[Bd. 3 S. 252]
Der unermüdliche Vorkämpfer für neue rationelle Formen der Landwirtschaft wurde Albrecht Daniel Thaer, der am 14. Mai 1752 in Celle geboren war, aber seit der Jahrhundertwende in Preußen wirkte. Mit großer Klarheit erkannte er, daß erst die alte Agrarverfassung behoben sein müsse, bevor man an agrare Fortschritte denken könne. "Die Verkoppelung schließt keine Wirthschaftsart aus und befördert jede. Es kann bey ihr mit mindestem Kraft- und Kosten-Aufwande gewirthschaftet werden; aber auch mit der größten Energie und der äußersten Verfeinerung. Andre Verhältnisse werden erst bestimmen, welcher Grad von Cultur bey ihr Statt finden soll. Keiner ist in der freyen Benutzung seines Grund und Bodens beschränkt; keiner braucht sich nach dem Vorurtheil, nach dem Herkommen und dem Eigensinne seiner Nachbarn zu richten. Selbst gegen voreiligen Tadel oder Neid ist man in seinen Koppeln mehr gesichert. Trägheit und Dummheit kann nun den Fleiß und die Talente nicht mehr fesseln. Meine Felder liegen bey einander; [253] ich kann sie abtheilen, sie verbinden und trennen, wie ich will. Ich kann kreuz und quer pflügen, kann den Ackerbeeten die beliebige und zweckmäßigste Richtung geben, sie herablaufend oder horizontal in hügeligten Gegenden anlegen. Ich kann den feuchten Boden abwässern; den trockenen durch Hecken und Bäume gegen Wind und Sonnenstrahlen schützen. Die Uebersicht meiner Aecker ist leichter; meine Wege sind kürzer und in besserem Stande; meine Erndte-, Dünger- und Pflug-Fuhren also leichter und mein Gespann geringer. Mir wird von Andern nichts verfahren und nichts vertreten, durch fremdes Vieh nichts verwüstet. Meine Stoppel und Brache benutze ich nach Gefallen, und in gut verzäunten Koppeln geht mein Vieh ohne Hirten. Jede Arbeit kann ich genauer berechnen, die Zeit bestimmt abmessen. Jedem Felde und Boden kann ich die angemessensten Saaten und Fruchtfolge geben. Ich kann meine Aecker zu Weiden und Wiesen machen und wieder aufbrechen, wenn sie sich ausgelegen und frische Kräfte gesammlet haben. Flachen, trockenen Kalkstein-Boden kann ich in Esparcette legen; bemoos'te, niedrige Wiesen abwässern und reiche Erndten davon nehmen. Ich kann Mergel, Lehm, Sand fahren und hinbringen, wo ich will; kann sumpfigte Sinken ausfüllen und unfruchtbare Hügel ableeren. Ich kann meine Felder vom Unkraute reinigen und sie gegen neue Vesaamung desselben schützen. Stehen mir endlich viele Menschenhände gegen mäßigen Arbeitslohn zu Gebothe, so habe ich gewiß Gelegenheit, sie immer auf eine für mich nützliche Art zu beschäftigen; fehlen sie mir, so kann ich meine Wirthschaft zur Noth auch so einrichten, daß ich weniger gebrauche. Welch ein Unterschied dagegen, wenn meine Aecker zerstreut im offenen Felde und samt den Wiesen in halber, meine Weiden in völliger Gemeinheit liegen!" Wenn die wohlgemeinte Agrarreform, die in Preußen an die Namen Stein und Hardenberg geknüpft ist, in ihren Endergebnissen nicht dem entsprochen hat, was von einer wirklichen Bauernbefreiung erwartet werden muß, so ist Albrecht Thaer dafür nicht verantwortlich zu machen. Es lag nicht in seinem Sinn, daß später – zumal 1816 – Anordnungen ergingen, welche einen Verzicht auf soziale Ziele bedeuteten, die man ursprünglich erstrebt hatte. Thaer hat zwar die berühmten Edikte von 1811 "Zur Beförderung der Landeskultur" und "Zur Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse" und die grundlegenden Bestimmungen über die Tätigkeit der Generalkommissionen entworfen, aber später auf den Gang der Agrarreform kaum noch Einfluß genommen. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stand die Verbesserung der Agrartechnik, die er vom privatwirtschaftlichen Standpunkt betrachtete. Auf Thaers Wirken geht jener hohe Stand der Agrarproduktion zurück, der die deutsche Landwirtschaft um die letzte Jahrhundertwende zu dem am meisten beachteten Vorbild der Welt hatte werden lassen. Thaer hat die Grundlage zu einer Ertüchtigung des deutschen Landwirts gelegt, mit der sich dann auch das Selbstbewußtsein des Bauern als Mensch und Staatsbürger ausbilden konnte.
Daß Thaer zu einem so bedeutenden Förderer nicht nur der Landwirtschaft Deutschlands, sondern dank der hier erzielten Erfolge auch anderer Teile des europäischen Kontinents geworden ist, muß wohl zufälligen äußeren Umständen zugeschrieben werden. In seinem Elternhaus stand das Dasein im Zeichen der ärztlichen Kunst. Sein Vater, ein angesehener Hofmedikus in Celle, war frühzeitig darauf bedacht, den Sohn als Nachfolger in seiner Praxis zu erziehen. Thaers Schulzeit verlief zwar unregelmäßig und war von manchen eigenwilligen Streichen erfüllt; aber bald beseelte den werdenden Jüngling ein eifriger Wissensdrang, dem er durch Privatstudium gerecht werden konnte. Die politischen Verhältnisse Hannovers mögen dazu beigetragen haben, daß er neben Lateinisch und Französisch die englische Sprache pflegte, die ihm später eine neuartige agrare Literatur erschließen sollte. Auch während seines medizinischen Studiums in Göttingen beschäftigte er sich noch nicht mit der Landwirtschaft. Den entscheidenden Wendepunkt brachte erst das Jahr 1780, als sich der nun Zweiunddreißigjährige der Königlich Großbrittanisch-Churfürstlich Braunschweig-Lüneburgischen Landwirthschafts-Gesellschaft anschloß. Die Beschäftigung mit dem Gartenbau, dem der geistig stets Lebendige anfänglich seine Mußestunden widmete, dürfte Anlaß zu dieser Mitgliedschaft gegeben haben. An Stelle des Blumenbaus, der ihn auf die Dauer nicht genügend erfüllte, traten Ackerbau und Viehzucht. Von der Landwirtschafts-Gesellschaft erfuhr er wertvolle Anregungen und stets tätige Hilfe. Insbesondere wurde er auch großzügig unterstützt, als es galt, englische Literatur zu beschaffen. Durch die Lektüre der englischen Schriftsteller erhielt er die Anregung zu denjenigen Arbeiten, denen er seine Bedeutung für die deutsche Landwirtschaft verdankt. In den Annalen der Fortschritte der Landwirthschaft in Theorie und Praxis hat er selbst einmal gesagt, daß er durch einen Zufall auf den Fruchtwechsel gestoßen sei, dessen Erfolg ihm das, was er nachmals bei den Engländern darüber gelesen, so interessant gemacht hatte. "Dies ist so wahr, daß ich ohne diesen Zufall nie landwirthschaftlicher Schriftsteller geworden wäre." Schon bald nach seiner 1786 erfolgten Vermählung hatte Thaer vor den Toren Celles einen Grundbesitz erworben, den er später noch vergrößerte. Hier konnte aus der bis dahin vorwiegend theoretischen Beschäftigung mit den Pflanzen [255] die erste praktische Betätigung werden. Bei der Ernsthaftigkeit, mit der er der Naturforschung gegenüberstand, hat er seitdem zeitlebens die Bedeutung der Versuchstätigkeit und der agraren Praxis unterstrichen. Besondere Vorliebe hatte er für die landwirtschaftlichen Geräte und Maschinen, von deren verschiedensten Formen er eine bemerkenswerte Modellsammlung anlegte. Dabei scheute er keine Kosten. Sein gutes Einkommen aus dem ärztlichen Beruf ermöglichte es ihm, für seine landwirtschaftlichen Neigungen aus eigener Tasche erhebliche Aufwendungen zu machen und dabei Versuche durchzuführen, an die sich bahnbrechende Erneuerungen im Ackerbau knüpfen sollten. Denn nicht das Streben nach Erwerb für sich selbst leitete ihn, sondern der innere Drang, die deutsche Landwirtschaft aus ihrer Rückständigkeit zu befreien und auf eine höhere Stufe der Produktivität zu heben. Den beredtesten Ausdruck fand dieser Idealismus in dem Gedanken, aus seinem Grundbesitz vor den Toren von Celle einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb zu schaffen, der der Lehre dienen könne. Im Jahre 1802 wurde dieses Lehrinstitut begründet; es sah manchen bekannten Besucher, darunter Johann Heinrich von Thünen. Doch blieb diese immerhin bescheidene Einrichtung nur zwei Jahre bestehen, da Thaer nun nach Preußen ging, um hier in großzügiger Weise seiner Idee einer landwirtschaftlichen Lehranstalt nachgehen zu können.
Den ehrenden Ruf nach Preußen verdankte Thaer seinen Büchern, die inzwischen erschienen waren; vornehmlich der Einleitung zur Kenntniß der englischen Landwirthschaft und ihrer neueren praktischen und theoretischen Fortschritte [256] in Rücksicht auf Vervollkommnung teutscher Landwirthschaft für denkende Landwirthe und Cameralisten, die 1798–1804 erschien. Daß ein Werk über die englische Landwirtschaft zu seiner Zeit großes Aufsehen erregte, wird erst verständlich, wenn man bedenkt, mit welcher Aufmerksamkeit damals überall im westlichen Europa die industrielle Entwicklung Englands verfolgt wurde. Studienreisen deutscher Gewerbetreibender über den Kanal waren bald keine Seltenheit mehr. Die Maschinenverwendung in England wurde das Vorbild für die Neugestaltung des Produktionsganges in den Gewerben des übrigen Europa. Die Erkenntnis, welche Bedeutung geschlossenen Wirtschaftsräumen zuzumessen ist, ließ allmählich die Ideen vom deutschen Zollverein reifen und den energischen Kampf gegen die deutschen Binnenzölle aufleben. Unter dem Eindruck des großen Vorsprungs der englischen Industrie suchte man nicht nur durch Erziehungszölle, wie sie bald darauf Friedrich List vertrat, sondern auch durch die Initiative des einzelnen Kaufmanns wettbewerbsfähig zu werden. Unter solchen Voraussetzungen mußte auch die erste ausführliche Behandlung der englischen Agrarfragen in Deutschland fast wie eine Sensation wirken, zumal bei der Darstellungsart, deren Thaer sich befleißigte. Er war sich von Anfang an bewußt, daß niemals an eine schematische Nachahmung der englischen Einrichtungen gedacht werden dürfe. In dem Aufsatz "Ueber das Charakteristische der englischen Landwirthschaft im Verhältnis gegen die teutsche" kommt er zu dem Schluß, daß die Verschiedenheit der englischen Landwirtschaft gegenüber der deutschen es als eine Torheit erscheinen lassen müsse, irgendeine englische Wirtschaft in ihrem ganzen System auf deutschem Boden nachzumachen oder irgendeine Methode, bloß weil sie englisch ist, ohne Rücksicht auf die besonderen örtlichen Verhältnisse einzuführen. Aber dennoch sind die beiden Landwirtschaften einander nicht so entgegengesetzt, daß nicht die eine oder andere Einrichtung, die sich in England bewährt hat, auch für Deutschland vorzüglich geeignet sei. Von größtem Einfluß auf Thaers Lebenswerk sind auch die genauen Beobachtungen gewesen, die er bei den Engländern kennenlernte – die, wie er selbst hervorhebt, sorgfältig angestellten Versuche, die bis ins kleinste Detail gehenden Berechnungen, die lichtvollen Raisonnements und die eifrigen Forschungen nach Wahrheit. Hierin erkannte er den großen Gegensatz gegenüber der zeitgenössischen deutschen Literatur. Die meisten deutschen Schriftsteller sind – so sagt er bissig – solche, "welche das von Einigen aufgestellete Problem: mit dem möglichst geringsten Aufwande, den nach Verhältnis höchsten Ertrag herauszubringen, practisch gelöset haben. Der geringe Aufwand nemlich war – ihre Geistes-Kraft; der Ertrag: kärgliches Autoren-Tagelohn! Ihr Pflug ist die Feder und das Papier ihres Verlegers der Acker, worauf sie arbeiten. Sie besitzen eine Gabe von Weitschweifigkeit, womit sie Materie für ein Kartenblatt zu dicken Bänden aufschwellen. Der trivialeste Satz wird, wie in einer langweiligen Symphonie, in hundert Variationen uns vorgeleyert, ohne darum mehr Klarheit und Bestimmtheit zu [257] erhalten. Diese Classe bekommt gewöhnlich die von den Ökonomischen Societäten ausgesetzten literarischen Preise"...
In der Landwirtschaft erblickt Thaer ein Gewerbe, das zum Zweck hat, durch Produktion, zuweilen auch durch fernere Bearbeitung vegetabiler und tierischer Substanzen Gewinn zu erzeugen oder Geld zu erwerben. Gleich zu Beginn seiner Rationellen Landwirthschaft heißt es: "Die vollkommenste Landwirthschaft ist also die, welche den möglich höchsten, nachhaltigen Gewinn, nach Verhältniß des Vermögens, der Kräfte und der Umstände, aus ihrem Betriebe zieht. Nicht die möglich höchste Production, sondern der höchste reine Gewinn, nach Abzug der Kosten – welches beides in entgegengesetzten Verhältnissen stehen kann – ist Zweck des Landwirths und muß es seyn, selbst in Hinsicht auf das allgemeine Beste." Danach hat die rationelle Lehre von der Landwirtschaft zu zeigen, wie der möglich höchste Reingewinn unter allen Verhältnissen herbeigeführt werden kann. Das, was dem Vorteil jedes einzelnen Besitzers dient, ist auch dem Staate nicht nachteilig. Und später hat er noch – sich dabei gegen gewisse Romantiker, besonders Adam Müller, wendend – ausdrücklich hinzugesetzt: "Manche haben die Landwirthschaft nicht als Gewerbe, sondern als Staatsbürger-Pflicht, besonders für die Classe der Gutsbesitzer, betrachten und ihr ein anderes vermeintlich höheres Ziel vorstecken wollen; aber irrig und verleitend in Hinsicht auf das allgemeine Beste sowohl als für den Einzelnen." Denn die Erhaltung eines [258] feudalen Zustandes mit der Abhängigkeit der Bauern vom Gutsherrn stand für ihn außerhalb jeder Diskussion. In der heutigen Zeit liegt es nahe, Thaer wegen solcher Einstellung abzulehnen und seine Verdienste um die Landwirtschaft zu leugnen. Dies wäre kurzsichtig. Bedeutenden Männern, die in ihrer Zeit und später noch eine Rolle gespielt haben, kann man nur gerecht werden, wenn man sie nicht einseitig vom Standpunkt der Gegenwart beurteilt, sondern sich in die Umwelt zurückzusetzen versucht, unter deren Einflüssen sie wirkten. Gewiß ist nicht zu bestreiten, daß Thaer denjenigen zuneigt, die damals glaubten, daß dem Wohl der Gesamtheit am besten durch die freie Privatinitiative gedient sei. Aber welches waren die Beweggründe für solches Denken? Er stand im Kampf gegen veraltete Einrichtungen, unter denen der einzelne und die Gesamtheit litten. Der Schlendrian, der zum Teil mit der Dreifelderwirtschaft notgedrungen verbunden war, sollte überwunden werden. Die Leistung des einzelnen Landwirts, seine Ertüchtigung zum Wohl des Ganzen, die rationelle Landwirtschaft als Ausfluß höchster Fähigkeit waren das Ziel Albrecht Thaers. Der Gedanke an krassen Eigennutz ist ihm dabei überhaupt nicht gekommen. Dadurch, daß er die Landwirte zu rechnenden Bodenbebauern machen wollte, verfolgte er ein humanes Ziel, das einer Feinfühligkeit entsprach, der jegliches Elend unerträglich ist. Er erstrebte eine bessere Versorgung, da der Nahrungsmittelspielraum bei weiterem Anwachsen der Bevölkerung zu knapp zu werden drohte. Fällt doch in dieselben Jahrzehnte, in denen er wirkte, auch die pessimistische Lehre eines Malthus, die damals große Zustimmung fand. Thaer wußte noch nicht um die Gefahren internationaler oder gar nationaler Konkurrenz auf agrarischem Gebiet, ja kaum auf industriellem. Für ihn stand die Landwirtschaft durchaus im Zeichen des Bodengesetzes. Künstliche Düngemittel waren kaum bekannt. Von einer möglichen Überproduktion landwirtschaftlicher Produkte ahnte Thaer nichts, so daß er sich auch unbedenklich für den Freihandel einsetzte. Die von Adam Smith gepriesenen Vorteile der Arbeitsteilung sowie andere seiner Ansichten wertete er als Gegenstück zu den aus alten Zeiten herstammenden und durchaus nicht mehr passenden Einrichtungen. Die Menschen jener Zeit kannten ja noch keine Großbetriebe. Ihr ökonomisches Denken war durch die sie umgebenden Klein- und höchstens Mittelbetriebe bestimmt. Daher leuchteten Thaer die grundsätzlichen Ansichten eines Adam Smith über den Markt ein, auf dem Angebot und Nachfrage zusammenkommen und die Preise bilden, die dann ihrerseits wieder auf Produktion und Konsumtion zurückwirken, so daß der Markt im Mittelpunkt alles volkswirtschaftlichen Geschehens steht. So wenig wie seine Zeitgenossen kannte er die sich hieraus im Laufe der Jahrzehnte ergebenden nachteiligen Wirkungen, unter denen schließlich der Kapitalismus entstand und zusammenbrechen mußte, als die gewaltigen Wirtschaftsgebilde mit ihren schnell wachsenden monopolistischen Tendenzen die Ansichten vom segensreichen Spiel der Kräfte Lügen straften. [259] Man mag Thaer nach dieser ökonomischen Einstellung vielleicht zu den Liberalen zählen wollen. Aber treffend wäre dies nicht. Denn genaues Studium zeigt, daß er als Kind seiner Zeit die Lehre eines Adam Smith gutheißt, ohne sich im einzelnen mit ihr befaßt zu haben und ihr innerlich wirklich zuzustimmen. Im Grunde übernimmt er nur einige Allgemeinheiten von Smith, die damals jeder Gebildete kannte und dem Zuge der Zeit folgend billigte. Thaer, der noch den Ausgang der deutschen Kameralistik erlebte, hatte weder Muße genug noch offenbar Lust, sich mit der englischen Lehre gründlicher vertraut zu machen. Seinem Wesen nach ist er Naturforscher und praktischer Landwirt. In volkswirtschaftlichen Dingen waren seine Ansichten von theoretischen Doktrinen unbelastet, wiewohl er gelegentlich Adam Smith zitiert und ihn sogar einmal den unsterblichen Erfinder der National-Wirtschaftslehre nennt. Wie weit sich Thaer tatsächlich von ihm entfernt, zeigt am besten seine Idee über die Produktionsfaktoren. Außer Grund und Boden – wofür er zuweilen auch die Bezeichnung "rohes Material" verwendet –, außer Arbeit und Kapital nennt er nämlich als viertes Element noch die Intelligenz (Kenntnis und Geschicklichkeit, Künstlertalent), die im landwirtschaftlichen Gewerbe "mehrentheils weniger wie in andern angetroffen wird, aber in keinem so unbegränzt in ihrer Anwendung ist wie in diesem". Neben der Fähigkeit des die Landwirtschaft betreibenden Subjekts ist für Thaer das Kapital die wesentlichste Bedingung des Betriebes, denn der Vorteil und Erfolg steht bei gleichen Talenten des Betreibenden immer im Verhältnis mit dem dazu angelegten Kapital. Wer nur ein beschränktes Kapital besitzt, wird als Landwirt um so besser fahren, je mehr er davon als Betriebskapital zurückhält und deshalb die Anlage des Grundkapitals und des bestehenden Kapitals nicht zu hoch macht. Denn das Betriebskapital, mit dem Gesinde, Arbeiter, anzukaufende Bedürfnisse, wechselndes Mastvieh usw. bezahlt werden, ist die bewegende Kraft der ganzen Wirtschaft. Zeigt sich schon hierin keine Übereinstimmung mit Smith, so hat Thaer ihn zuweilen sogar ausdrücklich abgelehnt. So hat er seine Ansichten über den natürlichen Preis, die ihm anfänglich einleuchteten, bei genauerer Prüfung als unzutreffend bezeichnet. Thaer ordnet die nationalökonomischen Bemerkungen seiner betriebswirtschaftlichen Betrachtung unter. Privatwirtschaftliches Denken beherrschte ihn so, daß er dort gescheitert ist, wo er sich auf staatswirtschaftlichem Gebiete versuchte. Das kam ihm zu Bewußtsein, als er 1810 – neben seiner Tätigkeit in Möglin – an der neu errichteten Berliner Universität Vorlesungen aufnahm, in denen er sich an einen größeren Kreis wandte, um insbesondere den kameralistischen Bedürfnissen gerecht zu werden, also den heranwachsenden Verwaltungsbeamten Fingerzeige zu geben. Da ihm hierfür die Vorbildung fehlte, war er selbst von diesen Universitätsvorlesungen nie recht befriedigt. Er hat ausgesprochen, daß er dazu berufen sei, als Landwirt für Landwirte zu wirken. Deshalb beschränkte er sich bei seinen staatswirtschaftlichen Erörterungen auf das, was die Landwirtschaft [260] unmittelbar angeht. Die Einflüsse der wirtschaftlichen Umwelt sind für den Landwirt eine gegebene Größe, nach der er sich zu richten hat. "Der Reichthum eines Staats, sowohl in Ansehung der öffentlichen Finanzen als auch des Privatvermögens, verändert den Werth der Landgüter ungemein. Ein schneller Geldumlauf, es sey durch wirklich ausgeprägte Münze oder durch den Kredit der Papiere, ein geringer Zinsfuß begünstigen alle Unternehmungen des Landwirths, wogegen Geldmangel, Stockung des Umlaufs und der theure Kredit, hohe Zinsen, Sinken des Kurses mit dem Auslande die Energie des Landwirths lähmen muß." Aufgabe des Staates ist es, die günstigsten Voraussetzungen für die Agrarproduktion zu schaffen. Thaer bezeichnet es als einen ewig wahren Satz, daß die möglichste Verbesserung und Kultur von Grund und Boden vor allem andern das Wohl, die Stärke und den Reichtum des Staates begründe, daß folglich der nachhaltigen Vermehrung der Produktion jede andere Rücksicht in der Staatswirtschaft untergeordnet werden müsse. Für das Gedeihen der agraren Produktion ist aber unerläßlich, daß die Verkopplung durchgeführt wird. Das steigert die Produktion und begünstigt das Anwachsen der Bevölkerung. Unter den Aufgaben, die der Landwirt zu lösen hat, steht der Fruchtwechsel an erster Stelle, weil sonst bei zunehmender Bevölkerung die agrare Produktivität der Nachfrage nicht mehr gerecht werden kann. Mit Nachdruck hat Thaer dabei die Erweiterung der Futterbasis für das Vieh hervorgehoben. Diese war immer schmaler geworden, seitdem die Allmendeweiden in wachsendem Maße in Acker umgelegt wurden, um die Getreideerzeugung zu erhöhen. Die Hutung auf der Brache ließ nur eine kärgliche Ernährung des Viehs zu. Kümmerlich war daher auch die Düngung des Ackers. Daß Futternot und Düngermangel nur durch Bebauung des Brachlandes überwunden werden konnten, hatten zwar schon vor Thaer mehrere Agrarschriftsteller und praktische Landwirte betont. Auch die Berliner Akademie der Wissenschaften hatte 1783 eine Preisaufgabe über den Futterkräuterbau gestellt, die von Schubart gewonnen wurde, ebendemselben, der für seine Propaganda des Kleebaus vom österreichischen Kaiser Joseph II. als Edler von Kleefeld in den Adelsstand erhoben war. Aber wirkliche Erfolge waren vor Thaer kaum erzielt, weil man zu einseitig vorging und die äußeren Umstände zu wenig beachtete. Lediglich mit der Bebauung des Brachschlages im Rahmen der alten Dreifelderwirtschaft ließ sich nicht viel erreichen. Thaer erst zeigte, wie mit der Beseitigung des Flurzwangs und der Teilung der Gemeinheiten die Einführung der Fruchtwechselwirtschaft Hand in Hand gehen müsse. Dabei war er nicht so engstirnig, in dieser den einzigen Ausweg zu erblicken. Allerdings hat er anfänglich die Vorteile der Fruchtwechselwirtschaft zu stark unterstrichen und sich von gewissen Einseitigkeiten nicht frei gehalten; aber später hat er sich vorsichtiger ausgedrückt, vor zu weitgehenden Verallgemeinerungen gewarnt und es als richtig bezeichnet, unter Umständen auch die Brache beizubehalten. Den Kern seiner Lehre bildet die Frage, wie ein landwirtschaftlicher Betrieb zu organisieren sei, um den höchsten Reinertrag zu erzielen. [261] Die Grundsätze der rationellen Landwirthschaft enthalten viele Gedanken, an die später bei dem Ausbau der landwirtschaftlichen Betriebslehre angeknüpft werden konnte. Hier finden sich auch Bemerkungen über die Marktlage eines Gutes, die Johann Heinrich von Thünen aufnahm, als er sein bekanntes Kreissystem schuf. Dabei ist anzunehmen, daß Thaer diese Gedanken aus sich heraus entwickelt hat, denn er dürfte die Schriftsteller, die schon vor ihm Ähnliches ausgesprochen haben, wie besonders Richard Cantillon, kaum gekannt haben. Er unterstreicht, daß die Nachbarschaft großer Städte den Wert des Bodens um das Doppelte und Dreifache für denjenigen Landwirt erhöhen kann, der sie richtig zu benutzen weiß. Schiffbare Flüsse und Kanäle oder doch gute immer fahrbare Heerstraßen, die nicht durch zu hohe Zölle beschwert sind, bringen das Gut dem Markte gewissermaßen näher, indem sich die Transportkosten für die Agrarerzeugnisse verringern. Große Städte ziehen eine starke Nachfrage nach Agrarprodukten nach sich und vergrößern den Wert des Grund und Bodens, wiewohl sie andererseits den Landwirt auch dadurch benachteiligen, daß sie ihm die brauchbarsten und tätigsten Menschen entziehen und durch ihre Nachbarschaft oft die Moralität des Landvolks verderben. Daß Thaer der Vater der späteren Betriebswissenschaft ist, zeigt sich am deutlichsten in seinen Betrachtungen über die verschiedenen Preisrelationen. Ist man auch heute der Ansicht, daß vieles von dem, was diese Lehre in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat, nicht haltbar ist, weil dabei zu einseitig der kapitalistische Gesichtspunkt in den Vordergrund gerückt wurde, so sind doch die prinzipiellen Erwägungen, auf die Thaer als erster hingewiesen hat, allgemeingültig. Er hat die Grundlagen zu einer fest fundierten landwirtschaftlichen Intensitätslehre gelegt, indem er herausstellte, daß das Verhältnis des Arbeitskreises gegenüber dem Wert von Grund und Boden zur Begründung der vermiedenen Ackersysteme beiträgt. Wo der Boden wohlfeil, die Arbeit aber teuer ist, muß arbeitsextensiv gewirtschaftet, also eine gewisse Masse von Produkten auf einer großen Fläche hervorgebracht werden. Wo dagegen der Bodenpreis hoch ist, die Arbeit sich aber zu billigem Preise in genügender Menge darbietet, muß dieselbe Produktenmenge auf einer geringeren Ackerfläche durch verstärkte Arbeit erzielt werden. Thaer ist dabei einsichtig genug, schon für seine Zeit zu erkennen, daß die Extreme sehr billigen Ackers und sehr teurer Arbeit oder sehr teuren Ackers und sehr wohlfeiler Arbeit in Deutschland gar nicht mehr vorkommen, daß aber doch mannigfaltige Abstufungen dieser Verhältnisse bestehen, die auf die mehr oder weniger intensiven Wirtschaftssysteme hinwirken. Die Preisrelationen haben Thaer auch zu einer Betrachtung des Lohnes der Arbeiter geführt, ohne daß er freilich, wie später Thünen, den gerechten Arbeitslohn zu einem wesentlichen Teil seiner wissenschaftlichen Arbeit gemacht hat. Doch sind einige seiner Formulierungen bemerkenswert genug. Er prägt nämlich Sätze, die an das "eherne Lohngesetz", wie es nach Lassalle meist genannt wird, erinnern. [262] Für Thaer ist dabei aber nur wichtig, daß der Arbeitslohn in einem gewissen Verhältnis zu den Preisen der Lebensmittel bleibt und bleiben muß. Sozialpolitische Schlußfolgerungen liegen ihm fern. Daß er dabei durch Ricardo, der dieselben Gedanken aussprach, beeinflußt wurde, ist nicht anzunehmen; ob er Turgot, der gleiches sagte, gekannt hat, ist unwahrscheinlich. Die viel zu wenig bekannte Fassung bei Thaer lautet: "Der Arbeiter muß nothwendig so viel verdienen, daß er und wenigstens noch eine Person oder zwei Kinder davon leben, und zwar so leben können, daß sie bei Kräften und gesund bleiben, auch ihre Kinder davon aufziehen. Hätten sie vorher nichts mehr als dieses Nothdürftige gehabt, und stiegen nun die Lebensbedürfnisse, ohne daß der Arbeitslohn erhöht würde, so würden sie bald so verkümmern und verarmen, daß sie unbrauchbar würden, ihre Kinder nicht gesund aufziehen könnten, und somit würde sich ihre Zahl bald so vermindern, daß nun die wenigen übrigbleibenden einen desto höhern Lohn fordern könnten. Es muß also nothwendig ein gewisses Verhältniß zwischen dem Preise der Lebensmittel und dem Preise der Arbeit bleiben, und dieses Verhältniß kann nur auf kurze Zeit und dann immer nachtheilig aufgehoben werden, setzt sich aber bald von selbst wieder ins Gleichgewicht. – Steigt der Arbeitspreis aus einer der andern Ursachen in einer Gegend über das Verhältniß gegen die Lebensmittel in die Höhe, verdienen folglich die Arbeiter mehr, als sie zur Nothdurft gebrauchen, so werden sie früher heirathen, mehrere Kinder erzeugen und aufziehen, und somit wird sich diese Klasse und die Zahl der Arbeitsuchenden so vermehren, daß der Lohn wieder fallen muß." Die Beschäftigung mit der zweckmäßigsten Betriebsorganisation hat Thaer auch auf das Problem der Betriebsgröße verwiesen – ein angesichts der damaligen Agrarreformen viel umstrittenes Gebiet. Anfänglich hatte er – wie er später selbst angab – auf die Schale der großen Wirtschaften im allgemeinen zu viel Gewicht gelegt. Später hat er seine Ansicht geändert. "Wo unter den kleinern Besitzern wahre Betriebsamkeit und verhältnismäßiges Vermögen sich findet und sie in ihrem Betriebe uneingeschränkt und anderweitig nicht zu sehr belastet sind, da wird ein fruchtbarer Grund und Boden durch kleine Besitzer, die ihn mit eigenen Händen oder doch unter eigenen, unverwandten Augen bearbeiten, nicht nur – wie vielleicht jeder zugiebt – mehr produziren, sondern auch – was man umso mehr läugnet – größern reinen Ertrag geben können. Die Besorgniß, daß hier von den Produzenten Alles wieder konsumirt werde und folglich nicht zum Verkauf käme, ist völlig eitel." Im Sinne seiner Zeit, die staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft nicht gewogen war, kommt Thaer daher auch zu dem Schluß, daß bei der Zerschlagung der großen Privatlandgüter in kleinere Teile die Art der Einteilung dem Eigentümer überlassen bleiben möge, weil die für ihn vorteilhafteste auch dem allgemeinen Besten diene; höchstens bei den Domänen seien besondere Rücksichten zu nehmen. Grundsätzlich zieht Thaer das Eigentum der Pacht vor. Denn der Pächter kann nur auf den möglichst hohen Ertrag in seinen Pachtjahren sehen, unbekümmert [263] um den Wert, den das Gut nach deren Ablauf haben wird. Er wird also nicht nach den Gewerbsgrundsätzen wirtschaften wie der Eigentümer, denn für ihn bedeutet eine Verbesserung des Gutes Verzicht auf einen Teil seines Profits. "Das Gut ist die geliebte Gattinn des Eigenthümers, die Maitresse des Pächters, von der er sich wieder scheiden will." Mit Recht unterstreicht aber Thaer, daß die Erbpacht eine Sonderstellung einnimmt. Den abfälligen Urteilen über sie schließt er sich nicht an, da dabei meist verfehlte Einrichtungen kurzsichtig beurteilt worden seien. Solche Beispiele müsse man sich jedoch zur Warnung dienen lassen, um ähnliche Fehler bei einer an sich trefflichen Sache zu vermeiden. Wichtig ist eine vernünftige Regelung der für die Erbpacht jährlich zu zahlenden Pachtsummen. Thaer äußert dabei Gedanken, die in mancher Hinsicht denen ähnlich sind, die seit dem Weltkriege zu staatlichen Schutzbedingungen für die Pächter Anlaß gaben. Er hält einen Pachtzins für gerecht, der nach dem Durchschnittspreis des Getreides in den vorhergehenden Jahren ermittelt wird, wobei aber diejenigen Zeiten herauszulassen sind, in denen außerordentliche Konjunkturen oder Mißwachs hohe Preise bewirkt haben. Auch die Frage, ob fremder Kredit dem Agrarbetrieb dienlich ist, hat Thaer beschäftigt. Damals stak das Agrarkreditwesen noch in den Kinderschuhen. Ein Betriebskredit, um käufliche Produktionsmittel zu beschaffen, war kaum bekannt. Vielmehr herrschten Kredite vor, die beim Kauf eines Gutes oder bei Erbauseinandersetzungen aufgenommen wurden. Hier setzte Thaer ein und entwickelte Gedanken, die später Karl Rodbertus-Jagetzow in seiner Rentenlehre zum Gegenstand tiefgründiger Untersuchungen gemacht hat. Auch Thaer hat schon ausgesprochen, daß in der Landwirtschaft ein hypothekarisches Anlehen – einmal gemacht – fortbestehen muß und daß es nur in dreierlei Art wieder zurückgezahlt werden kann: entweder durch anderweitig zugefallenes Kapitalvermögen oder durch Ersparnisse, die aber immer nur langsam und allmählich geschehen können, oder schließlich durch ein anderes Anlehen bei einem neuen Gläubiger. Dennoch hält Thaer die Kapitalaufnahme zu produktiven Zwecken für angebracht. Doch dürfen die Zinsen nie so hoch sein wie der mit dem Kapital zu machende Gewinn. Als falsch erachtet er es, wenn ein Zinsfuß unter allen Umständen zwangsmäßig festgesetzt wird, um ihn niedrigzuhalten. Darauf gerichtete gesetzliche Bestimmungen sind "nicht nur vergeblich, weil sie eludirt werden, sondern auch nachtheilig, weil derjenige, der ein Capital besser benutzen könnte, aber ohne höhere Zinsen keines erhalten kann, nun daran verhindert wird oder sich einem gesetzwidrigen wucherlichen Contract unterwerfen muß". Nur für besondere Notzeiten, an denen es damals nicht fehlte, sah Thaer ein Moratorium für berechtigt an, das dann auch im Staatsinteresse läge. Über die große Bedeutung, die Thaer für die Lösung der deutschen Landwirtschaft aus der mittelalterlichen Erstarrung gehabt hat, dürfen seine Verdienste um einige Sondergebiete des Ackerbaus und der Viehzucht nicht vergessen werden, [264] obwohl sie heute teilweise keine praktische Bedeutung mehr besitzen, da die Forschung inzwischen weitergeschritten ist. Sie waren aber für ihre Zeit bedeutsam und haben namentlich in Verbindung mit dem von Thaer betriebenen Fruchtwechsel zum Aufstieg des Ackerbaus beigetragen. Auf dem Gebiete der Pflanzenernährung ist dabei die Humustheorie zu erwähnen, die heute durch Liebigs Forschungen und andere wissenschaftliche Arbeiten überholt ist. Zu Thaers Verdiensten gehört auch die Förderung des Kartoffel- und Luzernebaus, der erst im neunzehnten Jahrhundert auf größeren Flächen aufgenommen wurde. Die Kartoffelbrennerei kam zu seiner Zeit ebenfalls auf. Innerlich stand Thaer ihr ablehnend gegenüber, weil er aus seinem ärztlichen Beruf eine Abneigung gegen den Branntwein mitgebracht hatte. "...ich kann noch keine Branntwein-Brennerei sehen, ohne einen gewissen Schauder zu empfinden; ohnerachtet ich mich überzeugt habe, daß es mit dem Branntwein nicht so schlimm sey, und daß er auch sein Gutes habe; daß auf allen Fall der einzelne Branntwein-Brenner sich keinen Vorwurf über das Unheil zu machen brauche, was dadurch angerichtet wird." Thaer erkannte die wirtschaftliche Überlegenheit der Kartoffelbrennerei gegenüber der Kornbrennerei. Dennoch konnte er sich nicht entschließen, in Möglin eine Brennerei zu errichten. Gemäß seiner wirtschaftlichen Einstellung beurteilte Thaer die Viehzucht nach ihrem Nutzen für den Landwirt und legte deshalb hohes Gewicht auf die Leistung. Für die übertriebenen Forderungen nach konventioneller Schönheit der Zuchttiere hatte er kein Verständnis. Da eine rationelle Tierhaltung nur bei entsprechender Ernährung möglich ist, widmete er diesem Gebiet große Aufmerksamkeit. Thaer hat die Heuwerte geschaffen, um den Nährwert der Futtermittel nach Möglichkeit auf denselben Nenner zu bringen. Er verglich die Futterwirkung der verschiedenen Futterarten mit der Einheit von hundert Pfund Heu. Heute hat sich die Heuwerttheorie überlebt, weil sie das schwierige Problem der Ernährung viel zu einfach ansieht. Sie hat aber zu ihrem Teil an dem Aufbau der deutschen Viehwirtschaft des neunzehnten Jahrhunderts mitgewirkt. Durch sie hat Thaer die Landwirte gelehrt, sich ernsthafter mit Fütterungsfragen zu befassen und zwischen Erhaltungsfutter und Leistungsfutter zu unterscheiden. Thaers Verdienste um die deutsche Schafzucht sind groß. Von den Engländern hat er viele wesentliche Gesichtspunkte kennengelernt, die er als Arzt und Naturforscher aber nicht schematisch übernahm, sondern weiterbildete. Die Veredelung des deutschen Landschafes durch Merinos hat durch ihn einen Antrieb erfahren, der so gewaltig war, daß schon seine Zeitgenossen die Tragweite seiner Handlung erkannten. Als er auf Veranlassung der preußischen Regierung ein Handbuch für die feinwollige Schaafzucht (1811) verfaßte, war er freilich noch nicht zu dem Hochstande des züchterischen Könnens gelangt, der dem "Vater Thaer" später den Ruf als des tüchtigsten deutschen Schafzüchters und ersten Sachverständigen für die Merinozucht brachte.
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