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Kampf um Berlin: Der 
Anfang.

Verzweiflung und Niedergang

Unterdes war der Hochsommer gekommen. Die Sauregurkenzeit setzte mit Macht ein. Das politische Leben der Reichshauptstadt stumpfte nach und nach ab und verlor jede Schärfe. Der Reichstag war in Ferien gegangen, Sensationen oder große politische Überraschungen standen vorerst nicht zu erwarten. Die nationalsozialistische Bewegung der Reichshauptstadt war scheinbar zusammengebrochen, und es wurde von ihr weder in der Presse noch sonstwo in der Öffentlichkeit irgendein Aufhebens gemacht.

Das machten sich die defaitistischen Elemente, die in die Bewegung geschickt waren, um sie von innen heraus zu zersetzen und mürbe zu machen, zunutze. Unsere neugegründete Zeitung stand noch in den allerersten Anfängen und entsprach in dieser Form durchaus nicht den berechtigten Wünschen und Anforderungen der Parteigenossenschaft. Die öffentliche Wirksamkeit der Partei war unter dem Verbot bis auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Wir konnten unsere Mitgliederkartei nur im Verschwiegenen und sehr unvollkommen weiterführen, und somit war auch das Eingehen der Mitgliedsbeiträge nur sehr stockend.

Die Partei fristete ein kümmerliches Dasein. Es fehlte ihr an den für politische Arbeit nun einmal notwendigen Geldmitteln; private Geldgeber hatte sie nicht, weder heute noch damals, und aus unserem eigenen Vermögen konnten wir erst recht nichts zusteuern, weil wir allesamt arm und mittellos waren, und die wenigen Summen, die dem einen oder anderen noch zur Verfügung gestanden hatten, schon restlos in der ersten Zeit nach dem Verbot aufgebraucht worden waren.

In der Parteigenossenschaft selbst machte sich ein steigender Unmut bemerkbar, der von provokatorischen Elementen systematisch geschürt und aufgeputscht wurde. Die Bewegung wurde, teils bewußt, teils unbewußt, durch immer wieder auftauchende, geschickte Alarmnachrichten oder durch heimliche Zersetzungsarbeit beunruhigt und in ständiger Nervosität gehalten.

Wir konnten uns dagegen öffentlich nur wenig wehren; denn selbstverständlich hatten wir ein Interesse daran, das innere Leben der Partei, das auch nach ihrem Verbot noch weiter fortbestand, den Augen der Polizei nach Möglichkeit zu entziehen, da wir ja befürchten mußten, daß, wo es irgendwie in sichtbare Erscheinung trat, die Behörden mit rigorosen Zwangsmaßnahmen gegen uns und die Partei vorgehen würden.

Der organisatorische Zusammenhalt der Bewegung ruhte wieder einmal fast ausschließlich auf den einzelnen SA.-Verbänden. Die politische Partei war nicht so fest gegliedert und in sich zusammengeschlossen, daß sie für eine verbotene politische Arbeit eingesetzt werden konnte. Die SA. jedoch hatte sich, wenigstens in ihren alten Gruppen, vollkommen intakt gehalten. Man gründete Vereine unter Decknamen, manchmal mit den kuriosesten Titeln, in denen die nationalsozialistische Idee weiter gepflegt und die Arbeit, so gut das unter dem Druck des Verbots möglich war, fortgesetzt wurde.

Es entstanden Sparvereine "Zum goldenen Sechser", Kegelklubs "Gut Holz", Schwimmvereine "Gut Naß" und ähnliche phantastische Unternehmen, die in Wirklichkeit nur Fortsetzungen der vom Polizeipräsidium zu Unrecht verbotenen nationalsozialistischen Bewegung in Berlin darstellten.

Allerdings konnte man immer nur auserwählte und durchaus zuverlässige Parteigenossen für diese Arbeit heranziehen. Die Gefahr des Spitzeltums und organisierter Provokationen lag allzu nahe. Sobald unsere Arbeit einen bestimmten, eng umgrenzten Personenkreis überschritt, kam sie unweigerlich den Behörden zu Ohren und wurde dann mit Zwangsmaßnahmen und Schikanen beantwortet. Das bedeutete für alle Mies- und Flaumacher die große Zeit. Sie fühlten sich berufen, die Maßnahmen, die von der Parteileitung unter dem Druck des Verbots getroffen wurden, zu benörgeln und zu bekritteln, anstatt sie mit Disziplin und Verantwortung zur Durchführung zu bringen. Sie fühlten sich sicher in dem Bewußtsein, daß die Partei keinerlei Möglichkeit hatte, gegen sie einzuschreiten oder sich gegen ihr Zersetzungswerk zur Wehr zu setzen. Wir mußten auch in der Tat diesem schamlosen Treiben, das nur zum kleineren Teil von widerspenstigen Parteigenossen, zum größeren Teil aber von bezahlten, nichtswürdigen Elementen in Szene gesetzt wurde, mit verbissenem Ingrimm zuschauen und unsere Vergeltung auf bessere Tage verschieben.

Unter solchen Umständen sank unsere Initiative, die schon durch die amtlichen Verfolgungsmethoden wesentlich gelähmt war, auf ein Minimum herab. Kaum hatte man einen Entschluß gefaßt, so wurde er im Munde von Übelwollenden zerlegt und zerkaut, und meistens kam nicht viel mehr dabei heraus als eine frucht- und ergebnislose Debatte. Tat man jedoch nichts, dann erklärten diese Subjekte schadenfroh, die Partei sei in ihrer Aktivität erstarrt, von einer nationalsozialistischen Bewegung in der Reichshauptstadt könne gar nicht mehr gesprochen werden.

Der Angriff machte uns große Sorgen. So schnell wir die ersten technischen Schwierigkeiten überwunden hatten, so schwer war es, der finanziellen Nöte Herr zu werden. Wir hatten die Zeitung ohne jegliche geldliche Unterstützung gegründet. Es standen nur Mut und Verzweiflung dabei Pate. Das junge Unternehmen war damit gleich in seinen Anfängen von den schwersten Erschütterungen bedroht. Unsere hochgesteckten Erwartungen hatten sich nur in geringem Maße erfüllt. Nach einem kurzen, jähen Aufflackern war die öffentliche Anteilnahme an unsere publizistischen Arbeit allenthalben erloschen, und da es nicht möglich war, über die Kreise der eigenen Parteigenossenschaft hinaus unser Organ wirksam zu machen, verloren auch bald die festen Anhänger ihr Interesse an diesem Unternehmen. Man hielt die Sache für aussichtslos. Man erklärte, die Gründung sei nicht genügend vorbereitet gewesen, man hätte damit bis zum Herbst zuwarten und sich nicht im Sommer der Gefahr aussetzen sollen, gleich in der politischen Erstarrung der Sauren-Gurken-Zeit die Zeitung verkümmern zu sehen.

Das Kontingent von festen Abonnenten war kläglich und vollkommen unzureichend; im Straßenverkauf setzten wir nur geringe Mengen unserer allwöchentlich am Sonnabend-Abend erscheinenden Zeitung ab. Die notwendigen Gelder blieben aus, wir mußten bei unserem Drucker pumpen und Kredite aufnehmen, und das hatte wieder zur Folge, daß die Zeitung in ihrer äußeren Aufmachung an Ansehen verlor. Das Papier war schlecht, der Druck unzulänglich, der Angriff machte den Eindruck eines Käseblattes, irgendwo in obskurer Anonymität erscheinend und bar jeden Ehrgeizes, einmal in die Reihe der großen Presseorgane der Reichshauptstadt aufzurücken.

Schon nach einem Monat stand der Angriff normal gesehen vor der Pleite. Lediglich die Tatsache, daß es uns immer wieder gelang, im letzten Augenblick hier und da eine kleinere Geldsumme aufzutreiben, rettete uns vor dem offenen Bankrott.

Unsere ganze Zeit und Arbeit war ausgefüllt mit Geldsorgen. Geld und Geld und immer wieder Geld! Wir konnten den Drucker nicht bezahlen. Nur in kleinen Beträgen wurden die Gehälter abgeglichen. Wir blieben Miete und Telephongeld schuldig. Die Bewegung schien in der Geldkalamität zu ersticken.

Hätten wir wenigstens noch die Möglichkeit gehabt, öffentliche Versammlungen zu veranstalten und durch große Redner auf die Massen einzuwirken! Vielleicht hätten wir dadurch die drohende Finanzkrise überwunden. Denn unsere Versammlungen brachten immer bedeutende Überschüsse, die bis auf den heutigen Tag von der politischen Bewegung verwirtschaftet wurden. Aber Versammlungen waren ja meistens verboten; und wo sie zum Schein erlaubt wurden, ließen die Behörden uns nur die kostspieligen Vorbereitungen treffen, um im letzten Augenblick trotzdem mit einem plötzlichen Verbot herauszurücken. Sie brachten uns damit nicht nur um den erwarteten Überschuß, sondern auch um die Geldsumme, die wir bereits für die Vorbereitung der Versammlung hatten aufwenden müssen.

Manchmal und oft ist in der Öffentlichkeit die Frage aufgeworfen worden, woher die nationalsozialistische Bewegung die riesigen Geldsummen nehme, die sie zur Unterhaltung ihres großen Parteiapparates und zur Finanzierung ihrer gigantischen Propagandafeldzüge benötigt. Man hat auf die verschiedenartigsten geheimen Geldquellen gemutmaßt. Einmal war es Mussolini, das andere Mal der Papst, ein drittes Mal Frankreich, ein viertes Mal die Großindustrie und ein fünftes Mal irgendein bekannter jüdischer Bankier, der die nationalsozialistische Bewegung finanzierte. Die blödsinnigsten und aberwitzigsten Verdachtsmomente wurden ins Feld geführt, um die Bewegung zu komprimittieren. Die schlimmsten Feinde der Partei wurden zu ihren generösesten Geldgebern ernannt, und eine blindgläubige Öffentlichkeit ist jahrelang auf diese Ammenmärchen hereingefallen.

Und doch ist nichts einfacher als die Lösung dieses nur scheinbar so mysteriösen Rätsels. Die nationalsozialistische Bewegung hat niemals Geld von Männern oder Organisationen genommen, die außerhalb ihrer Reihen standen oder gar die Bewegung in der Öffentlichkeit bekämpften und von ihr bekämpft wurden. Sie hatte das auch gar nicht nötig. Die nationalsozialistische Bewegung ist so groß und innerlich gesund, daß sie sich aus eigenen Mitteln finanzieren kann. Eine Partei von einigen Hunderttausend, heute gar von nahezu einer Million Mitgliedern hat schon in den Parteibeiträgen eine gesunde finanzielle Grundlage. Damit kann sie ihren ganzen Organisationsapparat, wenn er sparsam aufgebaut ist - und das ist ja bei uns selbstverständlich - erhalten. Die Propagandafeldzüge aber, die wir bei Wahlen oder großen politischen Aktionen veranstalten, finanzieren sich aus sich selbst heraus. Das ist für die Öffentlichkeit nur deshalb so unverständlich, weil andere Parteien, mit denen man uns vergleicht, gar nicht in der Lage sind, für den Zutritt zu ihren Versammlungen Eintrittsgeld zu erheben. Sie sind heilfroh, bei freiem Eintritt und gar noch Gewährung von Freibier ihre Säle mit Not zu füllen. Das kommt einmal daher, daß diese Parteien nur unzulängliche Redner haben und das andere Mal, daß die politischen Ansichten, die in ihren Versammlungen vertreten werden, für die breiten Volksmassen gänzlich uninteressant und wenig zugkräftig sind. Anders bei der nationalsozialistischen Bewegung. Sie verfügt über ein Rednerkorps, das in der Tat als mit Abstand das beste und schlagkräftigste im heutigen Deutschland überhaupt bezeichnet werden muß. Wir haben diese Redner nicht systematisch in die Schule genommen und sie zu großen Rhetorikern ausgebildet. Sie sind aus der Bewegung selbst herausgewachsen. Die innere Begeisterung gab ihnen Kraft und Fähigkeit, mitreißend auf die Massen einzuwirken.

Das Volk hat ein Gefühl dafür, ob ein politischer Redner das, was er sagt, selbst glaubt. Unsere Bewegung ist aus dem Nichts heraufgestiegen, und die Männer, die sich von früh an ihr zur Verfügung stellten, sind durchdrungen von der Richtigkeit und Notwendigkeit der politischen Idee, die sie in blinder Überzeugung vor der Öffentlichkeit vertreten. Sie glauben das, was sie sagen; und diesen Glauben übertragen sie mit der Kraft des Wortes auf ihre Zuhörer.

Der politische Redner ist sonst in Deutschland nie zu Hause gewesen. Während die westlichen Demokratien schon von früh auf die Kunst der politischen Rede für das Volk ausgebildet und verfeinert hatten, war in Deutschland selbst bis zum Ende des Krieges der politische Redner in seiner Wirksamkeit fast ausschließlich auf das Parlament beschränkt. Die Politik ist bei uns niemals eine Sache des Volkes gewesen, immer nur Angelegenheit einer bevorzugten regierenden Schicht.

Das sollte nun mit dem Heraufstieg der nationalsozialistischen Bewegung anders werden. Nicht der Marxismus hat die breiten Massen im eigentlichen Sinn politisiert. Zwar wurde das Volk durch die Weimarer Verfassung mündig gemacht, aber man versäumte alles, um dieser Volksmündigkeit auch die notwendige politische Auswirkungsmöglichkeit zu geben. Die Tatsache, daß man es nach dem Krieg unterließ, überhaupt Versammlungslokale zu schaffen, in denen größere Volksmassen zur politischen Aufklärung untergebracht werden konnten, war schon der Beweis dafür, daß die Väter der Demokratie im Ernst gar nicht die Absicht hatten, das Volk politisch zu erziehen, daß sie vielmehr in der Masse nur Stimmvieh sahen, gut genug, bei Wahlen den entsprechenden Zettel in die Urne zu werfen, im übrigen aber eine misera plebs, die nach Möglichkeit von der wirklichen Gestaltung der politischen Entwicklung fernzuhalten war.

Die nationalsozialistische Bewegung hat hier in vielerlei Beziehung bedeutsamen Wandel geschaffen. Sie wandte sich in ihrer Propaganda an die Massen selbst, und es gelang ihr auch in jahrelangem Kampf, das schon vollständig erstarrte politische Leben in Deutschland wieder in Bewegung zu bringen. Sie erfand für die politische Agitation eine ganz neue Sprache und verstand es, die Probleme der deutschen Nachkriegspolitik in einem Maße zu popularisieren, daß auch der kleine Mann aus dem Volk dafür Verständnis und Interesse haben konnte.

Man hat unsere Agitation vielfach primitiv und geistlos gescholten. Aber man ging bei dieser herben Kritik von ganz falschen Voraussetzungen aus. Gewiß ist die nationalsozialistische Propaganda primitiv; doch auch das Volk denkt ja primitiv. Sie vereinfacht die Probleme, sie entkleidet sie mit Bewußtsein ihres verwirrenden Beiwerks, um sie in den Horizont des Volkes hineinzupassen. Als die Massen einmal erkannt hatten, daß die drängenden Fragen der Gegenwart in nationalsozialistischen Versammlungen in einem Stil und einer Sprache behandelt wurden, daß jedermann sie verstehen konnte, da setzte auch unaufhaltsam der Strom der Zehn- und Hunderttausende in unsere Versammlungen ein. Hier fand der kleine Mann Aufklärung, Ansporn, Hoffnung und Glauben. Hier gewann er in der Irrnis und Wirrnis der Nachkriegszeit einen festen Halt, an den er sich in der Verzweiflung anklammern konnte. Für diese Bewegung war er darum bereit, seinen letzten Hungergroschen zu opfern. Nur aus dem Erwachen der Massen heraus - davon mußte er sich hier überzeugen - konnte die Nation zum Erwachen gebracht werden.

Das ist die Erklärung dafür, daß unsere Versammlungen sich sehr bald eines wachsenden Zuspruchs erfreuten und die Partei darum nicht nur keine Gelder dafür auszugeben brauchte, sondern in ihnen die beste und dauerhafteste Finanzierungsmöglichkeit besaß.

Die Behörden trafen uns an der verwundbarsten Stelle, wenn sie bekannten nationalsozialistischen Rednern, an ihrer Spitze dem Führer der Bewegung selbst, manchmal monate- und jahrelang jede rednerische Tätigkeit verboten. Sie kannten den ungeheuren Einfluß dieser Agitatoren auf die Massen, sie waren sich nicht im unklaren darüber, daß die große rednerische Begeisterung, von der diese Männer selbst getragen sind, auch auf die Massen übertragen wird und die Bewegung damit einen Impuls erhält, den keine Presse und keine Organisation auf andere Weise wettmachen kann. Auch das Polizeipräsidium in Berlin ging darum nach Erlaß des Verbotes zuerst darauf aus, die agitatorische Tätigkeit der Bewegung vollends unmöglich zu machen. Und das war der schwerste Schlag, der uns treffen konnte. Wir verloren damit nicht nur den geistigen Kontakt mit den Massen, es wurde auch unsere wichtigste Finanzquelle verstopft.

Wir versuchten zwar immer wieder, auf diese oder jene versteckte Art und Weise unsere öffentliche Agitation vorzutragen. Das gelang ein-, zweimal, plötzlich kamen die Behörden hinter unsere Schliche, und es regnete wieder Verbote. Die Verfassung spielte in der modernen demokratischen Polizeipraxis nur eine untergeordnete Rolle. Demokratien pflegen mit ihren eigenen geschriebenen Gesetzen meistens nicht allzu glimpflich umzugehen. Das Recht der Meinungsfreiheit ist immer nur dann gewährleistet, wenn man die Meinung, die man in der Öffentlichkeit vertritt, mit der Meinung der hochmögenden Regierung und der hinter ihr stehenden Parteienkoalition übereinstimmt. Wagt aber ein nichtswürdiges Subjekt, einmal eine andere Meinung zu vertreten als die in den Ämtern gepflegte und für richtig erkannte, dann pfeift man meistens auf Meinungsfreiheit, und an ihre Stelle treten Gesinnungszwang und Knebelung des freien Wortes. Gewiß kann sich der Verfolgte auf die Verfassung berufen. Aber nur ein Hohngelächter wird ihm zur Antwort werden. Die Verfassung besteht in ihren Rechten nur für die, die sie erfunden haben und in ihren Pflichten nur für die, gegen die sie erfunden worden ist.

Unsere Versammlungen wurden unter allen möglichen Begründungen verboten. Man untersagte sogar nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten, vor ihren Wählern zu sprechen, man entblödete sich nicht, sich dabei auf ein altes Landrecht aus der Zeit Friedrichs des Großen zu berufen und damit jenes Preußen zum Helfershelfer aufzurufen, das angeblich durch die Revolte vom 9. November 1918 ganz und gar zum Sturz gebracht worden war.

Es fehlte uns vorläufig noch an Möglichkeiten, diese agitatorischen Ausfälle durch die Presse zu ersetzen. Der Typ des Angriff war noch zu neu, als daß er den Massen ohne weiteres einging. Auch steckte er noch zu sehr in den Anfängen. Das Wesen dieses jungen Zeitungsunternehmens war noch so wenig herauskristallisiert, daß ein weitreichender Einfluß vorerst ganz ausgeschlossen war.

Der Angriff wurde damals vielleicht am meisten in der eigenen Partei kritisiert. Man fand ihn zu scharf, zu radikal, zu draufgängerisch. Seine Art, aggressiv vorzugehen, war für die ewig Halben zu laut und polternd. Er hatte es bisher nicht verstanden, sich das Herz seiner Leserschaft zu erobern und redete vorläufig noch in den Wind hinein.

Das allerdings war ein Übelstand, der uns nur wenig Sorge machte. Dem konnte man durch Leistung und Fleiß abhelfen. Schlimmer jedoch war es mit einer anderen Schwierigkeit, die die Partei manchmal in sehr bedrohliche Gefahren hineingeführt hat und auch diesmal wieder, wie bei allen Krisen, aufzutauchen begann:

Die nationalsozialistische Bewegung hat in Deutschland eigentlich keine Vorgängerin. Zwar knüpfte sie in ihren Forderungen und geistigen Inhalten an diese oder jene politische oder kulturelle Bewegung der Vergangenheit an. Ihr Sozialismus hängt mit dem Stöckerscher Prägung zusammen. In ihren antisemitischen Tendenzen fußt sie auf den Vorarbeiten der Dühring, Lagarde und Theodor Fritsch. Ihre rassemäßig und kulturell bestimmten Forderungen sind wesentlich und entscheidend von den fundamentalen Erkenntnissen Chamberlains mitbestimmt.

Aber die NSDAP. hat die Ergebnisse dieser Arbeiten nicht blind und kritiklos übernommen und sie zu einem undefinierbaren Ragout zusammengebraut. Sie sind in unserer geistigen und progammatischen Arbeit umgeprägt und eingeordnet worden; und das Wesentliche an diesem Umschmelzungsprozeß ist, daß die nationalsozialistische Progammatik dieses ganze große Gedankengut zu einer allumfassenden Synthese zusammengegossen hat.

Der echte Nationalsozialist pflegt sich niemals darauf zu berufen, daß er in dieser oder jener Bewegung der Vorkriegszeit, die mit unserer heutigen Partei eine entfernte Ähnlichkeit hat, schon mitgearbeitet habe. Der Nationalsozialist ist ein durchaus moderner politischer Typ; und er fühlt sich auch als solcher. Seine Wesenheit wird in der Hauptsache von den großen revolutionären Explosionen der Kriegs- und Nachkriegszeit bestimmt.

Allerdings geistern in den Reihen der Partei immer noch deutschvölkische Typen herum, die da meinen, die eigentlichen geistigen Nährväter der ganzen nationalsozialistischen Weltanschauung zu sein. Irgendein Spezialgebiet aus unserer großen Gedankenwelt ist ihre Liebhaberei, und sie glauben nun, die Partei sei lediglich dazu da, gerade für diese ihre Liebhaberei ihre ganze Kraft und agitatorische Arbeit einzusetzen.

Solange die Partei von den großen politischen Aufgaben beansprucht ist, sind diese Bestrebungen für ihre Entwicklung vollkommen ungefährlich. Sie werden erst gefährlich, wenn die Partei durch Verbote und innere Schwierigkeiten in Krisen gerät. Dann eröffnet sich diesen nur antisemitisch oder nur rassenmäßig interessierten Spezialisten ein freies Betätigungsfeld.

Sie versuchen mit Fleiß, die Parteiarbeit für ihr manchmal außerordentlich belustigendes Spezialistentum mit Beschlag zu belegen. Sie verlangen von den Führern der Partei, die ganze Kraft der Organisation auf ihre spezialistischen Liebhabereien zu konzentrieren, und lehnen diese das ab, dann werden sie meistens, wie sie ehedem unsere begeistertsten Anhänger waren, unsere wütendsten Gegner und ergehen sich in blinden und hemmungslosen Angriffen gegen die Partei und ihre öffentliche Tätigkeit.

Kaum war über uns das Polizeiverbot hereingebrochen und die öffentliche Wirksamkeit der Bewegung unterbunden, da tauchten diese völkischen Wunderapostel in Scharen auf. Der eine trat für die Reform der deutschen Sprache ein, der andere glaubte, in der Biochemie oder Homöopathie den Stein der Weisen gefunden zu haben, ein dritter sah in dem antisemitischen Grafen Pückler den Heiland des zwanzigsten Jahrhunderts, ein vierter hatte eine neue und weltumstürzende Geldtheorie erfunden und ein fünfter den ursächlichen Zusammenhang zwischen Nationalsozialismus und Atomzertrümmerung entdeckt. All diese Spezialaufgaben wurden dann irgendwie mit der Partei und ihren Bestrebungen in Verbindung gebracht. Die Spezialisten verwechselten ihre grotesken Liebhabereien mit Nationalsozialismus und verlangten, daß die Partei auf ihre meist frechen und arroganten Forderungen eingehe, wenn anders sie nicht ihre ganze historische Mission verspielen und vertun wolle.

Dagegen hilft nur eine goldene Rücksichtslosigkeit. Wir haben solche naiven Phantastereien in unserer Bewegung niemals aufkommen lassen, und manch einem völkischen Weltbeglücker, der da meistens auf Sandalen, mit Rucksack und Jägerhemd angestreunt kam, wurde bei uns höhnisch und lachend die Türe gewiesen.




Das Polizeipräsidium hatte offenbar keine Lust, die Frage des Verbots vor einem ordentlichen Gericht entscheiden zu lassen. Zwar wurde in Moabit des öfteren in der Angelegenheit des betrunkenen Pfarrers Stucke vernommen; aber zu einem Prozeß reichte weder das Material noch anscheinend der Mut der verantwortlichen Behörden aus.

Nichtsdestoweniger blieb die Partei auch weiterhin verboten. All unser Protestgeschrei war nutzlos. Die nationale Presse versagte sich auch jetzt noch unseren berechtigten Forderungen nach Schutz und Hilfe. Sie war wohl insgeheim froh, daß mit uns ein lästiger Konkurrent in der Reichshauptstadt in seiner Wirksamkeit gehemmt war und damit die altbewährte bürgerliche Ruhe und Ordnung weiter aufrechterhalten blieb.

Unsere Geschäftsstelle in der Lützowstraße war damals so eine Art "Verschwörerzentrale". Ein geregeltes Arbeiten wurde hier mehr und mehr unmöglich. Wir wurden fast jede Woche von einer Haussuchung heimgesucht. Unten auf der Straße wimmelte es nur so von Spitzeln und Provokateuren. Unsere Akten und Karteien waren irgendwo in Privatwohnungen untergebracht, an der Türe hatten wir große Schilder angheftet, auf denen zu lesen stand, daß sich hier das Büro der nationalsozialistischen Abgeordneten befinde; das allerdings hinderte die Polizei niemals daran, diese Räume nach Belieben zu durchsuchen und unsere Arbeit in jeder Beziehung zu behindern und aufzuhalten.

Wir rannten gegen eine Wand von Brei. Der Gegner stellte sich nicht einmal mehr zum Kampf. Wo wir den Versuch machten, ihn anzugreifen, wich er aus. Er hatte sich in die Sicherheit der Totschweigetaktik zurückgezogen, und keine agitatorische Raffinesse vermochte ihn aus seinem Hinterhalt herauszulocken. Man redete von uns gar nicht mehr. Der Nationalsozialismus war in Berlin tabu. Ostentativ vermied es die Presse, überhaupt unsere Namen zu nennen. Auch aus den jüdischen Zeitungen verschwanden, wie auf geheimen Befehl, die Hetzartikel gegen uns. Man hatte sich zu weit vorgewagt und suchte nun, durch beflissenes Schweigen das allzu laute Geschrei der vergangenen Monate vergessen zu machen.

Das war für uns schwerer zu ertragen als der offene und brutale Angriff. Denn damit waren wir überhaupt und gänzlich zur Wirkungslosigkeit verdammt. Der Feind hielt sich versteckt im feigen Hinterhalt und suchte uns durch Totschweigen und Nichtachtung auf der ganzen Linie zu vernichten.

Der Nationalsozialismus sollte nur eine Episode in der Reichshauptstadt sein. Man wollte ihn allmählich durch Schweigetaktik auf Eis legen, um dann bei beginnendem Herbst über ihn zur Tagesordnung übergehen zu können.

In Moabit vor den Richtern standen täglich nationalsozialistische SA.-Männer. Der eine hatte ein verbotenes Braunhemd getragen, der zweite die öffentliche Ruhe und Sicherheit durch Zeigen eines Parteiabzeichens gefährdet, der dritte einem frechen und arroganten Juden auf dem Kurfürstendamm eine Ohrfeige gegeben. Still und geräuschlos wurde das mit den schwersten drakonischen Strafen geahndet. Sechs Monate waren das Minimum, zu dem unsere SA.-Männer für lächerliche Lappalien verurteilt wurden. Die Presse registrierte das nicht einmal mehr. Das war allmählich selbstverständlich geworden.

Daß die jüdischen Gazetten nach einem bestimmten und auf lange Sicht vorgezeichneten Feldzugsplan arbeiteten, das war für uns erklärlich. Das Ziel dieses Feldzugsplanes hieß: Vereisung des Nationalsozialismus, stillschweigendes Begräbnis, Mundtotmachung ihrer Führer und Redner. Unverständlich aber bleibt es, daß die bürgerliche Presse bei diesem schändlichen Handwerk Vorschubdienste leistete. Sie hatte es damals in der Hand, die nationalsozialistische Bewegung in Berlin herauszupauken. Sie hätte uns damit nicht zu Gefallen zu sein brauchen, sondern nur der gerechten Sache das Wort geben müssen. Sie hatte die Pflicht, mindestens zu verlangen, daß, wenn die nationalsozialistische Bewegung verboten war, auch die kommunistische Partei verboten werden müßte. Denn die kommunistische Partei hatte - unterstellt, daß das, was man uns vorwarf, wirklich den Tatsachen entsprach - ein ungleich höheres Blutschuldkonto als wir. Aber auch die bürgerlichen Organe wagten es nicht, die kommunistische Partei hart anzufassen, weil die Kommunisten die politischen Kinder der Sozialdemokratie waren, weil man wußte, daß, wo man sie angriff, ganz Juda füreinander bürgte und man einer Einheitsfront von Ullstein und Mosse bis zum Karl-Liebknecht-Haus gegenüberstand.

Wir haben damals in unserer Verzweiflung und angesichts des scheinbar unabwendbaren Niedergangs unserer Berliner Organisation ein für allemal verlernt, auf das politische Bürgertum irgendeine Hoffnung zu setzen. Das politische Bürgertum ist feige. Es fehlt ihm an Mut zu Entschlüssen, an Charakter und Zivilcourage. In der bürgerlichen Presse ist es Mode, mit den Wölfen, und keiner besitzt dort die Verwegenheit, einmal gegen die Wölfe zu heulen. Den Nationalsozialismus zu verfolgen, war geradezu modern. Die jüdische Journaille hatte ihn als zweitklassig abgestempelt. Er galt für intellektuelle Kreise als geist- und kulturlos, gemein und aufdringlich, und ein anständiger Mensch wollte damit nichts zu tun haben. So war es ungeschriebenes Gesetz für die öffentliche Meinung. Der Bildungsphilister stimmte aus Angst, etwa für überfällig und unmodern angesehen zu werden, in den Chor der Verfolger mit ein. Die Bewegung war von allen Seiten eingekesselt. Müde, krank und abgestumpft sahen wir dem unabwendbaren Gang der Dinge zu. Die Partei war unseren Händen entglitten, der Versuch, sie noch einmal durch ein kühnes und aggressives Kampforgan hochzureißen, auf der ganzen Linie mißlungen. Es schien so, als sei es beschlossene Sache, daß wir in der Reichshauptstadt nicht hochkommen sollten.

Oft haben wir damals für Stunden den Glauben an unsere Zukunft verloren. Und trotzdem arbeiteten wir weiter. Nicht aus Begeisterung, sondern aus verzweifeltem Haß. Wir wollten unseren Gegnern nicht den Triumph gönnen, uns in die Knie zu zwingen. Der Trotz gab uns in einem unaufhaltsam scheinenden Niedergang immer wieder Mut zum Ausharren und Weiterkämpfen.

Hier und da war uns dann das Schicksal auch einmal hold. Eines Tages ging die Haftzeit unseres Hauptschriftleiters zu Ende. Abgerissen und abgestumpft kam er von Moabit zurück und ging dann gleich wieder schweigend und ohne Pathos an seine Arbeit. Der Angriff hatte damit einen journalistischen Mittelpunkt. Die Arbeit wurde von neuem und mit frischen Kräften begonnen.

Durch das dunkle Gewölk, das drohend und verhängnisvoll über uns lastete, ging zum erstenmal ein kurzes Leuchten auf. Schon begannen wir wieder zu hoffen, schon schmiedeten wir neue Pläne. Die Sorgen blieben hinter uns zurück, und mutig schritten wir vorwärts. Wir wollten nicht kapitulieren. Wir waren der festen Überzeugung: einmal wird das Schicksal demjenigen, der in Sturm und Not und Gefahr aufrecht stehen bleibt, auch seinen Segen und seine Gnade nicht verweigern!


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