IV. Übersicht über die
Wirtschaftsentwicklung
2. Sozialpolitischer
Lagebericht
Der allgemeine Wirtschaftsaufschwung der Sudetenländer in den
Jahrzehnten vor dem Weltkriege brachte der Bevölkerung ganz allgemein
ausreichende Verdienstmöglichkeiten, ja man kann sagen Wohlstand und
Reichtum. Gewiß, die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer
entsprachen nicht den großen Einkünften der Industrieunternehmer,
auch das Bauerntum zeigte nicht im ganzen Lande den gleichen Wohlstand, und
Handel und Gewerbe mußten bei dem fortschreitenden Ausbau der
Handelsbeziehungen und der jede Konkurrenz schlagenden Industrie einen
schweren Existenzkampf führen. In den Gebirgsdörfern setzten die
klimatischen und Bodenverhältnisse dem allgemeinen Wohlstand Grenzen.
Aber nirgends herrschte Hunger und Elend, Not und Verzweiflung, überall
verriet schon das äußere Bild der Dörfer und Städte
jenen soliden Wohlstand, der durch rührige Arbeit in zähem
Fleiß und wohlüberlegter Sparsamkeit erworben wird. Die
Anspruchslosigkeit der tschechischen Landbevölkerung mit ihren oft
geradezu primitiven Wohnstätten ist ebenso wenig bedingt durch ihre
Vermögensverhältnisse, wie andererseits die gepflegten und sauberen
Häuschen der sudetendeutschen Arbeiter ihr nettes Aussehen nicht so sehr
ihrem Einkommen zu verdanken haben, als vielmehr ihrer grenzenlosen
Sparsamkeit und opferbereiten Liebe zum eigenen Heim. Es ist das
bäuerliche Blut, das in ihren Adern pulsiert und in ihnen die Sehnsucht
nach dem eigenen Grund und Boden, den sie verlassen mußten, weil der
Boden zu klein wurde, der sie ernähren sollte, wacherhielt. Und diese
Sehnsucht, die in einem kleinen Häuschen Erfüllung fand, ließ
sie freudig auch alle sonstigen Entbehrungen tragen. Der Wohlstand und
Reichtum verleitete nicht zu jener verschwenderischen Glanzentfaltung, wie sie
sonst eine Begleiterscheinung ist, sondern fand seinen Ausdruck in einem
gepflegten Lebensstil und in einem gesteigerten
Kunst- und Kulturleben. Fast jede größere sudetendeutsche Stadt
hatte [230] ihr eigenes Theater, das
die berühmtesten Schauspieler und Sänger, Ensembles und Orchester
zu Gast hatte. Dabei zählen die sudetendeutschen Städte
durchschnittlich nicht viel mehr als 15 000 bis 20 000 Einwohner,
sind also Kleinstädte im wahrsten Sinne des Wortes.
Diese in wenigen Strichen skizzierte sozialpolitische Lage in den
Sudetenländern, vornehmlich bei den Sudetendeutschen, erfuhr in der
Nachkriegszeit, besonders in den letzten Jahren, eine große
Veränderung. Die ersten Finanzmaßnahmen des neuen Staates, die an
anderer Stelle angeführt wurden, brachten dem sudetendeutschen
Wirtschaftsleben ungeheuere Verluste, die niemals mehr eingebracht worden sind.
Die Nichteinlösung der Kriegsanleihe bedeutete eine weitere
Schwächung des Volksvermögens und traf besonders die kleinen
Sparer und Gewerbetreibenden. Dazu kam die planmäßige Stillegung
der sudetendeutschen Industrieunternehmen, deren Tempo durch die
Weltwirtschaftskrise beschleunigt wurde. Die unmittelbare Folge der Prager
Regierungsmaßnahmen und Auswirkungen der Krise waren
Lohnkürzungen und Erwerbslosigkeit und damit eine allgemeine
Schwächung der Kaufkraft. Je größer die Zahl derer wurde, die
aus dem Konsumentenkreis ausschieden, und je länger ihr Fernbleiben
andauerte, desto geringer wurde der allgemeine Geldumsatz, was zu einer
Verschuldung der Landwirtschaft und zum völligen Untergang des
Kleinhandels und des Gewerbes führen mußte. Man kann heute
bereits von einer Verproletarisierung des Sudetendeutschtums sprechen, das nicht
nur seine Ersparnisse aufgezehrt hat, sondern bereits die Substanz angreift.
In dem nachstehend auszugsweise wiedergegebenen Bericht der
Gewerbeinspektoren an das Prager Fürsorgeministerium spiegelt sich in
aller Klarheit das erschütternde Bild von der wirtschaftlichen und sozialen
Lage der Arbeitnehmer.
Es zeigt sich, daß der starke Absatzrückgang und die Zunahme der
Arbeitslosigkeit dazu führte, an die Leistungsfähigkeit der
beschäftigten Personen wesentlich erhöhte Ansprüche zu
stellen und fast gleichzeitig die Löhne zu senken, so daß die
tatsächliche Arbeitsleistung von zwei Seiten aus gesteigert wurde. Dazu
kommt noch die Tatsache, daß trotz der großen Zahl der Arbeitslosen
die Überstundenarbeit zugenommen hat und der Preisrückgang durch
eine weitere Rationalisierung der Betriebe durch Einstellung arbeitskraftsparender
Maschinen paralysiert werden sollte. Der Bericht führt zahlreiche Beispiele
dafür an, wie die Arbeitsleistung durch Aufhebung der Stundenlöhne
und Einführung von Akkordlöhnen und Prämien für
besondere Leistungen gesteigert wurde, der Kampf um den Arbeitsplatz einen
außerordentlichen Rückgang der Löhne verursachte und die
Rationalisierung zur Ausbeutung der Arbeitnehmer führte. So hat eine
Fahrradfabrik im Karlsbader Bezirk gleichzeitig mit der
Lohn- [231] senkung
Entschädigungen für die einzelnen Arbeitseinheiten
eingeführt. (Leistungssteigerung um 25 Prozent.) Zur
Förderung der Arbeiterleistungen hat eine Gummiwarenfabrik im
Königgrätzer Bezirk durch Anschlag die Leistung der einzelnen
Arbeiter und deren Lohnhöhe bekanntgegeben. In der Vorweihnachtssaison
wurden die Verkäufer in den Filialen einer großen Schuhfabrik
dadurch zur höchstmöglichen Leistung angeregt, daß
Prämien in der Höhe von 20 bis 50 Mark jenen
Verkäufern versprochen wurden, die in zehn Tagen die größte
Zahl von Schuhen verkaufen. Aus diesem Wettrennen gingen acht
Verkäufer als Sieger hervor, die überdies umsonst für acht
Tage zur Erholung ins Riesengebirge geschickt wurden. In einer
Möbelfabrik im Bezirke Königgrätz wurde die Arbeitsleistung
durch Einführung der Erzeugung am laufenden Band um volle
100 Prozent erhöht. Die Gewerbeinspektoren haben festgestellt,
daß die Leistung der Arbeiterschaft auch ohne bewußte
Rationalisierungsmaßnahmen gestiegen wäre, weil die
Lohnkürzungen und die unzulänglichen Arbeitsmöglichkeiten
die gleichen Auswirkungen zeigen. Die übersteigerte Rationalisierung hat
jedoch bereits zu einem Rückschlag geführt, weil die
übermäßige physische Anspannung der Arbeitnehmer zu
Massenerscheinungen von Überarbeitung und zu raschem Verbrauch der
Arbeitskräfte führt, der überdies durch die gleichzeitige
Senkung des Lebensstandards verschärft wird. Aus diesem Grunde hat sich
in einigen hochrationalisierten Betrieben die Leistung der Arbeiterschaft
vermindert.
In einigen kleingewerblichen Betrieben in den Bezirken Prag und Budweis wurde
festgestellt, daß die Arbeiter gezwungen werden, bloß für freie
Wohnung und Verköstigung zu arbeiten. Einer von diesen Arbeitern
mußte sogar die sozialen Lasten aus der eigenen Tasche tragen. Die
Verwaltung einer Dampfmühle im Bezirk Budweis hat ihren 10 Arbeitern
stündlich 15 Pfennige ausgezahlt. Ein Damenschneider im selben Bezirk
beschäftigte einen Lehrjungen und zwei Näherinnen, wobei er allen
drei Angestellten einen Tageslohn von insgesamt nur 1 Mark zahlte. Eine kleine
Weberei im Bezirke Jungbunzlau beschäftigte Weber für einen
Wochenhöchstlohn von 5 Mark. Im Pardubitzer Bezirke bezahlte eine
Tuchfabrik den Arbeitern täglich 1.— bis 1.50 Mark und den
Frauen gar nur 60 Pfennige. Eine Zuckerwarenfabrik im Bezirke Neutra entlohnte
ihre erwachsenen Arbeiterinnen mit 6 Pfennig für die Stunde, jugendliche
Kräfte erhielten nur 4 Pfennige. Nur in wenigen Fällen konnte die
Arbeiterschaft eine Aufbesserung ihrer Löhne durchsetzen. Eine Ausnahme
bilden u. a. einige Steinbrüche in der Gegend von Hlinsko, eine
Metallgießerei bei Troppau und eine Kabelfabrik im Bezirke
Teplitz-Schönau.
Die schärfsten Lohnkämpfe spielten sich in der Textilindustrie ab.
Die Löhne wurden um 5 bis 15 Prozent herabgesetzt, wobei eine
Fabrik die andere zu übertrumpfen bestrebt war.
[232] Im Olmützer
Bezirke ersetzte eine Zementfabrik ihre alten Kessel durch neue Schachtkessel,
System Gruber, wodurch die Erzeugung von 5500 auf 7500 Waggons
erhöht und dreißig Arbeiter überflüssig wurden.
Maschinen zum Massenschleifen und Schmelzen von Glasringen erzeugen im
Bezirke Jungbunzlau 3000 Dutzend Ringe in acht Stunden, wodurch dreißig
Heimarbeitern die Arbeitsmöglichkeit genommen wird. Am stärksten
war die Rationalisierung in der Textilindustrie. Eine große
Baumwollspinnerei im Bezirke Königgrätz hat ihre Spindelanzahl
verdoppelt, wodurch 70 Arbeiterinnen arbeitslos wurden. Eine
Jute-Spinnerei und -Weberei hat die Belegschaft bei der Spindelbedienung
halbiert und alle Arbeiter von mehr als sechzig Jahren entlassen.
Die 48-stündige Arbeitszeit wurde nur in den wenigsten Fällen
eingehalten. Entweder wurde sie stark unterschritten oder durch eine starke
Ausnützung der Arbeitskräfte erheblich überschritten.
Besonders in den kleinen Gewerbebetrieben häufen sich die
Verstöße gegen die Arbeitszeitbestimmungen. Doch wurde auch in
einigen Industriebetrieben die Arbeitszeit übermäßig
verlängert, so in einer Fahrradfabrik im Tetschener Bezirk bis auf 70
Stunden in der Woche. Der Besitzer einer Bahnhofsrestauration im Bezirke
Olmütz hat trotz Verwarnung seinen Lehrjungen jeden zweiten Tag 24
Stunden hindurch beschäftigt!
[233] Am 10. September
1935 hat der Prager Fürsorgeminister Ing.
Necas - ein Sozialdemokrat - im sozialpolitischen Ausschuß
des Abgeordnetenhauses ein Exposé über die
sozial- und wirtschaftspolitische Lage in der Tschechoslowakei erstattet, das zu
einer vernichtenden Anklage des Prager Systems wird. Der Minister führte
aus:
"Es zeigt sich also immer klarer,
daß die Wirtschaftskrise bei uns eine Depression im Gefolge hat, aus der
man auf dem bisherigen Wege und mit den bisherigen Mitteln nicht herauskommt.
Wenn wir nicht den ganzen Staat in einen dauernden Zustand der Verarmung
treiben wollen, müssen wir andere und durchgreifendere Wege gehen. Die
außerordentliche Zeit erfordert unbedingt außerordentliche
Maßnahmen und außerordentliche Opfer!
Die Zahl der Arbeitslosen sinkt nicht so, wie es das
wirtschaftliche und finanzielle Interesse des Staates erfordern würde und
wie wir es beim Vergleich mit anderen Staaten erwarten könnten.
Wenn wir nicht die militärische Dienstzeit
verlängert hätten, so hätten wir heute noch um einige
zehntausende Arbeitslose mehr. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt wird auch
dadurch verschlechtert, daß der Arbeitsmarkt die starken
Nachkriegsjahrgänge aufnehmen muß, die jetzt mit 16 und 17 Jahren
in die Arbeit kommen.
Außerdem scheidet die Rationalisierung
ständig neue Lohnarbeiter aus. Ungünstig wirkt sich ferner auch der
Umstand aus, daß die Auswanderung so gut wie völlig unterbunden
ist.
Daß überdies unsere Arbeitslosenstatistik,
d. h. die Ziffern über die Zahl der nicht untergebrachten Bewerber
um Arbeit, die Zahl der Arbeitslosen nicht richtig erfaßt, geht daraus hervor,
daß von Jänner bis Ende Juli 1935 die Zahl der nicht untergebrachten
Arbeitsbewerber nur um 212.446 Personen sank, während die Zahl der
Versicherten bei allen Krankenkassen in derselben Zeit von 2,269.776 auf
2,692.030, also um 322.254 Personen stieg. Daraus geht hervor, daß
Zehntausende Arbeit erhalten, die nicht in den Verzeichnissen der
Arbeitsvermittlungsanstalten enthalten sind.
Auch wenn wir heuer zu Ende August die niedrigste
Arbeitslosenziffer zu diesem Zeitpunkt seit 1932 haben, müssen wir uns
doch die Tatsache vor Augen halten, daß es uns mit den bisherigen Mitteln
seit Oktober 1932 nicht gelungen ist, die Arbeitslosenziffer unter 500.000 zu
senken.
Wir müssen uns vor Augen halten, daß die
schleppende Wirtschaftskrise in beträchtlichem Maße auch durch
unsere eigenen Verhältnisse verursacht wurde. Die Erfahrungen zeigen,
daß der gegenseitige Wirtschaftskampf der Staaten untereinander, die
Zoll- und Devisenmaßnahmen usw. die Folgen der Krise
ungewöhnlich verschärft haben. Die überspannte Schutzpolitik
und die wirtschaftliche Absperrung haben weder der eigenen Industrie und
Landwirtschaft der betreffenden Staaten, noch den Konsumenten genützt,
sondern sie haben Staat und Bevölkerung verarmt und neben anderen
Ursachen zu Kredit- und Währungsschwierigkeiten und anderen
unheilvollen Konsequenzen geführt.
[234] Eines der
Haupthindernisse der Wirtschaftsbelebung sind bei uns die
Lohn- und Gehaltsverhältnisse, die heute die Kaufkraft eines großen
Teiles der Bevölkerung untergraben.
Die breiten Massen der Angestellten sind in ihrer
Gesamtheit der größte Konsument auf dem heimischen Markt, und
sie könnten in einer Zeit, wo unserem Export oft unüberwindliche
Schwierigkeiten erwachsen, wirksam beitragen zur Belebung unserer Wirtschaft.
Statt dessen waren wir Zeugen, daß es zur Herabsetzung der Löhne
und Gehälter nicht nur in jenen Betrieben kam, die ihre Produktion
verringern mußten, sondern auch dort, wo in den letzten Jahren eine
merkliche Produktionsbelebung zu verzeichnen ist.
Wie rapid die Löhne bei uns gefallen sind, zeigt ein
Vergleich der Versicherten in der Zentralsozialversicherungsanstalt vom Juni
1930 und vom Juni 1935. Im Jahre 1930 waren 39,17 Prozent aller Versicherten
in den drei niedrigsten Klassen (bis zu 14 Kc täglich), im Juni 1935
dagegen 53,35 Prozent. In den drei höchsten Lohnklassen waren im Juni
1930 24,08 Prozent, im Juni 1935 nur 14,10 Prozent aller Versicherten.
Nicht anders ist es bei der Allgemeinen Pensionsanstalt.
Ende 1929 waren von 213.803 männlichen Versicherten in den drei
höchsten Klassen 31.255, Ende 1934 von 227.482 nur 27.473. Bei den
Frauen ist das Verhältnis noch schlechter. Insgesamt haben die
Jahresbezüge aller 297.719 Pensionsversicherten Ende 1929 4720
Millionen betragen. Ende 1934 bei einem um 19.020 höheren
Versicherungsstand nur 4512 Millionen. Dabei ist zu bemerken, daß eine
Gehaltsherabsetzung bis auf 42.000 Kc sich in dieser Statistik nicht
widerspiegelt.
Die Beispiele für niedrige Löhne, die der
Minister anführte, müssen direkt als unfaßbar bezeichnet
werden.
Früher erhielten z. B. die Glasarbeiter bei der
Herstellung von Gablonzer Ware Stundenlöhne von 5 bis 7 Kc,
heute 1,50 Kc. Ein Heimarbeiter in der Glasbranche verdient bei
14stündiger Arbeitszeit in der Woche 30 bis höchstens 40 Kc.
Junge Arbeiterinnen erhalten in der Glasschleiferei 50 bis höchstens 70
Heller pro Stunde.
Auch bei den Bauarbeitern erreichen die
Stundenlöhne in einzelnen Gebieten nur 1,25 Kc oder gar nur
1 Kc, bei Erdarbeiten werden für die schwere Arbeit 75 Kc
wöchentlich gezahlt. Bei der Überprüfung der Rechnungen
für Notstandsarbeiten kam das Ministerium darauf, daß bei
achtstündiger Arbeitszeit den Erdarbeitern nur 6 oder 8 Kc
täglich gezahlt werden. Auch in der Metallindustrie sind die Löhne
sehr niedrig; es gibt Fälle, daß ein qualifizierter Metallarbeiter nur
1,50 Kc pro Stunde erhält! In den Ziegeleien ist ein derartiger
Stundenlohn fast allgemein üblich.
Von 33.533 Heimarbeitern, die bei der Reichenberger
Bezirkskrankenkasse versichert sind, erreichen 15.626 nicht einmal einen
Monatslohn von 120 Kc, und dabei arbeiten sie mit ihren Familien. Auf
dem Böhm.-mährischen Höhenzug verdient eine ganze
Webersamilie bei 14stündiger Arbeitszeit nicht mehr als 160 Kc
monatlich.
[235] Was für
Milliardenverluste für den Konsum durch die sinkenden Lohnsummen
entstehen, ist daraus ersichtlich, daß die Zahl der bei der ZSVA.
Versicherten seit 1929 von 2,505.537 auf 1,877.994, der Durchschnittsverdienst
von 5979 Kc auf 5097 Kc zurückgegangen ist.
Die versicherten Löhne betrugen im Jahre 1929 14
Milliarden 982 Millionen, im Jahre 1934 nur noch 9 Milliarden 573
Millionen.
Nur an Löhnen der Versicherten der ZSVA.
beträgt der Rückgang gegenüber 1929 fünfeinhalb
Milliarden Kc pro Jahr!
Neben der Glasindustrie ist die Textilindustrie am meisten
betroffen, die angesichts des Exportrückganges in den letzten Jahren zum
überwiegenden Teil auf den heimischen Markt angewiesen ist. Dabei sind
die Löhne in den Betrieben, die am Kollektivvertrag beteiligt sind, mit
120 Kc wöchentlich noch bedeutend höher als in den
vertragslosen Betrieben, wo 40 Kc wöchentlich gezahlt
werden.
Auch die Rationalisierung verursacht noch weitere
Entlassungen von Lohnarbeitern und eine ständige Verschlechterung der
Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt.
Die Berichte der Gewerbeinspektoren führen
für 1934 weitere krasse Beispiele an, vor allem aus der Textilindustrie.
Aber auch bei den Staatsbahnen führte die Einführung der
durchlaufenden Bremse für Güterzüge dazu, daß die
Zahl der Bremser bei Lastzügen seit 1931 um 40 Prozent
zurückgegangen ist. In diesen Aufzählungen könnte man lange
fortfahren. Ständig wird die Zahl jener vermehrt, die unwiderruflich aus
ihrer bisherigen Tätigkeit ausgeschaltet sind, selbst wenn die
früheren Absatzverhältnisse wiederkehren sollten.
Den technischen Fortschritt kann man nicht aufhalten. Die
menschliche Gesellschaft muß aber daraus die Konsequenzen ziehen und
Mittel und Wege suchen, um die unschuldig Betroffenen wieder zu
fruchtbringender Arbeit zurückzuführen.
Die infolge der Krise unterbundene Kaufkraft hat einen
Rückgang der Kaufkraft zur Folge, den der Minister an zahlreichen Daten
nachwies, und zwar beim Fleischkonsum, beim Konsum von Tierfetten, wo der
Rückgang fast 20 Prozent beträgt, ferner beim Bierkonsum, der
ebenfalls um 20 Prozent zurückgegangen ist, beim Konsum von
Getränkespiritus, wo der Rückgang rund 50 Prozent beträgt,
und beim Zuckerkonsum, wo er fast 10 Prozent erreicht hat.
Der Rückgang im Mehl- und Brotverbrauch
läßt sich mit 30 bis 40 Prozent gegenüber dem Jahre 1929
veranschlagen. Beim Brot beträgt der Preisanstieg gegenüber dem
ersten Halbjahr 1934 per Kilo 30 bis 50 Heller und auch mehr. Der
Preisanstieg bei Weizenmehl beträgt gegen das Vorjahr 30 bis
50 Heller.
Wenn Arbeiterfamilien volle drei Fünftel aller ihrer
Ausgaben auf die Ernährung verwenden, dann sehen wir die Gefahr im
vollen Lichte: die Ausgaben für die Ernährung einschränken,
heißt direkt die Existenz bedrohen. Die überwiegende Mehrheit
unserer Arbeiter arbeitet nur für die allernotwendigsten Lebensmittel und
die Wohnungsmiete. Wir können infolgedessen unter den heutigen
Wohnverhältnissen unsere Konsumenten nicht weiter [236] belasten, denn die
Folge wäre ein weiterer Rückgang des Verbrauchs mit allen
seinen Konsequenzen für die anderen Schichten."
Der amtliche Bericht bedarf keiner Ergänzung. Alle ernsthaften
Bemühungen, die wirtschaftliche und soziale Lage im Staate zu bessern,
erfolgten auf Kosten des Sudetendeutschtums, in dem die Notlage
unerträglich geworden ist.
a) Die Arbeitslosigkeit
Die Arbeitslosigkeit in der Tschechoslowakei setzte - wenn man von der
saisonmäßig bedingten auch in wirtschaftlichen Konjunkturzeiten
vorhandenen Arbeitslosenzahl absieht - mit der planmäßigen
Verdrängung der Angehörigen der nationalen Volksgruppen von
ihren staatlichen und privaten Arbeitsplätzen aus rein nationalpolitischen
Gründen ein. Dadurch ergab es sich begreiflicher Weise, daß in ihren
Gebieten die Arbeitslosigkeit relativ und absolut größer sein
mußte als im tschechischen Siedlungsgebiet.
Wie wir bereits dargestellt haben, bot das Sprachengesetz vom Jahre 1919, in dem
u. a. verlangt wird, daß in der öffentlichen Staatsverwaltung
ausschließlich die tschechische Sprache als Staatssprache zu gelten hat, eine
hinreichende Handhabe, die deutschen Beamten, Angestellten und Arbeiter bei
den Eisenbahnen, Post, Steuerämtern, Gerichten, Bezirksverwaltungen und
Gemeindeämtern im sudetendeutschen Gebiet, die die tschechische Sprache
nicht beherrschten, aus ihren Stellen zu entfernen und sie durch tschechische zu
ersetzen. Der größte Teil der von dem Abbau betroffenen Beamten
erhielt nur eine unzureichende Abfertigung oder Pension.96
[232]
Entsetzliches Wohnungselend im sudetendeutschen
Industriegebiet. Seit Jahren
arbeitslos - ausgesteuert - zwangsweise wegen
rückständiger Miete aus der früheren Wohnung
entfernt - irgend eine Notwohnung, feucht und
ungesund - Tuberkulose - Tod - das sind die Elendsstationen
dieser fleißigen, tüchtigen sudetendeutschen Arbeiter.
|
[237] Sie suchten also
Unterschlupf bei der Industrie, wo sie auch mit einem kleinen Gehalt, das ihren
Verlust durch die staatliche Pensionierung ausglich, als qualifizierte
Arbeitskräfte gern aufgenommen wurden. In dem gleichen Augenblick
aber, in dem sie hier Einstellung fanden - und das war nur möglich
zur Zeit einer Konjunkturperiode, die eine Mehreinstellung von
Arbeitskräften bedingte - versperrten sie jenem Teil von jungen
Stellenanwärtern, der sich für eine Verwendung im industriellen
wirtschaftlichen Leben vorbereitet hatte, die Möglichkeit einer
Existenzgründung. So stießen zu dem Teil der von ihren staatlichen
Arbeitsplätzen Verdrängten, die in der Industrie keine Aufnahme
fanden, jene jungen Menschen, denen der Zutritt zu den staatlichen
Arbeitsplätzen durch die tschechischen Nationalitäten völlig
verwehrt ist und deren eigentliche Arbeitsplätze in der Industrie von
abgebauten Staatsbeamten besetzt wurden. Sie bildeten zusammen also den
Grundstock der von Jahr zu Jahr anwachsenden Arbeitslosenarmee der
Sudetendeutschen.
Die Praxis der Durchführung der Bodenreform hat es nun unmöglich
gemacht, daß ein Teil der von ihrem Beamtenposten oder industriellen
Arbeitsplatz Verdrängten in den landwirtschaftlichen
Produktionsprozeß überführt werden konnten. Durch die
Bodenreform sind ja selbst 66.944 Arbeitsplätze verloren gegangen,
darunter 35.000 deutsche. Von den Betroffenen erhielten als Entschädigung
2491 Personen Bodenzuweisungen in der Größe von
4 - 66 Hektar, unter ihnen befinden sich kaum 20 Deutsche! Der
Großteil mußte sich mit einer geldlichen Abfertigung
begnügen. 30.000 gingen überhaupt leer aus und unter ihnen der
größte Teil Deutsche.
Die aus dem beschlagnahmten Gebäudekapital gebildeten Restgüter
bezifferten sich auf 1972, die an 1762 Bewerber zugeteilt wurden. Und von ihnen
befinden sich 32 in deutschem Besitz.
Der Innenkolonisation standen 36.055 Hektar zur Verfügung. Errichtet
wurden 2857 Siedlungen, die in allen Fällen an Tschechen und Slowaken
kamen.
Was sich die Sudetendeutschen an beschlagnahmtem Boden retteten, waren
85.000 Hektar, die sich bei der Bodenbeschlagnahme bereits im Pachtbesitz von
107.000 Kleinpächtern befanden.
Durch das Zertifikatistengesetz vom Jahre 1928 wurde die Industrie gezwungen,
1⁄3 ihrer
Beamtenstellen für die längerdienenden Unteroffiziere frei zu
machen. Bei dabei eventuell notwendig werdenden Entlassungen dürfen
Tschechen nicht betroffen werden. Da es fast keine längerdienenden
deutschen Unteroffiziere gibt, wirkt sich das Gesetz in der Praxis so aus,
daß die deutsche Industrie oder [238] utraquistische
Unternehmen die tschechischen Unteroffiziere aufnehmen und deutsche
Angestellte entlassen müssen.
Es sind bereits an anderer Stelle die Maßnahmen und täglichen
Erscheinungen geschildert und charakterisiert worden, die durch Verkleinerung
der Zahl der deutschen Arbeitsplätze im Staatsdienst und im Industrieleben
und durch die Verengung des agrarischen Bodenraumes die Arbeitslosigkeit
bedingten. Die durch die staatlichen Maßnahmen dem Sudetendeutschtum
bisher verlorengegangenen Arbeitsplätze werden annähernd 200.000
erreichen, so daß selbst bei normaler wirtschaftlicher Entwicklung fast
10 v. H. der Sudetendeutschen für unabsehbare Zeit zur
Arbeitslosigkeit gezwungen sein werden.
Die einzige amtliche sogenannte Arbeitslosenstatistik vermittelt, wie Minister
Necas selbst ausdrücklich zugibt, kein genaues Bild der wirklichen Zahl der
Erwerbslosen im Staate, sondern lediglich der bei den staatlichen
Arbeitsämtern nicht untergebrachten Bewerber. Diese Arbeitsämter,
genauer bezeichnet Arbeitsvermittlungen, vermitteln im allgemeinen nur an
Taglöhner, Hilfs- und Landarbeiter, Maurer u. dgl.
Arbeitsplätze. Die angeführte Arbeitslosenstatistik enthält
nicht, oder nur teilweise, die erwerbslosen Kleinhäusler und Heimarbeiter
in den Gebirgsgegenden, die Erwerbslosen in den einzelnen Intelligenzberufen
und den Fachgewerben und Handwerken. Trotzdem steht die Tschechoslowakei
mit der erschreckend hohen Zahl von mehr als ¾ Millionen
Arbeitslosen relativ an erster Stelle unter den europäischen Staaten.
Während in Frankreich etwa 0,83% der Gesamtbevölkerung, in
Polen 1,5%, in England 3,5%, ja selbst in dem verarmten Österreich nur
5,2% ohne Arbeit sind, müssen in der Tschechoslowakei 5,7% der
Gesamtbevölkerung feiern und darben.
In Wirklichkeit aber ist die Zahl der Menschen, die vor dem Nichts stehen, noch
bedeutend höher, als diese trockenen Ziffern besagen können. Denn
zum ersten werden, wie erwähnt, viele Arbeitslose durch die amtlichen
Statistiken gar nicht erfaßt, zum zweiten sind die Angehörigen der
Arbeitslosen aber auch meist genau so von der Not betroffen, wie diese selbst, so
daß man ohne Übertreibung mit 3½ Millionen
Menschen rechnen kann, die in der Tschechoslowakei aus dem
Produktionsprozeß ausgeschaltet worden sind.
[239]
Hundertsatz der Arbeitslosen
aus der Gesamtarbeiterzahl im
Bezirk.
[Vergrößern]
|
Daß unter den Auswirkungen der Dauerkrise die deutsche
Bevölkerung des Staates am schwersten zu leiden hat, ist eine leicht
erklärbare Tatsache, die heute selbst von den Tschechen nicht mehr
geleugnet werden kann. Von den 16 Bezirken, die den Rekord der höchsten
Arbeitslosenziffer halten (auf 1000 Einwohner mehr als 100 Arbeitslose), sind,
wie wir noch sehen werden, 15 Bezirke deutsch und nur einer tschechisch. Die
Karte der Notstandsgebiete deckt sich fast genau mit der Sprachenkarte. Die Zahl
der sudetendeutschen Ar- [239] beitslosen wird aber
noch erschreckender, wenn man sie mit der Arbeitslosenziffer anderer Staaten
vergleicht.
Im Kratzau-Grottauer Bezirk fand im Herbst 1935 ein Parlamentarierbesuch statt,
an dem auch der tschechische Minister Necas teilgenommen hat. Nach einer
Besichtigung der sudetendeutschen Krisengebiete erklärte der Minister
Necas:
"Von 755.000 Arbeitslosen in der
ganzen Tschechoslowakei entfallen mehr als 400.000 auf das sudetendeutsche
Gebiet. Das ist so viel, wie Frankreich bei seinen 42 Millionen Einwohnern als
Gesamtzahl der Arbeitslosen verzeichnet. Flächenmäßig stellt
das sudetendeutsche Gebiet aber nur ein Zweiundzwanzigstel Frankreichs dar.
Das Bild, das dieses einst blühende sudetendeutsche Industriegebiet zeigt,
läßt sich heute nur mit den Leiden der Bevölkerung des
karpathenrussischen Berglandes in den bösesten Zeiten
vergleichen."
Bei einem nordböhmischen Volkstage wurde über die Lage in
dem weltberühmten Haidaer-Steinschönauer Glasgebiet, in dem vor
dem Kriege kaum 3% Tschechen wohnten, berichtet. Aus dem Bericht ist zu
entnehmen: In dem 40.000 Menschen umfassenden Gebiet können heute
kaum noch 30% der vorhandenen Arbeitskräfte beschäftigt werden.
In den 22 deutschen Gemeinden dieses Glasgebietes mit 40.000 Einwohnern
waren im Sept. 1935 7671 arbeitslos (inzwischen ist die Arbeitslosenzahl weiter
gestiegen!). Dazu kommen 10.879 Familienangehörige, so daß
18.550 Menschen oder 46% der Bevölkerung dieses Gebietes Not und
Elend leiden. 1929 waren in den 22 Orten noch 28 Öfen der
Rohglashütten in Betrieb, im Herbst 1935 noch 8. Die [240] Ausfuhr ist in dieser
Zeit von rund 250 Millionen Kronen auf 50 Millionen gesunken. In 7 Orten dieses
Gebietes mit einer Bevölkerungsziffer von 10.600 wurden 2.287
Arbeitslose gezählt. Davon waren aber nur 1.079 in Gewerkschaften
organisiert, die ihnen über die ärgste Not hinweghelfen, nur 609
bezogen Lebensmittelkarten und 599 waren jeder Unterstützung bar.
Beispielsweise müssen in
Ober-Preschkau von 519 Arbeitslosen 322 ihr Dasein ohne jede Hilfe fristen! Am
1. 1. 1933 teilte der Staat dem Gebiet wöchentlich noch
11.700 Lebensmittelkarten zu. Am 30. August 1934 betrug die Zuteilung nurmehr
4.075 Lebensmittelkarten. 1936 wurden nurmehr 2873 ausgegeben, obwohl die
Erwerbslosenzahl größer geworden ist.
Die im Anhang beigefügte
Übersicht VII gibt ein Bild von der
Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Staate seit 1920. Ihre Auswirkung im
Sudetendeutschtum sei im folgenden behandelt.
Der sudetendeutsche Abgeordnete und nationalsozialistische Arbeiterführer
Rudolf Kasper hatte im Jahre 1932 eine Erhebung über die wirtschaftliche
Notlage und Arbeitslosigkeit im sudetendeutschen Industriegebiet gepflogen, die
folgendes interessante Bild ergab:
Bezirk Graslitz: 9 Gemeinden |
29.269 |
Einwohner |
5.284 |
Arbeitslose |
528 |
Kurzarbeiter |
1.208 |
Unterstützte nach dem "Genter System" |
3.885 |
Unterstützte aus Ernährungsaktion |
33 |
Unterstützte aus Gemeindemitteln |
46 |
vollkommen stillgelegte Betriebe |
35 |
Betriebe arbeiten stark verkürzt |
1.918 |
Exekutionen! |
Bezirk Gablonz: 6 Gemeinden |
16.743 |
Einwohner |
5.084 |
Arbeitslose |
2.800 |
Kurzarbeiter |
14 |
vollkommen stillgelegte Betriebe |
18 |
Betriebe arbeiten stark verkürzt |
2.044 |
Exekutionen! |
Bezirk Asch: 11 Gemeinden |
39.068 |
Einwohner |
3.161 |
Arbeitslose |
1.046 |
Kurzarbeiter |
[241]
687 |
Unterstützte nach dem "Genter System" |
206 |
Unterstützte aus Gemeindemitteln |
1.210 |
Unterstützte aus Ernährungsaktion |
7 |
vollkommen stillgelegte Betriebe |
22 |
Betriebe arbeiten stark verkürzt |
191 |
Exekutionen. |
Bezirk Elbogen: 6 Gemeinden |
17.516 |
Einwohner |
2.595 |
Arbeitslose |
528 |
Kurzarbeiter |
203 |
Unterstützte nach dem "Genter System" |
44 |
Unterstützte aus Gemeindemitteln |
1.591 |
Unterstützte aus Ernährungsaktion |
10 |
vollkommen stillgelegte Betriebe |
9 |
Betriebe arbeiten stark verkürzt |
177 |
Exekutionen. |
Bezirk Trautenau: 8 Gemeinden |
16.237 |
Einwohner |
2.253 |
Arbeitslose |
773 |
Kurzarbeiter |
1.034 |
Unterstützte nach dem "Genter System" |
20 |
Unterstützte aus Gemeindemitteln |
1.401 |
Unterstützte aus Ernährungsaktion |
5 |
vollkommen stillgelegte Betriebe |
6 |
Betriebe arbeiten stark verkürzt |
38 |
Exekutionen. |
Bezirk Dauba: (ländlicher Bezirk).
Erhebungen aus 3 Gemeinden mit einer durchschnittlichen Einwohnerzahl von
1000 Einwohnern: |
303 |
Arbeitslose |
28 |
Unterstützte nach dem "Genter System" |
5 |
Unterstützte aus Gemeindemitteln |
30 |
Unterstützte aus Ernährungsaktion |
3 |
kleinere Betriebe arbeiten stark verkürzt |
206 |
Exekutionen. |
[242] Erhebungen aus 80
Gemeinden: |
178.790 |
Gesamteinwohnerzahl |
24.066 |
Arbeitslose |
15.423 |
Kurzarbeiter |
103 |
stillgelegte Betriebe |
139 |
Betriebe unter Kurzarbeit |
3.052 |
Unterstützte nach dem "Genter System" |
2.133 |
Unterstützte durch Gemeinden |
7.490 |
Unterstützte durch Ernährungsaktionen |
7.437 |
durchgeführte Exekutionen |
28 |
von Gemeinden Notstandsarbeiten |
21,161.514 |
Steuerrückstände |
29,610.000 |
Schulden. |
Während also in den sudetendeutschen Gebieten, wie in den
Einzelbeispielen und der Übersicht aus 80 deutschen Gemeinden gezeigt
wird, die Zahl der Erwerbslosen bereits 15 v. H., die Zahl der
Kurzarbeiter 10 v. H. der Bevölkerung ausmacht, über
100 Betriebe stillgelegt sind, die Zahl der Exekutionen 7000 übersteigt, nur
ein Drittel der Gemeinden Notstandsarbeiten durchführen können
und die Steuerrückstände fast die Verschuldung der Gemeinden
erreichen und im ganzen Staatsgebiet der Jahresdurchschnitt der
Arbeitslosenziffer 500.000 beträgt, war im tschechischen Gebiet noch
kaum etwas von der Arbeitslosigkeit zu spüren. Im Gegenteil: Neue
Betriebe in der Umgegend von Prag, Jicin, Kralup, Pilsen usw. entstanden
und in den großen Werken wurde in mehreren Schichten
gearbeitet.
In seiner Rede im sozialpolitischen Ausschuß des Prager
Abgeordnetenhauses im Herbst 1934 machte der Fürsorgeminister
Dr. Meißner über die Entwicklung und den Stand der
Erwerbslosigkeit folgende interessante Angaben:
Am 31. Juli wiesen die absolut größte Arbeitslosigkeit Brünn,
Groß-Prag, Reichenberg, Karlsbad auf.
Von den 225 Verwaltungsbezirken des Staates zählten
5 |
Bezirke |
mehr |
als |
10.000 |
Arbeitslose |
10 |
" |
8.000 |
bis |
10.000 |
" |
8 |
" |
6.000 |
bis |
8.000 |
" |
17 |
" |
4.000 |
bis |
6.000 |
" |
18 |
" |
3.000 |
bis |
4.000 |
" |
27 |
" |
2.000 |
bis |
3.000 |
" |
41 |
" |
1.000 |
bis |
2.000 |
" |
99 |
" |
weniger |
als |
1.000 |
" |
[243] Den
verhältnismäßig größten Prozentsatz Arbeitslose
weisen auf der
Bezirk Graslitz |
36,1 |
Bezirk Sternberg |
30,0 |
Bezirk Rumburg |
29,1 |
Bezirk Neudek |
25,4 |
Bezirk Friedland |
23,4 |
Freudenthal |
22,7 |
Elbogen |
21,4 |
Karlsbad |
21,3. |
Die Arbeitslosigkeit war in
1 |
Bezirk |
größer als 30% |
der Gesamteinwohner |
12 |
Bezirken |
zwischen |
20 |
und |
30% |
" |
14 |
" |
" |
15 |
" |
20% |
" |
20 |
" |
" |
12 |
" |
15% |
" |
12 |
" |
" |
10 |
" |
12% |
" |
15 |
" |
" |
8 |
" |
10% |
" |
15 |
" |
" |
6 |
" |
8% |
" |
18 |
" |
" |
5 |
" |
6% |
" |
118 |
" |
" |
kleiner |
" |
5% |
" |
Soweit die Angaben des Herrn Ministers.
Nach der obigen Übersicht der Verbreitung der Arbeitslosigkeit gab es
einen einzigen deutschen Bezirk, der mit 2,42% unter die 118 Verwaltungsbezirke
mit einer Arbeitslosigkeit unter 5% fällt. Nun gibt es in der
Tschechoslowakei 96 Verwaltungsbezirke mit einer qualifizierten deutschen
Mehrheit. Damit steht fest, daß die Arbeitslosigkeit in der
Tschechoslowakei fast durchwegs in den deutschen Gebieten herrscht:
Bis 5% Arbeitslose der Bevölkerung zählen |
117 |
nichtdeutsche Bezirke, |
|
1 |
deutscher Bezirk., |
Von 5% bis über 30% "
" |
12 |
nichtdeutsche Bezirke, |
|
95 |
deutsche Bezirke. |
In den deutschen Gebieten (wobei nur solche Bezirke als deutsch gezählt
werden, deren Einwohnerschaft nach der Volkszählung 1930 zu mehr als
50 v. H. aus Deutschen besteht) waren Ende Oktober 1934 von 1000
Einwohnern 78,71 (September 75,95), in den tschechischen Gebieten dagegen
30,74 (September 29,28) arbeitslos. Daraus ist zu ersehen, daß die
deutschen Grenzgebiete von der Arbeitslosigkeit bedeutend schwerer betroffen
werden als die tschechischen Bezirke.
[244]
Oktober 1934: |
Politischer Bezirk |
Zahl
der
Arbeits-
losen |
Auf 1000
Berufstätige
entfielen
Arbeitslose |
Böhm.-Leipa |
7926 |
213,4 |
Mähr.-Schönberg |
8948 |
218,9 |
Braunau |
5573 |
206,8 |
Starkenbach |
4673 |
215,2 |
Jägerndorf |
6890 |
227,5 |
Römerstadt |
3204 |
227,5 |
Schluckenau |
6346 |
205,6 |
Neudek |
4636 |
227,8 |
Elbogen |
5039 |
259,0 |
Preßnitz |
3594 |
243,5 |
Karlsbad |
11614 |
234,5 |
Freudenthal |
6313 |
258,6 |
Sternberg |
3343 |
294,2 |
Rumburg |
4207 |
241,9 |
Friedland |
6177 |
266,0 |
Graslitz |
7789 |
378,9 |
Noch deutlicher geht dies aus der Übersicht der politischen Bezirke in
Böhmen mit den niedrigsten Arbeitslosenzahlen hervor:
Oktober 1934: |
Politischer Bezirk |
Zahl
der
Arbeits-
losen |
Auf 1000
Berufstätige
entfielen
Arbeitslose |
Kralup a. M. |
77 |
4,5 |
Jitschin |
138 |
4,6 |
Pilgram |
151 |
7,6 |
Kralowitz |
153 |
10,2 |
Eule |
225 |
22,0 |
Melnik |
247 |
11,3 |
Moldauthein |
273 |
39,3 |
Dauba |
279 |
24,2 |
Mühlhausen |
323 |
21,7 |
Laun |
338 |
16,2 |
In der ersten Zusammenstellung ist Starkenbach der einzige tschechische Bezirk,
der eine größere Arbeitslosigkeit aufweist. Bei der Übersicht
der Bezirke mit den niedrigsten Arbeitslosenzahlen ist als Gegenstück
Dauba der einzige deutsche Bezirk. Er ist übrigens von allen hier
betrachteten Orten derjenige mit der drittgrößten
Arbeitslosigkeit.
Zu Ende Oktober 1935 wurden nach den vorläufigen Berechnungen des
tschechoslowakischen Ministeriums für soziale Fürsorge in der
ganzen Tschechoslowakei 602.775 nicht untergebrachte Stellenbewerber
gezählt. Es ist also gegenüber dem Vormonate eine Steigerung um
29.413 Personen oder 5,12 v. H., gegenüber Oktober des
Vorjahres eine Steigerung um 3.311 Personen oder 0,55 v. H. zu
verzeichnen.
In der ganzen Tschechoslowakei waren zu Ende Oktober 1935 von 1000
Einwohnern 40,9, von 1000 Einwohnern in den deutschen Gebieten 80,9 und von
1000 Einwohnern in den tschechischen Gebieten 30,5 arbeitslos. Als deutsche
Gebiete werden nur jene gezählt, deren Einwohnerschaft nach der letzten
Volkszählung zu mehr als 50% aus Deutschen besteht. Nachstehend eine
Zusammen- [245] stellung der Bezirke
mit der größten und mit der geringsten Arbeitslosigkeit zu Ende
Oktober 1935:
Bezirke mit der
größten
Arbeitslosigkeit |
auf 1000
Berufs-
tätige |
|
Bezirke mit der
geringsten
Arbeitslosigkeit |
auf 1000
Berufs-
tätige |
Mähr.-Schönberg |
217,2 |
Jitschin |
4,2 |
Komotau |
219,2 |
Kralup a. M. |
7,4 |
Wsetin |
222,2 |
Mühlhausen |
11,9 |
Jägerndorf |
230,6 |
Melnik |
12,8 |
Elbogen |
245,5 |
Laun |
14,0 |
Neudek |
247,4 |
Strakonitz |
17,2 |
Rumburg |
249,7 |
Časlau |
19,0 |
Karlsbad97 |
256,0 |
Beneschau |
22,4 |
Freudenthal |
265,9 |
Blatna |
22,4 |
Friedland |
270,3 |
Holleschau |
22,4 |
Römerstadt |
271,5 |
Chotĕboř |
23,0 |
Preßnitz |
279,5 |
Jilové |
23,0 |
Sternberg |
302,7 |
Tabor |
23,1 |
Graslitz |
356,8 |
Neustadtl i. M. |
25,0 |
Im Jahre 1936 setzte ein bedeutender Rückgang der Arbeitslosigkeit ein.
Doch spielte sich dieser Rückgang vornehmlich in den tschechischen
Gegenden ab. Die deutschen Gebiete spüren kaum etwas von einer
erwachenden Konjunktur. Im Prager Börsenkurier
veröffentlichte ein sudetendeutscher Fabrikbesitzer die nachfolgende
interessante Übersicht:
Arbeitslose im: |
1936 |
Gesamtgebiet der Republik |
|
deutschen Gebiet |
|
tschechischen Gebiet |
Arbeitslose |
von
1000
Ein-
wohnern |
von
1000
Berufs-
tätigen |
Arbeitslose |
von
1000
Ein-
wohnern |
von
1000
Berufs-
tätigen |
Arbeitslose |
von
1000
Ein-
wohnern |
von
1000
Berufs-
tätigen |
waren arbeitslos |
waren arbeitslos |
waren arbeitslos |
I |
850.010 |
57,7 |
130,0 |
297.251 |
97,5 |
192,4 |
552.759 |
47,3 |
110,7 |
II |
860.239 |
58,4 |
131,1 |
294.201 |
96,5 |
190,5 |
566.038 |
48,5 |
113,4 |
III |
797.770 |
54,2 |
122,0 |
278.639 |
91,4 |
180,4 |
519.131 |
44.4 |
103,9 |
IV |
719.166 |
48,8 |
110,0 |
261.300 |
85,7 |
169,2 |
457.866 |
39,2 |
91,7 |
V |
637.385 |
43,2 |
97,4 |
248.748 |
81,6 |
161,0 |
388.638 |
33,2 |
77,8 |
VI |
565.799 |
38,4 |
86,5 |
234,601 |
76,9 |
151,9 |
331.198 |
28,3 |
66,3 |
VII |
504.750 |
34,3 |
77,2 |
224.168 |
73,6 |
145,2 |
280.582 |
24,0 |
56,2 |
[246] Aus dieser Tabelle ist
ersichtlich, daß die Konjunktur, die in der Hauptsache eine Staatskonjunktur
ist, weil sie durch Staatsaufträge angefacht und erhalten wird, daß
also diese Konjunktur in der Hauptsache die tschechischen Gebiete befruchtet. In
den tschechischen Gebieten ist die Zahl der Arbeitslosen seit Beginn des Jahres
beinahe um die Hälfte zurückgegangen, nämlich von 552.000
auf 280.000. In den tschechischen Gebieten konnten in dieser Zeit 272.000
Menschen in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden. In den deutschen
Gebieten, die doch weitaus stärker industrialisiert sind, konnten in der
gleichen Zeit nur 73.000 Menschen Arbeit finden, denn die Zahl der Arbeitslosen
ist in diesen Gebieten von 297.000 nur auf 224.000 gesunken. Im Januar waren
von je 1000 berufstätigen Personen im deutschen Gebiet 192 Menschen
arbeitslos, Ende Juli immer noch 145. In den tschechischen Gebieten waren im
Januar von je 1000 Berufstätigen 110 Menschen arbeitslos. Ende Juli aber
waren es nur mehr 56. Die Arbeitslosigkeit in den deutschen Gebieten ist also
dreimal so groß wie in den tschechischen Gebieten. Anders gerechnet:
Anfang des Jahres gab es in der ganzen Republik 850.000 Arbeitslose. Die
Arbeitslosigkeit fiel um 40 v. H. auf 504.000. Vierzig v. H.
der Arbeitslosen kamen also in die Arbeit, aber nur 8 v. H. davon in
den deutschen Gebieten und volle 32 v. H. in den tschechischen
Gebieten. Im August, für welchen Monat die obige Tabelle noch nicht die
Ziffern enthält, setzt sich die gleiche Entwicklung fort.98
[247] Der
überwiegende Teil der Arbeitslosen gehört industriellen
Erzeugungsgruppen an; der Anteil der Berufsangehörigen von
Landwirtschaft und Forstwesen an der gesamten Arbeitslosigkeit ist gering, er
beträgt nicht einmal 5 v. H.
Aus der folgenden Aufstellung ist ersichtlich, mit welcher Verhältniszahl
einzelne Erzeugungsgruppen im sudetendeutschen Gebiet liegen und wie
groß davon der mutmaßliche Anteil der Beschäftigungslosen
ist. Angeführt werden alle Industriegruppen, bei denen ihre Lage im
sudetendeutschen Gebiet dem Anteil nach größer ist als der Anteil
der Bevölkerung des sudetendeutschen Gebietes an der
Gesamtbevölkerung des Gebietes der historischen Länder; der
sudetendeutsche Bevölkerungsanteil beträgt
31 v. H.
Erzeugergruppen |
davon im sudeten-
deutschen Gebiet |
ohne
Beschäftigung |
Feinkeramik |
81 v. H. |
90 v. H. |
Musikinstrumentenerzeugung |
78 v. H. |
85 v. H. |
Glasindustrie |
71 v. H. |
80 v. H. |
Spielwarenindustrie |
68 v. H. |
90 v. H. |
Papierindustrie |
64 v. H. |
60 v. H. |
Textilindustrie |
57 v. H. |
70 v. H. |
Bergbau und Koks |
41 v. H. |
40 v. H. |
Chemische Industrie |
37 v. H. |
20 v. H. |
Holzindustrie |
32 v. H. |
60 v. H. |
Von der Arbeitslosenstatistik sind nicht oder nur zu einem ganz geringen Teil die
Heimarbeiter erfaßt. Als Heimarbeiter bezeichnet das tschechoslowakische
Gesetz diejenigen Personen, welche sich mit der Herstellung oder Bearbeitung
von Waren außerhalb der Betriebsstätte ihrer Arbeitgeber
regelmäßig in ihren Wohnstätten beschäftigen und kein
Gewerbe nach der Gewerbeordnung ausüben. Diese
Beschäftigungsart ist besonders in Nordböhmen und in den
sudetendeutschen Randgebieten daheim und damit eine typisch sudetendeutsche
Erscheinung. Nach der letzten amtlichen Erhebung gibt es in der
Tschechoslowakei 63.539 Betriebe, d. h. Werkstätten, die auf
Heimarbeit eingestellt sind, in denen mehrere Familienmitglieder
beschäftigt sind. Die Lage der Heimarbeiter ist besonders hart.
Eine der Arten von Heimarbeit, z. B. im nordböhmischen Niederlande, ist
die Kunstblumenindustrie, welche zwar immer noch eine große Anzahl
Heimarbeiter beschäftigt, aber bei derzeit nicht als menschenwürdig
zu bezeichnenden Löhnen. Die einst blühende Spaterieindustrie ist
infolge der polnischen und japanischen Konkurrenz fast ganz verschwunden. Der
Hauptsitz dieser Industrie befand sich in Alt-Ehrenberg, Bezirk Schluckenau.
Erhebungen bezüglich der Löhne bei dem noch krankenversicherten
Heimarbeiter aller Kategorien haben einen durchschnittlichen Bruttolohn von
184 Kc, d. s. 18,4 RM, monatlich ergeben, oder pro Stunde
50 Heller, d. s. 5 Pfennige. In der Knopfindustrie
(Knopfhefterei) sind [248] Monatsverdienste von
90 Kc, d. s. 9 Mark, zu verzeichnen. Die Heimindustrie des
Adlergebirges besteht in der Hauptsache aus Verarbeitung von Holzwaren, welche
heute Absatzschwierigkeiten hat. Die Spitzenklöppelei ist im
ostböhmischen Gebiet nur wenig vertreten. Die Filetstickerei
beschäftigte einmal im Rokitnitzer Bezirke 1600 bis 1800 Personen.
Derzeit fehlen die notwendigen Absatzgebiete. Die Löhne betrugen einmal
6 bis 7 Kc pro Tag.
Dagegen ist die Benischer Heimweberei eine der ältesten in Böhmen,
Mähren und Schlesien. Die Webergenossenschaft Benisch geht bis in das
Jahr 1686 zurück. Im Jahre 1933 bestanden noch 13 Handweberfaktoreien
und sechs selbständige Heimerzeuger. Diesen standen allerdings 25
mechanische Kleinbetriebe mit 500 Webstühlen gegenüber. In
Benisch waren im Jahre 1933 noch 820 Personen in den Webereien
beschäftigt, d. s. 62 Prozent der Gesamtbevölkerung, die
immer mehr zum Feiern gezwungen worden sind.
Im Böhmerwald stellt außer der Florspinnerei und
Spitzenklöppelei hauptsächlich die Hausweberei, weiter die
Herstellung von Zwirnknöpfen, die Holzbearbeitung, Spielwarenerzeugung,
Anfertigung von Hausgeräten,
Drechsler-und Tischlerarbeiten und Kistenerzeugung, Perlmutterindustrie, die
Sieb-Erzeugung, Korbflechterei und Bürstenerzeugung die Heimarbeit dar.
Vielerorts wurde die Toledostickerei betrieben, infolge ihres starken
Rückganges mußten Umstellungen auf Heftelstickerei vorgenommen
werden. Der Hauptort für die Holzbearbeitung in der Heimindustrie im
Böhmerwalde ist Wallern.
Im Erzgebirge ist die Heimarbeit besonders hoch entwickelt. Die
Instrumenten- und Spielwaren-Erzeugung, weiter die Knopfindustrie, die
Stickerei, die Handschuherzeugung und Perlstickerei hatten einen Weltruf. Die
große Weltwirtschaftskrise hat die einstmals weit über 10.000
Heimarbeiterinnen beschäftigende Spitzenklöppelei fast ganz zum
Stillstand gebracht. Im Landstriche Falkenau bis Petschau wird die
Nähspitzenerzeugung, im Graslitzer Bezirke verschiedene Zweige der
Stickerei betrieben. Im Ascher Bezirke ist die Hausweberei und
Stoffhandschuhindustrie maßgebend. Die
Musikinstrumenten-Erzeugung hat, soweit es sich um die Herstellung von
Streich- und Zupfinstrumenten handelt, ihren Hauptsitz in Schönbach. Die
Blasinstrumentenindustrie in Graslitz. Mit der Einführung des Tonfilmes
begann der unaufhaltsame Niedergang der Instrumentenindustrie. Die Erzeugung
von Spielwaren wird vornehmlich in Katharinaberg, Gebirgsneudorf und
Umgebung betrieben. In Katharinaberg hat die Handelskammer von Eger ein Haus
der erzgebirgischen Spielwarenindustrie errichtet, wo auch die staatliche
Lehrwerkstätte für Holz- und Spielwaren untergebracht ist.99
[249] Da an der Heimarbeit
in einem Betriebe zumeist die ganze Familie mit 6 bis 8 Personen teilhatte
(einschließlich der Kinder) und nur dadurch für 2 bis 3 Heimarbeiter
überhaupt der festgesetzte Lohn zu erzielen war, von dem eine Familie oder
Hausgemeinschaft leben mußte, so muß man mit ungefähr
180- bis 200.000 erwerbslosen Heimarbeitern im sudetendeutschen Gebiet
rechnen, von denen nur ein ganz geringer Teil in der amtlichen
Arbeitslosen-Statistik erscheint.
Was für die Heimarbeiter gesagt ist, gilt entsprechend auch für die
Angehörigen der sogenannten Intelligenzberufe und die
Gewerbetreibenden.
Statistisch nicht erfaßt sind die stellungslosen Mittel- und
Hochschulabsolventen, die Angehörigen freier Berufe, die durch die Krise
um ihren Besitz und ihr Unternehmen gekommenen
Handels- und Gewerbetreibenden. Auch ihre Zahl geht in die Zehntausende, so
daß die Zahl der insgesamt von der Erwerbslosigkeit unmittelbar
betroffenen Sudetendeutschen allein die Zahl der amtlichen Statistik erreicht!
Die Arbeitslosigkeit in der Tschechoslowakei ist ein nationales und
wirtschaftliches Problem zugleich. Ebenso wenig man in Prag jemals den
Vorstellungen und Forderungen der sudetendeutschen Wirtschaft Rechnung trug
oder nachkam, die auf eine Erhaltung oder Stärkung der sudetendeutschen
Industrie, die ja im Interesse des Staates selbst gelegen war, abzielte, ebensowenig
dachte man an Maßnahmen zur Steuerung der Arbeitslosigkeit in den
sudetendeutschen Gebieten. Es hat an wohldurchdachten Vorschlägen und
Plänen nicht gefehlt, die von allen wirtschaftlichen und politischen
Organisationen erstattet wurden. Es sei unter den vielen nur an den sogenannten
"3-Milliarden-Antrag" der Abgg. Krebs, Kasper und Jung im Prager
Parlament im Jahre 1932 erinnert, der einen großen
Arbeitsbeschaffungsplan ausführte, durch den Hunderttausende Arbeitslose
wieder in den Produktionsprozeß eingegliedert worden wären. Einige
Jahre später wurde von den Abgeordneten und Senatoren der
Sudetendeutschen Partei nach eingehender Beratung mit den sudetendeutschen
Wirtschaftskreisen ein Wirtschaftsplan aufgestellt zwecks Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit. Er wurde abermals abgelehnt. Und die staatlichen
Maßnahmen erwiesen sich für die Lage im sudetendeutschen Gebiet
als unzulänglich.
[250] Unwillkürlich
drängt sich die Frage auf, was soll und könnte für diese
Arbeitslosen geschehen?
Vom Fürsorgeministerium wird die Verkürzung der Arbeitszeit
angekündigt, wodurch man 150.000 Erwerbslose in den
Arbeitsprozeß einzugliedern hofft. Durch das Gesetz über die
Arbeitsvermittlung soll die Vermittlung von Arbeitsplätzen gefördert
und die am längsten Erwerbslosen sofort eingestellt werden. Hoffnung setzt
man auch auf die vom Verteidigungsministerium durchzuführenden Bauten
von Grenzbefestigungen.
Von diesen und ähnlichen geplanten Maßnahmen ist nicht zu
erwarten, daß die Arbeitslosigkeit in den sudetendeutschen Gebieten
vermindert wird. Die noch arbeitende sudetendeutsche Industrie ist ohnehin schon
auf Kurzarbeit eingestellt, so daß die 40- oder noch geringere
Stundenwoche bereits eingeführt ist. Es handelt sich bei all diesen
Maßnahmen also lediglich um Vorkehrungen, die das Ansteigen der
Arbeitslosigkeit in den tschechischen Gebieten zu verhindern geeignet sind. Die
an anderer Stelle mitgeteilte Spezifizierung des staatlichen Investitionsprogramms
für 1935 zeigt, daß kaum 5 v. H. von der veranschlagten
Summe im deutschen Gebiet investiert werden wird. Nicht anders war es
früher und wird es weiterhin sein. Und der Bau von Grenzbefestigungen?
Die Praxis in den letzten 16 Jahren hat gezeigt, daß zu Staatsbauten im
Grenzgebiet stets tschechische Arbeiter herangeholt wurden und
die Bau-, Lieferungs- und Zufuhraufträge fast ausnahmslos tschechischen
Unternehmen und Gewerbetreibenden erteilt wurden. Grenzbefestigungen sind
strategische Bauten, die man nur von "verläßlichen" Elementen,
d. h. tschechischen Arbeitern, ausführen läßt!
In tschechischen Kreisen wird sehr ernsthaft die Urbarmachung und
Kolonisierung der Ödländereien und unbebauten Böden
erörtert. Man denkt da an die vom Bergbau verheerten Gebiete
Nordwestböhmens in einem Ausmaße von 13.000 Hektar und an die
Trockenlegung des sogenannten "Schwarzen Sumpfes" im Ausmaße von
20.000 Hektar. Insgesamt stehen über 30.000 Hektar Ödland zur
Rekultivierung für 50.000 Arbeitslosenfamilien zur Verfügung.100
Äuße- [251] rungen tschechischer
Politiker lassen über die Tendenz dieser Kolonisation keinen Zweifel: sie
sollen in Nordwestböhmen und in der Slowakei dazu dienen, Tschechen
hier und dort bodenständig zu machen.
[252] Die
sudetendeutschen Arbeitslosen gehen einer hoffnungslosen Zukunft entgegen.
Wenn heute in tschechischen Regierungskreisen offen davon gesprochen wird,
daß 200.000 Erwerbslose nicht mehr in den Produktionsprozeß
eingegliedert werden können,101
dann müssen wir uns darüber im klaren sein, daß es
200.000 Sudetendeutsche sein werden!
In deutschen Kreisen wird vielfach gefordert, daß die Städte ihren
Siedlungsboden an die Arbeitslosen aufteilen mögen. Nach der amtlichen
Städte-Statistik ließen sich in den großen Städten mit
über 25.000 Einwohnern im ganzen 3.478 Siedlerstellen, davon 1.345 mit
je 4 ha schaffen.
|
Gesamtgrundbesitz
Davon |
|
Insgesamt |
Wald
|
Acker u.
Wiesen |
Siedlerstellen |
|
in Hektar |
à 4 ha |
Prag |
5.133 |
597 |
3.533 |
888 |
Jungbunzlau |
873 |
762 |
47 |
12 |
Böhm.-Budweis |
2.918 |
1.612 |
512 |
128 |
Königgrätz |
4.185 |
3.725 |
272 |
68 |
Eger |
2.913 |
2.070 |
623 |
156 |
Komotau |
3.203 |
2.823 |
285 |
71 |
Kolin |
172 |
115 |
38 |
9 |
Reichenberg |
330 |
114 |
150 |
37 |
Brüx |
4.602 |
2.680 |
1.660 |
415 |
Pardubitz |
500 |
273 |
137 |
34 |
Pilsen |
4.990 |
3.280 |
1.180 |
295 |
Teplitz-Schönau |
185 |
24 |
87 |
22 |
Aussig |
639 |
279 |
258 |
64 |
Brünn |
6.724 |
5.342 |
898 |
224 |
Iglau |
3.324 |
3.041 |
165 |
41 |
Jägerndorf |
1.765 |
1.480 |
98 |
24 |
Olmütz |
4.550 |
2.598 |
1.644 |
411 |
Troppau |
2.330 |
2.130 |
116 |
29 |
Mähr.-Ostrau |
511 |
108 |
238 |
59 |
Proßnitz |
241 |
--- |
220 |
55 |
Zlin |
483 |
360 |
60 |
15 |
Znaim |
2.904 |
2.428 |
301 |
75 |
Preßburg |
3.470 |
2.992 |
306 |
76 |
Kaschau |
19.863 |
18.979 |
531 |
153 |
Ungvar |
121 |
--- |
33 |
8 |
Munkatsch |
4.010 |
2.087 |
357 |
89 |
|
|
Insgesamt |
|
|
13.769 |
3.478 |
[253] "In diesen 27
größeren Städten ließen sich", so schreibt Karl Matzker
im Prager Börsenkurier vom 17. 1. 1935, "also bei
Aufteilung des gesamten im Gemeindebesitz befindlichen
Acker- und Wiesenbodens nur 3.478 Siedlerstellen schaffen. Für die Praxis
würde sich aber diese Ziffer verringern, denn es handelt sich wohl zum
guten Teile um Zweckvermögen, und zudem dürfte auch das
angenommene Ausmaß von vier Hektar nur unter den
allergünstigsten Bedingungen ausreichen, um den Bedarf einer Familie an
Lebensmitteln zur zur Not sicherzustellen. Dazu kommt noch, daß die Zahl
der Arbeitslosen in diesen Städten rund 150.000 beträgt, so daß
also nur etwa 2 Prozent mit einer Siedlungsstelle beteilt werden
könnten, in den deutschen Industriestädten nicht einmal ein Prozent,
denn von ihnen verfügen nur Brüx, Eger, Komotau und Aussig
über ein nennenswertes Ausmaß an siedlungsfähigem Boden.
Nicht weniger schwierig ist die Frage der Finanzierung, denn für die 3.400
Siedlungen wären mindest (10.000 Kc pro Siedlung) 35 Millionen
notwendig, ein Betrag, der ausreicht, um 60.000 Arbeitslose ein Jahr lang mit
Lebensmittelkarten zu beteilen."
Alle die von staatlicher Seite bisher getroffenen Maßnahmen zur Steuerung
der Arbeitslosigkeit in den sudetendeutschen Gebieten müssen sich solange
als unzulänglich und überhaupt wirkungslos erweisen, als der Wille
zur Vernichtung der deutschen Volksgruppe im Sudetenraum besteht. Und
daß er besteht und nach ihm gehandelt wird, darüber dürfen
auch alle Versicherungen von maßgebender Seite, daß nun ernsthaft
das wirtschaftliche Problem in den sudetendeutschen Gebieten aufgegriffen und
die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft werden wird, nicht täuschen.
Es vergeht kein Tag, an dem nicht deutsche Arbeitsmenschen wegen ihrer
politischen Einstellung oder überhaupt nur wegen ihrer deutschen
Abstammung von ihrem Arbeitsplatz vertrieben werden, deutschen
Gewerbetreibenden und Unternehmen Aufträge vorenthalten oder entzogen
werden, aus dem tschechischen Gebiet zur Durchführung der
Festungsbauten und Ausführung staatlicher Aufträge tschechische
Arbeiter herangezogen werden. Durch alle diese Maßnahmen aber wird die
Arbeitslosigkeit nicht bekämpft, sondern nur vergrößert. Diese
Erscheinungen stehen daher im ärgsten Gegensatz zu den Versicherungen
der tschechischen Staatsmänner von der "Gleichberechtigung" der
Deutschen im Staate, die von der sudetendeutschen Bevölkerung nur mehr
als ein Lippenbekenntnis gewertet werden.
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