Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung,
Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im
Heere
Kapitel 5: Die Fürsorge
für die Kriegsbeschädigten
und Kriegshinterbliebenen
(Forts.)
Dr. jur. et rer. pol. Kurt Schwarz
2. Änderungen und Ergänzungen
infolge der Kriegswirkungen.
Mit Rücksicht auf die Teuerungsverhältnisse, die sich schon
während des Krieges, besonders gegen dessen Ende, bemerkbar machten,
wurden12 vom 1. Juli 1918 ab den
Kriegsbeschädigten der Unterklassen aus dem Weltkriege oder aus
früheren Kriegen, wenn sie mindestens 50% Rente erhielten, ohne
Prüfung [265] der Bedürftigkeit
Rentenzuschläge gewährt, die sich nach der Höhe der
Erwerbsbeschränkung, nicht nach dem Dienstgrad, richteten.
Vom gleichen Zeitpunkt ab erhielten auch die Kriegerwitwen und -waisen der
Unterklassen, denen die Kriegsversorgung zugebilligt war, ohne Rücksicht
auf den Dienstgrad des Gefallenen Zuschläge zur Kriegsversorgung.
Voraussetzung war, daß die Hinterbliebenen
Familienunterstützung13 bezogen
hatten oder noch bezogen. Damit war mittelbar die Bedürftigkeitsfrage
eingeschaltet.
Die Kriegsbeschädigten, die nach dem Mannschaftsversorgungsgesetz
versorgt wurden, erhielten14 vom 1.
Januar 1919 ab statt der vorgenannten höhere Rentenzuschläge, die
je nach dem Grade der Erwerbsbeschränkung 50, 75 und 100% der
Teilrente eines Gemeinen von gleicher Erwerbsbeschränkung betrugen. Der
Rentenzuschlag bei völliger Erwerbsunfähigkeit war 100% der
Vollrente eines Gemeinen. Auch diese Zuschläge wurden von Amts wegen
bewilligt, ohne daß die Frage der Bedürftigkeit geprüft werden
durfte.
Durch die gleiche Verordnung wurde, wie schon oben erwähnt, der Kreis
der zum Bezug der Verstümmelungszulage Berechtigten erweitert, vor
allem wurde die doppelte Verstümmelungszulage der Kriegsblinden,
Geisteskranken und schwer Siechen auf das Dreifache erhöht.
Ferner wurde15 allen auf Grund der
Militärversorgungsgesetze rentenberechtigten Personen der Unterklassen
als einmalige Beihilfe neben ihren laufenden Versorgungsgebührnissen,
ihren laufenden Zuwendungen und laufenden Unterstützungen für
den Januar 1919 nochmals der gleiche Betrag gewährt.
Den Hinterbliebenen der Angehörigen der Unterklassen, die nach den
Militärversorgungsgesetzen oder besonderen Verwaltungsbestimmungen
laufende Versorgungsgebührnisse, laufende Zuwendungen oder
Unterstützungen erhielten, wurde am 1. Februar 1919 eine einmalige
Zulage in der halben Höhe dieser Bezüge gewährt.
Den Kriegsbeschädigten wurde außerdem16 ein Entlassungsgeld zugebilligt.
Der Gedanke, die laufenden Zuschläge nach dem Grade der
Erwerbsminderung abzustufen, war zweifellos theoretisch richtig, denn die
Leichtbeschädigten konnten, zumal noch während des Krieges, leicht
Arbeit finden, während dies den schwerer Beschädigten und gar den
Erwerbsunfähigen häufig unmöglich war, oder sie
mußten sich doch vielfach mit geringerer Entlohnung begnügen.
Diese Art der Bemessung der Zuschläge machte aber eine Neuberechnung
der Versorgungsgebührnisse notwendig, die ihre Auszahlung erheblich
verzögerte. Dadurch wurde ihr Wert wesentlich geschmälert.
Es war daher praktisch wohl richtiger, daß17 vom 1.
Juni 1919 ab allen Kriegsbeschädigten der Unterklassen und ihren
Hinterbliebenen, die Versorgungsgebühr- [266] nisse erhielten, eine
laufende Teuerungszulage von 40% ihrer Bezüge zuerkannt wurde.
Schon zu der Zeit, als das Reichsversorgungsgesetz vor der Verabschiedung
stand, wurden diesen Personen18 vom 1. Mai 1920 ab bis zur
gesetzlichen Neuregelung ihrer Gebührnisse weitere laufende
Teuerungszuschläge zu ihren laufenden Bezügen bewilligt, und zwar
den Kriegsbeschädigten solche von 30%, den Kriegshinterbliebenen solche
von 40%. Den Hinterbliebenen wurde außerdem19 vom 1. September 1920 ab ein
weiterer laufender Teuerungszuschlag bewilligt, der nach den Ortsklassen
verschieden war. Diese nach dem 1. April 1920 gewährten
Teuerungszulagen usw. mußten aber auf die nach dem
Reichsversorgungsgesetz nachzuzahlenden Versorgungsgebührnisse
angerechnet werden. Dies gilt jedoch nicht für die einmalige
Teuerungsbeihilfe, die,20 ähnlich wie am 1. Januar bzw.
1. Februar 1919, den Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen in der
Weise gewährt wurde, daß am 1. April 1920 statt des einfachen
Monatsbetrags der dreifache ausgezahlt wurde.
Wie schon erwähnt, kamen alle diese Teuerungsmaßnahmen, die
ohne Prüfung der Bedürftigkeitsfrage gewährt wurden, nur den
Angehörigen der Unterklassen und ihren Hinterbliebenen zugute. Den
verabschiedeten Offizieren, Ärzten und höheren Beamten, wie auch
ihren Hinterbliebenen konnten dafür einmalige und besondere laufende
Kriegsbeihilfen gewährt werden, aber nicht allgemein von Amts wegen,
sondern nur auf Antrag und im Falle des Bedürfnisses, für dessen
Nachweis genaue Vorschriften21 gegeben
waren.
Alle diese Teuerungsmaßnahmen wollten nur der inzwischen eingetretenen
Teuerung aller Lebensverhältnisse oder richtiger der auch damals sich
schon bemerkbar machenden Entwertung der deutschen Mark möglichst
rasch Rechnung tragen; sie konnten natürlich die Härten, die sich
beim Vollzug der alten Militärversorgungsgesetze herausgestellt hatten,
nicht ausmerzen. Sie verschärften sie sogar insofern, als sie die bisher
gezahlten Beträge lediglich vervielfachten.
Die Beseitigung der Mängel des alten Rechts war eine Aufgabe, die schon
nach den Beschlüssen des Reichstags und der Reichsregierung der Reform
der Militärversorgungsgesetze nach dem Kriege vorbehalten werden
mußte. Sie ist erfolgt durch das Reichsversorgungsgesetz vom 12. Mai
1920,22 das am 28. April 1920 von der
Nationalversammlung in dritter Lesung angenommen worden war.
Nur einzelne kleine Teilgebiete sind schon während des Krieges gesetzlich
geregelt worden. Wohl als eine Frucht der bodenreformerischen Gedanken, die
besonders auch unter den Frontsoldaten infolge einer freilich vielleicht
manch- [267] mal etwas zu
weitgehenden, weil zu hohe Hoffnungen erweckenden Werbetätigkeit viele
Anhänger gefunden, kann das Kapitalabfindungsgesetz vom 3. Juli 191623 angesprochen werden.24
Nach diesem Gesetz konnten sich Kriegsbeschädigte und Kriegerwitwen
der Unterklassen aus dem Weltkriege - also nicht kriegsbeschädigte
Offiziere und nicht Offizierswitwen - einen Teil ihrer
Versorgungsgebührnisse zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen
Stärkung eigenen Grundbesitzes oder zum Beitritt bei einem
gemeinnützigen Bau- oder Siedlungsunternehmen in Kapital abfinden
lassen. Die Ansiedlung und Seßhaftmachung im Sinne dieses Gesetzes
sollte sich nicht auf den Erwerb oder die Gründung landwirtschaftlicher
oder gärtnerischer Betriebe - sogenannter
Wirtschaftsheimstätten - beschränken, sondern auch das
städtische Heimstättenwesen umfassen. Eine vielleicht fast
größere Bedeutung wie für den Neuerwerb von Anwesen
gewann das Gesetz für die Festigung eigenen Grundbesitzes durch
Verbesserung der Schuldverhältnisse, Aufbau oder Wiederherstellung von
Gebäuden, Vergrößerung des Besitzes,
Vervollständigung landwirtschaftlichen Inventars. Da die Kapitalabfindung
die Seßhaftmachung auf eigener Scholle ermöglichen und
fördern wollte, war Voraussetzung, daß die Siedlung eine
Wohngelegenheit für den Abgefundenen enthält. Von der
Ausdehnung der Kapitalabfindung auf Handel und Handwerk
allein - ohne Verbindung mit einer
Ansiedlung - wurde nach langer Beratung abgesehen, weil gewerbliche
Unternehmungen regelmäßig nicht das Maß von Sicherheit
für die Entwicklung böten, wie der eigene Grund und Boden. Schon
hieraus ergibt sich, man möchte sagen, der Fürsorgecharakter des
Gesetzes. Dieser kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß die
Kapitalabfindung nur bewilligt werden durfte, wenn nach Ansicht der obersten
Militärverwaltungsbehörde, die auch die Stellen der sozialen
Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge zu Rate zu
ziehen hatte, Gewähr für eine nützliche Verwendung des
Geldes bestand. Um die Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen
jedenfalls davor zu bewahren, daß sie bei Mißglücken der
Siedlung ihre gesamten Versorgungsgebührnisse verloren, konnten sich die
Kriegsbeschädigten nur die Zulagen, die Kriegerwitwen höchstens
die Hälfte ihres Witwengeldes in Kapital abfinden lassen.
Das Gesetz sah auch Maßnahmen zur Sicherung der
bestimmungsgemäßen Verwendung der Abfindungssumme vor und
traf im Sinne der Heimstättenbewegung Vorkehrung, um eine alsbaldige
Weiterveräußerung des mit der Kapitalabfindung erworbenen
Grundstücks zu verhüten. Wenn aber aus einem wichtigen Grunde,
besonders zur Erlangung einer anderen Erwerbsmöglichkeit oder aus
gesundheitlichen oder familiären Gründen das Grundstück
veräußert werden mußte, lebten nach Rückzahlung der
Abfindungssumme (entsprechend [268] der inzwischen
verflossenen Zeit vermindert) die durch Abfindung erloschenen
Gebührnisse wieder auf. Auch wurden die
Teuerungs- und anderen Zulagen usw., die nach den neueren Vorschriften
zu den abgefundenen Rententeilen gewährt wurden, an die Abgefundenen
gezahlt, so daß der Abgefundene durch die Abfindung keinerlei
wirtschaftliche Nachteile erleiden konnte. Bei der fortschreitenden
Geldentwertung hat der Abgefundene vielmehr den großen Vorteil,
daß das Geld zu Zeiten, in denen es erheblich mehr galt, in
Grundstücke umgesetzt worden ist, die ihren Sachwert behalten haben.
Durch das Gesetz zur Ergänzung des Kapitalabfindungsgesetzes vom 26.
Juli 191825 wurden die Vorteile des Gesetzes
neben Kriegsbeschädigten der Unterklassen und ihren Witwen des
Weltkrieges auch solchen aus früheren Kriegen zugänglich gemacht.
Das Kapitalabfindungsgesetz für Offiziere vom gleichen Tage26 (dieses gilt auch jetzt noch)
ermöglicht auch den versorgungsberechtigten Offizieren,
Sanitätsoffizieren, oberen Beamten und den ihnen gleichgestellten
Personen, wie auch ihren Witwen, einen Teil ihrer Versorgungsgebührnisse
in ganz ähnlicher Weise zur Ansässigmachung abfinden zu lassen.
Ein wesentlicher Unterschied gegenüber der Abfindung der
Rentenempfänger und ihrer Witwen besteht aber darin, daß wegen
der Höhe der in Betracht kommenden Beträge die Abfindung auf die
für einen Zeitraum von 10 Jahren zustehenden
Versorgungsgebührnisse beschränkt ist.
Die Maßnahmen des Reichs zur Erleichterung der Ansiedlung der
Kriegsbeschädigten und Kriegerwitwen wurden vielfach ergänzt
durch Vorkehrungen der einzelnen Länder, besonders durch Bereitstellung
von weiteren Mitteln für diese Zwecke. Für Preußen kommt
hier besonders die Gesetzgebung über Rentengüter in Betracht, von
denen das Gesetz zur Förderung der Ansiedlung vom 8. Mai 191627 erst kurz vor dem
Kapitalabfindungsgesetz verabschiedet war. Dieses Gesetz kommt freilich nicht
nur den Kriegsopfern zugute, sondern hat allgemeine Gültigkeit.
Das sächsische Gesetz, die Ansiedlung von Kriegsteilnehmern betreffend
vom 5. Mai 1916, das also fast gleichzeitig ergangen ist, verpflichtet die
Kreishauptmannschaft Dresden, die Ansiedlung von geeigneten Teilnehmern am
Weltkrieg, besonders von Kriegsbeschädigten, zu vermitteln. Die
Bezirksverbände sollen hierbei mitwirken.
Das bayerische Ansiedlungsgesetz vorn 15. Juli 191628 beschränkte seinen
Wirkungskreis auf kriegsbeschädigte Rentenempfänger und
schloß die Kriegshinterbliebenen von seinen Vergünstigungen aus.
Die Novelle zum bayerischen Ansiedlungsgesetz vom 13. April 192229 hat in Anpassung an die inzwischen
erfolgte Änderung der Militärversorgungsgesetzgebung durch das
Reichsver- [269] sorgungsgesetz den
begünstigten Personenkreis dahin umschrieben, daß als
Kriegsbeschädigte solche Personen anzusehen sind, deren
Erwerbsbeschränkung von den Versorgungsbehörden auf Grund der
jeweiligen Versorgungsgesetze in der Höhe von mindestens 10%30 anerkannt worden ist.
Schon vor Erlaß des Reichsgesetzes über Fürsorge für
Kriegsgefangene vom 15. August 191731 wurde
allgemein die Kriegsgefangenschaft als Fortsetzung des militärischen
Dienstes angesehen und die dabei erlittenen Gesundheitsstörungen und
Unfälle als Dienstbeschädigung im Sinne der
Militärversorgungsgesetze anerkannt. Um aber die bisweilen auftretenden
juristischen Zweifel zu beseitigen und die an sich hartbetroffenen
Kriegsgefangenen und ihre Angehörigen zu beruhigen, wurde durch das
genannte Gesetz noch ausdrücklich - rückwirkend für
den ganzen Weltkrieg - ausgesprochen, daß
Gesundheitsstörungen,
die deutsche Militärpersonen usw. in
feindlicher Kriegsgefangenschaft erleiden, als Dienstbeschädigung im
Sinne dieser Gesetze gelten, wenn sie infolge von Arbeiten oder durch einen
Unfall oder durch die der Kriegsgefangenschaft eigentümlichen
Verhältnisse verursacht oder verschlimmert worden sind. Die so
beschädigten Kriegsgefangenen und ihre Hinterbliebenen erhalten daher
auch die Versorgung nach den Militärversorgungsgesetzen.
Da durch die besonderen Umstände der Kriegsgefangenschaft die Beweise
für die Voraussetzungen der Dienstbeschädigung häufig sehr
schwer zu erbringen sind, wurde eine Bestimmung eingefügt, daß die
Angaben des Beschädigten über die Vorgänge in der
Kriegsgefangenschaft der Entscheidung über die
Dienstbeschädigungsfrage zugrunde zu legen sind, soweit nicht die
Umstände des Falles offenbar entgegenstehen, wie z. B. bei
Überläufern, denen die Vorteile des Gesetzes nicht zugute kommen
sollen. Bei Verabschiedung des Gesetzes sprach der Reichstag noch den Wunsch
aus, daß die Bestimmungen zugunsten der deutschen Kriegsgefangenen
auch bald auf deutsche Zivilpersonen ausgedehnt werden sollen, die infolge der
Kriegsereignisse im feindlichen Ausland festgehalten worden sind.
Diese Anregung wurde zum Teil für die wehrpflichtigen
Auslandsdeutschen und Zivilinternierten, die in der Absicht, Militärdienste
zu leisten, auf dem Wege zum Bestimmungsort in Gefangenschaft gerieten, durch
das Reichsversorgungsgesetz verwirklicht.32
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