Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung,
Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im
Heere
Kapitel 4: Die Seelsorge im
Felde (Forts.)
B. Die evangelische
Seelsorge. (Forts.)
Von Walter Richter, Felddivisionspfarrer und
Armeeoberpfarrer
[248] 3. Die
Abendmahlsfeier.
Wie schon erwähnt, unterschieden sich diese schon prinzipiell von den
Gottesdiensten durch den Wegfall auch des leisesten dienstlichen Druckes zur
Teilnahme. Aber es wird wohl die durchgängige Erfahrung gewesen sein,
daß auch hier, je ernster die nahende Gefahr, um so stärkere
Abendmahlsbeteiligung stattfand. Der Begriff der an den Gottesdienst
anschließenden Abendmahlsfeier, wie wir ihn aus der Heimat
gewöhnt sind, fiel natürlich wegen der Kürze der zu Gebote
stehenden Zeit fast überall von selbst weg. Es waren fast immer
selbständige Feiern, bei denen die kurze Beichtrede am Anfang die Predigt
vertrat. Bis in den vordersten Schützengraben sind solche Feiern, die dann
natürlich immer unliturgischer wurden und mehr die Form des Gebets
annahmen, abgehalten - und es war ein eigentümlich heiliger
Gedanke, daß unsere Altardecke mit dem Eisernen Kreuz vielleicht
über einen Gewehrstand oder auch eine Handgranatenkiste gelegt wurde
und auf ihnen die heiligen Geräte standen. Wenn es ging, suchte man
natürlich gerade zu solchen Zeiten die Ruhetage der Bataillone und setzte
die Abendmahlsfeiern an in einer Kirche. Hier war Belgien für uns
Evangelische ein überaus ungastliches Land. Das Generalgouvernement
hatte ausdrücklich sich die Bestimmung über diese Dinge
vorbehalten und es war eine bedauerliche Konzession an die Politik, daß der
Sieger, der im Lande stand und zu ¾ der evangelischen Konfession
angehörte, bei Wind und Wetter seine Feiern außerhalb der
schönen und großen katholischen Kirchen abhalten mußte.
Besonders peinlich mußte es wirken, wenn ich mit meiner
Abendmahlsgemeinde wegen des Wetters einmal gezwungen war, in einem Kino
auf belgischem Boden die Feier abzuhalten - und das an einem Karfreitag!
Ich zog dann meist die Feier unter freiem Himmel vor und die Austeilung ging
dann in der Weise vor sich, daß ich zwischen den Reihen der Soldaten
schreitend dem ersten den Brotteller in die Hand gab und mit dem Kelche
unmittelbar folgte und die Spendeformel so sprach: Nehmet hin und esset und
trinket, dies ist der Leib und das Blut unseres Herrn Jesu Christi... und dann
Trost- und Kraftsprüche der Heiligen Schrift hinterher. Mir haben oft
Mannschaften gesagt, daß diese Sprüche ihnen wie eine
Neukonfirmation gewesen wären. Überall war heiliger Ernst auf
jungen wie bärtigen Gesichtern.
Es ist sehr schwer, die Motive des verstärkten Abendmahlsganges bei
unseren Mannschaften zu psychologisieren. Beim Ausmarsch aus der Heimat kam
es wohl vor, daß ganze Ersatztruppenteile geschlossen mit ihren Offizieren
zum Tisch des Herrn traten, ebenso vor bevorstehendem Sturmangriff
draußen - also das Doppelmotiv: Erinnerung an den heimatlichen
Glaubensboden, Treue dem Glauben und den heiligen Sitten der Väter, die
wir verteidigen wollen - und Rüstung auf den eigenen Tod, wenn
Gott so will. Wer kann gegen diese beiden echt soldatischen und echt christlichen
Motive auch nur das geringste [249] einwenden? Gott sieht
das Herz an, und mehr hat der Mensch nicht zu geben, als sein
Leben - beides treffliche innere Vorbereitungen auf heilige
Abendmahlsstunden.
Am beweglichsten sind wohl die Stunden auf dem Hauptverbandplatz und im
Lazarett, in denen das heilige Mahl erbeten wird. Sehr wohl erinnere ich mich der
Bitte des Chefarztes von einem unsrer Feldlazarette, als sie unsern ersten
Hauptverbandplatz am 23. August 1914 aufgeschlagen hatten: "Bitte nicht zu viel
mit dem heiligen Abendmahl kommen - die Leute sehen Sie sonst als den
Totenvogel an." Es ist der vielfach verbreitete Irrgedanke, daß das
Abendmahl Sterbesakrament sei und nicht viel mehr heiligste
Lebensgemeinschaft mit dem erhöhten Jesus und der
Gemeinschaft der Gläubigen, immer noch im Unterbewußtsein der
Leute. Aber ich befolgte den Wunsch und habe gefunden, daß der
Feldgeistliche am meisten an die Seelen der feldgrauen Gemeinde herankommt,
wenn er zunächst einmal, wie Luther sagt, "helfend und fördernd in
allen Leibesnöten" Kameradendienste an den hilflosen Kameraden tut und
ihnen äußere Erquickungen reicht und den Sterbenden letzte
Grüße an die Heimat vermittelt, zuletzt still mit ihnen betend. Der
Feldgeistliche kennt die Psychologie des Verwundeten auf dem Verbandplatz
nicht, der nicht vor allem eins weiß: Hier sind zum Sterben müde
Leute - störe sie nicht durch gutgemeintes, aber unangebrachtes
Aufsieeinreden. Nötige sie nicht zu Antworten, die ihnen Qual, oder gar
(bei Brustschüssen) Gefahr bringen können. Meistenteils werden ja
Sterbende für sich gelegt worden sein, wenn es irgend der Raum gestattete,
und da war das eigentliche Feld des Pfarrers als Freund und Tröster, als
Lebensbote und Evangelist seines Herrn.
Wieviel unzählige dankbare Briefe aus der Heimat hat der Feldgeistliche
sammeln dürfen und in dieses Kapital von Frauenkraft und Frauenglauben
bei Müttern, Frauen, Schwestern und Bräuten in Deutschland
hineinblicken, die scharf und klar den späteren vergiftenden und
verderblichen Klagebriefen aus der Heimat gegenüberstanden; am
klassischsten wohl dies Mutterzeugnis, als der Feldgeistliche ihr tiefbewegt das
"Vermißt" von ihrem geliebten einzigen Sohne melden mußte, der
von einer Patrouille nicht zurückgekehrt war: "Lebt er noch, so ist Gott bei
ihm; ist er tot, so ist er bei Gott. In beiden Fällen bin ich ganz zufrieden."
Im Lazarett kam es naturgemäß ganz darauf an, ob nach langem oder
kurzem Leiden der Tod eintrat. In letzterem Falle begnügte man sich auch
meist mit dem Trost des Gebets und dem Kartengruß an die Lieben daheim;
aber wenn man in langen Wochen innig Freund werden konnte, dann war das
Herz des Sterbenden doch wie ein offenes Buch, das nun bloß aus
Menschenhänden in Gottes treue Hände gelegt zu werden brauchte.
Wenn ein sterbender Unteroffizier mir sagte: Nun sagen Sie mir noch einmal all
die schönen Sprüche, die mich so getröstet haben in den
langen Wochen. Und ich nun mit der treuen
ab- und zugehenden Schwester zusammen ihm diesen [250] Liebesdienst tun
konnte und er jeden Spruch mit einem rührenden: "Danke,
danke" - auf den Lippen sozusagen in sich
einsog - ich stehe nicht an zu sagen: Der Mann hat denselben Trost mit
hinübergenommen, als wenn ich ihm in der Sterbestunde selbst noch
einmal das in seiner wochenlangen Leidenszeit wiederholt genossene heilige
Abendmahl angeboten und gereicht hätte. Hier war das Wort wirklich
Fleisch, Leben, Licht und Wahrheit in einer für die Ewigkeit reifen Seele
geworden. Merkwürdig, daß dieser Mann augenscheinlich aus einer
sonst religiös ablehnenden Familie stammte, den Gott so noch im Lazarett
in Privatstunden zu sich zog aus lauter Güte.
Im übrigen wurden die Abendmahlsfeiern im Lazarett für ganze
Säle oft dankbar willkommen geheißen. Es war manchmal, wenn der
behandelnde Arzt dem Geistlichen freundliche Winke gab, eine leise
Rücksichtnahme auf einen Todgeweihten, wenn man dem
ganzen Saal das heilige Mahl anbot, damit der Betreffende sich nicht im
katholischen Sinne als ein "Versehener" vorkäme. Im allgemeinen
natürlich das beste Verhältnis zu der andern Konfession. Jeder
Lazarettkranke wurde begrüßt, ob Katholik, Protestant, Jude oder
Dissident. - Alle haben teil an der Liebe zu Weihnachten und der sonstigen
Liebe aus der Heimat, und so kam das rührende Geständnis aus
einem braven katholischen Herzen: "Nicht wahr, Herr Pfarrer, katholisch und
evangelisch sind doch im Grunde eins?" Ja, konnte ich ihm sagen, sie sind eins in
der Liebe zu ihrem Heiland Jesus und in ihrer Liebe zur Heimat, und Gott wird
beide nach ihren Werken richten. Worauf der Mann sagte: "Herr Pfarrer, bei Ihnen
möchte ich zum Abendmahl gehen, aber katholisch bleiben wie meine
Eltern." Solche Gedankenwelt zu stören, wäre mir wie ein
Verbrechen erschienen. Katholisch und Evangelisch lebten nicht bloß in
dem schwachen "Burgfrieden" miteinander, sondern sie waren Brüder an
derselben Sache, die Seele unseres Volkes in seiner schwersten Stunde
aufzurichten und ihre Wunden zu verbinden. Wer das nicht verstand und nicht in
allen Dingen die Liebe walten ließ, die alles trägt und glaubt, hofft
und überwindet, der mochte zu Hause bleiben und
hetzen - ins Feld gehörte solch ein Mann nicht.
Der Feldgeistliche im Lazarett war somit im allgemeinen der gute Freund Aller,
der Ärzte wie der Lazarettangestellten und Schwestern und ebenso der
Kranken. Reibungen konnte es nicht geben, wenn der Geistliche die Regeln mit
hineinnahm in seinen Lazarettdienst: 1. Störe den Arzt
nicht. 2. Falle den Schwerkranken nicht auf die Nerven.
3. Hilf wo du kannst. 4. Sei fröhlich in
Hoffnung und bringe immer ewige Hoffnung mit aller irdischen
Liebe. - Sollte einmal wirklich, was bei den lange ohne wesentliche
Schmerzen liegenden zahlreichen Nierenkranken, ein Hetzer in einem Saal
gelegen haben, der Stimmung und Halt zu untergraben drohte, so war er nicht
durch Mundverbieten und hartes Wort, sondern nur durch freundliches Zureden
und helle Gründe der gemeinsamen Sache gegenüber dem
gemeinsamen Feind zu überwinden.
[251] Daß
schließlich durch die Feindpresse im Vaterland auf die Lazarettkranken eine
geradezu vergiftende Einwirkung ausgeübt wurde und daß mehr und
mehr dadurch auch, je mehr sich der Krieg dem unglücklichen Ende
zuneigte, auch schwüle Stimmung in den sonst so heldischen Lazaretten
war, leuchtet ein. Es war schließlich wie ein Schlag ins Gesicht der
Feldgeistlichen, die in Treue im Felde ihres Amtes auch im Lazarett gewaltet
hatten, als nach der glorreichen Revolution ihnen das Betreten der Lazarette
verboten und nur in dem Falle erlaubt wurde, daß ein Kranker
ausdrücklich um den Besuch des Geistlichen bat. Aus welcher
völligen Unkenntnis der Sachlage war dies befohlen
worden - es wurde ja tatsächlich auch bald widerrufen. Wenn dem
Kranken der Geistliche als Persönlichkeit und Bringer von Licht und
Hoffnung gegenübertritt, dann nimmt jeder gern die Freundeshand, die sich
ihm bietet, mag er sonst eine politische Gesinnung haben, welche er
wolle - aber es kommt fast nie ein lazarettkranker Soldat auf den
Gedanken: Ich will, entgegen dem Geist, der mich oft umgibt, entgegen dem
vielleicht zu erwartenden Spott der Kameraden, den Geistlichen haben. Und das
ist dann die Perfidie falscher Darstellung hinterher: Geistliche haben sich
überhaupt nicht im Lazarett sehen lassen. Diese Verallgemeinerungen im
Urteil ohne Sachkenntnis und Nachprüfung der Lage sind es immer, die die
karikaturenhafte Verzerrung des Bildes vom Feldgeistlichen im Kriege
hervorbringen.
Mag sein, daß jener Chefarzt recht hat, der über zu große
Jugendlichkeit und Unerfahrenheit der Geistlichen klagt, daß auch jener
Major recht hat, der schwerverwundet von einem übereifrigen
Feldgeistlichen drangsaliert, statt gestützt und getröstet wurde,
daß in entscheidender Stunde nicht immer das lösende und
erlösende Wort gesprochen
wurde - denken wir einmal ehrlich nach, in welcher ungeheueren seelischen
Spannung und körperlichen Anspannung ein Geistlicher seinen Dienst in
Großkampftagen bei Tag und Nacht halten mußte und dann etwa von
Gründonnerstag bis zweiten Ostertag 15 Gottesdienste und 14
Abendmahlsfeiern - die Fahrten und Ritte nicht
eingerechnet - so wird man es erklärlich finden, daß bei nicht
hervorragend Spannkräftigen und Geistbegnadeten die Wirkung der
erhofften Stunde oft genug ausblieb.
Im allgemeinen gesprochen, von einzelnen persönlichen Mängeln
abgesehen, ist mit Anspannung der letzten Kräfte gearbeitet worden. Davon
legen auch die Gräber tapferer Feldgeistlicher Zeugnis ab, die in treuer
Ausübung ihrer Pflicht in der Schlacht, dem Schützengraben, auf
dem Hauptverbandplatz oder gar beim Gottesdienst fielen oder an Krankheiten
starben, auch ist bei den Falklandinseln der tapfere Marinepfarrer Rost mit seinem
Geschwader untergegangen. Viele Pfarrer sind verwundet worden und nach dem
Feldzug an Krankheiten infolge des Krieges gestorben. Der Felddivisionspfarrer
der 22. Reservedivision, Martin Hobohm, fiel am 8. September 1914 in der
Marne- [252] schlacht, als er einem
Verwundeten Hilfe und Zuspruch brachte; der freiwillige Feldgeistliche Kurt
v. Wodtke am 5. Dezember 1914 im Schützengraben; von
Fliegerbomben getötet wurde der freiwillige Feldgeistliche Paul Zunker am
2. Oktober 1915; der freiwillige Feldgeistliche Hans Bunnemann fiel am 7. Juli
1916 beim Suchen nach dem Verbandplatz. Am 7. Juni 1917 wurde
Feldgeistlicher Paul Schieke von einer Granate getötet; kurz vor der
Einstellung des Kampfes im Osten schlug eine Granate in eine Kirche, in der
gerade der Felddivisionspfarrer der 2. Division, Hans Kawerau, Gottesdienst hielt,
und tötete merkwürdigerweise nur den amtierenden Geistlichen, da
sie gerade in den Feldaltar einschlug (20. November 1917). Der bayrische
Divisionspfarrer Friedrich Eichler wurde nach Ostern 1918, ebenso wie der
Felddivisionspfarrer der 19. Infanteriedivision, Wilhelm Eisenberg, am 11. Juni
1918 auf dem Hauptverbandplatz getötet; Feldgeistlicher Walter Rausch
fiel auf dem Wege zu einer Artillerieformation am 2. Juni 1918 durch Granate. An
Krankheiten starben: Feldgeistlicher Theodor Kruming am 23. Mai 1917,
Divisionspfarrer der 3. Division, Alfred Giesler, am 21. November 1917, der
Feldoberpfarrer des Westens, D. Goens, am 26. Juli 1918 in Berlin, der
Feldoberpfarrer des Ostens, D. Strauß, am 24. November 1918 in
Kiew. Felddivisionspfarrer der 28. Division, Hans Keller, in Stenay am 14.
Oktober 1918, Feldgeistlicher Hans Deggau am 25. Oktober 1918 in Belgrad,
Pfarrer Burg und Pfarrer Delius noch im Kriege. Nicht lange nach Kriegsende an
den Folgen des Feldzuges Pfarrer Richter in Baden am 12. Januar 1919, Seidler in
Meffersdorf in Schlesien am 26. Januar 1919 und Pfarrer Haberland in Woldegast
(Mecklenburg) am 5. August 1919. Ehre sei ihrem Andenken.
4. Die Begräbnisse.
Wie oft haben wir beim Vormarsch mit seinen fliegenden Hufen darunter gelitten,
daß wir nicht bei jedem Begräbnis eines tapferen Helden dabei sein
konnten! Verstreut lagen nachher die Gräber, wie der Held gefallen war.
Aber eins war mir immer beweglich. Und wenn es roh aus Weidenruten
zusammengeflochten war: ein Kreuz haben sie immer zum Heldengrabe gegeben,
und wenn man zufällig vorbeiritt, immer wurde der Pfarrer um ein Gebet
am offenen Grabe gebeten. Hierbei trat der Konfessionsunterschied ganz
zurück: Wir Evangelischen standen betend und segnend an den
katholischen Gräbern und die katholischen Kollegen an den unseren, und
die nationale Einheit bildete die Grundlage auch für eine gewisse
konfessionelle Einheit. Soweit ich sehe, blieb das auch so, als der Stellungskrieg
in seine Rechte getreten war. Es wurden nun, meist im Anschluß an die
bestehenden Friedhöfe, besondere Soldatenfriedhöfe und
Soldatenabteilungen eingerichtet und, wie ich bezeugen kann, mit vieler Liebe
und reichem künstlerischen Verständnis gepflegt. Künstler,
wie Donndorf, schafften [253] wertvolle
Denkmäler aus einfachem
Material - es wurde Wert darauf gelegt, daß das
Überkonfessionelle und Urchristliche zur Geltung kam. In
Hohen-Longwy steht wohl eins der schönsten Grabdenkmäler: die
Christusgestalt in einem offenen Torbogen - in Montmédy der
Gekreuzigte selbst und, gleichsam im Schatten dieses Kreuzes eingemeißelt,
Stahlhelm und Schwert, das Sinnbild deutscher Kraft und deutschen Glaubens. Ob
wohl der blinde Haß dieses Volkes auch diese Denkmäler
zerstörte und die Heilandsgestalt zu Boden riß, bloß weil
Deutsche auch im Sterben voll Glauben zu dem Todesüberwinder Jesus
aufschauen? Wo eine Künstlerhand solche Werte nicht schaffen konnte,
wurden aus Beton einfache Obelisken oder aus Granit schlichte Säulen
errichtet, die das Gedächtnis der Toten
festhielten - ganze Divisionen oder einzelne Regimenter haben zahllose
solcher schlichten Denkmäler in Feindesland gestiftet.
Wo die Möglichkeit bestand, wurden später die verstreuten
Einzelgräber an die allgemeinen Begräbnisstellen
überführt, oder, wo das nicht mehr möglich war, mit
großer Liebe jedes einzelne Heldengrab mit einem Holzzaun umgeben und
bezeichnet, damit die Stelle nicht in Vergessenheit käme. Solche
umzäunten Gräber habe ich vom 1. Garderegiment noch viele am
Bahndamm von Courcelles le Comte gesehen, auch noch im März 1915
für die Beerdigung einer bis dahin unbeerdigt gebliebenen Patrouille, die
vom August 1914 noch im Walde von Rancourt lag, mit sorgen helfen. Was
waren das für erschütternde und doch erhebende Stunden an den
Gräbern der Kameraden! Jene Beerdigung in der Nacht von treuen
Pionieren, die durch eine Explosion auf Fort Witry vor Reims ums Leben
gekommen waren: Das ganze Vorgelände Tag und Nacht unter schwerem
Feuer, die Andacht in den Deckungen des Forts, und dann nur die Träger
mit den Leichen, der Hauptmann und der Pfarrer am nächtlichen Grabe in
strömendem Regen betend, während die großen Brummer von
Reims ihren Ehrensalut zum Begräbnis geben
mußten - dann ein gemeinsames Vaterunser beten, da spürt
man's, daß wir alle Brüder werden in der Not, weil wir Kinder sind
unseres Vaters im Himmel. Oder jenes unvergeßliche Begräbnis bei
Le Breuil, wo die tapferen Sturmkolonnen eines Infanteriereserveregiments
unter einem uralten wilden Birnbaum lagen, wie sie zum Sturm vorgegangen
waren, und nun der alte Birnbaum zu uns sprechen mußte von der
Wurzelkraft unseres Ewigkeitsglaubens, von den Früchten unserer
Heimatliebe bis zum Tode und von dem grünen Wipfel der Hoffnung, die
nicht zuschanden werden läßt. Hier hieß es eben: Nur nicht
mechanisieren, sondern was der Geistliche redete, mußte ebenso"ex
tempore" wie "ex aeterno"
sein - dem Augenblick und der Ewigkeit angepaßt aus dem
Bildrahmen der Stunde und der Stimmung der Truppe, in der man ja immer von
selbst mitten drin stand, aber auch aus dem Bildrahmen der ewigen Werte unseres
Auferstehungsglaubens, zu dem man sich immer wieder durchringen mußte,
allen Thomaszweifeln und aller Eliasmüdigkeit zum Trotz.
[254] Wirklich helfen,
wirklich trösten und zu neuen Taten rufen konnte hier keine noch so gut
gemeinte menschliche Tröstung, kein noch so erschütternder
Ausdruck der kameradschaftlichen Totenklage, sondern nur die Glaubenskraft, die
nach allen Karfreitagen sich an die Ostertatsache klammert: Ich lebe und ihr sollt
auch leben. Wenn die Franzosen so verroht waren, daß sie die Leichen ihrer
gefallenen Kameraden zur Deckung im Schützengraben liegen ließen,
ich weiß von zwei baumlangen Friesen zu erzählen, die nach der
Ablösung ihres Bataillons noch einmal in der Nacht vor die Deckung
krochen - beides Familienväter! -: "Wir gehen noch unseren
toten Leutnant suchen - der kann da draußen nicht liegen
bleiben!" - Ich weiß von einer Maschinengewehrkompagnie, die
ihren verschütteten Kompagnieführer auf der Fosse 8 bei
Hulluch durch 5 Wochen Nacht für Nacht gesucht hat, bis sie ihn gefunden
hatten und endlich, endlich zurückbrachten. - Warum denn? Konnten
diese armseligen Erdenreste, die kaum noch Menschenähnliches an sich
hatten, nicht auch draußen vergehen? Nein, in der Mannschaft lag der
heilige Wille: Wir wollen an den Gräbern unserer Helden etwas
hören von der Auferstehung und dem Leben, wollen neue Kraft mitnehmen
fürs eigene Kämpfen, Bluten, Sterben. Und so wurde es meist so,
daß bei verschiedenen Konfessionen, die bei den Begräbnissen
beteiligt waren, der evangelische Pfarrer die Ansprache und der katholische die
liturgischen Teile übernahm und zum Schluß der evangelische den
Segen erteilte. Einmal erinnere ich mich, haben sogar feierlich der evangelische,
katholische und jüdische Feldgeistliche bei drei Toten der entsprechenden
Konfession bzw. Religion nebeneinander gewirkt und sich gegenseitig nicht
gestört.
Wurden die Beerdigungen vorn bei großen Kampfhandlungen gehalten, so
sind natürlich die Kameraden selbst, da eine geistliche Handlung
unmöglich war, eingetreten und haben mit stillem Vaterunser von dem
treuen Kameraden Abschied genommen. Aber wo immer es möglich war,
mußte die Truppe so zu ihrem Pfarrer stehen, daß sie wußte: Er
kommt, wo überhaupt auch nur an eine geordnete Beerdigung auch unter
Gefahr zu denken ist. Ging der Zug vom Lazarett aus und war es möglich,
von dem betreffenden Truppenteil ein Beerdigungskommando zu
erlangen - was naturgemäß nicht oft sein
konnte - so war es ein dankenswerter Dienst des Geistlichen, wenn er den
Kameraden von den letzten Tagen oder Leidenswochen des Verstorbenen
erzählte.
Derselbe Dienst galt natürlich auch in allererster Linie den
Angehörigen in der Heimat. Jede Kleinigkeit bis zur photographischen
Aufnahme des Begräbnisplatzes oder des schlichten Holzkreuzes
über dem Heldengrab mußte die tiefste Bewegung und Dankbarkeit
bei den Angehörigen auslösen, und es gehört wohl bei allen
Feldgeistlichen mit zu den schönsten Amtserfahrungen, diesen Strom von
Dank immer wieder an sich vorüberrauschen sehen zu dürfen.
"Meinem Sohne kann ich nun nichts mehr schicken, nun nehmen Sie, was ich
[255] ihm sonst geschickt
hätte, und geben Sie es ebenso treuen Leuten im Lazarett." Hundertfach
sind solche Erfahrungen der Liebe gemacht worden.
Wie mögen nun unsere Heldenfriedhöfe aussehen, die mit so viel
Liebe für Feind und Freund hergerichtet wurden! Dieser bis an den
vollendeten Wahnsinn grenzende Haß unserer Feinde wird sich an den
Toten ausgewirkt haben - eine echt französische Maßnahme!
Hat sich doch ein französischer Priester geweigert, einen ihm zugeschickten
Kranz auch nur auf dem Grabe eines Deutschen niederzulegen. Der Deutsche hat
für einen solchen Grad verbissener Verblendung und wütendsten
Hasses überhaupt kein Verständnis - aber er könnte von
dem Nationalbewußtsein solcher Leute, so tief er sie verachten muß,
immer noch lernen.
5. Soldatenheime.
Vom großartig eingerichteten bis zum schlichtesten Hüttlein, von
treuen und geschickten Schwestern bedienten bis zur primitivsten
Selbstbedienung haben wir sie gehabt. Selbstverständlich waren sie
interkonfessionell und in den großen Städten eine wahre Wohltat.
Das Brüsseler Heim wies bereits im ersten Halbjahr seines Bestehens eine
Gesamtbesucherzahl von 23 000 auf, im Speisesaal wurden im Mai 1915
rund 6300 Mittags- und 2900 Abendgäste gespeist. An den Fronten wurden
die Heime meist von der Intendantur geleitet; außer Gelegenheit zum Lesen,
Schreiben und Essen war fast immer ein größerer
Versammlungsraum da, in dem außer Kinoveranstaltungen auch
Vorträge gehalten wurden, an denen sich natürlich die
Feldgeistlichen in erster Linie beteiligten. Für das Marinekorps an der
flandrischen Küste wurden Marineheime
errichtet - das Kurhaus von Ostende war wohl das eleganteste in dieser Art
und eine Sehenswürdigkeit. Für den Feldgeistlichen boten die Heime
auch günstige Gelegenheit zur Schriftenverbreitung. In der Zeit der
Auflösung waren die Heime immer noch Oasen in der Wüste.
Besonders das Heim in Haidar Pascha hat sich noch bis 22. Januar 1919 gehalten
und ist ein Segen für das versprengte Deutschtum in jener Gegend gewesen.
Die Heimleiter von der Palästinafront haben unter namenlosen
Mühen nur das nackte Leben retten können. Aber fast ausnahmslos
ist der Nationalvereinigung zur Errichtung von Soldatenheimen, wie der
deutsch-christlichen Studentenvereinigung, die sich der Heime im Osten
besonders annahm, es gelungen, die Heime zu Stätten kameradschaftlicher
Treue und heimischen Geistes zu machen und zum sozialen Frieden und zur
Versöhnung der Gegensätze mitzuwirken.
Wir stehen am Schluß dieser Skizze über evangelische Feldseelsorge
im Weltkrieg. Mit dem Heer ist auch sie bis auf kleine Reste
zusammengebrochen. Aber jeder, der dabei gewesen ist, wird mit Stolz und mit
Freude auf seine [256] Dienstzeit im
feldgrauen Pfarrerrock zurückblicken, wenn er sich die rechte Stellung
unter Offizieren wie Mannschaften zu verschaffen gewußt hat. Was jeder
Offizier tut, sich aufopfern und seinem Untergebenen
dienen - das ist auch des nichtvorgesetzten Pfarrers beste Kriegskunst
gewesen. Dann flogen ihm die Herzen zu, und er hat sein Teil mit dazu
beigetragen zu dem Wunderwerk, daß der deutsche Siegfried
treubewährt und starkbewehrt gestanden hat zu Lande und zu Wasser und
in der Luft gegen eine Welt von Feinden, bis der Hagenspeer von hinten ihn zu
Boden werfen half. Aber der Siegfriedsgedanke stimmt mit der Jesuskraft
überein: Beide sprechen von der Auferstehung und vom Leben. Beide
stehen im Zeichen der aufgehenden Sonne über allen Gräbern. Und
in diesem Zeichen werden wir auch in Zukunft wieder siegen, und der
Feldprediger wird neben dem Feldgrauen stehen zu Trost und Kraft bis zum
letzten Atemzug und bis zum Weltgericht auch über diese Tage, die den
Feldprediger mit der Truppe in dem einen einte in ungeahnter Gewalt, daß
die Stimme der Ewigkeit aus dem Munde der Geschütze donnerte: Sei
getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben!
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