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[Bd. 1 S. 23]
Theoderich der Große, 456 (?) - 526, von Hermann Aubin

Bronzestatue Theoderichs.
Bronzestatue Theoderichs
(1512/13) von Peter Vischer d. Ä.
in der Innsbrucker Hofkirche.
[Nach wikipedia.org.]
Von Dietrich von Bern hat das deutsche Volk ein starkes und eigentümliches Erinnerungsbild bewahrt. Er ist ihm der große, der mächtige Herrscher von hoher Haltung, der bezwingende Held, der dennoch einem unabwendbaren Schicksal unterliegt. Der Schatten einer Tragik ist über ihm ausgebreitet, die ihn im Siege den jungen, geliebten Bruder verlieren und nach aller tapferen Schwerttat doch das Brot der Fremde essen läßt oder ihn zwingt, aus Schwurtreue zum vernichtenden Endkampf gegen die edelsten Freunde anzutreten.

Wir kennen die geschichtlichen Hintergründe, welche durch die Sage hindurchscheinen. Wir wissen, daß die Ereignisse im Leben Theoderichs, die sich in dem Kampfe des Vogts von Bern mit Ermanrich, in der Rabenschlacht und in seinem Aufenthalt am Hofe Etzels spiegeln, nur eine, am Ganzen gemessen, kurze Spanne im Leben des großen Gotenkönigs eingenommen haben, daß er Sieger über den Herrn von Ravenna geblieben und nicht vor ihm zu den Hunnen geflüchtet ist. Die längste, seine geschichtliche Bedeutung ausmachende Periode seines Königtums hat Theoderich als weithin geachteter Herrscher im unangetasteten Besitz seiner Macht zwischen seinen Goten und römischen Untertanen verbracht, mit nichten sich dreißig der besten Mannesjahre nach der Wiedergewinnung des verlorenen Königreiches sehnen müssen.

Dennoch hat die Sage mit den tragischen Zügen, die sie Dietrichs Heldenleben verliehen, einen Grundton in dem Bilde getroffen, das wir uns von Theoderichs Gestalt formen müssen. Als persönliches Los stellt uns die wirkende Volksdichtung vor Augen, was das Erleben des ganzen Gotenstammes gewesen ist: heldenhaftes, hochgemutes Ringen gegen ein übermächtiges Schicksal, das diese Germanen in eine Welt hineingeworfen hatte, deren sie trotz aller Siege auf dem Schlachtfeld niemals Herr werden konnten, in der sie am Ende untergegangen sind. Wer die Geschichte jener Jahrhunderte überschaut, der erkennt, daß Dietrich hier überhaupt nicht nur für seine Ostgoten, sondern sinnbildlich für so manchen der reichbegabten Germanenstämme steht, die in der Völkerwanderung die Bande zum alten Heimatboden gänzlich zerrissen und sich in die lockende Römerwelt gestürzt haben. Keiner von ihnen vermochte darin seine Muttersprache und eigene Art zu bewahren. Alle sollten sie in fremdem Volkstum aufgehen, wenn sie nicht in die Winde verstreut oder völlig vernichtet worden sind.

Theoderich hat anderes für seinen Stamm erhofft und erstrebt. Er durfte ein- [24] mal glauben, ihm eine neue Heimat, ein schönes Reich erkämpft zu haben, und mußte endlich wohl einsehen, daß es doch eine Fremde blieb, die ihn umgab und die er nicht mehr meistern konnte.


Seit die Schläge der Hunnen sie getroffen hatten, war der Glanz und das Glück der Ostgoten dahin. Mehr als hundert Jahre hatten die von der Ostsee her Eingewanderten am Nordrande des Schwarzen Meeres gesessen und sich reich entfaltet. Die hellenistisch-sarmatische Kultur der eingenommenen Städte und Landschaften wie die Beutezüge zu Lande und zu Wasser ins Römerreich hatten ihnen begierig aufgenommene Anregungen vermittelt, die ihr bildungsbereiter Sinn umzugestalten und der eigenen Art anzupassen wußte. Gleich den Ausdrucksformen ihres Seins war ihre Macht emporgestiegen. Tief nach Rußland hinein hatten ihre Könige unterworfenen Völkern geboten.

Der Hunnenanprall schleuderte einzelne Teile der Ostgoten weit in die Welt hinaus. Manche wurden in Kleinasien als schollengebundene Bauern angesiedelt, manche gingen auf dem Balkan, andere in Italien durch Hunger und blutige Kämpfe unter oder wurden zu Sklaven gemacht. Die Hauptmasse beugte sich dem hunnischen Joch. Ihrer Könige beraubt, wurde sie gleich Knechten ausgepreßt und mußte doch die Schlachten ihrer Herren schlagen. Erst nach drei Generationen, mit dem Tode des furchtgebietenden Attila im Jahre 453 und dem Zusammenbruch seines Reiches, erlangten die Ostgoten in Südrußland ihre Freiheit wieder. Um sich dem Druck der Hunnen zu entziehen, ließen sie sich auf römischem Gebiet zwischen Donau, Leitha und Plattensee ansiedeln. Hier standen sie wieder unter Königen aus dem Hause der Amaler, pflegten die Herden, die sie herübergerettet, und empfingen als "Bundesgenossen" von den Römern Jahrgelder für Kriegsdienste.

Zeit und Umstände jedoch erlaubten kein ruhiges Aufblühen. Hunnen und Germanen von jenseits der Donau fielen über sie her und trieben die Herden weg; und wenn der Kaiser in Byzanz die Jahrgelder einstellte, erwies sich, daß die Nahrungsgrundlage des Volkes zu schmal war. Schon nach wenigen Jahren brach es einmal bis Epirus aus und mußte durch Zuweisung von neuem Land zurückgeführt werden. Bald aber waren die Ostgoten, von Feinden bedrängt, ihres ausgesogenen Gebietes von neuem satt, beschlossen auszuwandern und sich, um leichter Unterkommen zu finden, gänzlich zu teilen. Die eine Hälfte ist wenig später bei den Westgoten in Südfrankreich angelangt und in ihnen aufgegangen. Die andere wandte sich nach dem Ostreich. Es ist dieser gewiß schon geringe Rest des zahlreichen Volkes, von dem noch einmal ruhmvolle Gotengeschichte ausgegangen ist. Doch hatte er noch eine neue Leidenszeit durchzumachen.

Damals war es, 471, daß der Jüngling als König an Stelle seines verstorbenen Vaters an die Spitze des Stammes trat. Es gelang ihm, an der unteren Donau, [25] in der Provinz Mösien, ein Unterkommen zu finden. Näher an die Hauptstadt herangerückt, wurden die Ostgoten aber in den Strudel hineingerissen, in dem hier Römertum und Germanentum engverschlungen durcheinanderbrausten. Die Römer konnten der Germanen als Kampftruppe nicht entbehren, da die anderen Heeresteile mehr und mehr versagten. Am liebsten aber wären sie doch aller Germanen ledig gewesen. Deshalb trachteten sie immer wieder, die einen durch die anderen zu vernichten. Im Jahre 476 setzte Byzanz Theoderichs Ostgoten gegen ein anderes Gotenheer ein, das, aus vereinzelten Scharen zusammengewachsen, von einem anderen Theoderich, zubenannt Strabo, angeführt wurde. Bald gegen diese Stammesgenossen aufgeboten, bald mit ihnen verbündet, bald die Provinzen ausplündernd, bald von den Römern umstellt, einmal Städte erobernd, dann ganze Wagenzüge reicher Habe verlierend, Beute einheimsend und doch immer vom Hunger bedroht, so hat Theoderich der Amaler mit seinen Goten noch durch ein weiteres Dutzend Jahre das germanische Wanderschicksal bis zur Neige gekostet.

In seiner Jugend war er ihm entzogen gewesen. Einen Knaben noch, hatte man ihn als Geisel, um einen Vertrag zu sichern, nach Konstantinopel gegeben. Dort verlebte er die eindrucksvollsten Entwicklungsjahre. Zu einem Griechen oder Römer hat ihn freilich die damals empfangene Erziehung nicht gemacht. Das Reich hatte sich schon seit Konstantin gewöhnt, die militärische und bürgerliche Sphäre scharf zu scheiden, und die erstere fast ganz den Barbaren zu überlassen, unter denen die Germanen voranstanden. Konstantinopel also war voll von germanischen Offizieren bis hinauf zu den höchsten Graden. Die Ausbildung des zukünftigen Offiziers muß es gewesen sein, die Theoderich hier erhalten hat, und in sie war bereits viel Germanisches aufgenommen. Dennoch hatte der Auftenthalt in der Weltstadt römisch-griechischen Gepräges in dem Knaben und Jüngling die Bindung an sein angestammtes Volkstum gelockert, und als er etwa 470 als Geisel entlassen wurde, trat er in den Verband eines Stammes zurück, der selber des festen Bodens zur Pflege und Entwicklung der eigenen Art entbehrte. Als erstes unternahm Theoderich, ganz nach germanischem Brauch mit einer freiwilligen Gefolgschaft, einen Einfall nach Innerungarn, doch weiß man nicht, ob für den Kaiser oder für sich.

Dieses unklare Doppelwesen blieb ihm anhaften. In jenen Jahren des Umherziehens strebte der Gotenkönig den Rang eines römischen Generals an, ja, als er einmal glaubte, fordern zu können, verlangte er zwar Land für sein Volk, für sich aber freien Zutritt nach Konstantinopel, um dort auf römische Art leben zu können. Dies schien ihm ein Gipfel menschlichen Glücks.

Welch anderes Ziel sollten sich auch diese wurzellosen Germanen setzen, die in das Römerreich Aufnahme gefunden hatten? In erster Linie waren sie Landesknechte mit allen Begierden solcher nach raschem und vollem Genuß des bald verspielten Lebens. Nach Schmuck und Prunkwaffen, dem Besitz, den man stets bei sich tragen kann, hatten sie schon in der alten Heimat am meisten verlangt. Die Einquartierung bei den Provinzialen, die ihnen ein Drittel ihres Hauses zur Verfügung [26] stellen mußten, erlaubte für eine Zeit ein müheloses Dasein. Wenn man gar die Einwohner einer Stadt vertrieb und sich in das gemachte Nest setzte, konnte man vielleicht ein paar Wochen von fremder Ernte prassen. Aber immer wiederholte Erfahrung ließ die Germanen, die sich nun schon seit einem Jahrhundert im Reiche herumtrieben, erkennen, daß all dies ohne Sicherheit war, daß es nicht nur stets von neuem mit den Waffen verteidigt werden mußte, wozu sie am ehesten bereit waren, sondern daß dieser erraffte Besitz nach kurzem Genusse in ein Nichts zu zerrinnen pflegte. Es konnte ihrem Nachdenken nicht verborgen bleiben, daß das ganze römische Leben von Gesetzen beherrscht und aufrechterhalten wurde, die nicht gestört werden durften. Sonst traten in seinem weltweiten Zusammenhange Stockung, Mangel und Not ein, welche sie, die Germanen, dann bitter spürten und welche zu beheben sie außerstande waren. An welchem Ende sollten sie damit beginnen? Wo immer sie zugriffen, dort brach etwas in diesem für ihre Begriffe unverständlichen, ihnen undurchsichtigen, diesem überfeinen Mechanismus, den das Dasein innerhalb der Reichsgrenzen darstellte. Was sie selber zu überschauen und zu bewältigen vermochten, das war, abgesehen vom Kriegertum, ein bäuerliches oder bescheiden grundherrliches Wirtschaften in kleinen Gauverbänden, höchstens noch eine Oberhoheit über primitivere Völker. Deshalb trugen sie durch all diese Wander- und Sturmjahre, durch alle Tage des Siegens, Erbeutens und Eroberns im Grunde ihrer Seele eine andere Sehnsucht mit sich, nach dem, was sie verloren hatten, nach der eigenen, unabhängigen Scholle. In allen Verhandlungen, die sie mit den Römern führten, kehrt nur ein Verlangen immer wieder, der Wunsch nach Siedlungsland.

Aber auch die Ansiedlung, einmal erreicht, konnte die ersehnte Ruhe einer beständigen Existenz kaum bieten. Die Unrast der Wanderzeiten lag den Germanen auch dann noch in den Gliedern, und der Pflugarbeit waren sie entwöhnt. Auch nahm sie die Kriegsdienstpflicht, für welche sie die eigene Scholle zugewiesen erhielten, viel zu sehr in Anspruch, um ihnen zu erlauben, als Bauern wieder mit dem Boden zusammenzuwachsen. Nur als Grundherren hätten sie, von der Arbeit abhängiger Pächter und unfreier Knechte lebend, dem Waffendienst voll nachkommen können. Wenn sie dies nicht erreichten, dann vermochte die eigene Ackerbestellung ihnen schwerlich den nötigen Unterhalt zu verschaffen. Solche Lebensbedingungen machten sie zu bedrohlichen Nachbarn, von denen man einen Ausbruch um so mehr befürchten mußte, als sie allein noch innerhalb des Römerreiches waffenstark waren. Und so kam es, in einem unentrinnbaren Kreise von Ursachen und Wirkungen, daß gerade sie, die einzigen wahren Schwertträger, nun die ewig Bedrohten, immer von neuem Aufgeschreckten waren, die nie zur Begründung eines beständigen Daseins nach den Bedürfnissen und Gegebenheiten der eigenen Art gelangten.

Theoderich hat, nachdem sein Rivale gleichen Namens ausgeschieden war, große Ehren im römischen Dienst geerntet. Er durfte das Konsulat in Konstantinopel [27] bekleiden, und Kaiser Zeno hat ihm sogar ein Reiterstandbild errichtet. Den römischen fügte er, um den Gotenkönig fest an sich zu binden, eine germanische Auszeichnung hinzu: er adoptierte ihn durch Waffenleihe. Römisches und germanisches Wesen flossen damals überhaupt so durcheinander, daß der römische Konsul Theoderich nicht zauderte, in seinem Amtsjahr mit eigener Hand den Sohn seines Rivalen Strabo zu erschlagen, um der germanischen Pflicht einer Blutrache zu genügen. Während indes Zeno den Goten verwandte, mißtraute er ihm, und kaum, daß er ihn zum höchsten geehrt, ließ er es zum Bruch mit ihm kommen. Theoderich stürmt bis nahe an Byzanz. Dann wird er durch reiche Geschenke, mit denen man ihm seine hier lebende Schwester entgegenschickt, zum Abzug bewogen. Welch ein Auf und Ab, welche Verwirrung der Gedanken und Empfindungen, welcher Fluch der Heimatlosigkeit über diesen Goten!


Schon länger hatte Theoderich ausgeschaut, wohin er sein Volk von dem heißen und erschöpften Boden der Balkanhalbinsel führen könnte. Der Westen mußte seinen Blick anziehen. Dort war es allenthalben von Afrika bis an den Rhein anderen Germanen gelungen, eigene Reiche aufzurichten und, ungeschoren von den Römern, als Herren über Römer, zu leben. Zuletzt hatten in Italien bunt zusammengewürfelte Söldnerscharen, denen das Reich Land zur Ansiedlung verweigerte, einen Offizier germanischen Blutes, Odowakar, als König auf den Schild gehoben, Odowakar aber hatte den Kaiser des Westens abgesetzt.

Seitdem war das Westreich verwaist. Theoderich hatte sich schon einmal, 479, angeboten, einen Kaiser mit Waffen nach Italien zu geleiten. Für den Kaiser in Konstantinopel war es unmöglich, den Westen aufzugeben. Das Imperium bestand als eine aus der Welt nicht wegzudenkende Größe, untrennbar, wenn auch mehrere Kaiser sich in die Regierung teilten, unzerstörbar, mochten sich noch so viele Germanen darin einnisten. Auch Odowakar stand unter dem Banne dieser Anschauung. Er betrachtete sich nur als Verwalter Italiens. Warum sollte der Kaiser nicht einen anderen ernennen? Ein Kampf um Italien konnte für die Goten keine ungewohnten Gefahren bringen, der Sieg aber in allen Fällen eine Befreiung von den Nöten des jetzigen Daseins. Dem Kaiser war der Gedanke, daß der Gotenkönig Odowakar aus dem Sattel heben wollte, nur recht. Es konnte das alte Spiel geben, Germanen durch Germanen zu vernichten. So erteilte er Theoderich den Auftrag und überließ ihm die Verwaltung Italiens, bis er selber zur Neuregelung erscheinen würde.

Als römischer General mit dem hohen Range eines Patricius hat Theoderich im Herbst des Jahres 488 den Zug über den Karst angetreten. Daß er sich derart dem Reichsgedanken einordnete, entsprach nur seinem bisherigen Lebensgange. Aber was ihn antrieb, war nicht die Sorge für das Imperium, sondern die für sein Gotenvolk, das ihm zugleich die Basis der eigenen Existenz bedeutete. Das [28] Verhältnis von König und Volk war eigenartig. Das Königtum bei den Germanen ist nie kräftig entwickelt gewesen. Ansätze dazu, die sich gerade bei den Ostgoten gebildet hatten, waren in der Hunnenkatastrophe vernichtet worden. Theoderich wurde nach des Vaters Tode zwar durch sein Geblüt dem Volke zur Wahl gestellt. Er mußte sich aber bewährt haben, um gewählt zu werden, und er mußte sich immer wieder als Führer bewähren, um das Volk dauernd hinter sich zu behalten. Die Notlagen der Wanderzeit waren freilich dazu angetan, das Heerkönigtum erstarken zu lassen, da sie gebieterisch nach Einherrschaft verlangten. Dennoch galt nur zu oft noch das Tacituswort von den Germanen: "soweit sie eben beherrscht werden", und nicht nur die Volksgemeinde brachte ihre Stimme zur Geltung, sondern selbst der Einzelne behielt sich die letzten Entscheidungen vor. Das Volk mußte gleichsam vom König in stets wiederholter Zustimmung zu seinem Handeln immer wieder von neuem gebildet werden. Selten trat das anschaulicher zutage als damals, da Theoderich zum Zuge nach Italien aufrief. Der Stammeszusammenhang erwies sich nicht fest genug, um einzelne Scharen davon abzuhalten, sich abzusondern und in Mösien zurückzubleiben. Andererseits hatte der Amaler wohl schon von den sich auflösenden Gotentruppen Strabos Zulauf erhalten. Nun verstärkten die Reste der von Odowakar geschlagenen Rugier sein Heer, und Römer schlossen sich ihm an. Noch immer war es freilich keine Menschenflut, die über Italien hereinbrach. Mehr als 100 000 Köpfe wird der Wanderzug schwerlich gezählt haben, so daß Theoderich kaum über 20 000 Streiter verfügte.

Vier Jahre hat das Ringen um Italien gedauert. Theoderich zeigte sich als überlegener Heerführer. Aus allen Feldschlachten, am Isonzo, vor Verona, an der Adda, ging er als Sieger hervor. Die Römer fielen dem Beauftragten des Kaisers zu. Aber Verrat und der zeitweise Abfall der Rugier stellten die Erfolge wieder in Frage. Theoderich setzte dem raschen Glückswechsel die Zähigkeit seines Willens entgegen. Auf die härteste Probe stellte ihn der Widerstand Ravennas. Das ganze Land wäre längst in der Hand der Goten gewesen, wenn nicht die natürliche Schutzlage der Stadt Odowakar ermöglicht hätte, sich darin noch mehr als zwei Jahre zu halten. Mit Waffengewalt konnte Theoderich den Einlaß nicht erzwingen (die Sage spiegelt die langen Kämpfe in dem einen Bilde der Rabenschlacht). Da ist er vor hinterlistiger Täuschung nicht zurückgeschreckt, und als die Mörder versagten, hat er mit eigener Hand Odowakar erschlagen. Trieb ihn auch hier germanische Blutrache an, so war sie bewußt in die politische Rechnung eingesetzt. Am gleichen Tage wurden im ganzen Lande alle Gefolgsleute Odowakars getötet. Gegen dessen Familie wütete Theoderich mit einer Grausamkeit und Folgerichtigkeit, die weit von der gutgläubigen Großmut absteht, welche die Germanen der Völkerwanderung so oft, manchmal zu ihrem Schaden, gegen besiegte Feinde haben walten lassen.

Dann hatte er keine Gegner mehr zu fürchten. Die Sturmjahre waren für ihn und sein Volk vorüber. Ein Land lag ihm zu Füßen, das trotz des stetigen Nieder- [29] ganges seiner Wirtschaft und aller vorangegangenen Ausplünderungen den Goten, gemessen an deren Vergangenheit, Lebensraum die Fülle bot. Theoderich war imstande, mit vollen Händen ihnen zu geben, was zu erkämpfen sie ihm durch all die schwere Zeit gefolgt waren: reiche Landlose mit unfreien Arbeitskräften, Sold, Sicherheit gegen die Überfälle benachbarter Feinde. Und nachdem er eben noch ein Beispiel berechnender Tücke und ungezügelter Wildheit geboten, begann er als weiser, milder und gerechter Herrscher zu regieren.


Die Ordnung, welche Theoderich nun aufgerichtet hat, ist das umfassendste Dokument seines Wesens, das wir besitzen. Sie ist ganz gewiß keine freie Schöpfung auf einer Tabula rasa. Sie hat sehr viel von dem übernommen, was die Vergangenheit hinterlassen. Aber allein schon in dieser Erscheinung und in den Abwandlungen, die Theoderich seiner Gestaltung gegeben hat, spricht sich für uns beredt ein großes Stück seines Charakters und die Stellung aus, die er gegenüber den Grundproblemen seiner Zeit eingenommen hat.

Die ganze Epoche ist durch den Zusammenprall, die Durchdringung und Vermischung oder die Abstoßung des Antiken und Germanischen bestimmt. Die Germanen hatten Einlaß ins Reich erst als Kriegsgefangene und Unterworfene gefunden, die man seit dem 2. Jahrhundert allenthalben zur Auffüllung der schwindenden Bevölkerung ansiedelte. Dann waren sie als Söldner gekommen, einzeln oder zuhauf, und endlich hatten sie, wie die Ostgoten, als geschlossene Völkerschaften Aufnahme unter dem Namen von Bundesgenossen erlangt, der ein reines Soldverhältnis verhüllte. Auch wenn sie gewaltsam eingebrochen waren, hatte Rom es lange Zeit verstanden, sie doch in dieses Föderativverhältnis einzufügen. Immer standen die Stämme vereinzelt und in ihrer lockeren Gauverfassung, höchstens unter einem kräftigen Heerkönig, dem Riesenbau des Imperiums gegenüber. Was Wunder, daß sie sich ihm in ehrfurchtsvollem Staunen oder in der Erkenntnis harter Notwendigkeit beugten. Bald nach der Eroberung des heiligen Rom durch Alarich, die im Jahre 410 das Römertum bis ins tiefste erschütterte, hat sein Nachfolger im westgotischen Königtum, Athaulf, die Erfahrung wohl vieler Germanen so ausgesprochen: Er habe früher das Reich zerstören, die Römerwelt in eine Germanenwelt umwandeln wollen. Nun habe er einsehen müssen, daß die Goten nicht imstande wären, Gesetzen zu folgen (das soll heißen: den großen Mechanismus des Imperiums selber zu handhaben). Ohne Gesetze bestehe kein Staat. Deshalb sei er entschlossen, das römische Wesen mit der Wehrkraft seiner Goten zu erhalten. Symbolisch hat er durch seine Vermählung mit einer gefangenen Kaisertochter in durchaus römischen Formen diese Einordnung ins Reich und die gewollte Verschmelzung beider Völker zum Ausdruck gebracht. Nach seinem baldigen Tode antwortete eine römerfeindliche Reaktion auf dieses Programm. Sie raffte den Stamm zusammen. Aber der konnte nichts anderes [30] tun, als ins Föderativverhältnis zurückzutreten. Das Problem, das der römisch-germanische Gegensatz aufgab, war geblieben.

Zu einer gänzlich germanischen Lösung hat es zuerst der Wandale Geiserich zu treiben vermocht, der 439 den Kaiser nötigte, die Unabhängigkeit seiner Herrschaft, die er auf ehemaligem Reichsboden, in dem meergeschützten Nordafrika errichtet hatte, förmlich anzuerkennen. Für die Alemannen oder Franken an dem anderen Ende des Reiches oder gar für die Angeln und Sachsen im fernen Britannien wurde die staatsrechtliche Frage kaum mehr gestellt. Die Westgoten jedoch in Spanien und Südfrankreich und die Burgunder im Rhonetal hatten nicht gewagt, sich frei zu machen, solange es noch einen Kaiser im Westen gab; und im Kernland Italien war ja Odowakar auch dann noch der Vorstellung von dem ewigen Bestande des Imperiums untertan geblieben, die freilich durch die Nähe Ostroms wirksam unterstützt wurde. Wenn er auch den Schattenkaiser absetzte, so übersandte er doch dessen Insignien ehrfürchtig nach Konstantinopel. Selber sie anzulegen, hielt er sich als Germane nicht für berufen.

Die geographische Lage blieb auch für Theoderich unverändert wirksam. Die Reichsidee aber galt für ihn nur so lange, als er es nicht zum Bruch kommen lassen wollte. Nachdem er sich zum tatsächlichen Herrn Italiens gemacht hatte, muß ihm die Frage gekommen sein, ob er den Bruch vollziehen dürfe und könne.

Wenn er seine germanischen Kräfte musterte, so übertrafen sie die seines Vorgängers nicht allein an Zahl, sondern vor allem durch ihr festes, stammesmäßiges Gefüge. Nach dem Einzug in Ravenna hatte ihn das Heer als König ausgerufen. Das gab ihm auch einen germanischen Rechtstitel gegenüber den widerspenstigen Rugiern. Trotz aller fremden Bestandteile stellte das Heer jedoch immer noch das Volk der Goten dar.

Den zwei bis drei Millionen Italikern gegenüber, zwischen welche es nun versetzt war, bedeutete das freilich nur eine verschwindende Minderheit. Bei der Ansiedlung mußten die Eroberer weite Landesteile ganz unbesetzt lassen, eine nicht unbedenkliche Lage, auch wenn den Eingeborenen nach der langen Entwöhnung keine Schlagkraft mehr zuzutrauen war. Geiserich hatte unter verwandten Bedingungen den Knoten in unbekümmertem Stärkebewußtsein durchgehauen und sich mit seinem Volke von auch nicht mehr als 80 000 Wandalen und Alanen zum schrankenlosen Herrn über die Einwohner Nordafrikas gemacht. In Theoderichs Tagen war die große Zeit des gefürchteten Meerkönigs schon vorbei. Der beginnende Verfall der wandalischen Macht mag noch hinter schreckensverbreitenden Piratenfahrten verborgen gewesen sein. Für unser Urteil aber muß es ausgesprochen werden, daß Geiserichs System den Grund zu jenem unaufhaltbaren Zusammenbruch der Zivilisation des einst so üppigen Gebietes gelegt hat, der weite Strecken fruchtbaren Baulandes den Nomaden auslieferte und in Wüste verwandelte.

Theoderich ist nicht als Umstürzler ans Werk gegangen. Eine gänzliche Aufhebung der römischen und ihre Ersetzung durch eine reine germanische Staats- und [31] Rechtsordnung war für alle Eroberer der Völkerwanderungszeit ein Ding der Unmöglichkeit. An Geiserichs radikalem Durchgreifen gemessen, erscheint dennoch die Lösung des Zeitproblems, die er versucht hat, als ein bescheidenes Sichabfinden mit dem Fazit der bisherigen Reichsentwicklung und ein einfaches Einrücken in die Stelle, welche sie den Germanen offen gelassen hatte. In den Umrissen gesehen, blieb der gesamte römische Staatsaufbau erhalten, die Zivilverwaltung wurde auch weiterhin ausschließlich mit Römern besetzt und in römischen Überlieferungen fortgeführt. Die Goten bildeten an Stelle der früheren Söldner die Wehrmacht. Damit erscheint Theoderich als Vollstrecker jenes Programms, das sich Athaulf gestellt hatte. In seinen Erlassen klingen manche Sätze unmittelbar an die Gedanken Athaulfs an. Immer wieder wird die gesetzliche Ordnung als der Zustand hingestellt, den zu erhalten des Königs und seiner Beamten erste Aufgabe ist. Mag auch der pomphafte Wortlaut dieser Erlasse von der Hand des Staatssekretärs, Cassiodorus, für die Nachwelt überarbeitet sein, die Gesinnung, die aus ihnen spricht, war dem König nicht fremd. Wir haben die Beweise aus seiner Jugendzeit, wie mächtig diesen die höhere Zivilisation angezogen hatte, die ihm in Byzanz entgegengetreten war. So hat Theoderich auch als siegreicher Eroberer Italiens die Reichsidee nicht angetastet. Zwar ließ er es sich angelegen sein, eine noch freiere Stellung und noch mehr Rechte über die Römer zu erlangen, als Odowakar besessen. Aber indem er den Kaiser darum bat, erkannte er ihn an. Selbst zur Wiederherstellung des Imperiums zu wirken, fühlte er sich verpflichtet. Als er die Provence in Besitz nahm, ließ er Cassiodor dies als eine Rückkehr zu Rom hinstellen. Er nahm die Ansprüche auf den ehemaligen Umfang des Reiches auf. In dem kleinen Ländchen an der Rhonemündung richtete er sogleich die oberste Behörde wieder ein, die früher für ganz Gallien samt Britannien, Germanien und Spanien bestimmend gewesen war. Damit erscheint er nicht nur als Erhalter, sondern als Restaurateur des Imperiums, erscheint seine Lösung vollkommene Unterordnung der Goten unter das Römertum.

Goldmedaillon.
[32a]      Theoderich der Große.
Goldmedaillon, Rom, Vatikan.

[Bildquelle: Alinari, Florenz.]
Ein voller Einblick in Theoderichs Gedanken vermag sich indessen dem nicht zu erschließen, der die Dinge lediglich von der Seite des römische Staatsaufbaus her sieht. Wie diese Epoche überhaupt, welcher mehr und mehr das Germanentum den Stempel aufdrückte, das als Träger einer neuen Zukunft in sie einzog, so kann auch Theoderichs Konzeption abschließend nur dann beurteilt werden, wenn man sich auf den germanischen Standpunkt begibt. Von hier erst empfängt sein Bild das rechte Licht. Es schwindet der Gegensatz, der zwischen seiner Haltung in seinen beiden Lebensperioden zu bestehen scheint. Eine Grundlinie seines Handelns tritt hervor, die aus der noch unsicheren Frühzeit immer klarer in die Jahrzehnte seiner vollen Entfaltung als Herrscher Italiens hinüberleitet. Sie ist gekennzeichnet durch das Ringen, sein Volk vor dem Fluche der Entwurzelung zu befreien, es aus der Drangsal der Wanderjahre heraus und einer reicheren Entwicklung entgegenzuführen.

[32] Durch die Versetzung nach Italien hat Theoderich in der Tat den Stamm der Goten neu begründet. Ohne Übertreibung darf man dies angesichts der fortschreitenden Auflösung aussprechen, welche das einst so mächtige Volk im Laufe eines Jahrhunderts dezimiert hatte, und der Gefahrenfülle, der es in der Reichweite von Konstantinopel und am Rande der weitergärenden Welt von Germanen, Sarmaten und Hunnen ausgesetzt gewesen war. Nun sah Theoderich die Goten zu glücklichen Bedingungen von Sicherheit, politischer Geltung und Wohlstand gelangt. Steil war ihre vielgewundene und kümmerlich hingeschleppte Schicksalslinie emporgestiegen. Aber die bitteren Erfahrungen hatten Theoderich auch gelehrt, wie leicht solch gesegnete Zustände durch Verwirrung in jener bürgerlichen, der römischen Welt, in der die Goten leben mußten, in ihr Gegenteil umschlagen konnten. Er war entschlossen, diesen Erfahrungsschatz seiner ersten Lebenshälfte zu nützen. Nicht allein ehrfurchtsvolles Beugen vor der Idee des unsterblichen Imperiums und Einsicht in höhere Kulturwerte, sondern auch das unmittelbarste Lebensinteresse seines Volkes geboten ihm, in das Getriebe der römischen Welt möglichst wenig einzugreifen und mit den Römern im Einverständnis zu leben. Daß er das Römertum nicht unterjochte, noch abschüttelte, hat Italien den Goten gelohnt. Während Afrika dem Verfalle entgegenging, blühte hier die abgesunkene Wirtschaft unter dem starken Schutze und der verständnisvollen Pflege Theoderichs augenfällig wieder auf.

Zu solchem Gleichgewicht des romanischen und germanischen Bestandteils seines Reiches entschlossen, sah sich Theoderich jedoch vor eine andere Entscheidung gestellt. Eben damals gab der Salier Chlodowech, als er in Mittelgallien vordrang, dem römisch-germanischen Verhältnis eine neue Wendung, die demselben Kraftbewußtsein des Siegers entsprang, das Geiserich beseelt hatte, aber gerade in die umgekehrte Richtung wies. Er billigte den Unterworfenen die gleichen vollen Rechte zu wie seinen Franken, selbst das Waffenrecht; er öffnete Schleusen einer gegenseitigen Vermischung, indem er Eheschließungen keine Hindernisse entgegensetzte; er legte einen Damm der Trennung zwischen Germanen und Romanen nieder, indem er, zum Christentum übertretend, statt des spaltenden Arianismus den mit den Romanen verbindenden Katholizismus wählte. Wir wissen, daß das von ihm begründete Reich der Ausgangspunkt der politischen Entwicklung für den größten Teil des Abendlandes geworden ist, und der Aufbau dieses Reiches ruhte ganz vornehmlich auf jenem von Chlodowech hingeworfenen Gedanken des freien Nebeneinander gleichberechtigter Volksstämme.

Chlodowech konnte so handeln, ohne je den festen germanischen Boden unter den Füßen zu verlieren, den ihm das von Franken in geschlossener Bauernsiedlung besetzte Gebiet von Flandern bis jenseits des Rheines darbot. Theoderich war nicht imstande, sich für Chlodowechs Weg zu entscheiden. Dafür war seine germanische Basis viel zu schmal. Das Volk der Goten wäre im Romanentum zerronnen. Ohne Haß gegen die Römer zu empfinden, waren sich die Germanen doch ihres [33] Eigenwesens stark bewußt. Die Rugier, welche ihre ganze noch gerettete Existenz den Ostgoten verdankten, haben Eheverbindungen mit ihnen selbst in dem nahen Zusammenleben Italiens streng zurückgewiesen. Sie wollten die Reinheit und Geschlossenheit des Stammes bewahren. Auch in Theoderich lebte, wenngleich in der Jugend unsicher geworden, der gotische Eigenstolz. Welchen Wert er jetzt auf die Betonung seines Volkstums legte, bewies das Jahr 500. Damals beging er – an sich ein römischer Brauch und die Schaustellung auf die Römer berechnet – die Erinnerung an seine Erhebung zum König an des verstorbenen Vaters Statt vor dreißig Jahren. Damit brachte er zum Ausdruck, daß er über alle römischen Ämter und die neue Schilderhebung hinweg als gotischer Volkskönig nach Geblütsrecht gelten wollte. Dem Gedächtnis der Amalersippe, der Theoderich entsprossen war, mußte selbst Cassiodor seine Feder leihen. Vielleicht hat den König die Verantwortung staatsmännischen Handelns sich stärker auf die tragenden Kräfte besinnen lassen, die in dem Festhalten an der Stammesüberlieferung lagen. Innere Verbundenheit mit seinem Volkstum und klare Abschätzung der Lage verlangten gleicherweise von ihm, dieses Gotentum, das er vom Untergange gerettet, das er neu begründet hatte, nicht durch wahllose Vermischung und Angleichung an die Umgebung zerfließen zu lassen.

Schranken zwischen Goten und Römern bestanden zahlreich nach der Natur der Dinge und gemäß der geschichtlichen Entwicklung: gesonderte Aufgabe von Kriegertum und bürgerlichem Wesen, eigenes Recht auf beiden Seiten und vor allem die hohe Scheidewand des konfessionellen Gegensatzes von Arianismus und Katholizismus und deren Kirchen. Die Römer fühlten sich in der ihren als Teile einer Weltgemeinde. Bei den Goten war die arianische Kirche eine enge Verbindung mit dem im Heere organisierten Volkskörper eingegangen und dem König untergeordnet. Seit Wulfila den Goten die Bibel zu übersetzen begonnen und damit Schrift und Bildungssprache geschenkt hatte, war auch eine gotische Literatur im Entstehen. Die eigene Kirche wies den Goten einen eigenen Weg zu geistiger Weiterentwicklung. So hat die konfessionelle Sonderung besonders viel zur Herausbildung und Bewahrung der germanischen Eigenart beigetragen.

Bei Theoderich sind diese gegebenen Schranken Stützen seines politischen Systems geworden. Nicht verteilt, sondern gruppenweise wurden die Goten angesiedelt. Nur ganz ausnahmsweise fanden Römer Eingang ins Heer. Im übrigen schützte ein strenges Verbot von Waffen bis hinab zum Messer die Existenz der germanischen Minderheit. Die Goten standen unter ihren eigenen Richtern. Es galt für sie gotisches Recht auch dann, wenn ein Römer Prozeßgegner war. Die arianische Kirchenverfassung hinzugenommen, erscheinen die Goten wie eingekapselt in die Schutzpanzer ihrer völkischen Einrichtungen.

Dort aber, wo beide nationalen Sphären zusammengefaßt werden mußten, an der Spitze, kam das Übergewicht des Gotentums zum Ausdruck. Denn diese Spitze war ein germanischer König. Wie sehr sich Theoderich als solcher gefühlt hat, [34] zeigt, daß er den Hofstaat zu seiner persönlichen Bedienung mit Goten besetzte. Doch auch in die Staatsordnung griff der germanische Charakter des Königtums über. Mit dem Königsschutz, welcher germanischem Rechtsgedanken entsprungen ist, mit dem Königsgericht, dem er persönlich vorsaß, mit seinen gotischen Gefolgsleuten, die er mit besonderen Aufträgen durchs Land sandte, korrigierte und überwachte Theoderich den römischen Verwaltungsapparat. Die persönliche Nähe des Königs zu seinen Untertanen, die sich in allen diesen Einrichtungen ausspricht, war durchaus unrömisch.

So kann man im ganzen sagen, daß Theoderich in Rücksicht auf Byzanz, in würdiger Achtung vor höheren Kulturwerten und in weit aufgefaßtem Interesse seiner Goten wohl in die gegebenen Verhältnisse eingetreten sei, nicht aber, daß er sie einfach hingenommen hat. Vielmehr hat er, was er nicht zu stürzen willens und imstande war, doch positiv umzugestalten versucht. Es ging ihm vor allem darum, dem kleinen Häuflein von Goten, die er anführte, innerhalb der römischen Welt eine bleibende Stätte zu bereiten, ohne sie der Gefahr auszuliefern, ihr Volkstum zu verlieren. Indem er diesem Ziele zustrebte, verlieh er Einrichtungen, die bisher im ausschließlichen Interesse Roms entwickelt worden waren, einen germanischen Sinn. Andererseits gab er in hoher, humaner Gesinnung der Tatsache, daß er Herrscher über Millionen fremder Untertanen geworden war, den Inhalt einer wahren Gerechtigkeitsliebe.

Der Palast des Theoderich in Ravenna.
[37]      Der Palast des Theoderich in Ravenna.
[Bildquelle: Georg Massias, Berlin.]
Noch stärker fast haben sich die gleichen Grundzüge in Theoderichs Außenpolitik ausgeprägt. Kaum durch einen umstürzenden Akt in ein neues Dasein emporgehoben, sehen wir ihn sogleich zum strengen Verteidiger des Bestehenden werden. Weitere Eroberungspläne lagen ihm fern. Richtschnur seiner Außenpolitik war es, so lange als möglich die Bedingungen aufrechtzuerhalten, welche den Goten die Niederlassung in Italien erlaubt hatten: das gute Verhältnis zum Kaiser im Osten, die eben bestehende Kräfteverteilung der Germanenstaaten im Westen. Die besondere Leistung Theoderichs liegt auch hier in dem, wie er innerhalb dieser Grenzen die Probleme zu behandeln wußte. Von der Besitznahme Italiens angefangen, arbeitete er auf ein System von Bündnissen und Freundschaften mit und unter den Germanenstaaten hin. Seiner Stärkung sollten vornehmlich dynastische Verbindungen dienen. Schon 493 führte er die Schwester des rasch emporstrebenden Frankenfürsten Chlodowech heim, allmählich machte er die Könige der Wandalen, Westgoten, Burgunder und Thüringer zu seinen Schwiegersöhnen und Schwägern, mit Alemannen und Herulern im Rheingebiet hielt er enge Freundschaft. Die Bündnisse waren zugleich Bindung. Keiner der jungen, noch im vollen Fluß ihres Werdens begriffenen Staaten sollte durch ungestümes Ausgreifen den bestehenden Zustand aus dem Gleichgewicht werfen. Geschah es doch, bot Theoderichs System sogleich die Handhaben zur diplomatischen Einkreisung des Friedestörers. Die Bündnisse bedeuteten auch Rückendeckung, wenn nicht Hilfe gegen Byzanz. [35] Theoderich rechnete auf die Solidarität der Germanenstaaten. Byzanz, das seine Ansprüche auf das Westreich nie aufgab, blieb deren ewige Bedrohung. Es scheint nicht glaublich, daß Theoderich diese Solidarität bloß in der realen Tatsache ihrer parallelen Lage erkannt und nicht auch in der Gemeinsamkeit des Germanentums empfunden habe. Jedenfalls ist er der erste gewesen, welcher derart die Folgerungen aus der Umgestaltung des Abendlandes durch die Völkerwanderung gezogen und die Ersetzung des einen Imperiums durch das Nebeneinander gleichgestellter Staaten planvoll und positiv für die Außenpolitik zu gestalten versucht hat.

Die Diplomatie, welche er dabei vorzüglich zu handhaben wußte, bedeutete ihm keineswegs das einzige Mittel. Den Sinn für kriegerische Machtentfaltung hat Theoderich auch als Friedenskönig durchaus nicht verloren. Das Heer war in ausgezeichnetem Zustand. Es sicherte die Grenzen, es hielt schon durch sein Bestehen Gegner in Schach und erlaubte, bei Gelegenheit auch einmal aktive Politik zu treiben, wie bei der Angliederung Pannoniens und der Provence. Eine Spannung mit den Wandalen ließ Theoderich sogleich den Bau einer Flotte mit Eifer betreiben. Aber nirgends mehr war es das Ausgreifen des unbändigen Kraftgefühls, das er früher schauvoll bewiesen hatte. Mit der Einsicht in die Fragen, welche ihm die Regierung Italiens stellte, mit dem Bewußtsein der Verantwortung, die auf ihm lastete, eine hochentwickelte Welt in Gang zu erhalten, hat er seinen Trieben Zügel angelegt. Es ehrt ihn hoch, daß er sich selber Grenzen setzte, um mit Vorbedacht eine klar erkannte Aufgabe in kühler Abschätzung der verfügbaren Kräfte zu lösen. So mächtig auch sein Reich nun darstand, im Grunde spürt man in dem Verhalten des Gotenkönigs das Bewußtsein, daß die schwer errungene und kunstvoll aufgebaute Herrschaft keine starke Erschütterung vertrage.

Seine Vorsicht und Mäßigung ist um so höher anzuschlagen, als das größte der inneren Gefahrenmomente, das dem Gotenstaate drohte, in den ersten Jahrzehnten noch verdeckt war. Daß Theoderich so lange ein ruhiges, glückliches Regiment über Goten wie Römer zu führen vermochte, beruht ganz wesentlich auf einer seltenen Gunst des Schicksals. Die Katholiken Italiens waren zu dem Kaiser in Konstantinopel in schärfsten Gegensatz geraten. Eine dogmatische Streitfrage hatte sich zwischen die beiden Hälften des Römertums gestellt und ließ nun jener des Westens den arianischen König als Schutzwehr gegen den ketzerischen Kaiser erscheinen. Diese Kirchenspaltung ist Theoderich als unschätzbares Geschenk in den Schoß gefallen. Er war allerdings auch imstande, sie zu nutzen. Der arianischen Gotenkirche lag ob ihrer engen Bindung an das gotische Volkstum jedes Missions- und Herrschaftsstreben fern, und innerlich war Theoderich zu einer frei duldenden Achtung gegenüber Andersgläubigen bereit. So hat er es verstanden, mit sicherer und feiner Hand, die selbst im heiklen Falle strittiger Papstwahl nicht versagte, das Kirchenregiment auch über Katholiken zu führen und diesen den gesuchten Rückhalt zu bieten, so daß er nicht nur die Autorität des Gotenkönigs über die Römer aufrichtete, sondern die Masse seiner Untertanen [36] dahin zu bringen vermochte, sich innerlich mit dem neuen Regiment abzufinden und ihm ihre Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen.

Durch die Verbindung gezügelter Germanenkraft mit römischer Kunst der Staatslenkung, die er je an ihrer Stelle zur Wirkung brachte, ist es ihm geglückt, sein Volk nach den bitteren Jahrzehnten der Heimatlosigkeit und das Land Italien nach den hundertjährigen Nöten der Barbareneinfälle einer neuen Blüte entgegenzuführen, von der heute noch die Denkmale seiner Königsstadt Ravenna zu uns sprechen.


Es war eine Scheinblüte. Hinter ihr lauerte vernichtendes Geschick. Denn auf die Dauer konnte die seltene Gunst der Lage nicht anhalten, welche den ungestörten Bestand und den Glanz des Gotenstaates ermöglicht hatte; und keine Vorsicht vermochte für immer die innere Zwiespältigkeit aufzuheben, an welcher er litt.

Am frühesten wurde das außenpolitische System erschüttert. Das kraftvolle Vorwärtsdrängen Chlodowechs, der, weit von der Machtsphäre Ostroms entfernt, wenig von germanischem Gemeingefühl berührt war, drohte das künstlich gehütete Gleichgewicht der Germanenstaaten umzustürzen. Nach dem ersten Stoß, 496 gegen die Alemannen, und dem zweiten, 507 gegen die Westgoten geführt, gelang es Theoderich nur mit Mühe, das Einbrechen der Franken ins Mittelmeergebiet abzudämmen. Damals besetzte er die Provence und übernahm für seinen unmündigen Enkel die Lenkung des Westgotenreichs. Beim dritten, als Chlodowechs Söhne das Burgunderreich zerschlugen, vermochte er wiederum nur, ihnen einen Teil vorzuenthalten, den er seinem Reiche anschloß. Kurz vor seinem Ende sah er die Wandalen sich feindselig dem Bündnis entziehen. Das allerdings ist ihm Zeit seines Lebens erspart geblieben, daß Ostrom die Kräfte zur Wiedereroberung des Westreichs zurückgewonnen hätte.

Um so deutlicher erwies sich im Innern die Unmöglichkeit, die Dinge in ihrer kunstvollen Schwebe zu erhalten. Die vollständige Abschließung, wie sie die Rugier aufs höchste steigerten, bedeutete keine Lösung des römisch-germanischen Problems. Das enge Zusammenleben der Völker erforderte gebieterisch eine Weiterbildung der germanischen Zustände, um den hochentwickelten Verhältnissen gerecht zu werden, welche sie umgaben. Das gotische Recht z. B. mußte in vielen Fällen des täglichen Daseins, ganz besonders der herrschenden Verkehrswirtschaft gegenüber, versagen. Verharren hätte hier wie anderwärts zum Verdorren geführt. Wie aber sollte das Volk die neuen Lebensformen aus sich heraus gestalten, diese Soldaten, die bereits ihre heimischen Verbände aufgegeben und römische Heeresgliederung angenommen hatten, diese Grundherren, denen der feste Boden selbstbebauter Scholle fehlte, um darin Wurzeln zu schlagen, und die geschlossene Ansiedlung, um der eigenen Art zu pflegen, diese Krieger-Landwirte, denen gänzlich das Bürgertum abging? Eine neue Lebensordnung kann nicht aus dem Boden gestampft werden, sie muß reifen. Die Goten waren eben in eine solche versetzt [37] worden. Es blieb ihnen wenig anderes übrig, als sich der vorgefundenen zu bedienen. Die Abkapselung ließ sich nicht mehr voll aufrechterhalten. Theoderich selbst legte durch seine für Goten und Römer gleich geltende Gesetzgebung auf der Grundlage der römischen eine Trennungsmauer, welche zugleich als tragende Mauer seines Staates gedacht war. Dahin sogar trieb die innere Konsequenz des einmal herbeigeführten Zusammenwohnens, daß er, eben um diesen Staat aufrechtzuerhalten, auch den Goten die Pflege der bürgerlichen, der römischen Tugenden ans Herz legen mußte, was nichts anderes als eine Unterbindung jener urwüchsigen kriegerischen Instinkte bedeutete, mit der sie dem Gemeinwesen dienen sollten. So erlebte Theoderich, daß ihn die Verhältnisse zwangen, selber zu fördern, was er hatte verhüten wollen, die innere Angleichung der beiden Völker.

Die scharfe Abgrenzung zweier nationaler Sphären in dem einen Staat hatte die Lösung der Grundfrage nicht gebracht, sondern nur verschoben. Es erwies sich als unmöglich, die Gegensätze zu verewigen. Wo aber war, wenn einmal der Damm riß, ein Schutz für die germanische Minderheit vor dem rettungslosen Aufgehen ins Römertum zu finden?

Die eigene Kirche bot sie. Aber auch hier wandte sich das Blatt. Ein Thronwechsel in Byzanz 518, der Regierungsantritt eines orthodoxen Kaisers, erlaubte den italienischen Katholiken die volle Aussöhnung mit Ostrom. Damit brach jene einmalige Konstellation zusammen, die Theoderichs Innenpolitik getragen hatte. [38] Der nationale und der konfessionelle Gegensatz der Römer zu den Goten hoben einander nicht mehr auf, sie begannen einander zu verdoppeln. Theoderichs Friedenspolitik war die Aussicht auf Wirkung genommen. Den nationalen Abstand mochte die bunt zusammengewürfelte Bevölkerung des Imperiums überwinden, den konfessionellen konnte sie niemals vergessen.

Der alternde Theoderich stand vor inneren Gegensätzen seiner Regierungsaufgabe, die unüberbrückbar waren. Er wurde unruhig über den beginnenden Widerstand der Römer und unsicher in seinen Maßnahmen. Die Hinrichtung der Senatoren Boethius und Symmachus verschlimmerte die Lage. Die Verfolgung germanischer Arianer im Ostreich, die Theoderich zu scharfem Einspruch antrieb, belastete sein Verhältnis zum Kaiser, das er eben jetzt pflegen mußte. Ihm war der Sohn als Erbe der Gedanken und Ziele versagt geblieben. Dann sah er den Schwiegersohn, der ein fähiger Nachfolger hätte werden können, ins Grab sinken. Nur der unmündige Enkel und die in römischer Bildung erzogene Tochter standen als Anwärter aus seinem Blut für den Thron bereit, den germanische Rechtsauffassung ihnen versagte. Als sich der Greis, der die Siebzig überschritten hatte, zum Sterben hinlegte, war der letzte Rat, mit dem er seinem Volke das Fazit seiner Lebenserfahrung hinterließ: es solle sich stets die Freundschaft der Römer erhalten.

Konnte er glauben, daß diese gewährt werden würde? Konnte er hoffen, daß dann sein Volk als solches würde weiterzubestehen vermögen?

Theoderich, zur Hölle reitend.
[32a]      Dietrich von Bern (Theoderich), zur Hölle reitend.
Steinrelief, 12. Jahrh., Verona, S. Zeno.
     
[Bildquelle: Alinari, Florenz.]

Theoderich hat die erste Aufgabe erfüllt, seine Goten aus der bedrückenden Unrast der Wanderzeit zu festen Sitzen und sicherem Dasein zu führen. Die zweite, an der er sich versuchte, das gerettete Volk in seiner eigenen Art unversehrt in der fremden Umwelt zu bewahren, hat er nicht endgültig zu bewältigen vermocht. Eine Spanne von Jahrzehnten haben sich die Goten als abgeschlossene Krieger- und Herrenschicht behauptet; aber doch nur durch das einmalige Zusammentreffen seltener Bedingungen. Es sei nicht vergessen, daß unter diesen keineswegs die letzte die Persönlichkeit Theoderichs selbst gewesen ist, dessen Weitsicht, politische Begabung und maßvolle Kraft auch labilen Zuständen eine Zeitlang Halt zu geben vermochte. Aber er war außerstande, das Schicksal zu wenden, das über alle jene Germanen verhängt gewesen ist, die sich gänzlich vom alten Heimatboden losgerissen hatten und in die lockende Welt des Südens eingetaucht waren. Ob sie der römischen Kultur Achtung bezeugten oder trotzig auf ihre Kraft pochten, ob sie sich unbekümmert über das Land zerstreuten oder zusammengeschart blieben, ob sie neuen Gedanken Zutritt gewährten oder sich fest gegen alles Fremde abschlossen: ihrer harrte nur ein Ausgang: Vernichtung oder Aufgehen im Römertum.

Theoderich mochte anfangs glauben, dieses Schicksal abwenden zu können. Er trat ihm mit der Ausschöpfung aller ihm günstigen Bedingungen, mit der klugen Ausnutzung des Augenblicks, mit dem sorgfältigsten Auswägen gegeneinanderwirkender Kräfte in den Weg. Er setzte das ganze Gewicht seines hohen persönlichen [39] Ansehens in der römischen wie germanischen Welt ein. Dennoch waren seine späten Jahre schon von der aufsteigenden Ahnung überschattet, daß sein heißes Bemühen fruchtlos sein würde. Er mußte den abwärts führenden Weg seines Volkes voraussehen und konnte ihn nicht hemmen. Ehe ein Menschenalter nach seinem Tode verstrichen war, hatte es sein Schicksal vollendet. Es trat ein, was Theoderich zu erleben erspart geblieben: Ostrom raffte sich zur Wiedergewinnung des Westens auf. Und während dem kaiserlichen Heere die Römer als Befreier vom Barbarenjoch zuliefen, stellte sich ihm kein germanisches Gemeingefühl, das Theoderich geweckt und gepflegt hatte, entgegen. Als erster brach, allein gelassen, der morsche Wandalenstaat zusammen.

Dann wurde der Angriff von Byzanz zur schweren Probe für die Hinterlassenschaft Theoderichs selbst. Manche Goten zeigten sich bereits vom römischen Wesen gewonnen, andere machten ihren Frieden mit Rom, als sie am Widerstand verzweifelten. Aber der Kern erwies unversehrt die alten germanischen Heldentugenden. Er hat einen Endkampf gekämpft, der an heroischer Dramatik kaum seinesgleichen in der Geschichte findet. Unzählige Kämpfer sind auf dem Schlachtfeld geblieben, Gefangene wurden ins byzantinische Heer gesteckt, so daß sie in die Lage ihrer Väter zurückkehrten. Ein Rest, der freien Abzug erhielt, wandte dem verderbenbringenden Südland den Rücken und zog, die Leiche des letzten Königs Teja mit sich führend, man weiß nicht wohin.

Der Stamm der Ostgoten hat es mit dem Untergang bezahlt, daß er sich in das Kernland des alten Imperiums gebettet. Dem großen König, der es dahin gerettet, hatte der Gang der Geschichte die Hoffnung vorgespiegelt, er werde hier sein Volk, wie auf einer Insel im Meere des

Grabmal Theoderichs.
[32b]      Grabmal Theoderichs d. Gr. in Ravenna,
erbaut im 6. Jahrhundert.

[Bildquelle: Alinari, Florenz.]
Römertums, ungebrochen erhalten können. Doch ist es darin ein Fremdkörper geblieben, der sich selbst auflösen oder gewaltsam ausgeschieden werden mußte. Das Ende des Stammes wirft den Schatten heroisch-tragischen Kämpfens auf den Herrscher zurück, der es zur Höhe geführt, die doch bereits alle Keime des Zusammenbruchs in sich verbarg. Der ganze Gotenstaat in Italien war ein gigantisches Ringen um die Erhaltung von Germanentum auf verlorenem Posten.

Deshalb mag auch das Sagenbild des Dietrich von Bern gerade den tragischen Zug am stärksten festgehalten haben. Katholisch-römischer Fanatismus hat den arianischen König als wilden Jäger zur Spukgestalt gemacht, in der wohl auch etwas von der Unruhe weiterlebt, die Theoderich an seinem Lebensende befiel. Aber auch die Erinnerung an den großen Herrscher ist nicht untergegangen. Das Reiterstandbild Theoderichs, das vor seinem Palast in Ravenna aufgestellt war, hat der Germanenkönig, der in einer neuen und großen Synthese des Römer- und Germanentums das Ergebnis der Völkerwanderung zusammenfaßte, hat Karl der Große, als Sinnbild herrscherlicher Würde nach seiner Pfalz in Aachen übertragen lassen.




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Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz