Gestapo als Capo
Ferdinand Bruckdorfer: "Ich bin Hilfsarbeiter, war kein Angehöriger der NSDAP und ihrer Formationen und war wegen eines Augenleidens auch nicht Soldat. Ich wurde zum Volkssturm einberufen, kam an die ungarische Front und wurde nach Beendigung des Krieges in Linz aus amerika- [104] nischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Am 2. Mai 1945 kam ich mit meinem regulären Entlassungsschein nach Eisenstein, wo sich meine Eltern befinden und wo ich früher in Regenhütte in der Glasfabrik gearbeitet hatte. Am 19. Juni wurde ich von den Tschechen verhaftet, weil ich Angehöriger des Volkssturmes war. Nach dreitägiger Haft im Gefängnis Eisenstein wurde ich in das Barackenlager Klattau gebracht. Wir waren in Baracken auf Militärbetten untergebracht und mußten in der Landwirtschaft arbeiten. Jedem wurden die Haare kahl geschnitten, auf dem Rücken meines Mantels war ein großes Hakenkreuz angebracht, außerdem trug jeder eine gelbe Binde mit aufgedrucktem "N". Gleich beim Eintreffen in Klattau bekam ich von den tschechischen Aufsichtsposten ununterbrochen Ohrfeigen und Fausthiebe. Ich wurde in der sogenannten Korrektion in einen Keller gebracht, nackt ausgezogen, mit kaltem Wasser beschüttet und dann von 4-5 Männern mit Ochsenziemern geschlagen. Ich fiel ohnmächtig in das 10 cm hoch den Boden bedeckende Wasser und wurde, als ich erwachte, neuerdings geschlagen. Die Hände waren mir dabei durch eiserne Ketten gefesselt. Diese Prozedur wurde Tag und Nacht wiederholt und auch an 10- bis 12-jährigen Buben durchgeführt, weil man angeblich Waffen bei ihnen gefunden hatte. Auch Frauen (darunter die mir bekannte Luise Jungbeck aus Eisenstein) mußten sich in dieser Kammer nackt ausziehen. Es wurden ihnen die Haare abgeschnitten. Dann wurden sie ebenfalls von tschechischen Legionären geschlagen. Vergewaltigungen kamen dabei damals nicht vor. Viele Männer konnten die Qualen nicht ertragen und starben. Unter ihnen sind mir persönlich bekannt gewesen: der Kaufmann Karl Fuchs und der Baumeister Passauer, beide aus Eisenstein. Sie waren in Klattau im 'Schwarzen Turm' ums Leben gebracht worden. Die Verpflegung im Lager bestand aus 2 kg Brot für 8 Mann täglich und zweimal Kartoffelsuppe. Gearbeitet wurde von 5 Uhr früh bis abends zum Finsterwerden. Doch durften erst um 22 Uhr die Lagerstätten aufgesucht werden. [105] Ein gewisser Soubek, der in Wien bei der Gestapo war, wurde von den Tschechen zunächst auch eingesperrt, dann aber als Aufseher gegen die anderen Deutschen eingesetzt. Er hat uns ebenfalls geschlagen."
A. Heindl: "Bis zum Jahre 1937 war ich sozialdemokratisch organisiert und war eine Zeit lang sozialdemokratischer Gemeindevertreter in Schlag. Dort wurde ich am 28. Mai 1945 verhaftet und dabei furchtbar mißhandelt. Diese Mißhandlungen wurden nach einigen Tagen im Lager Reichenau fortgesetzt. Dabei wurden viele meiner mitverhafteten deutschen Kameraden buchstäblich zu Tode geprügelt. Vielen wurden die Zähne herausgeschlagen oder das Nasenbein zertrümmert. Einer verlor durch die Mißhandlungen sein Auge. Wir alle waren bis zur Unkenntlichkeit entstellt."
Ida Bernt: "Mir wurde bei der Aussiedlung in Troppau, nachdem ich, wie jeder andere, bereits um alles gekommen war, noch meine Nickelarmbanduhr vom Arm genommen. Als ich darauf hinwies, daß ich als Halbjüdin doch wenigstens das Recht auf eine Nickeluhr haben könnte, wurde mir erwidert: 'Wir behandeln die Juden nicht der Rasse nach, sondern der Sprache nach.' Es wurde mir ein Schriftstück in tschechischer Sprache zur Unterschrift vorgelegt, das ich unterschreiben mußte, ohne den Inhalt zu verstehen."
[106] Deutsche nur als
Arbeitssklaven
Johann Foyerer: "Ich bin im Besitze des Antifaschistenausweises und hätte das Recht gehabt, für mich und meine Familie unbeschränktes Gepäck mitzunehmen. Trotzdem wurde mir bei der Gepäckskontrolle im Aussiedlungslager Böhmisch-Krummau ein Paar Halbschuhe und ein Paar Filzstiefel meiner Tochter, ein Teppich und etwas Schuhmachermaterial - ich bin Schuhmacher von Beruf - abgenommen. Auch anderen Antifaschisten wurden die Sachen abgenommen. Antifaschisten haben die Möglichkeit, in der Č.S.R. zu verbleiben. Doch macht keiner von dieser Möglichkeit Gebrauch, da für Deutsche nur die Möglichkeit besteht, als Arbeitssklaven verwendet zu werden."
Richard Stanke: "Ich war immer sozialdemokratisch organisiert und war niemals Angehöriger der NSDAP. Deshalb erhielt ich im Mai 1945 von der Leitung der deutschen sozialdemokratischen Partei eine Parteilegitimation. Im Juli v. J. wurde ich auf der Straße von einem Gendarmen angehalten, der mir die Legitimation abverlangte. Ich weigerte mich, die Legitimation herauszugeben, da er meiner Meinung nach gar kein Recht hatte, sie mir abzuverlangen. Da nahm mich der Gendarm mit auf den Gendarmerieposten und mißhandelte mich dort schwer. Er versetzte mir gegen 6-8 Faustschläge gegen den Kopf, riß mir die Legitimation aus der Tasche und zerriß sie. Ich habe 14 Tage einen verschwollenen Kopf und verschwollene Augen gehabt."
Leo Zimmermann: "Ich war immer sozialdemokratisch organisiert und auch als Vertrauensmann in der Gewerkschaft tätig. Trotzdem wurde ich am 28. Mai 1945 verhaftet und schwer mißhandelt. Diese Mißhandlungen fanden in Ottawitz auf dem Gemeindeamt und im Haus Zelius und bei der Kriminalpolizei und bei Gericht in [107] Karlsbad statt, wobei mir das Nasenbein doppelt gebrochen und zwei Zähne ausgeschlagen wurden. In Neurohlau wurde ich dann bis Weihnachten festgehalten und von dort nach Brüx zur Arbeit in ein Lager verschickt. Die Verpflegung war durch Monate ganz schlecht, z. B. durch sieben Wochen hindurch lebten wir 480 Personen von einer Suppe, in der für alle zusammen 3 Kilo Sauerkraut gekocht wurde! Brot wurde sieben Wochen lang überhaupt nicht ausgegeben, dann erhielten 48 Mann zusammen 1 kg Brot. Täglich sind viele Leute an Unterernährung gestorben. Die Insassen der Zelle 14 beim Gericht in Karlsbad erhielten täglich 200 bis 300 Hiebe. Der Organisator dieser Schlägereien war der Tscheche Kalabeck. Meine Frau wurde mit den Kindern völlig ausgeplündert und aus der Wohnung gejagt, sie mußte sich buchstäblich durchbetteln. Mein Aussiedlungsgepäck erreicht bei weitem nicht das zulässige Gewicht und besteht nur aus zusammengebettelten Sachen."
Nach diesen erschütternden Erlebnisberichten, die meistens namentlich von Menschen gezeichnet wurden, die bereit sind, vor jedem Gericht die Wahrheit dieser Aussagen zu beeiden, gibt es nicht mehr viel zu sagen. Niemand kann diese grauenhaften Geschehnisse leugnen. Niemand kann die tausendfachen Verbrechen gemeinster und widerlichster Art ungeschehen und die Toten lebendig machen. Vorstehendes Beweismaterial hat zum ersten Male versucht, eine Übersicht über das Drama der Sudetendeutschen, das, wie bereits ein Größerer festgestellt hat, zugleich ein erschütterndes Drama der gesamten tschechischen Nation ist, zu geben und vor allem eine politische und moralische Analyse zu finden, wieso es zu diesem Massengrauen kam. Das Geschehen in den Sudeten ist aber nicht nur ein Drama der Sudetendeutschen und der Tschechen, es ist [108] auch im hohen Maße ein Drama der heutigen Mächtigen dieser Erde. Sie haben zu Potsdam 1945 der offiziellen "Umsiedlung" der Volksdeutschen zugestimmt, sie haben sich durch die bereits geschilderten Falschspielertricks eines Benesch überspielen lassen und die "Umsiedlung der Sudetendeutschen" offiziell sanktioniert. An sie wendet sich in erster Linie dieses Buch. Es soll den Alliierten zeigen, welche Folgen jene verhängnisvollen Beschlüsse gehabt haben. Der Leiter des tschechoslowakischen Amtes für Eigentumsrückführung, Krjsa, erklärte laut Asso-Press vom 24. Oktober 1949 in Brüx, "die Sudetendeutschen brauchten sich keinerlei Gedanken darüber zu machen, daß Deutschland je wieder in den Besitz der Sudeten käme. Das gesetzliche Eigentumsrecht an solchen Gebäuden, die ehemals den ausgewiesenen Deutschen gehörten, werde den neuen Siedlern zugesprochen." Diese höchst überflüssige Feststellung scheint gesprochen worden zu sein, um die immer wieder aufkommenden Gerüchte der deutschen Ansprüche im immer unsicherer werdenden tschechischen Volke zu zerstreuen. Erklärlich werden diese offiziellen Worte durch die von den tschechischen Behörden selbst amtlich mitgeteilte Erklärung, daß die ohne Entschädigung von den vertriebenen Sudetendeutschen in der Č.S.R. zurückgelassenen Sachwerte eine Summe von 19,44 Milliarden Dollar betragen. Somit haben die Tschechen widerrechtlich den vertriebenen Sudetendeutschen einen Betrag weggenommen, der die gesamte Marshallhilfe für ganz Europa für vier volle Jahre betragen würde. Je größer die geraubte Summe, desto unsicherer der Dieb. Daher die vielen Worte von einer Sicherung vor einer "Aggression" und die immer wieder in allen Worten der verantwortlichen Minister und Politiker, der Presse und des Rundfunks in der Č.S.R. vor der "deutschen Gefahr". Es gibt aber gar keine deutsche Gefahr in diesem tschechischen Sinne, wohl aber gibt es eines, das die Tschechen nicht zur Ruhe kommen läßt: ihr eigenes schlechtes Gewissen. [109] Vier Jahre nach der Katastrophe in der Č.S.R. haben sich die ernstesten Vertreter der Sudetendeutschen in Europa in der deutschen Bischofsstadt Eichstätt zusammengefunden und über die Lage ihres Stammes beraten. Es waren Männer unter ihnen, wie Schütz, die in der katholischen CSU arbeiten, wie Reitzner, die den Weg zur SPD gefunden haben, sowie der sudetendeutsche Sozialist Wenzel Jaksch. In ihrer "Eichstätter Deklaration", die als Resumée der politischen Aussprache von 1949 gelten kann, haben sie sich mit den Problemen von heute auseinandergesetzt. Und sie stellten in ihren Protokollen fest: "Die allgemeine geistige Krise unseres Zeitalters wurde in Mitteleuropa durch staatspolitische Fehlkonstruktionen verschärft. Hier sind durch die schematische Anwendung des westeuropäischen Nationalstaatsbegriffes auf organisch gewachsene übernationale Gemeinschaften den totalitären Gewalten zusätzliche Chancen geboten worden. Mit der gewaltsamen Verpflanzung und Austreibung ganzer Volksgruppen wurde dieser Widersinn auf die Spitze getrieben. Die Entwicklung seit 1945 hat die These widerlegt, daß eine mit Gewalt erzwungene nationale Einheitlichkeit der mitteleuropäischen Staaten eine dauernde Sicherung des Weltfriedens verbürge. Die Austreibung hat im Gegenteil die Selbständigkeit der Austreiberstaaten vernichtet und der östlichen Totalität den Weg nach dem Westen geebnet. Zu wenig wird heute noch erkannt, daß mit dem ideologischen Vordringen des Bolschewismus der panslawistisch-imperialistische Drang nach dem Westen Hand in Hand geht. Diese schwerste Störung des europäischen Gleichgewichts seit der Völkerwanderung bedroht den gesamten europäischen Westen mit einem östlich-asiatischen Übergewicht. Ohne das aktive Eingreifen Amerikas hätte sich die Katastrophe Westeuropas bereits vollendet..." In dem Kampf um das Selbstbestimmungsrecht Europas umreißt die Deklaration die Stellungnahme der Sudetendeutschen weiter: "Wir wünschen nicht, daß der Vormarsch dieser Einsicht durch Kollektivbeschuldigungen gegen das tschechi- [110] sche oder polnische Volk gehemmt wird. Wir Sudetendeutschen wollen nicht Vergeltung, sondern Gerechtigkeit. So sehr das elementare Rechtsempfinden eine gerichtliche Bestrafung krimineller Handlungen verlangt, so wenig wollen wir dazu beitragen, daß durch die Angst dieser Völker vor Kollektivrache ihre Loslösung von den kommunistischen Diktatoren aufgehalten werde..." Denn auch das Schicksal der Sudetendeutschen ist "einzuordnen in das große Ringen um die christlich-humanistische Wiedergeburt Europas". Das Buch soll nicht enden, ohne daß eine klare, für jeden begreifbare Rechnung gelegt wird. Mag er von den sonnigen Feldern Kaliforniens kommen, aus den Arbeitervierteln von Birmingham, aus den Vortragssälen der Pariser Sorbonne, aus der imaginären Sicherheit der derzeit neutralen Länder oder aus der Steppe des Ostens. Er muß sie verstehen. Diese Rechnung soll das Grauen des Himmlerschen Lidice so wenig entschuldigen, wie das Grauen des zweiten Lidice zum Vorwand einer Revanche nehmen. Aber diese klare und eindeutige Rechnung soll verhindern, die Wahrheit ins Gegenteil verkehren zu können. Lidice, ein Dorf bei Kladno, mit hoch geschätzt 184 erschossenen Männern, 135 ins KZ überstellten Frauen und den in Anstalten verschleppten Kindern. Das "andere Lidice", das 3.000.000 Menschen entrechtete, sie tiefer als zum Tier herabwürdigte, beraubte, ausplünderte, bis zum Irrsinn mißhandelte, und schließlich Hunderttausende ermordete, um am Schluß den Rest der Überlebenden ohne Hab und Gut in die Fremde zu jagen. Hoffentlich hat die Welt den Mut, diese Rechnung zur Kenntnis zu nehmen. Sie predigt nicht Aug um Aug, Zahn um Zahn, Blut um Blut. Sie fordert nichts von der Welt als Gerechtigkeit.
Denn ohne Glauben an die Gerechtigkeit kann es keinen Glauben an die Welt und an das Leben
mehr geben.
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