast unwirklich wie Gestalten aus einem Mythos in zaghaftem Licht.

Altdorfer erschließt sich schon in dieser Frühzeit die Zeichnung als eigenstes Gebiet. Meist nimmt er getöntes Papier, bevorzugt braun-rote und grau-blaue Töne, um in emsiger Stricharbeit mit weißen Lichtern malerische Hell-Dunkelwirkung zu erzielen. Während man noch um die Jahrhundertwende die Zeichnung fast ausschließlich als Vorstudie und Skizze betrachtete, reift bei Altdorfer die Handzeichnung zum bildmäßigen Werk. Diese Blätter, die bei Liebhabern

Christophorus.
Albrecht Altdorfer: Christophorus.
Feder in Schwarz, weiß gehöht,
auf blaugrün grundiertem Papier. 1510.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]
großen Anklang fanden und auch zum Verkauf bestimmt waren, sind deshalb von großer Bedeutung für die Geschichte der Zeichnung. Hier konnte sich auch seine Neigung zum kleinen Bildformat, die einen besonderen Wesenszug seiner Kunst bildet, voll auswirken. So ziehen glückliche Schilderungen des Landknechtslebens, vornehme Leute in phantastischen Kostümen an uns vorüber, wir sehen Liebespaare im hochaufragenden Kornfeld, Hexen bei ihrem dunklen Werk, den heiligen Christophorus, mit vom Sturmwind aufgeblähtem Mantel mühsam durch das Wasser watend. Frei entfaltet sich hier das Erzählertalent Altdorfers, der mit unermüdlicher Phantasie genrehafte Szenen vor uns hinzaubert. Nie ist er um eine Geste, um ein Motiv verlegen.

Die Landschaft hat an diesen Blättern stärksten Anteil. Da stapft ein Riese mit nacktem, breitem Körper durch einen Wald voll mächtiger Stämme und trägt einen klotzigen Baum, dessen Zweige schwer nach unten hängen. In wiegendem Gang stützt er seine Last. Eine urtümliche und wilde Landschaft wächst empor. Knorrige Äste, abgerissene Stümpfe erzählen vom Schicksal des Waldes.

Auch die ersten Gemälde beherrscht die Landschaft. Auf dem Bild "Satyrfamilie im Walde" – der echt nordischen Umgestaltung eines antiken Vorwurfs – ragen über den Figuren dunkle Tannen auf, während sich der Blick in der Mitte bis zu fernen Bergzügen weitet. Mensch und Landschaft gehen ineinander auf.

Laubwald mit dem Heiligen Georg.
Laubwald mit dem Heiligen Georg.
Öl auf Pergament (auf Lindenholz aufgezogen). Um 1510.
[Nach wikipedia.org.]      [Vergrößern]
[57] Im Jahre 1510, als Wolfgang Huber in Österreich seine erste kühne Skizze nach der Natur zeichnet, erreicht Altdorfer den Höhepunkt seiner Frühzeit in dem "Laubwald mit dem heiligen Georg" (München, Pinakothek). Eine breite Wand von Bäumen steht vor uns. Mit spitzen Pinselstrichen sind Zweige und Laubwerk in dichter Undurchdringlichkeit gemalt. Es ist kein Blick in einen Wald, sondern auf ein sich emportürmendes Bollwerk von Baumriesen. Unten, ganz klein, zierlich wie ein Spielzeug, reitet der heilige Georg auf hellem Schimmel gegen einen Drachen an, vor dem man kaum Angst empfindet, so zahm liegt er am Boden. [58] Dieser Wald hat etwas Heiliges, er wirkt wie ein Altarbild, wie Orgelklang. Nicht für eine Kirche bestimmt, überträgt dieses erste große Landschaftsbild unserer Kunst die Religiosität des Mittelalters gläubig auf die neuentdeckte Natur.

Geburt Christi.
Albrecht Altdorfer: Geburt Christi.
Öl auf Holz, 1507.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]

Ruhe auf der Flucht.
[641]  Altdorfer: Ruhe auf der Flucht. 1510.
Berlin, Deutsches Museum.
[Hier farbig.]
Die schwierige Aufgabe eines Nachtbildes mußte Altdorfer bei seiner Begabung für malerische Probleme besonders anziehen. So entsteht schon 1507 das Gemälde der "Geburt Christi" mit den noch unbeholfen gezeichneten Gestalten der Heiligen Familie (Bremen, Kunsthalle). Engel verwandeln die Ruinen in einen Spielplatz, einige sitzen auf der Leiter, die zu freiem Sparrenwerk hinaufführt. Joseph hält eine Stallaterne, deren Licht mit dem Mond wetteifert. Fahler Glanz strahlt von dem Schnee, der den Boden bedeckt, aus: ein Hell-Dunkelbild mit bizarren Lichteffekten, das zu den frühesten dieser Art gehört.

Volle Reife und unbekümmerte Jugendfrische vereinigt eines der glücklichsten Bilder Altdorfers, die "Ruhe auf der Flucht" aus dem Jahre 1510 (Berlin, Deutsches Museum). An einem Renaissancebrunnen sitzt Maria im Lehnstuhl. Weit über den Rand des Brunnenbeckens streckt das Kind einem der vielen kleinen Engel, die die weite Schale als Tummelplatz benutzen, seine Händchen entgegen, um mit ihm zu spielen. Die biblische Geschichte wird hier zu einem bürgerlich-bäuerlichen Familienbild voll köstlicher menschlicher Züge. Im Hintergrund dehnt sich eine echte Altdorfer-Landschaft mit felsigen Uferbuchten und tief-dunkelblauen Bergzügen. Satte Harmonie der Farben begleitet das aus reicher und wahrhaft poetischer Phantasie gestaltete Spiel der Figuren. Heilige Gestalten verlassen die Strenge kirchlicher Tradition und die himmlische Sphäre des Goldgrundes und steigen zu den Hütten und Häusern der Menschen herab. Diese Vermenschlichung des Heiligen, die von der Renaissance zur frischen Schilderung täglichen Lebens genutzt wurde, gelingt Altdorfer in höchstem Maße.

Das Jahr 1511 bringt einen plötzlichen Einschnitt und eröffnet eine neue Epoche in Altdorfers Schaffen. Eine Reise führt ihn donauabwärts und weitet seinen Blick. Größere Reisen waren damals immer noch sehr umständlich. Man verließ auf längere Zeit eine vertraute Umgebung und konnte sich, losgelöst von gewohnten Aufgaben, der Fülle neuer Gesichte frei hingeben. Denken wir nur an Dürer, der auf seiner Reise nach Venedig 1506 aufs heftigste von den Problemen der Proportion und der zarten Gewalt

Sarmingstein an der Donau.
Albrecht Altdorfer: Sarmingstein an der Donau.
Zeichnung, 1511.
[Nach wikipedia.org.]
südlicher Farben ergriffen wurde, dann verstehen wir auch, daß dieses Donautal mit den hart aus dem Strom aufsteigenden Felspartien in unmittelbarer Stärke auf Altdorfer wirkte. Zwei nach der Natur gezeichnete Blätter sind Niederschlag dieser Erlebnisse. Das eine zeigt den mit Mauern, Burg und Tor wehrhaft ausgestatteten Ort Sarmingstein, hinter dem sich das Donautal bedrohlich verengt. Felsen ragen düster in die Höhe und hängen so stark über, daß man Furcht hat, der Ort könnte im nächsten Augenblick verschüttet werden. Mit nervösen, spitzen Strichen und erregtem Zittern der Linien sind Berge und Bäume hingeworfen. Das andere Blatt stellt eine wilde Gebirgslandschaft dar. Hohe Felsen türmen sich in steilen Graten. Baumreihen klammern [59] sich an die Vorsprünge, die bandartig zwischen den Abstürzen liegen. Zwei alte Weidenstämme ragen wie Ungetüme auf; der eine, geborsten, vom Sturm heruntergedrückt, steht da wie ein Berggeist, ein Riesengewächs aus mythischer Zeit. Die tiefe Dämonie der Berge dringt mit ungestümer Gewalt auf Altdorfer ein, der wie ein Grünewald der Landschaft vor uns steht.

An dem berühmten Altar von Sankt Wolfgang, in dessen Tafeln der Spätgotiker Michael Pacher sich um die Gesetze der Perspektive bemüht, holte sich Altdorfer ebenso wie später Wolfgang Huber neue Anregungen, denn gerade jetzt beschäftigte ihn das Problem der Tiefenwirkung. Riesige Vordergrundgestalten tauchen von nun an in seinen

Liebespaar. Holzschnitt von Albrecht Altdorfer, 1511.
[57]      Liebespaar.
Holzschnitt von Albrecht Altdorfer, 1511.
Werken auf und lassen den Abstand von den kleineren Figuren des Mittel- und Hintergrundes mit Deutlichkeit ablesen. Um diese Raumprobleme zu verwirklichen, schien ihm der Holzschnitt, der ja immer auf große Wirkungen abzielt, besonders geeignet. Mit der Sprunghaftigkeit, die für Altdorfer so charakteristisch ist, läßt er plötzlich vom Kupferstich ab und zeichnet für den Holzschnitt reich belebte Szenen mit eigenartigen Lösungen des Raumproblems. Eine Holzschnittpassion in ganz kleinem, für den Holzschneider höchst anstrengendem Format zeigt eindringliche Raumgruppierungen weniger Figuren auf kleinster Bühne wie Variationen eines schlichten und unerschöpflichen Themas.

Reiche Ernte bringen die Jahre nach der Donaureise für seine Zeichnungen. Nie strömten ihm so leicht die Anregungen zu. Mit wenigen Strichen erhebt sich geisterhaft vor uns eine Episode aus der Antike, oder es erscheinen die Heiligen Drei Könige in phantastischer Gewandung vor Maria mit dem Kind. Jetzt hat Altdorfer auch das Nachtbild zu souveräner Meisterschaft gesteigert und mit dem Gemälde des Deutschen Museums zu Berlin "Geburt Christi" das Unbeholfene seiner Frühzeit überwunden. Ängstlich birgt sich die kleine Gruppe von Maria, Joseph und dem Kind in dem zerfallenen Mauerwerk. Hell auf den Grund gezeichnete Gräser und Blumen, das Spiel des Mondlichts auf den Ziegeln, die Arabeske der in der Höhe schwebenden Engelgruppe lassen die Innigkeit einer stillen und zarten Freude spüren.

Altdorfer hatte sich in Regensburg als Künstler durchgesetzt. 1513 erwirbt er mit seiner Frau Anna ein stattliches Haus, eine "eigene Behausung sammt Thurm und Hofstatt am Sankt-Veitsbach bei den Augustinern in Regensburg". Auch über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus dringt sein Name. Er wurde herangezogen von Kaiser Maximilian I., der in großzügig angelegten Holzschnittwerken Kunst und Macht zu verbinden suchte und in einer Art

Christus am Ölberg.
Albrecht Altdorfer: Christus am Ölberg.
Sebastiansaltar des Augustiner-Chorherrenstifts St. Florian bei Linz, linker Innenflügel zur Passion Christi, Szenen oben links: Christus am Ölberg. Um 1509-1516.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]
Gemeinschaftsarbeit die Künstler nach einem festen Plan vereinen ließ. Holzschnitte mit Szenen aus dem Leben des Kaisers von der großen, unter Dürers Leitung entstandenen "Triumphpforte" darf man ihm wohl zuschreiben. Er erhält mehrere große Altaraufträge, die ihn zu breiterer Malart und größerem Format einfach zwingen. Nicht immer gelingt ihm dieser Schritt zur Großkomposition, denn nur ungern gibt er die sorgfältig ziselierte Feinarbeit auf. Aber erstaunlich ist es, wie in den Bildern der [60] Passion Christi oder den Darstellungen aus dem Leben des heiligen Florian, die für das Stift Sankt Florian in Österreich bestimmt waren, einige Szenen in monumentaler Rhythmik dastehen. Ein Nachtstück bildet den Höhepunkt dieser Reihe: in einer echten "Donaustil"-Landschaft mit finsteren Weiden wird die Leiche des heiligen Florian von Frauen und Männern aus dem Fluß geborgen und auf einen Wagen gehoben. Im Hintergrund bricht die Sonnenscheibe mit blutrotem Schein wie eine Anklage aus dem düsteren Himmel hervor. Leider sind im Kaiserbad des Bischofshofs von Regensburg kulturhistorisch höchst amüsante Wandmalereien mit badenden Männern und Frauen untergegangen.

Geburt Mariä.
Albrecht Altdorfer: Geburt Mariä.
Öl auf Holz, um 1520.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]
Am Abschluß dieser mittleren Periode steht das Gemälde der "Geburt Marias" (München, Pinakothek). Altdorfer verlegt die häusliche Szene in einen weit- aufragenden Kirchenraum, in dessen Innern ein Kranz von tanzenden Engeln wie ein lebendiger Kronleuchter schwebt, weit ausholend in seiner Rundung bis in die tiefste Tiefe des Kirchenschiffs. Als Vorstudie hatte Altdorfer eine Skizze des Kirchenraums in planmäßiger Konstruktion der schwierigen Überschneidungen sorgfältig gezeichnet. Diese Zeichnung ist so baumeisterlich sicher und treffend, daß wir hier den ersten Einblick in seine spätere Tätigkeit als Architekt gewinnen.

Mit dem Jahre 1519 brachen für Regensburg Tage gewaltsamer Erschütterungen an. Kaiser Maximilian war gestorben. Seine zentrale Politik hatte auch in den freien Städten für Ordnung und Festigkeit gesorgt. Jetzt benutzte man die Gelegenheit seines Ablebens, um die Juden aus Regensburg auszutreiben, die sich sonst mit Erfolg an Maximilian hätten wenden können. Jahrelang schon lagen Geistlichkeit und Judentum in Regensburg im Kampf. Religiöse Erregung und das energische Auftreten der Handwerker, die sich von den Juden bedrängt fühlten, brachten den Rat der Stadt dahin, die
Vorhalle der Synagoge von Regensburg.
Albrecht Altdorfer:
Vorhalle der Synagoge von Regensburg.
Radierung, 1520-1522.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]
Ausweisung der Juden binnen acht Tagen zu beschließen. Altdorfer gehörte als Mitglied des sogenannten Äußeren Rats der Abordnung der Stadt an, die den Juden diesen Ausweisungsbefehl mitzuteilen hatte. Unbeschreibliche Erregung bemächtigte sich der ganzen Bevölkerung. In kurzer Zeit wurde die Synagoge eingerissen, bald darauf auch das ganze Judenviertel. Altdorfer selbst hat das Innere der Synagoge kurz vor ihrer Zerstörung noch in zwei Radierungen von kühler topographischer Treue festgehalten. Auf den Trümmern der Synagoge errichtete man eine hölzerne Kapelle für das wundertätige Bild der "schönen Maria". Das Volk strömte zu dieser neuen Stätte, und Wallfahrten kündeten von der religiösen Volksbewegung, die damals große Teile Deutschlands ergriff. In ekstatischer Begeisterung rissen sich einzelne Gläubige sogar die Kleider vom Leib und widmeten sie dem Wunderbild. Religiöser Taumel ergriff das Volk. Altdorfer hatte an dieser inneren Bewegung der Stadt stärksten Anteil. Er war mitbestimmend bei der Wahl des Baumeisters, der für die "schöne Maria" einen neuen stattlichen Renaissancebau errichten sollte. Er malte eine Kirchenfahne für die berühmte kleine Kapelle, und auf einem alten Holzschnitt sehen wir sie breit und schwer aus dem Turmfenster [61] hängen: zwischen den gekreuzten Schlüsseln, dem Wappen der Stadt, steht die "schöne Maria", das Kind im Arm, und blickt ruhig auf die Gläubigen herab. Altdorfer lieferte auch den Entwurf für die Ablaßmedaille, die in Zehntausenden von Exemplaren Geld für den Neubau zusammentragen half.

Mit innerlicher Ergriffenheit erlebt Altdorfer diese religiöse Wende. Nie knieten Menschen vor seinen Werken so versunken in Gläubigkeit, wie wir es auf dem Holzschnitt mit der thronenden "schönen Maria" sehen, vor der in weiter Halle ein Mann andächtig betet, während ein Engel neben dem Thron leise die Laute spielt. Altdorfer gestaltet überhaupt erst den neuen Typus der "schönen Maria", der bald zu größter Volkstümlichkeit gelangt: die schönen, fast bäuerlich-breiten Züge des vollen Gesichts werden von einem tief in die Stirn fallenden Kopftuch gerahmt, dessen breiter, reich verzierter Rand wie ein Heiligenschein wirkt. Hier verwirklicht Altdorfer in den ebenmäßigen Zügen und den tiefblickenden Augen der "schönen Maria" ein Gesicht aus dem Volk voller Leben und Wärme, die erste und innigste Verbindung von Heiligem und Schönem, wie es die Romantiker später mit tiefer Dankbarkeit
Die ‘Schöne Maria' von Regensburg.
Albrecht Altdorfer:
Die "Schöne Maria" von Regensburg.
Farbholzschnitt, um 1519.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]
empfanden. In einem von sechs Platten gedruckten Farbholzschnitt, der Wallfahrern und Andächtigen als bunte Erinnerungsgabe dienen sollte, steht die "schöne Maria" in ruhiger Renaissanceumrahmung hinter einer Brüstung. Unter das Bild schreibt Altdorfer in dreifacher Wiederholung: "Ganntz schön bistu mein freundin und ein makel ist nit in dir. Ave Maria." In diesen Worten drängt sich die ganze Süße der religiösen Empfindungen dieser Zeit zusammen. Das reifste Bild der "schönen Maria" gelingt Altdorfer mit dem Holzschnitt "Ruhe auf der Flucht". Unter dem Sterngewölbe einer Kapelle erhebt sich ein Renaissancebrunnen, wie ihn Altdorfer so sehr liebt. Maria beugt sich mit dem Kind über den Rand der runden Schale; Joseph tritt in Reisekleidung hinzu. Stille liegt über dem harmonischen Raum, der von Engelsgestalten belebt wird. Die Bewegtheit der früheren Zeit weicht einer fast klassischen Ruhe.

Zu dieser harmonischen Haltung kommt Altdorfer auch in den Landschaften, deren Blicke sich langsam beruhigen, in unendliche Weiten dehnen. Die Berge, die Felszacken, die wilden Bäume haben nichts Bedrängendes, nichts Wüstes mehr, sie werden ihm vertraut. Er sieht einen einzelnen Baum vor sich und versenkt sich ruhig und gelassen in seine Gestalt. Tief hängt das Moos von den Zweigen, Laub zittert im Wind, die Rinde sieht in ihrer zerfressenen Rauheit wie ein verrunzeltes Gesicht aus. Silhouetten dunkler Bäume stehen gleich beseelten Gestalten vor dem rot aufglühenden Abendhimmel. In sparsamer Farbtechnik entstehen in den zwanziger Jahren die ersten Landschaftsaquarelle der deutschen Kunst, die eine geschlossene Bildwirkung vermitteln und nicht wie die früherliegenden kühnen Aquarelle Dürers persönliche Studien und Skizzen sind, die zum Teil unvollendet hingeworfen wurden.

Landschaft. Aquarellierte Federzeichnung, 1522.
[56a]      Albrecht Altdorfer: Landschaft.
Aquarellierte Federzeichnung, 1522. Wien, Albertina.

Den Aquarellen und Zeichnungen schließen sich die Radierungen an, in denen Altdorfer diese noch junge Technik mit feinster Ausnutzung der weichen [62] Strichbildung zur Landschaftsdarstellung heranzieht. Weite Ausblicke, gestaffelte Bergzüge ergeben eine ruhige, klassische Landschaft, die durch einzelne monumentale, in den Vordergrund gerückte Bäume noch mehr an Tiefenraum gewinnt. Diese Deutung der Natur verdankt Altdorfer der vielseitigen mit landschaftlichen Schönheiten gesättigten Gegend, in der er lebte. Sein Werk ist ganz auf dem Boden der bayrischen Heimat gewachsen. Die kraftvollen Bergzüge des Bayrischen Waldes, die wilden Vorberge der Alpen und das Donautal selbst wurden seine Vorbilder, aus denen er immer wieder neue Kräfte schöpft. Wenn wir heute durch die Regensburger Gegend wandern,
Donaulandschaft bei Regensburg mit dem Scheuchenberg.
Albrecht Altdorfer: Donaulandschaft bei Regensburg mit dem Scheuchenberg.
Pergament auf Buchenholz, um 1528.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]
begegnet uns an vielen Stellen in kaum veränderter Gestalt die vertraute Altdorfersche Landschaft. In dieser Periode der Landschaftsbildung führt die Nähe von Wolfgang Huber in Passau zu gegenseitigem Austausch und innerer Annäherung der beiden Donaumeister. Aus dieser Vorbereitung wächst wie ein selbstverständliches Geschenk als erstes Landschaftsgemälde der deutschen Kunst die "Waldlandschaft" der Münchener Pinakothek. Zwischen zwei mächtigen Randbäumen dehnt sich der Blick weit hinüber zu einem großen, bewaldeten Abhang, um dann mit einer Burg und felsigen Höhenzügen in die Ferne überzuleiten. Unendlich viel Raum durchmißt unser Blick, ehe er an der zarten Bläue des Himmels haltmacht. Welch ein Weg im Werk Altdorfers, wenn wir an die geschlossene Baumwand der "Landschaft mit dem heiligen Georg" denken, die etwa zwanzig Jahre früher entstand! Fast zu sehr hat sich das Temperament Altdorfers gemildert, so klar gleitet das Auge über die in emsiger Kleinarbeit gezeichneten Bäume. Der ruhige Atem des Alters liegt über diesem Bild.

In sicherem Aufstieg arbeitet sich Altdorfer als echter Bürger der Stadt Regensburg empor. Er wird 1526 in den Inneren Rat gewählt. Auf einer leider dürftigen Miniatur, in der uns das einzige Bildnis des Künstlers erhalten blieb, sehen wir ihn, im Kreise des Rats in feierlicher Kleidung einer Festsitzung beiwohnen. Seit 1526 bekleidet er auch das Amt eines städtischen Baumeisters. Seine Vielseitigkeit findet hier ein neues Betätigungsfeld, und es ist kein Zufall, daß nicht nur Altdorfer, sondern auch Huber zugleich als Baumeister und Maler tätig waren. Hier tritt uns ebenso wie bei Dürer die typische Begabung des Renaissancemenschen entgegen, sich viele Künste dienstbar zu machen, sich den weiten Umkreis einer Materie zu erschließen, so wie man die ganze Natur in einem wahrhaftigen Siegeszug erobert hatte. Als Baumeister hatte Altdorfer zwar viele praktische Bauvorhaben zur Ausführung zu bringen, aber bedeutendere Werke von seiner Hand haben sich nicht erhalten. Wir gewinnen jedoch ein lebendiges Bild seiner Tätigkeit, wenn wir hören, daß er den Weinstadel, das Fleischhaus und das Schlachthaus von Regensburg baute, daß der Marktturm nach seinen Plänen errichtet wurde. Noch heute steht das Schlachthaus, ein kunstloser Nutzbau, der wenig über Altdorfers Baugesinnung aussagt. Von größter Verantwortlichkeit ist seine Tätigkeit zur Zeit der Türkengefahr. Als Sultan Soliman II. 1529 [63] in überraschendem Siegeszug bis nach Wien vordringt, sieht sich auch Regensburg gezwungen, starke Befestigungen zu errichten. So baut Altdorfer in den Jahren 1529 bis 1530 die "Osten-Pastey", die "Kreuz-Pastey" und die "Eisengred". Wie sehr Altdorfer als Ratsmann beschäftigt ist, zeigt uns ein Ratsbeschluß aus dem Jahr 1533, ihm jährlich "zwei Schaff Hafer" für sein Reitpferd zu bewilligen, da er sehr oft auswärts tätig sei.

Susanna im Bade.
Albrecht Altdorfer: Susanna im Bade.
Öl auf Holz, 1526.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]
Das einzige Bauwerk, das uns von Altdorfers Bauplänen eine lebendige Vorstellung vermittelt, ist der große, mit weiten Renaissancehallen ausgestattete, palastartige Bau auf dem Gemälde mit der Darstellung der Susanna im Bade. Hier konnte Altdorfer das verwirklichen, was er nie bauen durfte. Dieser Palast, in vielen Geschossen aufsteigend und mit zahlreichen Türmchen bekrönt, zeigt zwar die Form der Renaissance, aber so ins Nordische gewandelt, mit lustiger Unregelmäßigkeit und bunter Phantasie gestaltet, daß er mehr einem Märchenschloß als einem klassischen Renaissancegebäude gleicht. Auch hier legt Altdorfer ebenso wie bei dem Gemälde der "Geburt Marias" in einer Vorzeichnung die Struktur seines Baues aufs ernsthafteste fest. Sicher hätte er auch als Architekt einen eigenen Stil entwickelt, wenn ihm ein großer Auftrag zuteil geworden wäre.

Alexanderschlacht.
Albrecht Altdorfer: Alexanderschlacht.
Öl auf Holz, 1529.
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Eine ehrenvolle Bestellung erhält Altdorfer 1528 von Herzog Wilhelm von Bayern, der ein Gemälde der Niederlage des Perserkönigs Darius bei Arbela als Gegenstück zu verschiedenen anderen Schlachtenbildern in Auftrag gibt. Altdorfer geht mit größter Sorgfalt zu Werke und malt auf kleinem Raum in mühseliger Kleinarbeit ein Schlachtgetümmel mit Tausenden von Kriegern in Renaissancerüstung, mit wehenden Federbüschen. Wir sehen hoch von oben auf diese weite Schlachtebene, auf der unzählbare Heerhaufen gegeneinanderrücken und die im Hintergrund in einer wahrhaft grandiosen Landschaft von Gebirgszügen, Seenketten und Wolkenbänken endet. Die Sonne bricht durch das Gewölk in roter Abendglut, die den Untergang des persischen Reichs verkündet. Die Abstufungen des Lichts sind mit größter Virtuosität gemalt, düsteres Dunkelblau liegt wie Gewitter unheimlich über dem Schlachtfeld. Altdorfer war innerlich so beschäftigt mit dieser "Alexanderschlacht" (München, Pinakothek), daß er den Vorschlag des Rats, ihn zum Bürgermeister zu wählen, ablehnte, weil er erst sein Bild fertigstellen wollte. Mit dieser gewaltigen Raumphantasie, in die Altdorfer das unmittelbare Erlebnis der Türkengefahr hineinmalte, schuf er nicht nur das erste bedeutende Schlachtgemälde der deutschen Kunst, sondern auch eine seiner stärksten Landschaften.

Die Liebe zur Kleinarbeit treibt Altdorfer in der Spätzeit auch wieder zum Kupferstich. Mit zierlichen Blättern reiht er sich unter die sogenannten "Kleinmeister", eine Nürnberger Gruppe von Stechern, ein, die in kleinstem Format mythologische, allegorische Szenen und Ornamentvorlagen in Kupfer stachen. Auf kleinstem Raum glücken ihm in exakter Grabstichelarbeit Bilder von intimer Raumwirkung, die zu den Kostbarkeiten der Kupferstichkabinette gehören.

[64] Aus den letzten Jahren sind nur wenige Werke Altdorfers erhalten. Er ist als Ratsherr jetzt so in Anspruch genommen, daß er seltener zum Malen kommt. Eine kleine Landschaft mit der Darstellung des Sprichworts "Der Hoffahrt sitzt der Bettel auf der Schleppe" zeigt noch einmal die ganze Erzählerkunst Altdorfers. In weichen Farbtönen läßt das Bild die weit geschichtete Landschaft der Niederländer des siebzehnten Jahrhunderts vorahnen. Der silbrige Dunst der Atmosphäre, das Zittern der Luft ist hier schon leise aufgespürt.

In Regensburg dringt 1533 die Reformation ein, und so wie sich Altdorfer leidenschaftlich für die "schöne Maria" eingesetzt hatte, so wird er jetzt einer der ersten Parteigänger der Lehre Luthers, als man daranging, die Kirche der "schönen Maria" zur protestantischen Kirche umzugestalten. Lebendige Anteilnahme trieb ihn immer von neuem zur Auseinandersetzung mit den religiösen Problemen seiner Zeit. Ein Jahr später wird er zum Pfleger des Augustinerklosters ernannt, 1538 stirbt Altdorfer als einer der angesehensten Bürger seiner Heimatstadt. Seine Ruhestätte findet er in der Augustinerkirche neben seiner Frau Anna, die sechs Jahre vor ihm gestorben war. Die deutsche Kunst hatte ihren ersten großen Landschafter verloren.


Wolf Huber. Angebliches Selbstportrait, ca. 1522.
Wolf Huber: Portrait eines Mannes mit Kappe.
Angebliches Selbstportrait, ca. 1522.
[Nach artroots.com.]
[Scriptorium merkt an: ob Wolfgang Huber sich in dieser Kreidezeichnung tatsächlich selbst darstellte, konnten wir leider nicht feststellen; außer auf artroots.com und einigen wenigen ähnlichen Kunst-Netzseiten wird weder dieses Bild, noch irgendein anderes, als Portrait Wolf Hubers bezeichnet.]
Während das Werk Altdorfers nie ganz unterging und besonders in Regensburg immer gehütet wurde, verschwindet der Name Wolfgang Hubers, des zweiten großen Landschafters des Donautals, schon bald nach seinem Tod aus dem Gedächtnis der Menschen. Für Generationen geht die Erinnerung an sein Werk verloren, bis es 1838 einem Forscher gelingt, das Monogramm W. H. auf einigen Holzschnitten als Wolf Huber aufzulösen. Aber erst seit dem Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erschloß sich uns das Werk Hubers wie eine Neuentdeckung. Jetzt wird es möglich, die beiden nebeneinander wirkenden und gleichen Zielen zustrebenden Meister Huber und Altdorfer in die Entwicklung der deutschen Kunst einzureihen, ihre Bedeutung für die Entstehung der Landschaftsmalerei zu erkennen.

Ein sicheres Geburtsdatum kennen wir für Huber ebensowenig wie für Altdorfer. Wir können nur aus der frühesten gesicherten Zeichnung Hubers, die 1510 entstand, schließen, daß er etwa 1490 oder wenig früher geboren wurde. Als Geburtsort kommt entweder Passau oder mit etwas größerer Wahrscheinlichkeit der Vorarlberger Ort Feldkirch in Frage, denn in dem ersten größeren Altarauftrag für die Annenbruderschaft in Feldkirch wird Huber als "Wolfgang Hueber von Veldtkürch, jetzt wohnhaft zu Passau" genannt, eine andere Urkunde aus dem Jahre 1529 bezeichnet ihn als "Maler von Veldtkirchen". Da jedoch bei ähnlichen Angaben der letzte Aufenthaltsort häufig vorkommt, braucht Feldkirch nicht der Geburtsort zu sein. Dunkel liegt auch über der Lehrzeit Hubers. Vermuten können wir vorläufig nur, daß er seine Jugend in der Nähe der Alpengegenden verbringt und von früh an in den Landschaftsstil des Donaugebiets [65] und der Salzburger Gegend hineinwächst. Vielleicht lernte er einige Zeit in Salzburg selbst, vielleicht traf auch er mit Jörg Kölderer in Innsbruck zusammen.

Aber das sind nur Vermutungen. Auch ist kein gesichertes Bildnis Hubers nachzuweisen. Schon früh, sicher vor 1515, kommt Huber nach Passau, und diese beherrschend gelegene und an landschaftlichen Schönheiten überreiche Stadt wurde von nun an seine Heimat. Hier arbeitet er von 1517 bis 1540 als Hofmaler des Passauer Bischofs, des Herzogs Ernst von Bayern, eines strengen Katholiken, der mit äußerster Schärfe gegen Wiedertäufer und Luthertum vorging. In Passau waren die Elemente des "Donaustils" schon vor Huber wirksam. Hans Pruckendorffer als älterer Meister zeigt Ansätze zu einem kernigen Landschaftshintergrund. Cranachs bedeutsame Reise nach Wien hatte auch hier Spuren hinterlassen. Daneben wirkte immer noch der strenge Einfluß Michael Pachers nach. Aus dieser Umgebung ragt ganz plötzlich Huber mit seinem Erstlingswerk, einer Landschaftszeichnung des Jahres 1510, als genialer Neuerer hervor. Mit strengen, klaren Federstrichen zeichnet er in kühlen Umrissen den Mondsee im Salzkammergut, während im Hintergrund die Silhouette des Schafsbergs aufsteigt. Die feinen Linien des fernen Seeufers werden von einem Steg im Vordergrund wie von einer unerbittlichen Barriere überschnitten. Mit schärfster Beobachtungsgabe ist dieser Naturausschnitt treu und zuverlässig festgehalten. Ein geborener Landschafter steht plötzlich vor uns. Wenn wir bedenken, wie selten damals die Landschaftszeichnung nach der Natur geübt wurde – erst allmählich rückte ja die Schilderung der Natur zu den Aufgaben der Kunst empor –, dann verstehen wir die Kühnheit Hubers. Ohne jede Anknüpfung an das Vorhergehende entstand dieses kostbare Blatt, das Werk eines Frühreifen. Huber besuchte damals sicher den nahegelegenen Ort Sankt Wolfgang mit dem berühmten Altar Pachers, dessen Herbheit dem Charakter dieser Landschaft noch am ehesten verwandt ist.

In Huber steigt in Vergleich zu Altdorfer etwas von der nächsten Generation auf: noch sicherer empfängt er als ein Fertiges den Dürerschen Stil und den freien Blick der Renaissance. Er kämpft nicht mehr um die Eroberung der Landschaft, er findet sie von früh an. Für ihn ist sie Selbstverständlichkeit. Viel unmittelbarer, realistischer steht er deshalb der Natur gegenüber. Er hält sich nicht bei der wilden Waldlandschaft auf, in die Altdorfer sich versenkt, er phantasiert nicht, sondern wählt mit scharfem Auge Ausschnitte aus

Der Heilige Christophorus.
Wolfgang Huber: Der Heilige Christophorus.
Holzschnitt, um 1518.
[Bildarchiv Scriptorium.]
der Natur. Diese ungewöhnliche Begabung erklärt, daß ihm die Figurengestaltung, die innere Komposition schwerfällt, daß ihm die Fülle der Ideen Altdorfers, des großen Erzählers, fehlt. Seine Menschen stehen hinter den Landschaften weit zurück. In Hubers frühen Zeichnungen tauchen wilde Landknechtsfiguren auf, selbst der heilige Christophorus wird in ein geschlitztes Wams und geschlitzte Hosen gesteckt; die ersten Holzschnitte in derben, krausen Linien entstehen. Einzelne Anregungen des großen Regensburgers gehen auch zu Huber hinüber. In einer Engelsgestalt, [66] die etwas unbeholfen mit rührend bäurischer Gebärde sich zu einem Heiligen herunterwendet, ahnt man die Nähe Altdorfers.

So wie für Altdorfer die Donaureise steht in Hubers Entwicklung das Jahr 1514 als neuer Anstieg vor uns. Zwei Landschaftszeichnungen werden zu Symbolen einer

Landschaft mit Weiden.
[67]      Landschaft mit Weiden.
Federzeichnung von Wolfgang Huber, 1514.
Budapest, Kupferstichkabinett.
Sturm- und Drangperiode: Zeichnungen mit Weiden, die ihre Zweige wie spitze, lange Stacheln gegen den Himmel strecken. Knorrig dastehend, in festen, metallischen Federstrichen umrissen, bilden die Weiden eine seltsame Versammlung von drohenden, in ekstatischer Erregung sich aufreckenden Gestalten. In dieser Landschaft ist kein Raum für einen Menschen. Leere rinnt zwischen den schwarzen Strichen des Blattes. Mit zeichnerischen Mitteln sich ganz auszusprechen, diese echt deutsche Fähigkeit, ist hier in höchstem Maße Form geworden.

Der nächste Schritt, den Huber in seiner Landschaftsgestaltung geht, führt ihn zur Eroberung der Raumtiefe. Schwere Baumkulissen, deren Zweige in geschwungenen Rundkonturen fast schematisch gezeichnet werden, stehen stämmig im Vordergrund. Schräg in das Bild hinein dehnt sich eine Brücke, ein Fluß oder eine Küstenlinie, die kräftig in die Tiefe führt. In

Landschaft bei Feldkirch.
Wolfgang Huber: Landschaft bei Feldkirch.
Zeichnung, 1527.
[Nach Web Gallery of Art.]
allmählichem Vordringen durchmißt der Blick die Weite der Landschaft, die mit sparsamen Strichen äußerste Klarheit erreicht. Köstlich ist die Zeichnung der Stadt Feldkirch, deren Umgebung ja Huber so vertraut war. Häuser drängen sich hintereinander, von Berghöhen überragt. Im Vordergrund steigt ein riesiger Baum auf, der mit tief herabhängenden Zweigen sich über das Tal mit weit ausladender Gebärde breitet. Mit dieser Form der Landschaftskomposition wendet sich Huber von der zarten Realistik seiner Frühzeit nahe hin zu Altdorfer, auch wenn er in der sicheren Führung seines Strichs ganz er selbst bleibt. Hier berühren sich die Bahnen der beiden Großen so stark, daß Huber fast seinen Stil aufzugeben scheint, bis er wieder auf eigenen Wegen weiterzieht, um sich schließlich von Altdorfers Landschaftsgestaltung ganz zu entfernen. Auch in seinem Streben, Mensch und Landschaft zu verbinden, nähert er sich dem Regensburger. Einzelne Gemälde, zum Beispiel der "Abschied Christi von den Frauen", wirken wie die Umdeutung einer Altdorferschen Idee.

Holzschnitt, Christus am Kreuz.
Wolfgang Huber: Christus am Kreuz.
Holzschnitt, um 1526.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]
In diese Zeit fallen auch die wenigen Holzschnitte Hubers. Mit energischen Strichen sind sie gearbeitet und sprechen eine volkhafte, einfältige Sprache. "Christus am Kreuz", frei vor die Lichtglorie der Sonne in eine Berglandschaft gestellt, und die kräftige Gestalt des "heiligen Christophorus", einen knorrigen Baumstamm in der Hand, mit den ungelenken Bewegungen eines Riesen, sind besonders einprägsam. Huber hat nie zum Grabstichel gegriffen. Altdorfers Feinarbeit des Kupferstichs lag seinem Wesen ganz fern.

Wie ernsthaft er seine Aufgabe, ein großes Gemälde der "Kreuzaufrichtung" zu malen, nimmt, beweisen die physiognomisch höchst eigenartigen, fratzenhaften Köpfe, die Huber als Vorstudien zu den rohen Schergen zeichnet, die sich in dem Gemälde an Bösartigkeit zu überbieten trachten – ein Zurückgreifen auf die [67] spätgotischen

Gefangennahme Christi.
Wolfgang Huber: Gefangennahme Christi.
Passionsaltar, rechter Flügel außen oben.
Um 1530.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]
Henker- und Martyriumsbilder. Daß die Verzerrtheit der Gestalten eine echte Ader in Hubers Schaffen aufdeckt, zeigt die Altartafel der "Gefangennahme Christi", auf der sich wüste Menschenmassen zu einem dämonischen Inferno versammelt haben, während das Gegenstück, der "Ölberg", das von Leid zerquälte Profil Christi in den Mittelpunkt stellt. Das Grausame in diesen Werken erklärt sich aber auch aus der allgemeinen Härte der Zeit. Folter und Scheiterhaufen traten nur allzu häufig in Tätigkeit.

Glücklicher erscheinen daneben die Tafeln eines Marienaltars, von dem sich die "Heimsuchung" und die fast klassisch komponierte Gruppe der "Ruhe auf der Flucht" erhalten haben. Eine Berglandschaft dient als ruhiger Rahmen. Dürers Holzschnitt aus dem "Marienleben" stand dabei Pate und verpflichtete zu klarem Bildaufbau.

Donaulandschaft bei Krems.
Wolfgang Huber: Donaulandschaft bei Krems.
Federzeichnung, 1529.
[Nach zeno.org.]      [Vergrößern]
Die große Leistung Hubers liegt fast ausschließlich in der Landschaftsgestaltung, soviel Gutes seine Altargemälde und seine eigenartigen Vorstudien auch enthalten mögen. Um 1530 steht Huber in voller, ruhiger Reife da. Er zeichnet das Donautal bei Krems hoch oben von einem Berge aus. Unten schlängelt sich der Strom um die Anhöhen, man sieht weit in das Tal, bis die Donau in der Ferne der Ebene sich verliert. Die Sonne bildet einen weiten Strahlenkranz. Das Laub einer Birke im Vordergrund rinnt in leiser Musik hernieder. Reife [68] und Ruhe, die wir

Blick ins Tal.
[64b]      Wolfgang Huber: Blick ins Tal.
Federzeichnung. Berlin, Kupferstichkabinett.
auch bei Altdorfer in den späten Landschaften kennenlernen, strömen aus diesem Blatt wie aus zahlreichen anderen derselben Zeit. Huber steht auf der Höhe seines Schaffens. Die Natur scheint unhörbar und still zu atmen. Der Mensch tritt zurück: er würde den geheimnisvollen, geschlossenen Ring dieses Seins durchbrechen.

Im Grunde seines Wesens wendet sich Huber gegen den Persönlichkeitskult der Renaissance, so wie er aus seinen Landschaften die Figur des Menschen gänzlich verbannt, um sich dem innersten Kern der Natur zu nähern. Während bei Altdorfer sich das Menschliche und Naturhafte die Waage halten und durchdringen, strebt Huber unmittelbar zu reiner Naturbeobachtung. Aber beide Wege führen zur Entdeckung der beseelten Landschaft, zur Gestaltung der tiefen Hintergründe naturhaften Seins, zu dem, was die Romantiker in ihrer symbolhaften Sprache "Erdleben" nannten. Das Zittern des Waldes, das ruhige Schwingen der Zweige, hängende Moose, verschleierte Fernblicke, die weite Unendlichkeit des Naturraums werden zu Elementen seiner Landschaft. Hier erreicht er die gleiche Höhe wie Altdorfer.

Portrait des Jakob Ziegler.
Wolfgang Huber: Portrait des Jakob Ziegler.
1544-49.
[Nach wikipedia.org.]
Huber erlebt in Passau einen ruhigen und gleichmäßigen Aufstieg. 1539 erwirbt er ein Haus und erhält erst damals das Bürgerrecht, da er als Hofmaler der Zunft bis dahin nicht anzugehören brauchte. Von 1540 bis zu seinem Tode ist er in Diensten des Bischofs Grafen Wolfgang von Salm, der im Gegensatz zu Herzog Ernst frei und offen nach Bildung strebt und einen Kreis humanistischer Gelehrter um sich versammelt. Zu diesen zählt auch der berühmte Humanist Jakob Ziegler, dessen Züge Huber in einem auf einsamer Höhe stehenden Bildnis festhält. Streng und aszetisch im Aufbau, rein frontal gemalt, Auge in Auge, steht ein ausdrucksvolles Greisengesicht vor uns, in seiner weisen Ruhe ergreifend. Es bleibt der einzige große Wurf unter den wenigen Gemälden der Spätzeit Hubers, denn das große Bild der "Kreuzesallegorie" wirkt durch die theologischen Vorschriften des Bischofs, seines Bestellers, überladen und wirr. Es trägt schon ganz die Züge der dürren allegorischen Malerei der Spätrenaissance und zugleich einen unfruchtbaren Manierismus in sich, durch den sich der tragische Niedergang der deutschen Malerei in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts nur noch beschleunigte.

Den Wechsel im Bischofsamt benutzt 1540 die Malerzunft, um den ihr verhaßten "Hofmaler" in einer großen Beschwerdeschrift anzuklagen. Aber Huber wird von seinem neuen Herrn als Hofmaler bestätigt und untersteht damit nicht mehr der Gerichtsbarkeit der Stadt. Aufschlußreich ist diese Urkunde, weil wir aus ihr erfahren, daß Huber damals mit sieben Gesellen und Lehrknaben arbeitete, also einen recht umfangreichen Aufgabenkreis auszufüllen hatte. Huber betätigt sich in dieser Zeit auch als Baumeister und Innenarchitekt, aber – ebenso wie Altdorfer – gleichsam im Nebenberuf. Es beweist seine Vielseitigkeit, wenn er in Schloß Neuburg am Inn, oberhalb Passau, zu Umbauten herangezogen wird und mehrere Prunksäle, so das "Weißmarmelsteinerne und Roth- [69] marmelsteinerne Zimmer", sowie die "gemahlte Camer" als Innenarchitekt ausstattet. Solche Aufträge führt er natürlich mit zahlreichen Gesellen aus.

Voralpenlandschaft.
Wolfgang Huber: Voralpenlandschaft.
Aquarell, 1532.       [Nach wikipedia.org.]
Huber greift nur selten zum Aquarell. Erst sehr spät fängt er an, seine Federzeichnungen zu lavieren, das heißt mit Pinselstrichen zu tönen, um auf diese Weise dramatische Lichtgegensätze und Hell-Dunkelwirkungen zu erreichen, die schon zum Barock überleiten. In die Täler der Gebirgslandschaften senken sich tiefe Schatten, die Bäume, mit schwarzen Flecken übermalt, wiegen sich im Raum. Einer großen und phantastisch gesteigerten Ansicht der Stadt Passau gibt Huber durch leicht hingehauchte Schattenpartien fast impressionistischen Charakter. Die Auflösung der strengen Zeichnung beginnt. Vielleicht verliert Huber damit den festen Boden unter den Füßen, obwohl er zugleich auch die großen Schattentiefen des Barocks, wie sie später Rembrandt aus der Federzeichnung herausholte, zu ahnen beginnt. Es ist ein letzter Anstieg, der aber auch Ende bedeutet. Altdorfer war schon l538 gestorben, Huber verwaltet also gleichsam als letzter bis zu seinem Tode im Jahre 1553 das große Erbe des Donaustils. Huber ist kein Maler der Landschaft, er ist der große Zeichner. Diese gezeichnete Landschaft mußte mit dem Eindringen des Barocks untergehen. Tragisch für die deutsche Kunst war es nur, daß ein Meister fehlte, der wie Breughel in den Niederlanden Brücke zu der neuen Zeit wurde.

Die glückliche Epoche einer deutschen Landschaftsmalerei bricht ohne Nachfolge ab. Was die beiden "Kleinmeister" Augustin Hirschvogel und Sebald Lautensack im Sinne der Donauschule noch weiterzuführen versuchen, sinkt im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts herab zu einem kalten topographischen Stil, der dann bis zu den realistischen Stadtansichten der Merians führt. Auch Elsheimer gelingt es nicht, eine neue Gestaltung der deutschen Landschaft herbeizuführen. Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert bemühen sich einzelne Begabte um die Landschaft, aber ohne tiefere Wirkung und ohne die Höhe der Donauschule zu erreichen. Es bedurfte erst der Erweckung eines neuen Naturgefühls durch die Sturm- und Drangperiode und die Romantik, um wieder eine lebendige deutsche Landschaftsmalerei hervorzubringen. Erst in den verinnerlichten Werken Caspar David Friedrichs und der anderen Romantiker erleben wir eine Auferstehung der großen Zeit Altdorfers und Hubers.

Ein riesiger Bogen spannt sich über Generationen hinweg von der beseelten Landschaft der deutschen Renaissance hinüber zu den verträumten Fernblicken, den glasklaren Gebirgsbildern und den einsamen Bäumen der Romantik. Aus der Natur selbst strömen die Kräfte diesen beiden großen Epochen zu, weil sie mit gläubiger Kühnheit in ihre Geheimnisse und Schönheiten einzudringen vermochten. Durch die tiefe Schau der Natur erhält das Werk der beiden Donaumaler überpersönliche Geschlossenheit. Ihr gemeinsamer Weg führt zum ersten Höhepunkt deutscher Landschaftskunst, und die Namen Altdorfer und Huber verschmelzen zu einer Einheit, zu einem einzigen Klang.




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Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz