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Lage von Kiautschou in Ostchina.
Lage von Kiautschou
II. Die einzelnen Kolonien
     vor und nach dem Kriege

7. Kiautschou

a. Erwerbung, Bedeutung, Verwaltung

Das Schutzgebiet Kiautschou wurde dem Deutschen Reich auf 99 Jahre von der chinesischen Regierung durch Pachtvertrag vom Jahre 1898 überlassen. Damit gab China seine Zustimmung zu der wenige Monate vorher von einem deutschen Geschwader unter Admiral Diederichs vollzogenen Besetzung des Gebietes, die als Sühnemaßnahme für die Ermordung deutscher Missionare vorgenommen worden war (s. S. 16). Das Kiautschougebiet lag an der Südseite der weit ins Gelbe Meer vorspringenden Schantunghalbinsel und besaß günstige Zufahrtswege zur See. Mit dieser Erwerbung verfügte das Deutsche Reich über einen Stützpunkt für den ständig zunehmenden Handel und den Seeverkehr mit Ostasien, und die Kriegsmarine hatte in dem gut ausgerüsteten Hafen einen Rückhalt.

So folgte auch Deutschland den übrigen großen Nationen, die in den ostasiatischen Gewässern ihre Flottenstützpunkte und Handelsniederlassungen besaßen. Die Wahl der Hafenplatzes, auf den der berühmte Geograph und Chinareisende Freiherr von Richthofen lange Jahre vor der Besetzung aufmerksam gemacht hatte, erwies sich als günstig, wenn es auch intensiver Arbeit bedurfte, die gute Weltlage Tsingtaus, des Hafenortes, für den deutschen Handel nutzbar zu machen.

Die Verwaltung des Schutzgebietes unterstand dem Reichsmarineamt; der Gouverneur war stets ein höherer Seeoffizier mit dem Amtssitz in Tsingtau. Gouverneure waren die Kapitäne z. S. bzw. Admirale Rosendahl 1898/99, Jäschke 1899/1901, von Truppel 1901/1911 und Meyer-Waldeck von 1911 bis Kriegsende.

 
b. Das Land

Das 551 qkm große Schutzgebiet, unter 36° nördlicher Breite und 123° östlicher Länge gelegen, umfaßte das seichte Becken der Kiautschoubucht samt mehreren umliegenden Inseln und eine kleine, die Einfahrt von Westen flankierende Landzunge, während der Hauptteil des Landgebietes die größere östliche Halbinsel einnahm. Weiterhin hatte das Deutsche Reich bedeutende politische Rechte in [152] einer neutralen Zone, die in 50 km Breite die Hoheitsgrenze umgab, und in der auch die dem Schutzgebiet den Namen gebende chinesische Kreisstadt Kiautschou gelegen war. Das deutsche Gebiet nahm zur Hälfte die genannte östliche Halbinsel ein, einen kahlen und öden, zerrissenen Ausläufer des Schantunggebirges, das sogenannte Lauschangebirge, dessen Spitze nahe der deutschen Grenze als weithin sichtbare Landmarke zu mehr als 1100 m aufragt. Das Klima des Gebietes ist gekennzeichnet durch den Wechsel von feuchten warmen Sommern unter der Herrschaft des Monsuns und kühlen Wintern mit Frost und gelegentlichem Schneefall in höheren Lagen. Trotz dieser Temperaturschwankungen galt Tsingtaus Klima als angenehmer und milder als das der meisten chinesischen Küstenplätze. Diese Tatsache hat ihm die Stellung eines vielbesuchten Erholungsortes verschafft, wobei der schöne Badestrand noch eine willkommene Zugabe ist. Infolge starken Raubbaus waren die Hänge des Gebirges alle entwaldet, und die deutsche Verwaltung hat erst mit großen Kosten und guten Erfolgen Aufforstungen besonders in der Nähe der Stadt Tsingtau vorgenommen. Die nur von kleineren, schnell versiegenden Gewässern durchfurchten Täler sind dicht besiedelt und tragen reiche Ackerfelder mit Getreide, Bohnen, Baumwolle, Erdnüssen, Kartoffeln, Tabak und Obst. Auch die Viehzucht ist verbreitet.

 
c. Bevölkerung und Siedelungen

Die Bevölkerung des Schutzgebietes betrug 1913 etwa 190 000 Einwohner, darunter etwa 2000 Europäer, zu neun Zehntel Deutsche, die Garnison von 2300 Köpfen nicht gerechnet. Die Stadt Tsingtau hatte etwa 55 000 chinesische Einwohner, die in der Chinesenstadt wohnten, während an Stelle der alten kleinen Chinesenstadt gleichen Namens die modern angelegte Europäerstadt (2000 Einwohner) sich ausbreitete mit Verwaltungsgebäuden, Kasernen, Handelshäusern und Villen. Der Rest der chinesischen Bevölkerung von etwa 130 000 Köpfen verteilte sich auf fast 300 Ortschaften, davon mehrere mit über 1000 Einwohnern. Besonders das Stadtgebiet wies ein schnelles Bevölkerungswachstum auf, das der steigenden Bedeutung Tsingtaus entsprach. Die Bevölkerungsdichte zeigte die ungewöhnlich hohe Zahl von 300 pro qkm.

 
d. Handel und Verkehr

Den Grund zur wirtschaftlichen Blüte legte die deutsche Verwaltung durch die Schaffung eines modernen Hafens von 9,5 m Was- [153] sertiefe mit Kaianlagen, Hafenbahnhof, Werften und Schwimmdock. Daran gliederten sich die Lagerschuppen der großen Handelshäuser an. Die Verbindung mit dem Hinterland stellte die 435 km lange Schantungeisenbahn dar, die 1904 eröffnet wurde, und nach Tsi-nan-fu führte, wo Anschluß an die Linie Tientsin–Po-kou besteht. Sie bildete gleichzeitig den Ausfuhrweg für die großen, ebenfalls unter deutscher Leitung stehenden Kohlengruben von Weih-sien und Fang-tse, deren Produktion von 70 000 t 1904 auf 400 000 t 1910/11 stieg. Damit gewann Tsingtau auch als Kohlenstation Bedeutung für unsere Handels- und Kriegsschiffe. Während zunächst das ganze Schutzgebiet als Freihafenzone galt, wurde es 1906 an das chinesische Zollgebiet angegliedert bis auf das Hafengebiet selbst. Die Handelsumsätze stiegen schnell, so daß Tsingtau schon vor dem Weltkriege in die Reihe der Großhäfen einrückte und nach den Zolleinnahmen unter den chinesischen Häfen an sechster Stelle stand. Der Ausfuhrwert erreichte 1903/4 15 Mill. M.; 1911/12 bereits 74 Mill. M. Die Einfuhr betrug 1903/4 (ohne Eisenbahnbaumaterialien) 24 Mill. M., dazu für 12 Mill. M. Waren chinesischen Ursprungs; und 1911/12 62 Mill. M. und für 44 Mill. M. Waren chinesischen Ursprungs. Das bedeutete einen gesamten Handelsumsatz von 178 Mill. M. Die Hauptausfuhrgüter, die den Hafen zum größten Teil im Durchgang passierten, waren Strohflechtwaren, Erdnüsse und Erdnußöl, Seide, Baumwolle und tierische Produkte. Auf der Einfuhrliste standen Baumwollfabrikate, Chemikalien und Metallwaren obenan. Am Schiffsverkehr, der 1911/12 mehr als 1 Mill. t betrug, war Deutschland mit 54% beteiligt, an zweiter Stelle folgte England, dann Japan.

 
e. Kiautschou nach dem Krieg

Kiautschou wurde im Weltkrieg von den Japanern besetzt (s. S. 36), später aber gemäß Abkommen von 1922 an China zurückgegeben. Damit ist das ehemalige deutsche Pachtgebiet endgültig wieder Bestandteil des chinesischen Reiches geworden. Die Zeiten sind vorbei, in denen auf chinesischem Boden von Europa aus Kolonien angelegt wurden. Ganz gewiß denkt niemand in Deutschland an Derartiges. Lediglich die Entwicklung unserer freundschaftlichen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu China auf der Basis der Gleichberechtigung beider Nationen ist unser Ziel.






Die deutschen Kolonien vor, in und nach dem Weltkrieg
Dr. Heinrich Schnee, Gouverneur i. R.