[114] Die Behandlung der kriegsgefangenen deutschen Offiziere Worüber beschwerten sich die französischen Offizire in Deutschland? Nach dem Régime des prisonniers de guerre von Louis Renault über unzureichende Menüs und Eintönigkeit der Nahrung, über die Universalsoße, die man in Neiße "Omnibus" getauft hatte, über die "bloß abgekochten" Kartoffeln oder das "bloß abgekochte" Fleisch, über die Wurst, die noch schlechter gewesen sei als im Frieden, über das Fehlen von Getränken usw. Doch stellt das Régime trotz verschiedener Einzelbeanstandungen fest, daß die schlimmsten Leiden der französischen Offiziere in Deutschland moralischer Art gewesen seien. Sie beklagen sich über das "milieu violemment hostile", über tyrannische Aufsicht, zu viel Appells und die Neugier der Bevölkerung, die sie mit dem Opernglas gemustert hätte; in Halle hätte sich ein Oberstleutnant auch einmal zu dem Ausruf verstiegen: "Diese Taugenichtse von Offizieren der Republik (voyous d'officiers de la république)." Dagegen war in Frankreich nach dem Régime alles herrlich, und die Lage der deutschen Offiziere wird in den glänzendsten Farben geschildert. Sie seien in Schlössern, befestigten Plätzen und alten Klöstern untergebracht, in geräumigen, gut beleuchteten und geheizten Zimmern, in schönen Gegenden mit der Möglichkeit weiter Spaziergänge, also im allgemeinen vortrefflich. [115] Demgegenüber erhob die deutsche Denkschrift: Deutsche Kriegsgefangene in Feindesland. Amtliches Material. Frankreich 1919 aber folgende Anklagen: St. Angeau: Lager ein altes Schloß aus dem 15. Jahrhundert, das schon seit einer Reihe von Jahren nicht mehr bewohnt wird und voll Ungeziefer steckt. Die Räume sind feucht, der bauliche Zustand schlecht. Als Lagerstätte dienen verwanzte Strohsäcke, Schränke und Kleidergestelle sind nicht vorhanden, auch keine Tische, statt dessen Kinderschulbänke mit je vier Sitzen für etwa 20 Mann. Keine Badegelegenheit. "Was braucht man im Winter zu baden", sagt der Kommandant auf die Beschwerde der Offiziere. Die Abortanlagen sind Hockaborte ohne Wasserspülung von primitivster Einrichtung. Das Chlor zum Desinfizieren müssen die Offiziere selbst bezahlen. Im Arrestraum steht wie üblich auch der Abortkübel; Lüftung aber fast nicht, auch Beleuchtung fehlt. Die Behandlung durch den Kommandanten, Capitaine Garnier, und seinen Adjutanten, Oberleutnant Leblanc, ist unwürdig und schikanös. Garnier läßt sich sogar zu tätlichen Mißhandlungen gegen die Offiziere hinreißen. Oberst Bayerlein, der sich über die unwürdigen Verhältnisse beschwert, erhält 15 Tage strengen Arrest. Die französische Regierung stritt diese Tatsache aber in einer Note einfach ab ("aucun colonel n'a été punis"). Strafen werden ganz willkürlich verhängt. Der französische Senator Codet aus Paris schrieb an seinen in Neiße kriegs- [116] gefangenen Sohn über das Lager St. Angeau u. a.: "...es schien, als ob man Repressalien habe ausüben wollen, während es sich in Wirklichkeit aber nur um eine schlechte Organisation handelt. Außerdem war ein Hauptmann aus der Fremdenlegion Kommandant des Lagers." Die deutsche Regierung unternahm Gegenmaßnahmen; worauf es in in Angeau einen neuen Kommandanten gab, der aber den deutschen Offizieren unter Drohungen nahelegte, nach Hause zu schreiben, es ginge ihnen hier gut, damit die französischen Offiziere in Deutschland wieder Erleichterung bekämen. Am 18. Juni 1916 erscheint eine amerikanische Delegation; zu ihrem Empfang werden noch schnell einige Verbesserungen eingeführt. Der französische Oberleutnant Leblanc bemerkte dazu zynisch, das sei doch alles nur Theater, in vier Wochen sei alles wieder beim alten. Lager Auch: Enger Bewegungsraum, keine Heizung, Postschikanen durch den Dolmetscher, nachlässiger Lagerarzt, keine Rücksicht auf Kranke, aber Beschwerden sind verboten. Bei geringen Vergehen gibt es gleich 30 Tage Arrest; Posten schießen grundlos auf Offiziere, ein Leutnant wird auf dem Wege zum Nachtabort von einem Posten ohne Grund mit dem Bajonett verwundet (Oberschenkel). Sonst wie in St. Angeau. Lager Caussade, eine alte Burg aus dem 12. Jahrhundert mit schadhaftem Dach und ohne die notwendigen neuzeitlichen Einrichtungen. Eine in jeder Hinsicht mangelhafte Unterkunft. Unter [117] dem Druck deutscher Gegenmaßnahmen erfolgte die Aufhebung als Gefangenenlager. Besonderes Lob hat nach dem Régime die amerikanische Botschaft der malerischen Lage und gärtnerischen Ausstattung des Lagers von Fougères gespendet. Photographien priesen den Platz als vortrefflichen Unterkunftsort, aber das Lager mußte 1916 auf deutsche Vorstellungen hin geräumt werden, weil der Aufenthalt in der Burg ungesund und menschenunwürdig war. In dem Bericht eines deutschen Militärarztes heißt es über Fougères: "Dieser Ort ist eine mittelalterliche, gut erhaltene Burg mit vier festen Türmen. Wir fanden dort bereits 70 deutsche Offiziere als Gefangene vor. Wir wurden im September 1914 im Turm Raul untergebracht, und zwar bewohnten die deutschen Gefangenen vier Zimmer des Turmes. Wir waren zu 22 in einem Zimmer untergebracht. Der Aufenthalt war ungesund und eines deutschen Offiziers unwürdig. Als Lagerstätte diente ein primitiver Strohsack auf blanker Erde nebst zwei wollenen Decken. Diese wurden uns nach kurzer Zeit genommen, und wir mußten uns aus eigenen Mitteln Decken beschaffen. Wir aßen an grobbehauenen Tischen, als Sitzgelegenheit dienten uns gewöhnliche Holzbänke. Waschgeschirr mußte sich jeder Kriegsgefangene selbst kaufen, sogar die Latrinen mußten sich die Offiziere selber bauen. Wir unterstanden dem Kommandanten der Burg und dem Kommandanten vom Platz." [118] Es folgen dann Einzelheiten über die schlechte und einförmige Nahrung. Dann heißt es: "Der Kommandant (dessen Behandlung übrigens als 'verhältnismäßig' gut bezeichnet wird) sagte uns des öfteren, daß das französische Volk wollte, daß wir schlecht behandelt würden und deshalb Erleichterungen uns nicht gewährt werden könnten. Sobald sich ein deutscher Gefangener auf den Zinnen der Wandelgänge zeigte und von dem Publikum, das auf den gegenüberliegenden Höhen fast ständig versammelt war, bemerkt wurde, wurden wieder regelmäßig die genannten Schimpfworte (cochons, sales-wakes) herübergerufen." "In der Behandlung der deutschen kriegsgefangenen Offiziere", sagt Geheimrat Meurer, "haben in Frankreich erhebliche Unterschiede bestanden. In den ersten Monaten des Krieges hat es manche Offiziersdepots und Lagerkommandanten gegeben, die die deutschen Offiziere die Gefangenschaft nicht allzu bedrückend empfinden ließen. Dies änderte sich aber, nachdem der von der französischen Regierung seit Kriegsausbruch mit allen Mitteln einer lügenhaften Propaganda hervorgerufene Haß, namentlich gegen die deutschen Offiziere, sich auszuwirken begann. Die französische Regierung ließ deutsche Offiziere, die kriegsgefangen in ihre Gewalt geraten waren, für kriegsrechtlich erlaubte Handlungen wie gemeine Verbrecher unterbringen, in Ketten transportieren und zu schweren Zuchthausstrafen verurteilen. In der ganzen Welt sollte der makel- [119] lose Ruf des deutschen Offiziers geschändet werden, darum suchte man sich besonders gern Offiziere der deutschen Garderegimenter und Träger der Namen bekannter Adelsgeschlechter aus. Alle von deutscher Seite unternommenen Bemühungen, durch Vermittlung neutraler Mächte eine Änderung dieses Verhaltens herbeizuführen, waren zunächst erfolglos. Erklärt wird diese Haltung der französischen Regierung durch eine Äußerung aus Kreisen, die der französischen Regierung während des Krieges nahegestanden. Es hieß da: "Daß alles, was Deutschland täte, alle guten Vorschläge, die von jedweder Seite gemacht würden, vollkommen aussichtslos seien. Die französische Regierung wolle Deutschland reizen, damit dort endlich Repressalien ergriffen würden; sie warte nur auf diesen Augenblick, damit sie vor die Welt hintreten könne, daß die Deutschen Barbaren wären." Es nimmt daher nicht wunder, wenn der behördlich aufgestachelte Haß als Zielscheibe sich gerade die Offiziere auswählte, die sich nicht ohne weiteres der launischen Willkür ihrer Peiniger beugten. Überaus zahlreich sind die Angaben über Demütigungen und öffentliche Herabsetzungen der deutschen Offiziere, von denen nur einige wenige Beispiele aus der deutschen Denkschrift: Deutsche Kriegsgefangene in Feindesland. Amtliches Material. Frankreich angeführt werden sollen: [120] "Bewachung durch Neger (S. 14), Verbot, den Bürgersteig zu betreten (S. 11), Stillstehen vor Unteroffizieren und Mannschaften (S. 7), Wegnahme von Photographien und kleinen Andenken (S. 15), Duldung von Beschimpfungen durch Anspucken und Bewerfen mit Steinen durch den Pöbel (S. 13, 23), Bestrafung eines Offiziers mit vier Wochen strengen Arrest auf die Meldung eines Postens hin, daß er sich vorübergehend schlecht aufgeführt habe, indem er sich 'wie unter Landsleuten und Kameraden benommen habe' (S. 3)." In der Verzweiflung ließen sich einige von den deutschen Offizieren zu Auflehnungen gegen ihre Folterknechte hinreißen, was weitere Brutalitäten zur Folge hatte. Die deutschen Flieger-, Unterseeboots- und Luftschiffoffiziere wurden einer besonderen Behandlung unterworfen. An der Front war die Behandlung sehr verschieden. Es kam vor, daß abgeschossene oder notgelandete Offiziere nicht nur korrekt, sondern sogar zuvorkommend behandelt, während andere sogleich ausgeraubt und mißhandelt wurden. Aber hinter der Front war fast überall dasselbe festzustellen: Entziehung der Nahrung bis zur Erschöpfung, wochenlanges Einsperren in einer Einzelzelle oder einem Gefängnis, oft ohne Stroh und ohne Decken, Bedrohen mit dem Abschneiden der Hoden und Erschießen, wobei in einzelnen Fällen sogar schon Exekutionstruppen aufmarschierten und die Gewehre fertig machten, Herum- [121] führen mit einem um den Hals gehängten Plakat mit der Aufschrift "Boche aviateur" in Clermont am 16. Juli 1918 usw. Im Gefängnis in Vitry-le-François wurden Fliegeroffiziere solange in Einzelhaft unter den erbärmlichsten Verhältnissen gehalten, bis sie sich zur Abgabe einer Erklärung bereit fanden, daß sie über ihre Behandlung keine Reklamationen gehabt hätten. Kennzeichnend für die bei den höheren französischen Kommandobehörden herrschende Meinung, wie deutsche Fliegeroffiziere zu behandeln seien, beweist ein Tagesbefehl der französischen III. Armee aus dem Jahre 1917. In diesem wurde die Tatsache erwähnt, daß zwei französische Fliegeroffiziere sich mit zwei kriegsgefangenen deutschen Fliegeroffizieren unterhalten und ihnen sogar die Hand gereicht hätten. Hieran wurde das Verbot einer derartigen Behandlung und eine Aufforderung zum Haß geknüpft. Der Kommandeur der 25. französischen Division machte zu diesem Tagesbefehl dann noch einen persönlichen haßerfüllten Zusatz, den ich wegen seines widerlichen Inhalts hier nicht wiedergeben möchte. Lager Carcassonne: Der Schweizer Delegierte stellt am 11. April 1917 die Primitivität der Unterkunftsräume fest. Bewegung gibts nur im inneren Hof, wo die Aborte die Luft verpesten. Die Leutnants Botz und Vogel werden nach einem mißglückten Fluchtversuch mit einem Verbrecher zusammen [122] gefesselt durch Carcassonne transportiert. Leutnant Hertwig versucht zu fliehen, wird jedoch gefaßt und von französischen Unteroffizieren und Mannschaften getreten und blutig geschlagen. Der Capitaine de Cadoudal beteiligte sich mit daran. Die Offiziere werden durch ständiges Umziehenmüssen schikaniert. Innerhalb sechs Monaten an Strafen 1400 Tage Arrest verhängt bei einem Durchschnitt von 70 Offizieren. Lager Clergoux-Sedières: Ein altes Waisenhaus, vollkommen baufällig, so daß oft Teile der Decke einstürzen. Fenster sind zum Teil zerbrochen und durch Papier ersetzt. Feuchtigkeit, Ungeziefer. Speiseraum wimmelt von Ratten. Abortanlagen Kübelsystem. Kommandant verlangt, nachts einen Abortkübel ins Zimmer zu stellen. Für ein Gesuch um Besuch der Amerikanischen Botschaft erhält der Lagerälteste, Major Wallau, acht Tage Arrest. Ausreißer müssen ihre 60tägige Strafe (davon acht Tage nur bei Wasser und Brot) in dem unheizbaren Arrestraum verbringen, sitzend auf dem Steinfußboden. Sie dürfen keine frische Luft schöpfen – obwohl der Abortkübel, wie gewohnt, mit im Zimmer steht – keine Post empfangen, nicht schreiben. Amerikanische, Schweizer Kommissionen kommen und sehen sich alles an, beanstanden vieles; der französische General Verrand besichtigt das Lager und beanstandet manches, aber geändert wird hinterher kaum etwas. Auf den Protest der deutschen Regierung wird der Kommandant seines Amtes enthoben, die französische Antwort leugnet [123] aber im allgemeinen alles ab oder weicht aus, endlich, am 7. Mai 1917, wird das Lager aufgelöst. Lager Entrevaux (Basses Alpes): Eine alte Vaubanfestung. Steinfußböden, Fenster in dicke Mauern eingelassen und doppelt vergittert, Türen sind von innen nicht zu öffnen, haben Eisenblechbeschlag und ein Guckloch. Keine Stühle, sehr wenig Bänke. Bewegung nur täglich eine Stunde in dem zehn mal zwölf Meter großen Festungshof, der von hohen Mauern umgeben ist, auch die Aborte enthält. Will einer von den Offizieren auf den Abort, muß er so lange klopfen, bis ihm geöffnet wird und wird dann von einem Posten hin und zurück begleitet. Rauchen war nicht gestattet, Musik und Singen verboten, Zimmerausschmückung untersagt. In den Zimmern stehen zur Nachtzeit die Abortkübel. Die französische Regierung antwortet auf deutschen Protest, daß der Hof den ganzen Tag zur Verfügung stände; der Spaziergang wird dann auf zwei Stunden verlängert, und zwar auf die Zeit von ein bis drei Uhr mittags, wo die größte Hitze herrscht. Erst am 23. August 1915 wird den Offizieren ein Platz am Berghang eingezäunt, wo sie sich nachmittags von zwei bis fünf Uhr aufhalten können. Dazu Ungezieferplage, Postschikanen. General Verrand selbst findet schließlich die Zustände in Entrevaux derartig, daß er schon vor Anhörung der Klagen der Gefangenen die Aufhebung des Lagers verfügt. Die Offiziere werden abtransportiert, wobei ihnen ein Teil ihrer Sachen gestohlen wird. [124] Lager Fougères, eine mittelalterliche Burgruine; Lager Sisteron eine verwanzte Festung, und so fort.
In dem Montanusbuche Die Kriegsgefangenen in Deutschland befanden sich Abbildungen von den Unterkünften der fremden kriegsgefangenen Offiziere. Man hatte danach den Eindruck, als ob sie sich in Deutschland zu einer Erholungskur befunden hätten. Man sah sie schwimmen, Tennis und Golf spielen, Kegel schieben und turnen. Im Hintergrunde dieser Sportplätze sah man freundliche helle Häuser, ein anmutiges Schloß, eine neue Kaserne, ein Sanatorium, meist alles in landschaftlich schöner Gegend gelegen. Die Gefangenen selbst machten einen zwar resignierten, aber doch frischen lebenskräftigen Eindruck. Kein Wunder, es fehlte ihnen ja nichts als die Freiheit. Sie litten nicht einmal unter dem Hunger des Volkes, in dessen Gewalt sie sich befanden, weil sie reichlich Lebensmittel aus ihrer Heimat erhielten. |