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Prag
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Bericht Nr. 71
Meine Erlebnisse in der CSR 1945-46
Berichter: W. L. Bericht vom 21. 6. 1947
Seit November 1944 lag ich als
verwundeter Leutnant mit zerschmettertem linken Unterarm im
Res. Lazarett VII, Prag,
Kleinseite (ehem. Tyrs-Haus). Im April durfte ich schon mit dem Arm in der Schlinge ausgehen.
In Prag herrschte damals friedliche Ruhe. Bei meinen Ausgängen war ich ganz
ungefährdet, die Tschechen zeigten überall freundliche Mienen und
Entgegenkommen.
4. Mai 1945 herrschte vollkommene Ruhe, auch die vom Staatsminister Frank angeordnete
dreitägige Trauerbeflaggung nach dem Tode Hitlers wurde überall ohne
Zwischenfall
durchgeführt. Niemals hätte man vermuten oder erwarten können, daß
die Tschechen, welche den ganzen Krieg über nie den geringsten offenen Widerstand
gegen
die deutsche bewaffnete Macht wagten, nach der Kapitulation gegen wehrlose Menschen in
einen
beispiellosen Paroxysmus der Grausamkeit verfallen würden und hiebei auch nicht vor
verwundeten Soldaten, Frauen, Kindern und hilflosen Menschen Halt machen
würden.
Im Folgenden schildere ich nur in Hauptzügen meine eigenen Erlebnisse und
Beobachtungen:
In den Abendstunden des 4. Mai begannen die Tschechen in Prag die deutschen Tafeln und
Aufschriften abzunehmen und verweigerten Antwort auf deutsche Fragen. Die gesamte Polizei
verhielt sich dabei passiv.
Am Morgen des 5. Mai war vollkommene Ruhe, sodaß ich keine Gefahr dabei sah, mich
von unserer Wohnung, wo ich wegen Überfüllung des Lazaretts mich in
häuslicher
Pflege befand, in Uniform ins Lazarett zwecks Verbandswechsel zu begeben. Gegen 11 Uhr war
ein großes Geschrei von der Straße zu vernehmen, die Häuser zeigten
plötzlich überall tschechischen Flaggenschmuck, Leute umarmten einander und
schwenkten
tschechische Fähnchen oder Blumen.
Ich verließ das Lazarett mit Arm in der Schlinge, drängte mich durch die
Menge, bestieg eine vorbeifahrende Straßenbahn und fuhr quer durch die Stadt nach
Hause.
Außer einigen Schimpfworten und Flüchen gegen mich erlebte ich weiter keine
Feindseligkeiten. Während dieser Zeit wurden, wie ich dann
hörte, im Bahnhof-Gelände des Bubner Bahnhofes Waffen an die Tschechen
verteilt
und
ein dort stehender deutscher Lazarettzug beschossen. Inzwischen hatten die Tschechen auch den
Sender Prag-Stadt überrumpelt und forderten nun in ständigen Aufrufen die
Bevölkerung zum Aufstand auf; dabei wiederholten sie dauernd die aufhetzenden Worte:
"Smrt Nemcum!" (Tod den Deutschen)
Nach meiner Heimkehr bemerkte ich aus dem Fenster der elterlichen
Wohnung im Bahnhof-Gelände einen blutüberströmten deutschen Soldaten,
der in
der grellen Sonnenhitze dort lag und von einem tschechischen Aufständischen brutal
mißhandelt und bewacht wurde. Ich hatte mich vorher in Zivil umgezogen und gab mich
für
einen Universitäts-Studenten aus. Den Hausinsassen wurde nichts angetan und
außer
den vorhandenen Kleinwaffen und Zigaretten nichts genommen. Die Nacht und der
darauffolgende Sonntag, der 6. Mai, brachte keine besonderen Ereignisse, außer der
kurzen
Heranziehung zum Barrikadenbau und dem Befehl, die Wohnung zu verlassen und den
Luftschutzraum aufzusuchen. Erst in den späten Abendstunden des 6. Mai kamen einige
Männer in den Keller mit dem Rufe: "Alle Männer sofort mitkommen!" Meine
Mutter, die sich an mich, den einzigen bei ihr weilenden Familienangehörigen klammerte
und mitkommen wollte, wurde von meiner Seite weggerissen und zurückgestoßen.
Ohne Abschied ging es fort. Ich sollte meine Mutter in den nächsten zwei Jahren nicht
wiedersehen.
Wir wurden in das Kino Oko (Orion) gebracht und dort mit Männern, Frauen und Kindern
aus anderen Straßenzügen eingesperrt. Die Behandlung war anfangs nicht schlecht,
die Wachen kümmerten sich nicht viel um uns, wir bekamen etwas Brot und Suppe zu
essen.
Der 8. Mai brachte uns die Hoffnung auf eine baldige Befreiung, denn das ständige
Schießen in der Nähe verstärkte sich und die Wachen zeigten wachsende
Nervosität und Angst. Einige begannen sogar mit den Deutschen zu reden und
ließen
sich die Versicherung geben, daß sie ihnen nichts getan hätten, damit die deutschen
Soldaten, welche schon bis in die nächste Nähe vorgedrungen waren, auch milde
mit
ihnen verführen. Doch die Nacht brach herein, ohne daß sich an unserer Lage etwas
änderte, jene Nacht, die den Schluß des Krieges, damit auch den Schluß der
Kämpfe um Prag, die Ankunft der ersten Russen und den Beginn des Mordens und der
Quälerei brachte.
In den Mittagsstunden des 9. Mai stürmten brüllend bewaffnete Burschen mit roter
Armbinde in den Kinosaal, trieben mit Kolbenstößen und Fußtritten
Gruppen zu 10-15 Männern (und später auch Frauen) zusammen und jagten sie
hinaus zum Barrikadenabbau. Ich stand mit einigen Österreichern beisammen und rief
jedem zu, wir seien Österreicher. Doch auch das half nicht viel. Wir wurden trotzdem
zusammen hinausgetrieben. Der "Posten" sagte allerdings, er würde darauf
Rücksicht nehmen, daß wir Österreicher seien. Mit erhobenen Händen
ging es im Laufschritt durch die Straßen. Die ersten Schläge der Menge sausten auf
uns nieder. Einige Straßenzüge weiter stand die große Barrikade, die von uns
abgeräumt werden sollte.
Sie war 2,5-3 m hoch und bestand hauptsächlich aus aufgeschichteten großen
Pflastersteinen mit Eisenstangen und Stacheldraht. Wir bauten sie ab und pflasterten die
Straße.
Eine große Zuschauermenge sammelte sich an, auf den Rücken wurden uns mit
Kalk
und auf die Stirn mit heißem Teer Hakenkreuze geschmiert, zum Teil die Schuhe und
besseren Kleidungsstücke ausgezogen. Ich konnte den ganzen Nachmittag nur mit der
rechten Hand arbeiten, denn ich hatte ja vor wenigen Wochen noch den Gipsverband am Arme,
die große Wunde war noch nicht vollständig verheilt und eiterte. Der ständige
Hinweis darauf, daß ich Österreicher sei und meine tschechischen Sprachkenntnisse
bewahrten mich vor dem Schicksal der vielen Erschlagungen dieses Tages.
Vorbeifahrende Russenautos mußten durch Hinknien und Senken des Kopfes bis zur Erde
gegrüßt werden. Schweiß und Blut klebten am Körper, die Zunge war
kaum noch des Sprechens mächtig, denn die Sonne brannte vom Himmel und ein
Aufrichten oder gar Ausruhen und Wassertrinken gab es nicht. Dabei ein ständiges
Antreiben durch Schläge und Fußtritte. Gegen Abend waren wir mit unserer Arbeit
fertig. Im Laufschritt mit kurzem Hinlegen und Hüpfen in tiefer Kniebeuge ging es
zurück. Unterwegs erhielt ich von einer tschechischen Frau mit einer Zaunlatte gegen den
verwundeten Arm einen so heftigen Schlag, daß der Arm
bewegungsunfähig wurde. - Es kam nur ein Teil des herausgeholten "Arbeitskommandos"
wieder zurück. Die meisten Menschen waren verwundet, die Frauen hatten
kahlgeschorene
Köpfe.
Doch auch die erhoffte Ruhe während der Nacht blieb aus. Russen und Tschechen holten
die deutschen Frauen und Mädchen heraus, aus dem Vorraum waren
Verzweiflungsschreie
zu hören; Männer, die ihre Frauen schützen wollten, wurden
niedergeschlagen; Kinder, die sich an ihre Mütter klammerten, mitgenommen und man
ließ sie bei den Schändungen zusehen. Meine ehemalige Tanzlehrerin wurde bei der
Vergewaltigung geistesgestört. Mehrere Menschen verzweifelten und suchten sich durch
Öffnen der Pulsadern, Erhängen oder Herabstürzen vom Kinobalkon das
Leben zu nehmen. Ich selbst beschützte ein 16jähriges Mädchen, indem ich
es
unter den heruntergeklappten Stühlen verbarg und mich auf die Stühle
drauflegte.
Unter Todesandrohung wurden uns in den nächsten Tagen sämtliche
Habseligkeiten
vom Taschenmesser bis zur Nagelfeile und Kamm abgenommen (Geld selbstverständlich
zuerst). Täglich wurden Männer und Frauen zu irgendwelchen Arbeiten geholt und
oft kam nur ein kleiner Teil zurück. So kam nach 14 Tagen das Pfingstfest heran. In der
Innenstadt hat man an diesem Tage, wie mir später ein Mitgefangener, Dr. Küttner
aus Halberstadt erzählte, in der Reithalle am Hibernerplatz Deutsche zu Tode
gequält. In die Todesschreie mischte sich der feierliche Orgelklang aus der nahen Kirche,
wo dasselbe Volk "innig" zum Gott der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit betete!
Man konnte selbst nichts tun, als sich in den Willen Gottes fügen und mit
größter Selbstüberwindung dulden, wollte man sich nicht in den qualvollsten
Tod stürzen. Oft habe ich darüber nachgedacht, woher denn der abgrundtiefe
Haß dieses Volkes so plötzlich kam. Es hatte doch den ganzen Krieg so gut
überdauert wie kaum ein zweites Volk in Europa. Von den Deutschen waren die
Tschechen
als gleichberechtigtes Volk behandelt worden, standen ernährungsmäßig
wohl
besser da, als so mancher Deutsche. Man saß in der Eisenbahn, im Kino oder Kaffeehaus
neben
dem Tschechen - es gab keinen Unterschied als den, daß die Tschechen nicht
einrücken und keine Gefallenen zu beklagen brauchten.
In der Woche nach Pfingsten wurden wir alle aus dem Kino in die
ehemalige Scharnhorst-Schule in Prag-Dejwitz getrieben. Am Eingangstor leuchtete uns schon
die
verheißende Aufschrift "Koncentracní tábor" (Konzentrationslager)
entgegen.
Man bemühte sich dort auch, möglichst alles, was man an Erzählungen
über KZ gehört hatte, zu übertreffen. Wir lagen dort in den leeren
Klassenzimmern auf dem Fußboden. Es gab keine Seife zum Waschen, dafür aber
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Prügelschläge für eine gefundene Laus, welche Warnung am Gang
angeschlagen stand.
Täglich beim Antreten wurde geschossen und geprügelt. Sank jemand mit
Bauchschuß zusammen, mußte der Nebenmann unbeweglich stehen bleiben. Die
Leichen lagen mehrere Tage auf dem Hof, bevor man sie irgendwo verscharrte. Kleine Kinder
und
alte Leute starben, denn die Verpflegung war schlecht und lächerlich gering.
Ich war froh, als eines Tages der Abtransport zur Landarbeit begann und mir auf meinen
Hinweis,
ich sei verwundeter Offizier, gesagt wurde, ich käme in das Kriegsgefangenenlager.
Freilich brüllte mich der Lagerkommandant, ein Stabskapitän der tschechischen
Wehrmacht an, diese Kriegsverwundung sei eine Schande und nicht etwa eine Ehre für
mich.
Mit neuer Hoffnung marschierte ich am 2. Juni 1945 mit einigen deutschen Soldaten, die
längere Zeit Kraftfahrer bei der russischen Wehrmacht und vom Russen heimgeschickt,
vom Tschechen aber festgehalten worden waren, unter Bewachung
ins Kriegsgefangenen-Lager Prag-Motol.
Nun, so dachte ich, müßten doch die Bestimmungen der Genfer Konvention
eingehalten und ich wieder als Mensch und nicht als ein unter dem Niveau des Tieres stehendes
Etwas behandelt werden. Diese Ansicht erhielt den ersten Schlag, als ich am Eingang des mit
Stacheldraht umgebenen Barackenlagers einen Mann mit roter Armbinde und
Gummiknüppel bemerkte.
Wir wurden im Hofe aufgestellt und genauestens untersucht. Bei mir war nicht mehr viel zu
finden, den ehemaligen Russenfahrern nahm man aber sämtliche Bestände an
Tabak,
Konserven, Brot, Geld usw. ab. Dann wurde, wie es in den vorigen Lagern schon öfter
geschehen war, der Oberkörper entblößt und nachgesehen, ob wir unter der
linken Achsel nicht etwa die Blutgruppe eintätowiert hätten. Unter den Soldaten
befand sich einer, der sofort vom Lagerkommandant, Stabskapitän Masanka (also einem
tschechoslowakischen Stabsoffizier), persönlich verprügelt wurde. Als er
schwörend den Finger hob und bei Gott beteuerte, er sei
gar nicht SS-Angehöriger gewesen, sondern er hätte als Rücksiedler aus dem
Osten die Blutgruppe erhalten, schlug ihm der "Herr Stabskapitän" mit den Worten ins
Gesicht: "Bei Gott? Deutsche haben keinen Gott!" Der Ärmste verschwand
im SS-Keller, aus dem es kein lebendes Entrinnen mehr gab.
Behandlung und Verpflegung änderten sich hier nicht. Wir fanden morgens
Männer,
die in der Nacht zur Latrine gegangen waren, angeschossen und verblutet vor dieser liegen. Die
einzige Änderung gegenüber der vorigen KZ war die, daß wir nun
Männer unter uns waren, die das Ertragen von Strapazen und Not im Kriege gelernt hatten
und daß zu dem eigenen Leid nicht noch das Mitansehen der Qualen von verzweifelten
Frauen und unschuldigen, einst so frischen und frohen Kindern kam.
Ich selbst wurde, wie die meisten Offiziere, oft zu den schwersten Arbeitskommandos eingeteilt,
mußte in der Stadt Schränke tragen, wurde u. a. von einem Praporcik
(Stabsfeldwebel) Kuzbach mit Riemen mehrermale ins Gesicht geschlagen.
Die Gefangenen waren schon so ausgehungert, daß bei vielen alle Hemmungen fielen und
sie sich bei Arbeitskommandos über jeden Mülleimer hermachten und ihn nach
verschimmelten Brotrinden oder Kartoffelschalen durchwühlten, sofern sie kein Posten
daran hinderte.
Bei einem Arbeitskornmando lernte ich einen 21jährigen Posten kennen, der
ausnahmsweise freundlich war, und mit welchem ich mich in tschechischer Sprache über
verschiedene Dinge unterhalten konnte. Er sagte u. a., die jetzigen Machthaber in der CSR
sollten
sich ja nicht einbilden, sie könnten dasselbe Regime wieder errichten, wie es vor 1939
bestand. "Wir haben", so meinte er, "in Deutschland gesehen und selbst erhalten, was wir
Arbeiter
zu fordern haben, und was uns gegeben werden muß! Deshalb gehöre ich auch
keiner
der alten Parteien an, sondern bin Kommunist!" Dies war wohl der erste Tscheche, der
während des Krieges in deutschen Fabriken arbeitete, glänzend bezahlt und gut
verpflegt wurde und nun nicht behauptete, er wäre dort im KZ gewesen, wie es alle
übrigen taten.
Er erzählte auch von einem erschütternden Mord in den Maitagen. Nach seinen
Angaben
wurde in Prag-Weinberge ein tschechisches Mädchen, das die Geliebte
eines SS-Mannes und nun schwanger war, von den Tschechen auf die Straße geholt und
bestialisch ermordet. Mit abgeschnittenen Brüsten und aufgeschlitztem Bauche lag sie da.
Herbeigerufene Pressevertreter (auch ausländische) stellten anhand von Ausweisen fest,
daß es sich um eine Tschechin handelte und zogen die Folgerung, daß die Greueltat
nur die Deutschen begangen haben konnten. So entstanden Nachrichten über
Bestialitäten der Deutschen während der tschechischen Revolution.
Dieser Posten, unter dessen Aufsicht wir im Stadtteil Wrschowitz arbeiteten, begleitete mich
auch
zu einer mir gut bekannten tschechischen Familie, die in der Nähe wohnte. Der
Familienvater, ein guter Jugendfreund meines Vaters, dem mein Vater während der
deutschen Besatzungszeit zu einem guten Posten verholfen hatte, war nicht zu Hause. Ich wollte
dort weiter nichts, als ein Lebenszeichen von mir geben, damit ein Mensch auf Erden wissen
sollte, daß ich in diesen Tagen noch lebte und im Lager Motol war, denn man mußte
auch damals noch jeden Tag mit dem Tode rechnen.
Die Frau erhielt bei meinem Anblick einen solchen Schrecken, daß sie mich am liebsten
gleich wieder hinausgeworfen hätte, wenn nicht der Posten dabeigestanden hätte.
Die
Tochter erging sich gleich in den ärgsten Beschimpfungen gegen die Deutschen und sagte,
sie hätte, wenn sie in den Revolutionstagen einen in die Finger bekommen hätte,
ihn
auch umgebracht.
Der Posten nahm die Frau beiseite und sagte ihr leise, sie solle mir doch ein bißchen was
zum Essen geben, da wir solchen Hunger litten. Er gestand mir nachher, daß er es getan
hätte, da er genau wußte, daß ich es auch oder gerade in dieser Situation unter
meiner Würde fand, um etwas zu betteln. So kam ich wenigstens zu einem Stück
Brot und etwas Marmelade, welches die Frau mit ängstlichen Blicken verpackt dem
Posten
mit den Worten in die Hände legte: "Ich gebe es Ihnen, machen Sie damit, was Sie wollen.
Ich will nichts damit zu tun haben."
Leider kam ich schon nach drei Tagen nicht mehr zu diesem einzigen menschenfreundlichen
Tschechen, den ich in der Gefangenschaft kennengelernt habe.
Durch schwere Arbeit und die schlechte Verpflegung verschlimmerte sich der Zustand meiner
Verwundung sehr. Die Narbe war bald in ihrer ganzen Ausdehnung von 12x6 cm geöffnet
und eiterte stark. Auch andere kleine Wunden am Körper eiterten und heilten nicht zu.
Schließlich konnte ich nicht mehr arbeiten und wurde in das etwa 300 m entfernte
sogenannte
Krankenlager Motol gebracht. Es bestand aus mehreren Steingebäuden um den Hof. Wir
schliefen auf dem ehem. Heuboden über einem leeren Pferdestall auf den blanken
Ziegelsteinen ohne irgendwelche Unterlage, ich, wie die meisten, auch ohne Decke. Dort lagen
die
Verwundeten und Kranken dichtgedrängt Mann neben Mann. Die mitgefangenen
Ärzte konnten so gut wie keine Hilfe bringen, da sie keine Mittel, nicht einmal
genügend Papierbinden hatten.
Der Unterschied zwischen Offizier und Mann bestand lediglich darin, daß die
verwundeten
und kranken Offiziere beinahe täglich zum Kohlenschaufeln und Straßenkehren
herangezogen wurden. Dabei wurde zur Unterhaltung noch Exerzieren mit den aus Zweigen
hergestellten
Besen durchgeführt (Gewehr über! - Gewehr ab!).
Im gegenüberliegenden Gebäude befand sich der
berüchtigte SS-Keller. Dort waren in einem kleinen Kohlenkeller 80 bis 100 Menschen
hineingepfercht, die täglich herausgeholt und gepeinigt wurden. Als die Posten des
Schlagens müde waren, ließ man die Gefangenen sich gegenüber stellen und
sie sich gegenseitig ohrfeigen. Manchmal ließ man sie nackt ausziehen und prügelte
sie dann. Sie sahen aus wie Skelette, denn sie waren dazu bestimmt, langsam zu verhungern. Die
Rückkehr in den Keller spielte sich manchmal so ab, daß man einen Mann nach
dem
anderen an den Eingang stellte und mit einem Fußtritt hinunterbeförderte. War einer
so geschickt und hatte noch so viel Kraft, um unten gut zu landen, ließ man ihn wieder
heraufkommen und wiederholte dasselbe oder ließ ihn an der Schwelle mit dem Gesicht
nach außen niederknien und den Kopf senken. Dann bekam er einen Fußtritt ins
Gesicht, daß er nach rückwärts die Treppe hinunterstürzte.
Während dieser Handlungen wurden wir auf unseren Boden gejagt, konnten aber durch
Ritzen im Dach und in der Tür die Ereignisse verfolgen, sofern uns nicht das Grauen
davor
zurückhielt.
Die Zahl der Kellerinsassen nahm ständig zu, es waren auch vierzehnjährige
Jungen
vom HJ-Volkssturm dabei. Als auch ein zweiter Raum vollgestopft war, ging man daran, "Platz
zu schaffen". Um Ansteckungen der Posten durch die im Keller überhandnehmenden
Krankheiten vorzubeugen, streute man öfters durch das vergitterte Fensterchen Chlorkalk
hinein. Es wurde auch mit Maschinenpistolen blindlings hineingeschossen.
In der Nacht wurden regelrecht Massenhinrichtungen vorgenommen. Zunächst waren
Verwundete mit Gipsverbänden an der Reihe. Alle Insassen standen vor dem sicheren
Tod.
Kein Wunder, daß zwei junge Burschen, die den Unrateimer heraustragen mußten,
diesen plötzlich auf die Erde stellten und mit dem Rufe an uns: "Grüßt uns
die
Heimat! Grüßt uns Deutschland!" fortliefen, so schnell sie ihre schwachen Beine
tragen konnten. Sie rannten in den Tod, denn einen offenen Ausgang aus dem Lager gab es nicht.
Bald knallten mehrere Schüsse, und die Beiden hatten ausgelitten.
Die zu Erschießenden wurden meist nicht
durch Genick- oder Kopfschuß, sondern durch Bauchschuß erledigt, um sie noch
Stunden leiden zu lassen. Während dieser Zeit, meist in der Nacht, durften wir den Boden
nicht verlassen, obwohl wir alle, nierenkrank durch den kalten Ziegelfußboden, uns an der
Tür drängten. Als einer doch hinauszugehen versuchte, wurde heraufgeschossen.
Einen Unrateimer durften wir nicht heroben haben. Später wurde dann meist ein
Kommando von 10 Mann herausgeholt, um die Leichen auf einen Pferdewagen zu laden und zu
verscharren und die großen Blutlachen mit Sand zu bestreuen.
Längere Zeit war ein Arbeitskommando tagsüber tätig, um große
Massengräber auszuschaufeln.
Mein Zustand hat sich, wie der vieler Verwundeter, durch die weiterhin schlechte und
ungenügende Verpflegung, die inzwischen auf 400 g Brot, einen Halbliter Wassersuppe
und 2 mal täglich sogenannten Kaffee "angestiegen" war, so verschlechtert, daß ich
lange
apathisch dalag. Viele blieben schließlich ganz liegen, da sie nicht mehr unter den
Lebenden weilten.
Um diese Zeit, es war Mitte August, erhielt ich auf dem Umwege über meine Verwandten
im Sudetenland, denen ich ein Lebenszeichen hatte hinausschwindeln können, die
Nachricht, daß mein Vater und meine Mutter noch leben. Dies ließ meinen
Lebensmut wieder neu erwachen und gab mir die Pflicht auf, selbst als letzter
übriggebliebener Sohn weiterzuleben. Ich suchte verzweifelt nach einer
Möglichkeit,
meine Lage zu verändern und diesem langsamen Absterben zu entrinnen.
Schließlich
ergriff ich die einzige, die sich bot: Ich meldete mich zur Bauernarbeit.
Die tschechischen Großbauern in Innerböhmen beschäftigten ständig
eine große Zahl Landarbeiter. Alle diese Leute waren aber nun ins Sudetenland gegangen
und hatten dort deutsche Anwesen erhalten. Jetzt war die Ernte überreif und mußte
eingebracht werden. Man holte sich also Deutsche als Hilfsarbeiter heran.
Am 2. Juli 1946 verließen wir alle endlich das Land, in dem wir so viel erlebt hatten.
Ich hatte nun doch mein nacktes Leben gerettet, wenn ich auch nicht wußte, wohin ich
mich nun wenden und was ich nun beginnen sollte.
Bericht Nr. 72
Lager Motol
Berichter: Herr Schreiber Bericht vom 3. 12. 1946 (Prag)
Bis zum Jahre 1938 war
ich Leiter des Polizeiamtes in Neudeck und wurde nach dem
Anschluß am 5. 10. 38 in Lubenz verhaftet und bis 13. 11. 42 in den Kozentrationslagern
Dachau und Flossenbürg gefangengehalten. Zuletzt war ich als Kraftfahrer in Norwegen
eingesetzt, wo ich nach der Kapitulation in englische Gefangenschaft geriet. Im Oktober 1945
wurde ich mit einem Repatriantentransport in die CSR zurückgebracht und dort mit allen
Transportangehörigen im Lager Motol gefangen gehalten. Dabei wurde uns die reichliche
und gute Ausrüstung an Kleidung und Lebensmitteln, die uns die Engländer
mitgegeben hatten, bis auf eine dünne Decke restlos abgenommen. Wir wurden in kahlen
und ungeheizten Räumen mit Steinfußboden, ohne Strohsäcke,
untergebracht.
Durch 4 Wochen wurden viele Lagerinsassen fast täglich geschlagen. Vom Lager aus
wurden Arbeitskommandos zur Arbeit bei Bauern, in Fabriken und zur Straßenarbeit in
Prag verschickt. Ein Großteil der Arbeitskommandos wurde auch bei der Arbeit
geschlagen.
Ich sah selbst, wie beim Schleppen von Zementsäcken eine schwangere Frau, die nahezu
erschöpft war und öfter zusammenbrach, vom tschechischen Aufseher angetrieben
wurde. Als ein Gefangener dagegen Einspruch erhob, erklärte der Aufseher, es sei doch
nur
eine Deutsche, die krepieren könne. Mein Neffe wurde am Silvesterabend in Prag am
Wege
von der Arbeit von einem russischen Soldaten mit der Maschinenpistole so geschlagen,
daß
er schwere Verletzungen erlitt und später an deren Folgen starb.
Ich wurde Anfang
März aus dem Lager Motol nach Neudeck entlassen, wo ich im Antifaschistischen
Ausschuß tätig war. Bei der Anerkennung als Antifaschist wurde von den
tschechischen Behörden zwischen sozialdemokratisch und kommunistisch organisierten
Deutschen ein großer Unterschied gemacht, indem von den Sozialdemokraten nur
ungefähr 10%, von den Kommunisten aber die doppelte Anzahl der im Jahre 1938
organisierten Deutschen anerkannt wurden. Es erweckte den Anschein, als ob die
Vermögenslage bei der Zuerkennung
der Antifaschisten-Legitimation eine Rolle spielte. Bei den allgemeinen Aussiedlungen wurden
allen Aussiedlern die Papiere über Vermögenswerte abgenommen. Bei der
Entlassung aus dem Lager besaß ich nichts. Als Antifaschist bekam ich wohl durch den
Národní výbor die notwendigsten Kleidungsstücke und
Gebrauchsgegenstände, doch waren es durchwegs minderwertige Dinge, sodaß ich
auf die Unterstützung von Freunden und Bekannten angewiesen war.
Bericht Nr. 73
Erschießung von 18 Kriegsgefangenen am 9. 8.
1945
Berichter: Eduard Flach, Oberfeldintendant a.D. Bericht vom 6. 3. 1950 (Prag)
Als ehemaliger
Oberfeldintendant und Leiter einer Hauptgebührnisstelle der Luftwaffe
geriet ich, 58-jährig, am 6. Mai 1945 in Prag in tschechische Kriegsgefangenschaft. Die
Zeit meiner Gefangenschaft verbrachte ich mit noch 600 kriegsgefangenen deutschen Soldaten
im Arbeitslager Roudnice an der Elbe,
dem "Benzina-Werk", einer weitausgedehnten industriellen Anlage der ehemaligen Organisation
Todt. Folgende wahre Begebenheit gestatte ich mir, zur Kenntnis zu bringen:
Am 9. 8. 1945 mußten wir in den Abendstunden vor den Baracken auf dem Appellplatz
antreten und den Oberkörper entblößen. Eine Untersuchungskommission aus
Prag war eingetroffen, um die Kriegsgefangenen auf ihre Zugehörigkeit zur SS zu
überprüfen. 18 Mann wurden ermittelt, darunter auch einige Gefangene, die ohne
ihr
Zutun
zur Waffen-SS eingezogen waren. Nur bei einigen konnte das Merkmal der Zugehörigkeit
zur Allgemeinen Waffen-SS, das eintätowierte "a", festgestellt werden. Einige unter ihnen
waren bereits aus der SS ausgeschieden.
Die 18 Kriegsgefangenen mußten sich nun mit dem Gesicht gegen eine hölzerne
Baracke gewendet, nebeneinander aufstellen. Jetzt verübten die Tschechen vor unseren
Augen ein Verbrechen an den wehrlosen Gefangenen, das als sehr brutal bezeichnet werden
muß. Mit Eisenstangen und Gewehrkolben wurden die bedauernswerten Opfer von den
tschechischen Aufsehern und Soldaten so lange auf den entblößten Rücken
geschlagen, bis sie blutend zusammenbrachen. Als die Gefangenen stöhnend am Boden
lagen, wurden sie von den Tschechen wieder aufgerichtet und mit kaltem Wasser begossen. Mir
steht heute noch deutlich vor Augen, wie einigen Gefangenen durch wuchtige Kolbenhiebe die
Finger zerschmettert wurden; die in ihrer Brutalität einzig dastehenden
Mißhandlungen währten etwa 2 Stunden bis zum Eintritt der Dunkelheit. Dann
durften wir wegtreten und die ohnmächtigen Gefangenen wurden in das Soldatenlager,
das
durch einen Stacheldrahtzaun von dem eigentlichen Gefangenenlager getrennt war, geschleppt,
wo
sie nach weiteren Mißhandlungen erschossen wurden. Die vollständig entkleideten
Leichen wurden noch während der Nacht in einen ehemaligen trockengelegten
Feuerlöschteich geworfen und notdürftig verscharrt. Am folgenden Tage begannen
wir, die Grube zuzuschütten. Als diese Arbeit nach einigen Tagen beendet war, konnten
wir
beobachten, wie die tschechischen Wachtmannschaften die eingeebnete Grube als
Fußballspielplatz benutzten. Ich bin überzeugt, daß die Angehörigen
dieser 18 ohne jede Gerichtsverhandlung zu Tode gefolterten Kriegsgefangenen noch heute
völlig im Ungewissen über das tragische Schicksal ihrer Ehemänner,
Söhne usw. sind, denn es war uns und der Lagerleitung streng untersagt, irgendwelche
Notizen über unsere Erlebnisse während der Gefangenschaft zu machen.
Daß wir ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen während unseres Aufenthaltes im
Lager Roudnice - abgesehen von schwersten körperlichen Arbeiten bei völlig
unzureichender Verpflegung - bis aufs Hemd ausgeplündert und für die geleisteten
Arbeiten weder Kriegsgefangenensold noch sonst eine Vergütung erhalten haben, im
Gegensatz zu dem Verhalten der Amerikaner und Engländer, möchte ich nur
nebenbei erwähnen.
Am 12. 2. 1946 kam ich als schwerkranker Mann in das
Durchgangslager Prag-Motol, da ich entlassen werden sollte. Meine Entlassung zog sich jedoch
bis zum 8. 6. 46 hin. Nach meiner Entlassung befand ich mich mehrere Jahre in ärztlicher
Behandlung, um die gesundheitlichen Schäden, die ich durch die unmenschliche
Behandlung erlitten hatte, zu beseitigen.
Ich bin jederzeit bereit, diesen Tatsachenbericht eidlich zu bekräftigen.
Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen
Überlebende kommen zu Wort
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