Bd. 1: Der deutsche Landkrieg, Erster Teil:
Vom Kriegsbeginn bis zum Frühjahr 1915
Kapitel 5:
Der Sommerfeldzug in Ostpreußen 1914
(Forts.)
Oberst Rudolf Frantz
3. Die Rettung
Ostpreußens.
Die Schlacht bei Tannenberg.
Auch der letzte Entschluß des Generals v. Prittwitz hatte nicht die
Billigung der Obersten Heeresleitung finden können. Wenn auch der
Angriff auf die
Narew-Armee deren Absichten entsprach, so forderte doch die zur Zeit noch
bestehende Trennung der beiden russischen Armeen eine schnelle
Entscheidung. Diese war durch das weitausholende Heranführen des
XVII. Armeekorps und I. Reservekorps an den rechten Flügel der
Armee nicht gewährleistet. Nur eine Versammlung der Armee auf
kürzestem Wege schien die günstige Lösung der
schwierigen Lage bringen zu können. Bei den Erwägungen der
Obersten Heeresleitung spielte auch die Rücksicht auf das deutsche
Land eine größere Rolle, als sie General v. Prittwitz ihr in seinem
Entschlusse zugebilligt hatte. Welchen Leiden das Land bei einem Einfall der
Russen ausgesetzt war und wieviele Kulturwerte der Vernichtung
anheimfielen, hatten die bisherigen Ereignisse zur Genüge
kundgetan.
Am frühen Morgen des 22. August hatte sich General v. Moltke mit
den Armeekorps der 8. Armee in Verbindung gesetzt und sich über
die Lage unterrichten lassen. Alle Generalkommandos meldeten, die
Truppen seien in bester Stimmung und voller Zuversicht. Im Laufe des
Tages traf General Ludendorff im Großen Hauptquartier ein, wo er
vom General v. Moltke über die Lage und auch darüber, wie
nach seiner Meinung die Operationen weiterzuführen seien,
unterwiesen wurde. Am Abend reiste der General nach dem östlichen
Kriegsschauplatz weiter, nachdem noch die unaufschiebbaren Anordnungen
von Coblenz aus unmittelbar ergangen waren. Die Ausladungen des I.
Armeekorps wurden [293] nach
Deutsch-Eylau verlegt, wie dies auch schon dem Generalkommando XX.
Armeekorps wünschenswert erschienen war; die Gouvernements von
Thorn und Graudenz erhielten Weisung, alle noch
feldverwendungsfähigen Kräfte bereitzustellen; im
übrigen hatten die Generalkommandos bis zum Eintreffen des
Oberbefehlshabers nach der Lage und im Einvernehmen untereinander zu
handeln.
Am 23. August nachmittags traf General v. Hindenburg mit General
Ludendorff in Marienburg ein, wo er den Befehl über die deutschen
Streitkräfte im Osten übernahm. Aus den vorliegenden
Meldungen ergab sich, daß die Lage beim XX. Armeekorps und der
3. Reserve-Division im wesentlichen unverändert war; die Russen
fühlten gegen die Stellung des Armeekorps heran. Das I. Reservekorps
und das XVII. Armeekorps ließen ihre ermüdeten Truppen in
den Unterkunftsorten längs der Bahnlinie
Gerdauen - Insterburg ruhen. Die Transportbewegung des I.
Armeekorps verzögerte sich, war jedoch im Gange. Die Division
Brodrück hatte am Morgen Insterburg in westlicher Richtung
durchschritten, während südlich des Ortes die 1.
Kavallerie-Division sicherte.
In der Brieftasche eines gefallenen russischen Offiziers hatte man ein
Schriftstück gefunden, das die Absichten der russischen
Führung offenbarte. Danach hatte die Armee Rennenkampfs, die
masurischen Seen nördlich umgehend, gegen die Linie
Insterburg - Angerburg vorzurücken, um die hinter der
Angerapp angenommenen deutschen Streitkräfte anzugreifen,
während die
Narew-Armee den Deutschen die Flanke abgewinnen sollte. Die Russen
planten also einen konzentrischen Angriff auf die 8. Armee, wie es auch
General v. Prittwitz angenommen hatte. Freilich nahm sich Rennenkampf
anscheinend Zeit; seine Infanterie hatte noch nirgends die Angerapp
überschritten, von der sie in den Kämpfen des 20. August noch
nicht 20 Kilometer entfernt gewesen war. Damit bestätigte sich die
Friedensauffassung des deutschen Generalstabes, daß sich russische
Heeresbewegungen mit großer Langsamkeit vollzogen und eine
schnelle Ausnützung operativer Lagen von der russischen
Führung nicht zu erwarten war.
Trotzdem blieb der Plan des deutschen Oberbefehlshabers kühn: unter
Mißachtung der Armee Rennenkampfs seine Kräfte auf
kürzestem Wege zum Angriff auf die
Narew-Armee zusammenzuziehen und dabei zwei Armeekorps an der Front
des Feindes entlang nach Süden abmarschieren zu lassen. Man
mußte damit rechnen, daß diese Bewegung der starken
russischen Reiterei, von der man einen größeren Körper
östlich Angerburg, einen anderen im Vorgehen über
Darkehmen beobachtet hatte, nicht verborgen blieb. Schwenkte dann
Rennenkampf nach Süden ein, so konnte es zur Katastrophe für
das XVII. Armeekorps und I. Reservekorps kommen.
Diese Gefahr nahm der deutsche Führer auf sich; er vertraute auf die
größere Beweglichkeit auf deutscher Seite. Der 1.
Kavallerie-Division sollte die schwierige Aufgabe werden, den Abmarsch zu
verschleiern und zu decken. Im übrigen sollte [294] alles, was noch verfügbar gemacht
werden konnte, zur Entscheidung eingesetzt werden. Noch am Nachmittag
des 23. August ergingen die entsprechenden Weisungen. Thorn sollte die
letzten Teile seiner Hauptreserve schleunigst nach Strasburg
vorführen. Der Gouverneur meldete alsbald, daß noch sieben
Bataillone, eine Eskadron, eine
Feld- und zwei schwere Batterien unter Generalleutnant v.
Mühlmann ausrücken würden. Mit diesen Kräften
sollte sich auch die Abteilung der Festung Graudenz von Goßlershausen
aus vereinigen. Das I. Armeekorps wurde angewiesen, die ausgeladenen Teile
sofort bis in die Gegend von Neumarkt vorzuschieben und dorthin die
nachfolgenden Kräfte aufschließen zu lassen. Das I. Reservekorps
sollte am nächsten Tage die Gegend von Schippenbeil, das XVII.
Armeekorps Friedland erreichen, von wo der Marsch voraussichtlich auf
Bartenstein weitergehen werde. Die Korps wurden unterrichtet, daß
die Lage in den nächsten Tagen eine Beschleunigung ihrer
Märsche erfordern werde. Auch die 6.
Landwehr-Brigade, die noch an der Seenlinie bei Lötzen stand, sollte
heran und wurde angewiesen, über
Rastenburg - Bischofsstein den Anschluß an das I.
Reservekorps zu gewinnen. Die Sperrung der Seenlinie südlich
Lötzen mußte der schwachen Festungsbesatzung
überlassen bleiben. Nur Königsberg, das bei einem Marsch
Rennenkampfs in westlicher Richtung unmittelbar bedroht war, behielt eine
Besatzung; dem Gouvernement wurde die Division Brodrück zur
Verfügung gestellt. Der Obersten Heeresleitung meldete General v.
Hindenburg, daß er die Vereinigung der Armee bis zum 26. August
zum umfassenden Angriff plane.
Am frühen Morgen des 24. August begab sich General v. Hindenburg
zum Generalkommando des XX. Armeekorps nach Tannenberg, um sich
dort persönlich über die Lage zu unterrichten. Am
vorhergehenden Abend hatten die Russen mit starken Kräften den
linken Flügel des Armeekorps, die 37.
Infanterie-Division und die 70. Landwehr-Brigade, angegriffen. Der Kampf
hatte bis in die Dunkelheit gewährt, um die Orte Lahna und Orlau
war es heiß hergegangen. Da es darauf ankam, mit den Kräften
des Armeekorps bis zum allgemeinen Angriff hauszuhalten, hatte General v.
Scholtz seinen linken Flügel während der Nacht bis
nördlich Waplitz zurückgenommen. Auch der Gegner hatte
hier rückgängige Bewegungen eingeleitet. Vor dem linken
Flügel des XX. Armeekorps von Neidenburg bis zum Lansker See hin
waren zwei russische Korps, das XV. und XIII., festgestellt; westlich von
diesen, zwischen Neidenburg und Soldau, waren weitere starke Kräfte
im Vormarsch gemeldet. General v. Hindenburg ordnete die
Zurücknahme des XX. Armeekorps bis in die Linie
Gilgenburg - Mühlen an. Je weiter der Feind hier
vordrang, um so wirksamer mußte die Umfassung werden, die ihm
vom linken Flügel der 8. Armee zugedacht war.
General v. Hindenburg begab sich alsdann mit seinem Stabe nach
Riesenburg. Rechts vom XX. Armeekorps rückten die ausgeladenen
Teile des I. in die Linie
Neumarkt - Löbau vor; die Abteilung Mühlmann
stand bei Strasburg [295] vormarschbereit; links gelangte die 3.
Reserve-Division, die vom General v. Scholtz tags zuvor, als der heftige
Angriff der Russen auf seinen linken Flügel erfolgte, zum Eingreifen
herbeigerufen war, bis halbwegs
Allenstein - Hohenstein, wo sie verblieb, da ein Eingreifen in
den Kampf nicht mehr in Frage kam. Das I. Reservekorps erreichte nach sehr
starkem Marsch die Gegend südlich Schippenbeil, das XVII.
Armeekorps lagerte bei Friedland, die 6.
Landwehr-Brigade war bis südwestlich Rastenburg gelangt. Die
Märsche aller Truppen waren erschwert durch die langen Kolonnen
flüchtender Landeseinwohner, die mit Vieh und Wagen die
Straßen bedeckten.
Die 1. Kavallerie-Division verschleierte den Abmarsch mit
Jäger- und Radfahrpostierungen längs der Chaussee
Nordenburg - Insterburg und hielt ihre Brigaden hinter dieser
Linie bereit. Sie stellte fest, daß Rennenkampf seinen Vormarsch noch
keineswegs beschleunigte, seine Infanterie hatte die
Angerapp-Linie nur wenig überschritten; Insterburg war besetzt.
Über Ortelsburg war das russische VI. Armeekorps im Marsch nach
Norden, Kavallerie sollte bereits in Bischofsburg sein. Auch vom rechten
Flügel kamen neue Nachrichten über den Feind; von
Neidenburg über Usdau schien das russische I. Armeekorps
vorzugehen. Aber auch weiter westlich sollte noch Feind sein; eine Meldung
sprach bereits von der Besetzung von Gorzno durch feindliche
Kavallerie.
Trafen diese letzten Nachrichten zu und gingen feindliche Kräfte auch
gegen die Linie
Strasburg - Lautenburg vor, so flankierte der rechte
Flügel der 8. Armee den Feind nicht mehr, sondern er wurde flankiert,
und der Feind, den man schlagen wollte, ehe die Armee Rennenkampfs
angriff, war an sich schon überlegen.
General v. Hindenburg verlor aber trotz aller Bedenken seine Zuversicht
nicht. Er beharrte bei seinem Entschluß. Schnelligkeit und Tatkraft
mußte den günstigen Ausgang herbeiführen.
Zunächst sollte das vereinzelte russische VI. Armeekorps geschlagen
und so freie Bahn zum weiteren Handeln geschaffen werden. Die
Anordnungen für den 25. August wurden erlassen. General v. Below
hatte mit seinem I. Reservekorps frühzeitig aufbrechend über
Seeburg zu marschieren und den Feind anzugreifen, wo er ihn fand. Das
XVII. Armeekorps sollte ihm dazu eine Division bei Bischofsstein zum
Kampfe zur Verfügung stellen; dorthin wurde auch die 6.
Landwehr-Brigade beordert. Die hintere Division des XVII. Armeekorps
hatte bis südlich Schippenbeil zu marschieren, wo sie bereit war,
sowohl an das I. Reservekorps herangezogen zu werden, als auch die 1.
Kavallerie-Division zu unterstützen. Das XX. Armeekorps hatte seine
Stellung inzwischen auch gegen dreifache Überlegenheit zu halten; zu
seiner Unterstützung stand die 3.
Reserve-Division bereit. Trotz aller Nachrichten über den Feind vor
dem Westflügel sollten die ausgeladenen Teile des I. Armeekorps in
die Gegend zwischen Lauterburg und Gilgenburg vorgezogen werden,
General v. Mühlmann nach Lautenburg vorrücken, wo er dem
Kommandierenden General des I. Armeekorps unterstellt wurde.
[296] In der Nacht traf noch eine Mitteilung der
Obersten Heeresleitung ein, daß General v. der Goltz mit der 33. und 34.
Landwehr-Brigade zur Verfügung des Oberkommandos der 8. Armee
von
Schleswig-Holstein her sich im Antransport befand. Die Verwendung dieser
Truppen behielt sich das Oberkommando noch vor.
So verging die Nacht vom 24. zum 25. August. Die Lage hatte sich zugespitzt,
der Kampf gegen die
Narew-Armee stand bevor. Mit besonderer Spannung lenkten sich die Blicke
nach Osten. Merkte Rennenkampf den Abmarsch? Folgte er im
Rücken des deutschen Ostflügels oder blieb er in tastendem
Marsch nach Westen? Am Morgen des 25. August begann sich die Spannung
zu lösen. Mehrfache Nachrichten ließen erkennen, daß der
russische Oberbefehlshaber die deutschen Hauptkräfte im
Rückzuge auf Königsberg wähnte und ihnen seine
Streitkräfte in westlicher Richtung folgen ließ. Der
Südflügel schien sich von Nordenburg auf Gerdauen zu
bewegen.
Auch die Lage bei der Narew-Armee klärte sich weiter. Der Marsch
des VI. Armeekorps auf Bischofsburg bestätigte sich; bei ihm befand
sich anscheinend noch die 4.
Kavallerie-Division. Ferner aber stellte sich heraus, daß gegen das XX.
Armeekorps nicht nur drei, sondern sogar vier russische Korps
anmarschierten. Zwischen dem I. und XV. Korps wurde noch das XXIII.
festgestellt; und das XIII. dehnte sich so weit nach Norden aus, daß
auch mit seinem Vorgehen nördlich um den Lansker See herum
gerechnet werden mußte.
Das war eine gewaltige Überlegenheit, die sich gegen das XX.
preußische Armeekorps heranwälzte. Anderseits paßte
diese Anhäufung feindlicher Kräfte vortrefflich in den
Gedankengang des deutschen Oberbefehlshabers hinein. Je mehr sich der
Feind hier vor seiner Mitte zusammenballte, um so fester konnten ihn die
deutschen Flügel in die Zange nehmen. Die deutsche Mitte stand
abwehrbereit, General v. Scholtz hatte mit der 70.
Landwehr-Brigade und den Truppen des General v. Unger unter
gemeinsamem Befehl des Generalleutnants v. Schmettau seinen linken
Flügel nach Norden verlängert; die 3.
Reserve-Division nahm verdeckt hinter diesem Flügel bei Reichenau zu
offensiver Verwendung Aufstellung. Vom I. Armeekorps traf Zug auf Zug
ein, die ausgeladenen Teile rückten in die befohlene Linie nach
vorn.
Auf dem linken Flügel rückte in Eilmärschen das I.
Reservekorps, gefolgt vom XVII. nach Süden. Der
Zusammenstoß mit dem Feinde war für heute nicht mehr zu
erwarten; die Lage war aber hinreichend klar; bereits um Mittag befahl das
Armeeoberkommando: General v. Below schlägt mit seinem Korps,
verstärkt durch eine Division des XVII. und die 6.
Landwehr-Brigade, den von Ortelsburg anmarschierenden Feind, General v.
Mackensen deckt mit seiner anderen Division und der 1.
Kavallerie-Division diesen Angriff gegen Rennenkampf.
Für den rechten Flügel wurde der Schlachtbefehl am Abend
gegeben. Viel war hier nicht verändert. Leider waren die Ausladungen
des I. Armeekorps noch nicht beendet. Dagegen schienen die Russen noch
neue Kräfte auf der Bahn über [297] Mlawa heranzuführen. Mochte sich
der Feind hier weiter verstärken, den Entscheidungskampf wollte
General v. Hindenburg am nächsten Tage beginnen.
[297]
Skizze 10: Schlacht bei Tannenberg - Anfangslage.
|
Dazu sollte das I. Armeekorps, tief rechts gestaffelt in allgemeiner Richtung
Usdau angreifen, das XX. Armeekorps zunächst seine Stellung gegen
den gewaltig überlegenen Feind halten, um dann mit starkem rechten
Flügel sich dem Angriff anzuschließen.
[298] Auf dem Ostflügel lagerte am
Abend das I. Reservekorps bei Seeburg, das XVII. an der Straße
Bartenstein - Bischofstein, vor ihm die 6. Landwehr-Brigade
bei Lautern, die 1.
Kavallerie-Division bei Gerdauen. Der Feind war in Bischofsburg, von
Sensburg schien sich seine 4.
Kavallerie-Division an ihn heranziehen zu wollen. Die deutschen
Führer waren voller Zuversicht, Rennenkampf machte ihnen keine
Sorge mehr. Der Kommandant von Lötzen, Oberst Busse, teilte mit, er
werde mit seiner Besatzung, an die sich noch einige
Landsturm-Kompagnien herangezogen hatten, die Seenlinie schon halten.
Die beiden deutschen Kommandierenden Generäle kamen
überein, am nächsten Tage mit ganzer Kraft ihrer beiden Korps
zum vernichtenden Schlage auszuholen. Der Oberbefehlshaber gab sein
Einverständnis.
So war die 8. Armee gerüstet, den entscheidenden Waffengang mit
der Narew-Armee aufzunehmen. Im Norden war indessen die Division
Brodrück hinter den
Deime-Abschnitt gelangt, bereit, der Niemen-Armee den Weg nach
Königsberg zu verlegen.
Am Morgen des 26. August begann auf dem deutschen rechten Flügel
der Kampf. Zwar waren die Kräfte des I. Armeekorps noch keineswegs
versammelt, namentlich fehlte noch der größere Teil der
Artillerie, so daß der Kommandierende General Bedenken trug, mit
den Teilen des Korps, die er zur Hand hatte, zum Angriff zu schreiten. Das
Armeeoberkommando glaubte aber keine Zeit mehr verlieren zu
dürfen; beruhten doch die Aussichten des Erfolges auf der
Schnelligkeit und Kraft des Handelns.
Mit der 1. Infanterie-Division links, der 2. rechts und rechts von dieser mit der
Brigade Mühlmann von Lautenburg her, trat das Armeekorps zum
Angriff an. Der Kampf der Infanterie war schwer, die
Artillerieunterstützung schwach, der Angriff gegen den stark
verschanzten Feind ging nur langsam vorwärts. Erneute Bedenken des
Generals v. François gegen die augenblickliche Weiterführung
des Angriffs wies General v. Hindenburg ab. Auch das XX. Armeekorps
wurde angewiesen, sich nunmehr dem Angriff anzuschließen. Vor
dessen Front war es vormittags ruhig geblieben. Erst gerade, als die Weisung
des Armeeoberkommandos einging, machten sich Anzeichen bemerkbar, aus
denen man auf einen bevorstehenden Angriff des Feindes schloß, der
sich namentlich gegen den linken Flügel zu richten schien. General v.
Scholtz wollte zunächst die 3.
Reserve-Division in der Richtung auf Hohenstein vorziehen. Die Division
hatte tagsüber in den Waldungen östlich Reichenau verdeckt
gestanden. Sie beobachtete durch trefflich arbeitende
Kavallerie- und Radfahrpatrouillen insbesondere die Verhältnisse an
der Straße
Hohenstein - Allenstein und nördlich des Lansker Sees.
Östlich Hohenstein, ebenso wie halbwegs
Hohenstein - Allenstein hatte sie Feind festgestellt, dessen
Verhalten noch nicht klar war. Unter diesen Umständen schien es
noch nicht rätlich, aus der Deckung herauszutreten. Die Division
entfaltete sich in den Waldstücken beiderseits der Chaussee
Reichenau - Hohenstein, [299] bereit, einen Feind, der gegen die Flanke
des XX. Armeekorps vorging, ihrerseits in der Flanke anzugreifen.
Die beiden Divisionen seines Armeekorps setzte General v. Scholtz in
südöstlicher Richtung zwischen
Groß-Damerau- und Mühlen-See zum Angriff an, während
General v. Schmettau zunächst seine Stellung bei Mühlen
halten sollte. Gerade als die Truppen diese Befehle erhielten, begann sich
auch der russische Angriff östlich Gilgenburg fühlbar zu
machen. Die deutschen Divisionen gewannen aber zwischen Gilgenburg und
Mühlen Gelände, während es weiter nördlich nicht
zum Kampfe kam. Auch das I. Armeekorps kam am Nachmittag noch in
heißem Ringen vorwärts. An das stark verschanzte Usdau kam
man bis auf einige Kilometer heran, die Brigade Mühlmann setzte sich
an der Bahn
Lautenburg - Soldau in den Besitz von Heinrichshof.
Bei der linken Flügelgruppe hatte das XVII. Armeekorps am
frühen Morgen den Marsch von Bischofstein auf Bischofsburg
angetreten. Südlich Lautern trat die Vorhut der vorn marschierenden
36. Infanterie-Division ins Gefecht gegen den Feind, der angelehnt an das
Nordende des Bössauer Sees in verschanzter Stellung stand. Zwar
hatte das Eintreffen der 35.
Infanterie-Division, die von Bischofstein in südöstlicher Richtung
abgebogen war, um sich links neben die 36. zu setzen, abgewartet werden
sollen, damit der Angriff einheitlich erfolgte. Der Drang der Truppen nach
vorwärts hatte den Kampf aber bereits entbrennen lassen. Der Feind
wehrte sich hartnäckig.
Das I. Reservekorps, an das sich die 6. Landwehr-Brigade herangezogen
hatte, war 10 Uhr vormittags, nachdem es erst seine Divisionen bei Seeburg
nebeneinandergesetzt hatte, in südlicher Richtung angetreten. Nach
Vereinbarung mit dem XVII. Armeekorps, mit dem man dauernd
Verbindung hielt, wurde die 6.
Landwehr-Brigade und Teile der 36. Reserve-Division zwischen
Bössauer und
Dadey-See zum Angriff gegen die Flanke des Feindes angesetzt, der dem
XVII. Armeekorps gegenüberstand, während die Masse des
Armeekorps westlich des
Dadey-Sees nach Süden weitermarschierte. Der Widerstand des
Feindes war wider Erwarten hart. Nach Einsatz weiterer Kräfte der
36. Reserve-Division gelang es aber, ihn von Südwesten her gegen den
Bössauer See zu werfen, 1.700 Gefangene zu machen und 30
Geschütze zu erbeuten. Inzwischen holte die 35.
Infanterie-Division des XVII. Armeekorps gegen die Ostflanke des Feindes
aus. Da war sein Widerstand gebrochen. Unter dem konzentrischen Feuer
der deutschen Geschütze wurde sein Rückzug zur Flucht.
Darüber war es Abend geworden. Das XVII. Armeekorps verblieb bei
Gr. Bössau und östlich. General v. Below war mittlerweise im
Besitz von Meldungen, nach denen eine neue verschanzte Stellung einige
Kilometer südlich Bischofsburg lag. Diese gedachte er am
nächsten Tage in der Flanke anzugreifen, während das XVII.
Armeekorps von Norden gegen sie angehen sollte. Er versammelte daher am
Abend noch sein Armeekorps westlich des
Dadey-Sees und meldete dem Armeeoberkommando seine Absicht.
[300] Dieses hatte sich am Morgen des Tages
nach Löbau begeben. Trotz aller Bedenken, der Fortsetzung der
Ausladungen bei Mlawa, der Versammlung starken Feindes bei Soldau, der
Schwäche des I. Armeekorps, hatte der Oberbefehlshaber auf der
ununterbrochenen Durchführung des Angriffs bestanden. In den
ersten Nachmittagsstunden wurde die Aufmerksamkeit wieder in
erhöhtem Maße auf den linken Flügel gelenkt. Das II.
russische Armeekorps hatte Angerburg erreicht und schien auf Drengfurth
weiterzumarschieren. Man hatte weitere Anzeichen dafür, daß
dieses Korps Anschluß an die
Narew-Armee suchen sollte. Dann kam es in den Rücken der deutschen
Ostgruppe; das konnte verhängnisvoll werden, wenn nicht vorher das
VI. russische Korps geschlagen war. Einstweilen erhielt die 1.
Kavallerie-Division den Befehl, den Weitermarsch des II. Korps zu
verzögern. Es war dies freilich nur ein schwacher
Rückenschutz, zumal sich in der Gegend von Sensburg auch noch die
4. russische
Kavallerie-Division befand.
Auch der rechte Flügel machte Sorgen. Die 15. russische
Kavallerie-Division war zwischen Strasburg und Lautenburg in den
Rücken der Brigade Mühlmann gelangt und gefährdete
bereits die Bahn
Thorn - Osterode. Der Gouverneur von Graudenz mußte
nochmals helfen; er versprach, noch einige Bataillone zum Bahnschutz
freizumachen.
Bis zum Abend erfuhr man über Rennenkampf weiter, daß Gerdauen besetzt und eine
Kavallerie-Division von Allenburg auf Friedland vorgegangen war. Vor
diesen Kräften war die 1.
Kavallerie-Division von Gerdauen auf Schippenbeil ausgewichen. Im
übrigen hatte die Infanterie Rennenkampfs die Linie
Gerdauen - Taplaken nordöstlich Wehlau erreicht;
starke Kavallerie stand an der
Alle- und Deime-Linie.
General v. Hindenburg
wich nicht von seinem Plan ab, die Entscheidung
gegen die
Narew-Armee unter allen Umständen herbeizuführen, und
zwar eine Entscheidung, die volle Freiheit des Handelns gegen Rennenkampf
gab. Dazu war es wichtig, daß das I. Armeekorps rasch über
Usdau in der Richtung auf Neidenburg vorwärts kam, weshalb zu
seiner Unterstützung beim XX. Armeekorps eine gemischte Abteilung
in Stärke einer Brigade unter dem Befehl des Generals v. Schmettau
zusammengestellt und nach dem rechten Flügel in Marsch gesetzt
wurde. In diesem Sinne wurde für diesen Flügel der
Armeebefehl für den 27. August gegeben. Er verlangte vom I. und XX.
Armeekorps den Angriff um vier Uhr morgens "mit größter
Energie", I. Armeekorps stark rechts gestaffelt auf Usdau, XX. Armeekorps,
den Angriff des I. auf Usdau unterstützend, im übrigen in der
bisherigen Angriffsrichtung, wobei auch die 3.
Reserve-Division in südöstlicher Richtung auf Waplitz
vorgeführt werden sollte. Die Ausladungen der
Landwehr-Brigaden des Generals v. der Goltz wurden nach Osterode
vorverlegt. Mit der von der linken Flügelgruppe gemeldeten
Angriffsabsicht auf die feindliche Stellung südlich Bischofsburg war
der Oberbefehlshaber einverstanden.
[301] So waren die beiden deutschen Gruppen
konzentrisch von den Flügeln her angesetzt, in der Mitte der
Schlachtfront bei Allenstein eine Lücke lassend, in dem Bestreben, den
Feind zusammenzudrängen, ihn beiderseits zu umfassen und zu
vernichten und diese Absicht sollte durchgeführt werden trotz der
Gefahr, die wiederum beiden deutschen Flügeln durch andere russische
Kräfte drohte.
Schon verdichteten sich auch die Nachrichten von russischen
Truppenansammlungen westlich der Weichsel, vorwärts Warschau, so
daß man mit einem Vormarsch von dort aus rechnen mußte. Das
stellvertretende Generalkommando VI. Armeekorps meldete, daß es
bereits die Zusammenziehung einer gemischten Abteilung aus Ersatztruppen
bei Kempen eingeleitet habe. Das stellvertretende Generalkommando des V.
Armeekorps wurde angewiesen, alle verfügbaren Truppen seines
Korpsbereichs bei Ostrowo zu versammeln.
|
Am frühen Morgen des 27. August begann der am Abend
unterbrochene Kampf erneut beim I. Armeekorps, bei dem nunmehr endlich
die letzten Truppentransporte eingetroffen waren. General v.
François hatte bis vier Uhr morgens seine beiden Divisionen, die erste
nördlich, die zweite südlich, im Bogen um Usdau herum zum
Angriff bereitgestellt. Da bei Soldau noch Feind stand, mußte die 2.
Infanterie-Division auf die Sicherung ihrer rechten Flanke bedacht sein. Aus
gleichem Grunde stand die Brigade Mühlmann einstweilen bei
Heinrichshof bereit, während die vom XX. Armeekorps zu Hilfe
gesandte Brigade Schmettau von Norden her den Angriff auf Usdau
unterstützen sollte. Der Angriff der 2.
Infanterie-Division stieß sehr bald auf erheblichen Widerstand, so
daß die Division zunächst nicht vorwärtskam, um so
weniger als sie sich auch bald von Osten und Süden her von
überlegenem Feinde angegriffen sah. Dagegen gewann die 1.
Infanterie-Division und die Brigade Schmettau gegen das stark besetzte Usdau
immer mehr Boden. Gegen 11 Uhr vormittags wurde der völlig in
Flammen stehende Ort gleichzeitig von Westen und Norden her
gestürmt. Der Gegner flutete auf Neidenburg zurück.
Die Verhältnisse bei der 2. Infanterie-Division gestatteten es nicht, dem
Feinde in östlicher Richtung zu folgen, wie es im Sinne der
Anordnungen des Armeeoberkommandos gelegen hatte. Die 1.
Infanterie-Division mußte nach Süden einschwenken und nahm
ebenso, wie die Brigade Schmettau die Richtung auf Borchersdorf und die
Höhen nordöstlich des Dorfes. Nördlich Soldau standen
noch starke russische Kräfte; man wußte, daß dort Teile
des I. Korps zu suchen und auch
Garde-Regimenter eingetroffen waren. Auch jetzt waren die
Verhältnisse in der rechten Flanke der 2.
Infanterie-Division bei Ruttkowitz noch nicht klar. Gegen diesen Ort hatte die
Brigade Mühlmann angreifen sollen. Nachrichten von ihr fehlten
beim Generalkommando noch.
Die Landwehr des Generals v. Mühlmann hatte beim Angriff schwer
unter feindlichem Artilleriefeuer zu leiden gehabt, bald nach Mittag war es
ihr aber doch geglückt, den Abschnitt von Ruttkowitz zu nehmen.
Unter geschickter
Be- [302] nutzung ihrer weittragenden Artillerie
gewann sie alsdann bis zum Abend noch weiter Gelände in
südöstlicher Richtung. Das I. Armeekorps stand am Abend auf
den Höhen östlich Borchersdorf. Der Artilleriekampf mit
feindlichen Batterien nördlich Soldau setzte sich während der
ganzen Nacht fort.
Nördlich vom Gefechtsfelde des I. Armeekorps standen auch die
Divisionen des XX. um 4 Uhr morgens gefechtsbereit, die 41. rechts, die 37.
links. Am
Drewenz-Abschnitt bis über die Eisenbahn nach Hohenstein
hinüber sicherte die Landwehr des Generals v. Unger. Die 3.
Reserve-Division hatte General v. Scholtz aus ihrer Bereitstellung
herausgezogen. Sie verlängerte mit einer Brigade die Landwehr am
Drewenz-Abschnitt bis Kirsteinsdorf und hielt die andere hinter ihrem
linken Flügel zurück. Die Truppen des Generals v. Unger waren
dem Divisionskommandeur, General v. Morgen, mit unterstellt worden. Es
war klar erkannt, daß Hohenstein vom Feinde besetzt war.
Vor den beiden Divisionen des XX. Armeekorps war der Feind anscheinend
unter dem Eindruck der Kämpfe des vorhergehenden Tages
zurückgegangen. Die 41.
Infanterie-Division folgte bis auf die Höhen von Adlig Kamiontken, wo
sie einstweilen verblieb. Die 37.
Infanterie-Division, die ebenfalls kaum auf Widerstand stieß, fand
Gelegenheit, mit ihren Batterien flankierend in den Kampf einzugreifen, der
sich weiter nördlich bei der Landwehr entsponnen hatte. Hier schien
sich der Feind nach starker Artillerievorbereitung zum Angriff auf
Mühlen zu entwickeln. Gegen Mittag gewann es den Anschein, als ob
die Ereignisse einen bedrohlichen Charakter annähmen. Es
hieß, der Feind sei durchgebrochen, Mühlen verloren, die
Landwehr im Weichen. Die 37.
Infanterie-Division, die Befehl hatte, in Richtung Waplitz in den
Rücken des Feindes zu gehen, wurde angehalten und sollte nunmehr
westlich des Sees auf Mühlen vorstoßen, während die 41.
Infanterie-Division östlich auf Waplitz ausholen sollte.
Die linke Flügelgruppe der 8. Armee hatte sich inzwischen am Morgen
des Tages in südlicher Richtung in Bewegung gesetzt, entsprechend
der Absicht, die südlich Bischofsburg gemeldete feindliche Stellung in
Front und linker Flanke anzugreifen. Beim Marsch über das
Schlachtfeld des gestrigen Tages hatte das XVII. Armeekorps die freudige
Genugtuung, dem Gegner einen schweren Schlag versetzt zu haben. Alles
deutete auf schwere Verluste und panikartige Flucht des Feindes. Auch die
gefangenen Offiziere bestätigten diesen Eindruck. Gegen 9 Uhr
morgens war das Armeekorps beiderseits Bischofsburg eingetroffen, ohne
auf Feind zu stoßen. Auch vor dem auf Passenheim vorgehenden I.
Reservekorps war der Feind verschwunden. Beide Kommandierenden
Generale gewannen den Eindruck, daß das russische VI. Armeekorps
unter dem Druck der gestrigen Niederlage auch südlich Bischofsburg
nicht mehr halten werde. Dagegen hatte man beim I. Reservekorps die
Nachricht, daß Allenstein vom Feinde besetzt war. Dort schob er sich
also zwischen die beiden deutschen Gruppen. Das paßte in die
Absichten des deutschen Oberkommandos hinein und konnte dem [303] Gegner zum Verhängnis werden.
Das Generalkommando berichtete an das Armeeoberkommando, um diesem
Gelegenheit zu geben, rechtzeitig eine Verwendung des I. Reservekorps in
anderer Richtung anzuordnen.
Das Armeeoberkommando hatte in Löbau bereits eine Meldung des
XVII. Armeekorps über die Größe des gestrigen Erfolges
erhalten und darauf die Weisung abgesandt, daß beide Armeekorps
nach Beseitigung des russischen VI. Armeekorps die Richtung auf Jedwabno
einschlagen sollten, um von dort aus in den Kampf bei der rechten Gruppe
einzugreifen. Dann begab sich der Oberbefehlshaber nach Gilgenburg, wo er
die erfreuliche Kunde bekam, daß Usdau vom I. Armeekorps
genommen sei. Man hörte aber weiter, daß sich das Armeekorps
gegen den Feind bei Soldau hatte wenden müssen, der sich
anscheinend noch immer von Mlawa her verstärkte, wo reger
Zugverkehr gemeldet wurde. Damit wurde der Plan, den vor dem XX.
Armeekorps stehenden Feind von Süden durch das I. Armeekorps
aufzurollen, zunichte und das war um so unangenehmer, als man bald die
Gewißheit bekam, daß das russische XV. Korps sich bei
Hohenstein befand, und daß das XIII. beabsichtigte, aus Richtung
Allenstein heranzurücken. Wenn nun auch das I. Armeekorps hier
vorläufig ausfiel, so beharrte General v. Hindenburg doch bei seinem
Vernichtungsgedanken. Der Feind, der zwischen die beiden deutschen
Gruppen eingedrungen war, sollte eingekreist, ihm der Rückzug
verlegt werden. Das XX. Armeekorps mußte diesen Gedanken
nunmehr zunächst allein in die Wirklichkeit umsetzen, denn wann
man auf Teile des I. Reservekorps und des XVII. Armeekorps rechnen
konnte, war noch nicht zu übersehen. Gegen Mittag ordnete der
Oberbefehlshaber an, das I. Armeekorps habe den
gegenüberstehenden Feind in Richtung Soldau über die Neide
zurückzuwerfen, das XX. nach Norden einzuschwenken, um dem bei
Hohenstein stehenden Feind den Weg nach Süden zu verlegen.
Als bald darauf die Meldung des I. Reservekorps eintraf, war dem
Oberbefehlshaber klar, daß die Verfolgung dort dem XVII.
Armeekorps allein überlassen bleiben konnte. Das I. Reservekorps
wurde angewiesen, sich zwischen Passenheim und Wartenburg
bereitzustellen, um am nächsten Tage je nach den Umständen
in westlicher oder südlicher Richtung verwandt zu werden.
Der Befehl erreichte das Armeekorps auf dem Marsche; die Divisionen
wurden nach Westen eingedreht und lagerten am Abend
befehlsgemäß. Das XVII. Armeekorps erhielt den Befehl zur
Verfolgung auf Jedwabno bei Bischofsburg, wo es rastete. Es trat wieder an.
Eine vorausgesandte fliegende Abteilung stieß bei Kobulten auf eine
feindliche Nachhut, die angegriffen wurde. Es gelang noch reiche Beute zu
machen und neue Beweise für den Grad der Auflösung beim
VI. russischen Korps zu erbringen. Am Abend ruhte das Armeekorps bei
Mensguth und nördlich.
Inzwischen hatte sich beim XX. Armeekorps herausgestellt, daß die
Meldung von einem Durchbruch des Feindes bei Mühlen irrig
gewesen war. Die
Land- [304] wehr hatte alle Angriffe abgewiesen. Die
37. Infanterie-Division gelangte nicht mehr zum Eingreifen. Auch der
Kommandeur der 3.
Reserve-Division hatte seine zurückgehaltene Brigade zur
Wiedernahme von Mühlen antreten lassen. Sie kehrte um. Die
Division ruhte während der Nacht in ihrer Kampfstellung.
Da starker Feind bei Hohenstein erneut festgestellt war, hielt General v.
Scholtz eine Verstärkung seines linken Flügels für
angezeigt und erteilte der 37.
Infanterie-Division den Befehl, ein Regiment zur Unterstützung der
Landwehr bei Mühlen zu belassen und den Rest am nächsten
Tage hinter den linken Flügel der 3.
Reserve-Division zu führen. Die 41. Division war auf tief sandigen
Wegen auf Waplitz angetreten, aber nur bis Wronowo gelangt, wo sie
ziemlich erschöpft verblieb.
Die Entscheidung war also am Abend des 27. August immer noch nicht
gefallen. Alle Nachrichten aber sprachen dafür, daß man mit
einem Eingreifen Rennenkampfs nicht mehr zu rechnen hatte. Er
marschierte langsam auf Königsberg weiter, mit seinem
Südflügel, wie es schien, über Gerdauen. Wohin das
früher bei Angerburg gemeldete II. Armeekorps gelangt war,
wußte man nicht, in bedrohliche Nähe war es jedenfalls nicht
gelangt. Man hatte also Zeit zur Fortsetzung des Kampfes gegen die
Narew-Armee gewonnen.
Ferner stellte sich heraus, daß die Auflösung des VI. russischen
Korps noch größer war, als man bisher hatte annehmen
können. Die Beute war erheblich, noch am Morgen hatten sich 500
Mann mit 14 Geschützen einer deutschen Sanitätskompagnie
ergeben. Es genügte vollauf, diesen Feind mit schwachen Kräften
verfolgen zu lassen. Alle Kräfte, die irgendwie mitwirken konnten,
gedachte General v. Hindenburg nunmehr zur Vernichtung des Feindes bei
Hohenstein - Allenstein heranzuziehen, wo sich mindestens
noch zwei Armeekorps, das XIII. und XV. befanden. Das preußische I.
Armeekorps war bei Soldau gebunden. Manches deutete darauf hin,
daß dort nicht alles ganz glatt verlaufen war. Flieger hatten immer
noch starke Kräfte bei Mlawa gefunden. Dem Armeekorps mußte
der Flankenschutz der konzentrisch auf Hohenstein angreifenden Armee
gegen diesen Feind verbleiben.
So wurde denn am späten Abend für den 28. befohlen,
daß das verstärkte XX. Armeekorps, die
Landwehr-Division Goltz, das I. Reservekorps und das XVII. Armeekorps im
Angriff das XIII. und XV. russische Armeekorps "einzuschließen"
hatten. Dazu sollten 4 Uhr morgens das XX. Armeekorps und die 3.
Reserve-Division rechts ausholend auf Hohenstein angreifen, die
Landwehr-Division Goltz von Nordwesten her auf Hohenstein, I.
Reservekorps, so früh wie möglich aufbrechend, und starke
Teile des XVII. Armeekorps von Osten her auf Allenstein. Teile des XVII.
Armeekorps hatten die Verfolgung auf Willenberg fortzusetzen. Die beiden
Kommandierenden Generale vereinbarten noch am Abend, daß sich
das XVII. Armeekorps über Wartenburg rechts neben das I.
Reservekorps setzte.
[305] Der Oberbefehlshaber war voller
Zuversicht; es mußte nach menschlicher Berechnung ein großer
Erfolg werden. Das I. russische Armeekorps war auf Soldau und Neidenburg
zurückgeworfen, das VI. war geschlagen, vom XXIII., über das
man noch keine volle Klarheit hatte, schienen mindestens Teile in den
Rückzug auf Neidenburg verwickelt zu sein, und nun sollte morgen
gegen die übrigbleibenden Korps, das XIII. und XV., von allen Seiten
her überlegene deutsche Kräfte vorgehen. Die freudige Stimmung
wurde auch nicht getrübt durch neue Nachrichten über
Truppenansammlungen westlich der Weichsel, um so weniger, als die Oberste
Heeresleitung eine Verstärkung des Ostheeres durch zwei bis drei
Armeekorps aus dem Westen in Aussicht gestellt hatte.
Um die Absicht des Armeeoberkommandos, Umfassung des Feindes von
Süden her, durchzuführen, hatte das Generalkommando XX.
Armeekorps angeordnet, die 41.
Infanterie-Division habe mit Morgengrauen von Waplitz her in den Kampf
südlich Hohenstein einzugreifen. Sobald ihre Einwirkung
fühlbar wurde, sollte General v. Morgen mit seinen Truppen zum
Frontalangriff antreten, während sich links rückwärts
die 37.
Infanterie-Division zum Vorgehen auf Hohenstein bereitzuhalten hatte. Der
Morgen des 28. August begann mit dichtem Nebel. Im Nebel stieß die
41. Infanterie-Division bei Waplitz bereits auf Feind, dessen Widerstand nicht
zu brechen war. Nördlich Mühlen standen seit 3 Uhr morgens
die Truppen des Generals v. Morgen angriffsbereit. Gegen 7 Uhr morgens
lichtete sich der Nebel, das Feuer flackerte auf. Der Angriff hatte hier den
tief eingeschnittenen
Dröbnitz-Abschnitt zu überschreiten, an dessen jenseitigem
Rande Schützengräben des Feindes erkennbar waren. Als sich
bis 9 Uhr morgens das Vorgehen der 41.
Infanterie-Division noch nicht fühlbar machte, anderseits aber die
Waldstücke links vorwärts vom Feinde frei gemeldet wurden,
ließ General v. Morgen die 3.
Reserve-Division zum Angriff schreiten, und zwar sollte die 6.
Reserve-Brigade links ausholend der 5. den Frontalangriff über den
tiefen Abschnitt erleichtern. Die erstere trat im Walde westlich Hohenstein
ins Gefecht mit überlegenem Feinde, der von Hohenstein vorgegangen
war. Die braven Pommern der 5.
Reserve-Brigade erstürmten die Brücke von Dröbnitz
mit dem Bajonett und begannen den jenseitigen steilen Hang zu
erklimmen.
Um diese Zeit begann auch von Norden her der Angriff gegen Hohenstein.
Am frühen Morgen war General v. der Goltz mit den
verwendungsbereiten Teilen seiner
schleswig-holsteinschen Landwehr von Biessellen an der Bahn
Osterode - Allenstein aufgebrochen und trat gegen 9 Uhr
vormittags aus dem Walde nördlich Hohenstein zum Angriff auf die
Höhen östlich des Städtchens an.
Noch weit rückwärts stand die 37.
Infanterie-Division an der Chaussee nach Osterode nördlich
Geierswalde. Sie erhielt nunmehr ebenfalls vom Generalkommando den
Befehl zum Vorgehen.
Während sich diese Dinge bei Hohenstein abspielten, waren auch bei
Soldau [306] die Ereignisse wieder ins Rollen
gekommen. General v. François hatte seine Truppen zum
konzentrischen Angriff auf Soldau bereitgestellt und gleichzeitig seine
gesamte Reiterei mit Artillerie und Radfahrern auf Neidenburg gegen die
Rückzugslinie des weiter nördlich kämpfenden Feindes
entsandt, sowie die 2.
Infanterie-Division in die Gegend südöstlich Usdau geschoben,
um sie zum Abmarsch auf Neidenburg bereit zu haben. Die 1.
Infanterie-Division, die Brigade Schmettau und die Truppen des Generals v.
Mühlmann traten zum Angriff auf Soldau an. Als bald darauf ein
Hinweis des Armeeoberkommandos einging, nach dem es von großer
Wichtigkeit sei, möglichst bald starke Teile des I. Armeekorps in
Neidenburg, Kavallerie in Willenberg zu haben, erhielt die 2.
Infanterie-Division Befehl, auf Neidenburg anzutreten.
General v. Hindenburg hatte sich am Morgen von Löbau nach
Frögenau zum Generalkommando des XX. Armeekorps vorbegeben.
Dort lief die Nachricht ein, daß die 41.
Infanterie-Division nicht vorwärtsgekommen sei, sondern wieder habe
auf die Höhen von Wronowo zurückgehen müssen.
Damit wurde die Rückzugsstraße des Feindes auf Neidenburg
wieder frei. Das durfte nicht sein. So ergänzte denn General v.
Hindenburg seinen Hinweis an das I. Armeekorps durch den Befehl, sofort
eine Division nebst den bei der Brigade Schmettau befindlichen Teilen des
XX. Armeekorps nach der Gegend nordwestlich Neidenburg antreten zu
lassen. Da man ferner Nachricht hatte, daß das XIII. rusische Korps
von Allenstein auf Hohenstein marschierte, so erging mittels Flugzeug an das
I. Reservekorps die Weisung, mit größter Beschleunigung gegen
die Linie
Stabigotten - Grieslienen an der Chaussee
Allenstein - Hohenstein vorzugehen.
Das I. Reservekorps war mit Rücksicht darauf, daß das XVII
Armeekorps nicht vor Nachmittag eintreffen konnte, mit seinen Divisionen
erst 10 Uhr vormittags zu dem befohlenen Angriff auf Allenstein angetreten.
Auf die Meldung, daß Allenstein frei sei, hatte sich General v. Below
schon selbständig entschlossen, sich weiter südlich zu wenden.
Die Divisionen wurden nun in die neue Richtung eingedreht und das XVII.
Armeekorps von der veränderten Lage unterrichtet. Dieses
Armeekorps erreichte gegen 2 Uhr nachmittags die Gegend von Wartenburg,
von wo General v. Mackensen durch einen Generalstabsoffizier im Flugzeug
Verbindung mit dem Armeeoberkommando aufnahm.
Bei Soldau hatten bis 11 Uhr vormittags die Truppen des I. Armeekorps den
Feind über den
Soldau-Abschnitt geworfen und die Stadt in Besitz genommen. Nach der
Gesamtlage schien dem Kommandierenden General eine weitere Verfolgung
dieses Feindes nicht angezeigt zu sein, sondern er sah seine Hauptaufgabe an
der Straße
Neidenburg - Willenberg. Die Brigade Schmettau hatte er
bereits der 2.
Infanterie-Division nachgesandt, nun hielt er auch die 1.
Infanterie-Division an, um sie in gleicher Richtung zu verwenden. Nur
General v. Mühlmann sollte bei Soldau verbleiben und ein erneutes
Vorgehen des Feindes verhindern.
[307] An der Chaussee
Waplitz - Neidenburg hatten sich die Verhältnisse
inzwischen günstiger gestaltet, als die von dort beim Armeeoberkommando
einlaufenden Meldungen sie erscheinen ließen. Die 41.
Infanterie-Division behauptete die Höhen von Wronowo; der Gegner
war nur langsam gefolgt. Schon brachte auch die 2.
Infanterie-Division Hilfe, die bald nach Mittag aus der Gegend westlich
Neidenburg zum Angriff in nordöstlicher Richtung schritt. Der
Division folgte dicht auf die Brigade Schmettau, und die 1.
Infanterie-Division trat von Soldau her an. Die Verlegung der
Rückzugsstraße des Feindes bahnte sich
wunschgemäß an, dank dem
Hand-in-Hand-Arbeiten von Armeeoberkommando und
Generalkommando.
Bei der um Hohenstein fechtenden deutschen Kampfgruppe hatte in der
ersten Nachmittagsstunde die 3.
Reserve-Division nach hartem Ringen mit dem sich zähe zur Wehr
setzenden Gegner Dröbnitz und die Höhen beiderseits des
Dorfes genommen. Man drängte dem Feinde scharf nach, die 5.
Reserve-Brigade rechts nach der Eisenbahn südlich Hohenstein, die 6.
links auf Hohenstein selbst. Dabei bot man dem Feinde die rechte Flanke, da
die Landwehr des Generals v. Unger angesichts des stark verschanzten
Gegners den Übergang bei Mühlen noch nicht hatte erzwingen
können. Hier hatte sich das Ausbleiben der 41.
Infanterie-Division fühlbar gemacht. General v. Morgen befahl
nunmehr dem General v. Unger durch die Waldstücke an der
Eisenbahn nördlich auszuholen. Unter dem Drucke dieses Vorgehens
räumte der Feind den Übergang; um die Höhen weiter
östlich wurde noch erbittert gerungen. Dann wich der Feind. Die
Landwehr folgte.
Nordöstlich Hohenstein hatte die Landwehr des Generals v. der Goltz
trotz ihrer schwachen Artillerie inzwischen ebenfalls in schwerem Kampfe
ihren Angriff immer weiter östlich ausholend vorwärtsgetragen.
Ihr Führer meldete bald nach Mittag voller Zuversicht, das Gefecht
stehe gut. Die Lage der braven
Schleswig-Holsteiner wurde aber am Nachmittage recht kritisch, als
nunmehr von Allenstein her Feind in ihrem Rücken erschien. Wie
General v. der Goltz vom Armeeoberkommando erfuhr, war es das XIII.
russische Korps, dem aber das preußische I. Reservekorps auf dem
Fuße folgen sollte. Der General setzte den Angriff gegen die Chaussee
Hohenstein - Schwedrich entschlossen fort, dem Feinde im
Rücken nur schwache
Infanterie-Reserven und einige eben eintreffende Batterien entgegenwerfend.
Der Angriff auf den östlich Hohenstein stehenden Feind
glückte, er wurde in Auflösung nach Süden geworfen,
seine Artillerie zum Teil genommen.
Das Armeeoberkommando beschäftigte auch am Nachmittag immer der
Gedanke, den Feind nicht nach Südosten entkommen zu lassen. Dem I.
Armeekorps wurden an der Chaussee nach Willenberg weite Ziele gesteckt.
Auch das XVII. Armeekorps sollte in südlicher Richtung auf
Ortelsburg und Jedwabno vorgehen, um die Teile des Feindes abzufassen,
die etwa versuchen sollten, durch [308] das Waldgelände zwischen
Allenstein und Neidenburg zu fliehen. Das I. Reservekorps, das man im
Rücken des XIII. russischen Korps wußte, wurde erneut zur Eile
angetrieben.
Der Kommandierende General des XX. Armeekorps wies als
Verfolgungsrichtung der 41.
Infanterie-Division Orlau, der 3. Reserve-Division Kurken zu. Von
Mühlen her hatten die Landwehrtruppen des Generals v. Unger nach
erbittertem Kampfe am Abend die Chaussee
Hohenstein - Waplitz bei Paulsgut ereicht. Nördlich von
ihnen war die 3.
Reserve-Division dem Feinde dauernd an der Klinge geblieben; wo er sich zu
setzen versuchte, wurde er geworfen; seine Verluste waren schwer. Als der
Verfolgungsbefehl anlangte, setzte General v. Morgen alle noch zur Hand
befindlichen Truppen der 5.
Reserve-Brigade in der befohlenen Richtung an. Es kam noch zu heftigem
Feuergefecht mit russischen Nachhuten in dem Buschgelände
südöstlich Hohenstein, dem erst die hereinbrechende
Dunkelheit ein Ziel setzte. Die Brigade ruhte von den heißen
Anstrengungen des Tages östlich Paulsgut.
Indessen hatte der linke Flügel der Division, die 6.
Reserve-Brigade, den Feind völlig aus den Waldstücken an der
von Westen nach Hohenstein hineinführenden Chaussee geworfen und
drang gegen den Ort vor, bei dem sich die Kampfverhältnisse immer
verworrener gestalteten. Von Westen und Südwesten strömten
russische Massen durch den Ort zurück, gefolgt von der 6.
Reserve-Brigade, während östlich der Stadt die mit der Front
nach Süden fechtenden Teile der
Landwehr-Division Goltz bereits über die Chaussee
Hohenstein - Schwedrich nach Süden vorstießen
und gleichzeitig hinter diesen, nordöstlich Hohenstein der Kampf
immer lebhafter wurde, den dort die anderen Teile der Landwehr gegen die
Anfänge des von Allenstein anrückenden XIII. russischen
Korps zu bestehen hatten. Die 6.
Reserve-Brigade stieß durch Hohenstein den Russen nach, die am
Abend auch noch von kehrtmachenden Teilen der Landwehr unter Feuer
genommen wurden. Immer schwieriger hatte sich die Lage der im
Waldgebiet nördlich Hohenstein fechtenden schwachen
Landwehr-Abteilungen gestaltet, als endlich die 37.
Infanterie-Division von Westen her herannahte und Entlastung brachte. So
lagen am Abend um Hohenstein herum Teile der
Landwehr-Division Goltz südöstlich, die 6.
Reserve-Brigade von der 3. Reserve-Division südlich der Stadt, die 37.
Infanterie-Division westlich des Ortes und endlich links von dieser der Rest
der Landwehr-Division Goltz. In den Waldstücken auf dem linken
deutschen Flügel verstummte der Gefechtslärm erst spät
in der Nacht.
Das I. Reservekorps war auf dem Hohensteiner Schlachtfelde nicht mehr
eingetroffen. Seine Divisionen waren bereits im Waldgelände
östlich der Eisenbahn auf Feind gestoßen. Es kam zu blutigen
Waldkämpfen, in denen der Russe Meister war, und die bis in die
frühen Morgenstunden des 29. währten. Dann blieben die
Divisionen zu kurzer Rast an der Chaussee nördlich Stabigotten.
[309] General v. Below legte den
Divisionskommandeuren nochmals ans Herz, daß es darauf ankomme,
frühestens auf Hohenstein vorzustoßen, um den Feind zu
vernichten.
Das XVII. Armeekorps erhielt den Befehl zum Abmarsch nach Süden
während der Rast bei Wartenburg. General v. Mackensen ließ
seine Divisionen mit weitgesteckten Zielen nach Süden antreten; sie
gelangten auf tiefen, sandigen Wegen noch bis in die Gegend nördlich
Passenheim, fliegende Kolonnen bis über Ortelsburg hinaus. Feind
wurde nicht getroffen.
Auf dem rechten deutschen Flügel war die 41.
Infanterie-Division nach den mehrfachen Rückschlägen, die sie
erlitten hatte, in der Gegend von Wronowo verblieben. Die 2.
Infanterie-Division hatte gegen 5 Uhr nachmittags den
gegenüberstehenden Feind zum Weichen gebracht, sie stieß ihm
noch nach und gelangte bis nordwestlich Neidenburg, wo mit Einbruch der
Dunkelheit der Kampf endete. Der Feind ging in nordöstlicher
Richtung zurück. Die Brigade Schmettau war westlich Neidenburg in
den Kampf getreten; sie nahm den Ort, stieß hindurch und ging
östlich von ihm zur Ruhe über. Auch von der 1.
Infanterie-Division, die südlich ausgeholt hatte, rückte in
später Nachtstunde noch eine Brigade in den Ort ein, die andere
verblieb südlich davon.
Wenn auch die beiden zur Umzingelung des Gegners von Osten und
Süden angesetzten Armeekorps nicht hatten so weit gelangen
können, wie das Armeeoberkommando es erhofft hatte, so begann sich
doch immerhin der große Ring zu schließen, und die Truppen
hatten jedenfalls in Marsch und Gefecht das Menschenmöglichste
geleistet. General v. Hindenburg hatte sich am Nachmittage von
Frögenau nach Tannenberg vorbegeben. Er hatte den
günstigsten Eindruck vom Stande der Schlacht. Sie schien gewonnen.
Das I. Armeekorps wußte man in der Verfolgung bei Neidenburg; in
der Mitte hatte die 3.
Reserve-Division den Feind geschlagen und drängte ihm scharf nach;
bei Hohenstein stand alles gut, das I. Reservekorps hatte den Feind im
Rücken gefaßt, am Abend mußte auch das XIII. russische
Korps vernichtet sein. Die Blicke lenkten sich auf Rennenkampf, dessen
Südflügel über Friedland zu marschieren schien, man
glaubte schon Teile der Armee zur Verwendung gegen ihn bereitstellen zu
können. So wurde denn befohlen, daß den geschlagenen Feind
weiter zu verfolgen hatten: das I. Armeekorps auf
Willenberg - Myszyniec, das XX. und die 3.
Reserve-Division auf Ortelsburg. Die Landwehrtruppen und
Festungsbesatzungen sollten westlich des von Allenstein nach Neidenburg
ziehenden Waldgeländes gesammelt, das I. Reservekorps bei Allenstein,
das XVII. Armeekorps bei Guttstadt bereitgestellt werden. Dann begab sich
das Armeeoberkommando nach Osterode.
Hier erkannte man abends, daß die Kämpfe bei Hohenstein noch
nicht abgeschlossen seien. Der Befehl wurde abgeändert, das I.
Reservekorps sollte mit je einer Division auf Hohenstein und Wuttrienen
gehen, das XVII. vorläufig bei seinen Unterkunftsorten bereitstehen,
die 1.
Kavallerie-Division, die am Nach- [310] mittag eine feindliche bei Rössel
geworfen hatte, eine Brigade zur Teilnahme an der Verfolgung über
Ortelsburg entsenden.
Der Morgen des 29. August, der vierte Schlachttag, brachte endlich die
Vollendung der Kämpfe bei Hohenstein. Nach kurzer Ruhe hatten
sich die Divisionen des I. Reservekorps auf Chaussee und Eisenbahn, auch
alle anderen Wege und Schneisen ausnutzend, auf Hohenstein in Bewegung
gesetzt, als beim Generalkommando der Befehl einging, nach dem eine
Division auf Wuttrienen marschieren sollte. General v. Below bildete aus
seinen Verfügungstruppen eine gemischte Abteilung und entsandte sie
auf Wuttrienen.
Das Armeekorps trat bald ins Gefecht mit den Russen, die sich gezwungen
sahen, nördlich Hohenstein nach allen Seiten Front zu machen.
Grieslienen wurde genommen, zwischen Eisenbahn und Gr. Plautziger See
drangen die deutschen Abteilungen in den Wald ein, in dem ein heftiger
Nahkampf entbrannte. Gegen 7 Uhr morgens griff von Westen die 37.
Infanterie-Division ein. Ihr sowohl, wie dem I. Reservekorps warf der Feind,
der sich verzweifelt wehrte, immer neue Abteilungen entgegen, unter deren
Schutz er versuchte, mit Teilen noch am Südrand des Sees entlang zu
entkommen. Hier aber schob die Gruppe der
Landwehr-Division Goltz, die südöstlich Hohenstein
genächtigt hatte, unter General v. Oertzen den Riegel vor und nahm
den Feind unter ihr Feuer. Auch die 6.
Reserve-Brigade von der 3. Reserve-Division beteiligte sich hier noch an der
Umzingelung des Feindes.
Der Divisionskommandeur hatte am frühen Morgen zunächst
die 5. Brigade, bei der sich der Divisionsstab befand, und die Landwehr des
Generals v. Unger gesammelt und die Verbindung zwischen den beiden
Brigaden hergestellt, die am Abend im heißen Drange, dem Feinde auf
den Fersen zu bleiben, verloren gegangen war. Da traf vom
Generalkommando XX. Armeekorps die Weisung zum Vorgehen über
Kurken und Wuttrienen ein. General v. Morgen sandte die
Divisionskavallerie mit einer Batterie auf Schwedrich voraus, die 5.
Reserve-Brigade sollte über Lautern, die 6. über Schlaga folgen.
Nach kurzem, heftigem Kampfe erstürmte diese Brigade die Enge von
Schlaga, die nunmehr von den Landwehrtruppen des Generals v. Oertzen
benutzt wurde, während die Brigade selbst auf Schwedrich
weiterging. Damit war das Schicksal der Russen, die sich noch westlich des
Gr. Plautziger Sees befanden, besiegelt; der letzte Ausweg war versperrt.
Was dem konzentrischen Feuer des Angreifers nicht zum Opfer gefallen war,
ergab sich schließlich.
Bei diesem konzentrischen Vorwärtsdringen auf Hohenstein und die
Höhen östlich des Ortes, wie es die beiden letzten Tage mit sich
gebracht hatten, waren die verschiedenen deutschen Abteilungen in
ungewöhnlicher Weise durcheinander geraten, wobei es nicht zu
vermeiden gewesen war, daß man ins eigene Artilleriefeuer geriet. Man
griff zu den drastischsten Mitteln, um sich als deutsche Truppe [311] kenntlich zu machen, Flaggenzeichen,
Hornsignale; schließlich, als alles nichts half, nahm man die
Helmüberzüge ab.
Die 37. Infanterie-Division hatte an den letzten Kämpfen nicht mehr
teilgenommen. Das Armeeoberkommando, dem viel daran lag, bald bei
Allenstein Kräfte zur Verfügung zu haben, hatte dem
Generalkommando XX. Armeekorps befohlen, sobald wie möglich
eine Division bereitzustellen. General v. Scholtz hatte die 37.
Infanterie-Division bestimmt; sie lagerte am Abend längs der
Straße Hohenstein - Allenstein. Auch das I. Reservekorps
sollte alles, was freigemacht werden konnte, nach Allenstein entsenden. Es
war zunächst nur eine Brigade der 36.
Reserve-Division, die noch am späten Abend dorthin marschierte. Die
1. Reserve-Division lagerte am Westrande des Gr. Plautziger Sees. Der
Kommandeur der 36.
Reserve-Division war mit den ihm verbliebenen Teilen bis Schlaga
durchgestoßen. Dort hörte man Gefechtslärm von
Schwedrich her. Der Divisionskommandeur setzte sich noch am
Südrande des Sees entlang in Bewegung, um einzugreifen.
Die Kavallerie der 3. Reserve-Division war bei Schwedrich auf feindliche
Nachhuten gestoßen, während in ihrem Rücken der
Kampf bei Hohenstein noch tobte. Stärkere Teile der Division
mußten eingesetzt werden, um die Enge zu öffnen. Die
Verfolgung ging weiter; am Abschnitt von Kurken ließ es der Feind
nicht mehr auf längeren Kampf ankommen. Die Truppen der Division
ruhten am Abend um Kurken. Die Teile der 36.
Reserve-Division waren nicht mehr zum Eingreifen gekommen; sie verblieben
am Südrande des Gr. Plautziger Sees.
Die auf Wuttrienen entsandte Abteilung des I. Reservekorps faßte nach
kurzem Kampfe mit der Bedeckung ungeheuere Mengen russischer Bagagen
und Kolonnen. Dann stieß sie südlich Wuttrienen auf Reiter
der 3. Reserve-Division, von denen man erfuhr, daß diese Division
bereits bei Kurken sei. Da machte die Abteilung halt.
Die Landwehrtruppen hatten sich befehlsgemäß gesammelt; die
des Generals v. der Goltz blieben bei Hohenstein, die des Generals v. Unger
lagerten östlich Waplitz an der Eisenbahn nach Neidenburg.
Ruhepause nach der Schlacht.
[304a] Phot. R.
Sennecke, Berlin
|
Auch von der bei Neidenburg fechtenden Kampfgruppe wurde alles daran
gesetzt, die Trümmer des geschlagenen Feindes nicht entkommen zu
lassen. Bereits in den ersten Morgenstunden war die Brigade Schmettau,
rechts begleitet von der Kavallerie des I. Armeekorps, auf Willenberg
aufgebrochen. Unterwegs stieß sie mehrfach auf feindliche
Abteilungen, Kolonnen, Bagagen, die in wilder Hast der Grenze zustrebten.
Sie wurden zersprengt, gefangen genommen, in die Wälder
nördlich der Chaussee zurückgejagt. Am Abend wurde
Willenberg erreicht und vom Feinde gesäubert. Die Kavallerie
verblieb in Gr. Dankheim.
Für die beiden Divisionen des I. Armeekorps war es schwer, ein klares
Bild zu gewinnen, da aus jedem Busch, jedem Gehöft, jeder Hecke
Infanteriefeuer [312] von versprengten russischen Abteilungen
kam. Die 1.
Infanterie-Division trat östlich Neidenburg ins Gefecht mit
stärkerem Feinde,. der aus den Forsten nördlich der Chaussee
nach Willenberg heraustrat; sie warf ihn in den Wald zurück. Links
von ihr erwehrte sich die 2.
Infanterie-Division bis zum Abend immer neuer feindlicher Abteilungen, die
durchzubrechen versuchten. Sie blieb während der Nacht bei
Grünfließ nordöstlich Neidenburg. Weiter nördlich
hatte die 41.
Infanterie-Division keinen Feind mehr zu fassen bekommen.
Das Generalkommando I. Armeekorps hatte Meldungen, daß sich
neuer Feind von Mlawa auf Neidenburg vorbewegte. Sie hatten nicht
vermocht, den Kommandierenden General von der Fortsetzung der
Verfolgung in östlicher Richtung abzuhalten, um so weniger, als man
im Laufe des Tages immer mehr zu der Überzeugung kam, daß
sich im Waldgelände nördlich der Straße
Neidenburg - Willenberg noch große Massen von Russen
befanden. General v. François ordnete daher am Abend an, daß
die 1.
Infanterie-Division noch am selben Tage die Chaussee von Muschaken bis
Willenberg zu sperren habe, während die 2.
Infanterie-Division am 30. August von Grünfließ nach Osten
vorstoßen sollte. Die 1.
Infanterie-Division trat an und besetzte im Laufe der Nacht alle Ortschaften
von Muschaken bis Gr. Dankheim, wobei noch manche
Durchbruchsversuche des verzweifelten Feindes verhindert wurden.
Gleichzeitig strebte östlich des Waldgebietes das XVII. Armeekorps
den Rückzugsstraßen des Feindes zu. Die Abendbefehle des
Armeeoberkommandos, die bereits eine Bereitstellung gegen Rennenkampf
vorsahen, waren nicht zum Generalkommando gelangt. Die 36.
Infanterie-Division sperrte in einer weiten Aufstellung vom
Kosno-See westlich Passenheim bis südlich Jedwabno das
Waldgelände ab, während östlich von ihr die 35. in
mehreren Kolonnen nach Süden marschierte. Die östliche traf
in Ortelsburg auf feindliche Kavallerie, die angegriffen und geworfen wurde.
In dieses Gefecht griff auch bereits die von der 1.
Kavallerie-Division entsandte 1. Kavallerie-Brigade ein. Die andere Kolonne
gelangte bis zum frühen Morgen des 30. bis in die Nähe der
Chaussee Muschaken - Willenberg, wo sie sich die Hand mit
der 1. Infanterie-Division reichte. Der große Ring um das
Waldgelände war geschlossen, wenn er auch noch Lücken
aufwies, ein Erfolg, den zu erringen alle Führer des I. und XVII.
Armeekorps gewetteifert hatten. Die Früchte sollten in den
nächsten Tagen geerntet werden.
Gegen Norden und Nordosten beobachtete indes die nur noch zwei Brigaden
starke 1.
Kavallerie-Division. Sie wich aus der Gegend von Rössel vor stark
überlegener Kavallerie nach Lautern aus, wo sie noch die 6.
Landwehr-Brigade wußte und wo sie am Abend verblieb,
während die
Landwehr-Brigade auf Befehl des XVII. Armeekorps nach Bischofsburg
abrückte.
Der Oberbefehlshaber der 8. Armee hatte im Laufe des Tages die
Überzeugung gewonnen, daß seine Absicht, Vernichtung der
Narew-Armee, der Vollendung entgegenging. Der engere Ring um das
russische XIII. Korps bei
Hohen- [313] stein war geschlossen; was hier entkam,
mußte in den weiteren Ring geraten, der sich um
Neidenburg - Willenberg - Ortelsburg -
Passenheim bildete und in dem sich anscheinend ohnehin noch große
Massen des Gegners mit viel Kriegsmaterial befanden. Der gewaltige Kampf,
der nun schon vier Tage währte, neigte sich zum Ende. Die
Aufmerksamkeit des Armeeoberkommandos wandte sich in erhöhtem
Maße den Operationen gegen die Armee Rennenkampfs zu, in denen
die nächste Aufgabe zu bestehen hatte. Die Meldungen, die bis zum
Abend über diese Armee vorlagen, ließen erkennen, daß
sie sich etwas nach Westen vorgeschoben hatte. Ihre Masse hatte die Linie
Tapiau - Domnau erreicht, starke Kavallerie war nach Kampf
mit einer schwachen deutschen Landsturmabteilung in Bartenstein
eingerückt, andere hatte sich von Landsberg in südwestlicher
Richtung vorbewegt. Zuverlässige Nachrichten besagten, daß die
Hauptaufgabe dieser Armee in der Einschließung der Festung
Königsberg bestehe. Freilich schienen sich aber auch Teile in
südlicher Richtung gegen den Rücken der 8. Armee zu
wenden.
Auf dieser Grundlage gab das Armeeoberkommando am Abend seine
Anordnungen für den 30. August. Sie bestimmten, daß das XVII.
und I. Armeekorps, die 41.
Infanterie- und 3. Reserve-Division die Einschließung des Feindes zu
vollenden hatten, wobei sich die beiden Armeekorps vollends die Hand
reichen sollten. Dem XVII. Armeekorps wurde schon mitgeteilt, daß es
nach Erledigung dieser Aufgabe in die Gegend nördlich Allenstein
gezogen werden sollte, während die 41.
Infanterie-Division bei Kurken, die 3. Reserve-Division bei Wuttrienen sich zu
sammeln hatten. Die 37.
Infanterie-Division sollte südöstlich, das I. Reservekorps links
anschließend beiderseits Allenstein sich zur Verteidigung einrichten,
die 6. Landwehr-Brigade nach Allenstein heranrücken, die
Landwehr-Division Goltz hinter den linken Flügel des I. Reservekorps
marschieren, General v. Mühlmann Mlawa besetzen.
Freilich mußte man damit rechnen, daß das Ordnen der
Verbände, die Neuregelung der rückwärtigen
Verbindungen, das Abschieben der Gefangenenmassen noch Zeit und
Mühe erforderte und daß auch die Truppen nach den
Leistungen der letzten Tage der Ruhe bedurften. Aber der Oberbefehlshaber
hatte am Abend in Osterode das stolze Bewußtsein, einen großen
Sieg errungen und wenigstens eine der beiden russischen Armeen vom
Kampfplatz entfernt zu haben, wenn sich auch die volle Bedeutung des
Erfolges noch nicht übersehen ließ. In der Nacht kam noch
erfreuliche Kunde aus Lötzen, wohin nur Brieftaubenverbindung
bestand. Ein russischer Überfall am 28. war abgewiesen; die
Aufforderung zur Übergabe hatte der Kommandant, Oberst Busse,
mit stolzen Worten abgelehnt, obwohl er über die Lage bei der 8.
Armee nicht unterrichtet war. Jetzt schien sich der Feind östlich der
Festung eingraben zu wollen.
Am frühen Morgen des 30. August zeigte es sich, daß die
Kavallerie [314] Rennenkampfs sich von Landsberg bereits
Wormdritt näherte und auch von Bartenstein und Heilsberg vorging.
Sie näherte sich damit bereits bedenklich den
Nachschub-Bahnlinien der Armee. Ob Infanterie folgte, wußte man
nicht. Immerhin wurde der Gouverneur von Königsberg angewiesen,
für den Fall, daß sich die Hauptkräfte Rennenkampfs
nach Süden wenden sollten, mit der Hauptreserve der Festung den
Feind anzugreifen.
Es folgten neue Überraschungen, die geeignet waren, das Einbringen
der Früchte des Sieges in Frage zu stellen. An der Straße
Angerburg - Rastenburg - Rössel hatten Flieger
stärkere feindliche Kräfte beobachtet; von Fürstenwalde
marschierte auf Ortelsburg Infanterie, anscheinend auch eine
Kavallerie-Division. Und vor allem war eine lange feindliche Kolonne
erkannt, die man auf ein Armeekorps ansprechen mußte, im Marsch
von Mlawa auf Neidenburg. Die Abwehr eines von Rössel
anmarschierenden Feindes wurde der 1.
Kavallerie-Division übertragen. Konnte man ferner annehmen,
daß sich das XVII. Armeekorps des Feindes bei Ortelsburg selber
erwehren werde, so kam der von Mlawa anrückende Feind dem I.
Armeekorps in bedenklicher Weise in den Rücken, umso mehr, als
man dieses an der Straße
Muschaken - Willenberg im Kampfe gegen die von Norden
durchbrechenden Reste der
Narew-Armee wußte. Hier schien schnelle Hilfe not zu tun. Die
Landwehr-Division Goltz, General v. Unger, die 41.
Infanterie-Division, die 3. Reserve-Division, General v. Mühlmann, alle
erhielten Befehl, auf Neidenburg zu Hilfe zu eilen.
Indessen setzten die Divisionen des I. Armeekorps die Verfolgung in
östlicher Richtung fort, unbekümmert um den auf Neidenburg
anrückenden Feind. Die 2.
Infanterie-Division drang durch das Waldgelände nördlich der
Chaussee vor, während die 1. zunächst in ihrer Sperrstellung
verblieb, um sich dann auch in nordöstlicher Richtung in Bewegung
zu setzen. Erst als gegen 10 Uhr vormittags der Feind von Süden her
Schützen gegen Neidenburg entwickelte und die vorgeschobenen
deutschen Sicherungen angriff, wurden einzelne Bataillone und Batterien
durch das Generalkommando herangezogen, die auf die Höhen
östlich Neidenburg rückten, wo der Kommandeur der 2.
Infanterie-Division, General v. Falk, den Befehl übernahm. General v.
Mühlmann wurde zum Eingreifen aufgefordert. Die Masse des
Armeekorps drängte weiter den Feind dem XVII. Armeekorps und
der Brigade Schmettau entgegen. Alle Durchbruchsversuche wurden
vereitelt. Die Beute stieg gewaltig. Am Abend lagerten die Gros der beiden
Divisionen des I. Armeekorps an und nördlich der Chaussee
Muschaken - Gr. Dankheim, die Brigade Schmettau in
Willenberg. Kavallerie, die von Willenberg auf Ortelsburg ritt, traf halbwegs
auf eine fliegende Kolonne des XVII. Armeekorps. Man hatte sich also auch
hier in der Verfolgung die Hand gereicht.
Die Divisionen des XVII. Armeekorps hatten, in der Erkenntnis, daß
der Feind nicht nach Osten, sondern nach Südosten zu entkommen
suchte, ihr Schwer- [315] gewicht immer weiter nach Süden
verlegt. In den Ortschaften nördlich der Chaussee
Muschaken - Willenberg stießen hierbei mehrfach
Truppen des I. und XVII. Armeekorps zusammen, wobei es nicht geringe
Schwierigkeiten bereitete, Freund und Feind zu unterscheiden. Auch das
Generalkommando in Passenheim war dauernd bestrebt, die Lücke,
die es noch zwischen seinen Truppen und denen des I. Armeekorps annahm,
zu schließen, und setzte alle Kräfte, auch die in Ortelsburg
befindlichen, entsprechend in Marsch. Da kam gegen Mittag die
überraschende Mitteilung, starker Feind habe von Myszyniec her
bereits Ortelsburg erreicht. Die 36.
Infanterie-Division wurde angewiesen, dorthin kehrt zu machen. Sie sammelte
ihre Kräfte, trat an. Unterwegs stellte sich heraus, daß der Feind
bereits geworfen war. Die Division verblieb westlich Ortelsburg.
In Ortelsburg hatte sich nur noch der Stab der 35.
Infanterie-Division mit einer schwachen Infanterieabteilung befunden, als am
frühen Vormittag Feind in Stärke einer
Infanterie-Division von Osten und Nordosten zum Angriff schritt. Ein
Ordonnanzoffizier, der auf Willenberg entsandt wurde, um die dorthin
angesetzte fliegende Kolonne zurückzuholen, traf zuerst auf die
Kavallerieabteilung des I. Armeekorps, die sofort flankierend von
Süden gegen die Russen vorging; bald folgte die Artillerie der
fliegenden Kolonne. Auch von Nordwesten kam Hilfe durch eine mit dem
Absuchen des Waldgebietes beschäftigte Abteilung der 36.
Infanterie-Division. Diesen vereinten Kräften gelang es am Nachmittage,
den Feind zu werfen, der in südöstlicher Richtung abzog. Die
Gefahr bei Ortelsburg war beseitigt.
Bei Neidenburg hatte sich der Feind am Nachmittage ziemlich ruhig
verhalten. Erst am Abend erfolgte ein neuer starker Vorstoß, vor dem
die Stadt geräumt werden mußte. Die vom Armeeoberkommando
herbeibeorderten Kräfte waren aber im Anmarsch, und am Abend
stand General v. Unger nordwestlich der Stadt: westlich von ihm traf
General v. der Goltz ein, östlich setzte sich die 41.
Infanterie-Division zwischen die Truppen des Generals v. Unger und die des
Generals v. Falk. Von Soldau her war General v. Mühlmann in die
Gegend südwestlich der Stadt gelangt. Die 3.
Reserve-Division erhielt den Befehl, auf Neidenburg zu rücken, erst
spät in der Nacht in Wuttrienen und verschob den Aufbruch auf die
Frühe des 31. Jedenfalls waren hinreichende Kräfte bei
Neidenburg versammelt, mit denen General v. François beabsichtigte,
am 31. morgens konzentrisch anzugreifen. Die Fortsetzung der Verfolgung
durch die Masse des I. Armeekorps hatte sich gelohnt. Das Armeekorps hatte
am Abend 20 000 Gefangene, darunter die Kommandierenden
Generale des XIII. und XV. russischen Korps.
Die Vorgänge bei Neidenburg hatten einen Teil der Kräfte, die
das Armeeoberkommando als erste Abwehrstaffel gegen Rennenkampf hatte
bereitstellen wollen, wieder in anderer Richtung abgezogen. Immerhin
lagerte am Abend südöstlich Allenstein die 37.
Infanterie-Division und links neben ihr, südlich und [316] westlich der Stadt, waren die Divisionen
des I. Reservekorps versammelt. Auch die 6.
Landwehr-Brigade war bis Wartenburg herangekommen. Die
Schanzarbeiten in der von General v. Below ausgesuchten Stellung sollten
am 31. morgens beginnen.
[316]
Skizze 11: Schlacht bei Tannenberg - Endlage.
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Von Rennenkampf wußte man beim Armeeoberkommando nicht viel
Neues. Die Lage bei Ortelsburg schien das XVII. Armeekorps in Ordnung
gebracht zu haben. Es erhielt die Weisung, am nächsten Tage mit
diesem Feinde, der sich als ein Teil des am 26. geschlagenen VI. russischen
Korps herausgestellt hatte, "ganze Arbeit zu machen", sich dann aber
zwischen Passenheim und Ortelsburg zum Abmarsch in anderer Richtung
bereitzustellen. Auch über Neidenburg konnte man beruhigt sein; es
waren genügend Kräfte vereinigt. Und die 1.
Kavallerie-Division meldete, daß sich bei Rössel kein starker
Feind befände. Soweit waren wieder alle Sorgen zerstreut, die am
Morgen aufgetaucht waren. Unangenehm blieb nur die starke russische
Kavallerie, deren Abteilungen sowohl südlich am [317] Königsberg vorbei weit nach
Westen ritten und, was noch mehr als störend empfunden werden
mußte, auch von Süden her die rückwärtigen
Verbindungen des rechten Armeeflügels bedrohten. Hier mußte
man allmählich an eine stärkere Sicherung denken, wozu die
Thorner Festungsbesatzungen in Aussicht genommen wurden.
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Bei Neidenburg kam es am 31. August nicht mehr zu ernstem Kampf. Vor
dem konzentrisch angesetzten Angriff gingen die Russen über die
Grenze zurück. Man hatte nur noch Gelegenheit, den abziehenden
Feind durch Feuer zu schädigen. General v. Mühlmann
sammelte seine Kräfte wieder bei Soldau, die übrigen
Verbände lagerten um Neidenburg herum. In den ersten
Nachmittagsstunden traf auch von Wuttrienen her die 3.
Reserve-Division ein, die ihre Lager an der Chaussee
Neidenburg - Willenberg zwischen den beiden Divisionen des I.
Armeekorps aufschlug. An dieser Chaussee war es während der
ganzen Nacht vom 30. zum 31. noch recht heiß hergegangen. Starke
russische Abteilungen versuchten sich in nächtlichem Massenangriff
durch die weit auseinandergezogenen deutschen Abteilungen
durchzuschlagen. Alle Versuche scheiterten. Der heranbrechende Morgen
beleuchtete ein grausiges Bild. Tausende von Russenleichen bedeckten die
Walstatt, zahllose Pferde irrten umher und fanden sich in Herden
zusammen, ganze Batterien mit Mannschaften, Bespannung,
Geschützen und Fahrzeugen lagen zusammengeschossen am Boden.
Vor den schwachen Teilen des XVII. Armeekorps ergaben sich
schließlich 20 000 Mann mit über 100 Geschützen.
Besonders blutig waren die Verluste vor der 1.
Infanterie-Division gewesen, in deren vernichtendem Feuer russische
Regimenter, durch Gesänge sich gegenseitig anfeuernd, zum
Massenstoß vorgegangen waren.
In den Waldungen bei Willenberg vollendete sich auch das Geschick des
Oberbefehlshabers der
Narew-Armee. Ssamsanow hatte gegenüber dem
größeren deutschen Führer das Schicksal seiner Armee
nicht wenden können. Den ersehnten Tod durch die feindliche Kugel
hatte der unglückliche Feldherr nicht finden können. Er gab
sich ihn selbst.
Noch am Vormittage begann man beim I. wie beim XVII. Armeekorps, die
ungeheuren Gefangenenmassen zurückzuführen. In endlosen
Zügen, truppweise zu 2.000 zusammengestellt, wanderten sie nach den
Einladebahnhöfen in Neidenburg und Gilgenburg, wo schleunigst
bereitgestellter Landsturm ihrer harrte. Auch mit dem Aufräumen des
gewaltigen Schlachtfeldes wurde begonnen.
Die 1. Kavallerie-Brigade folgte den von Ortelsburg
zurückgegangenen Resten des VI. russischen Korps auf Friedrichshof.
Nur Nachzügler wurden noch angetroffen. Auch gegen die deutschen
Patrouillen setzte der Feind sich nicht mehr zur Wehr.
Die Nachrichten über diesen Stand der Dinge trafen im Laufe des
Tages im Hauptquartier des Generals v. Hindenburg ein. Nun war die
Schlacht beendet; auch alle Versuche des Feindes, seine eingeschlossenen
Korps durch
Vor- [318] stöße von außen her noch zu
retten, waren endgültig abgewiesen. Den Oberbefehlshaber
beschäftigte nun die Frage: war Rennenkampf so nahe gerückt,
daß man Teile der Armee zur Abwehr einsetzen mußte, oder
konnte sich der Neuaufmarsch der Armee ohne Rücksicht auf
Bedrohung durch den Feind vollziehen. Auch der
Flanken- und Rückenschutz in südlicher Richtung bei den
neuen Operationen war zu erwägen.
Beiderseits Allenstein schanzten derweilen das I. Reservekorps und die 37.
Infanterie-Division. Noch hatte man kein Anzeichen dafür, daß in
den Absichten Rennenkampfs eine Änderung eingetreten sei. In den
ersten Nachmittagsstunden kam es an der Chaussee
Wartenburg - Allenstein noch zum Kampf zwischen starker
russischer Kavallerie, die vom Osten durchgestoßen war, und Teilen
der nach Allenstein heranrückenden 6.
Landwehr-Brigade, in den auch noch Teile der 36.
Reserve-Division eingriffen, worauf der Feind wich. Da änderte sich
mit einem Male das Bild. Man bekam beim Armeeoberkommando
Nachrichten, nach denen Rennenkampf rückgängige
Bewegungen vornahm; sicherlich war das auf seinem Südflügel
der Fall, wo man Kolonnen im Marsch über Barten auf Angerburg
beobachtet hatte. Und am späten Abend gewann man den Eindruck,
daß Rennenkampf seine Armee in die Linie
Deime - Wehlau - Angerburg zurückschwenken
ließ, in der er anscheinend den Kampf aufnehmen wollte.
Auf der Walstatt des gewaltigen Ringens um
Hohenstein - Gilgenburg -
Neidenburg - Ortelsburg stand nur noch einer der beiden Streiter. Die
Bedeutung des Erfolges war in ihrer ganzen Größe erst
allmählich klar geworden. Am 29. August hatte General v. Hindenburg
dem Kaiser den "völligen Zusammenbruch der russischen 2. Armee"
melden können. Am 31. konnt er seine Meldung ergänzen:
"Euer Majestät melde ich
alleruntertänigst, daß sich am gestrigen Tage der Ring um den
größten Teil der russischen Armee geschlossen hat. XIII., XV.,
XXIII. Korps sind vernichtet. Es sind bis jetzt über 60 000
Mann Gefangene, darunter die Kommandierenden Generale des XIII. und
XV. Armeekorps. Die Geschütze stecken noch in den Waldungen und
werden zusammengebracht. Die Kriegsbeute, im einzelnen noch nicht zu
übersehen, ist außerordentlich. Außerhalb des Ringes
stehende Korps, das I. und VI., haben ebenfalls schwer gelitten, sie setzen
fluchtartig den Rückzug fort über Mlawa und
Myszyniec."
Die Gesamtzahl der Gefangenen steigerte sich noch auf an die
100 000 Mann; dieser Zahl entsprach auch die Beute an
Kriegsmaterial.
In den entscheidenden Tagen hatten Führung und Truppe ihr Bestes
gegeben. Krisen waren dauernd aufgetreten. Dauernd schien es, als ob der
Erfolg doch nicht in dem erstrebten Maße erreicht würde.
Schwierig war die Führung gewesen durch die ungeheure
Ausdehnung des Schlachtfeldes, die alle Schlachtfelder von 1870 weit
übertraf, schwierig auch bei der Trennung der [319] Armee in einzelne Gruppen, zwischen
denen der Feind stand. Am Einkreisungsplan wurde aber vom
Oberbefehlshaber trotz aller Widrigkeiten mit eiserner Tatkraft
festgehalten. General v. Hindenburg wollte nicht schlagen, er wollte
vernichten. Und er vernichtete.
Die Führung hatte das Höchste verlangt, die Truppen willig das
Äußerste geleistet. Bei ihnen hatten nicht nur die tagelangen
Kämpfe die höchste Aufopferung gefordert, es waren die
gewaltigen Marschanstrengungen auf tiefen sandigen Wegen bei
großer Augusthitze dazugekommen, bei kärglicher Verpflegung
und mangelhafter Wasserversorgung. In ihrem Ertragen, wie in den
Leistungen des Kampfes hatten Aktive, Reserve und Landwehr
gewetteifert.
Seine Majestät der Kaiser erkannte die Leistungen beider, des
Führers sowohl wie der Truppe, dankbar an. Schon am 29. August
erreichte den General v. Hindenburg ein Telegramm, das ihm den Dank
seines Kaisers, wie des Vaterlandes übermittelte. Und auf seine
Meldung vom 31. August folgte eine neue Depesche:
"Ihr Telegramm vom heutigen Tage hat mir
eine unsagbare Freude bereitet. Eine Waffentat haben Sie vollbracht, die
nahezu einzig in der Geschichte Ihnen und Ihren Truppen einen für
alle Zeiten unvergänglichen Ruhm sichert und, so Gott will, unser
teures Vaterland für immer vom Feinde befreien wird. Als Zeichen
meiner dankbaren Anerkennung verleihe ich Ihnen den Orden pour le
mérite und ersuche Sie, den braven, unvergleichlichen Truppen
Ihrer Armee für ihre herrlichen Taten meinen Kaiserlichen Dank
auszusprechen. Ich bin stolz auf meine preußischen
Regimenter."
Die Truppen waren im Bewußtsein ihrer Leistungen trotz aller
Mühsale und Anstrengungen in gehobener Stimmung. Sie hatten das
stolze Gefühl, dem Feinde ihre Überlegenheit bewiesen zu
haben. Freilich hatten sie auch tagelang dem Tode ins Auge geblickt, hatten
schwere Verluste ertragen, hatten manche Kameraden neben sich fallen
sehen. So kam es denn, daß sich mit dem Siegesbewußtsein eine
ernste, feierliche Stimmung verband. Überall in den Lagern und an
den Wachtfeuern erklangen die alten deutschen
Kampf- und Siegeslieder. Vor allem war es der Choral von Leuthen, den
man allenthalben an den lodernden Biwaksfeuern erschallen hörte,
der Choral, den 157 Jahre vorher auf Schlesiens Fluren des Großen
Königs Grenadiere anstimmten, nachdem in gleicher Weise die
überlegene Führung und die schlagfähigere Truppe den
an Zahl weit stärkeren Feind niedergerungen und aus hoffnungslos
erscheinender Lage einen glänzenden Sieg gemacht hatten.
Das gewaltige Ringen sollte einen alten Schlachtennamen wieder erstehen
lassen. General v. Hindenburg hatte Seine Majestät gebeten, den
Kämpfen die Bezeichnung "Schlacht bei Tannenberg" zu geben, zur
Erinnerung daran, daß im Jahre 1914 die Scharte von 1410 auf weiter
Linie um jenen alten Kampfplatz herum gründlichst ausgewetzt
worden war.
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