Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung,
Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im
Heere
Kapitel 5: Die Fürsorge
für die Kriegsbeschädigten
und Kriegshinterbliebenen
(Forts.)
Dr. jur. et rer. pol. Kurt Schwarz
3. Das
Reichsversorgungsgesetz.
Das Gesetz über die Fürsorge für Kriegsgefangene vom 15.
August 1917 und das Kapitalabfindungsgesetz vom 3. Juli 1916 nebst dem
Ergänzungsgesetz vom 26. Juli 1918 sind eingearbeitet in das
Reichsversorgungsgesetz. Nur das Kapitalabfindungsgesetz für Offiziere
vom 26. Juli 1918 gilt weiter.
[270] Das
Militärversorgungsrecht für die Teilnehmer am Weltkrieg ist heute
fast ausschließlich durch das Reichsversorgungsgesetz vom 12. Mai 1920
geregelt.33
Das Reichsversorgungsgesetz weicht in seinen grundlegenden Bestimmungen
erheblich von dem früheren Militärversorgungsrecht ab. Es
schließt sich in vielen Punkten dem österreichischen
Invalidenentschädigungsgesetz vom 25. April 191934 an, das sich wiederum zum
großen Teil auf die Vorschläge des deutschen Reichsausschusses der
Kriegsbeschädigtenfürsorge und des Arbeitsausschusses der
Kriegerwitwen- und -waisenfürsorge stützt,35 so daß man das neue Gesetz
schon als Werk deutschen Geistes bezeichnen darf.
Während z. B. das französische Gesetz36 und das
englische Recht37 - letzteres wahlweise neben
Berücksichtigung des Arbeitseinkommens - die
Versorgungsgebührnisse der Kriegsbeschädigten und
Kriegshinterbliebenen nach dem Dienstgrade abgestuft haben, besteht in
Deutschland in der Versorgung kein Unterschied mehr nach dem
Dienstgrade - auch ein Beweis dafür, ob Deutschland oder [271] seine Gegner
Militaristen sind. Im Weltkrieg stand das ganze deutsche Volk im Heeresdienst,
und jeder tat nach Möglichkeit seine Pflicht, gleichgültig, ob er die
Achselstücke oder nur die Achselklappen trug. Es hing von mancherlei
Zufällen ab, welchen Dienstgrad der einzelne erreichte, ob er schon im
Frieden gedient hatte oder als Freiwilliger oder Ersatzreservist eintrat usw.
Besonders hart war es, wenn jemand kurz vor der Beförderung zum
Offizier verwundet wurde oder fiel, und so nicht nur den höheren Rang
nicht erreichen konnte, sondern auch noch dauernd die niedrigere Versorgung
erhielt. Dies gilt wenigstens für den Nichtberufssoldaten, für den
vielmehr der Zivilberuf und dessen soziale Eingliederung maßgebend ist.
Diesem soll durch eine Ausgleichszulage Rechnung getragen werden. Der aktive
Offizier hat als Berufssoldat ähnlich dem Beamten durch seine Dienstzeit
Anspruch auf eine Dienstzeitpension erworben, die sich nach Rang und
Dienstalter bemißt. Dieses Recht wird den Berufssoldaten schon durch die
Reichsverfassung vom 11. August 1919 gewahrt. Deshalb haben auch die aktiven
Offiziere - im Gegensatz zu den Offizieren des
Beurlaubtenstandes - das Recht, zwischen der Versorgung nach dem
Offizierpensionsgesetz oder dem Reichsversorgungsgesetz zu wählen. Den
Kapitulanten sind die durch 8-, 12- oder 18jährige Dienstzeit erworbenen
Rechte gewahrt. Die Bestimmung, daß den Kriegshinterbliebenen von Amts
wegen die Versorgung nach den früheren Gesetzen zu gewähren ist,
wenn diese für sie günstiger ist, wird vor allem auch den Witwen und
Waisen gefallener Offiziere zugute kommen.
Das Reichsversorgungsgesetz hat auch den Unterschied zwischen
Dienstbeschädigung und Kriegsdienstbeschädigung beseitigt, der
auch häufig zu Unbilligkeiten führte. Eine Ausnahme machen nur
bestimmte Personengruppen,38 die nur
dann Versorgungsansprüche geltend machen können, wenn ihre
Beschädigungen auf die besonderen nur dem Kriege eigentümlichen
Verhältnisse zurückzuführen sind.
Gleich dem früheren Recht will das Reichsversorgungsgesetz keinen
Schadenersatz für den durch die Gesundheitsstörung oder den Tod
verursachten Schaden im bürgerlich rechtlichen Sinne leisten,39 wenn auch der Schadenersatzgedanke
von der Militärversorgung schon wegen seiner Ähnlichkeit mit der
jedem vertrauten Unfallgesetzgebung nicht ganz ferngehalten werden kann.40
Das neue Gesetz trägt vor allem dem Fürsorgegedanken Rechnung:
"Es müssen, wie es in der Begründung heißt, manche
Wünsche derjenigen Beschädigten, die in der Lage sind, sich durch
eigene Kräfte selbst zu helfen, zurücktreten gegenüber dem
unbedingten Gebote der nationalen Pflicht, Schwerbeschädigten, die ganz
oder doch erheblich auf die Versorgung durch das Reich [272] angewiesen sind, in
ausreichendem Maße zu helfen, damit sie nicht neben körperlichen
und seelischen Schmerzen von der Sorge um das tägliche Brot
gequält werden. Den Schwachen und Erwerbsunfähigen unter den
Beschädigten und Hinterbliebenen in erster Linie zu helfen, ist oberster
Grundsatz dieses Entwurfes."
Diesem Umstande werden auch viele leichter Beschädigte im Gedanken an
die treue Waffenkameradschaft im Felde gern Rechnung tragen. Ihm haben
einzelne auch dadurch schon besonders rührenden Ausdruck gegeben,
daß sie ihre Versorgungsgebührnisse, auf die sie selbst verzichten
können, an die amtlichen Fürsorgestellen für
schwerer Betroffene - meist für
Kriegsblinde - überweisen ließen.
Nach dem einleitenden § 1 erhalten frühere Angehörige der
deutschen Wehrmacht und ihre Hinterbliebenen wegen der gesundheitlichen und
wirtschaftlichen Folgen einer Dienstbeschädigung auf Antrag Versorgung.
Doch ist die Wirksamkeit des Gesetzes auch auf eine Reihe anderer
Personengruppen ausgedehnt worden, die im Zeitpunkt der Beschädigung
durch Gesetz, Verwaltungsanordnung oder Vertrag in Beziehungen zur
Wehrmacht standen und deren Gesundheitsstörung einer im
Militärdienst erlittenen Dienstbeschädigung gleichzustellen ist. Eine
bemerkenswerte Neuerung ist, daß auch die, welche auf dem Wege zum
Militärdienst oder auf dem Heimwege nach der Entlassung eine
Dienstbeschädigung erlitten haben, Anspruch auf Versorgung haben. Bei
der Einfügung dieser Vorschrift wurde besonders an die Auslandsdeutschen
gedacht, die auf der Reise nach Deutschland zum Eintritt in den
Militärdienst von den Gegnern abgefangen wurden und sich in der
Gefangenschaft eine Dienstbeschädigung zugezogen haben. Auch hat nicht
nur, wie bisher, das auf dem Kriegsschauplatz verwendete Personal der
Freiwilligen Krankenpflege, sondern auch das, das in der Heimat gepflegt hat,
Versorgung zu beanspruchen. Gerade dem Pflegepersonal gegenüber war
die bisherige Unterscheidung zwischen der Tätigkeit in
Kriegs- und Etappenlazaretten und Heimatlazaretten wohl am wenigsten
angebracht. Denn es war - vielleicht abgesehen von der kaum zu hoch zu
bewertenden Gefahr durch Fernbeschießung und
Fliegerangriffe - in der Heimat den gleichen Anstrengungen und Gefahren,
zumal in den Seuchenlazaretten, ausgesetzt wie im Felde. Daß auch
für die kriegsbeschädigten Schwestern entsprechend gesorgt wird,
wird auch von den Kriegsbeschädigten selbst freudig begrüßt
werden. Wissen sie doch, wie viel Zeit und Mühe die Schwestern den
verwundeten und kranken Kriegsbeschädigten in unermüdlicher
Selbstaufopferung gewidmet haben. Den kriegsbeschädigten Schwestern
stehen nicht nur in der Versorgung, sondern auch in der Fürsorge die
gleichen Rechte zu wie den kriegsbeschädigten Soldaten. Sie
genießen auch, wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben sind, den
Schutz des Schwerbeschädigtengesetzes.41
[273] Trotzdem das
Reichsversorgungsgesetz erst am 1. April 1920 in Kraft getreten ist, ist es auch
für die Personen anzuwenden, deren Versorgungsanspruch sich auf eine
nach dem 31. Juli 1914 und vor dem 1. April 1920 beendete Dienstleistung
gründet, also vor allem auch auf die Kriegsbeschädigten und
Kriegshinterbliebenen des Weltkrieges, ferner42 mit
gewissen Einschränkungen auch auf die früheren Angehörigen
der deutschen Wehrmacht und ihre Hinterbliebenen, soweit sie wegen
Dienstbeschädigung für eine vor dem 1. August 1914 vollendete
Dienstleistung nach den früheren Militärversorgungsgesetzen noch
Versorgung zu beanspruchen haben. Sie können statt der Versorgung nach
dem neuen Recht binnen einem Monat nach der Zustellung des
Umanerkennungsbescheides auch die nach dem alten Recht wählen.
Außerdem haben43 auch die Angehörigen des
Reichsheeres und der Marine, wenn sie an Gesundheitsstörungen leiden,
die auf eine Dienstbeschädigung zurückzuführen sind, neben
sonstigen Versorgungsarten des Wehrmachtversorgungsgesetzes Anspruch auf die
Versorgung nach dem Reichsversorgungsgesetz mit einigen geringen
Änderungen. Ist das Leiden zwar während der Dienstzeit entstanden,
aber nicht durch eine Dienstbeschädigung verursacht, so erhalten sie nur
einen Teil dieser Versorgung.
Auch die Reichsangehörigen, die durch den letzten Krieg innerhalb und
außerhalb des Reichsgebietes oder durch innere Unruhen
Schädigungen an Leib oder Leben erlitten haben, und nicht an sich unter
das Reichsversorgungsgesetz fallen, erhalten44 vom 1.
April 1920 für sich und ihre Hinterbliebenen Versorgung nach dem
Reichsversorgungsgesetz, das mit Rücksicht darauf, daß von solchen
Schädigungen auch Jugendliche und Frauen betroffen werden konnten, in
einigen Punkten ergänzt worden ist.
Voraussetzung ist, daß die Gesundheitsstörung mit einer
Dienstbeschädigung in ursächlichem Zusammenhang steht. Der
Begriff der Dienstbeschädigung wird gekennzeichnet als die
gesundheitsschädigende Einwirkung, die durch militärische
Dienstverrichtungen oder durch einen während der Ausübung des
Militärdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Militärdienst
eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Im
Gesetz wird ausdrücklich ausgesprochen, daß zur Anerkennung einer
Gesundheitsstörung als Dienstbeschädigung schon die
Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges genügt. Auch
mittelbare Folgen einer Dienstbeschädigung und vor allem die
Verschlimmerung eines bestehenden Leidens infolge einer
Dienstbeschädigung begründen einen Versorgungsanspruch.
Wie schon nach dem Gesetz vom 15. August 1917 werden auch Arbeiten
deutscher Wehrmachtsangehöriger in unverschuldeter
Kriegsgefangenschaft und die der Kriegsgefangenschaft eigentümlichen
Verhältnisse dem Militärdienst und [274] den diesem Dienst
eigentümlichen Verhältnissen gleichgeachtet. Wenn nicht die
Umstände des Falles entgegenstehen, sind die Angaben des
Beschädigten über die Vorgänge bei der Gefangennahme und
in der Gefangenschaft als Grundlage für die Entscheidung zu
verwerten.
Ein großer Fortschritt des neuen Rechts ist die Aufnahme des
Heilverfahrens in den Kreis der Versorgungsleistungen, und zwar als wichtigste
an erster Stelle. Sein oberstes Ziel ist, die durch den Kriegsdienst
geschädigte Gesundheit so gut wie möglich wiederherzustellen. Die
Minderung der Rentenlast des Reiches ist nicht Selbstzweck, sondern nur eine
freilich im Interesse der Allgemeinheit wichtige Nebenwirkung.
Bis zum Inkrafttreten des Reichsversorgungsgesetzes war die Heilbehandlung nur
durch Verwaltungsanordnungen geregelt. Das neue Gesetz räumt dem
Kriegsbeschädigten, dem Rente zugebilligt worden ist, einen Anspruch auf
Heilbehandlung ein,45 wenn durch sie eine durch
Dienstbeschädigung verursachte und den Rentenanspruch
begründende Gesundheitsstörung oder Beeinträchtigung der
Erwerbsfähigkeit beseitigt oder wesentlich gebessert, eine
Verschlimmerung verhütet oder körperliche Beschwerden behoben
werden können. Sind diese Voraussetzungen nicht mehr gegeben, sondern
kommt bei Hilflosen und Siechen nur dauernde Pflege in einem Heim
oder - bei gemeingefährlichen
Geisteskranken - Verwahrung in einer Anstalt in Frage, so wird diese nicht
im Wege der Versorgungsheilbehandlung gewährt, sondern hier hat
gegebenenfalls die soziale Fürsorge helfend einzugreifen. Auch wenn die
Folgen einer anerkannten Dienstbeschädigung den Bezug einer Rente nicht
rechtfertigen, so ist trotzdem Heilbehandlung zu gewähren, wenn dadurch
eine Verschlimmerung des Versorgungsleidens verhütet werden kann.
Auch wenn der Rentenanspruch noch nicht anerkannt ist, kann die
Heilbehandlung, ohne daß ein Rechtsanspruch hierauf bestünde,
schon vorher eingeleitet werden. Sie kann wiederholt werden, wenn das
Versorgungsleiden eine erneute Behandlung notwendig erscheinen
läßt. Die Versorgungsbehörden können gegebenenfalls
auch ohne Antrag des Beschädigten eine neue Heilbehandlung eintreten
lassen, wenn dadurch eine Besserung des Gesundheitszustandes des
Beschädigten zu erwarten ist. Verweigert der Beschädigte ohne
gesetzlichen oder triftigen Grund die Heilbehandlung, und wird dadurch die
Erwerbsfähigkeit ungünstig beeinflußt, so kann ihm auf eine
bestimmte Zeit, die nach dem zu erwartenden Heilerfolg zu bemessen sein wird,
die Rente ganz oder teilweise versagt werden. Er muß jedoch zuvor auf
diese Folgen hingewiesen sein.
Der Beschädigte ist aber berechtigt, eine Operation abzulehnen, die in den
Bestand oder die Unversehrtheit seines Körpers schwer eingreift oder die
mit [275] Lebensgefahr
verbunden ist. In diesem Falle z. B. wäre die Verweigerung der
Behandlung begründet und könnte daher auch keine nachteiligen
Folgen für den Beschädigten nach sich ziehen.
Zur Heilbehandlung gehören ärztliche Behandlung, Versorgung mit
Arznei und anderen Heilmitteln, sowie die Ausstattung mit
Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen
Hilfsmitteln, die zur Sicherung des Heilerfolges und zur Erleichterung der Folgen
der Dienstbeschädigung erforderlich sind. Eine Beschränkung auf
kleine Heilmittel ist, wie auch eine zeitliche Beschränkung der Behandlung,
nicht vorgesehen. Sie wird vielmehr so lange fortgesetzt, bis keine Besserung des
Gesundheitszustandes und keine Steigerung der Erwerbsfähigkeit mehr zu
erwarten ist.
An die Stelle der ambulanten ärztlichen Behandlung kann auch Kur und
Verpflegung in einer Heilanstalt oder in einem Badeort treten. Hat der
Beschädigte einen eigenen Haushalt oder gehört er dem Haushalt
seiner Familie an, so ist in der Regel zur Einleitung der Heilanstaltspflege seine
Zustimmung erforderlich. Wenn Heilanstaltspflege zwar geboten ist, sich aber
nicht durchführen läßt, oder wenn der Beschädigte aus
einem wichtigen Grunde in der Familie belassen werden soll, kann an ihre Stelle
mit Zustimmung des Beschädigten Hauspflege treten. Die Hauspflege wie
auch die Heilanstaltspflege und die ambulante Behandlung sind,
gleichgültig ob der Beschädigte Kassenmitglied ist oder nicht, durch
die Krankenkasse zu leisten, der das Reich die Kosten ersetzt. Die Badekuren
gewährt das Reich selbst. Außerdem hat es sich den Weiterbestand
von Einrichtungen zur Behandlung besonders gearteter Fälle (z. B.
orthopädische Lazarette, Anstalten für
Kiefer- oder Hirnverletzte) vorbehalten. Auch die
Körperersatzstücke, die orthopädischen und anderen
Hilfsmittel, wie auch die Führerhunde der Kriegsblinden, liefert das Reich
selbst.46
Welche Körperersatzstücke, orthopädischen usw. Hilfsmittel
das Reich zu gewähren hat, ist gesetzlich bestimmt.47 Neben künstlichen Gliedern,
Stützapparaten, orthopädischen Schuhen, werden auch
Gesichtsersatzstücke, Gebisse, Perücken, Brillen, Hörapparate,
Krankenfahrstühle, Selbstfahrer, Krücken und Stöcke, aber
auch außergewöhnliche Kleidungsstücke, deren Tragen infolge
der Beschädigung notwendig sind, wie Stumpfstrümpfe, warme und
Arbeitshandschuhe für verstümmelte Hände,
Prothesenhandschuhe, Kopfschutzapparate geliefert.
Den Schwerstbeschädigten, welche keinen Schirm tragen können,
weil ihnen beide Arme fehlen oder weil sie dieselben dauernd zur Führung
der Krücken oder Stöcke oder zur Bedienung des Selbstfahrers
benötigen, wie auch den Blinden, die durch einen offenen Schirm andere
gefährden würden, wird ein Regenmantel gewährt. Blinde mit
Führerhund, Träger von zwei Krücken oder [276] zwei Stöcken
und Inhaber von Selbstfahrern erhalten auch Winterhandschuhe, damit ihre
Hände nicht durch die Kälte unfähig werden, Hunde,
Krücken, Stöcke oder Selbstfahrer zu führen. Den Armlosen,
die sich weder Zug-, Knopf- oder Schnürstiefel selbst anziehen
können, sind Schlüpfschuhe zugedacht, den
Hüft- und Gesäßverletzten
Wasser- und Luftkissen sowie Polsterkissen. Kosten für unwesentliche
Abänderungen von Liegestühlen, Sitzstühlen,
Fahrrädern (besonders bei Beinbeschädigten), die durch die
Beschädigung notwendig werden, werden ersetzt.
Diese Behelfsmittel werden in der erforderlichen Stückzahl
gewährt - künstliche Glieder z. B. für jedes
verlorene Glied 2. Sie müssen dem Bedürfnis des Trägers
angepaßt sein, werden auch vom Reich wieder instand gesetzt oder ersetzt,
wenn sie durch natürliche
Abnutzung - nicht etwa durch böswilligen oder mutwilligen
Mißbrauch - schadhaft oder unbrauchbar geworden sind.
Am 1. September 1921 hatten die 63 orthopädischen Versorgungsstellen in
Deutschland zu versorgen:
- Oberarmamputierte (einschließlich exartikulierte) 14 098,
darunter doppelseitig 97;
- Unterarm- oder Handamputierte 9985, darunter doppelseitig 94;
- Oberschenkelamputierte und in der Hüfte Exartikulierte
31 162, davon doppelseitig 491;
- Unterschenkel- und Fußamputierte 23 791, davon doppelseitig
593;
- Träger von Stützapparaten 34 803;
- Träger von orthopädischem Schuhwerk 91 614;
- mit Selbstfahrern und Fahrstühlen ausgestattete
Kriegsbeschädigte 1635.48
Schon in den ersten Jahren des Krieges haben sich Ärzte und Ingenieure
gemeinsam besonders in den Prüfstellen für Ersatzglieder (vor allem
in Charlottenburg) bemüht, einen möglichst vollkommenen Ersatz
der verlorenen oder unbrauchbar gewordenen Glieder zu erfinden. Beim Bein ist
dies, wie man wohl sagen darf, besser gelungen als beim Arm und bei der Hand.
Ein guter Ersatz des Beines ist auch wohl noch notwendiger als der des Armes;
denn ohne Kunstbein ist dem Beinamputierten die Fortbewegung ohne
Krücken oder Selbstfahrer unmöglich. Sein Ersatz ist aber auch
einfacher, weil die Aufgaben des Beines weitaus nicht so vielseitig sind wie die
der Hand. Deren kunstreiches Gebilde vollkommen nachzumachen, ist wohl kaum
möglich. Je mehr sich eine Erfindung diesem Höchstziele
nähert, desto komplizierter und damit weniger brauchbar in der Praxis wird
meistens die Kunsthand. Unter den willkürlich beweglichen Armen haben
besonders der nach seinem amerikanischen selbst amputierten Erfinder genannte
Carnes-Arm und der von Geheimrat Dr. Sauerbruch (jetzt München)
ausgedachte Sauerbruch-Arm Aufsehen erregt. Sie leisten auch bei [277] entsprechender
Stumpfbeschaffenheit, und (was vor allem wichtig ist) bei starker Willenskraft des
Trägers sehr gute Dienste, kommen aber nach übereinstimmendem
sachverständigen Urteil wohl nur für Kopfarbeiter, aber kaum
für Handarbeiter in Betracht. Für letztere eignen sich besser die
Arbeitsarme mit entsprechenden Arbeitsansätzen.
Gerade bei der Wahl der Kunstglieder müssen die persönlichen
Verhältnisse des Trägers weitgehend berücksichtigt werden.
Dieses starke Individualisieren schließt aber keineswegs die Schaffung von
Normaltypen aus, durch die der Ersatz schadhaft gewordener Teile der Prothesen
erleichtert werden soll. Da das Hilfsmittel nur seinen Zweck erfüllen kann,
wenn es gut sitzt und der Träger mit dem Gebrauch vertraut ist, ist der
Beschädigte verpflichtet, sich dasselbe anpassen zu lassen und sich
gegebenenfalls einer Ausbildung zu unterziehen.49
Gleichsam als Prothese erhält der Blinde, aber nur, wenn er sich bei
gewöhnlichen Witterungs- und Verkehrsverhältnissen und bei
mittlerer Tageshelle nicht allein ohne Hilfe auf der Straße oder einem
unbekannten Platz zurechtzufinden vermag, einen Führerhund mit
Hundegeschirr. Für den Unterhalt des Hundes wird ein nach Ortsklassen
abgestufter und der Teuerung entsprechend wiederholt erhöhter
Zuschuß gewährt. Freilich können mit den bisher gezahlten
Beträgen die Führerhunde nicht völlig unterhalten werden.
Deshalb erscheint eine weitere beträchtliche Erhöhung dieser
Sätze notwendig.50
Aus diesem Betrag sind auch die Versicherungskosten, Gebühren und die
etwaige Hundesteuer zu bestreiten. Dagegen werden die Kosten für Arznei
und Verbandmittel sowie für tierärztliche Behandlung gegen
entsprechenden Nachweis in angemessenem Umfang ersetzt. Wohl in den meisten
Ländern, so z. B. in Preußen und Bayern, wird für die
Führerhunde der Blinden keine Hundesteuer oder Hundeabgabe
verlangt.
Während ambulanter Heilbehandlung und bei Hauspflege erhalten die
versicherten Beschädigten schon nach der Reichsversicherungsordnung
oder der Satzung ihrer Kasse ein Krankengeld, der Nichtversicherte, wenn sein
Einkommen durch die Erkrankung gemindert ist, ein sogenanntes
Versorgungskrankengeld nach § 12 des Reichsversorgungsgesetzes,
das aber ebenfalls durch die Krankenkasse ausgehändigt wird.
Für den Erfolg der Heilbehandlung ist es außerordentlich wichtig,
daß der Kranke sich während der Krankheit nicht wegen des
Unterhalts seiner Familie zu sorgen braucht. Deshalb ist vorgesehen, daß
während der Heilanstaltspflege eines Beschädigten seinen
Angehörigen ein nicht unbeträchtliches Hausgeld gegeben wird, das
bei Bedürftigkeit noch durch eine Unterstützung für den
Beschädigten (Taschengeld) wie auch für seine Angehörigen
ergänzt werden kann. [278] Bei Badekuren ist die
Bewilligung des Hausgeldes und der Unterstützung in das Ermessen der
Versorgungsbehörde gestellt.
Das Reichsversorgungsgesetz hält bis jetzt an dem Grundsatz fest,
daß Versorgungsheilbehandlung nur gewährt wird, wenn ein
ursächlicher Zusammenhang zwischen der Krankheit und der
Dienstbeschädigung angenommen werden kann. Deshalb mußte eine
Ausdehnung der Versorgungsheilbehandlung auf Kriegshinterbliebene abgelehnt
werden. Für sie kann, soweit sie nicht als Versicherte an sich einen
Anspruch auf freie ärztliche Behandlung durch eine Krankenkasse oder die
Landesversicherungsanstalt haben, nur die soziale Fürsorge eintreten. Die
Heilfürsorge für die Kriegerwitwen und Kriegerwaisen war schon
immer eine der wichtigsten, aber auch schwierigsten Aufgaben der sozialen
Kriegshinterbliebenenfürsorge. Auch nach dieser Richtung wird wohl die
Zukunft weitere Fürsorgemöglichkeiten sichern.
An zweiter Stelle nennt das Reichsversorgungsgesetz die soziale Fürsorge
als einen dem bisherigen Versorgungsrecht ganz fremden Bestandteil der
Versorgung. Im Gesetz wird der Anspruch des Beschädigten auf
unentgeltliche Berufsausbildung näher umschrieben. Sie wird zur
Wiedergewinnung der Erwerbsfähigkeit vorgenommen, soweit der
Beschädigte durch seine Dienstbeschädigung in der Ausübung
seines Berufs oder in der Fortsetzung einer begonnenen Ausbildung wesentlich
beeinträchtigt ist. Weitere Voraussetzung ist Eignung und eifrige Arbeit des
Beschädigten. In der Regel soll sie höchstens ein Jahr dauern, doch
sind Ausnahmen keineswegs ausgeschlossen. Dieser "Anspruch" kann aber nicht
vor den Versorgungsgerichten geltend gemacht werden. Über ihn
entscheidet die zuständige Hauptfürsorgestelle für
Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene oder die von ihr beauftragte
Stelle, auf Einspruch endgültig ihr Beirat. Über die soziale
Fürsorge wird in einem späteren Abschnitt noch eingehend zu
handeln sein. Ihrem ganzen Wesen nach läßt sich die soziale
Fürsorge schwer oder wohl überhaupt nicht in Paragraphen festlegen.
Auch das Reichsversorgungsgesetz hat davon abgesehen, nur wird allgemein
ausgesprochen, daß die Fürsorgestellen den Beschädigten und
Hinterbliebenen bei der Wahl eines geeigneten Berufs, bei der Berufsausbildung
und bei der Unterbringung im Erwerbsleben beistehen und ihnen überhaupt
behilflich sein sollen, die Folgen der Dienstbeschädigung oder des
Verlustes des Ernährers nach Möglichkeit zu überwinden oder
zu mildern. Im übrigen wird auf die Richtlinien des Reichsausschusses der
Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge
verwiesen.
Auch die Rentenversorgung des Reichsversorgungsgesetzes ist auf dem
Fürsorgegedanken aufgebaut und weicht deshalb in vielen Punkten vom
bisherigen Recht nicht unwesentlich ab. Aus diesem Gedanken heraus wird bei
der Bemessung der Rente neben der Minderung der Erwerbsfähigkeit der
Beruf, der Familienstand und der Wohnsitz des Beschädigten mit
berücksichtigt.
[279] Während nach
dem Mannschaftsversorgungsgesetz schon bei einer Erwerbsminderung von 10%
eine Rente gewährt wurde, ist nach dem Reichsversorgungsgesetz eine
Erwerbsbeschränkung von mindestens 15% Voraussetzung für
Bewilligung von Versorgungsgebührnissen. Eine weitere Hinaufsetzung
dieser Grenze auf 25% ist geplant. Die bisherigen Empfänger von 10%igen
Renten haben ihre Rente nebst allen Zulagen usw. bis 31. Dezember 1920
weitergezahlt erhalten und bekamen dann noch von Amts wegen eine einmalige
Abfindung in Höhe des dreifachen Jahresbetrages dieser
Gebührnisse. Es sind auf diese Weise etwa 262 000
Rentenempfänger abgefunden worden.
In der amtlichen Begründung wird zur Festsetzung der niedrigsten
Erwerbsminderungsgrenze auf 15% darauf hingewiesen, daß
erfahrungsgemäß die kleineren Schäden schwer meßbar
sind und daß während des Krieges nicht nur die Personen, die
Militärdienst geleistet haben, in ihrer Erwerbsfähigkeit
beeinträchtigt worden sind, sondern daß die Leistungsfähigkeit
aller Berufskreise infolge der schlechten Ernährung und Überreizung
der Nerven schwer gelitten haben. Mitbestimmend dürfte auch gewesen
sein, daß gerade die Zahl der Leichtbeschädigten sehr hoch ist51 und deshalb die Rente, die ihnen
gewährt werden kann, zwar für den einzelnen
verhältnismäßig niedrig und gegenüber seinem sonstigen
Einkommen verschwindend klein ist, ihre Renten in der Gesamtheit aber doch
recht beträchtliche Summen ausmachen. Diese Leichtbeschädigten
können daher, ohne daß sie dies als ein Opfer empfinden, auf diese
geringen Beträge verzichten. Die dadurch frei werdenden Gelder
können - darin kommt wieder der Fürsorgegedanke zum
Ausdruck - für die weitaus nicht so zahlreichen
Schwer- und Schwerstbeschädigten verwendet werden, die auf die
Versorgungsgebührnisse angewiesen sind. Durch die Auszahlung solch
niedriger Renten erwachsen auch unverhältnismäßig hohe
Verwaltungskosten.
Dabei soll der Umfang der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit
nicht ausschließlich nach äußeren Merkmalen, auch nicht allein
nach dem ärztlich erhobenen Befund festgestellt werden. Vielmehr sollen
auch die seelischen Begleiterscheinungen oder ständigen Schmerzen, die
mit der Beschädigung verbunden sind, berücksichtigt werden.
Die noch im englischen Recht vorwiegende Knochentaxe, die, ganz nach
äußerlichen Merkmalen abgestuft, für gleiche Verwundungen
gleiche Renten gibt, würde auch nicht dem Grundgedanken des
Reichsversorgungsgesetzes entsprechen. Denn die gleichen
Beschädigungen können für Angehörige verschiedener
Berufe ganz verschieden wirken. Man denke z. B., wieviel schwerer ein
Schmied durch den Verlust eines Gliedes betroffen wird als ein geistiger Arbeiter,
wieviel härter umgekehrt Geistliche, Lehrer, Rechtsanwälte eine
Schädigung der
Sprach- [280] werkzeuge trifft. Es
soll aber auch nicht ausschließlich der vor der Einberufung ausgeübte
Beruf maßgebend sein. Es soll vielmehr verlangt werden, daß auch
der in seiner Erwerbsfähigkeit Beeinträchtigte bereit ist, jedem
Erwerb nachzugehen, der ihm unter Berücksichtigung seiner
Lebensverhältnisse, Kenntnisse und Fähigkeiten billigerweise
zugemutet werden kann.52 Ausdrücklich wird betont,
daß die Verdienstverhältnisse keinen Maßstab bilden
dürfen. Der starke Wille, alle Hemmnisse eines Gebrechens zu
überwinden, wird bei vielen Kriegsbeschädigten durch die Sorge
abgeschwächt, daß sie der durch besondere Anstrengung gewonnenen
Erfolge dadurch gleichsam verlustig gehen könnten, daß ihre Rente
entsprechend gekürzt werden könnte. Deshalb ist besonders
hervorgehoben, daß der nur unter Aufwendung
außergewöhnlicher Tatkraft erreichte höhere Grad der
Erwerbsfähigkeit bei der Bemessung der Erwerbsminderung nicht in
Rechnung gestellt werden darf.
Häufig wird es vorkommen, daß ein Beschädigter einen
schweren, körperlichen Schaden erlitten hat, der ihn in seiner
Erwerbsfähigkeit nicht meßbar behindert, ihn aber doch in seiner
ganzen Lebensfreude - vor allem seelisch - stark beeinflußt
und ihm auch nicht unbeträchtliche Sonderausgaben verursacht. Für
solch schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit
wird eine Versehrtheitrente gewährt. Die Sätze für die
einzelnen Beschädigungen sind nach Art der
Knochentaxe - hier aber wohl mit
Recht53 - bindend festgelegt.
Die Möglichkeit der Ausübung eines Berufs nimmt nicht nur
arithmetisch ab mit dem Grade der Erwerbsbehinderung. Umgekehrt wachsen die
Sonderauslagen mit der stärkeren Beeinträchtigung. Deshalb wird
den Schwerbeschädigten (zu denen nach dem Gesetz über die
Beschäftigung Schwerbeschädigter alle, die mindestens 50%
erwerbsbeschränkt sind, zählen) neben der Grundrente eine
Schwerbeschädigtenzulage gegeben. Die Schwerbeschädigtenzulage
ersetzt gleichsam die Verstümmelungszulage des alten Rechtes, ohne deren
historisch verständliche oben schon gerügte Mängel zu
übernehmen; sie kommt aber allen Schwerbeschädigten, auch den
innerlich Kranken, zugute und nicht nur den äußerlich
Verstümmelten. Ein Teil der Aufgaben der früheren
Verstümmelungszulage ist freilich auf die noch zu behandelnde
Pflegezulage übergegangen.
Zur Grundrente und gegebenenfalls Schwerbeschädigtenzulage kommen
noch mancherlei Zulagen.54
Der Reichstag hatte schon bei den Beratungen im Frühjahr 1915 den
Wunsch ausgesprochen, daß die Kriegsbeschädigten und
Kriegshinterbliebenen möglichst in ihrer bisherigen sozialen Schicht
erhalten werden, was freilich bei den wirtschaftlichen Verhältnissen nach
dem unglücklichen Ausgang des Krieges [281] oft nur schwer
möglich ist. Es wurde damals besonders der Gedanke der Anpassung der
Rente an das frühere Berufseinkommen des Beschädigten oder des
Gefallenen ausgesprochen.55 Bei der
vollständigen Umwertung, die der Krieg und besonders die Nachkriegszeit
gebracht, wäre das Arbeitseinkommen wohl keine zuverlässige
Grundlage.
Der vom Reichsversorgungsgesetz gewählte Maßstab scheint
zuverlässiger. Er gewährt den Beschädigten eine
Ausgleichszulage, wenn sie vor dem Eintritt in den Militärdienst oder als
Angehörige der Wehrmacht einen Beruf ausgeübt haben, der
erhebliche Kenntnisse und Fertigkeiten fordert. Sie wird erhöht, wenn der
Beruf außer diesen erheblichen Kenntnissen und Fertigkeiten ein
besonderes Maß von Leistung und Verantwortung verlangt. Die
Ausgleichszulage wird auch dann zugebilligt, wenn nur die Beschädigung
den Beschädigten hindert, einen Beruf auszuüben, den er sonst nach
seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten
hätte erreichen können und nach dem bisher betätigten
Arbeits- und Ausbildungswillen voraussichtlich auch ausgeführt
hätte oder (wie die Novelle zur Beseitigung von Härten noch
anfügen wird) wenn er nur unter Aufwendung
außergewöhnlicher Tatkraft einen solchen Beruf erreicht hat.
Von einer großen Gruppe von Kriegsopfern wird die Ausgleichszulage
scharf bekämpft, weil sie - freilich in erheblich veränderter
Form - den alten Unterschied der Versorgung nach dem Dienstgrad wieder
aufleben lasse. Dieser Vorwurf erscheint unbegründet, zumal das Gesetz
die Vorbildung außer Betracht läßt. Die militärische
Dienststellung ist nur bei berufsmäßigen Angehörigen der
Wehrmacht56 ausschlaggebend, während bei
allen übrigen Beschädigten nur die bürgerlichen Berufe in
Betracht kommen.
Die Voraussetzungen für die Gewährung der einfachen
Ausgleichszulage werden57 dem
überwiegenden Teil aller Kriegsbeschädigten zugute kommen.
Die Grundrente, die Schwerbeschädigten- und die Ausgleichszulage, falls
eine solche in Betracht kommt, bilden zusammen die sogenannte Vollrente. Da
auch die Hinterbliebenenrenten nach der Vollrente des Verstorbenen bemessen
werden, wird auch bei ihnen - durch die
Ausgleichszulage - die soziale Stellung der Familie berücksichtigt.
Die Blinden, deren Sehvermögen so gering ist, daß es wirtschaftlich
wertlos ist, erhalten immer die Vollrente. Dieser Begriff der sogenannten
praktischen Blindheit umfaßt auch solche Blinde, die sich auf der
Straße noch ohne fremde Hilfe zurecht finden können und deshalb
auf einen Führerhund und auch auf die Pflegezulage keinen Anspruch
haben.58 Es ist erfreulich,
daß - auf Anregung aus den Kreisen der
Kriegs- [282] blinden
selbst - nicht gesagt wird, die praktisch Blinden sind erwerbsunfähig
(wie es nach dem Mannschaftsversorgungsgesetz angenommen werden
mußte, um den Kriegsblinden die Vollrente zu geben), sondern daß
sie ohne Rücksicht darauf, wieweit sie gegebenenfalls noch als
erwerbsfähig angesehen werden können oder sich selbst
fühlen, kraft Gesetz die Vollrente erhalten.
Wiederum entsprechend den Anregungen des Reichsausschusses gibt das
Reichsversorgungsgesetz dem Kriegsbeschädigten für jedes eheliche
oder den ehelichen Kindern gleichgestellte Kind bis zur Vollendung des
18. Lebensjahres eine Kinderzulage von 10% Grundrente,
Schwerbeschädigten- und Ausgleichszulage. Diese Sätze sollen
hinaufgesetzt werden, wie die Gesetzgebung überhaupt bemüht ist,
die sozialen Zulagen möglichst auszubauen und kinderreiche Familien in
erster Linie zu berücksichtigen. Kämen für ein Kind mehrere
Kinderzulagen in Betracht (z. B. weil beide Eltern versorgungsberechtigt
sind), so wird die günstigere gewährt.
Nur wenn das Kind infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen sich nicht
selbst unterhalten kann, wird59 auch
über das 18. Jahr hinaus für die ganze Dauer dieses Zustandes
die Zulage gewährt, vorausgesetzt, daß der Beschädigte das
Kind unentgeltlich unterhält. Den ehelichen Kindern gleichgestellt sind die
ehelich erklärten und unter bestimmten Voraussetzungen die an Kindesstatt
angenommenen, die Stief-, Pflege- und die unehelichen Kinder.
Im Gegensatz zu der Waisenrente, die den Waisen zusteht, ist die Kinderzulage
ein Bestandteil der Rente des unterhaltspflichtigen Vaters. Sollte der Vater
für seine Kinder nicht sorgen und auch die Kinderzulage für sich
verbrauchen, so kann die Rente mindestens in der Höhe der Kinderzulage
zur Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht gepfändet
werden.60 Die Novelle trifft Vorkehrungen,
daß die Kinderzulage in den Fällen, in denen der Beschädigte
nicht für das Kind sorgt, an den gesetzlichen Vertreter oder an eine andere
Person gezahlt wird, die Gewähr bietet, daß die Kinderzulage auch
wirklich dem Kinde zugute kommt.
Für die Zeit, in der der Beschädigte infolge der
Dienstbeschädigung zu den gewöhnlichen Verrichtungen des
täglichen Lebens ganz oder doch in erheblichem Umfange einer fremden
Hilfskraft dauernd bedarf, erhält er als "Hilfloser" eine Pflegezulage. Sie
wird auch den Blinden - auch neben dem
Führerhund - zugebilligt. Bei diesen ist Voraussetzung, wie bei
Bewilligung eines Führerhundes, daß der Verlust oder die Minderung
des Augenlichts so schwer ist, daß der Blinde sich nicht allein auf der
Straße zurechtfinden kann. Wenn die Gesundheitsstörung dauerndes
Krankenlager und außergewöhnliche Pflege erfordert, so wird die
Zulage erhöht. Diese erhöhte Pflegezulage kann vor allem in
Betracht kommen, wenn mehrere Beschädigungen zusammentreffen, von
denen jede Hilflosigkeit bedingt, z. B. Kriegsblinde, die gleichzeitig das
Gehör verloren [283] haben oder denen ein
Arm oder ein Bein abgenommen ist. Die Hilflosigkeit muß zwar eine Folge
der Dienstbeschädigung, braucht aber nicht ausschließlich auf eine
Dienstbeschädigung zurückzuführen sein. Sie wird auch dann
anzunehmen sein, wenn die Folgen der Dienstbeschädigung zusammen mit
einem sonstigen Leiden Hilflosigkeit bedingen. Ich denke da, um einen tragischen
Vorfall aus jüngster Zeit anzuführen, an einen einseitig
gelähmten Schwerhirnverletzten, der durch einen Straßenbahnunfall
noch ein Bein verloren hat. Diese Ausführungsbestimmung hat schon jetzt
besondere Bedeutung für manche unter das
Kriegspersonenschädengesetz fallende Personen, sie wird aber auch
für viele Kriegsbeschädigte noch von großer Wichtigkeit
werden, wenn die Beschwerden des Alters sich zeigen und diese zusammen mit
einer schweren Beschädigung den Beschädigten hilflos machen.
Die Pflegezulage setzt nicht Gewährung der Vollrente voraus. Die
Pflegezulage ist im Wege des § 87 Reichsversorgungsgesetz mehrfach
erhöht worden; weitere Erhöhung ist in Aussicht genommen.
Der bedingten Rente des alten Rechtes entspricht im Reichsversorgungsgesetz das
"Übergangsgeld". Dieses kann einem Angehörigen der Wehrmacht,
der nach dem Gesetz nicht versorgungsberechtigt, aber beim Ausscheiden aus
dem Militärdienst durch eine Gesundheitsstörung
erwerbsbeschränkt ist, zugesprochen werden. Das Übergangsgeld,
dessen Bewilligung in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellt ist,
darf nur bei Bedürftigkeit und höchstens bis 3 Jahre nach dem
Ausscheiden aus dem Heeresdienst gewährt werden. An die Stelle des
Übergangsgeldes kann auch Heilbehandlung einschließlich
Krankengeld, Hausgeld und Unterstützung treten.
Das Reichsversorgungsgesetz hat statt des Zivilversorgungsscheins für
Kapitulanten (Militäranwärter) und des Anstellungsscheins zum
Unterbeamtendienst für die übrigen Unteroffiziere und Mannschaften
den Beamtenschein eingeführt. Er wird neben der Rente bewilligt, setzt
aber außer der Eignung zum Beamten Erwerbsminderung um wenigstens
50% und Notwendigkeit des Berufswechsels voraus.
Nach langwierigen Verhandlungen sind am 26. Juli 1922 die
Anstellungsgrundsätze ergangen, die die Anstellung der Inhaber eines
Versorgungsscheins (Beamtenschein des Reichsversorgungsgesetzes,
Zivildienstschein des Wehrmachtsversorgungsgesetzes, Polizeiversorgungsschein
des Reichsgesetzes über die Schutzpolizei der Länder und des alten
Zivilversorgungs- oder Anstellungsscheines) im öffentlichen Dienste
regeln.61 Der Beamtenschein muß nach
der Novelle versagt [284] werden, wenn ein
Schwerbeschädigter infolge nachgewiesener Geisteskrankheit, schweren
Siechtums und anderer schwerer Gebrechen eine Beamtenstelle offenbar nicht
wahrnehmen kann; Blindheit und Taubheit schließen aber an sich die
Verleihung des Beamtenscheins nicht aus.
Beim Tode eines Rentenempfängers wird, gleichgültig, ob der Tod
auf eine Dienstbeschädigung zurückzuführen ist oder nicht,
ein Sterbegeld gewährt, das abgestuft ist nach der Zugehörigkeit des
Wohnorts des Verstorbenen zu einer Ortsklasse. Das Sterbegeld ist mit
Rücksicht auf die fortschreitende Geldentwertung wiederholt hinaufgesetzt
worden und wird noch eine beträchtliche Erhöhung und auch eine
Abstufung erfahren, je nachdem der Tod eine Folge einer
Dienstbeschädigung ist oder nicht. Vom Sterbegeld sind zunächst die
Bestattungskosten zu bestreiten. Ein etwaiger Überschuß wird
nacheinander an die Ehegattin, die Kinder, die Eltern, Großeltern,
Geschwister oder Geschwisterkinder ausgehändigt, wenn sie mit dem
Verstorbenen zur Zeit des Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt
haben.
Unter den gleichen Voraussetzungen werden nach dem Tode eines
Rentenempfängers an die genannten nächsten Verwandten die
Versorgungsgebührnisse des Verstorbenen für die auf den
Sterbemonat folgenden drei Monate ausgezahlt.
Die Gewährung von Hinterbliebenenrenten setzt voraus, daß der Tod
die Folge einer Dienstbeschädigung ist. Es ist nicht notwendig, daß
der Verstorbene eine Dienstbeschädigungsrente bezogen hat. Wie für
die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Dienstbeschädigung,
genügt auch für die Begründung eines
Hinterbliebenenanspruchs die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen
Zusammenhangs zwischen der Dienstbeschädigung und dem Tode.
Die erwerbsfähige Witwe erhält 30% der Vollrente, die der
Verstorbene im Falle der Erwerbsunfähigkeit bei Lebzeiten beanspruchen
konnte, als Witwenrente. Je nachdem der Verstorbene auf Grund seiner
beruflichen Tätigkeit auf die einfache oder erhöhte Ausgleichszulage
Anspruch hatte, ist diese auch bei der Berechnung der Witwenrente zu
berücksichtigen. Solange die Witwe erwerbsunfähig ist oder wegen
der Pflege und Erziehung eines oder mehrerer Kinder einem Erwerb nicht
nachgehen kann, tritt eine Erhöhung der Rente ein. Diese letzte
Bestimmung soll möglichst wohlwollend ausgelegt werden. Aber
selbstverständlich muß die Witwe auch tatsächlich für
ihre Kinder sorgen. Der Umstand, daß die Witwe einer Arbeit nachgeht, um
ihre Einkünfte zu erhöhen, schließt die Bewilligung der
erhöhten Witwenrente nicht aus. Sie ist auch dann zuzubilligen, wenn die
Zeit und Arbeitskräfte der Mutter durch die Pflege und Erziehung ihrer
Kinder so in Anspruch genommen werden, daß sie nicht oder nur unter
Aufwendung außergewöhnlicher Tatkraft oder durch Einstellung
eines Dienstboten usw. in etwa gleichem Umfange wie eine kinderlose
Frau einen Beruf ausüben kann.
[285] Der Begriff der
Erwerbsunfähigkeit der Witwe entspricht dem der Invalidität in der
Sozialversicherung; er setzt voraus, daß die Witwe wegen
körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht nur vorübergehend nicht
mehr als ein Drittel dessen zu verdienen vermag, was gesunde Frauen unter sonst
gleichen Voraussetzungen durch Arbeit in der Regel erwerben. Die Witwe
erhält auch schon mit Vollendung des 50. Lebensjahres die
erhöhte Rente der erwerbsunfähigen Witwe.62
Es ist nach dem Reichsversorgungsgesetz für die Gewährung der
Witwenrente gleichgültig, ob die Ehe vor oder nach der
Dienstbeschädigung geschlossen worden ist, welcher Zeitraum zwischen
der Heirat und dem Tode liegt und welcher Altersunterschied zwischen den
beiden Ehegatten bestanden hat. Voraussetzung ist nur, daß die Frau im
Zeitpunkt des Todes mit dem Verstorbenen durch eine rechtsgültige Ehe
verbunden war. Die Witwenrente steht auch schuldlos geschiedenen Ehefrauen zu,
denen auch die wegen Geisteskrankheit des Mannes geschiedenen gleichgestellt
werden.
Seit 1916 wurde den Kriegerwitwen, ohne daß ein Rechtsanspruch darauf
bestanden hätte, aus dem Härteausgleichsfonds im Falle der
Wiederverehelichung eine einmalige Abfindungssumme gewährt. Das neue
Recht verleiht den Witwen für den Fall der Wiederverheiratung mit einem
Deutschen an Stelle der Witwenrente einen Anspruch auf eine Abfindung in
Höhe des dreifachen Jahresbetrages der zuletzt bezogenen Rente. Das Alter
der Witwe bei der neuen Eheschließung ist ohne Belang. Die Witwenrente
lebt auch mit dem Tode des zweiten Ehegatten nicht wieder auf.
Analog dem Übergangsgeld kann die Witwe eines
Rentenempfängers, wenn der Tod nicht durch die
Dienstbeschädigung verursacht ist, und ebenso in Zukunft eine Waise im
Falle der Bedürftigkeit eine Witwen- bzw. Waisenbeihilfe erhalten.
Das Reichsversorgungsgesetz findet auch auf Frauen entsprechende Anwendung,
besonders auf Krankenschwestern. Stirbt nun eine solche Ehefrau an den Folgen
einer Dienstbeschädigung, so erhält ihr Ehemann analog dem
Kriegspersonenschädengesetz auf die Dauer der Bedürftigkeit eine
Witwerrente, wenn die verstorbene Ehefrau wegen der Erwerbsunfähigkeit
ihres Ehemannes seinen Lebensunterhalt wesentlich aus ihrem Arbeitsverdienst
bestritten hat.
Kinder eines an den Folgen einer Dienstbeschädigung Verstorbenen
erhalten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres eine Waisenrente. Wie
bei der Kinderzulage sind auch hier die für ehelich erklärten und die
an Kindesstatt angenommenen Kinder, ferner unter gewissen Voraussetzungen
auch die Stief- und Pflegekinder und die unehelichen Kinder, wenn die
Vaterschaft des Verstorbenen glaubhaft gemacht ist, den ehelichen Kindern
gleichgestellt.
[286] Bei Waisen, die bei
Vollendung des 18. Lebensjahres infolge körperlicher oder geistiger
Gebrechen außerstande sind, sich selbst zu unterhalten, wird ebenfalls die
Waisenrente während der Dauer dieses Zustandes weitergezahlt.63 Im Gegensatz zum früheren
deutschen Militärversorgungsrecht tritt nach dem Reichsversorgungsgesetz
keine Kürzung der Witwen- und Waisenrente ein, wenn diese zusammen
die Vollrente des verstorbenen Vaters übersteigen.64
Die Eltern (auch Adoptiv-, Stief- und Pflegeeltern) oder an ihrer Stelle die
Großeltern erhalten unter gewissen Voraussetzungen eine Elternrente.
Anders als dies beim Kriegselterngeld im früheren Recht der Fall war,
besteht auf die Elternrente ein Rechtsanspruch, der freilich im Gegensatz zu den
übrigen Ansprüchen des Reichsversorgungsgesetzes
Bedürftigkeit voraussetzt. Außerdem ist Bedingung, daß der
Verstorbene (Sohn oder Tochter) der Ernährer der Rentenbewerber
gewesen ist oder nach dem Ausscheiden aus dem Heeresdienst geworden
wäre, eine Frage, die oft sehr schwer zu entscheiden ist. In der Regel wird
verlangt, daß der Gefallene den Anspruchberechtigten zum mindesten
überwiegend unterhalten hat. Die Leistung eines wenn auch
regelmäßigen, aber nur geringen Zuschusses kann nicht als
ausreichend angesehen werden. Es sind nicht nur Unterstützungen durch
Bar- oder Sachleistungen zu berücksichtigen, sondern auch Mithilfe im
Geschäft oder bei der Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen
Anwesens. Auf unsichere Vermutungen muß häufig die Entscheidung
aufgebaut werden, ob der Gefallene nach Rückkehr aus dem Felde der
Ernährer seiner Eltern geworden wäre. Die Elternrente wird auch
gewährt, wenn mehrere infolge von Dienstbeschädigung gestorbene
Söhne gemeinsam ihre Eltern unterhalten haben.
Der Begriff der Bedürftigkeit ist im Gesetz genau umschrieben. Sie ist nur
gegeben, wenn die Eltern bzw. Großeltern
- erwerbsunfähig im Sinne der Vorschrift über die
erwerbsunfähigen Witwen oder 60 Jahre alt sind,
- keinen Unterhaltsanspruch gegenüber Personen haben, die
ausreichend für sie sorgen können,
- nur ein gewisses reichseinkommensteuerpflichtiges Einkommen
haben.
Nach der Novelle darf das Einkommen eines Elternpaares die Vollrente
eines erwerbsunfähigen Beschädigten nebst der Ortszulage am
Wohnsitz der Eltern und der Teuerungszulage, das eines Elternteiles 60% dieses
Betrages nicht übersteigen.
Wenn mehrere Söhne gestorben sind, wird die Elternrente erhöht.
Der Anspruch auf Elternrente muß binnen zwei Jahren nach dem Tode des
Beschädigten geltend gemacht werden. In diesem Zeitraum müssen
daher die [287] Voraussetzungen
für die Gewährung der Elternrente gegeben sein. In Zukunft soll eine
Elternrente, die wegen Wegfall der Bedürftigkeit entzogen werden
mußte, wieder aufleben, auch wenn die Bedürftigkeit erst nach
Ablauf dieser Frist wieder eintritt.
Eltern, die für den Gefallenen, besonders für seine Ausbildung,
erhebliche Auslagen gemacht haben, in der Hoffnung, in ihm im Alter eine
Stütze zu haben, und die bisher als teilweisen Ersatz aus dem
Härteausgleichsfonds eine Unterstützung bekommen konnten,
kann65 während der
Übergangszeit noch eine solche bewilligt werden, wenn ihnen nach dem
Reichsversorgungsgesetz keine Elternrente zusteht.
Wenn der Tod eines Verschollenen mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist,
so kann seinen Hinterbliebenen auch schon vor der amtlichen
Todeserklärung Hinterbliebenenrente zugebilligt werden; ein
Rechtsanspruch hierauf besteht aber nicht.
In Anlehnung an das Beamtenbesoldungsrecht wird zu allen
Versorgungsgebührnissen in den zu den Ortsklassen A, B, C und D
gehörenden Orten eine Ortszulage bezahlt, wenn der
Rentenempfänger an diesem Orte schon mindestens ein halbes Jahr lang
ununterbrochen seinen Wohnsitz hat. Bei einem Wohnsitzwechsel wird die
Veränderung der Ortszulage auch erst nach einem halben Jahr wirksam.
Der Gesetzgeber hoffte, so einen Anreiz zur Landflucht zu beseitigen. Diese
Sperrfrist von einem halben Jahr wird mit Rücksicht auf die durch den
Wohnungsmangel, die hohen Umzugskosten usw. bedingte
Veränderung der Verhältnisse durch die Novelle aufgehoben. Diese
will auch die Ortsklasseneinstufung ändern und auch in Ortsklasse E
eine Ortszulage gewähren. Die Ortsklasseneinteilung richtet sich nach der
für Reichsbeamte.
Beschädigte müssen ihre Versorgungsansprüche zur
Vermeidung des Ausschlusses binnen zwei Jahren nach dem Ausscheiden aus
dem Militärdienst, Hinterbliebene innerhalb zwei Jahren nach dem Tode
des Beschädigten anmelden. Zeigen sich die Folgen einer
Dienstbeschädigung erst nach Ablauf dieser Frist in einem Grade,
daß darauf Versorgungsansprüche begründet werden
können, oder verschlimmern sie sich nachher wesentlich, so kann der
Anspruch auch noch binnen drei Monaten geltend gemacht werden, nachdem die
Folgen der Beschädigung oder der Verschlimmerung bemerkbar geworden
sind. Wenn Beschädigte oder Hinterbliebene durch Verhältnisse, die
außerhalb ihres Willens liegen (falsche Belehrung durch amtliche Stellen,
Mangel des erforderlichen gesetzlichen Vertreters, verspätete Kenntnis
über den Tod des Verstorbenen), oder durch entschuldbare Unkenntnis
über die Fristvorschrift während eines unfreiwilligen Aufenthalts,
z. B. in Kriegsgefangenschaft, die zweijährige Frist versäumt
haben, so können sie ebenfalls innerhalb drei Monaten nach Wegfall des
Hindernisses noch ihre Ansprüche erheben.
[288] Die Zahlung der
Versorgungsgebührnisse beginnt in der Regel mit dem auf das Ausscheiden
aus dem Militärdienst oder auf die Antragstellung folgenden Monat, die
Heilbehandlung und berufliche Ausbildung mit dem Tage des Ausscheidens aus
dem Militärdienst oder dem Tage, an dem die Voraussetzungen für
Gewährung der Heilbehandlung oder der beruflichen Ausbildung
erfüllt sind, frühestens mit dem Tage der Anmeldung. Im Gegensatz
zum früheren Versorgungsrecht tritt die Minderung und Entziehung der
Rente nicht mit dem Ablauf des Monats ein, in dem der Bescheid zugestellt
worden ist, sondern mit dem Ende des darauffolgenden Monats. Grundrente und
Schwerbeschädigtenzulage dürfen überhaupt frühestens
zwei Jahre nach Zustellung des Feststellungsbescheides gemindert oder entzogen
werden. Nur wenn durch eine Heilbehandlung oder durch eine berufliche
Ausbildung eine wesentliche und nachhaltige Besserung der
Erwerbsfähigkeit erreicht ist, kann schon früher eine neue
Feststellung der Versorgungsgebührnisse erfolgen.
Um für einen möglichst langen Zeitraum eine Stetigkeit in der Rente
herbeizuführen und so beruhigend auf die Beschädigten zu wirken,
dürfen Versorgungsgebührnisse nur neu festgestellt werden, wenn in
den Verhältnissen, auf die sich die frühere Feststellung
gründet, eine wesentliche Veränderung eintritt. Ist eine
Änderung im Körperzustand und eine Besserung der
Erwerbsfähigkeit durch Gewöhnung nicht mehr zu erwarten, wie
z. B. bei Verlust des Augenlichts oder der Gliedmaßen, so kann von
einer Nachuntersuchung ganz abgesehen werden.
Da sich die Beschädigten, die wegen Besserung ihrer Versorgungsleiden
eine Herabsetzung oder gar Entziehung ihrer Rente zu gewärtigen haben,
nach den gemachten Erfahrungen vielfach der ärztlichen Untersuchung zu
entziehen suchen, soll in Zukunft die Entziehung der Rente zugelassen werden,
wenn ein Rentenempfänger, trotzdem er schriftlich auf diese Folgen
hingewiesen worden ist, ohne triftigen Grund einer schriftlichen Aufforderung zu
einer ärztlichen Untersuchung nicht nachkommt oder sich weigert, die
erforderlichen Angaben zu machen. Diese Vorschrift entspringt dem gleichen
Gedanken, wie die über Versagen der Rente bei Kriegsbeschädigten,
die Anordnungen für die Heilbehandlung ohne Grund nicht befolgen und
dadurch ihre Erwerbsfähigkeit ungünstig beeinflussen. Wenn durch
Verschlimmerung des Leidens ein höherer Rentenanspruch
begründet ist, so soll die Rente auf Antrag wieder gewährt
werden.
Die wohl am heftigsten bekämpfte Bestimmung des
Reichsversorgungsgesetzes ist die des Ruhens der Rente der Beschädigten,
Witwen und Waisen bei Einkommen von gewisser Höhe,
gleichgültig aus welcher Quelle es kommt, ob aus Arbeit oder Kapital.66
[289] Das
Reichsversorgungsgesetz will den Charakter eines Fürsorgegesetzes
wahren. Die erheblichen Geldmittel, die für eine entsprechende Versorgung
der Schwerbeschädigten und der Hinterbliebenen benötigt werden,
können nach der Gesetzesbegründung nur dann aufgebracht werden,
wenn da, wo eine Versorgung wegen sonstiger Einnahmen entbehrlich erscheint,
die Versorgungsgebührnisse durch Ruhensvorschriften ganz oder teilweise
einbehalten werden. Dieses Ziel, das man vom Fürsorgestandpunkt aus
wohl in gewissem Umfange anerkennen muß, würde nicht erreicht,
wenn die Verwaltungskosten, die durch den Vollzug der Ruhensvorschriften
entstehen, die durch sie ersparten Beträge ganz oder doch zu einem
erheblichen Teil aufzehren würden. Diese Annahme ist wohl unzutreffend.
Die praktische Bedeutung der Ruhensvorschriften scheint überhaupt
erheblich überschätzt zu werden, denn nach der Begründung
zur Novelle sollen 4/5 aller Beschädigten
und fast alle Hinterbliebenen von den Ruhensvorschriften nicht betroffen
werden.
In der ursprünglichen Fassung war ein Ruhen von 1/10 der
Versorgungsgebührnisse bei einem reichseinkommensteuerpflichtigen
Jahreseinkommen von über
5000 - 6000 Mark angeordnet, bei je 1000 Mark mehr Einkommen
ruhte ein weiteres Zehntel, so daß bei 14 000 Mark Jahreseinkommen
die gesamte Rente ausschließlich der Schwerbeschädigtenzulage
ruhte. In gleicher Weise ruhten auch Witwen- und Waisenrente, wobei bisher
Einkommen und Versorgungsgebührnisse von Witwe und Waisen, die in
häuslicher Gemeinschaft zusammenleben, zusammengezählt werden
mußten. Diese Zusammenrechnung soll beseitigt werden. Die genannten
Sätze wurden, zumal auch das Einkommensteuergesetz in den hier in
Betracht kommenden Vorschriften geändert worden ist, wiederholt
erhöht.67 Die Einkommensgrenzen sollen
künftighin von der Reichsregierung, angepaßt an die allgemeine
Wirtschaftslage, neu festgesetzt werden können.
Das Arbeitseinkommen der Ehefrau muß an dem Jahreseinkommen
abgezogen werden, die sonst nach dem Steuergesetz zulässigen
Abzüge von allgemeinen Werbungskosten und die für den
Beschädigten selbst zugelassene Ermäßigung der
Einkommensteuer sind schon berücksichtigt. Dagegen dürfen die der
Ermäßigung der Einkommensteuer für die Ehefrau und
für die minderjährigen Kinder des Beschädigten
entsprechenden Einkommensbeträge und etwaige besondere
Werbungskosten, wie sie von vielen Finanzbehörden den
Schwerbeschädigten wegen ihrer erhöhten Auslagen für
stärkere Kleider- [290] abnützung,
kräftigere Ernährung usw. zugebilligt werden, von dem
Jahreseinkommen noch abgesetzt werden.
Außer der Pflegezulage verblieb schon bisher den
Schwerbeschädigten die Schwerbeschädigtenzulage mit der
entsprechenden Ausgleichs- und Ortszulage. In Zukunft sollen auch die
Leichtbeschädigten die niedrigste Schwerbeschädigtenzulage der
50% Erwerbsbeschränkten, aber ohne
Ausgleichs- und Ortszulage, erhalten. Es soll jedem Beschäftigten ein
Mindestbetrag von Versorgungsgebührnissen belassen werden, wohl
gleichsam als Ersatz für seine durch die Beschädigung verursachten
Sonderauslagen.
Besonders erfreulich ist, daß auf Pflegezulagenempfänger die
Ruhensvorschriften nicht angewendet werden sollen, denn wenn sie trotz ihrer
schweren Beschädigung etwas arbeiten und verdienen, so ist dies nur
möglich durch außerordentliche Willenskraft. Es entstehen ihnen in
der Regel auch sehr erhebliche Sonderauslagen, wenn sie einen Beruf
ausüben, z. B. den Blinden, die in der Regel die Pflegezulage
erhalten, durch die Führung, und besonders den geistig arbeitenden unter
ihnen, durch die Notwendigkeit, sich zur Vorbereitung auf den Dienst vorlesen zu
lassen.
Aus den gleichen Gründen soll auch bei den Witwen, die für Kinder
zu sorgen haben oder als erwerbsunfähig gelten, ein Arbeitseinkommen bei
der Ruhensberechnung nicht in Ansatz gebracht werden, weil diese Witwen nur
unter Aufwendung außergewöhnlicher Tatkraft und unter Beiziehung
besonderer Hilfskräfte einem Erwerb nachgehen können.
Die Versorgungsgesetze 1906/07 schlossen (eine Ausnahme bestand nur
zugunsten des Militärfiskus auf Rückzahlung zu Unrecht bezogener
Pensionen und Renten) eine Pfändung der Versorgungsgebührnisse
und damit auch ihre Übertragung auf Dritte aus. Diese Vorschrift, die die
Versorgungsberechtigten davor bewahren sollte, daß ihre
Versorgungsgebührnisse anstatt ihnen dritten Personen zugute kommen,
kann auch ungünstig für sie wirken. Häufig würde dem
Versorgungsberechtigten die Übertragung und Verpfändung seiner
Rente die Beschaffung von Geld wesentlich erleichtern. Deshalb gestattet das
Reichsversorgungsgesetz unter gewissen Voraussetzungen die Übertragung,
Verpfändung und Pfändung von Versorgungsgebührnissen
aber nur - und darin kommt wieder der Fürsorgegedanke zum
Ausdruck - an zuverlässige Organisationen, vor allem an die
amtlichen Stellen der sozialen
Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge, an
Gemeinden, Armenverbände oder solche gemeinnützige
Einrichtungen, die die behördliche Genehmigung zur Gewährung
von Darlehen und Vorschüssen haben, an andere Stellen nur mit
Genehmigung der Hauptfürsorgestelle. Daneben bestehen noch gesetzliche
Pfandrechte wegen Ansprüchen zur Erfüllung einer gesetzlichen
Unterhaltspflicht oder zur Rückzahlung zu Unrecht gezahlter
Versorgungsgebührnisse oder einer nach gesetzlicher Verpflichtung
gewährten Leistung.
[291] Der Ersatzanspruch der
Hauptfürsorgestellen und Fürsorgestellen für
Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene geht in der Regel gleichen
Ansprüchen anderer Berechtigter vor.
Durch diese Möglichkeit der Darlehnsaufnahme gegen Verpfändung
der Versorgungsgebührnisse ist auch den Wünschen derer in
gewisser Hinsicht Rechnung getragen, die die Kapitalabfindung auch für
Gründung eines Geschäfts usw. genehmigt sehen wollten.
Gerade dadurch, daß den Stellen der sozialen Fürsorge ziemlich freie
Hand gelassen ist, können alle gerechtfertigten Bedürfnisse befriedigt
werden. Es besteht auch die erforderliche Gewähr, daß kein
Mißbrauch mit dieser neuen Einrichtung, durch die mit
verhältnismäßig geringen Auslagen für die
Fürsorge viel Segen gestiftet werden kann, getrieben wird. Denn gerade die
soziale Fürsorge hat das lebhafteste Interesse daran, daß keine
gewagten Geschäfte gemacht werden. Denn im Falle eines
Mißglückens wird doch letzten Endes die Fürsorge helfend
eingreifen müssen.
Sachlich schließen sich diesen Bestimmungen ohne weiteres die
Vorschriften über die Kapitalabfindung an, die fast wörtlich aus dem
Kapitalabfindungsgesetz vom 3. Juli 1916 übernommen worden sind. Da
der ganze Aufbau der Rentenversorgung im Reichsversorgungsgesetz ein anderer
ist als im bisherigen Militärversorgungsrecht, da vor allem die
Verstümmelungs-, Kriegs- usw. Zulagen weggefallen sind,
mußten die Bestimmungen über die Beträge, die der
Kapitalabfindung zugrunde gelegt werden können, abgeändert
werden.
Die Kapitalabfindung soll für Beschädigte bis zu einem Viertel der
voraussichtlich dauernd zahlbaren Rente einschließlich
Schwerbeschädigten- und Ausgleichszulage umfassen, für Witwen
die Hälfte ihrer Rente. In Zukunft soll die Höchstgrenze bei
Beschädigten und Witwen auf zwei Drittel ihrer
Versorgungsgebührnisse - nunmehr einschließlich der
Ortszulage -, aber ohne die Kinder-, Pflege- und Teuerungszulage,
hinaufgesetzt werden, so daß sich in Zukunft erheblich höhere
Abfindungssummen ergeben werden. Andererseits bleiben wenigstens bei der
jetzigen Höhe der Teuerungszulage noch beachtenswerte Beträge zur
teilweisen Bestreitung der täglichen Bedürfnisse.
Zur Anpassung der Versorgungsgebührnisse an die Veränderungen
der allgemeinen Wirtschaftslage dient die Teuerungszulage. Sie ist
veränderlich und wird durch den Reichshaushaltsplan bestimmt. Vom 1.
Oktober 1922 ab wurde sie so hinaufgesetzt, daß die
Versorgungsgebührnisse einschließlich der bisherigen
Teuerungszulage in der doppelten Höhe ausgezahlt wurden. Seit dem 1.
Januar 1923 ist die Teuerungszulage erneut erhöht worden, so daß die
sämtlichen Bezüge nochmals gegenüber denen im letzten
Vierteljahr 1922 verdoppelt sind. Seit 1. März 1923 sind sie nochmals auf
das Dreifache, also durchschnittlich auf das Zwölffache der
Septemberbezüge; Sterbegeld, Pflegezulage und Unterhaltskosten für
den Führerhund auf das 72fache des gesetzlichen Betrages erhöht
worden. Daneben werden noch die laufenden Teuerungszuschüsse
gewährt.
[292] Mit Rücksicht
auf die Verschlechterung der finanziellen Lage des Reiches wurde, als die
Teuerung im Sommer 1921 immer stärker anschwoll, von einer
allgemeinen Erhöhung der Teuerungszulage abgesehen.68 Die Mittel, die das Reich zur
Verfügung stellen konnte, sollten denen zugute kommen, die ihrer am
meisten bedurften, vor allem den zu keiner Erwerbstätigkeit mehr
fähigen Kriegsbeschädigten und Kriegerwitwen, diesen aber
dafür eine möglichst ausreichende Hilfe bringen, ein Gedanke, der
zweifellos eine tiefe Berechtigung hat. Nach dem Erlaß des
Reichsarbeitsministeriums vom 24. September 192169 erhielten
alle Schwerbeschädigten und Witwen ab 1. August 1921 verschieden
abgestufte monatliche Zuschüsse.
Der Grundgedanke für die Einführung der laufenden
Teuerungszuschüsse wurde noch schärfer ausgeprägt in dem
Erlaß vom 1. Dezember 1921.70 Dieser
erhöhte rückwirkend vom 1. Oktober 1921 ab die laufenden
Teuerungszuschüsse erheblich, beschränkte sie aber gleichzeitig auf
die Schwerbeschädigten und Hinterbliebenen, die nicht im Erwerbsleben
stehen.
Als im Erwerbsleben stehend sollte nur derjenige angesehen werden, dessen
regelmäßiger - nicht nur
gelegentlicher - Arbeitsverdienst oder sonstiges Einkommen (ohne die
Versorgungsgebührnisse) einschließlich
Erwerbslosenunterstützung, Krankengeld usw. die jeweiligen
Höchstsätze der Erwerbslosenunterstützung um mindestens
1/3
übersteigt.
Die Teuerungszuschüsse waren bei den Schwerbeschädigten
verschieden bemessen je nach dem Grad der Erwerbsbeschränkung, der
Zahl der versorgungsberechtigten Angehörigen usw.,
außerdem sind für Witwen, Waisen, Eltern, Empfänger von
Übergangs- und Hausgeld eigene Sätze bestimmt.71 Vom 1. Juli 1922 ab konnten auch die
Leichtbeschädigten und erwerbsfähigen Witwen die laufenden
Teuerungszuschüsse erhalten, wenn sie trotz eifrigen Bemühens und
trotz der Mitwirkung der Fürsorgestelle keine regelmäßige
Erwerbstätigkeit hatten aufnehmen können und ihr Einkommen
innerhalb der vorgenannten Grenzen blieb.
Die Bestimmungen über laufende Teuerungszuschüsse wurden in der
Hauptsache übernommen in das Gesetz über
Teuerungsmaßnahmen für Militärrentner,72 [293] das mit Wirkung vom
1. August 1922 an Stelle der bisherigen Verwaltungsanordnungen über
Gewährung der Zuschüsse getreten ist. Ein wesentlicher, sehr
erfreulicher Unterschied ist, daß die Einkommensgrenze nicht mehr nach
den Höchstsätzen der Erwerbslosenunterstützung bemessen
wird, sondern nach den laufenden Teuerungszuschüssen selbst.
Übersteigt das regelmäßige Einkommen, das der
Versorgungsberechtigte neben seinen Versorgungsgebührnissen bezieht,
den Teuerungszuschuß, den er bei Erwerbsunfähigkeit erhält,
und die Zuschüsse für Kinder und Waisen um 75%, so werden die
Teuerungszuschüsse nur zum halben Betrage gewährt,
übersteigen sie ihn um 125%, so fallen die Teuerungszuschüsse
weg.
Von dem Einkommen dürfen in Erweiterung der bisherigen Vorschriften
die nachgewiesenen tatsächlichen Unkosten abgezogen werden, die der
Verfügungsberechtigte aufwenden muß, um einem Erwerb nachgehen
zu können, was praktisch von großer Bedeutung ist, ferner die
Beträge für den Steuerabzug und die Beiträge zur
Kranken- und Invalidenversicherung.
Der Kreis der Personen, die laufende Teuerungszuschüsse bekommen
können, ist im allgemeinen der gleiche wie vorher. Auch die Abstufungen
entsprechen ungefähr den bisherigen Bestimmungen, es ist nur bei den
Schwerbeschädigten und bei den erwerbsunfähigen Witwen je eine
weitere Staffelung für die, welche nachweislich einen Erwerb nicht
auszuüben imstande sind, eingefügt, die neuerdings wieder
weggefallen ist.
Die Leichtbeschädigten und die erwerbsfähigen Witwen
können unter den schon erwähnten Voraussetzungen im Wege des
Härteausgleichs laufende Teuerungszuschüsse erhalten. Durch den
Härteausgleich soll auch verhütet werden, daß etwa
Kriegsbeschädigte dadurch, daß sie die unterste oder mittlere
Einkommensgrenze um einen geringen Betrag übersteigen und darum nur
einen geringeren oder keinen Teuerungszuschuß mehr bekommen
würden, schlechter stehen, wie wenn sie einen etwas kleineren Verdienst
hätten und deshalb den Teuerungszuschuß noch erhielten. Im Wege
des Härteausgleichs soll z. B. auch solchen
Kriegsbeschädigten geholfen werden können, deren Einkommen
trotz schwerster Beschädigung die Einkommenshöchstgrenze nur
wenig übersteigt, aber trotzdem wesentlich hinter dem Gesamteinkommen
einschließlich der Versorgungsgebührnisse zurückbleibt, das
sie ohne ihre Beschädigung erreicht hätten. Diese Bestimmungen
sind kürzlich für Schwerstbeschädigte, namentlich Blinde,
schwer Tuberkulöse, mehrfach Amputierte erweitert worden.73
Um zu verhüten, daß die Kriegsbeschädigten und
Kriegshinterbliebenen, besonders auch die Leichtbeschädigten und die
erwerbsfähigen Witwen durch die laufenden Teuerungszuschüsse zur
Aufgabe oder Ablehnung geeigneter Arbeit veranlaßt werden, ist bestimmt,
daß Versorgungsberechtigte, die nach ihrer
Arbeits- [294] fähigkeit in der
Lage sind, einem Erwerb nachzugehen, eine trotz ihrer Leiden geeignete
Tätigkeit aber nicht annehmen oder ihren Arbeitsplatz schuldhaft verloren
haben, keinen Teuerungszuschuß erhalten. Bei Witwen mit Kindern soll
aber auf ihre häuslichen Pflichten Rücksicht genommen werden. Von
Versorgungsberechtigten, die durch eine Berufsausbildung völlig in
Anspruch genommen sind, kann nicht verlangt werden, daß sie eine Arbeit
übernehmen, die sie in der Fortsetzung ihrer Ausbildung behindern
würde. Diese Bestimmung wird auch besonders den heute so schwer
notleidenden Studenten zugute kommen können.
Von der Ermächtigung, die Teuerungszuschüsse und damit die
Einkommensgrenze bei zunehmender Teuerung abzuändern, hat die
Reichsregierung fast jeden Monat Gebrauch machen müssen.
Die laufenden Teuerungszuschüsse sind eigentlich ein Bestandteil der
Rentenversorgung. Zur Auszahlung wären also an sich in erster Linie die
Versorgungsbehörden zuständig. Ihre Gewährung ist aber an
Voraussetzungen geknüpft, über die die Fürsorgestellen besser
unterrichtet sind als die Versorgungsbehörden. Deshalb ist auch die
Durchführung dieser Bestimmungen den Stellen der sozialen
Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge
übertragen. An Stelle der Verwaltungs- und Spruchbehörden
entscheiden, wie überhaupt in Fragen der sozialen Fürsorge in erster
Linie die Fürsorgestellen und auf Beschwerden die
Hauptfürsorgestellen endgültig.
Der Umstand, daß die Erhöhung der Teuerungszulage nicht Schritt
gehalten hat mit der Teuerung, daß von ihr in der Zeit von Anfang 1921 bis
Herbst 1922 kein Gebrauch gemacht worden ist, während die
Teuerungszulagen der Beamten fortlaufend der Teuerung möglichst
angepaßt wurden, hat die Kritik an dem Reichsversorgungsgesetz so
verschärft, daß darob auch die Fortschritte, die es zweifellos
gegenüber dem bisherigen Rechte gebracht hat, überschattet oder gar
vergessen worden sind.
Es erscheint daher besonders erfreulich, daß die Teuerungszulage in
Zukunft möglichst den Teuerungszuschlägen der Reichsbeamten
angepaßt werden soll. Der Vollzug wird dadurch freilich wohl nicht
unerheblich erschwert, denn es wird sich nicht verhüten lassen, daß
bei jeder Erhöhung der Teuerungszulage die Renten
rechnungsmäßig neu festgestellt werden müssen. Dies war
auch der Grund, daß die auch von den zuständigen Stellen als
berechtigt anerkannte Forderung auf Erhöhung der Teuerungszulage immer
wieder zurückgestellt werden mußte, weil dadurch die
Umanerkennung der Renten nach dem neuen Recht, die erst Ende 1922 in der
Hauptsache abgeschlossen wurde, verzögert worden wäre. Um diese
Rechnung möglichst zu vereinfachen, sieht der Entwurf nur
"möglichste Anpassung" vor, um jeweils einen Hundertsatz wählen
zu können, der das Multiplizieren leichter macht.
In letzter Zeit spielte die Rente bei ihrem geringen Betrag gegenüber den
laufenden Teuerungszuschüssen eine untergeordnete Rolle. Sie vermochte
bei [295] vielen
Kriegsbeschädigten nicht einmal die allein durch die Beschädigung
bedingten Sonderauslagen zu decken. In Zukunft sollen die eigentlichen
Versorgungsgebührnisse höher sein als die Zusatzrente, die an Stelle
der laufenden Teuerungszuschüsse treten wird und ungefähr unter
den gleichen Voraussetzungen gewährt werden soll wie diese.
Die Einkommensgrenze soll sich bei den Beschädigten und
Empfängern von Übergangsgeld nach der Vollrente eines
Erwerbsunfähigen nebst Kinderzulage, bei Witwen, Witwern oder Waisen
nach der Witwenrente einer erwerbsunfähigen Witwe jeweils nebst
Orts- und Teuerungszulage, aber ohne Ausgleichszulage, bestimmen.
Die volle Zusatzrente soll nur gewährt werden, wenn das Einkommen des
Versorgungsberechtigten neben seinen Versorgungsgebührnissen nicht
mehr als 60% dieser Beträge ausmacht. Übersteigt es 60% dieser
Sätze, nicht aber 100%, so wird die halbe Zusatzrente bewilligt. Im
übrigen entsprechen die Bestimmungen fast wörtlich denen des
Gesetzes vom 21. Juli 1922. Auch die Zusatzrente soll in Anlehnung an die
Teuerungsmaßnahmen für die Reichsbeamten den
Veränderungen der Wirtschaftslage angepaßt werden.74
Der Härteausgleich, § 8 des Gesetzes vom 21. Juli 1922, der nicht nur
Härten dieses Gesetzes, sondern auch des Reichsversorgungsgesetzes
mildern oder beseitigen sollte, wird nunmehr in das Reichsversorgungsgesetz
übernommen werden.
Die Vorschriften über das Verbot der Anrechnung von
Versorgungsgebührnissen auf das Arbeitsentgelt sollten schon im Herbst
1919 Gegenstand eines besonderen Gesetzes bilden,75 wurden
aber dann in das Reichsversorgungsgesetz mit aufgenommen. Der
Ausschluß der Berücksichtigung der Versorgungsgebührnisse
bei Bemessung von Lohn und Gehalt bezieht sich in gleicher Weise auf
Kriegsbeschädigte wie Kriegshinterbliebene, gleichgültig ob sie sich
im Beamten- oder Angestelltenverhältnis befinden, ob in einem
öffentlichen oder privaten Betrieb. Soweit Tarifverträge diesen
Bestimmungen entgegenstehen, sind sie ungültig. Wohl zu unterscheiden
hiervon ist die Festsetzung einer niedrigeren Entlohnung wegen geringerer
Leistungsfähigkeit infolge der Beschädigung. Sie wird durch diese
Vorschriften nicht berührt.
[296] 4. Rentenverfahren.
Nach dem noch während des Krieges geltenden
Militärversorgungsrecht oblag die Feststellung und Anweisung der
Versorgungsgebührnisse den Militärverwaltungsbehörden, den
Truppenteilen oder Bezirkskommandos, den Generalkommandos und auf
Einspruch dem preußischen, bayerischen, sächsischen und
württembergischen Kriegsministerium.
Der Rechtsweg an die ordentlichen Gerichte (Landgericht) war nur in ganz
beschränktem Umfang zulässig. Vor allem waren der Beurteilung der
Gerichte die Entscheidung über die wichtigsten Fragen entzogen, so
darüber, ob eine Gesundheitsstörung als Dienstbeschädigung
oder Kriegsdienstbeschädigung anzusehen ist, bei Offizieren, ob und in
welchem Grad Dienstunfähigkeit vorliegt, ferner bei den Hinterbliebenen,
ob der Tod mit den Folgen einer Dienstbeschädigung
zusammenhängt. Über all diese Fragen entschied ein bei dem
zuständigen Kriegsministerium gebildetes Kollegium aus drei Offizieren
oder Beamten der Heeresverwaltung.
Der Ausschluß des Rechtsweges in den grundlegenden Fragen der
Versorgung erzeugte in den Kreisen der Versorgungsberechtigten ein
Gefühl der Rechtsunsicherheit und daher Beunruhigung. Schon bald nach
Ausbruch des Krieges wurde daher von den Beteiligten der Wunsch nach einem
Rechtsmittelverfahren, ähnlich dem in der Sozialversicherung, laut, der
auch im Parlament Widerhall fand. Der Reichsausschuß der
Kriegsbeschädigtenfürsorge hat diese Frage auch als eine der ersten
aufgegriffen und im Jahre 1916 Leitsätze über die Einführung
eines Rechtsmittelverfahrens in Militärrentensachen aufgestellt und sie den
maßgebenden Amtsstellen übermittelt.76
Noch bevor das Militärversorgungsrecht geändert werden konnte,
wurde als eine der ersten gesetzgeberischen Maßnahmen nach Beendigung
des Krieges das Verfahren in Militärversorgungssachen grundlegend
umgestaltet.77 Es wurde ein Spruchverfahren vor den
Militärversorgungsgerichten und dem
Reichsmilitärversorgungsgericht (in Bayern vor dem
Landesmilitärversorgungsgericht) eingeführt. Diese Gerichte wurden
bei den Oberversicherungsämtern, bzw. bei dem Reichsversicherungsamt
(in Bayern beim Landesversicherungsamt) gebildet. Unter den 5 Beisitzern der
Militärversorgungsgerichte und den 7 des
Reichsmilitärversorgungsgerichtes waren 2 versorgungsberechtigte
ehemalige Militärpersonen.
Es wurde auch Vorsorge getroffen, daß die schon während des
Krieges ausgeschiedenen Militärpersonen noch ihre Ansprüche vor
den Spruchbehörden an- [297] fechten konnten. Von
dieser Möglichkeit wurde auch ausgiebig Gebrauch gemacht, leider gerade
auch von solchen Rentenbewerbern, deren Ansprüche von vornherein als
aussichtslos bezeichnet werden mußten. Dadurch wurden die
Spruchbehörden außerordentlich belastet, worunter
bedauerlicherweise auch vielfach die Schwerbeschädigten, die mit Grund
ihre Ansprüche vor den Versorgungsgerichten weiter verfolgen, durch
monate-, ja jahrelange Hinauszögerung der Entscheidung zu leiden haben.
Zur Beschleunigung des Verfahrens wurde neuerdings78 die Zahl der Beisitzer bei den
Berufungsgerichten von 5 auf 3, bei den Rekursgerichten von 7 auf 5
herabgesetzt. Es wirkt deshalb nunmehr in der Kammer oder im Senat jeweils nur
mehr 1 aus der Wehrmacht ausgeschiedener Versorgungsberechtigter mit.
Dafür ist als weiterer Beisitzer an die Stelle des früheren Vertreters
der Militärverwaltung, der vielfach als Parteivertreter und darum
ungeeignet zum unparteiischen Richter betrachtet wurde, eine in der sozialen
Fürsorge erfahrene Person getreten, die mit dem Versorgungswesen
vertraut sein muß. In der Rekursinstanz kommt noch ein richterliches
Mitglied eines ordentlichen Gerichtes und ein weiteres Mitglied des
Rekursgerichtes hinzu. Da inzwischen seit 1. Oktober 191979 das Versorgungswesen auch als eine
Folge des Versailler Friedens entmilitarisiert worden war und auf
Zivilbehörden (Versorgungsämter, Hauptversorgungsämter
und Reichsarbeitsministerium) übergegangen ist, heißen auch die
Berufungsgerichte nunmehr Versorgungsgerichte und das Rekursgericht
Reichsversorgungsgericht (in Bayern Landesversorgungsgericht).
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