IV. Übersicht über die
Wirtschaftsentwicklung
1. Wirtschaftlicher Lagebericht
(Forts.)
d) Die Außenhandelsbilanz
Kann man die Außenhandelsbilanz eines Staates nicht in jedem Fall als das
Spiegelbild für seine Wirtschaftsentwicklung ansehen, so läßt
sie für die Tschechoslowakei mit ihrer Exportindustrie doch weitgehende
Schlüsse zu, betrug doch der Ausfuhrüberschuß bisher rund 40
Milliarden Kronen, d. s. rund ein Viertel der gesamten
Staatseinnahmen.
Die Ziffern der Außenhandelsbilanz der Tschechoslowakei
(Siehe Anhang Tabelle
VI) geben ein gutes Bild von den
Konjunkturentwicklungen. Ebenso wie der
Ein- und Ausfuhrrückgang im Jahre 1923 nur zu rund je 10 Milliarden auf
die Aufwertung der Krone zurückzuführen ist, so verdankt die
Tschechoslowakei andererseits der im Jahre 1934 vorgenommenen Devalvation
der Krone das Anziehen der Ausfuhr und Einfuhr im gleichen Jahre. Die
absteigende Tendenz des Jahres 1934 zeigt, daß die durchgeführten
Währungsmaßnahmen nicht den erwarteten Erfolg zeitigten.
Zur wertmäßigen Beurteilung der Außenhandelsbilanz sei im
folgenden eine Übersicht der amtlichen Gesamtindices der
Großhandelspreise in der Tschechoslowakei in Gold
(1914 = 100) nach dem Kurs des amerikanischen Dollars an der
Prager Börse angedeutet:
Jahr |
Jahresdurchschnitt |
1922 |
145,2 |
1923 |
139,6 |
1924 |
141,3 |
1925 |
145,0 |
1926 |
137,5 |
1927 |
141,5 |
1928 |
141,6 |
1929 |
133,5 |
1930 |
118,6 |
1931 |
117,5 |
1932 |
108,2 |
1933 |
101,3 |
1934 |
98,2 |
1935 |
100,2 |
In den Jahren 1920 bis einschließlich 1929, dem Jahrzehnt wirtschaftlicher
Konjunkturentwicklung, betrug
die Einfuhr |
177.847 |
Millionen |
die Ausfuhr |
207.075 |
" |
Die Handelsbilanz war mit 29.228 Millionen —.— aktiv.
[200] Mit dem Jahre 1930
begann der katastrophale Rückgang:
Einfuhr |
54,919 |
Millionen |
Ausfuhr |
57.955 |
" |
Die Zahlen beziehen sich auf 6 Jahre, also auf rund zwei Drittel des obigen
Zeitraumes, und weisen auf, daß die
Einfuhr- und Ausfuhrwerte in den letzten 6 Jahren um 1⁄3 bezw. 1⁄4 gesunken
sind. Der Einfuhrüberschuß aber ist auch 1⁄6 zurückgegangen.
Innerhalb der letzten Jahre hat sich aber auch eine wesentliche Verschiebung in
der Reihenfolge jener Staaten vollzogen, die als Abnehmer tschechoslowakischer
Waren in Betracht kommen. Über die diesbezügliche Entwicklung
gibt die nachstehende Zusammenstellung, die jene 10 Staaten umfaßt, die
gegenwärtig die besten Abnehmer der CSR sind, hinreichend
Aufschluß. Die tschechoslowakische Ausfuhr betrug (in Tausend Kc):
Nach |
1934* |
1933 |
1931 |
1929 |
Deutschland |
1,564.874 |
1,045.195 |
2,040.214 |
3,973.221 |
Österreich |
769.411 |
720.830 |
1,796.449 |
3,074.034 |
U.S.A. |
494.142 |
428.034 |
804.687 |
1,471.951 |
England |
465.652 |
359.789 |
1,355.955 |
1,420.132 |
Rumänien |
270.615 |
221.465 |
340.679 |
769.684 |
Frankreich |
289.470 |
323.666 |
460.664 |
323.449 |
Schweiz |
305.090 |
269.794 |
466.578 |
559.106 |
Holland |
271.152 |
266.232 |
423.948 |
441.701 |
Südslawien |
252.819 |
197.157 |
832.213 |
1,154.595 |
Italien |
213.225 |
163.368 |
337.565 |
560.267 |
* Die Zahlen für 1935 sind auf Seite 101
angegeben. |
Der vorstehenden Zusammenstellung kann man mit aller Deutlichkeit entnehmen,
wie stark sich der tschechoslowakische Außenhandel verschoben hat.
Wohl führt Deutschland noch immer, aber die Ausfuhr dahin ist seit 1925
um mehr als 2 Milliarden zurückgegangen trotz der 1934 vor
Einführung des "Neuen Planes" stark gesteigerten Ausfuhr.
Die Gruppe Deutschland - Österreich - Ungarn war in den letzten Jahren an
der tschechoslowakischen Ausfuhr durchschnittlich mit 45 v. H.
beteiligt, während die Weststaaten Frankreich und England trotz der
eifrigsten Propaganda kaum 11% der tschechischen Ausfuhr aufnahmen.
Die Handelsbeziehungen nach dem Südosten, der die Tschechoslowakei
seit der Schaffung der "Kleinen Wirtschaftsentente" ihre besondere
Aufmerksamkeit widmet, zeigen folgendes Bild:
[201]
|
Einfuhr aus: |
|
Ausfuhr nach: |
|
1935 |
1934 |
1933 |
1935 |
1934 |
1933 |
|
in Millionen Kronen |
in Millionen Kronen |
Jugoslawien |
362,5 |
199,8 |
230,9 |
318,2 |
252,9 |
197,4 |
Rumänien |
260,0 |
185,7 |
176,7 |
383,3 |
271,1 |
222,2 |
|
|
|
Kleine Entente |
622,5 |
385,5 |
407,6 |
701,5 |
524,0 |
419,6 |
Bulgarien |
70,7 |
28,5 |
47,1 |
91,7 |
23,7 |
19,5 |
Griechenland |
55,1 |
51,7 |
41,6 |
63,6 |
51,8 |
23,0 |
Türkei |
74,4 |
35,4 |
83,0 |
77,8 |
154,6 |
69,8 |
|
|
|
Balkanländer insgesamt |
822,7 |
501,1 |
579,3 |
934,6 |
754,1 |
531,8 |
Der größte Ausfuhrzweig ist die Ausfuhr in Textilien. Sie ist fast
doppelt so groß wie die Ausfuhr von Metallen und Metallfabrikaten, mehr
als dreifach so groß wie die Ausfuhr von Nahrungsmitteln aller Art.
Aufsteigende Tendenz hatten bis zur Weltkrise in erster Linie Textil, Leder,
Keramik und Metalle, also Industriezweige, die Teile der sudetendeutschen
Industrie bilden.
Ausfuhren.
In Milliarden Kc heutigen Goldwerts |
Jahres-
durchschnitt |
Textil |
Leder |
Metalle |
Holz u.
Papier |
Keramik |
Kohle |
Ernährung |
1920/23 |
4,3 |
0,4 |
1,9 |
1,2 |
1,3 |
0,9 |
--- |
1924/26 |
5,9 |
0,6 |
2,1 |
1,5 |
1,6 |
1,0 |
3,4 |
1927/29 |
7,1 |
1,5 |
3,1 |
1,6 |
1,8 |
1,0 |
2,8 |
1930 |
5,9 |
1,4 |
3,2 |
1,2 |
1,6 |
0,8 |
1,8 |
1933 |
1,3 |
0,3 |
0,8 |
0,4 |
0,1 |
0,4 |
0,6 |
1934 |
1,7 |
0,4 |
1,1 |
0,7 |
0,2 |
0,5 |
0,6 |
1935 |
1,5 |
0,4 |
1,2 |
0,6 |
0,1 |
0,3 |
0,5 |
Dieser katastrophale Rückgang in diesen Hauptexportzweigen der Industrie
gibt ein erschütterndes Bild des Exportverfalles überhaupt. Bedenkt
man, daß in all den letzten Jahren fast ausschließlich nur die
tschechische Exportindustrie staatlich gestützt und gefördert wurde,
so spiegeln diese Zahlen bereits deutlich die Lage der sudetendeutschen
Industrie.
e) Gewerbe und Kleinhandel
Ein anschauliches Bild von der Lage des Gewerbes und Kleinhandels vermittelt
die folgende Darstellung des Brüxer Handelsgremiums für sein
Amtsbereich im nordwestböhmischen Braunkohlengebiet, die aber bei der
vorwiegend industriellen Struktur des Sudetendeutschtums auch für die
anderen Siedlungsbereiche Geltung hat:86
[202] "Die traurige Lage des Handelsstandes
wird insbesondere dadurch verschärft, daß nach wie vor der Zustrom
unglücklicher, eine neue Existenz suchender Krisenopfer zum
Handelsgewerbe anhält. Im Jahre 1934 betrug z. B. die Zahl der im
Bereich des Brüxer Handelsgremiums neu angemeldeten Handelsgewerbe
198, die der Abmeldungen 130. Etwa zwei Drittel der Neuanmeldungen sind als
Versuch zu werten, eine neue Existenz zu gründen. Solche der
Verzweiflung entspringende Versuche sind zu baldigem Scheitern verurteilt und
haben nur zur Folge, daß die bedauernswerten Rettungsuchenden noch
tiefer ins Verderben gestürzt werden, nachdem sie den berufenen
Kaufleuten nicht nur durch ihre auf kalkulationsloser Preisschleuderei beruhenden
ungesunden Konkurrenz, sondern auch dadurch enormen Schaden zugefügt
haben, daß sie deren Ruf schädigen und eine ersprießliche
Unternehmertätigkeit vereiteln.
Der unbefugte Hausierhandel, gleichfalls eine
Folgeerscheinung der bestehenden Arbeitslosigkeit, hat bereits einen derartigen
Umfang angenommen, daß er für den legitimen Handel nicht nur eine
unberufene Konkurrenz, sondern eine ausgesprochene Gefahr darstellt, welche ihn
um die letzte Verdienstmöglichkeit zu bringen droht. Zieht man ferner in
Erwägung, daß die bestehenden Einheitspreisgeschäfte, das
dicht gelegte Netz der Fabriksverkaufsstellen sowie die sich nicht immer in den
Grenzen ihrer Befugnisse haltenden Konsumvereinsfilialen unter weitaus
günstigeren Bedingungen als der legitime Handel den Wettbewerb
aufnehmen können, und daß ein diesbezüglicher Schutz der
Kaufmannschaft trotz aller Bemühungen bisher nicht zu erzielen war, so
kommt man zu der Erkenntnis, daß die Existenz des Handelsstandes erstlich
in Frage gestellt ist.
Sehr ungünstig wirkte sich auch die Kürzung
der Bezüge der Staatsangestellten aus, deren jetziges Einkommen vielfach
kaum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse ausreicht.
Eine weitere einschneidende Maßnahme ist
für die Kaufmannschaft die Getreidezwangswirtschaft, der zufolge
Konsumvereine und landw. Lagerhäuser das ganze Geschäft an sich
reißen, wie denn überhaupt die Konkurrenz der Lagerhäuser
für den Handel immer fühlbarer wird, zumal auch diese ihren
Berechtigungsumfang nicht selten überschreiten.
Die Textilbranche hat eine äußerst
ungünstige Lage aufzuweisen. Besondere Erwähnung verdient der
Umstand, daß vorwiegend den billigen Warensorten der Vorzug gegeben
wurde, weil das gesamte kaufende Publikum an der bestehenden Krise mehr oder
weniger beteiligt ist. Außerdem ist es zu einer beträchtlichen
Lagerentwertung gekommen.
Die überaus schlechte Beschäftigung im
Baugewerbe ist zum nicht geringen Teil auf den hohen Debetzinssatz der Banken
und die Unmöglichkeit, Kredite auf Realitäten zu erlangen,
zurückzuführen. Hierdurch wurden auch die mit dem Baugewerbe
zusammenhängenden Handelsgewerbe,
Eisen- und Baumaterialge- [203] schäfte, stark in
Mitleidenschaft gezogen, deren Umsatz mitunter bis 40 Prozent unter Normal
zurückgegangen ist.
Weitere Branchen weisen annähernd folgende
Umsatzrückgänge auf: Lebensmittel 9 Prozent. Der Rückgang
in Handarbeitsgeschäften beträgt an die 50 Prozent, in Bijouterie und
Parfümerie 40 Prozent, Glas- und Porzellanwaren 25 Prozent, Kanditen mit
Rücksicht auf die Konkurrenz der Fabriksfilialen 30 Prozent, Spielwaren
25 Prozent. Daß der Schuhwarenhandel infolge des Vorgehens einer Anzahl
von Schuhfabriken (vor allem Bata) dem Aussterben nahe ist, braucht nicht
besonders erwähnt zu werden.
Nach der Einführung des Schuldenmoratoriums an
die Landwirtschaft hat obendrein die Mißernte im Jahre 1934 dem Handel
schweren Schaden zugefügt. Landwirte, die bisher noch imstande und
gewillt waren, ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber Handel und
Gewerbe nachzukommen, sind hierzu infolge des katastrophal geringen
Ernteertrages nicht mehr in der Lage.
Der anhaltende wirtschaftliche Stillstand bringt es mit
sich, daß heute bereits alte, angesehene und ehedem gut fundierte Firmen
sich entschließen, das Feld jahrzehntelanger Arbeit zu räumen. So
werden dem Vernehmen nach zu den bereits leerstehenden
Geschäftslokalen in allernächster Zeit weitere hinzukommen, ein
Beweis dafür, wie schwer es heute manchem Kaufmann fällt, sich im
aufreibenden Existenzkampf zu behaupten.
Ungeachtet dieser trostlosen Lage der Kaufmannschaft
erfolgt deren Besteuerung, vielfach abweichend vom eingebrachten Bekenntnis,
höher, ohne daß das im Gesetz vorgesehene Vorhaltsverfahren
angewendet würde. Zwangseintreibungen werden durchgeführt, ohne
daß auf die Gefährdung der Existenz Rücksicht genommen
wird. Bei einer Anzahl zwangsweiser Verkäufe wurden ganze Warenlager
zu einem Bruchteil des tatsächlichen Wertes verschleudert. Dadurch
wurden die betroffenen Kaufleute ruiniert, während die betreibenden
Parteien kaum die Kosten des Verfahrens decken konnten. Andererseits wurde der
ortsansässigen soliden Kaufmannschaft durch die Verschleuderung der
Waren beträchtlicher Schaden zugefügt."
Im nordböhmischen Industriegebiet aber haben sich die Verhältnisse
so verschlechtert, daß an eine Beseitigung der aufgetretenen Schäden
überhaupt nicht geglaubt wird. Das nördlichste Böhmen war
eines der allerersten Gebiete im ganzen Lande, das sich durch Fleiß und
Tüchtigkeit eine Industrie schuf, die mit ihren Erträgnissen
maßgebliche Zuschüsse an die kommunalen Kassen abführen
konnte und in gleicher Weise zur Rentabilität der staatlichen
kaufmännischen Betriebe beitrug.
Nach Jahrzehnten wirtschaftlichen Aufstieges liegen die Dinge heute so,
daß der größte Teil der Erzeugungen wohl fast aller Branchen
auf unabsehbare Zeit gänzlich überflüssig bleiben wird. Auch
eine nach und nach zunehmende Besserung [204] der Weltwirtschaftslage
läßt Industrie- und Gewerbefriedhöfe zurück. Man
braucht nur an die beträchtlichen Abwanderungen zu denken, an die
tatsächliche Verschleppung bodenständiger Industriezweige, an die
Industrialisierung rein landwirtschaftlicher Gebiete. Was das Ausland
früher nur in Nordböhmen kaufen konnte, das kann es heute selbst
herstellen. In der Textilbranche z. B. wurden Samtfabriken und solche
für andere Stoffe in Polen, Ungarn, Südslawien, Rumänien, in
der Türkei, in England mit allen seinen Kolonien und Dominions errichtet,
die heute so weit sind, daß die Industrie ihrer Konkurrenz selbst bei flottem
Geschäftsgange nicht mehr begegnen kann. Genau so ist es in der
Metallindustrie. In Staaten, die früher kaum eine gleichwertige Fabrik
besaßen, wird mit Ausnahme verschiedener
Qualitäts- und Spezialware schon der ganze Bedarf gedeckt, und es wird
nicht mehr lange dauern, dann erwachsen auch hier nicht ernst genug zu
nehmende Konkurrenten. Sparterie und Stoffmalerei, noch 1929 fast Monopol des
Niederlandes, sind in Rußland, Skandinavien, England usw. zu
Hause. Heute gibt es keine Erzeugungsmöglichkeiten und später
bestimmt nur allzu geringe, und es werden Jahre um Jahre vergehen
müssen, ehe ein solches Risiko einen fühlbaren Erfolg zu bieten
vermag.
Von ausschlaggebender Bedeutung aber war die Umschichtung im Staate selbst.
Im Inneren Böhmens und in Mähren gibt es seit einigen Jahren
Konkurrenzfabriken. Sie versorgen ihre engere und weitere Umgebung, und sie
liefern ins Ausland und befinden sich fast durchwegs in tschechischem Besitze.
Die deutsche Industrie des Niederlandes ist nebensächlich geworden, sie
hat keinen entscheidenden Einfluß mehr, sie
ist - verdrängt! Ein Kampf ist aussichtslos.
Der Übergang zur Kurzarbeit und Schichtenturnus, Aussteuerungen und die
kaum über die Unterstützungen der Ernährungsaktion
hinausragenden Verdienste der Blumenarbeiter, kleine Notstandsarbeiten der
Gemeinden und ähnliche Erscheinungen sind allein die Ursache, daß
ziffernmäßig weniger Arbeitslose als in den Vorjahren in
Erscheinung treten. Maßgebend für den tatsächlichen Zustand
unseres Wirtschaftslebens kann heute nur die Kaufkraft der Bevölkerung
bleiben. Es ist absolut keine Besserung, wenn bei angenommen 100.000
Einwohnern 2 bis 3000 Arbeitslose weniger vorhanden sind, aber der
Gesamtverdienst aller Arbeitenden bis zu 35% gegenüber Jahresende 1933
zurückgegangen ist. Stundenlöhne von 1 Kc
(10 Pfennig) sind keine Seltenheit. Die Beamten und Angestellten beziehen
heute mitunter kaum 50% ihres früheren Einkommens. Die Umsätze
im Handwerk und Handelsgewerbe blieben ausnahmslos weit zurück.
Neben der fortschreitenden Verschuldung der Landwirtschaft, die sich aus
derselben unmöglich befreien kann, schreitet die buchstäbliche
Verarmung und Verelendung des Mittelstandes unaufhaltsam vor.87
[205]
Walzwerk in Mähren. Im alten Österreich lag
der größte Teil der Eisen- und Stahlindustrie auf dem jetzigen
tschechoslowakischen Staatsgebiet. 1913 wurden 1,3 Millionen Tonnen Roheisen
und 1,4 Millionen Tonnen Rohstahl verarbeitet. Heute nützen die Werke in
Böhmen und Mähren kaum dreißig vom Hundert ihrer
Erzeugungsmöglichkeiten aus, im Vollbetrieb sind nur die Kriegsmaterial
erzeugenden Betriebe.
|
[205] Die Wirtschaftsnot im
sudetendeutschen Gebiet ist ungeheuer groß. Hunderte von Fabriken und
Betrieben sind zum Stillstand gekommen. Mit Fug und Recht darf behauptet
werden, daß das sudetendeutsche Gebiet ein einziger großer
Industriefriedhof geworden ist. Eine nähere Untersuchung der
wirtschaftlichen Verhältnisse der rein deutschen Stadt Graslitz im
Erzgebirge ergibt z. B., daß dieser Industrieort gegenwärtig bei
rund 13.800 Einwohnern nahezu 2600 erfaßte Arbeitslose zählt. Von
30 größeren, gegenwärtig noch in Beschäftigung
stehenden Betrieben vermochten im Zeitraume von 1928 bis 1935 nur 4 die Zahl
der beschäftigten Arbeiter zu steigern. In allen übrigen Betrieben trat
eine wesentliche Verminderung der Belegschaft ein. In 7 Betrieben der
Instrumentenerzeugung waren beispielsweise im Jahre 1928 noch 655, derzeit
sind jedoch nur noch 211 Arbeiter beschäftigt. In allen 30 Betrieben
standen im Jahre 1928 noch 3125, gegenwärtig dagegen stehen in
denselben nur noch 1618 Arbeiter in Beschäftigung. Somit nur wenig mehr
als die Hälfte der im Jahre 1928 Beschäftigten. Die Zahl der
Heimarbeiter läßt sich natürlich sehr schwer erfassen, sie ist
jedoch außerordentlich stark zurückgegangen. So
beschäftigten z. B. 6 Betriebe der Stickerei- und Gardinenerzeugung
1928 noch 1310, heute dagegen nur noch 436 Heimarbeiter. Vollständig
eingestellt [206] wurden im Jahre 1934
drei Betriebe, die 1928 noch 606 Arbeitern und 1800 Heimarbeitern
Beschäftigung boten. 1929 waren bei der
Bezirkskrankenversicherungsanstalt Graslitz noch 10.561, davon aus der Stadt
Graslitz allein rund 5000 Personen versichert. Am 31. Dezember 1934 dagegen
nur noch 4095, davon aus Graslitz selbst 2313. Katastrophal ist vor allem der
Niedergang der Instrumentenindustrie, die in Graslitz ihren Hauptsitz hat,
oder - besser gesagt - hatte. Der starke
Beschäftigungsrückgang in dieser Industrie ist vor allem auf die
Tatsache zurückzuführen, daß es sich bei ihr um eine
ausgesprochene Exportindustrie handelt, die ungeheuerlich unter den
herrschenden Devisenschwierigkeiten leidet. Im deutschen Erzgebirge, im
Graslitzer Industriezentrum wurden dadurch tausende und abertausende
arbeitsfreudige und arbeitswillige Menschen auf das schwerste in ihrer Existenz
bedroht. Sie sind seit Jahren der größten Not und dem
größten Elend, damit aber auch der ärgsten Verzweiflung
preisgegeben.
Als einer der industriereichsten Teile des sudetendeutschen Gebietes ist die rein
deutsche Stadt Aussig mit ihrer ganzen Umgebung anzusehen. Obwohl einige
Industriezweige (die Weltfirma Schicht, verschiedene chemische
Industrien u. a.), die von der Krise nicht so schwer betroffen wurden,
hier ihren Wohnsitz haben, so macht sich trotzdem der ungeheuere
Wirtschaftsverfall in Industrie und Gewerbe genau so bemerkbar wie in den
anderen sudetendeutschen Gebieten.
Gänzlich stillgelegt wurden die Betriebe: Nestomitzer Zuckerfabrik (mit
800 Arbeitsnehmern), Aussiger Malzfabrik (20), Vereinigte Färbereien
A. G. (18), Aussiger Eschebachwerke (40), Chem. Werke Color (207),
A. G. für chem. Industrie Schreckenstein (16),
Union-chem. Werke (120), Breitfeld & Danek (236) und mehrere
kleinere.
Sehr stark eingeschränkt wurden die Betriebe
"Union"-Glasindustrie A. G. (frühere Jahreserzeugung 50 Mill.
Flaschen, jetzt 15 - 20 Mill.), Schulz G. m. b. H.
Putzmittel (20 Mill. Dosen - ungef. 10 Mill.), Bürgerliches
Bräuhaus (100.000 hl - 40.000 hl), Verein f. chem. und
metall. Produktion (früher 4000 Arbeitnehmer, jetzt 1800), Zuckerfabrik
Aussig-Schönpriesen (1200 - 650) und eine große Anzahl
kleinerer Betriebe.
In diesem Zusammenhange muß auch die Schrumpfung des
Güterumschlages im Aussiger Hafen erwähnt werden. In Aussig
besorgten den Umschlagverkehr früher 7 Krane, in Schönpriesen 10,
heute ist der letztere Platz vollkommen aufgelassen, und in Aussig genügen
zur Löschung der Güter 3 - 4 Krane. Dies ist nicht
verwunderlich. Denn früher wurden nach Deutschland von 200
Männern und 400 Frauen täglich 1000 bis 1800 Waggons Kohle
umgeschlagen, heute selten mehr als 10 - 20 und das gleiche
Verhältnis gilt auch für die anderen Güter. Der gleiche Verfall
wie in der Industrie ist aber auch im Gewerbe eingetreten.
[207] Unter
Berücksichtigung all dieser Umstände nimmt es nicht wunder,
daß die Kohlendiebstähle am Aussiger Rangierbahnhof und auf der
Seilschwebebahn derartige Formen annehmen, daß bewaffnete Wachen
eingestellt werden mußten. Auch den eingestellten Flurwächtern ist
es beinahe unmöglich, Diebstähle auf den Feldern zu verhindern.
[207]
Die Arbeitslosigkeit im Reichenberger Kammerbezirk vs. im
tschechoslowakischen Staat.
|
Im August 1936 besuchte Staatspräsident Dr. Benesch die Metropole des
nordböhmischen Industriegebietes Reichenberg. Zur Ergänzung der
unmittelbaren Eindrücke, die der tschechische Staatspräsident von
dem Besuch des deutsch-böhmischen "Manchester" gewinnen sollte, hat
ihm der Präsident der Handelskammer für das nordböhmische
Industriegebiet, der Großindustrielle Theodor Liebig im Namen
der Kammer sowie der industriellen, gewerblichen und kaufmännischen
Organisationen eine Denkschrift überreicht, in der die katastrophaler
Wirtschaftslage des fast vorwiegend deutschen Nordböhmens wie folgt
dargestellt wird:
"Das hohe Niveau, das die Wirtschaft
des Reichenberger Kammersprengels erreicht hat, ist das Ergebnis angestrengter
und zielbewußter Arbeit vieler Generationen. Ein technisch und
kaufmännisch durchgebildetes, ernstes und erfinderisches Unternehmertum,
eine Armee arbeitsamer und hervorragend tüchtiger Angestellter und
Arbeiter haben es in erfolgreichem Wettbewerb mit den fortgeschrittensten und
reichsten Industriestaaten zustande gebracht, daß die heimischen
Erzeugnisse der verschiedensten Art in der ganzen Welt leicht und gern
Abnehmer gefunden haben.
Um so beklagenswerter ist der Niedergang, den unsere
Wirtschaft im Verlauf der Krisenjahre erfahren hat. Am sinnfälligsten tritt
uns diese Rückbildung in der Entwicklung der Arbeitslosigkeit vor Augen.
Nach der amtlichen Statistik [208] ergibt sich für
die Arbeitslosigkeit im Gebiete der Republik im Juni der Jahre 1933 bis 1936 das
folgende Bild:
1933 |
1934 |
1935 |
1936 |
675.933 |
582.810 |
605.596 |
565.970 |
Die Arbeitslosigkeit im Reichenberger Kammerbezirk veranschaulichen für
die gleichen Zeitpunkte die folgenden Ziffern:
1933 |
1934 |
1935 |
1936 |
121.629 |
96.637 |
96.788 |
92.324 |
Auf je 1000 Einwohner entfielen im Monat Juni der Jahre 1933 bis 1936:
|
1933 |
1934 |
1935 |
1936 |
Im ganzen Staatsgebiet |
45,9 |
39,7 |
41,3 |
38,5 |
Im Kammerbezirk |
96,7 |
79,9 |
76,9 |
73,3 |
Noch entscheidender und ernster als die Arbeitslosenziffern sind die Daten
über die im Lauf der Krisenjahre stillgelegten Betriebe, denn hier handelt es
sich um einen Teil unersetzlichen Verlustes am Volksvermögen und an
wichtigen Voraussetzungen für die Wiedereinschaltung der
beschäftigungslosen Arbeiter in den Produktionsprozeß. Es sind
beispielsweise in den politischen Bezirken Reichenberg, Gablonz, Friedland und
Deutsch-Gabel seit dem Jahr 1922 insgesamt 153 fabriksmäßige
Betriebe dauernd stillgelegt worden."
Die Denkschrift veranschaulicht weiter den Rückgang der
Industrieproduktion, insbesondere den Rückgang des Exportes. Sie beklagt
ferner das vollständige Brachliegen der Bautätigkeit, wobei
besonders bedrückend empfunden wird, daß im Kammerbezirk die
zur Gänze aus staatlichen Mitteln bestrittenen Bauten ausnahmslos und
auch die staatlich subventionierten Bauführungen zu einem großen
Teil an auswärtige Firmen vergeben werden, die auch auswärtige
Arbeiter zur Durchführung dieser Bauten mitbringen. ("Auswärtige
Firmen" sind tschechische - der Verf.)
Die Denkschrift behandelt weiter die Rückwirkungen der Depression auf
den Handel, das Gewerbe und den Fremdenverkehr. Sie verweist dabei darauf,
daß die Gewerbetreibenden Nordböhmens zu einem nicht geringen
Teil auf das Lebensniveau des darbenden Proletariats herabgesunken sind. Die
Hauptursache der Notlage des Gewerbe- und Handelsstandes ist darin zu
erblicken, daß auf der einen Seite die Kaufkraft der nordböhmischen
Bevölkerung infolge der Industriekrise sehr bedeutend gesunken ist, auf der
anderen Seite aber viele Gewerbe- und Handelszweige durch das
Hinzuströmen aus den Kreisen der erwerbslos Gewordenen
überfüllt worden sind.
Was den Fremdenverkehr betrifft, wird der Ausfall der früher sehr
zahlreichen Gäste aus dem Deutschen Reich beklagt, der
hauptsächlich infolge der Anordnung Deutschlands, daß eine Person
ohne besondere Bewilligung nur 10 RM. ins Ausland ausführen darf,
herbeigeführt worden ist.
[209] Die Schilderung der
Tatsachen faßt die Denkschrift wie folgt zusammen:
"Von dem in der Weltwirtschaft
bemerkbaren Aufschwung und auch von der in den zentraler gelegenen Gebieten
unseres Staates zu beobachtenden Besserung ist in Nordböhmen noch so
gut wie nichts zu merken. Seit rund zwei Jahren ist die Depression in keinem
anderen Gebiet Europas so nachhaltig, wie im nordböhmischen
Industriegebiet. Diese Auswirkungen sind nicht allein wirtschaftlicher Natur. Die
jahrelange Ausschaltung aus der Arbeit hat viele Tausende von Menschen an Leib
und Seele zugrunde gerichtet. Die Erwachsenen verlernen ihre Fertigkeit und sind,
selbst wenn sie Beschäftigung finden, von Hunger und Entbehrungen aller
Art zermürbt, keine vollwertigen Arbeitskräfte mehr.
[209]
Durch die Dörfer und Städte ziehen
hungernde Kinder als Musikanten und Bettler. Bilder wie wir sie nur aus
Sowjetrußland kennen. Tausendfache Anklagen gegen die brutalen
haßerfüllten Maßnahmen der tschechischen Staatsgewalt.
|
Schlimmer noch ist das Schicksal der heranwachsenden
Jugend. Nach den Feststellungen der Ärzte sind in manchen Bezirken bis
80 v. H. der Schuljugend unterernährt. Fälle des
Hungerödems sind nicht selten. Rachitis und Tuberkulose greifen in
schrecklicher Weise um sich. Die jungen Leute, die keinen Beruf finden
können, verzweifeln an der herrschenden Gesellschaftsordnung, die sie
für ihre Lage verantwortlich machen und werden so eine immer mehr
anwachsende Gefahr für den Staat."
[210] Bei der hieran
anschließenden Erörterung der Wege zur Besserung beschränkt
sich die Denkschrift darauf, eine ganz knappe Übersicht dessen zu geben,
was allgemein für das wichtigste gehalten wird.
Darnach muß die Wirtschaft unbedingt von zweckwidrigen Einwirkungen
einer wirtschaftsfremden Gesetzgebung und Verwaltung und von
Einflüssen der Politik, insbesondere der ausgesprochenen Parteipolitik,
befreit werden. Wenn das System, daß sich die jeweils an der Macht
befindlichen Parteien gegenseitig auf Kosten der Industrie, des Handels und
Gewerbes Vorteile zuschanzen, beibehalten wird, so kann die Situation niemals
besser, sondern immer nur noch schlechter werden. Ähnliches gilt auch
hinsichtlich der internationalen Politik. Die große Politik arbeitet, anstatt die
zwischen Gläubiger- und Schuldnerländern bestehenden tiefen
Gegensätze auszugleichen, immer noch auf der unheilschwangeren
Grundlage der Freund-Feind-Ideologie der ersten Nachkriegszeit weiter. Sie
sät Mißtrauen und Nervosität aus und erstickt alle
großzügigen Gedanken, die zu einer Wiederaufrichtung der
Weltwirtschaft führen könnten, im Keim. Die
Gläubigerstaaten sollten hingegen von der eigentlich
selbstverständlichen Erkenntnis ausgehen, daß ihre eigenen
Wirtschaften auf die Schuldnerstaaten als Abnehmer nicht verzichten
können und sie müßten aus dieser Erkenntnis alle Folgerungen
ziehen.
Die Handelsvertragsverhandlungen sollten von höheren Gesichtspunkten
aus als bisher geführt werden, um einen wirklich gegenseitigen Abbau der
vielgestaltigen Handels- und Zahlungshemmnisse zu erreichen und so einen
möglichst umfangreichen internationalen Güteraustausch wieder
herzustellen. Die inländische Handelspolitik soll vor allem die
überragende Bedeutung der Nachbarstaaten für unseren
Güteraustausch berücksichtigen und bestrebt sein, die
naturgegebenen engen Wirtschaftsbeziehungen mit allen Grenznachbarn wieder
herzustellen.
In dem Abschnitt über die so überaus notwendige Erleichterung der
Produktionsbedingungen verweist die Denkschrift zunächst darauf,
daß die Wettbewerbsfähigkeit mit dem Ausland nicht erlangt werden
kann, wenn die öffentlichen Lasten das erträgliche Maß, so wie
dies gegenwärtig der Fall ist, bei weitem übersteigen.
Die Steuerreform schreckt nicht davor zurück, bei den Aktiengesellschaften
und den Gesellschaften m. b. H. konfiskatorische Formen
anzunehmen und dadurch die für das Wirtschaftsleben so überaus
wichtige Kapitalbildung zu verhindern. Leider kann auch der staatlichen
Verwaltung der Vorwurf nicht erspart werden, daß sie auf vielen Gebieten
gerade das Gegenteil davon tut, was notwendig wäre, um den Unternehmer
in der Erfüllung seiner gerade jetzt so außergewöhnlich
schwierigen Aufgaben zu ermuntern und ihm die Zuversicht zu erhalten, die allein
[211] auf dem Boden
gegenseitigen Vertrauens bestehen kann. Die Gesetzgebung und Verwaltung
stehen manchen Lebensbedingungen eines gesunden Unternehmertums nicht mit
dem nötigen Verständnis, ja sogar mit einer gewissen Abneigung
gegenüber. Parlament und Regierung sind zu einer die Bedürfnisse
der Privatwirtschaft vielfach verkennenden oder sogar deutlich gegen sie
gerichteten Reglementierung übergegangen, die das Wirtschaftsleben zu
bürokratisieren droht und auf den staatlichen Verwaltungsapparat eine ihm
wesensfremde und tatsächlich untragbare Verantwortung
überwälzt.
[211]
Die Teichniederungen mit den prächtigen
Wäldern um Hirschberg in Böhmen laden ebenso gastlich
zur Erholung ein wie die weltberühmten Bäder, die Berge im
Norden, Westen und Süden. Früher kamen im Sommer Tausende
Deutsche aus dem
Reich - es sollte wieder so werden.
|
Im Ceske Slovo, dem Organ der tschechischen Nationalsozialisten,
schildert Redakteur Jiri Hejda die Not im deutschen Grenzgebiet wie folgt:
"Das Grenzgebiet von Asch bis
Grulich und weiter bis
Mährisch-Ostrau ist sicher eines der schönsten und romantischsten
der ganzen Republik. Es ist touristisch gut ausgebaut und war früher immer
zahlreich von Reichsdeutschen besucht. Dem Reiz der Gegend konnten auch die
vielen Industrieunternehmen nichts anhaben. Aber der Fremdenverkehr ist heute
fast völlig am Erliegen. Leitmeritz verzeichnete 1932 noch 14.389 Fremde,
die übernachteten, 1934 nur noch 3972,
Böhmisch-Leipa 1932 noch 14.572, 1934 7194, Braunau 5408, bezw. 2877.
In Tetschen sank [212] die Zahl der Fremden
von 91.860 auf 33.814, in Daubau von 27.134 auf 9840, in Trautenau von 143.762
auf 89.608, in Hohenelbe von 73.401 auf 59.029. Der katastrophale
Rückgang ist freilich vor allem auf die Schließung der deutschen
Grenze zurückzuführen. Früher waren alle diese Gebiete auch
im Winter von reichsdeutschen Besuchern besetzt. Sonntagsausflüge
über die Grenze waren allgemein in Schwung.
Ganz Nordböhmen ist ausgesprochenes
Industriegebiet, Landwirtschaft gibt es wenig. Dieses Gebiet war einst die Fabrik
der Republik, die Fabrik Europas, sogar eines großen Teiles der Welt, war
ein blühendes Gebiet. Gablonz war die Stadt der Millionäre, man
zählte ihrer dort mehr als 200. Diese Metropole einer eigenartigen Industrie
mit ihrem Theater, ihren Bädern, den Luxushotels und Restaurants, den
prächtigen Villen zeugt von einstigem Wohlstand. Und welche Stadt der
Republik liegt schöner inmitten hoher Berge und tiefer Wälder als
Reichenberg? Einer solche Promenade, wie sie Reichenberg zwischen dem
Hauptplatz und der Liebighöhe besitzt, kann sich nicht einmal Prag
rühmen.
Der größte Teil der Textilindustrie, die ganze
Flachsindustrie, alle Seidenwebereien, die Jutenindustrie, fast die gesamte
Glasindustrie, die Spitzenerzeugung, die Erzeugung von
Wirk- und Strickwaren, die Porzellanindustrie, die Erzeugung von Spielzeug und
Musikinstrumenten, das alles konzentriert sich fast ganz in Nordböhmen.
Gablonz z. B. versorgte einst monopolartig die ganze Welt mit Perlen,
Glasbungles und imitiertem Schmuck. Schönbach, das böhmische
Cremona genannt, versorgt noch heute die Welt mit
Streich- und Blasinstrumenten, ebenso wie Graslitz und Weipert. Hier lebte der
Musikinstrumentenerzeuger Sax, der schon vor 100 Jahren jenes Instrument
erfunden hatte, das erst in der Gegenwart ungeahnte Verbreitung gefunden hat:
das Saxophon. Und wenn Sie in England ein reizendes, original typisch englisches
Spielzeug kaufen, können Sie sicher sein, daß es aus der Gegend von
Graslitz stammt, wie auch die Skarabäen und Amulette, die die Fellachen
im Schatten der Pyramiden anbieten, Gablonzer Erzeugnis sind.
Heute herrscht in diesem einst blühenden Gebiet
endloses Elend."
So stellt sich die Wirtschaftslage in Industrie und Handel dar. Schon die
gedrängte Darstellung läßt die ungeheure Notlage
erkennen.
f) Der Verfall der Landwirtschaft
In der Entwicklung der Landwirtschaft lassen sich äußerst
interessante Erscheinungen feststellen. Das Ziel der Agrarpolitik lief, wie in allen
Staaten, die einen Ernährungszuschuß brauchen, darauf hinaus, die
Ernährung der Staatsbevölkerung durch eigene Produktion
sicherzustellen. Die allgemeine Kreditkrise hat diese Entwicklung sehr
gefördert. Die Rekordernte 1932 hatte die
Tschecho- [213=Foto] [214] slowakei
der Autarkie bereits sehr nahe gebracht, obwohl 75% der Anbaufläche
reformbedürftig sind.88 Die
Viehzucht hat ebenfalls bedeutende Fortschritte gemacht. Trotz der Intensivierung
der agrarischen Produktion ist die Zahl der in der Landwirtschaft
Beschäftigten gesunken und die Verschuldung landwirtschaftlicher Betriebe
hat erschreckend zugenommen, ganz abgesehen davon, daß die
Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebsführung fast dem
Nullpunkt gleichkommt.
Nach Angaben des statistischen Staatsamtes gehörten 1930 bei der letzten
Volkszählung 5,101.614 Personen der Landwirtschaft an, d. s.
34,64 v. H. Im Jahre 1921 war der Hundertsatz 39,53.
Die Verschuldung der Landwirtschaft hat eine Höhe erreicht, die für
die meisten Betriebe untragbar geworden ist. So betrug allein die Verschuldung
der landwirtschaftlichen Industrie 2.535 Millionen Kc, die der
landwirtschaftlichen Genossenschaften und des Handels mit landwirtschaftlichen
Produkten [215] 1.468,7 Millionen Kc,
die landwirtschaftliche Gesamtverschuldung 16.215,6 Millionen Kc. Hiervon
entfallen 5.937,5 Millionen Kc auf Hypotheken und 10.278,1 Millionen Kc auf
sonstige Verbindlichkeiten. Rechnen wir hiezu die Vorschüsse des
Staatlichen Bodenamtes im Betrage von 542,3 Millionen Kc mit Ende 1932, so
gelangen wir zu einer statistisch festgestellten Gesamtverschuldung der
Landwirtschaft von 16.757,9 Millionen Kc. Berücksichtigt man, daß
in diesem Betrag die Hypotheken, die nicht durch Geldanstalten gewährt
wurden, sowie die außerbücherlichen Schulden, Verbindlichkeiten
für geleistete Arbeiten und Waren usw. (landwirtschaftliche
Maschinen, Kunstdünger usw.) nicht inbegriffen sind, wie auch die
Verschuldung, welche aus Anlaß der Erbteilung entstanden ist, ferner die
Steuer- und Gebührenrückstände, so können wir sagen,
daß die Annahme eines Betrages von 22 Milliarden für die
Gesamtverschuldung der Landwirtschaft Ende 1932 eher zu niedrig als zu hoch
gegriffen ist. Da im Jahre 1919 die Verschuldung der Landwirtschaft 4 Milliarden
betrug, so bedeutet dies eine Mehrverschuldung mit 31. Dezember 1932 von 18
Milliarden.
Im Jahre 1933, wie auch im Jahre 1934, welches ein ausgesprochenes
Mißjahr war, machte die Verschuldung der Landwirtschaft noch weitere
erhebliche [216] Fortschritte und wird
Ende 1934 mit 24 Milliarden angegeben. Inzwischen dürfte sie sich um
weitere Milliarden vergrößert haben.
Der Landbundführer Dr. Adolf Schreitter-Schwarzenfeld hat in einer
ausgezeichneten Arbeit89 die Gründe untersucht, die zur
Verschuldung der Landwirtschaft geführt haben, und hat damit zugleich
eine treffende Charakteristik der Lage der tschechoslowakischen Landwirtschaft
gegeben. Er führt u. a. aus:
"Historisch gesehen liegen die
Ursachen für die Verschuldung der Landwirtschaft darin, daß das
System des wirtschaftlichen Liberalismus, welches von der Annahme ausgeht,
daß jeder Landwirt sein Interesse am besten erkenne, diesen deswegen noch
nicht in die Lage versetzte, sein Interesse auch entsprechend zu wahren. So hat
sich gezeigt, daß die Maßregeln und verwaltungspolitischen
Maßnahmen, welche unter dem Namen Grundentlastung und
Bauernbefreiung bekannt sind, den Landwirten nur scheinbar die volle Freiheit
brachten. Das sogenannte freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte, das
Schlagwort der liberalen Aera, führte, auf die Landwirtschaft
übertragen, dazu, daß der Boden wie eine Ware gehandelt wurde und
der Bauer vielfach in eine neue Schuldknechtschaft fiel, nur daß an Stelle
des Grundherrn das Großkapital und der Großhandel trat und die Fron
nicht mehr in Naturalien, sondern in untragbaren Schuldzinsen besteht.
Wirtschaftlich gesehen liegt der Urgrund für die
Verschuldung immer in einem Mißverhältnis zwischen den
Einnahmen und den Ausgaben des Einzelnen. Die Gründe hiefür sind
teils allgemeiner, teils individueller Art.
Auf der Einnahmenseite liegen die Gründe
für die Verschuldung in dem Rückgange der Einnahmen durch den
Preisverfall der Agrarprodukte, der durch die Weltmarktkonkurrenz, die
Autarkiebestrebungen der einzelnen Staaten und die durch sie bedingte
Erschwerung der Ausfuhr hervorgerufen wurde. Während die Preise der
Industrieprodukte durchschnittlich den zehnfachen Preis gegenüber den
Vorkriegspreisen betragen, erfolgte ein Preissturz bei Weizen, der im Jahre 1922
einen durchschnittlichen Preis von 271,25 Kc hatte und noch im Jahre 1927
236,87 Kc kostete, bis auf 148,92 Kc im Jahre 1931. Noch
katastrophaler war der Preissturz bei Roggen, der 1922 einen Durchschnittspreis
von 222,08 Kc hatte und 1930 bereits auf 99,88 Kc gestürzt
war, um 1933 noch weiter auf 87,40 Kc herunterzugehen. Eine
ähnliche Entwicklung zeigt Gerste, welche 1922 einen Durchschnittspreis
von 207,71 Kc hatte und 1933 auf 86,85 Kc stürzte. Hafer
notierte 1922 durchschnittlich 230,62 Kc und ging bis auf 71,25 Kc
im Jahre 1933 zurück.
Ein weiterer Grund der Verschuldung liegt darin,
daß der Landwirt meist nicht in der Lage ist, sich ein genaues Bild
über die Höhe seiner voraussichtlichen [217] Einnahmen zu machen,
da die landwirtschaftlichen Produkte ständigen Preisschwankungen
unterliegen. Das gleiche gilt für unsere obstbautreibenden Gebiete, welche
schwer unter dem enormen Preisrückgang zu leiden haben. Ähnlich
liegen die Verhältnisse am Viehmarkte, wo der Landwirt heute vielfach zu
Verlustpreisen verkaufen muß, während der Zwischenhandel
gleichbleibende Gewinne erzielt.
Der mangelnde Schutz gegen Elementarschäden ist
ein weiterer Grund für unverschuldete Verschuldung des Landwirtes.
Die Mehrzahl der Gründe für die
Verschuldung der Landwirtschaft liegt jedoch auf der Ausgabenseite. Schon bei
der Übernahme der Landwirtschaft von seinen Eltern wird der Landwirt mit
öffentlichen Abgaben belastet, die einer Vermögensabgabe, bzw.
einer teilweisen Enteignung gleichkommen. Die in bäuerlichen Kreisen
üblichen Übergabsverträge werden nur bei den kleinsten
Betrieben im Werte bis 20.000 Kc wesentlich begünstigt. Selbst bei
Übergabe von Eltern an Kinder wird neben der
Übertragungsgebühr auch die Bereicherungssteuer vorgeschrieben.
Nimmt man den Wert eines mittleren landwirtschaftlichen Betriebes von 10 bis 15
Hektar mit Gebäuden, Geräten und Vieh mit durchschnittlich
250.000 Kc an, so betragen die Gebühren ohne Unterschied, ob es
sich um eine entgeltliche oder gänzlich oder teilweise unentgeltliche
Übertragung handelt,
3% |
Kč |
7.500.— |
hiezu kommt die Bereicherungssteuer, gestaffelt bis zu 6% |
Kč |
13.275.— |
|
|
Zusammen |
Kč |
20.775.— |
Bei einer Übertragung des gleichen Besitzes auf den Neffen
beträgt
die Übertragungsgebühr bei einer unentgeltlichen Übertragung
3,5% |
Kč |
8.750.— |
und die Bereicherungssteuer, gestaffelt bis 17% |
Kč |
38.700.— |
|
|
Zusammen |
Kč |
47.450.— |
Da jedoch der Wert einer größeren Wirtschaft im
Hopfen- oder
Obstgebiete im Ausmaße von 30 bis 50 Hektar mindestens eine
Million Kč beträgt, so beträgt in diesem Falle bei einer
Übergabe
vom Vater auf den Sohn die Übertragungsgebühr 3% |
Kč |
30.000.— |
die Bereicherungssteuer, gestaffelt bis 9% |
Kč |
75.775.— |
|
|
Zusammen |
Kč |
105.775.— |
Bei einer unentgeltlichen Übertragung an den Neffen
beträgt
die Übertragungsgebühr 3,5% |
Kč |
35.000.— |
die Bereicherungssteuer, gestaffelt bis 23% |
Kč |
203.700.— |
|
|
Zusammen |
Kč |
238.700.— |
Zu diesen enormen Gebühren treten die
Belastungen hinzu, welche eine Folge der unzulänglichen gesetzlichen
Regelung für die Erbteilungen
bei landwirtschaft- [218] lichen Objekten sind.
Die heute geltende unbeschränkte Erbteilung hat zur Folge, daß der
Unternehmer der Liegenschaft durch die Auszahlung an seine Geschwister
untragbare Lasten übernimmt. Man übersieht, daß zwischen
der Bodenrente und der Kapitalsrente ein Mißverhältnis besteht und
daß selbst die Belastung des Hofes mit dem Pflichtteile, d. h. bis zur
Hälfte des Wertes des Hofes, für diesen untragbar ist, da die
Bodenrente niemals soviel tragen kann, um das für eine Auszahlung in
dieser Höhe notwendige Kapital aufzubringen. Während man
die Rente vom landwirtschaftlichen Boden nicht höher als zwei bis drei
Prozent annehmen kann, betragen die Zinsen, welche der Landwirt für ein
Darlehen zu zahlen hat, selbst bei Nichtberücksichtigung der in den zu
zahlenden Annuitäten enthaltenen Amortisationsquoten, mindestens 6%,
bei Kassen und Banken bis zu 10%, so daß theoretisch schon bei einer
Belastung von über einem Drittel, aber sicher dann, wenn die Belastung bis
zur Hälfte des Wertes geht, mit einer Unterbilanz gerechnet werden
muß.
Hierzu kommen noch in allen Fällen die Kosten der
Notare oder Advokaten für die Durchführung der Übergabe
oder Verlassenschaft, welche mindestens 1 bis 2% betragen, so daß der
Neubesitzer des Hofes selbst dann mit Schulden belastet ist, wenn er gar keine
Geschwister auszuzahlen hat und die Eltern in der Lage sind, aus sonstigen
Ersparnissen zu leben und auf ein die Wirtschaft belastendes Ausgedinge zu
verzichten.
Dieser Idealfall tritt jedoch im täglichen Leben nie
ein, denn bei allen Übergaben sind nicht nur die Eltern in Form von
Ausgedingen zu versorgen, sondern auch Auszahlungen an die Geschwister zu
leisten.
Hierzu kommt eine Reihe von Umständen, welche
die Ausgabenseite des Landwirtes in unverhältnismäßiger
Weise belasten. Die Grundsteuer samt Umlagen trifft den Landwirt ohne
Rücksicht darauf, ob die Landwirtschaft einen Ertrag abwirft,
während der Gewerbetreibende und der Fabrikant, im Falle sein Betrieb
keinen steuerpflichtigen Ertrag abwirft, eine ganz unbedeutende Minimalsteuer zu
entrichten hat. Während das Gesetz dem Industriellen die
Möglichkeit gibt, sich im Wege großer Amortisationsabschreibungen
wesentliche Steuererleichterungen zu verschaffen, bereiten die Steuerämter
dem Landwirte bei der Amortisation insbesondere der landwirtschaftlichen
Gebäude große Schwierigkeiten. Besonders ungerecht ist die
Erhöhung des Steuervielfachen aus Waldbesitz, welcher bekanntlich in den
letzten Jahren meist überhaupt keinen Reinertrag abwarf und in vielen
Fällen passiv ist.
Ungünstig wirkt sich auch der Umstand aus,
daß die Steuervorschreibungen jahrelang nicht erfolgten und daß dann
Steuervorschreibungen für einige Jahre auf einmal herausgegeben
wurden.
[213]
Zwangsversteigerungen bringen um ein Schandgeld solche
prächtigen Höfe in tschechischen Besitz. Die riesigen
Steuerlasten und die zerbrochene Kaufkraft der sudetendeutschen Bauern machen
allen Fleiß zunichte.
|
[219] In diesem
Zusammenhange muß auch auf die reformbedürftigen Bestimmungen
des geltenden Grundbuchrechtes und Zwangsversteige-
rungsverfahrens verwiesen werden, durch welche eine Verschleuderung
landwirtschaftlichen Bodens geradezu begünstigt wird.
Der Grund hiefür liegt darin, daß heute
für die Einschuldung keine Grenze gesetzt ist und daß auch
kündbare Kapitalschulden eingetragen werden können.
Fast bei jedem Zwangsversteigerungsverfahren landwirtschaftlicher Objekte
ereignet sich der Fall, daß die Zwangsversteigerung von Gläubigern
eingeleitet wird, welche mangels Deckung nicht zum Zuge gelangen. Den
Gläubigern, welche in sicherer Rangordnung sind, werden ihre Forderungen
sozusagen aufgedrängt, wobei die Gläubiger selbst Schaden erleiden
und der landwirtschaftliche Besitz meistens zu einem Preis versteigert wird, der
einer Verschleuderung gleichkommt.
[219]
Egerländer Bauernhof.
|
In vielen Fällen ist die Verschleuderung des
Landbesitzes auf Investitionen zurückzuführen. Der Hang des Bauern
an seine Scholle und die Liebe zu seinem Hofe bringen es mit sich, daß der
Bauer trachtet, in guten Zeiten seinen Hof zu vergrößern und zu
verbessern. Dazu kommt, daß bei der seit dem Kriegsausbruch auf dem
Geldmarkte herrschenden Unsicherheit vielfach die Ansicht vorherrscht,
daß Investitionen im eigenen Betriebe die sicherste Kapitalanlage darstellen.
Die [220]
Zusammenbrüche einiger Geldanstalten trugen nicht dazu bei, das
Vertrauen der Landwirte in unsere Geldanstalten zu verstärken. Hiezu
kamen die vielen unkontrollierbaren Gerüchte über die allgemeine
außenpolitische Lage und eventuelle Abwertungsbestrebungen, welche
Unruhe stifteten. Die Investitionen hatten zur Folge, daß der Landwirt heute
meistens über keine Reserven verfügt, wobei infolge der allgemeinen
Wirtschaftskrise die erhoffte Wertsteigerung des landwirtschaftlichen Besitzes
nicht eingetreten ist, jedenfalls steht sie in keinem Verhältnis zu den
aufgewendeten Mitteln für Investitionen. Dazu kommt der Umstand,
daß diese Investitionen auf der Idee aufgebaut waren, daß die
Landwirtschaft bis zur Erreichung des höchsten Bodenertrages intensiviert
werden kann, während heute die Verhältnisse den Landwirt zwingen,
zu einer weniger intensiven Betriebsform zurückzukehren, wodurch eine
Reihe von Investitionen überflüssig und wertlos geworden ist, ja
geradezu eine Belastung des Betriebes bedeutet."
Von den sudetendeutschen Agrargebieten gehört das Saazer Land zu den
fruchtbarsten und ertragreichsten. Aus diesem Gebiete liegen genaue
Untersuchungen90 der Rentabilität der
landwirtschaftlichen Betriebe vor, die auf Grund einer gewissenhaften
Buchführung in 150 Betrieben angestellt wurden. Ihr Ergebnis ist
erschütternd: danach beträgt der Arbeitsstundenlohn einer
Bauernfamilie im Saazerland 25 Heller, d. s. 2,5 Pfennige! Stammen auch
die Erhebungen aus den Jahren 1930/32, so wird doch ausdrücklich betont,
daß sich die Erzeugungsverhältnisse seit 1932 nicht gebessert haben,
so daß die Darstellung für die gegenwärtige Lage volle Geltung
hat. Danach ergibt sich folgendes Bild:
Betriebsleistung und
Aufwand
je 1 Hektar landwirtschaftlicher Fläche.
Betriebsleistung aus der |
|
Feldwirtschaft |
Viehwirtschaft |
Insgesamt |
Betriebsaufwand |
Reinertrag |
je 1 Hektar landwirtschaftlicher
Nutzfläche |
|
Kč |
Kč |
Kč |
Kč |
Kč |
1930 |
2283,30 |
1033,30 |
3316,90 |
3683,70 |
— 366,80 |
1931 |
2219,30 |
1220,20 |
3439,50 |
3502,— |
— 62,50 |
1932 |
2193,90 |
1191,60 |
3385,50 |
3279,20 |
+ 106,30 |
Betriebsaufwand =
Wirtschaftsausgaben, plus Inventarverminderung,
plus Abschreibungen, plus Geldwert der Naturaldeputate, plus Geldwert
der marktgängigen als Futter
und Saatgut verwendeten Eigenerzeugnisse.
Die Arbeitsleistungen der Besitzerfamilie bleiben unberücksichtigt.
Betriebsleistungen = Rohertrag = Wirtschaftseinnahmen,
plus
Inventarvermehrung, plus unbare Leistung des Betriebes an die Besitzerfamilie,
plus Geldwert der als Futter und Saatgut verwendeten Eigenerzeugnisse.
(Der Mietwert der Wohnung wurde nicht
berücksichtigt.) |
[221] Der Rohertrag in der
Felderwirtschaft ist ungefähr doppelt so groß wie in der
Viehwirtschaft. Im allgemeinen weisen diese beiden Roherträge sowie ihre
Summe im Verlauf der drei Jahre keine besonderen Änderungen auf.
Im Reinertrage sind die Arbeiten, welche die Bauernfamilie für den Betrieb
im Laufe des Jahres leistet, nicht bewertet.
[221]
Hart und schwer ist die Arbeit der Gebirgsbauern; prächtige
aufrechte Menschen sind es, ob sie auf den Hängen des
Böhmerwaldes, des Erzgebirges, des Riesengebirges, in
Nordmähren, Schlesien oder in der Zips ihre Felder bestellen.
|
Bei der Wertung dieser Zahlen gilt weiters zu bedenken, daß das
Zahlenmaterial aus den Buchführungen der fortschrittlichen Landwirte
stammt.
Die Berechnung der Entlohnung der Bauernfamilien für die geleisteten
körperlichen Arbeiten in der Landwirtschaft soll von einem 20 Hektar
großen, unverschuldet gedachten Betrieb ausgehen. Übertragen wir
den Hektarreinertrag z. B. von 106 Kc, so ergibt dies einen
Gesamtreinertrag von 2120 K. Angenommen, es arbeiten 3
Familienmitglieder mit, so würde jedes Mitglied 706 Kc Entlohnung
verrechnet erhalten.
Man kann annehmen, daß im Durchschnitt in den Bauernbetrieben des
Saazerlandes 9 Stunden täglich (also jährlich 3200 Stunden), von 3
Personen 9600 Stunden jährlich gearbeitet wird. Es entfallen daher auf 1
Stunde Arbeitszeit 25 Heller Entlohnung.
Prof. Dr. Brdlik, der frühere Landwirtschaftsminister, welcher derartige
Erwägungen sehr oft anstellt, gab in einem Vortrag bei der Ceska
Spolecnost [222]
Národohospodárská die Stundenentlohnung der
Mitglieder der Bauernfamilien mit 2,37 Kc im Jahre 1927 und mit
0,35 Kc im Jahre 1931 an.
Was hier für das fruchtbarste sudetendeutsche Agrargebiet geschildert ist,
gilt für die übrige sudetendeutsche Agrarwirtschaft, in der die Lage
zumeist noch viel schlechter ist.
Der Bauer ist heute auf dem Binnenmarkt als Käufer ausgeschaltet. Seine
Kaufkraft ist gebrochen, er ist verarmt. Die Höfe sind verschuldet und
stehen vor der Vernichtung. Nach einer vom Prager Justizministerium angestellten
Erhebung wurden in den ersten 10 Monaten des Jahres 1934 allein 163.000
Exekutionen aufgeschoben bei rund 400.000 landwirtschaftlichen Betrieben. In
diesen Ziffern spiegelt sich die Katastrophe der tschechoslowakischen
Landwirtschaft.91
g) Staats-, Finanz- und Gemeindewirtschaft
Ein Bild von der Staatswirtschaft, wenn auch nicht ein ganz genaues, bieten die
Ziffern der Staatsvoranschläge. Darnach gestalteten sich die staatlichen
Einnahmen und Ausgaben wie folgt:
|
in Millionen Kč |
|
Ausgaben92 |
Einnahmen |
1919 |
8.615 |
3.709 |
1920 |
11.604 |
7.804 |
1921 |
18.026 |
17.299 |
1922 |
19.813 |
18.884 |
1923 |
19.371 |
18.812 |
1924 |
16.994 |
16.391 |
1925 |
9.573 |
9.301 |
1926 |
9.710 |
10.086 |
1927 |
9.704 |
9.724 |
1928 |
9.536 |
9.562 |
1929 |
9.534 |
9.570 |
1930 |
9.367 |
9.420 |
1931 |
9.839 |
9.844 |
1932 |
9.318 |
9.323 |
1933 |
8.502 |
8.202 |
1934 |
7.631 |
7.632 |
1935 |
7.983 |
7.985 |
Der Einnahmen- und Ausgabenstand ist also in den letzten Jahren um mehr als die
Hälfte gesunken und in den letzten Jahren sogar geringer als im Jahre
1919.
Die Rechnungsabschlüsse des staatlichen Kontrollamtes zeigen, daß
die tschecho-slowakische Staatswirtschaft mit bedeutenden Defiziten arbeitet, die
durch Inanspruchnahme der Barschaften der Sozialversicherungsanstalt und der
Einlagen der Postsparkasse und durch Ausgabe von Kassenscheinen gedeckt
werden.
[223] Einschließlich
der nichtpräliminierten Ausgaben ergibt sich nachstehendes Bild der
Abgänge im Staatshaushalt:
1930 |
425,5 |
Mill. Kč, |
1931 |
125,7 |
Mill. Kč, |
1932 |
1.748,0 |
Mill. Kč, |
1933 |
1.680,3 |
Mill. Kč, |
1934 |
1.030,9 |
Mill. Kč, |
oder in fünf Jahren 6.141,8 Mill. Kc.93
Die Postsparkasse führt die Überweisungen am Ende des Monats um
einige Tage Verspätung durch, weil der Staat die verfügbaren
Beträge in Anspruch nimmt. Die Gehälter der Staatsbeamten werden
erst bis zum 15. des Monates ausbezahlt.
Die Regierung führt auch Transaktionen mit den sogenannten
Landesbanken und den Versicherungsgesellschaften durch, über die sich
vorläufig keine Klarheit verschaffen läßt. So findet sich
z. B. in der Bilanz der Landesbank für Böhmen
(Zemská banka) vom Jahre 1933 ein Posten
bankmäßige Depots . . . . . . 9,768.268
und bei der Hypotecna Banka Ceská
ein Betrag von . . . . . . . . . . 1,979.315,
welcher zum großen Teil aus lombardierten Kassenscheinen besteht.
Daß sich die staatliche Finanzlage immer mehr verschlechtert, kann bei den
erhöhten Ausgaben und den verringerten Einnahmen nicht wundernehmen.
Ein Staat kann eben nur aus dem Nationaleinkommen wirtschaften, und das ist in
den letzten 6 Jahren um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Allein
im Jahre 1933 betrug der Ausfall an staatlichen Einnahmen 1119 Millionen
Kronen, im Jahre 1934 1466 Millionen Kronen.
Dabei sind die Defizite der staatlichen Betriebe nicht mit berücksichtigt.
Allein bei den Staatsbahnen betrug das Defizit 819 Millionen im Jahre 1933 und
war für die Jahre 1934/35 nicht viel geringer. Dazu kommt die
Verlustwirtschaft auf den staatlichen land- und forstwirtschaftlichen Betrieben,
die allein an nicht bezahlten Übernahmepreisen 872 Millionen
schulden.
Die schwebende Staatsschuld wird mit 11 Milliarden beziffert.
Nicht anders ist die Lage in der übrigen Finanzwirtschaft des Staates. Die
Industrien arbeiten heute mit 30 bis 40 v. H. ihrer Kapazität,
Kapitalien und Dividenden gehen zurück. In einem Bulletin der
tschechoslowakischen Nationalbank über die Bewegung der Kapitalien und
Dividenden der Aktiengesellschaften [224] der
Baumaterialienindustrie als der Schlüsselindustrie der Volkswirtschaft
werden folgende Ziffern angegeben.
Jahr |
Zahl der Gesellschaften |
Kapitalien |
Dividenden |
1926 |
16 |
96,250.000 |
29,916.000 |
1927 |
22 |
109,950.000 |
35,325.000 |
1928 |
25 |
149,984.000 |
49,433.800 |
1929 |
25 |
162,484.000 |
51,502.000 |
1930 |
23 |
142,030.000 |
41,457.500 |
1931 |
19 |
138,084.000 |
32,367.800 |
1932 |
16 |
122,804.000 |
19,387.000 |
1933 |
11 |
101,236.000 |
10,256.000 |
1934 |
11 |
103,482.000 |
9,422.000 |
Nach den Mitteilungen des Statistischen Staatsamtes über das Bankwesen in
der Tschechoslowakischen Republik für das Jahr 1934 hat das gesamte.
Bankwesen, also die Aktienbanken, die Banken ohne Aktienkapital und die
Bankgeschäfte betreibenden Gesellschaften m. b. H., in den
letzten Jahren die folgende Entwicklung genommen:
Jahr |
Zahl der Anstalten |
Aktienkapital bzw.
Betriebsgrundfonds |
Reserve- und
sonstige Fonds |
in Millionen
Kč |
1925 |
190 |
2.349,8 |
1.348,4 |
1929 |
141 |
2.322,5 |
2.078,1 |
1930 |
128 |
2.321,3 |
2.226,1 |
1931 |
123 |
1.915,7 |
1.719,5 |
1932 |
120 |
1.651,4 |
1.661,3 |
1933 |
108 |
1.612,7 |
1.671,2 |
1934 |
105 |
1.634,2 |
1.717,2 |
Demnach hat sich die Zahl der Banken und Geldinstitute in der Tschechoslowakei
seit 1925 ständig verringert.
Die durch die Wirtschaftskrise und Verluste bei eingegangenen Industrien ruinierten
Banken sollen ihr Dasein mit Hilfe der Reeskomptestelle fristen. Es soll die
Auflockerung des Geldmarktes dadurch erfolgen, daß das neue Institut das
Wechselportefeuille der den Regierungsparteien nahestehenden Banken
eskomptiert und einen 75 - 85prozentigen Lombard auf Staatspapiere
gewährt.
Die Annahme, daß es sich um ein auf Staatskonto durchgeführtes
Geschäft der tschechischen politischen Parteien handelt, wird dadurch
bekräftigt, daß es den Sudetendeutschen nicht gelang, im
Verwaltungsrate dieses Institutes eine Vertretung zu erlangen, trotzdem ihre
Vertreter in der Regierung sitzen.
Nach einer Darstellung der Finanzwirtschaft in der Tschechoslowakei des
Volkswirtschaftlers Oedön Tarjan wird das Kapital für die
Reescomptestelle [225] durch eine Einlage des
Staates in der Höhe von hundert Millionen Kronen und die Pflichteinlagen der
Geldinstitute und Versicherungsanstalten aufgebracht. Die Geldinstitute sind
verpflichtet, vom Zuwachs der Einlage 10% der Reescomptestelle zur
Verfügung zu stellen, ebenso wie die
Zentral-Sozialversicherungsanstalt und Pensionsanstalt, solange, bis ihre Einlagen
beim neuen Institut 5% ihres Gesamteinlagenstandes erreichen. Außerdem
wurde der Finanzminister ermächtigt, für anderweitig zu beschaffende
Kredite eine Staatsgarantie bis zu einem Betrage von fünfhundert
Millionen Kc zu übernehmen.
Wie man sieht, handelt es sich hier um eine großzügige
Finanztransaktion auf Staatskosten, um die Mobilmachung eingefrorener dubioser
Forderungen, durch welche die Unterstützung der Banken auf Grund der
Bankgesetze eine Ergänzung erfährt.
Die Belehnung der Staatspapiere erfolgt mit 75 - 80% ihres Kurswertes. Wie diese
Kursentwicklung durch die Regierung selbst beurteilt wird, läßt sich aus
der Begründung für die Bilanzierung der fest verzinslichen Papiere
entnehmen. Um nämlich das Fortwursteln den Banken zu ermöglichen,
gestattet die Regierung durch Regierungsverordnung die
Bilanzierung zum Ankaufs- und Vorjahrskurse mit der Begründung, daß
"die richtige Kursentwicklung der Anleihen entstellt wird". Die Aufstellung falscher
Bilanzen erfolgt demnach mit Zustimmung der tschechoslowakischen
Regierung.
Auch die Ausweise der Nationalbank werden im selben Geiste zusammengestellt. Es
wurde bis zum letzten Moment von allen kompetenten Faktoren die Kc als die
unerschütterliche Währung der Welt hingestellt. Auch nach der
Devalvation des englischen Pfundes und des Dollars vertritt die Prager Regierung
diesen Standpunkt, bis es ganz unverhofft zur Devalvation kam.
Die Deckung der Kc wurde so aufrechterhalten, daß man das Münzgeld
bis 1200 Millionen Kc als deckungsfrei erklärte, wodurch eigentlich
eine Verschiebung von ca. 25% in der Deckung der Banknoten zum Ausdruck
gebracht wird. Die französische Anleihe vom Jahre 1932 im Betrage von ca.
800 Millionen Kc ermöglichte im kritischesten Moment die
Stützung der Währung. Es war also nicht die aktive Zahlungsbilanz,
sondern ein finanztechnischer Kunstgriff nebst der unter beschämenden
Bedingungen erworbenen französischen Anleihe, durch welche der Kurs der
Kc gehalten wurde.94
Die innere Staatsschuld erreicht eine Höhe von 30,773 Milliarden (davon
23,312 Milliarden langfristig und 7,462 Milliarden kurzfristig), die
äußere Schuld eine solche von 8,161 Milliarden und die
Banknotenschuld eine solche von 2 Milliarden, zusammen also eine Höhe von
40,934 Milliarden.
[226] Tilgung, Verzinsung und
Verwaltung erfordern zusammen einen Betrag von 1,988 Milliarden (1,976).
Auf die Tilgung, die durch das Finanzgesetz neuerlich um 1 Jahr aufgeschoben ist,
entfallen 292 Millionen. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus einem Betrag von
100 Millionen für die Tilgung der Arbeitsanleihe, die nach dem
Arbeitstilgungsgesetz getilgt werden muß, und einem Betrag von 150
Millionen, der pauschal dazu dient, Staatspapiere unter ihrem Nominalwert auf
freiem Markte zu kaufen. Ein Betrag von 41 Millionen dient zur Tilgung der
Auslandsschuld.
Der Betrag, der für die Verzinsung aufzuwenden ist, erreicht die Höhe
von 1,689 Milliarden. Zieht man von ihm einen Betrag von 186 Millionen ab, den
die Verzinsung der Auslandsschuld erfordert, bleiben für die Inlandszinsen
1,503 Milliarden übrig. Dieser Aufwand aber ist nur fiktiv. Er
ermäßigt sich insgesamt um 266 Millionen auf 1,237 Milliarden. Von
dieser Ersparnis entfallen 172 Millionen auf die Kuponsteuer und 83 Millionen auf
die Ersparungen, die durch die Herabsetzung des Zinsfußes erwartet
werden.
Die der Tschechoslowakei aus einem gleichzeitig mit dem Friedensvertrage
unterschriebenen Vertrag auferlegten Schulden sind im Budget für 1936 mit
1,405 Milliarden eingesetzt. Von der gesamten Auslandsverschuldung der
Tschechoslowakei mit 8,161 Milliarden entfallen beinahe 5 Milliarden auf die
Befreiungskredite!
Wenn man also in Betracht zieht, daß weder die deutsche Industrie, noch die
deutsche Landwirtschaft in den Jahren seit dem Bestand der Tschechoslowakei
irgendwelche Förderung durch den Staat genossen hat, so wird die
Schätzung der gesamten Privatverschuldung der sudetendeutschen
Privatwirtschaft mit 30 bis 35 Milliarden nicht zu hoch gegriffen sein!95
Man sieht, daß die Finanzlage der Tschechoslowakei alles andere als rosig
ist!
Noch trostloser aber ist die Finanzlage der Gemeinden, besonders im
sudetendeutschen Gebiet.
Das Prager Statistische Staatsamt hat in seinen Veröffentlichungen über
Gemeindefinanzen im Jahr 1935 auch einige sudetendeutsche Städte
berücksichtigt. Daraus geht hervor, daß die Finanzgebarung dieser
Städte ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Die
Einnahmen wurden zu 33 bis 50 v. H. aus Zuschlägen, Abgaben
und Beiträgen gedeckt. Die nächstwichtige Einnahmesumme waren
Anleihen, die auf die ungeheuere Not in den Städten
zurückzuführen sind, die es unmöglich macht, die unbedingt
erforderlichen Geldbeträge auf
andere [227] Art zu erhalten. Dabei ist
die Verschuldung der sudetendeutschen Städte bereits so groß,
daß bis 45 v. H. aller Ausgaben für den Schuldendienst
erforderlich sind. In weitem Abstande erst folgen die Ausgaben für
Schulwesen, Verwaltung, soziale Fürsorge usw. In manchen
Städten erreicht die Verschuldung bis 86 v. H. des gesamten
Kommunalvermögens. In der nachfolgenden Zusammenstellung sind
angeführt: Die Einwohnerzahl, die Gesamtverschuldung der Städte in
Millionen, die Verschuldung je Kopf der Bevölkerung in Kc.
Gemeinde |
Ein-
wohner-
zahl |
Schulden-
stand
Mill. Kč |
Ver-
schuldung
Kč pro Kopf |
Karlsbad |
23.901 |
232,6 |
9.732,50 |
Aussig |
43.793 |
191,6 |
4.376,80 |
Gablonz |
33.958 |
121,8 |
3.585,-- |
Teplitz-Schönau |
30.799 |
98,2 |
3.191,30 |
Marienbad |
7.202 |
82,2 |
11.417,-- |
Reichenberg |
38.568 |
64,2 |
1.665,-- |
Komotau |
33.279 |
53,2 |
1.601,20 |
Eger |
31.546 |
50,1 |
1.590,-- |
Saaz |
18.100 |
44,7 |
1.867,10 |
Brüx |
28.212 |
41,9 |
1.487,10 |
Tetschen |
12.855 |
36,8 |
2.853,50 |
Trautenau |
15.923 |
35,7 |
2.246,55 |
Bodenbach |
22.658 |
33,7 |
1.487,80 |
Schreckenstein |
9.919 |
33,5 |
3.379,30 |
Turn |
16.551 |
32,1 |
1.940,80 |
Friedland |
6.314 |
26,4 |
4.188,90 |
Asch |
22.930 |
26,3 |
1.147,20 |
Leitmeritz |
18.489 |
24,9 |
1.348,30 |
Weipert |
11.751 |
24,7 |
2.102,80 |
Fischern |
11.769 |
22,7 |
1.934,60 |
Warnsdorf |
22.793 |
19,1 |
839,30 |
Tachau |
7.075 |
18,6 |
2.640,-- |
Rumburg |
10.466 |
17,7 |
1.692,40 |
Dux |
13.040 |
17,6 |
1.335,-- |
Böhm.-Leipa |
14.338 |
14,5 |
1.016,55 |
Joachimsthal |
7.316 |
14,5 |
1.990,50 |
Falkenau |
11.381 |
13,6 |
1.202,60 |
Kaaden |
8.641 |
11,1 |
1.292,50 |
Graslitz |
13.936 |
11,1 |
799,20 |
Drahowitz |
6.198 |
11,1 |
1.793,80 |
Nach der amtlichen Statistik betrugen Ende 1935 die Schulden von 27
größeren Städten der Tschechoslowakei fast 4,5
Milliarden Kc. Davon waren 4230 Millionen langfristige und 120 Millionen
kurzfristige Schulden. Die Neuverschuldung im Jahre 1933 war infolge der geringen
Kreditmöglichkeiten verhältnismäßig niedrig und betrug
nur 32 Millionen Kc. Bei einer Reihe von Städten erfordert der
Schuldendienst mehr als ein Drittel der ordentlichen Verwaltungsausgaben. So in
Pardubitz 49, in Eger 45, Kolin 44, Gablonz 43, Preßnitz 42, Jungbunzlau 37,
Königgrätz 36 und
Teplitz-Schönau 33%. In Prag selbst erfordert der Schuldendienst 23% der
ordentlichen Verwaltungsausgaben. Am günstigsten lagen die
Verhältnisse in Zlin, wo der Schuldendienst nur 4% erfordert.
Von den deutschen Gemeinden Böhmens mit mehr als 5000 Einwohnern
haben 51 ihren Voranschlag für das Jahr 1935 fertiggestellt. Der Gesamtbedarf
dieser Gemeinden beträgt 400 Millionen Kc. Auf den Schuldendienst
entfällt mehr als ein Viertel des Gesamterfordernisses, nämlich 109
Millionen Kc. Geht man von einer durchschnittlichen Annuität von
8,18% aus, so [228] entspricht dies bei den 51
Gemeinden einer Schuldensumme von 1,3 Milliarden Kc. Mehr als die
Hälfte dieser Schulden entfallen aber auf rentable Einrichtungen. Der
ungedeckte Abgang aller Voranschläge der 51 Gemeinden beträgt 142
Millionen Kc. Davon sind 70 Millionen Kc durch Zuschläge
gedeckt, die andere Hälfte wird aus dem Ausgleichsfond beansprucht. Von
den erwähnten 51 Gemeinden haben nur 13 einen ausgeglichenen
Voranschlag: Schluckenau, Niemes, Röchlitz, Landskron, Maffersdorf,
Nixdorf, Georgswalde, Schreckenstein, Rumbach, Asch, Reichenberg, Nikolsburg
und Zwittau.
Über die Verschuldung der Gemeinden und der kommunalen
Selbstverwaltungskörper gibt ein Bericht, der am 19. Februar 1935 auf
der Tagung des Verbandes der deutschen Selbstverwaltungskörper erstattet
wurde, Aufschluß. Darnach sind die deutschen Gemeinden nicht mehr
imstande, ihren Schuldenverpflichtungen nachzukommen. Bei den mehr als 5000
Einwohner zählenden sudetendeutschen Gemeinden entfällt
durchschnittlich ein Viertel aller Ausgaben auf Annuitätenleistungen. Nach
einer amtlichen Statistik betragen die Darlehen aller Selbstverwaltungskörper
zum 31. Dezember 1933 nicht weniger als 1212 Millionen Kc
Landesdarlehen, 1664 Millionen Kc Bezirksdarlehen, und 9527
Millionen Kc Gemeindedarlehen, insgesamt 12.403 Millionen
Selbstverwaltungsschulden. Das Erfordernis für Zinsen und Tilgung betrug
für diese Schuldsumme 1033 Millionen, die eigene Deckung 316 Millionen,
so daß 717 Millionen aus eigenen Mitteln aufgebracht werden mußten.
Der Stand der Gemeinde- und Bezirksdarlehen ist folgender:
Gemeinden: |
Böhmen Schuldenstand |
6300 |
Millionen |
Mähren-Schlesien Schuldenstand |
2435 |
" |
|
|
|
8735 |
Millionen |
Bezirke: |
Böhmen Schuldenstand |
1380 |
Millionen |
Mähren-Schlesien Schuldenstand |
256 |
" |
|
|
|
1636 |
Millionen |
Der Schuldendienst der Gemeinden in Böhmen betrug 509, in
Mähren-Schlesien 202 Millionen, die durchschnittliche Annuität
8,18 Prozent. Bei den Bezirken betrug der Schuldendienst in
Böhmen 135, in Mähren-Schlesien 6,3 Millionen Kc, die
durchschnittliche Annuität 8,6 Prozent. Bei allen Kommunalgläubigern
kann mit einem Annuitätenrückgang von 300 bis 400
Millionen Kc gerechnet werden.
Wie kraß die Finanznot der sudetendeutschen Städte ist und wie
schwierig sich daher auch Investitionsarbeiten selbst kleineren Umfangs gestalten,
zeigt das [229] Beispiel der Stadt Dux.
Die über Dux führende Staatsstraße
Brüx - Teplitz verengt sich bei der Duxer Stadtkirche auf kaum 3
Meter. Dieses kurze Straßenstück ist eine ständige Gefahr
für den Autoverkehr, die durch Demolierung eines einzigen vorspringenden
und sehr alten Gebäudes beseitigt werden könnte. Die Angelegenheit
wird nun schon seit Jahren betrieben und ist nun endlich so weit, daß mit den
Arbeiten sofort begonnen werden könnte, falls die Stadt Dux in der Lage
wäre, den auf sie entfallenden Anteil im Betrage von 50.000 Kc
(d. s. 5000 RM) aufzubringen. Aber bisher sind alle
Bemühungen des Stadtrates gescheitert. Nun hat der Hausbesitzerverein eine
Aktion eingeleitet, um diese 50.000 Kc zustandezubringen. Von den
über 1000 Hausbesitzern soll jeder der Stadtgemeinde auf zehn Jahre zinslos
je 50 Kc leihen.
|