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[Bd. 1 S. 9]
Arminius, 16 v. Chr. bis 21 n. Chr., von Hermann Aubin

Arminius.
Arminius. [Nach bbc.co.uk.]
Am Anfang der deutschen Geschichte steht die Gestalt des Cheruskers Arminius. Er ist nicht der erste Führer germanischer Stämme, der uns auf der Weltbühne begegnet. Von einigen Fürsten der Kimbern und der Teutonen sind uns neben den Namen auch einzelne Züge überliefert, die mit dem allgemeinen Bilde des frühen Germanentums zusammengehalten lebendige Umrisse zu sehen erlauben. Ariovist, der Heerkönig der Sweben, tritt bei dem denkwürdigen Zusammenstoß mit Cäsar auf dem Boden des Elsaß für kurze Zeit in das volle Licht historischer Berichterstattung. Aber es sind Einzelschicksale germanischer Stämme oder Stammesteile, die sich an diese Namen knüpfen. Mit jenem des Arminius ist eine Entscheidung verbunden, von der wir überzeugt sind, daß von ihrem Ausgang die Möglichkeit einer zukünftigen deutschen Geschichte abgehangen hat.

Seit Jahrhunderten waren die Germanen gewohnt gewesen, für ihre wachsende Volkszahl Lebensraum durch Wanderung und Landeroberung zu schaffen. Von der Tiefebene zwischen unterer Weser und Oder hatten sie sich nach Osten, Westen und Süden ausgebreitet, indem sie in zähem Vorwärtsschieben die Nachbarn keltischer und illyrischer Abkunft verdrängten oder unterwarfen. Manchmal hatten sich einzelne Teile gänzlich von der Heimat gelöst. So waren 113 v. Chr. die Kimbern und ihre Wandergenossen aus dem undurchsichtigen Nebel der nördlichen Länder plötzlich in den Mittelmeerkreis eingebrochen, welchen damals die Römer schon fast ganz ihrer Herrschaft unterworfen hatten. Sie waren darin wie Wellenschaum zerstoben. Indes der germanische Drang nach Süden hielt an; und als Cäsar im Jahre 58 v. Chr. durch die burgundische Pforte Ariovist entgegenrückte, war er sich schon bewußt, daß es die Spitzen einer geschlossenen Vorwärtsbewegung seien, auf die er stoßen würde. Zwei Welten traten damit zu einem Ringen an, das nach fünf Jahrhunderten nie ruhenden, wechselvollen Waffenganges mit dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches doch nur äußerlich beendet scheinen sollte. Die eine ein Konglomerat von Völkern verschiedenster Herkunft und Höhe, jedoch verfügend über die Ernte der alten Entwicklung des Orients und Hellenentums und zusammengeschweißt zu einheitlichem politischen Einsatz durch die militärischen Kräfte und die staatsbauende Kunst Roms. Die andere in sich gleichartig nach Abstammung und Gesittung, aber vorerst nur ein Nebeneinander kleiner, oft sich befehdender, selten locker verbundener Völkerschaften.

Cäsar erkannte dennoch, daß die Entscheidung über die Zukunft des westlichen [10] und mittleren Europas nur zwischen Rom und den Germanen liegen würde und die Völker der Zwischenzone in dieser Auseinandersetzung der beiden Vorkämpfer zerrieben werden müßten. Mit dem Aufgebot der überlegenen Mittel seines Geistes und des römischen Heerwesens suchte er diese Entscheidung zugunsten Roms gleichsam vorwegzunehmen. Indem er ganz Gallien untertan machte, warf er sich den Germanen am Ober- wie am Niederrhein entgegen und staute ihre Flut über den Strom zurück. Sein Nachfolger Augustus hat die hier bezogene Abwehrstellung so ausgebaut, daß sie auf Jahrhunderte Bestand hielt. Damit sind zahlreiche germanische Stämme vom Elsaß bis zur unteren Maas dauernd vom allgermanischen Lebensbereich abgeschnitten worden. Noch durch hundert Jahre werden sie die Verbindung mit ihren Volksgenossen jenseits des Rheins behaupten; in dem Aufstand von 69 bis 70 n. Chr. werden sie noch einmal gegen ihre Abreißung ankämpfen, dann aber, da die Erhebung vergeblich gewesen, den keltischen und römischen Einflüssen erliegen, die sie umgeben. Indem Rom die Grenzlinie festhielt, die ihm von Cäsar im ersten Zuge gewiesen worden war, hat es die schon eingeleitete Germanisierung des linken Rheinufers in ihr Gegenteil verkehrt und den Raum germanischer Geschichte von Westen her erheblich eingeschränkt.

Die Stämme des freien Germaniens allerdings sind nicht gewillt gewesen, sich dem von der römischen Grenzwehr ihnen auferlegten Zwange des ungewohnten Stillsitzens zu fügen. Ihre siegreichen Einfälle ins römische Reichsgebiet haben Augustus bewogen, an Ort und Stelle den Entschluß zu fassen, die gefährlichen Nachbarn zu unterwerfen, um den Besitz Galliens zu sichern. Als erste Etappe des großangelegten Planes wurde in raschen Erfolgen des Jahres 15 v. Chr. die Grenze Italiens vom Südfuß der Alpen an die Donau verlegt. Dann wurde vom Donau und Rhein her der Angriff auf Innergermanien eingeleitet. Das Ziel war, die Elblinie zu erreichen und damit zugleich eine Verkürzung der überlangen einspringenden Grenze herbeizuführen.

An der Ausführung dieses Unternehmens ist seit dem Jahre 12 v. Chr. mit vollem Einsatz der Kräfte und hochentwickelten Hilfsmitteln gearbeitet worden, welche das Römische Reich dafür aufzubringen vermochte. Kaiserliche Prinzen, Drusus, dann Tiberius, wurden mit dem Kommando betraut und große Truppenmassen ihnen zur Verfügung gestellt. Zeitweise überstiegen diese mit zwölf Legionen und insgesamt weit über 100 000 Mann ein Drittel der römischen Wehrmacht. Im Unterrhein wurde eine Flotte versammelt, an Rhein und Donau weite Standlager als Ausgangs- und Etappenpunkte angelegt. Die Operationen durchschnitten aus allen natürlichen Einfallstraßen der Nordsee, der Lippe-, der Mainlinie und des Marchtals das germanische Land. Sie weiteten sich im Fortschreiten zu großen vereinigten Unternehmungen von Heer und Flotte oder von Heeren aus, die von den entfernten Ausgangsstellungen an Rhein und Donau angesetzt auf dem Schlachtfeld in Germanien sich vereinigen sollten. Um sie zu unterstützen, [11] wurde dem Rhein über die Vecht eine neue schiffbare Mündung in die Zuidersee gegeben. Um ihre Erfolge zu sichern, legte man Kastelle an der Lippe oder in der Wetterau an und verband sie durch Straßen mit den Operationsbasen. Der römische Soldat war zugleich ein vorzüglich geschulter Bauarbeiter. So ist nichts an großzügigem Entwurf und technischer Durchführung versäumt worden, um die gewiß nicht geringen Hindernisse des fremden, unwegsamen Landes und seiner unbekannten Weiten zu überwinden, ein Zeichen zugleich, wie hoch man den Gegner wertete.

Der planvoll eingesetzten Machtentfaltung stellte sich freilich nur selten ein geschlossener Widerstand entgegen. Gleich im Feldzug des Jahres 12 vermochte Drusus zur See erst die Friesen und dann die Chauken in Abhängigkeit zu bringen, hierauf zu Lande die niederrheinischen Völkerschaften eine nach der anderen anzugreifen, bis ihnen erst spät Sweben aus der Wetterau und Cherusker von der Weser zu Hilfe kamen, während sich die nahen Chatten versagten. Im folgenden Jahr öffnete ihm vollends der Kriegszug, mit dem die Sugambrer nun an den Chatten Rache nehmen wollten, den Weg bis zur Weser. Immer wieder sieht man der versammelten römischen Heeresmacht die germanischen Stämme vereinzelt ausgeliefert. Unzweifelhaft waren sie ihr schon zahlenmäßig unterlegen. Die Taktik der Germanen war den Bedingungen ihres Heerbanns sehr gut angepaßt, dem der Zusammenschluß der Sippen in der Schlachtreihe festes Gefüge gab. Doch verfügten sie weder über die ausgezeichnete Bewaffnung noch über die Exerzierschule und Manövrierfähigkeit der Gegner. Was ihnen half, den Nachteil auszugleichen, war außer überlegener Körperkraft und dem Ungestüm des ersten Ansturms vor allem das bewegte, durch starke Waldbedeckung und Sümpfe zu Hinterhalten geeignete Terrain, das dem an offenes Land gewöhnten Südländer zugleich unheimlich auf die Seele drückte. Dies auszunutzen haben die Germanen trefflich verstanden. Rangierte Schlachten sind in jenen Jahren selten geschlagen worden. Die Germanen wichen dem offenen Treffen aus, brachen aber im Überfall über die langausgezogenen römischen Marschkolonnen herein. Wenn sie sich einmal vorübergehend zu einem Bunde zusammenfanden und auch ihr Land zum Bundesgenossen machten, dann konnten sie selbst ein starkes Heer in Gefahr bringen, wie es schon 11 v. Chr. Drusus einmal in Person erleben mußte. Aber auch hier siegte am Ende die anerzogene Disziplin des stehenden Heeres über die haufenweise hereinbrechenden Angriffe der Volksaufgebote.

Einen einigen Widerstand aller Germanen indessen hat es nie gegeben. Manche Stämme, wie die Chauken zwischen Ems und Elbe, hielten stete Freundschaft mit den Römern, und selbst durch die einzelnen Stämme hindurch ging die Spaltung. Der lockere Aufbau ihrer Verfassung, welcher einigen Edelingssippen die Führung überließ, erlaubte nur zu leicht eine Zersetzung des politischen Willens. Innere Rivalitäten sind dabei gewiß im Spiele gewesen. Aber auch verantwortungsbewußte politische Überlegung mochte sich dahin gedrängt fühlen, den Anschluß [12] an Rom einem Widerstand gegen dessen Heere vorzuziehen. Erschütternd mußte sich der Eindruck der römischen Machtentfaltung selbst auf beherzte Gemüter legen. Er tritt uns in der Erzählung von jenem Germanen entgegen, der sich erbat, den Cäsar am anderen Elbeufer von Angesicht zu Angesicht sehen zu dürfen, und glaubte, die Gottheit erblickt zu haben. Wie sein Auge noch gebannt an Tiberius hing, während er den Einbaum zurücklenkte, nicht anders standen gewiß zahlreiche Germanenführer unter dem Bann der imponierenden Schaustellung von Roms Größe.

So konnte dies seine Adler rasch von Etappe zu Etappe vortragen. Schon im zweiten Kriegsjahre wurde die Weser, im dritten die Elbe erreicht. Ganzer Stämme körperstarke Wehrmannschaft legte die Waffen ab und marschierte, umstellt von den rüstungsglänzenden Legionen vor deren Feldherrn auf, um ihre Unterwerfung zu bekunden. Teile geschlagener Völkerschaften ließen sich auf das linke, das ganz in römischer Hand befindliche Rheinufer verpflanzen. Andere, deren Selbstbewußtsein noch ungebrochen war, zogen sich aus der bedrohlichen Nähe der römischen Waffen hinter dichte Waldgürtel zurück. Selbst ein so starker Stamm, wie die Cherusker zu beiden Seiten der mittleren Weser, stellte den Eroberern Hilfstruppen gegen die eigenen Volksgenossen.

Die zehn Jahre der freiwilligen Verbannung des Tiberius (6 v. Chr. bis 4 n. Chr.) hielten den Fortgang der Unterwerfung auf. Sie führten sogar zum Abfall mancher Stämme. Als aber der erprobte Feldherr wieder am Rhein erschienen war, da genügten zwei Heereszüge, die auf parallelen Bahnen das Land bis zur Elbe durchmaßen, und das durch Menschenabfluß geschwächte, durch Kämpfe, Plünderungen und Parteien zermürbte Innergermanien konnte als unterworfen gelten. Tiberius durfte jetzt zum erstenmal Truppen darin überwintern lassen, ohne um ihre Verbindung zum Rhein besorgt sein zu müssen.

Nur ein Teil der ihm gestellten Aufgabe war noch unerfüllt. Im Südosten hatte Marbod, der die Markomannen mit sicherem Entschluß aus den gefährdeten Maingauen nach Böhmen geführt, sein Ansehen zu einer Herrschaft zu steigern gewußt, die über das bei Germanen Übliche weit hinausging. Durch Kriegsdienst bei den Römern geschult, entfaltete er die den Südländern damals verblüffende, später so reich bewiesene rasche Lernfähigkeit der Germanen. Er verstand es, sein Heer zu üben und ein straffes Regiment zu führen. Er sammelte benachbarte Stämme in Abhängigkeit um sich. Bis an die Unterelbe reichte sein Einfluß. Solch eine feste und unabhängige Macht war den Römern ein Hindernis in ihren Plänen, und so wurde im Jahre 6 n. Chr. mit dem stärksten Truppenaufgebot von Rhein und Donau zugleich der Angriff gegen Marbod eingeleitet. Unmittelbar indessen vor der Vereinigung der beiden Heere mußte er abgebrochen werden. Ein höchst gefährlicher Aufstand in seinem Rücken, in Pannonien, zwang Tiberius zur schleunigen Umkehr. Marbod erhielt einen Friedensvertrag bewilligt.

Relief von der Trajanssäule in Rom.
[16b]      Germanische Gesandte werden von
dem römischen Kaiser Trajan empfangen.

Relief von der Trajanssäule in Rom,
113/14 n. Chr.
Das Eingreifen eines äußeren Ereignisses hatte die Erreichung der Elblinie in ihrer ganzen Ausdehnung verhindert. Doch war das Gebiet zwischen Rhein [13] und Elbe fest in der Hand der Römer. Es bezeichnet die Lage, daß die hier sitzenden Germanen sich beim Ausbruch des pannonischen Aufstandes, der das Reich in so große Gefahr stürzte und eine erhebliche Schwächung der Rheinarmee notwendig machte, nicht gerührt haben. Der neue Statthalter, der hochangesehene Quintilius Varus, konnte in den Sommermonaten rechts des Rheins erscheinen, um die Einrichtung des Landes als römische Provinz durchzuführen, während des Winters aber dem Heere die Erholung in den linksrheinischen Standlagern gönnen. Wie er es zuletzt in Syrien gewohnt gewesen, nahm er die Zügel römischer Verwaltung stärker in die Hand. Er glaubte den Zeitpunkt gekommen, da es erlaubt war, zwischen den Germanen nach römischen Gesetzen Recht zu sprechen und Abgaben von ihnen einzuziehen. Solches lief der innersten Natur der Germanen zuwider, die am liebsten einer unbändigen Selbstwilligkeit nachgaben. Aber die vornehmen Familien stellten dennoch ihre Söhne zum Dienst im römischen Heere oder als Priester am Altar des Augustus in Köln, der zum Mittelpunkt des ganzen römischen Germanenlandes bestimmt war. Auch das rechtsrheinische Germanien war dabei, den Weg einzuschlagen, den das linksrheinische zu Ende gegangen ist, den Weg der Verwelschung.

In dieser Lage hat des Arminius Eingreifen das Schicksal gewendet.


Von Jugend auf hatte Armin nichts anderes gekannt als die Auseinandersetzung mit Rom. Da er vier Jahre alt war, rückte der Heerbann seines Stammes zum ersten Male dem Feind, gegen den Rhein zu, entgegen. Vielleicht sah er wenige Jahre später selber die Adler durch das Cheruskerland zur Elbe hin getragen. Als er die Zwanzig erreicht hatte, schlossen sich die Cherusker durch Vertrag den Römern an, und ihn, den Sohn eines Gaufürsten, traf es, ihnen ein Aufgebot seines Stammes als Hilfstruppe zuzuführen. In dieser Eigenschaft hat er das römische Heerwesen kennengelernt, und zwar keineswegs nur den Drill und die Routine des Centurio. Seine Abkunft und wohl auch schon seine Leistung trugen ihm rasch die Würde eines römischen Ritters ein, die für einen Germanen als hohe Auszeichnung gelten mußte. Er war damit den höheren Offizieren an sozialem Range gleichgestellt. In den Stäben also der Legaten und selbst der Oberfeldherren hat der junge Edeling Einblick in die Zusammenhänge durchdachter Heeresführung gewinnen können. Hier lernten auch die römischen Offiziere in ihm die Persönlichkeit erkennen, und wir danken einem von ihnen das eindrucksvolle Bild, das er uns hinterlassen hat: von einem Manne, dem das innere Feuer aus den Zügen leuchtete und der den Römern – wie Marbod – einen Geist zu besitzen schien, der weit zurückließ, wessen sie sich von einem Germanen versahen. Es ehrt Armin wie die römischen Berichterstatter in gleicher Weise, daß sie von ihm stets mit hoher Achtung sprechen, obwohl sie erkannt haben, welch fürchterlicher Feind ihres Staates er gewesen.

[14] Hat man Armins spätere Taten vor Augen, mag man fragen, wie er es über sich gebracht hat, den Eroberern Kriegsdienste zu leisten. Indessen, solange die Unterwerfung seines Stammes noch als Vertragsverhältnis verkleidet war, konnte ihn die germanische Lust am kriegerischen Handwerk verlocken. Namhafte Glieder seiner Sippe standen in Freundschaft zu Rom. So mochte auch ihn begreifliche Begierde erfüllen, das römische Wesen und vor allem das stolze Heer aus der Nähe zu sehen. Sein Bruder, den die Römer den Blonden, Flavus, nannten, wurde davon so gefesselt, daß er in den regulären römischen Militärdienst übertrat. Erst als die Römer die Maske zu lüften begannen, als sie sich anschickten, Germanien in eine richtige Provinz mit Steuern und römischer Gerichtsbarkeit zu verwandeln, als erkennbar wurde, daß die alte Sitte und Rechtsfindung, daß die Freiheit der Väter auf dem Spiele stand, da trat in der Seele Armins der Umschwung ein und gab dem tiefsten Vermögen Raum, das darin geschlummert hatte. Das unbezähmbare Selbstgefühl, das den Germanen auszeichnet, bäumte sich gegen den Gedanken auf, fremder Herrschaft unterworfen zu sein. Aber es weitete sich in ihm sogleich zu einem allgermanischen Bewußtsein, das über den Stamm hinaus das ganze Volk umspannte, es läuterte sich zu einer hohen Freiheitsliebe und wurde die treibende Kraft zu weltgeschichtlichem Vollbringen.

Gefesselter Germanenjüngling im Pelzmantel.
[16a]      Gefesselter Germanenjüngling
im Pelzmantel.

Marmorrelief des 1. Jahrh. n. Chr.,
Rom, Vatikan.

[Bildquelle: Deutsches Archaeologisches Institut, Rom.]
Es kann kein Zweifel bestehen, daß Armins Kopf und Herz der Gedanke der Befreiung vom Joch der Fremdherrschaft entsprungen, daß auch er es gewesen ist, der den Plan der Durchführung entworfen und der als Führer im Rate und im Felde ihn hat zur Tat werden lassen. Sobald die römischen Geschichtsschreiber auf die Varusschlacht zu sprechen kommen, fällt sein Name und nur sein Name allein. Hoch hat er sich unter allen Kampfgenossen schon für die Mitlebenden herausgehoben.

Der Entschluß, einen Aufstand gegen die Römer zu entzünden, um ihre Macht in Innergermanien zu vernichten, war außerordentlich. Die Erhebungen während des Tiberius Abwesenheit hatten scharfe Ahndung erfahren. Selbst Marbod, der über eine bereite Macht verfügte und dem Herde der pannonischen Erhebung nahe gewesen, war es zu gewagt erschienen, diese Schwäche der Feinde auszunützen, die ihn eben noch mit dem Untergang bedroht hatten. Jetzt, im Sommer des Jahres 9 n. Chr., war der Aufstand bereits im Erlöschen. Auch stellten die drei Legionen, mit denen Varus damals an der Weser stand, samt Reiterei und Hilfstruppen immer noch ein Heer von Zahl und Schlagkraft dar, welches die Germanen zu fürchten hatten. Einzelne Besatzungen lagen in den Lippekastellen und sonst im Lande verteilt. Am Rhein standen andere Legionen bereit. Mußte es den Germanen nicht überhaupt so erscheinen, daß Rom, welches aus der Ferne Verwaltung und Truppen in stetem Zusammenwirken einem Willen dienstbar zu machen wußte, Menschen und Material ohne Ende aus dem weiten Reiche heranzuführen vermochte? Gab es für die stets uneinigen Germanenstämme überhaupt noch eine Hoffnung, dieser Überlegenheit Herr zu werden?

[15] Des Arminius Sinn erhob sich hoch über solche Gedanken. Ihm bedeutete die Freiheit seines Volkes ein Gut, das er niemals aufzugeben imstande war. Ihre Wiederherstellung war ihm ein selbstverständliches Ziel, bei dem nicht nach den Opfern, sondern nur nach den Mitteln gefragt werden durfte, um es zu erringen. Daß aber für sein Wagnis die Sammlung aller Kräfte not tat, konnte er nicht im Zweifel sein. Ein Bund mußte zusammengebracht werden, umfassender und fester als je einer bisher auf germanischer Erde. Dazu galt es, jede Völkerschaft einzeln zu gewinnen, sie zu vermögen, ihre eigenwillige Lässigkeit gegenüber dem allgemeinen Geschick zu überwinden. In strenger Heimlichkeit mußte die Werbung vor sich gehen, wenn sie dem Auge des Römers verborgen bleiben sollte, und doch hatte Arminius damit zu rechnen, daß die Römer sich mindestens unter den Edelingen überall eine Partei geschaffen hatten. Bei den Cheruskern selbst bestand sie unter der Führung des Segest, dem seine große Sippe und Gefolgschaft starken Rückhalt verliehen.

Indessen haben alle Einwände und alle sich auftürmenden Hindernisse nicht vermocht, Arminius davon abzuhalten, unentwegt sein Ziel zu verfolgen. Der Weg, den er gehen mußte, verlangte von ihm die Vereinigung der vielfältigsten, einander widersprechenden Fähigkeiten. Arminius hat sie bewiesen. Mit beredter Zunge predigte er Römerfeindschaft den Germanen und war verschwiegen im Römerlager. Mit durchbrechender Kraft trieb er zum Aufstand, und gleichzeitig warb er mit höfischer Geschmeidigkeit um das Vertrauen des Varus. Es gelang ihm in der Tat, den Statthalter in Sicherheit zu wiegen, ihn sogar zur Zersplitterung seiner Streitkräfte zu veranlassen. Natürlich sprechen die Römer von Täuschung und Verrat. Für ein Volk, das seiner Freiheit beraubt wird und einem an Waffen und Hilfskräften weit überlegenen Feinde gegenübersteht, sind aber das die Mittel, zu denen es greifen muß und die auch Arminius nicht zögerte, gegen die Bedrücker anzuwenden. Selber hat er sich dabei am wenigsten geschont. Mit kaltblütiger Kühnheit hielt er sein Haupt in den Rachen des Löwen. Denn nur in der nächsten Umgebung des Varus konnte er sein gefährliches Spiel spielen. Noch in letzter Stunde war Arminius und damit sein ganzes Unternehmen dem Untergange nahe, weil Segest dem Römer seinen Plan verriet.

Nur zweierlei ist ihm an den germanischen Verfassungszuständen zu Hilfe gekommen. Erleichtert wurde die geheime Vorbereitung dadurch, daß die germanischen Völkerschaften daran gewöhnt waren, die politischen Fragen von den Gaufürsten und Edelingen vorberaten zu lassen. Da Arminius dieser geborenen Führerschicht durch Abkunft angehörte, konnte er seinen Aufstandsplan in engeren Kreisen persönlicher Vertrauter und durch die Adelsbeziehungen zu anderen Stämmen ins Werk setzen. Für die Durchführung aber wurde dies entscheidend: Wenn in den Völkerschaften keine feste Zentralgewalt bestand, so waren sie eben deshalb gewohnt und in der Lage, dem eindrucksvollen Redner und Rater ohne Rücksicht auf Rang, Alter und Würde zu folgen. So konnte der erst Fünf- [16] undzwanzigjährige, indem ihm noch das Ansehen seines Geschlechtsverbandes zur Seite trat, ohne rechtliche Schranken die Führung zunächst des eigenen Stammes übernehmen und sich von da, ein einzigartiges Ereignis bei den westlichen Germanen, zum wahrhaftigen Führer eines ganzen Bundes aufschwingen. Am Ende bleibt es doch die überragende Kraft der Persönlichkeit, mit der Arminius es vermocht hat, aus dem zerrissenen Nebeneinander der Stämme ein handliches Instrument für die Durchführung eines äußerst schwierigen und gewagten Planes zu schmieden. Es muß das hinreißende Feuer seiner Freiheitsliebe gewesen sein, wodurch er fast alle Stämme bis zum Rhein hin zu gemeinsamem Handeln entflammt und zusammengeschmolzen hat.

So vollkommen wie die politische Vorbereitung war die militärische Durchführung. Gleich einem Wunder gelang der Vorsatz, Varus von der zum Rhein unterhaltenen Etappenstraße in schwerer gangbares Gelände wegzulocken. Damit stellte Arminius ein gewisses Gleichgewicht der Kampfbedingungen her, die sonst für die beiden so verschiedenen Gegner sehr uneben zu sein pflegten. Dieser Vorteil ist dann von dem Bundesheere der Volksaufgebote, die gewohnt waren, die Schlacht durch die Wucht des ersten Aufpralls zu entscheiden, in hinziehendem Kampfe durch drei, durch vier Tage festgehalten und planvoll gesteigert worden, bis sie den Sieg errungen hatten. Den Überfall aus den Wäldern auf die Schlange des feindlichen Marschzuges war germanische Übung. Hier aber, in den Engen des Teutoburger Waldes, erhöhte sich seine Wirkung, indem die Angriffe anfangs nur gegen die auseinandergezogenen Trains gerichtet wurden und erst allmählich zum Einhauen auf die nun schon erschütterten Kampftruppen anschwollen. Gegen die immer noch über Nacht aufgeworfenen Lagerwälle anzurennen, die den Römern Deckung und Selbstvertrauen gaben, sehen wir die Germanen sich diesmal versagen. Für all das, was derart in der Varusschlacht an Einheitlichkeit der Führung und an vorbedachtem wie nachhaltigem Einsatz der Kräfte über das Gemeingermanische hinausgeht, bietet sich keine andere Erklärung als die Feldherrngabe und Befehlsgewalt des Arminius. Die Römer sind nicht zum ersten und nicht zum letzten Male einer ähnlichen Lage gegenübergestanden. Sie haben sie stets überwunden. Im Teutoburger Wald ist ein ganzes schlachtgewohntes Heer zu Grunde gegangen.

Der Erfolg wurde sogleich ausgenutzt, die feindlichen Besatzungen vom rechten Rheinufer weggekehrt. Da er jeden Tag gewärtigen mußte, die Römer zum Rachezuge einrücken zu sehen, warb Arminius weiter Bundesgenossen. Der abgehauene Kopf des Varus, dem Marbod überbracht, kündete grauenvoll den Sieg der gemeinsamen germanischen Sache. Dennoch versagte sich ihr der Markomannenkönig. Rom dagegen entsandte den eben in Pannonien freigewordenen Tiberius, den gewiegten Feldherrn, an den Rhein.

Des Tiberius Auftreten ist der beste Gradmesser für Armins Tat. Es zeigt sich darin, wie tief Rom durch die Niederlage erschüttert worden war, die es in [17] solcher Schwere seit Jahrhunderten nicht erlebt hatte. Tiberius setzte nicht zum Gegenstoß an. Er verzichtete auf Vergeltung. Er beschränkte sich, im Vorgelände der Rheinlinie, auf welche die Römer zurückgeworfen waren, den Schrecken seiner Waffen zu verbreiten. Selbst dabei trat er nur mit der äußersten Vorsicht auf. Rom schien Innergermanien aufgegeben, Arminius konnte glauben, sein Vaterland von der Zwingherrschaft befreit zu haben. Doch mußte er noch einmal zum Waffengange darum antreten.

Tiberius war nach Rom gerufen und durch seinen Neffen, des Drusus Sohn, ersetzt worden, der mit dem bald erlangten Ehrennamen des Germanensiegers, Germanicus, weiterlebt. Der Tod des großen Augustus 14 n. Chr. und des Tiberius Thronbesteigung ließen bei der Rheinarmee eine Revolte ausbrechen, und um die Truppen wieder fest in die Hand zu bekommen, führte Germanicus sie noch in diesem Jahre über den Rhein zu raschem Beute- und Siegeszuge gegen die nächstwohnenden Germanen. Daraus erwuchs dem hochgestimmten Prinzen der Plan, den Spuren seines Vaters zu folgen, die Schmach vom Teutoburger Walde zu tilgen und Germanien bis zur Elbe zu unterwerfen. Tiberius aber ließ, was er seiner eigenen erfahrenen Führerschaft versagt hatte, den Neffen in Angriff nehmen. Die innere Spaltung, in die man die Germanen schon wieder geteilt wußte, indem hier Armin und dort Segest Parteien um sich gesammelt hatten, mochte Erfolg versprechen.

Noch einmal wurde der ganze Militärapparat der Legionen und Hilfstruppen und germanischen Aufgebote, der Flotte, der Kastell- und Straßenbauten aufgeboten, noch einmal in wechselnden Vorstößen durch die Wetterau, durch Westfalen und von der Nordsee her die Einbruchsmöglichkeit abgetastet und dann der Stoß gegen die Hauptfeinde, die Cherusker, angesetzt. Als Drusus, als später Tiberius so herangerückt waren, hatten sie ein zersplittertes Germanien rasch besiegen können. Auch diesmal erwiesen sich die Germanen weder vorbereitet noch einig zum Widerstande. Bald aber hat Arminius nochmals einen Bund zustande gebracht, nochmals sich als Führer an seiner Spitze bewährt und damit erst seinem Werke Bestand verliehen.


Die Aufgabe, welche ihm die Lage des Jahres 9 n. Chr. gestellt, ist kaum mit jener der Jahre 15 und 16 zu vergleichen, so sehr hatte sich die Gefahr gesteigert und die militärische Lage verschlechtert. Damals hatte es sich um einen Überfall auf einen vertrauensselig marschierenden Feind gehandelt, jetzt rückte er angriffsbereit und mit hohen Zielen ein. Seine Truppenzahl war zu einem Mehrfachen von Varus' drei Legionen angeschwollen. Nun galt es dauernden Widerstand zu leisten.

Arminius ist an seiner Aufgabe gewachsen. Erfüllte ihn das Bewußtsein, daß sein großer Sieg über Varus im Nichts zerrinnen würde, wenn es ihm nicht [18] gelänge, ihn von neuem zu erringen, so stachelte ihn auch das schwere Leid persönlichsten Erlebens zum Kampfe gegen die Römer auf. Seine Gattin Thusnelda war, ein Kind im Schoße tragend, in die Hände der Römer gefallen. Sie führten die Gefangene, deren edle Haltung sie bewundern mußten, über den Rhein mit sich. Armin hat die Gattin nicht wieder und niemals den Sohn gesehen. In rasendem Schmerze eilte er von Stamm zu Stamm, um wieder zu gemeinsamer Abwehr aufzurufen, die zugleich seiner Rache dienen sollte.

In den folgenden Kämpfen ist Arminius allerdings nicht alleiniger Anführer gewesen. Um seinen mächtigen Oheim Inguiomer, der früher bei den Römern in Ansehen gestanden, auf seine Seite zu ziehen, hat er ihm einen Anteil am Oberbefehl eingeräumt. Dennoch hat er sich auch jetzt als der treibende Geist und der leitende Kopf des Ganzen erwiesen. Ja, seine taktischen und strategischen Gedanken entfalteten sich, schritthaltend mit der gesteigerten Aufgabe, nur noch mannigfaltiger. Es wiederholen sich bezeichnende Züge seines Verhaltens vom Jahre 9: das umsichtige Aufsparen der Kräfte bis zum Augenblick des richtigen Einsatzes, die Vermeidung des Sturmes auf ein römisches Lager. Es wiederholt sich sogar, planmäßig herbeigeführt, die ganze Situation des Teutoburger Waldes gegenüber einer starken römischen Kolonne. Nur die wilde Draufgängerei und Beutelust der Germanen, die Inguiomers Sturmparole zujauchzten, hat vielleicht Cäcina vor dem Schicksal des Varus bewahrt, das Armin ihm zugedacht hatte.

Daneben aber zeigen sich neue Züge, welche den Reichtum des Arminius an militärischen Gedanken dartun: das elastische Ausweichen vor der Feldschlacht, wo sie der Römer sucht, und dafür der Angriff aus dem Rückzug, sobald das Gelände ihn unterstützt; dies im ersten Jahre. Im zweiten aber umgekehrt, da das tiefe Eindringen des Germanicus über die Weser die Dinge zur Entscheidung treibt, die zweimalige Annahme der Feldschlacht, jedesmal an sorgfältig gewählter Stelle. Und wenn auch nicht im einzelnen Gefecht, so behält Arminius doch während des Feldzugs trotz der Niederlage im ersten Treffen seine Krieger völlig in der Hand. Ja, er vermag noch in dieser Lage den letzten Hauch des Landsturms zum Kampfe aufzurufen. Mit solchem zähen Widerstande hat er des Germanicus Vormarsch zum Stehen gebracht. Die Römer sind nicht bis zur Elbe gelangt.

Mehr noch: die Römer sind nicht wiedergekommen. Wahrscheinlich hatte schon Augustus nach der Varusschlacht den Entschluß gefaßt, die Offensive gegen Innergermanien einzustellen. Nun kam Tiberius, nachdem zwei Feldzugssommer, die er dem Germanicus freigegeben hatte, ohne abschließendes Ergebnis vorbeigegangen waren, auf diesen Entschluß zurück. Die Gründe, die ihn bestimmten, lagen zu einem guten Teil in den inneren Verhältnissen des Römerreiches. Der Thronwechsel hatte Gefahren für die Dynastie gezeigt, welche nicht durch eine neuerliche Katastrophe, gleich der im Teutoburger Wald, vermehrt werden durften. Der pannonische Aufstand hatte daran erinnert, daß die jungen Provinzen andere Gefahren für den Bestand des Reiches bargen. So überragend auch dessen Macht [19] mit seinen fünfzig bis sechzig Millionen Einwohnern gegenüber den Germanen erscheinen mußte, von denen höchstens der dreißigste Teil das Festland bevölkerte, man hatte schon für die drei verlorenen Legionen des Varus keinen vollen Erfolg schaffen können. Denn seine Geschichte und Struktur erlaubten dem Reiche nur einen geringen Teil der Bevölkerung, Römer und Italiker allein, zum Legionsdienste heranzuziehen. Was zweimal unter Drusus und Tiberius gelungen, diesmal war es unter gleichem Kräfteaufwand dem Germanicus nicht geglückt. Wieviel mußte noch eingesetzt werden, um den Enderfolg zu erzielen? War es überhaupt römisches Lebensbedürfnis, diese hart kämpfenden Barbaren zu unterwerfen? Tiberius beschloß, die Germanen ihren inneren Zwistigkeiten zu überlassen, die Rom sichern würden.

Aber indem man diese Gründe von der römischen Seite ausspricht, weist man mit jedem einzelnen auch auf die jüngsten Waffentaten der Germanen hin. Diese hatten sich so tief dem Bewußtsein der Kaiser eingeprägt, daß sie sich in jede ihrer [20] staatsmännischen Überlegungen eindrängten. Am Ende ist es Arminius, welcher dem römischen Heere die nicht schließende Wunde beigebracht hatte, Arminius, von dem Rom eine neue Katastrophe vom Gewicht der Varusschlacht fürchten mußte, Arminius, dessen zähe Ausdauer und Reichtum an wechselnden Gedanken den Aufwand von einem dritten Teile der römischen Wehrmacht als ungenügend erwiesen hatte, der Germanen Herr zu werden, weil er, Arminius, sie zu Leistungen emporzureißen vermochte, die vorher unmöglich erschienen waren. Gewiß hatte Armin in den letzten Jahren in der Verteidigung gefochten. Damit hatte er jedoch den Feinden die Wiederkehr zu einem Entschlusse gemacht, den sie nicht mehr zu fassen wagten, weil sie dabei zu viel aufs Spiel setzten. So hoch man auch die innerpolitischen Ursachen anschlägt, die Rom bestimmt haben, von der Unterwerfung Innergermaniens abzusehen, es ist kein Zweifel erlaubt, daß Arminius es gewesen ist, der, in Schlachten geschlagen, im Kriege aber Sieger, Deutschland vor dem römischen Joche bewahrt hat.

Hier dürfen wir von Deutschland sprechen, denn wir sehen nicht nur das damalige Germanien vor uns, dem Arminius für eine Zeit die Freiheit wiedergegeben. Wir sind uns der Weltwende bewußt, die seine Tat heraufgeführt und die den Weg in eine deutsche Zukunft freigegeben hat. Es ist ein müßiges Spiel, sich in Einzelheiten die Geschichte auszumalen, wie sie verlaufen wäre, wenn sie an einem offenbaren Kreuzweg die andere Richtung eingeschlagen hätte. Im großen aber gesehen bleibt, Armins Tat aus der Geschichte weggedacht, unvorstellbar, wie ein deutsches Volk hätte entstehen sollen. Eine römische Provinz bis an die Elbe hätte den Lebensraum jener Festlandsgermanen, welche später nicht völlig auf ihren weiten Wanderzügen in der Fremde untergegangen sind, derart verengt, daß kein Ausgangspunkt mehr für eine deutsche Geschichte sichtbar bleibt.


Nach der Abwehr des Germanicus wurde Armin durch das Gewicht seiner Taten und seiner Persönlichkeit vorwärts gedrängt. Völkerschaften Norddeutschlands, welche von Marbod abhängig gewesen, schlossen sich ihm an. Bei seinem eigenen Stamme aber schob sein hoch emporgehobenes Ansehen den Oheim zur Seite, so daß er mit seinem Gefolge zu Marbod übertrat. Der Gedanke des Tiberius, den Schutz Roms in den inneren Kriegen Germaniens zu finden, schien sich sogleich zu bewähren. Schon im folgenden Jahre, 17 n. Chr., standen sich fast alle Westgermanen in zwei großen Fronten unter Arminius und Marbod gegenüber. Trotz unentschiedener Schlacht stieg der Stern des Arminius weiter. Binnen zwei Jahren war Marbod durch Aufstand der Edelinge entthront und Flüchtling auf römischem Boden. Arminius aber strebte nach Festigung seiner Macht, nach Einherrschaft. Das konnte der Freiheitsinn seines Volkes, den er selber gegen die Fremden aufgestachelt, nicht ertragen. Im Jahre 21 n. Chr. ist er, erst 37 Jahre alt, durch die eigene Sippe gefällt worden.

[21] Seine großen Taten verpflichten uns zu der Frage, ob in dem Kampf mit Marbod und in seinem Königstraum ein Ziel nicht von persönlichem Ehrgeiz, sondern von allgemeinen Maßen zu suchen ist. Wir meinen die bewußte Absicht, die Germanen für die Verteidigung gegen Rom, die ihnen jeden Tag wieder aufgezwungen werden konnte, durch dauernde Zusammenfassung unter beständiger Führung vorzubereiten. Die Ereignisse nach der Varusschlacht, Marbods Beiseitestehen und die rasch wieder eingerissene Vereinzelung und Parteiung hätte ihm Grund genug zu solchen Gedanken gegeben. Wir sind nicht imstande, die Annahme zu widerlegen. Das ist gewiß, daß der Plan eines germanischen Gesamtreiches der Zeit weit vorausgeeilt wäre. Wie wenig noch eine großstaatliche Machtbildung damals bei den Germanen Boden finden konnte, zeigt ebenso der rasche Zusammenbruch von Marbods Regiment, wie das Versinken von Armins eigener großer Persönlichkeit in den kleinen Rivalitäten der cheruskischen Edelinge, die den machtvollen Stamm schon vor ihm zerrissen hatten und nach ihm bis zur völligen Bedeutungslosigkeit zersetzen sollten. Dennoch könnte ein weitschauender Geist wie Arminius von der Vorstellung erfaßt worden sein, alle Germanen zu fester Verteidigung ihrer wiedererrungenen Freiheit zusammenscharen zu müssen.

Nicht aber darf man jener Zeit den Gedanken eines planvollen Gesamtangriffes auf das festgefügte römische Reich unterlegen. Augustus selbst hat freilich nach dem Verlust von Varus' Legionen den Einfall der siegreichen Germanen in Gallien gefürchtet. An eine Vereinigung aller gegenüberstehenden Stämme zu dauerndem gemeinsamen Handeln haben indes die Römer niemals geglaubt. Das beweist die dem Tiberius zugeschriebene Losung, auf die Zwistigkeiten der Germanen als den Schutz des Reiches zu bauen. Noch lange hielt sich daher die Zunge an der Waage des römischen und germanischen Daseins an jener Stelle, an welche sie das Gewicht von Cäsars Einsatz gebracht hatte und auf die sie nach der Varusschlacht und den Vorstößen des Germanicus zurückgekehrt war. Nur in der Abwehr war es Arminius möglich gewesen, in die große Schicksalsfrage einzugreifen, die zwischen Rom und den Germanen lag.

In dem aber, was seine Zeit ihm als Aufgabe gestellt, hat er sich über alles erhoben, was auch die Tüchtigsten neben ihm zu leisten vermochten. Marbod hat seine schon begründete Macht nur um ihrer selbst willen gehütet und nicht dem übermächtigen Feinde gegenüber aufs Spiel zu setzen gewagt. Er hat versucht, mit dem Geschick auszukommen. Arminius hingegen hat versucht, das Geschick zu zwingen. Er hat die Entscheidung an sich gerissen, indem er aus seiner unbezähmbaren Freiheitsliebe die Kraft schöpfte, das schier Unmögliche zu wollen und den Willen bis zum Vollbringen stark zu erhalten. Daß es kein Zufallserfolg gewesen ist, wenn ihm sein Wagnis gelang und er den Varus vernichtete, hat er in dem Widerstand bewiesen, den er dem weit stärkeren Germanicus geleistet. So vermochte er im Vertrauen auf ein hohes sittliches Gut als Triebkraft menschlichen Handelns das Ziel zu erreichen, das er sich gesteckt. Im vollsten Sinne [22] gebührt ihm der Ruhmesname des Befreiers von Germanien, den ihm schon der römische Gegner zuerkannte. Sein eigenes Volk, bis zum Verrat undankbar gegen den Lebenden, hat das Gedächtnis des Erschlagenen in Liedern bewahrt.

Das Hermanns-Denkmal.
Das Hermanns-Denkmal.
[Nach wikipedia.org.]
Das Hermanns-Denkmal im Teutoburger Wald.
[19]      Das Hermanns-Denkmal
auf der Grotenburg im Teutoburger Wald bei Detmold,
von Ernst v. Bandel 1875 errichtet.

[Bildquelle: Georg Massias, Berlin.]

Als die Cherusker aber in dem Sachsenstamm untergegangen waren, blieb Arminius' Name und Tat durch das ganze Mittelalter hindurch völlig vergessen. Erst ein anderer Kämpfer gegen Rom, der streitbare Ritter und Dichter Ulrich von Hutten, hat sein Bild, als es ihm aus den neuentdeckten Schriften der Alten auftauchte, in seiner ganzen Kraft und Bedeutung erfaßt. Der eigenen Zeit den politischen Anführer zur Einheit und gegen päpstliche Bedrückung herbeisehnend, hat er dem deutschen Volke Armin als den größten der Völkerbefreier vor Augen gestellt. Seitdem ist dessen Name den Deutschen immer wieder zum entflammenden Sinnbild geworden, wenn sie in Zeiten der Schwachheit und Knechtschaft zu Größe und Freiheit emporstrebten.




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