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Der grenzdeutsche Gürtel (Teil 10)

Das Sudetendeutschtum
und die Deutschen in der Slowakei (Teil 1)

Sudetendeutsches Land und Volk

Dorf Friedau im Böhmerwald

[164b]
      Dorf Friedau im Böhmerwald.
Böhmen und Mähren, für die wir, samt dem früheren Österreichisch-Schlesien, den gemeinsamen Ausdruck Sudetenländer einführen wollen, sind von den höchsten Teilen der deutschen Mittelgebirge und von den westlichen Karpathen umgeben. Geographisch sind sie daher ein Teil des deutschen Mittelgebirgslandes; da aber die Zugänge zu ihnen von Osten her breiter und bequemer sind als von den benachbarten deutschen Gebieten, so ist der letzte geschichtliche Besiedlungsstrom in sie hinein nicht aus Deutschland, sondern aus dem von Slawen und Mongolen bewohnten Osten gekommen. Vorher aber wohnten Germanen in den Sudetenländern, und diese Tatsache, sowie die Nachbarschaft des geschlossenen deutschen Wohngebiets jenseits der Gebirge haben zusammengewirkt, um innerhalb der böhmisch-mährischen Umwallung außer der heutigen nichtdeutschen Bevölkerung auch ein alteingesessenes und heimatberechtigtes deutsches Volkstum zu schaffen.

Schwarzbach im Böhmerwald

[156a]
      Schwarzbach im Böhmerwald.
Das Hauptland ist Böhmen: eine mächtige, von Randgebirgen umgebene Masse von Urgestein, die im Innern von vulkanischen Ergüssen durchbrochen ist. Das unwegsamste Stück der Umrandung ist der Böhmerwald; an ihn stößt im Fichtelgebirgsknoten rechtwinkelig das Sächsische Erzgebirge. Es ist ein alter, flach abgetragener Gebirgsstumpf, der äußerlich als schräggestellte Tafel erscheint, mit schwächer geneigtem Abfall gegen Sachsen und steilerem Abbruch gegen Böhmen. Unmittelbar vor diesem Bruch ist ein langes schmales Stück der böhmischen Granitscholle eingesunken. Durch das so entstandene Senkungsfeld fließt die Eger. Auf der Bruchspalte liegen die warmen Quellen der berühmten böhmischen Bäder, und gegenüber dem erzgebirgischen Rand des Egergrabens finden sich in dem Kaiserwald, dem Tepler Gebirge, dem Duppauer und dem Böhmischen Mittelgebirge teils vulkanische Bildungen, teils Reste von dem abgesunkenen Flügel des Erzgebirges.

Riesengrund

[156a]
      Riesengrund.
Die Fortsetzung des Erzgebirges, das Elbsandsteingebirge, wird von der Elbe durchbrochen. Das Elbtal bildet hier den tief eingeschnittenen und einzigen nördlichen Zugang nach Böhmen. Unmittelbar östlich davon schneidet der Sudetenzug im Lausitzer- und im Isergebirge die Bruchrichtung der erzgebirgischen Scholle im stumpfen Winkel. Im nordwestlichen Teil der Sudeten, im Riesengebirge, erreicht das deutsche Mittelgebirgsland mit der Schneekoppe seine größte Höhe, [143] 1605 m. Die Sudeten sind wegsamer als der ihnen gegenüberliegende Böhmerwald, aber die eigentliche Zugangsseite Böhmens liegt doch, wie gesagt, im Osten, wo die mächtigen Höhen den am bequemsten zu überschreitenden Teil in der Umrandung des böhmischen Kessels bilden.

Böhmen und Mähren sind im ganzen ähnlich gebaut, aber umgekehrt orientiert in bezug auf den Ablauf ihrer Gewässer. Da die böhmische Urgebirgsscholle gegen Norden geneigt ist, so entspringen alle Bäche und Flüsse auf der Innenseite der Randgebirge und vereinigen sich zunächst in drei Hauptadern: Moldau, Elbe und Eger, die ihren Zusammenfluß im Norden, kurz vor dem gemeinsamen Durchbruch durch das Elbsandsteingebirge, haben. Mähren dagegen, auf drei Seiten umschlossen vom böhmisch-mährischen Hügelland, von dem einen Teil des Sudetenzuges bildenden Gesenke und von den Karpathen, nach Süden aber fast ganz geöffnet, sendet alle seine Gewässer zur March. Von ihr hat es seinen Namen und durch sie ist es unmittelbar den Donauländern angeschlossen. Durch das Zwischenglied Mähren wird auch Böhmen geschichtlich und ethnographisch stark nach dieser Seite gezogen.

Man nimmt meist an, daß in früh- und vorgeschichtlicher Zeit die Sudetenländer ganz mit Urwald bedeckt gewesen seien, ausgenommen kleinere freie Strecken im unteren Elbbecken. Ein Blick auf die Niederschlagskarte von Mitteleuropa zeigt aber, daß sich auf der Innenseite der böhmischen und mährischen Randgebirge zwei Gebiete von so ausgesprochenem Regenschatten-Charakter ausdehnen, daß selbst die von den Karpathen umzogene ungarische Tiefebene dahinter zurückbleibt. Natürlicher Wald, Urwald, entsteht nur dort, wo die Zahl der aufeinanderfolgenden regenlosen oder stark regenarmen Monate weniger als ein Drittel der Jahreslänge beträgt. Im entgegengesetzten Fall bildet sich kein massenhafter und zusammenhängender Waldwuchs, sondern die Wälder beschränken sich auf die Grundwassergebiete in der Nähe der Flüsse und auf die Stellen, wo eine stärkere Bodenerhebung auch eine stärkere Abkühlung und Verdichtung der atmosphärischen Feuchtigkeit hervorruft. Von dem ungarischen Tiefland wissen wir positiv, daß es auch in vorgeschichtlicher Zeit keine Urwälder, überhaupt keinen Waldwuchs gehabt hat, weil die feuchten Winde, die von außen gegen die rundherum gelegene Gebirgsmauer heranstreichen, sich auf der Außenseite abregnen und über den stärker erwärmten Zonen nicht mehr viel Feuchtigkeit abgeben. In Böhmen und Mähren liegen die Verhältnisse ebenso. Außerdem gibt es noch ein anderes Argument dafür, daß hier schon in frühester Zeit offenes Land gewesen ist, nämlich das Alter der Besiedlung durch den Menschen.

Das heutige Sudetendeutschtum ist national, wie im nächsten Kapitel gezeigt werden soll, sowohl aus alteinheimischen als auch aus zugewanderten deutschen Bestandteilen hervorgegangen. Im Westen und Südwesten ist die Verwandtschaft mit dem bayerisch-österreichischen Stamm in Sprache und Art handgreiflich. Im Norden besteht Verwandtschaft mit den Obersachsen und Schlesiern. Für die Sprachinsel- [144] gebiete ist es zum Teil schwierig, die Herkunft zu erschließen; die heutigen mundartlichen Zustände erlauben nicht immer einen sicheren Schluß. Das Sudetendeutschtum bildet keinen einheitlichen Stamm, aber es wird durch die Gemeinsamkeit seiner staatlich-politischen Lage verbunden gehalten. Um das sudetendeutsche Land und Volk zu verstehen, muß man seine gesonderten Stammesgebiete und die geographisch abgrenzbaren Teillandschaften aufsuchen und durchwandern. Eine solche Durchwanderung soll uns in knappen Strichen vom Böhmerwald um Böhmen herum nach Schlesien und Nordmähren, dann nach Südmähren und schließlich noch zu den Deutschen in der Slowakei führen.


Der Plöckensteiner See im Böhmerwald

[132a]
      Plöckensteiner See im Böhmerwald.
Der Böhmerwald erfüllt das südwestliche Randstück Böhmens: im Süden in einzelnen Schollen, nach Norden hin in einer geschlossenen Kette. Gleichlaufend streift auf bayerischem Boden der Bayerische Wald. Die höchsten Erhebungen des Böhmerwaldes liegen auf bayerischem Gebiete, der mächtige Arber (1458 m), der Rachel (1462 m) und der Lusan (1372 m) mit seinem Schuttgipfel; an der Dreiländergrenze von Böhmen, Bayern und Oberösterreich ragt der Dreisesselberg empor; auf böhmischer Seite trägt der Kubani (1362 m) ein herrliches Urwaldstück, das als Naturschutzgebiet dem Walten der Natur überlassen ist.

Das ganze Gebirgsland atmet tiefste Ruhe. Es ist Adalbert Stifters Heimat. Die Gebirgsbildung ist im Böhmerwald zum Stillstand gekommen. Die Reste der Eiszeit, die dunklen Böhmerwaldseen, werden langsam vom Pflanzenwuchs eingeengt. Es sind noch acht von diesen Augen des Waldgebirges vorhanden, die alle zwischen 900 und 1110 m hoch liegen. Die größten sind der Schwarze See und der halb so große Teufelssee, beide gegen 40 m tief, der Große Arbersee und der Plöckensteiner See. Im vielbesungenen Hochwald wohnen in ihren Blockhäusern die Wäldler mit einer Kuh und ein paar Ziegen noch
Krummau im Böhmerwald

Krummau im Böhmerwald

[156b]

Krummau, Partie an der Moldau

Krummau, Partie an der Moldau
vielfach so, wie es in unseren Märchen erzählt wird. Die Sorge um das liebe Brot sitzt oft mit zu Tisch, und die Kinder müssen sehen, wie sie sich aus dem Walde die Zukost selbst verschaffen. Die rüstigen, wettergewohnten Männer fällen die Waldstämme und flößen sie meilenweit in den Schwemmkanälen zur Moldau, von wo sie bis ins Reich hinausgehen, oder rodeln sie im rauhen Winter auf gefährlicher Schlittenfahrt zu Tal. Sie verarbeiten sie auch selbst und zimmern und tischlern daraus nicht nur, was sie selber brauchen, sondern erzeugen auch allerhand Bauerngerät, Schaufeln und Siebe, und Holzschuhe, die im Kriege starken Absatz fanden. Auch Graphit wird im Böhmerwald gewonnen, und die edle Glasmacherkunst hat hier noch immer ihre Stätten. Die Frauen sind fleißig mit Sticken, Nähen und Klöppeln. Anders geht es in den Großbauernhöfen des nördlichen Waldes zu, die oft einsam stehen und ein stolzes Selbstgefühl ausbilden. Das gilt vor allem für die "künischen" oder königlichen Freibauern, denen die Grenzhut anvertraut war, wofür ihnen wichtige Vorrechte eingeräumt waren. Nach Böhmen herab ins ebenere Land gleichen sich die bäuerlichen Verhältnisse [145] und Besitzungen den allgemein herrschenden an; während aber hier das Holzhaus längst durch Ziegelbauwerk ersetzt ist, wurde gerade hier die alte im vielbesuchten Hochwald aufgegebene Volkstracht wohl bewahrt.

Prachatitz, Marktplatz

[148a]
      Prachatitz, Marktplatz.
Es gibt im Böhmerwald keine Reihendörfer, wie sie sonst in der sudetendeutschen Siedlung vorherrschen, und auch keine Runddörfer, sondern Einzelhöfe und Straßen- oder Streudörfer. Die Städtebildung ist auf dem kargen Boden nicht weit vorgeschritten. Am ehesten begünstigten die alten Paßstraßen, die besonders für die Salzeinfuhr aus dem Salzkammergut wichtig waren - Böhmen hat selbst kein Salz - die Entstehung von Städten. Aber kein Ort hat mehr als 10 000 Einwohner, die größten sind Krummau mit dem alten Schloß der Rosenberge (8226 Einwohner) und Prachatitz mit dem benachbarten Margarethenbad, das dem Bund der Deutschen in Böhmen gehört. Unter 5000 Einwohner sinken Oberplan, der Geburtsort Stifters, Neuern, der Wohnort des Böhmerwalddichters Hans Watzlik, Bergreichenstein, Wallern und Eisenstein.


Eger, Hof des Wallensteinhauses

[140b]
      Eger, Hof des Wallensteinhauses.
Von Eisenstein nordwärts geht das Böhmerwäldische in das Egerländische über. Von der Schwarzkoppe (Tschechow) an entfaltet sich das Egerland breit nach Norden zu. Es ist erst spät und sozusagen zufällig an Böhmen gekommen, indem es dem König Johann 1314 verpfändet wurde. Die alte Reichsstadt Eger am gleichnamigen Flüßchen, Deutschböhmens Nürnberg, wahrt in ihrer Anlage, in den Bauten, im überaus reichen Archiv und Museum bemerkenswerte geschichtliche Erinnerungen. Die Ruine der Kaiserpfalz mit der sehenswerten Doppelkapelle weist auf die Ritterzeit zurück, da hier ein Hohenstaufe seine Feste feierte. Auf dem Marktplatz wurden Volksschauspiele abgehalten, an denen durch drei Tage hindurch die gesamte Bürgerschaft teilnahm, wie wir es dem erhaltenen Egerer Fronleichnamsspiel entnehmen können. Im Rathaus endete Wallensteins Leben, während seine Generale auf der Kaiserpfalz zechten. Und im Jahre 1897 sammelten sich hier die Abgeordneten Deutschböhmens, das schon damals in nationaler Bedrängnis stand, zu einem großen Volkstag, dem Felix Dahn die in einer Denktafel festgehaltenen Worte widmete:

    Das höchste Gut des Mannes ist sein Volk,
    Das höchste Gut des Volkes ist sein Recht,
    Des Volkes Seele lebt in seiner Sprache.
    Dem Volk, dem Recht und seiner Sprache treu
    Fand uns der Tag, wird jeder Tag uns finden.

Landschaftlich stellt sich das Egerland als eine Hochfläche dar, von einzelnen Berggruppen überragt, die fruchtbar ist, wenn auch harte Arbeit dazu gehört, und den Lüften offen. Im dunklen Waldrahmen breiten sich behäbige Dörfer, voll von Rindern, Schweinen und Pferden. Die bäuerliche Tüchtigkeit des Egerländers hat sich in dem anmutenden Fachwerkbau seines Vierkanthofes das schönste Denkmal [146] gesetzt. Da stehen die vier Gebäude um einen großen Hofraum herum, Wohngebäude, Stallhaus, Scheuer und Schuppen, so daß kleine Durchlässe zwischen ihnen offen bleiben, und in der Mitte erhebt sich als das Kunstwerk des Dorfzimmermanns das verzierte Taubenhaus. Das eigentliche Prunkstück ist der Giebel des Wohnhauses. Er ist geschmückt durch schön angeordnete Fachwerksfelder, abwechselnd mit schräg und gerade gekreuzten Brettern, und trägt in der Mitte, zwischen den Fenstern, oft ein Kruzifix oder ein Heiligenbild. Der Hausrat der Egerländer Bauernstuben war reicher und schmuckvoller als sonst in unsern Bauernhäusern, und wenn man der Braut die Ausstattung auf dem hochbeladenen Plunder- oder Kammererwagen ins neue Heim führte, so sollten die Leute sehen, wozu man imstande wäre.

Altes Haus in Neu-Lublitz bei Troppau

[180b]
      Altes Haus in Neu-Lublitz bei Troppau.
Der Bauer beherrschte hier auch die kleinen Landstädtchen, deren Fachwerkgiebel den Marktplatz umdrängen. Da ist überall viel Altes und Altertümliches erhalten, wie in Plan oder Duppau, und erst recht in der herrlich gelegenen, von der Eger umrauschten Burgstadt Elbogen. Alte Bergstädte mischen sich unter die Ackerbürgerstädte und bilden, da die Bergleute übers Erzgebirge hereinkamen, mitteldeutsche, obersächsische Mundarteninseln, wie die ehemalige Silberstadt Mies und Schlaggenwald. Dem neuen Kohlenbergbau verdankt Falkenau seinen Aufschwung. Asch, das nach Mundart und Volkstum zum Vogtland gehört, eine protestantische Stadt, lebt von der Weberei. Weltberühmt sind die Kurorte des Egerlandes, Karlsbad, die Stadt des heißen Sprudels (73 Grad Celsius), Franzensbad unweit von Eger in ebenem Gelände, das von weiten Mooren erfüllt ist, und das waldumrauschte Marienbad, vom nahen Stift Tepl gegründet, dem es nun der Staat entwinden will, der alle deutschen Kurorte gewaltsam zu tschechisieren trachtet. Damit sind noch lange nicht alle Egerlandstädte erwähnt. Unweit von dem rings ins Land schauenden Wallfahrtskirchlein Maria-Kulm arbeiten die Möbeltischler von Königsberg fleißig an allerlei Hausrat, und in der Musikstadt Petschau hört man es singen und klingen. So mischen sich vielerlei städtische Weisen in den vorherrschenden Bauernbaß der Egerlandgemeinden.


Während sich im Erzgebirge die Mundart deutlich vom Egerländischen abhebt, bildet im Vorland das Nordwestböhmische der Städte Kaaden, Komotau, Saaz und Dux einen Übergang zum Obersächsischen. Die Landschaft setzt sich hierher vom Egerland bis an die Elbe in gleicher Grundprägung fort. Im Nordwesten läuft die blaue Wand des Erzgebirges, auf deren Kamm eine dichte Reihe von Siedlungen liegt; davor breitet sich muldenartig das fruchtbare Becken, das nach der Abschwenkung der Eger von der Biela durchflossen wird, und im Süden
Elbtal bei Salesel

[148a]
      Elbtal bei Salesel.
stehen als lose Gegengebirge zum geschlossenen Erzgebirgskamm das Duppauer Gebirge und das Böhmische Mittelgebirge mit schön geformten vulkanischen Basalt- und Klingsteinbergen, zwischen denen sich die Elbe in reizendem Lauf durchwindet. Diese drei Landschaftsformen, die rauhe Erzgebirgshöhe, das kohlen- und industriereiche Becken und die [147] obst- und weinreiche Mittelgebirgslandschaft, ergeben in ihrem Zusammenspiel ein reiches Leben. Rechts von der Elbe, die beim Austritt aus dem Land die formenreich zersägte Platte des Elbsandsteingebirges durchbricht, streckt sich Böhmen im Rumburger Ländchen nach Norden vor, mit ungeschützter, rauherer Landschaft, während nach Süden zu, über einer Nadelwaldhöhe, sich das Ackerland mit schönen Teichen, wie dem Hirschberger Teich, und Burgfelsen und dem Daubaer Gebirge weit ins Landesinnere hineinschiebt. Es sind kostbare Bilder, die sich in rascher Folge dem Wanderer bieten. Man wird den Höhenweg über das Erzgebirge nicht vergessen, zu welcher Jahreszeit immer man ihn gegangen ist. Im Winter vermummt der Rauhreif die Bäume zu abenteuerlichen Formen, die im Nebel starren, und der Sturm saust erbarmungslos über die Höhe, bis die Sonne durchbricht und alles mit ihrem Licht umflutet. Im Sommer schreitet man auf den sauberen Bergsträßlein, die von Ebereschen besäumt sind, zwischen dem frischen Grün der kurzrasigen Wiesen, an den flachen Kuppen vorbei, die der Kammhöhe aufgesetzt sind, und durch die blanken Schindeldachhäuser der Dörfer und Städtchen, die entweder zu beiden Seiten der Straße hinziehen oder weit zerstreut auf der Hochfläche liegen, wie aus einer erzgebirgischen Spielzeugschachtel übers Land geschüttet. Man blickt über den bewaldeten Steilhang ins Tal hinunter, wo die Kornfelder schilfige Teiche und waldige Hügel umwogen, und sieht die Städte von ganzen Schornsteinwäldern umstanden. Der Kohlenbergbau reißt arge Lücken in das ehemals lieblich geschlossene Bild: Schachtanlagen mit weiten Kohlenhalden, offene Tagbaue und Einbruchsland, das erst allmählich wieder bepflanzt wird. Das Elbegelände von Leitmeritz bis zur Landesgrenze ist von Malern oft genug gemalt worden und Ludwig Richters "Überfahrt am Schreckenstein" hat es dem Kunstschatz des deutschen Hauses einverleibt. Die Schönheit des rauheren "böhmischen Niederlandes" und des Hirschberger Teiches hat erst neuere Malkunst und Lichtbildnerei erschlossen.

Das ganze Gebiet ist dichtbesiedeltes, städtereiches Land. Selbst das rauheste Erzgebirge trägt zahlreiche Städtchen, zu höchst am Keilberg (1241 m) das kleine Gottesgab in 1028 m Seehöhe, wo der Volksdichter Anton Günther seine Heimat hat und Heimwehlieder vom "Arzgeberch" und vom "Vuglbeerbaam" singt. Aus dem alten Konradsgrün entstand Joachimsthal, nach dem der Taler und der Dollar benannt sind, und in der blühenden Bergstadt dichtete in der Reformationszeit Nikolaus Hermann seine geistlichen Gesänge und predigte Johannes Mathesius, der das Volksbuch von Luthers Leben schrieb. Andere, zum Teil viel ältere Bergstädte sind Sebastiansberg, Katharinaberg, Niklasberg, Zinnwald und Graupen. Sie mußten sich nach dem Versiegen der Erzschätze den vielerlei Ersatzbeschäftigungen zuwenden, die im Erzgebirge von Ort zu Ort wechseln und es der heimattreuen Bevölkerung ermöglichen, bei kargster Kost und genügsamster Lebensführung auf der luftigen, durchsonnten Höhe zu bleiben, an die sie so sehr angepaßt ist. Da werden Spielwaren und Holzgeräte erzeugt, Musikinstrumente hergestellt, Knöpfe gestanzt, es werden [148] Korbwaren und Strohhüte geflochten, es wird geklöppelt, genäht und gestickt. Die zahlreichen Pässe brachten früher ein reges Fuhrmannswesen zustande, das noch in den Liedern vom Reischdörfer Fuhrmann weiterklingt. Heute muß sich der Erzgebirgler vielfach als Kleintierhändler und als Hausierer in der Welt fortbringen, wenn er nicht, wie seit alter Zeit besonders die Preßnitzer, als "böhmischer Musikant" in alle Länder hinauszieht, das Heimweh im Herzen.

Auscha, Lauben

[140b]
      Auscha, Lauben.
Die Städte im Tal sind weitaus besser bestellt. Noch bildet für manche der Landbau die Wirtschaftsgrundlage, so der Obst- und Weinbau für Leitmeritz, das zur Schul- und Bischofsstadt an der Elbe geworden ist, der Hopfenbau für Saaz und das kleine malerische Auscha, der Getreidebau für Böhmisch-Leipa. Andere sind durch die Braunkohle groß geworden. Komotau, die alte Deutschherrnstadt am Alaunsee; das ehedem mächtige Brüx mit seinen drei prächtigen Stadtplätzen und der gotischen Maria-Schnee-Kirche; Dux mit dem Waldsteinschloß und dem benachbarten Stift Ossegg, endlich Teplitz-Schönau, das aus einem idyllischen Badestädtchen, in dessen prächtigem Schloßgarten sich Deutschlands berühmteste Männer fanden, zu einer regen Fabrikstadt geworden ist, die mit den Nachbargemeinden immer enger verwächst. Es ist der Sitz zahlreicher Organisationen, darunter des Verbandes der deutschen Selbstverwaltungskörper und des Bundes der Deutschen in Böhmen. Der Kohlenverkehr hat auch die Elbestadt Aussig rasch emporwachsen lassen. Der Umschlagverkehr an der Elbe erstreckt sich flußabwärts bis zur Doppelstadt Tetschen-Bodenbach, wo die eiserne Hängebrücke zwischen dem Tetschener Schloß und der Schäferwand ein schönes Landschaftsbild zuwege bringt. Aufblühende Webereiorte sind Rumburg und Warnsdorf, das noch vor kurzem ein Industrieort war; die Glaserzeugung hat in Haida und Steinschönau rühmlichst bekannte Sitze.


Im Dolzental am Jeschkengebirge

[180b]
      Im Dolzental am Jeschkengebirge.
Auch das nordöstliche Böhmen zerfällt in kleinere Einzellandschaften, die durch die Gebirge der Landesumgrenzung ihr Gepräge erhalten. Der Ostrand Böhmens ist nicht so geschlossen wie der Erzgebirgswall, sondern besteht aus einer Reihe getrennter Gebirgszüge. Dem Lausitzer Gebirge folgt der Jeschkenzug mit dem 1000 m hohen "Vater" Jeschken, zu dessen Füßen sich der Vorort dieses ganzen Gebietes, Reichenberg, als eine weitgedehnte Gartenstadt im Grünen lagert, auf der andern Seite geschützt vom Isergebirge mit seiner Wäldereinsamkeit, mit seinen Mooren und klaren Wasserläufen. Dann steigt das Riesengebirge hoch empor und erinnert mit seinen Bauden und der Almwirtschaft an älplerische Verhältnisse. Aus seiner Rauhheit heraus und seinen Wettergefahren hat die Sagengestalt Rübezahls ihre Merkmale genommen. Endlich folgen, niedriger und lieblicher, die Randgebirge des Glatzer Kessels. Nördlich vom Isergebirge öffnet sich das wohlbestellte Gartenland mit der Wallensteinstadt Friedland gegen Schlesien hin, und am anderen Ende dieses Gebirges schaut, rings um das alte Stift Braunau gelagert und von ihm gegründet, das Braunauer Ländchen in die schlesische Ebene des deutschen Reiches hinaus. Das [149] deutsche Siedlungsland ist hier scharf an die Gebirge herangedrängt, ja, das tschechische Land rührt bei Rochlitz und Nachod bis an die Grenze und sogar ein wenig in die Freigrafschaft Glatz hinein.

Gablonz

[148b]
      Gablonz.
Um so dichter drängen sich die deutschen Siedlungen in den schmalen Streifen zu Füßen der Gebirgszüge. Von Reichenberg dehnt sich bis zur Schwesterstadt Gablonz ein nahezu geschlossenes Wohngelände mit den einzelstehenden Blockhäuschen, die der Schlesier auch in der Stadt oder wenigstens in deren Umland nicht missen kann. Reichenberg, ein altes Tuchmacherstädtchen, ist durch die Webindustrie groß geworden. Weitblickende Fabriksherren, wie insbesondere die Liebig, haben es mächtig gefördert. Es besitzt eine größere Zahl von Schulen, ein reichhaltiges Gewerbemuseum, ein blühendes Volksbildungswesen, es ist der Vorort der deutschen Druckerei im Lande und des sudetendeutschen Buchverlags; es hat sich nach dem Umsturz um die Prager deutsche Universität beworben, die in das geschlossene Deutschböhmen verlegt werden sollte, und als Stützpunkte die "Deutsche Bücherei" und eine "Anstalt für sudetendeutsche Heimatforschung und Volksbildung" geschaffen; es kann endlich sehenswerte Wohlfahrtseinrichtungen aufweisen und ist sichtlich im Aufschwung begriffen als städtischer Kern von 40 000 Einwohnern in einem viel größeren Wohngebiet. Mit erstaunlicher Raschheit hat sich Gablonz zu fast gleicher Größe entwickelt, ohne landschaftliche Begünstigung, lediglich durch die Ausbildung der sogenannten Gürtlerei, die aus der böhmischen Glasmacherei hervorgegangen ist, zur Ausfuhrerzeugung. Die Gablonzer Glasperlen, Broschen, Spangen usw. sind in aller Welt verbreitet und behaupten durch den ererbten Geschmack der Hersteller ihre Absatzgebiete.

Heldendenkmal in Gablonz Sühnekreuze bei Elbogen
[132b]      Sühnekreuze bei Elbogen.

[132b] Heldendenkmal in Gablonz.

Trautenau

[148b]
      Trautenau.
Auch Trautenau, bekannt durch die Feldzüge von 1866, ist eine alte Tuchmacherstadt, die den Weg zur fabrikmäßigen Erzeugung zu finden wußte, den in ähnlicher Weise auch Braunau gegangen ist. Hohenelbe und das kleine Johannisbad sind Ausgangspunkte für die Riesengebirgswanderungen; Wekelsdorf und Adersbach verdanken ihre Berühmtheit den sehenswerten, vielbesuchten Felsengebilden.

Neben dem hochentwickelten, dem Weltverkehr zugewandten Städtewesen erhält sich in den dichten Nadelwaldgebieten und den einsamen Höhenlagen altschlesisches Leben in schlichter Ursprünglichkeit. Der Zusammenhang ist trotz aller Entfaltung bis in die führenden Schichten des Städtertums gewahrt, die ihre Stammesart nicht verleugnen und deren Industrie viel bodenständiger entsprossen ist als die Nordwestböhmens. Vielleicht beruht das auch auf der besonderen Veranlagung des Schlesiertums, auf einer Doppelanlage: einerseits die ererbte Art im engen Familienkreise, im liebevoll gehegten Eigenheim treu zu bewahren, andererseits nach außen hin sich wirtschaftlich gegen fremde Art und fremdes Volkstum durchzusetzen und zu behaupten. Diese Begabung gilt auch für die sudetendeutschen Schlesier und Nordmährer.

Am altertümlichsten erscheint der grobknochige, rauhe und dabei doch gutmütige [150] Riesengebirgler, nach dessen Bild die Gestalt des Rübezahl geformt ist. In seinem Gebirgshaus fließt der Brunnen im Keller, die Einrichtung ist höchst einfach und die Wirtschaftsführung verlangt sparsames Zusammenfassen. Die Trachten sind auch hier schon verschwunden. Das Volkslied aber hat in dem sangesfreudigen Stamm einen freundlichen Pfleger, und auch die alten Tänze werden immer wieder getanzt. Die Heimfreude des Schlesiers, seine Gottinnigkeit, bricht besonders in den Weihnachtsaufführungen durch und findet in den Reden der armen Hirten, die zur Anbetung eilen, ergreifende Töne. Mit dieser verständnisvollen Heimat- und Stammespflege ruht das ganze Bildungsstreben hier auf einer gesunden Grundlage und gibt dem Schlesier ein berechtigtes Vertrauen, daß er sich auch in den gegenwärtigen Schwierigkeiten deutsch und fest behaupten wird.

Einen Ausläufer nach Nordmähren hinüber bildet die Doppelreihe der Adlergebirgssiedlungen, die, in anmutige Bergmulden gelagert, ohne deutsches Vorland ein stilles, bescheidenes Leben für sich führen. Hier sind Rokitnitz mit seinem traulichen Stadtplatz und Grulich mit einer Holzfachschule die Vororte. Hier ist oft der Hunger daheim, wie im Erzgebirge, wenn die Spanschachtelerzeugung nicht geht und die Stickerei oder Hausweberei nichts abwirft, wenn Regengüsse die Ackererde herabschwemmen, so daß man sie in Körben wieder hinauftragen muß, und Frauen den Pflug ziehen.


Winterwald im Altvatergebirge

[172b]
      Winterwald im Altvatergebirge.


Schlogelsdorf, sudetendt. Schlesien
[172b]
      Schlogelsdorf, sudetendt. Schlesien.
Vom Glatzer Land trennt der Spieglitzer Schneeberg das nordmährisch-schlesische Land, das selbst wieder in dem noch etwas höheren Altvatergebirge (1490 m) seine Binnenscheide hat. Das Volkstum ist das gleiche nördlich vom mächtig entfalteten Altvaterstock wie südlich in Mähren, nur daß es nördlich, im Schlesierland, reiner und unvermischter blieb als in der tschechischen Nachbarschaft der Nordmährer.

Das ehemals österreichische Schlesien war, so klein es ist, eines der wertvollsten Länder des ganzen alten habsburgischen Kaiserreiches und verdankt dies durchaus dem Fleiß und der Regsamkeit seiner deutschen Bewohner. Die Landwirtschaft kann auf den Nordhängen des Altvatergebirges nur mit Anstrengung betrieben werden. Auch die Waldwirtschaft ernährt einen Teil der Bevölkerung. In den Tälern rauschen die Bäche abwärts und treiben Mühlen, Sägewerke, Schotterwerke und Fabriken. Aus dem Flachsbau und der Hausweberei hat sich die Fabriksweberei und Tuchmacherei Schlesiens entwickelt. Papiererzeugung und andere Fabriksbetriebe schlossen sich an. Der Fremdenverkehr belebt sich, seitdem der Wintersport die vielgestaltigen Rücken, die windzerzausten Hänge des Altvaters, auch in der rauhen Jahreszeit erschlossen hat. Eine Reihe von natürlichen Säuerlingen haben in windgeschützten Lagen kleine Kurorte entstehen lassen.

Baumblüte bei Dittersdorf, sudetendt. Schlesien

[180a]
      Baumblüte bei Dittersdorf, sudetendt. Schlesien.

Von den wohlgehaltenen freundlichen Städten Schlesiens ist Troppau mit 30 000 Einwohnern die größte; eine vorwiegend neugebaute Beamten- und Schulstadt, die sich ins tschechische Sprachgebiet vorschiebt und von der tschechischen Er- [151] oberung zum Angriffspunkt gewählt wurde. Jägerndorf mit 17 000 Einwohnern hat ein altes Liechtensteinsches Schloß; Freudenthal, die kleinere Schwesterstadt, ist nur halb so groß; noch etwas kleiner ist, in prächtiger Lage, Freiwaldau, der Ausgangspunkt für die Altvater- und Schneebergwanderer. In einem das Glatzer Land umfassenden vorgeschobenen Flügel liegt, schmuck anzusehen, Jauernig. Ein einsames Ländchen für sich, ein Abwanderungsgebiet, ist der Hotzenplotzer Bezirk. Neu zum Staat hinzugekommen ist das Hultschiner Ländchen östlich von Troppau. Es bildet eine Brücke zum Teschener Gebiet, das mit seinem Ostteil die deutsche Sprachinsel Bielitz-Biala an Polen hat abgeben müssen, so daß hier an deutscher Besiedlung nicht mehr viel geblieben ist, zumal die städtischen Minderheiten in Friedeck und Mistek sich ebenso verringern wie der deutsche Anteil an der Bewohnerschaft des Mährisch-Ostrauer Steinkohlengebietes, das den Sudeten östlich vorgelagert ist.


Steigt man vom mächtigen Altvaterhaupt nach Süden zu, so hat man diese schlesische Art nicht mehr so rein, geschlossen und blank vor sich. Da spaltet sich das Deutschtum in das eigentliche Nordmährergebiet mit Mährisch-Schönberg und Sternberg als Vororten und in je einen Flügel im Westen und im Osten; es ist hier das Kuhländchen, dort das selbständigere Schönhengster Land, das eigentlich eine Sprachinsel bildet, da es durch eine dünne Kette tschechischer Dörfer von Nordmähren und Ostböhmen getrennt ist.

Schöne Täler bieten im äußersten Nordmähren den deutschen Reihendörfern und kleinen Städtchen Raum. Sie erhalten sich durch Textilindustrie und Holzbearbeitung. Am Ausgang des Teßtales entwickelte sich als Hauptort Mährisch-Schönberg mit 10 000 Einwohnern, mit zahlreichen Leinen-, Glas-, Papierfabriken, mit Säge- und Eisenwerken im Teßtal, eine zielbewußt emporstrebende Stadt, von deren hochgelegenem Marktplatz man nach allen Seiten frei ins Land hinausschauen kann. Südöstlich erhebt sich Sternberg an einem niedrigen Hang über die Ebene, sein stattliches Schloß birgt viele Kostbarkeiten und Kunstwerke, eine Tabakfabrik mußte der Wirtschaftslage aufhelfen. Auf eine reiche geschichtliche Vergangenheit blickt Mährisch-Neustadt zurück, das klein geblieben ist, wie
Olmütz, Rathaustreppe

[187b]
      Olmütz, Rathaustreppe.
Römerstadt (je 5000 Einwohner), während ein allgemeines Zurückgehen der nordmährischen Bevölkerung sonst die Einwohnerzahl der Städtchen sogar rasch vermindert, wie z. B. die des freundlich gelegenen Schildberg. In der fruchtbaren Marchebene, schon an der sogenannten Hanna, dem getreidereichen Land, liegt die alte Festung Olmütz, die zweite Hauptstadt Mährens, die bis vor kurzem noch eine deutsche Mehrheit hatte, wo heute aber das Deutschtum durch künstliche Eingemeindungen bis auf ein Viertel herabgedrängt ist. Zu dieser Stadt kunstgeschichtlich wertvoller Kirchenbauten und zahlreicher geschichtlicher Erinnerungen gehörten einige deutsche Landgemeinden ringsum, die mit ihr eine deutsche Sprachinsel bildeten.

Olmütz, Maria-Schneekirche
[196b]      Olmütz, Maria-Schneekirche.
Rathaus in Olmütz
[196b]      Rathaus in Olmütz.

Die Hauptstadt des Kuhländchens ist Neutitschein, dessen Bewohner als Han- [152] delsleute einen alten Ruf haben. Hier geht die verkehrswichtige Mährische Pforte zwischen dem Niederen Gesenke und den Karpathen, die ostwärts anschließen, hindurch: sie wurde schon in der Steinzeit begangen und von den Bernsteinhändlern benützt. Andere Städte sind Fulnek, das in der Geschichte der Böhmischen Brüder eine Rolle gespielt, wo Comenius gewirkt hat, eine altertümliche Siedlung und Waagstadt. Die stattlichen Dörfer und behäbigen Höfe der Kuhländler gehören einer hochstehenden Bauernschaft, aus der kein Geringerer als Gregor Mendel, der Brünner Augustiner, der Begründer der neueren Vererbungslehre, hervorging.

Abt Gregor Mendel. Mendels Geburtshaus in Heinzendorf, sudetendt. Schlesien.
[187a]      Mendels Geburtshaus in Heinzendorf, sudetendt. Schlesien.
[187a]      Abt Gregor Mendel, der Entdecker der Vererbungsregeln.

Ein welliges Übergangsland von Böhmen nach Mähren, vom Elbebecken zum Marchgebiet bildet der Schönhengstgau, der ehedem ein Stück des unbewohnten Grenzwaldes zwischen den beiden Ländern war und erst im späteren Mittelalter planmäßig von sechs Seiten her mit stattlichen deutschen Reihendörfern und großangelegten Marktstädten besetzt wurde, von denen Landskron in Böhmen, Zwittau, Mährisch-Trübau, Müglitz und das in letzter Zeit der Mehrheit nach tschechisch gewordene Hohenstadt in Mähren liegen. Den Namen hat dieses grobschollige Bauernland vom Schönhengstzug, einer bis 600 m ansteigenden Kreidestufe, die es vom Norden nach Süden mitten durchzieht.


Dorf Passowitz, Iglauer Sprachinsel

[164a]
      Dorf Passowitz, Iglauer Sprachinsel.
Eine Anzahl kleinerer deutscher Sprachinseln bildet in Mähren Brücken vom nördlichen deutschen Sprachgebiet und von Gesamtschlesien nach Südmähren und dem Donaudeutschtum. Gegen diese richtet sich der heftigste Ansturm des tschechischen Volkes und Staates. So hat ein tschechischer Minister die alte deutsche Sprachinsel Iglau einen Fleck genannt, der von der Landkarte verschwinden müsse. Und tatsächlich hat man durch Zuschub von tschechischen Soldatenwählern die uralte, deutsche Bergstadt Iglau, an der sehr viel wertvolle deutsche Erinnerungen haften, der deutschen Mehrheit in der Gemeindestube beraubt. Und gerade diese Sprachinseldeutschen hängen mit einer heiligen Heimatliebe an dem Fleck Erde, aus dem ihr Leben hervorgegangen ist. Auch die Iglauer Sprachinsel, die außer der Stadt zwei Marktflecken und 49 Gemeinden umfaßt, erstreckt sich an der Landesgrenze in beide Länder hinein. Die etwa 40 000 Deutschen wohnen auf der bewaldeten, offenen Höhe, die einstmals auch ein Stück des Grenzurwaldes trug, und haben sich ihre Heimatflur selbst erst geschaffen. Eine alte Sage leitet den Ursprung der Bergstadt bis auf Karl den Großen zurück. Tatsächlich nahm Iglau im mittelalterlichen Bergwesen einen ganz hervorragenden Rang ein und hat ein bemerkenswertes altes Bergrecht hervorgebracht. Gegenwärtig spielt die hochentwickelte Landwirtschaft des Gebiets auch in der Stadt eine wichtige Rolle und die Fabrikation erstreckt sich auf die Erzeugung und Verarbeitung von Tuch und Wirkwaren, Leder und Schuhen, Glas und Holz. Das Bürgertum erfreute sich in alter Zeit am Meistergesang, und auch der Reformation hat sich die Stadt rasch angeschlossen. Die Erinnerung weilt am liebsten beim alten Bergwesen und jährlich sammelten sich auf dem ungemein [153] geräumigen
Brünn, Museumshof

[172a]
      Brünn, Museumshof.
Marktplatz Iglauer Schüler in altertümlichen Bergtrachten zum "Berghäuerzug", der mit seinen Bergmeistern, Hutmännern und Ratsherren vor die Stadt hinauszieht zum uralten Johanniskirchlein, wo ein Gottesdienst im Freien stattfindet. Das ist zugleich das Johannisfest und die Sonnwendfeier - im Jahre 1920 aber wurde ohne Anlaß und Warnung von tschechischen Soldaten über den Marktplatz hin in den friedlichen Heimatfestzug geschossen. Sprachinselleid!

Eine Sprachinsel stellt auch das Gebiet der Landeshauptstadt Brünn dar und ein kleines ländliches Volkseiland liegt östlich davon um Wischau; es nennt sich jetzt gern die Schwabeninsel, aber mit dem Schwabentum haben die Wischauer, die noch in der alten Volkstracht einhergehen, nichts zu tun; sie gehören zum bayerischen Stammesgebiet, zu dem auch Iglau zu zählen ist.

Bayerisch-österreichisch ist auch das letzte geschlossene Gebiet der eigentlichen Sudetenländer, das hier zu betrachten ist, das südmährische Thayaland, das von Feldberg im Osten über Nikolsburg und Znaim als schmaler Streifen nach Westen zieht und sich über Zlabings als Neuhaus-Neubistritzer Sprachzunge nach Böhmen vorschiebt. Das ist ganz einfach ein Stück Niederösterreich,
Znaim.

[204b]
      Znaim.
über das die Landesgrenze hinweggezogen wurde. Es ist ein sonniges, fruchtbares Land, dessen Kalkboden Weingärten trägt, die besonders bei Nikolsburg gepflegt werden, während die Umwohner der stolz aufragenden Herzogsstadt Znaim sich dem Gemüsebau widmen und ihre Gurken weithin berühmt gemacht haben. Gerade auch dieses Gebiet trachten die Tschechen planmäßig zu durchsetzen und haben alle Anstrengungen gemacht, Znaim den Deutschen zu entreißen. Ein Vorort der Gartenpflege ist das Liechtensteinische Schloß Eisgrub bei dem Städtchen Nikolsburg, und ein welteneinsames Ländchen der Volkssage und des Volksmärchens das Zlabingser Gebiet, das noch heute den alten Stadthausstil wahrt.


Die Gesamtzahl der Einwohner in der tschechoslowakischen Republik beläuft sich nach der letzten Zählung auf rund 13,6 Millionen. Deutsche gibt es amtlich:

    in Böhmen 2 173 000 oder  33,0 v. H.
    in Mähren 547 000 oder 20,9 v. H.
    in Schlesien 252 000 oder 40,5 v. H.
    in der Slowakei 40 000 oder 4,7 v. H.

    insgesamt 3 012 000 oder 23,3 v. H.

Außerdem leben noch etwa 95 000 Deutschösterreicher und Reichsdeutsche im Lande. Der Anteil der Tschechen an der Gesamteinwohnerschaft macht nur 50,5 v. H. aus. Rechnet man die Slowaken mit 15,1 v. H. zu den Tschechen, obwohl sie sich stark dagegen wehren, so verfügen die Minderheiten, eingeschlossen 750 000 Madjaren und 460 000 Ukrainer, über 34,4 v. H., also mehr als ein Drittel der Bevölkerung.

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Deutschtum in Not!
Die Schicksale der Deutschen in Europa außerhalb des Reiches.
Paul Rohrbach