Klein-Deutschland
Der übereilte Abbruch des italienischen Krieges zeitigte sehr bald die
schwerwiegendsten Folgen für das Haus Habsburg. Im Besitze der
Lombardei, griff das Königreich Sardinien jetzt auch nach den
übrigen öster- [240] reichischen
Vasallenstaaten in Italien und vereinigte im Wege einer allgemeinen
Volksabstimmung Toskana, Modena und Parma zusammen mit Sardinien und
Piemont im Jahre 1861 zum Königreich Italien. Damit war Habsburgs
Einfluß, obwohl ihm vorläufig noch Venetien, das Trentino und die
italienischen Küstenstädte Istriens verblieben waren, auf der
Apenninenhalbinsel ein für allemal ausgeschaltet. Aber auch in der
Innenpolitik und in der Stellung Österreichs zum Deutschen Bunde
begannen sich die Folgen des unglücklichen Kriegsausganges
verhängnisvoll abzuzeichnen. Wieder erhoben die seit 1849
niedergehaltenen Völker ihr Haupt, und während ihr passiver
Widerstand gegen das seit 1849 herrschende absolutistische System bereits die
Vorbereitungen für den Feldzug von 1859 behindert hatte, erlebten jetzt
ihre Autonomieforderungen gegenüber der durch die Niederlage in ihrem
Ansehen schwer geschädigten Staatsführung einen neuerlichen
Auftrieb. Dabei zwang die Finanznot des Staates die verantwortlichen
Staatenlenker zur unfreiwilligen Nachgiebigkeit. Die föderalistischen
Bestrebungen der Ungarn und Tschechen gewannen die Oberhand, störten
jede Maßnahme der Regierung und setzten allen Finanzforderungen des
Staates größten Widerstand entgegen.
Die Kosten des innerpolitischen Zwiespaltes hatte das Heer zu tragen, obwohl der
Monarch klar erkannte, daß die Macht seines Hauses allein in der Einheit
und Stärke der bewaffneten Macht verankert lag. Damit begann jener
Kampf um das Heer zwischen dem Träger der Krone und den Vertretern
der Völker, der von Franz Joseph stets mit der gleichen Beharrlichkeit
geführt wurde, in dem er aber schließlich doch unterlag, weil das
ehemalige kaiserliche Heer in seiner späteren Struktur als
Völkerarmee erst recht auf die finanzielle Bereitwilligkeit der
Völkervertreter angewiesen war und während seiner schwersten
Probe im Weltrevier zuletzt auch noch ein Opfer der politischen Zersetzungsarbeit
der nationalen Agitation wurde. Immer schärfer zeichnete sich inzwischen
der Gegensatz Preußen-Österreich als Folge der nach dem
Unionstreite weiterschwebenden und durch die Ablehnung des preußischen
Bündnisangebotes von 1859 erneut genährten Spannung im
deutschen Raume ab.
[245]
Manöver 1861. Husaren in einem ungarischen
Dorf.
Nach einem Aquarell von Karl Goebel. (Österreichische Lichtbildstelle,
Wien)
|
Franz Joseph lud jetzt die deutschen Fürsten nach Frankfurt ein. Dort wurde
ihnen ein Plan vorgelegt, der ein Fürstendirektorium unter der
Führung Habsburgs mit einer gleichzeitigen Bestellung einer aus den
deutschen Landtagen beschickten Delegiertenkonferenz vorsah. Der einzige Staat,
der während dieser Tagung durch seinen Souverän nicht vertreten
war, war Preußen. In Berlin hatte der bereits in ganz Deutschland als der
rücksichtslose Vorkämpfer der preußischen Vorherrschaft
bekanntgewordene Kanzler Bismarck
das Fernbleiben seiner
Mon- [241] archie von der
Frankfurter Tagung durchgesetzt. Damit waren die Beschlüsse der in der
alten Kaiserstadt versammelten Fürsten gegenstandslos. Die Entscheidung
um die Vorherrschaft in Deutschland nahte immer unabwendbarer heran.
Dennoch vereinigte der Versuch Dänemarks, sich die Länder
Schleswig-Holstein und Lauenburg einzuverleiben, noch einmal beide Staaten zu
einem gemeinsamen Kampfe. Als Dänemark sich weigerte, die neue
dänische Reichsverfassung für Schleswig zurückzuziehen,
erklärten ihm Österreich und Preußen den Krieg.
Österreich hatte in diesem Kampfe kein eigentliches Kriegsziel. So erschien
der letzte Feldzug des Habsburgerreiches im Norden als eine dem
Sonderegoismus entrückte Kavalierstat, ein ehrenvoller Abgang, wenn wir
daran denken, daß die Stunde des Unterliegens im Kampfe mit
Preußen nahe war. Ein Armeekorps unter dem Befehl des
Feldmarschalleutnants Freiherrn von Gablenz stellte Österreich ins Feld.
Zusammen mit einem preußischen Korps unter dem Befehl des Prinzen
Friedrich Karl traten die Truppen am 31. Januar 1864 bei Schneesturm und eisiger
Kälte den Vormarsch an. Nach dem vom preußischen Generalstabschef Helmuth von Moltke
entworfenen Plane war an eine Umgehung
der dänischen Hauptbefestigung am Danewerk gedacht. Schon am 3.
Februar stießen die über Rendsburg vorgehenden Österreicher
beim Dorfe Jagel und bei Oberrelk mit dem Gegner in einem
größeren siegreichen Gefechte zusammen. Durch dieses rasche
Vorgehen der Österreicher war die eigentliche Linie der
Danewerkbefestigungen bereits durchbrochen. Der Oberbefehlshaber der
verbündeten Streitkräfte, Wrangel, ließ indessen durch das 1.
preußische Korps den Schleiübergang forcieren. Damit sollte die
beabsichtigte Bedrohung des dänischen Generals De Meza im
Rücken in Anwendung kommen. Doch De Meza entzog sich noch
rechtzeitig der Umzingelung. In eiligem Verfolgungsmarsch hefteten sich jetzt die
Verbündeten an die Fersen der Dänen. Endlich gelang es, den Gegner
bei Översee, dicht vor Flensburg, wieder zu stellen. Trotz
Überlegenheit der Dänen räumten die Steirer Regimenter nach
kurzem Geschützkampf kurzerhand mit dem Bajonett auf den
dominierenden Höhen und in den Wäldern oberhalb Översees
auf. In fluchtartigem Rückzug wichen die Dänen jetzt hinter ihre
zweite große Verteidigungslinie auf der Halbinsel Sundewitt, die
Düppeler Schanzen, zurück. Ein weiterer Teil warf sich in die
Festung Fridericia. Die Österreicher besetzten Flensburg und Havensleben
und säuberten nach dem Gefecht bei Apenrade Schleswig vollkommen von
den Dänen.
Nachdem jetzt die beiden Herzogtümer befreit waren, ging der Vormarsch
nun weiter nach den altdänischen Provinzen. Die preußische [242] Garde rückte in
Jütland ein und besetzte Kolding. Am 8. März überschritten
auch die Österreicher die jütländische Grenze und siegten bei
Veile. Die Belagerung und Kapitulation von Fridericia beendete dann endlich den
siegreichen Vormarsch des Korps Gablenz. Acht Tage früher hatten die
Preußen die gewaltigen Düppeler Schanzen erstürmt und
bereiteten jetzt den Übergang auf die Insel Alsen vor. Auch die Flotte der
Verbündeten schlug die überlegene dänische Flotte bei
Helgoland in die Flucht. Nach dem Ablauf einer inzwischen vereinbarten
Waffenruhe überschritten die Preußen dann unter General Herwarth
von Bittenfeld den nahezu tausend Schritte breiten Alsensund. Schon am
nächsten Tage räumten die Dänen Sonderburg. Auch die
Österreicher überschritten jetzt noch den Limfjord. Damit war die
Verteidigungskraft der Dänen gebrochen. Ein am 18. Juli vereinbarter
Waffenstillstand führte zum Frieden von Wien, der den Verzicht
Dänemarks auf Schleswig-Holstein und Lauenburg aussprach. Die
Herzogtümer gingen als "Kondominium" an die beiden Siegerstaaten
über und wurden damit die letzte Ursache jener unausbleiblichen
Auseinandersetzung, die Preußen den Weg zur Führung Deutschlands
frei machte.
Auf dem Rückmarsch von den Schlachtfeldern Dänemarks passierten
die österreichischen Regimenter auch die preußische Hauptstadt. In
einer glanzvollen Parade zogen sie an König Wilhelm I. und der
preußischen Generalität Unter den Linden vorüber. In seinen
weißen Waffenröcken, prachtvoll ausgerichtet und unter den
schmetternden Klängen der berühmten österreichischen
Märsche im dröhnenden Stechschritt marschierend, fiel vor allem das
Infanterieregiment Großherzog von Hessen Nr. 14 aus Linz auf.
Vierundsiebzig Jahre sollten vergehen, Jahre, nach deren Ablauf die
Entscheidungen von 1866, 1870/71 und diejenigen des Weltkrieges nur mehr als
zwangsläufig Wegbereiter der großen Einigung erschienen, bis das
gleiche Regiment wieder Unter den Linden paradierte. Als Träger einer
alten stolzen Tradition zog das Regiment Hesseninfanterie des ehemaligen
österreichischen Bundesheeres am Geburtstag des Führers an Adolf
Hitler vorbei. In der Uniform der großdeutschen Wehrmacht marschierend,
grüßte das Regiment mit seiner Fahne den Sohn der eigenen Heimat,
der durch die Schaffung Großdeutschlands den Siegen der Väter bei
Jagel, Oberselk, Översee, Veile und Fridericia erst ihre tiefere Bedeutung
für die großdeutsche Heeresgeschichte verliehen hatte.
Das Kondominium Schleswig-Holstein-Lauenburg erlebte indessen seine
Wiedervereinigung mit dem deutschen Mutterlande als zündstoffgeladenes
Streitobjekt zwischen den beiden deutschen Großstaaten. Bismarck war
zwar bereit, die von Österreich vorgeschlagene Einsetzung des [243-246=Illustrationen]
[247] Prinzen von Schleswig-Holstein-Augustenburg als
Landesfürsten zuzulassen, stellte aber zur Bedingung, daß dieser
Fürst Bindungen mit Preußen einging, die einem nackten
Untertanenverhältnis gleichkamen. Österreich wiederum
erklärte sich mit einer derartigen Angleichung nicht ohne Konzessionen auf
anderen Gebieten einverstanden und wollte nun seinerseits eine Abtretung
schlesischer Besitzungen Preußens einhandeln. Da Bismarck nach dieser
Seite hin durchaus schwerhörig war, kam es noch einmal zu einem
Ausgleich in Gastein, dessen Ergebnis eben die Errichtung des Kondominiums
war. So erhielten Schleswig und Lauenburg preußische, Holstein aber
österreichische Verwaltung. Dieses Abkommen bedeutete aber durchaus
keine endgültige Lösung. Bismarck rechnete klug vorausschauend
damit, daß Österreich das ferne Holstein nicht unter seiner dauernden
Verwaltung zu halten beabsichtigte. Es war daher anzunehmen, daß es eines
Tages wieder die Einsetzung des Augustenburgers betreiben würde. Ein
preußischer Antrag auf die Reform des Deutschen Bundes, der von
Bismarck längst vorbereitet war, sollte außerdem als letzter Trumpf
die Maschen des um Österreich gelegten Netzes zuziehen. Denn daß
Habsburg eine Abänderung der deutschen Bundesverfassung nach den
Wünschen Preußens nicht hinnehmen würde, lag auf der Hand.
Wie Bismarck auch handelte, die diplomatische Meisterschaft, mit der er die
Vorherrschaft Preußens vorbereitete, um damit Deutschland wieder zu einer
Macht zu gestalten, erübrigte alle Angriffe auf die Form seiner
Maßnahmen. Einen auswärtigen Bundesgenossen schuf sich
Bismarck außerdem noch in dem jungen Königreich Italien. Als nun
wirklich der von Bismarck vorhergesehene Versuch Österreichs, für
den Augustenburger in Holstein Stimmung zu machen, in Anwendung kam, und
Österreich die holsteinischen Stände einberief, erklärte
Bismarck die Gasteiner Konvention für gebrochen und
veröffentlichte seinen Antrag auf die Bundesreform. Ein
Ausgleichsvorschlag Napoleons III. scheiterte. Österreich stellte nun
den Antrag auf Mobilmachung der Bundesarmee. Sie wurde mit neun gegen sechs
Stimmen angenommen. Sachsen, Hessen, Hannover und die süddeutschen
Staaten unter der Führung Bayerns traten jetzt auf Österreichs Seite.
Preußen machte mobil, Österreich desgleichen, und nun war der
Augenblick gekommen, die Waffen zu ergreifen, um den einstigen Worten
Schwarzenbergs blutigen Nachdruck zu geben: "Hinauswerfen aus Deutschland
lassen wir uns nicht!" Die deutschen Soldaten Preußens, der Bundesstaaten
und Österreichs traten zum Bruderkampf an.
Das Einrücken preußischer Truppen unter Manteuffel in Holstein am
7. Juni 1866 eröffnete eigentlich den Kriegszustand zwischen den beiden
Großstaaten. Am 20. Juni erklärte dann Italien ebenfalls
Österreich [248] den Krieg.
Österreich hatte bereits seit Mai rund 240 000 Mann langsam in
Mähren versammelt. Die Armee gegen Italien befehligte Erzherzog
Albrecht mit rund 70 000 Mann. Die Nordarmee gliederte sich in
7 Armeekorps unter dem Befehle der Generale
Clam-Gallas, Gablenz, Ramming, Erzherzog Joseph, Erzherzog Leopold,
Festetics und Weber. Den Oberbefehl führte der Feldzeugmeister Ludwig
Ritter von Benedek. Persönlich eine tapfere und harte Soldatennatur, hatte
sich Benedek schon frühzeitig bei der Niederwerfung des polnischen
Aufstandes vor Krakau ausgezeichnet. Auch in den Feldzügen Radetzkys,
vor allem bei Mortara, war er rühmlich hervorgetreten. In der Schlacht bei
Solferino hatte er den allein siegreichen linken Flügel befehligt. Seine
ganze Tatkraft hatte er jedoch während seiner sich stets wiederholenden
Kommandierungen in Italien den dort stehenden Truppen gewidmet. Diese
besaßen im Gegensatz zu den Verbänden der Nordarmee einen
weitaus fortgeschritteneren Ausbildungsgrad. Schon allein die teilweise
Bewaffnung der in Venetien stehenden Verbände mit einem erst in
Erprobung befindlichen Hinterladergewehr zeigte dies an. In dem Augenblick
aber, da Benedek als Kommandierender in Italien die Früchte einer
jahrelangen örtlichen Erfahrung und einer zielbewußten
Tätigkeit hätte ernten können, berief man ihn ab und
übergab einem Prinzen aus dem Kaiserhause den Oberbefehl über die
in Italien stehende Armee. Erwägungen um das Habsburgische Prestige, das
einen Erzherzog nicht einer möglichen Niederlage als Kommandierender
im Norden aussetzen wollte, waren die Ursache. Vergebens verwahrte sich
Benedek gegen die Übernahme der Verantwortung als Führer der
Nordarmee. Zuletzt bat er den Kaiser sogar persönlich um untergeordnetes
Kommando in Italien. Vergebens! Obwohl Benedek der Majestät zu
bedenken gab, daß er auf Grund seiner unzureichenden Kenntnis der
Verhältnisse im Norden weder die Lage beherrschen noch sich gegen die
schon jetzt bemerkbare Widersetzlichkeit einiger Unterführer gegen die
Anerkennung seiner Autorität noch rasch genug werde durchsetzen
können, befahl der Kaiser, an Benedeks Soldatenehre appellierend, ihm,
sich sofort nach Böhmen zu begeben. Dabei war die Armee, über die
Benedek jetzt unter so ungünstigen Voraussetzungen den Oberbefehl
übernahm, von einem hervorragenden Geiste beseelt. Der große
Nachteil jedoch, in dem sie sich gegenüber dem Heere König
Wilhelms I. befand, war ihre Unterlegenheit in der Bewaffnung. Geradeso
wie man sich in den vorbereitenden Heeresreformen der Jahre vor 1859 noch
immer nicht zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht
entschließen konnte, hatte trotz aller neueren Anleitungen für den
Felddienst eine durchgreifende Änderung der Kampftaktik noch nicht
statt- [249] gefunden. Diese
veraltete Kampfesweise wurde vor allem auf den Gebrauch des Vorderladers
zurückgeführt. Dadurch war die österreichische Infanterie
gezwungen, auch weiterhin das Schwergewicht ihrer Einsatzkraft nicht auf eine
überlegene Feuerwirkung, sondern in die Anwendung der sogenannten
Stoßtaktik zu verlegen. Diese Stoßtaktik bedeutete aber den Beweis
höchsten persönlichen Mutes. Ihr entscheidender Faktor war nicht
die Kugel, sondern das Bajonett.
Durchgehend gut bewaffnet und vorzüglich in der Ausbildung ihrer
Bedienung war hingegen die Artillerie, die gegen Preußen ins Feld
rückte. Die rechtzeitige Einführung gezogener Geschütze hatte
die Bedeutung dieser Waffengattung gerade für den böhmischen
Feldzug außerordentlich gehoben. Zu ihrer Überraschung sollten die
Preußen bald feststellen, daß die Vorteile ihrer infanteristischen
Bewaffnung noch lange nicht ausreichten, um die österreichische Artillerie
zum Schweigen zu bringen, während die Infanterie bereits dezimiert
zurückflutete. Auf einer ähnlich hohen Stufe der Ausbildung befand
sich die österreichische Kavallerie.
Politische Rücksichten waren maßgebend, daß Benedek sein
Aufmarschgebiet nicht an die Elbe und nach Sachsen verlegte. Schon am 20. Juni
rückte der rechte Flügel und das Zentrum der preußischen
Hauptmacht in Sachsen ein und besetzte es. Die kleine, aber im Rufe
außerordentlicher Leistungsfähigkeit stehende Armee des
Kronprinzen Albert von Sachsen zog sich vor ihnen nach Böhmen
zurück und trachtete sich dort mit dem aus Mähren
heranmarschierenden Benedek zu vereinigen. Moltke,
als Chef des Generalstabes König Wilhelms I.,
hatte seine Streitkräfte in drei Armeen
geteilt. Den linken Flügel bildete die bei Neiße zusammengezogene
2. Armee des Kronprinzen Friedrich Wilhelm. Die 1. Armee bildete
das preußische Zentrum und rückte unter dem Prinzen Friedrich Karl
von Görlitz aus gegen die böhmische Grenze. Die 3. Armee
führte General Herwarth von Bittenfeld als rechten preußischen
Flügel über Torgau heran. Der Gedanke, der Moltkes Plan zugrunde
lag, sah die Durchführung eines konzentrischen Aufmarsches der drei
Armeen und deren spätere Vereinigung an einem sich erst ergebenden
Punkt in Böhmen vor, der etwa bei Gitschin oder an einer anderen Stelle an
der unteren Elbe anzunehmen war.
Die Langsamkeit des österreichischen Aufmarsches entwand Benedek die
Möglichkeit der Ausnützung der inneren Linie. So verwickelte der zu
spät erfolgende Anmarsch der österreichischen Hauptarmee wohl die
einzeln vorgeschobenen Korps in verlustreiche Kämpfe mit den
andrängenden preußischen Armeen, er unterband aber die
Möglichkeit für Benedek, sich auf jede einzelne dieser
preußischen Armeen mit der Haupt- [250] macht zu werfen. Als
er dann endlich zu einem Hauptschlage ausholen wollte, stand ihm schon die
vereinigte Macht des Gegners gegenüber.
Schon am 22. und 23. Juni operierten die Armeen des Prinzen Friedrich Karl und
General Herwarths auf österreichischem Boden. Nur der Kronprinz hatte
erhebliche Schwierigkeiten im Gebirge zu überwinden und folgte erst am
26. und 27. Juni. Und nun wurde fast täglich an allen preußischen
Anmarschstraßen gekämpft. Bereits der erste Versuch des Korps
Clam-Gallas und der Sachsen, die Isarlinie gegen die 1. und 3. preußische
Armee zu halten, mißlang nach den blutigen Gefechten bei Podol, Turnau
und Münchengraetz. Clam-Gallas und der sächsische Kronprinz
zogen sich jetzt auf Gitschin zurück. Doch auch der Versuch, sich bei
dieser Stadt zu behaupten, endete nach einem erbitterten Kampf mit dem Verlust
dieses Platzes. Inzwischen hatte auch die Armee des preußischen
Kronprinzen die Pässe des Riesen- und Heuscheuergebirges
überstiegen. Erst bei Trautenau stieß ihr rechter Flügel auf den
alten Waffengefährten des dänischen Krieges, auf Gablenz. Nach
schwerem Kampfe und trotz der Unterlegenheit der Handfeuerwaffen warfen die
Österreicher die Truppen des preußischen Generals Bonin hier wieder
bis zur Grenze zurück. Doch schon am nächsten Tage mußte
der so blutig errungene Augenblickserfolg wieder aufgegeben werden. Das
preußische Gardekorps zwang den sich verzweifelt wehrenden Gablenz von
neuem zum Rückzug.
Am gleichen Tage verlor das Korps Ramming, das ebenfalls zu spät dem
linken Flügel der 1. preußischen Armee unter Steinmetz den
Anmarsch über die Pässe streitig machen wollte, das Gefecht bei
Nachod. Am 28. und 29. Juni erfolgte dann der Zusammenprall der vereinigten
Korps Ramming und Erzherzog Leopold mit den Truppen Steinmetz' bei Skalitz.
Trotz der hervorragenden Haltung der Truppen und der Bravour der
österreichischen Kavallerie endete der Kampf mit dem Abmarsch der
Österreicher auf Josefstadt. Steinmetz wandte sich jetzt gegen Festetics und
schlug ihn bei Schweinschädel. Durch diesen Sieg wurde die Elblinie
für die Armee des Kronprinzen frei gemacht und seine Vereinigung mit den
beiden anderen preußischen Armeen gesichert.
Diese Kämpfe hatten die bisher ins Gefecht getretenen
österreichischen Korps bereits aufs schwerste erschüttert. Die
Unzulänglichkeit der Bewaffnung zeitigte bei den im Feuer gewesenen
Truppen ein Gefühl der Ohnmacht, das sich in einer heftigen Erbitterung
über die nutzlose Opferung tausender tapferer Kameraden mehr und mehr
Luft machte. Dennoch waren die Truppen noch keineswegs entmutigt. Um so
verhängnisvoller wirkte sich dafür ein jetzt immer deutlicher sich
bemerkbar machender Mangel einer klaren und straffen Befehlsführung
durch das Ober- [251] kommando und das
Fehlen einer aufeinander eingespielten Zusammenarbeit zwischen den
Korpskommandanten und dem Hauptquartier auf den Fortlauf der Operationen
aus.
[244]
Feldzeugmeister von Benedek,
der nach dem nichtverschuldeten unglücklichen Ausgang der Schlacht
von Königgrätz zur Verantwortung gezogen
wurde.
(Historischer Bilderdienst, Berlin)
|
Noch bevor sich Benedek zu einer Entscheidungsschlacht entschloß, sandte
er ein Telegramm an den Kaiser nach Wien, in welchem er, von düsteren
Ahnungen erfüllt, auf die Gefahr einer Katastrophe für die Armee
hinwies. Ja, er bat den Kaiser sogar, unbedingt Frieden zu schließen. Allein
dieses Telegramm läßt auf die verhängnisvolle Unsicherheit
schließen, die den sonst so tapferen und tatkräftigen General
angesichts der unterlegenen Bewaffnung seiner Truppen und der Uneinheitlichkeit
zwischen seinen Auffassungen und denjenigen der Unterführer
erfüllte. In der Hoffnung, die ihm gegenüberstehenden zwei
schwächeren Armeen des Prinzen Friedrich Karl und Herwarths, bei denen
jetzt auch König Wilhelm I. eingetroffen war, noch vor Eintreffen
der Kronprinzenarmee zu schlagen, entschied er sich, zuletzt wieder umgestimmt,
doch noch zur Annahme des Kampfes.
Am Morgen des 3. Juli 1866 begann
dieser blutigste Kampf des
19. Jahrhunderts, die Schlacht bei Königgrätz oder Sadowa.
Ein beinahe zwei Stunden währender Artilleriekampf eröffnete den
furchtbaren Waffengang. Gegen 7.30 Uhr griffen dann die
1. preußische Armee unter dem Prinzen Friedrich Karl und die
Elbarmee Herwarths die Österreicher von Westen und Südwesten her
an. Der erste wütende Kampf entspann sich um den Ort Sadowa an der
Bistritz. Nur mit allergrößter Anstrengung konnten sich die
Preußen hier gegen die Gegenstöße der Österreicher
behaupten. Nicht minder hartnäckig setzten sich die Weißröcke
gegen die Truppen Herwarths zur Wehr, als dieser die Bistritz zu
überschreiten versuchte. Nur unter der allergrößten
Aufopferung seiner Truppen vermochte Herwarth schließlich die Forcierung
des Baches doch zu erzwingen, und nun spielte sich um die Dörfer Prim
und Problus ein erneutes erbittertes Ringen ab. Am blutigsten ging es jedoch im
Nordwesten in dem Walde bei Swiep und Hola her, der mehrmals seinen Besitzer
wechselte.
Die Entscheidung stand auf des Messers Schneide. Mit beispielloser Bravour
hatten sich die eingesetzten österreichischen Regimenter gegen die
Mittagszeit überall Luft gemacht. Prinz Friedrich Karl mußte jetzt
bereits seine letzten Reserven vorziehen, um sich gegen die mit immer
größerer Wucht vorgetragenen Angriffe zu behaupten. Da wurde
Benedek plötzlich das Herannahen der Vortruppen Kronprinz Friedrich
Wilhelms im Norden gemeldet. Sofort ließ Benedek jetzt die in Reserve
stehenden Korps Thun und Festetics einschwenken. Ein Teil dieser Korps hatte
sich aber gegen den ausdrücklichen Befehl Benedeks in die [252] Kämpfe mit der
1. preußischen Armee mit hineinreißen lassen. Lange Zeit über
die Entfernung und Richtung des anmarschierenden Kronprinzen im unklaren,
gelang es ihnen jetzt nicht mehr, die anbefohlene Verteidigungsstellung
rechtzeitig einzunehmen. Sie wurden trotz eines letzten Versuches Benedeks, das
preußische Zentrum zu sprengen, überrannt. Als jetzt die
preußische Gardedivision unter General Hiller eine Lücke in der
österreichischen Aufstellung östlich des Swiepwaldes
erspähend die Höhen von Chlum angriff, gelang ihr gegen
3 Uhr nachmittags die Sprengung der österreichischen Schlachtfront.
Das Ringen, das sich nach der Wegnahme Chlums jetzt mit erneuter Heftigkeit
entspann, galt in Wirklichkeit nur mehr der Deckung des österreichischen
Rückzuges. Doch gerade während dieser Kämpfe schlugen
sich die österreichischen Soldaten neuerlich mit außerordentlicher
Tapferkeit.
[263]
Bis zum letzten Geschütz. Episode aus der Schlacht bei Chlum
(Königgrätz).
Österreichische Artillerie bei Königgrätz. Nach einem
Gemälde von Rudolf von Ottenfeld. (Österreichische Lichtbildstelle,
Wien)
|
Um 4 Uhr nachmittags gaben die Österreicher dann den Kampf auf. Ein
großartig angesetzter Kavallerieangriff mußte jetzt den weiteren
Rückzug sichern. Geführt von
Windisch-Grätz, ermöglichten die sich ebenfalls opfernden Reiter
der Armee die Lösung vom Feinde. Wer aber bis zuletzt standhielt und
ungeachtet der auf sie eindringenden preußischen Infanterie
buchstäblich bis zum Tode des letzten Kanoniers ihre Kartätschen
verschoß, das war die österreichische Artillerie. Im weiten Bogen
auffahrend, ihre Gespanne und schweren Kanonen rücksichtslos über
die in den zahlreichen Hohlwegen liegenden Schwerverwundeten jagend, setzte
vor allem die Armee-Geschützreserve dem nachdrängenden Gegner
einen langen, nicht überwindbaren Feuerwall entgegen. Allen voran opferte
sich die "Batterie der Toten" des Steiermärkers Hauptmann von der
Groeben. "Als wir über das Schlachtfeld ritten", setzt Moltke dieser
Batterie in seinen Denkwürdigkeiten selbst ein unvergängliches
Denkmal, "fanden wir noch Teile jener großen
Batterie - der österreichischen
Armee-Geschützreserve -, welche so lange unser Vordringen
verhindert hatte, aber Pferde und Mannschaften lagen neben den
zertrümmerten Geschützen hingestreckt. Die treffliche
österreichische Artillerie, welche bis zum letzten Augenblicke standhielt,
hatte den Abzug ihrer Infanterie verschleiert."
[246]
Österreichische Kavallerie attackiert preußische
Dragoner in der Schlacht bei Königgrätz, 3. Juli 1866.
Nach einem Gemälde von Wenzel Sochor. (Österreichische
Lichtbildstelle, Wien)
|
Der Rückzug der österreichischen Armeen wandelte sich jetzt jedoch
immer mehr zur regellosen Flucht. Obwohl die Preußen infolge ihrer
eigenen großen Erschöpfung nicht nachdrängten,
strömten die Verbände in einer sich von Stunde zu Stunde
steigernden Unordnung nach den Festungen Königgrätz und
Josefstadt. Erst allmählich brachte Benedek wieder Ordnung in das
Durcheinander. Während die Preußen, ohne sich um die in ihrem
Rücken verbleibenden Festungen zu kümmern, wieder in getrennten
Heersäulen auf die Donau zu marschieren und
zu- [253] letzt auch
Olmütz unbeachtet ließen, zog sich der österreichische
Oberbefehlshaber nach zwei weiteren verlustreichen Gefechten bei Dub und
Tobitschau gegen Ungarn zurück. Ein kaiserliches Telegramm enthob ihn
jetzt von seinem Posten und setzte den Sieger von Custozza, Erzherzog Albrecht,
an seine Stelle.
Dieser hatte, während sich die große Tragödie der
österreichischen Nordarmee vollzog, mit der in Italien stehenden Armee
erfolgreich gekämpft. Da die italienische Herresleitung die
Vorschläge Moltkes über ein gemeinsames Vorgehen im Sinne der
alten napoleonischen Feldzüge mit der Richtung auf Wien nicht einhielt
und ihre Kräfte zersplitterte, glückte den Österreichern ein
vernichtender Schlag gegen die feindliche Hauptarmee bei Custozza. Der
Bajonettsturm des Kärntner Infanterieregiments Nr. 7 auf den
dominierenden Monte Croce entschied nach zwölfstündigem,
heißem Ringen die Schlacht.
[245]
Vormarsch österreichischer Infanterie auf dem Monte
Belvedere bei Custozza, 21. Juni 1866.
Nach einem Gemälde im Wiener Heeresmuseum.
(Österreichische Lichtbildstelle, Wien)
|
Wenige Wochen später traf die junge italienische Wehrmacht neuerdings
ein furchtbarer Schlag. Geführt von dem Konteradmiral Wilhelm von
Tegetthoff, griff die kleine österreichische Flotte die die befestigte Insel
Lissa bombardierenden feindlichen Seestreitkräfte an. Nach einem
dramatischen Kampf wurde der italienische Flottenchef gezwungen, unter
schweren Verlusten den Kampf abzubrechen.
Die Südarmee wurde inzwischen mit der neuerbauten Semmeringbahn eilig
nach Norden geworfen. Durch Vereinigung mit einem Teil der um Wien
zurückgebliebenen Truppen der Nordarmee raffte Erzherzog Albrecht jetzt
in aller Eile nochmals 160 000 Mann zusammen. Gestützt auf das
linke Donauufer und im Umkreis der Hauptstadt rasch aufgeworfene Schanzen,
erwartete er den Anmarsch des Gegners. Da griff Bismarck ein und hemmte die
Fortführung weiterer militärischer Operationen. In der Absicht,
Österreich nicht zu demütigen und sich in dem Gegner von heute
einen Bundesgenossen für morgen zu sichern, wandte er sich auf das
entschiedenste gegen die völlige Zertrümmerung des
Habsburgerreiches. Noch während bei Blumenau die Salven miteinander in
einen Kampf verwickelter preußischer und österreichischer
Heeresteile krachten, begannen in dem Städtchen Nikolsburg die ersten
Verhandlungen. Am 26. Juli 1866 beendigte der in der gleichen Stadt vereinbarte
Friedensschluß den blutigen Bruderkampf. Österreich verlor
außer Venetien keinen Streifen Landes. Nur die Rechte auf Holstein verlor
es. Selbst die Kriegsentschädigung in der Höhe von
40 Millionen Talern kam zur Hälfte auf Kosten des gemeinsamen
Feldzuges gegen Dänemark in Abzug. Dafür schied das
Österreich Habsburgs jedoch endgültig aus dem Deutschen Bunde
aus. Die Niederlagen brachten außerdem die Einverleibung Hannovers,
Kur- [254] hessens, Nassaus,
Hessen-Homburgs und Frankfurts an den preußischen Staat, legten aber
Bayern nur milde Bedingungen auf. Sachsen blieb unversehrt. Außerdem
stimmte Österreich der Schaffung eines Norddeutschen Bundes unter
Preußens Führung zu. Die tausendjährige Verbindung der
österreichischen Lande mit Deutschland war damit für
zweiundsiebzig Jahre gelöst. Habsburgs Machteinfluß aber wurde am
Tage von Nikolsburg
für alle Zeiten gebrochen. Der Bau, den Bismarck
jetzt über dem Totenfeld von Sadowa errichtete, war zwar ein
mächtiges, aber doch kleindeutsches Reich. Erst als ein Sohn der Ostmark
über dem Reich der Siege von 1870/71 und des tragischen
Zusammenbruches von 1918 in den
März- und Oktobertagen des Jahres 1938 Großdeutschland errichtete,
erlebte das Opfer der Toten von 1866 seinen bindenden und niemals mehr
trennenden Sinn!
|