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"Der Angriff" (Teil
2)
Und selbst davon konnte vorerst nur in bescheidenem Umfang die Rede sein. Denn bevor wir an
unsere eigentliche agitatorische Aufgabe herantreten konnten, mußten wir eine Unmenge
von materiellen Schwierigkeiten aus dem Weg räumen, die vorläufig unsere ganze
Zeit und Kraft in Anspruch nahmen.
Es ist nicht schwer, eine Zeitung zu gründen, wenn man im Besitz oder Genuß
unbeschränkter Geldmittel ist. Man engagiert die besten Schreiber und
Verlagsfachmänner, und dann kann die Sache kaum fehlschlagen. Schwerer schon ist es,
sich an ein Zeitungsunternehmen heranzuwagen ohne Geld und nur gestützt auf eine
Organisation; denn dann muß das, was an finanziellen Mitteln fehlt, durch die Straffheit
und innere Solidarität der Organisation selbst ersetzt und ausgeglichen werden. Am
schwersten aber ist es, eine Zeitung zu gründen ohne Geld und ohne Organisation; denn
dann kommt es lediglich auf die Wirksamkeit des Organs an, und entscheidend für den
Erfolg ist die Intelligenz derer, die es schreiben.
Uns standen keine Geldmittel für unser neu zu gründendes Organ zur
Verfügung. Wer sollte auf den irrsinnigen Gedanken kommen, uns Geld zu geben, dieser
lächerlichen Zwergenpartei, die noch obendrein verboten war und sich weder bei den
Behörden noch bei der Öffentlichkeit irgendwelcher Sympathien erfeute!
Jedes Geld, das man uns lieh, war in den Kamin geschrieben. Auch keine straff disziplinierte,
von
einer solidarischen Gesinnung erfüllte Organisation stand hinter uns. Diese war ja eben,
als
wir im Begriff standen, sie zu schaffen, durch ein rigoroses Verbot zerschlagen worden. Wie
mußten uns also zu dem verzweifelten Versuch entschließen, ohne Geld und ohne
feste Anhängerschaft unsere Zeitung sozusagen aus dem Boden herauszustampfen. Ich
gebe heute zu, daß wir uns damals der Schwierigkeiten dieser Aufgabe gar nicht
bewußt gewesen sind. Unser Plan war vielmehr die Ausgeburt einer verwegenen
Tollkühnheit; wir gingen an seine Durchführung nur aus der Überlegung
heran, daß wir doch nichts mehr zu verlieren hätten.
Aber schon der Name war ein Schuß ins Schwarze. Die für die Zeitung einsetzende
Propaganda tat ein Übriges, wenigstens die Anfänge des jungen Unternehmens
verheißungsvoll zu gestalten.
Wirksame Säulenreklame
zum Erscheinen des "Angriff"
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In der letzten Juniwoche erschienen an den
Plakatsäulen in Berlin mysteriöse Anschläge, über die sich manch
einer
den Kopf zerbrach. Wir hatten unseren Plan so geheim wie möglich gehalten, und es war
uns in der Tat gelungen, ihn den Augen der Öffentlichkeit gänzlich zu entziehen.
Ein
großes Erstaunen ging durch Berlin, als eines Morgens an den Litfaßsäulen
auf
blutroten Plakaten in lakonischer Kürze zu lesen stand: "Der Angriff"! Man war
betroffen,
als ein paar Tage später ein zweites Plakat erschien, auf dem die mysteriöse
Andeutung des ersten zwar erweitert wurde, ohne aber dem Uneingeweihten die
Möglichkeit zu geben, sich restlos Klarheit zu verschaffen. Dieses Plakat lautete: "Der
Angriff erfolgt am 4. Juli."
Ein glücklicher Zufall wollte, daß an demselben Tag von Seiten der Roten Hilfe ein
Plakat angeschlagen wurde, auf dem in drohenden roten Lettern zu lesen stand, bei
Unglücksfällen und Verwundungen solle man sich sofort an die zuständige
Sanitätsstelle dieser kommunistischen Hilfsorganisationen wenden.
Damit war nun für die Öffentlichkeit das ruchlose Geheimnis, das sich hinter
diesen
mysteriösen Andeutungen verbarg, aufgedeckt. Es war offenbar, daß mit dem
Angriff
ein kommunistischer Putsch gemeint war. Dieser Putsch sollte am 4. Juli in Berlin beginnen,
und,
wie die Ankündigung der Roten Hilfe bewies, sorgte die kommunistische Partei bereits
für sachgemäße Pflege und Betreuung der zu erwartenden
Schwerverwundeten.
Dieses Gerücht ging wie ein Lauffeuer durch die Reichshauptstadt. Es wurde von der
Presse aufgegriffen, die ein großes Rätselraten begann. Die Provinzpresse stotterte
ängstliche Verlegenheiten; im Landtag wurde von seiten der Mittelparteien eine Anfrage
an
die Staatsregierung gerichtet, ob sie bereit und in der Lage sei, über die alarmierenden
Nachrichten, die über bevorstehende Unruhen und Putschversuche der kommunistischen
Partei in die Öffentlichkeit gedrungen seien, Auskunft zu geben. Kurz und gut, es
herrschte
überall große Verwirrung; bis dann nach zwei Tagen unser letztes, drittes Plakat
erschien mit der Mitteilung, daß der "Angriff" das "Deutsche Montagsblatt in Berlin" sei,
daß es einmal pro Woche erscheine, wieviel es, durch die Post bezogen, koste, und
daß es "Für die Unterdrückten und gegen die Ausbeuter!" geschrieben
werde.
Wir hatten durch diese wirksame und auf Effekt berechnete Plakatreklame erreicht, daß
der
Name der Zeitung bekannt wurde, ehe sie überhaupt erschien. Schwieriger schon war es,
die zur Gründung der Zeitung doch nun einmal notwendigen, wenn auch bescheidenen
Geldmittel herbeizuschaffen. Der Partei lieh niemand nur einen roten Heller. Ich mußte
mich schließlich dazu entschließen, auf meinen Namen hin eine Summe von
zweitausend Mark zu pumpen, für die ich selbst einstehen wollte. Diese Summe sollte
dazu
dienen, die ersten Anfänge des jungen Unternehmens sicherzustellen. Es erscheint heute
lächerlich, solche geringfügigen Geldbeträge überhaupt zu
erwähnen. Damals bedeuteten sie für uns ein ganzes Vermögen; ich
mußte tagelang herumlaufen, um sie mit guten Worten und Beschwörungen bei
Freunden der Partei aufzutreiben.
Der erste Stamm der Abonnenten wurde durch den noch übriggebliebenen Rest der
Parteigenossen gestellt. Die Parteigenossen selbst setzten sich für die Werbearbeit an der
Zeitung mit einem rastlosen Eifer ein. Jeder Parteigenosse war davon überzeugt,
daß
es sich hier um die wichtigste temporäre Aufgabe handelte, und daß von dem
Gelingen dieses Werkes Sein oder Nichtsein unserer Bewegung in der Reichshauptstadt
abhing.
Der Straßenverkauf wurde durch arbeitslose SA.-Männer organisiert, Druck und
Verlag der Zeitung einer befreundeten Firma übertragen, und dann begannen wir mit der
Arbeit.
Die größte Schwierigkeit bestand darin, einen geeigneten Mitarbeiterstab zu finden.
Die Bewegung hatte kaum eine publizistische Vergangenheit. Sie wies gute Organisatoren und
die
besten Redner auf, aber an Schriftstellern oder gar an ausgebildeten Journalisten mangelte es
überall. Man mußte in der letzten Verzweiflung einfach Parteigenossen dazu
kommandieren. Diese brachten wohl den guten Willen und vielleicht auch in günstigen
Fällen ein bescheidenes schreiberisches Können. Aber von journalistischer
Erfahrung
war keine Spur vorhanden. Ich hatte zwar, als ich zum erstenmal eine Zeitungsgründung
erwog, einen festen Hauptschriftleiter ins Auge gefaßt. Es war mir auch gelungen, ihn
für das junge Unternehmen zu gewinnen, aber gerade in dem Augenblick, in dem der Plan
feste Gestalt gewann, wurde er eines alten Pressevergehens wegen verhaftet und auf zwei
Monate
nach Moabit auf Freiquartier geschickt.
Wir gerieten damit in arge Bedrängnis. Keiner von uns verstand vom Pressehandwerk
auch
nur soviel, daß er überhaupt einen Umbruch bewerkstelligen konnte. Die ganze
Aufmachung einer Zeitung, die technischen Vorarbeiten für jede Nummer, selbst
Korrekturlesen, war uns ein Buch mit sieben Siegeln. Wir sind an diese Aufgabe ohne die
blasseste Vorkenntnis herangegangen. Es ist als ausgesprochenes Glück zu bezeichnen,
daß das Experiment am Ende noch ohne schwerste Blamagen gelang.
Besser schon wußten wir um den Stil und die Haltung des neu gegründeten Organs
Bescheid. Darauf verstanden wir uns, und darüber hat es unter uns auch kaum eine
Auseinandersetzung gegeben. Daß die Zeitung ein ganz neues Gesicht tragen mußte,
daß dieses Gesicht dem Antlitz des erwachenden jungen Deutschland entsprechen sollte,
das stand für uns von vornherein fest. Die Zeitung mußte in ihrem ganzen Charakter
kämpferisch und aggressiv sein, und auch ihre Aufmachung, ihr Stil, ihre Methode
mußten dem Wesen und dem Geist der Bewegung angepaßt werden.
Die Zeitung wurde für das Volk geschrieben. Sie mußte sich deshalb auch der
Sprache bedienen, die das Volk spricht. Es lag nicht in unserer Absicht, ein Organ für das
"gebildete Publikum" zu schaffen. Der Angriff sollte von den Massen gelesen werden;
und die
Massen lesen nun einmal nur das, was sie verstehen.
Besserwisser haben uns manchmal und oft geist- und kulturlos gescholten. Sie rümpften
die
Nase über den Mangel an Intellekt, der unsere publizistischen Auslassungen auszeichne,
und verwiesen demgegenüber darauf, wie geistreich und zivilisiert die
bürgerlichen,
vor allem die jüdischen Organe geschrieben seien. Uns machten diese Vorwürfe
nur
wenig Kopfzerbrechen. Es kam uns nicht darauf an, eine falsche und verlogene
Zivilisationsmanie
nachzuahmen. Wir wollten Massen gewinnen, wir wollten dem kleinen Mann ins Herz hinein
sprechen. Wir wollten uns in sein Denken und Empfinden hineinversetzen und ihn für
unsere politische Idee gewinnen. Wie der Erfolg später zeigte, ist uns das auch in weitem
Maße gelungen.
Als wir im Juli 1927 mit zwei- bis dreitausend Auflage begannen, da gab es in Berlin
große
jüdische Organe, deren Auflage hundert und mehr Tausend betrug. Die hielten uns nicht
für wert, daß sie uns überhaupt beachteten. Diese Organe gehören
heute,
wo unsere Zeitung über eine achtunggebietende Auflage verfügt, längst der
Vergangenheit an. Sie waren so geistreich geschrieben, daß der Leser Brechreize bei der
Lektüre bekam. Ihre Zeilenschinder spiegelten sich eitel und selbstzufrieden in der
schillernden Komplikation ihres Intellektualismus, sie verfeinerten sich in einem zivilisierten
Stil
so wirklichkeitsfremd, daß ihre Sprache am Ende von den Massen nicht mehr verstanden
wurde.
In diesen Fehler sind wir niemals verfallen. Wir waren einfach, weil das Volk einfach ist. Wir
dachten primitiv, weil das Volk primitiv denkt. Wir waren aggressiv, weil das Volk radikal ist.
Wir schrieben bewußt so, wie das Volk empfindet, nicht um dem Volk zu schmeicheln
oder
ihm nach dem Munde zu reden, sondern um es unter Gebrauch seines eigenen Jargons
allmählich auf unsere Seite zu ziehen und dann systematisch von der Richtigkeit unserer
Politik und Schädlichkeit der unserer Gegner zu überzeugen.
Die erste Nummer
des "Angriff"
[Originalbbildung leider zu klein um genau zu entziffern, daher hier kein Link
zum Text. Anm. d. Scriptorium]
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Drei wesenhafte Charaktermerkmale zeichneten unser neues Organ von allen bisher in Berlin
bestehenden Zeitungen aus. Wir erfanden eine neue Art des politischen Leitaufsatzes,
der
politischen Wochenübersicht und der politischen Karikatur.
Der politische Leitaufsatz war bei uns ein geschriebenes Plakat, oder besser noch
gesagt,
eine
zu
Papier gebrachte Straßenansprache. Er war kurz, prägnant, propagandistisch
gedacht
und agitatorisch wirksam. Er setzte bewußt das, wovon er den Leser eigentlich
überzeugen wollte, einfach als bekannt voraus und zog daraus unerbittlich seine
Schlüsse. Er wandte sich an das große Publikum und war in einem Stil geschrieben,
daß der Leser ihn gar nicht übersehen konnte. Der Leitaufsatz einer
bürgerlichen oder jüdischen Zeitung wird meistens von Publikum gar nicht gelesen.
Der kleine Mann glaubt, das sei nur für die auserwählte Intelligenz. Der Leitaufsatz
bei uns degegen war das Herzstück der ganzen Zeitung. Er war in der Sprache des Volkes
geschrieben und gleich in den Anfangssätzen von einer agitatorischen Schärfe,
daß keiner, der mit dem Lesen begann, ihn ungelesen beiseite legte.
Der Leser sollte den Eindruck gewinnen, als sei der Schreiber des Leitaufsatzes eigentlich ein
Redner, der neben ihm stünde und ihn mit einfachen und zwingenden
Gedankengängen zu seiner Meinung bekehren wollte. Das Ausschlaggebende war,
daß dieser Leitaufsatz in der Tat das Gerippe der ganzen Zeitung abgab, um das sich alle
übrigen Stücke organisch herumgruppierten. Damit hatte die ganze Nummer eine
bestimmte Tendenz, und der Leser wurde auf jeder Seite in dieser Tendenz bestärkt und
gehärtet.
Das politische Tagebuch gab in einer kurzen Übersicht Kenntnis von den
politischen
Vorgängen, die sich im Verlauf einer Woche abgespielt hatten. Auch sie wurden der
großen Einheitstendenz der ganzen
Nummer ein- und untergeordnet. Das Tagebuch gab den Verlauf der Dinge in lapidarer
Kürze und zog daraus mit unerbittlicher Folgerichtigkeit die politischen
Konsequenzen.
Das war zwar auf die Dauer etwas eintönig, verfehlte aber im Effekt seine Wirkung nicht.
Wir sahen überhaupt unsere agitatorische Aufgabe weniger darin, in Vielfältigkeit
zu
schillern, als vielmehr, ein paar ganz große politische Leitgedanken zur Darstellung zu
bringen, ein paar ganz große politische Forderungen zu formulieren und die dann
allerdings
in hundert und mehr Variationen dem Leser in zäher Folgerichtigkeit
einzuhämmern
und aufzuzwingen.
Dazu kam ein ganz neuer Stil der politischen Karikatur. Unter dem Druck der Gesetze
war es
kaum möglich, mit Worten zum Ausdruck zu bringen, was wir wollten und forderten. Das
Wort gibt einem festumrissenen Tatsachenbestand und ist deshalb immer juristisch faßbar.
Anders die politische Karikatur. Sie ist vielfältigen Deutungen ausgesetzt. Man kann sich
hinter ihr nach Belieben verstecken. Was der einzelne daraus liest, das ist seine Sache. Auch ist
das Publikum eher geneigt, einem zeichnenden als einem schreibenden Künstler zu
verzeihen und Nachsicht ihm gegenüber zu üben. Die Kunst des Zeichenstiftes
erscheint dem Lesepublikum schwieriger und deshalb bewundernswerter als die Kunst der Feder.
Man bringt ihr deshalb wärmere Sympathien entgegen. Die Karikatur geht nach ihren
Wesen nach auf groteske, ironische und manchmal auch zynische Wirkungen aus. Sie regen
mehr
das Lach- als das Denkvermögen an. Und wer die Lacher auf seiner Seite hat, der hat
bekanntlich immer recht.
Das machten wir uns zunutze. Wo man es uns verwehrte, mit der Feder anzugreifen, da
bedienten
wir uns des zeichnenden Stiftes. Prototypen der Demokratie, die dem Wort gegenüber von
einer mimosenhaften Empfindlichkeit waren, wurden nun einem geneigten Publikum mit
Karikaturen vorgestellt. Ein günstiges Geschick gab uns einen politischen Zeichner, der
die
Fähigkeit dazu in ausgesprochenen Maße besaß. Er verband die Gabe der
künstlerischen Darstellung mit der der wirksamen Formulierung von politischen Parolen
zu
einer so glücklichen Einheit, daß aus ihr karikaturistische Darstellungen von
unwiderstehlicher Komik entstanden. In jeder Nummer rückten wir so den prononzierten
Gegnern unserer Bewegung in Berlin, vor allem dem Polizeipräsidenten Dr. Weiß,
zu
Leibe. Das geschah meist in einer so kessen und unverfrorenen Frechheit, daß es dem
Angegriffenen schlechterdings unmöglich gemacht war, dagegen mit der Strenge des
Gesetzes vorzugehen; er hätte sich unweigerlich der Gefahr ausgesetzt, als Spielverderber
und Übelnehmer ausgelacht zu werden. Das lesende Publikum gewöhnte sich sehr
schnell an diese Art des karikaturistischen Angriffs, und bald erwartete man mit Spannung jeden
Sonnabend, was denn der Angriff nun in seiner neuen Nummer mit dem
hochmögenden
Residenten am Alexanderplatz auszumachen habe.
Leiter und politisches Tagebuch, Karikatur und journalistisches Beiwerk ergaben in der
Gesamtheit eine agitatorische Einheitlichkeit, die von unwiderstehlicher Wirkung war; und
damit
hatte die Zeitung ihren eigentlichen Zweck erreicht. Sie ersetzte, soweit das überhaupt
möglich ist, das gesprochene Wort. Sie stellte den zerrissenen Kontakt zwischen
Führung und Gefolgschaft in idealer Weise wieder her; sie umschlang die gesamte Partei
wieder mit einem einheitlichen Band der Kameradschaft und gab jedem Parteigenossen die
Überzeugung zurück, daß seine Sache nicht verloren sei, sondern nur mit
anderen Mitteln vorwärts getrieben wurde.
Bis wir dieses Ziel erreichten, hatte es allerdings vorläufig noch gute Weile. Wir befanden
uns erst in den Anfängen, und die boten uns technische Schwierigkeiten die Menge.
Unsere
ganze Kraft und Sorge wurde davon in Anspruch genommen. Da der zum Hauptschriftleiter der
Zeitung ausersehene Mitarbeiter vorläufig noch in Moabit saß, kommandierte ich
kurz entschlossen unseren politischen Geschäftsführer zur Redaktion ab. Er
übernahm die provisorische Hauptschriftleitung des jungen Unternehmens; wenn er auch
keine blasse Ahnung von der Arbeit hatte, die seiner wartete, so brachte er doch zu seinem
neuen
Amt einen gesunden Menschenverstand und eine gewisse Summe von natürlichen
Fähigkeiten mit. Er mußte sich zuerst in seine Aufgabe einfinden; und das war um
so
schwieriger und verantwortungsvoller, als ja die Ergebnisse seiner Arbeit unmittelbar einem
größeren Publikum zu Gesicht kamen und die Zeitung nicht nur vom Freund mit
Wohlwollen, sondern auch vom Feind mit bitterer Skepsis und arroganter Überheblichkeit
gelesen wurde. Der erste Umbruch der ersten Nummer war eine Sache für sich. Keiner
von
uns verstand etwas davon, einer berief sich auf den anderen. Die Zeit drängte, und wir
standen vor einer unlösbaren Aufgabe.
An einem Montagmorgen, als ich von einer kurzen Reise aus dem Sudetenland
zurückkehrte, fand ich in Hirschberg am Bahnhofskiosk die erste Nummer des eben zum
erstenmal erschienenen Angriff. Scham, Trostlosigkeit und Verzweiflung beschlichen
mich, als
ich dieses Surrogat mit dem verglich, was ich eigentlich gewollt hatte. Eine kümmerliche
Winkelzeitung, ein gedruckter Käse! So kam mir diese erste Nummer vor. Viel guter
Wille,
aber nur wenig Können. Das war das Ergebnis einer flüchtigen Lektüre.
Und so wie ich dachten die meisten Anhänger und Leser. Man hatte sich viel versprochen,
und nur wenig war erreicht worden. Wir waren nahezu alle in Gefahr, die Flinte ins Korn zu
werfen und unsere Sache endgültig aufzugeben. Aber zuletzt wurden wir immer wieder
vom Trotz hochgerissen. Wir wollten dem Gegner nicht den Triumph gönnen, uns am
Ende
doch unter seinen Schlägen zusammensinken und kapitulieren zu sehen.
Kaum bemerkte ich, daß die Bewegung selbst Widerstand zu leisten begann, daß die
eigenen Parteigenossen mißmutig und verzagt am Werk verzweifelten, da entschloß
ich mich, die letzte Kraft an unsere gemeinsame Sache zu setzen. Auf einem ad hoc
zusammenberufenen Gautag in Potsdam stellte ich mich vor die Parteigenossenschaft hin und
erläuterte in langen und grundsätzlichen Ausführungen Ziel und Zweck des
Unternehmens. Ich versuchte, den Parteigenossen klar zu machen, daß es eines
Nationalsozialisten unwürdig sei, bei augenblicklichen Fehlschlägen
zurückzuweichen und eine Sache, die sich als notwendig erwiesen hätte, nur
deshalb
aufzugeben, weil sie von Schwierigkeiten begleitet sei. Ich verfehlte nicht, darauf hinzuweisen,
da,
wenn wir verzweifelten, es um die nationalsozialistische Bewegung in Berlin überhaupt
getan und das bisher eroberte Terrain endgültig verloren sei, daß auf unseren
Schultern eine ungeheure Verantwortung ruhe, und daß jeder sich wohl überlegen
müsse, ob er diese Verantwortung feige von sich werfen wolle. Das verfehlte seine
Wirkung nicht.
Mit frischem Mut ging die gesamte Parteigenossenschaft wieder an die Arbeit. Wir hatten zwar
mit unserem Zeitungsplan zu einer außerordentlich ungünstigen Zeit begonnen;
mitten im Sommer, am 4. Juli, kam die erste Nummer heraus. Die Organisation war
gelähmt, die Geldmittel fehlten, ein fester Mitarbeiterstab war noch nicht
zusammengestellt, das journalistische Können ließ überall noch viel zu
wünschen übrig. Aber zuletzt waren uns auch hier, wie immer in auswegslosen
Situationen, Wille und zähe Entschlossenheit Wegweiser.
Wir wollten! Das mußte genügen. Die Aufgabe, der wir uns unterzogen, war
notwendig. Das mußte ausreichen. Widerstände können immer gebrochen
werden., wenn man nur den Willen dazu hat. Eine Bewegung, wie die unsere aber darf sich
niemals von Widerständen beirren lassen. Die Anfänge des jungen Unternehmens
waren gleich von Zusammenbruch und Bankrott bedroht. Aber wir haben uns dieser Bedrohung
mutig entgegengeworfen. Arbeit, Fleiß, Wille, Beharrlichkeit und Begabung haben uns
auch dieser Schwierigkeiten Herr werden lassen. Der Angriff war bald in der Tat ein
Angriff. In
unermüdlicher Arbeit haben wir ihn geschärft und geschliffen: und aus dem
kümmerlichen Käseblatt, das am 4. Juli 1927 zum erstenmal das Licht der Welt
erblickte, wurde in kurzer Frist schon eine achtunggebietende und mitreißende
Kampfzeitung. Wir rückten dem Ziel näher. Wir griffen an. Und nun sollte das
junge
Organ in seiner neuen Form allerdings denen mehr Sorge machen, gegen die es geschrieben war,
als denen, die es schrieben!
Kampf um Berlin: der Anfang
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