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Teil 1 - Lidice


Die tschechische Darstellung von Lidice

Quelle: Cyril Merhaut, "Liditz", erschienen
August 1945, Kalendář českého lidu, 1946,
Vimperk, Šumava, pag. 74-77. (Kalender des
tschechischen Volkes, 1946, Winterberg, Böhmerwald)

"Das historische Verbrechen in Lidice".

Als am 27. Mai 1942 in Prag-Lieben das Attentat auf den nazistischen Mörder Heydrich verübt wurde, der an den Folgen der Verwundung am 4. Juni starb, entschloß sich der nichtswürdige Verbrecher K. H. Frank zur größten Bestialität in irgendeiner Gemeinde in der Nähe Prags und Kladnos. Ausgesucht wurde die Gemeinde der Bergleute und Hüttenleute Lidice, in der kein einziger deutscher Bewohner lebte. Am 9. Juni, als die Gestapo noch keine einzige Spur der Liebener Attentäter aufgefunden hatte, wurde von den Nazis eine planmäßige Aktion zur Ausrottung der Bewohner von Lidice und zur Vernichtung der Gemeinde begonnen.

Ursache zu diesem Verbrechen war nur, daß zwei gebürtige Lidicer, Josef Horak und Josef Střibrny, Soldaten der tschechoslowakischen Armee im Auslande waren. Beide hatten mit dem Attentat auf Heydrich nichts zu tun. Der Fabrikant Pala in Schlan (Slane) hatte die unschöne Gewohnheit, die Post seiner Angestellten zu öffnen. Nach dem Attentat las er einen an die Arbeiterin Anna Maruzsak gerichteten Brief: "Teures Annerl. Verzeih, daß ich Dir so spät schreibe und vielleicht wirst Du mich verstehen, daß ich viel Arbeit und Sorgen habe. Was ich tun sollte, habe ich getan. An jenem schicksalhaften Tag schlief ich irgendwo auf der Čabarna (offensichtlich irgendein Ortsteil. D. Ü.). Ich bin gesund! Auf Wieder- [10] sehen diese Woche, und dann werden wir uns nicht mehr wiedersehen. - Milan." Diesen Brief übergab Pala der Gendarmerie und setzte es durch, daß er der Gestapo geschickt wurde. Der Gestapomann von Kladno, Thompsen, ließ auf der Čabarna 40 Personen verhaften und weitere 15 Personen der Familien der erwähnten zwei unserer ausländischen Soldaten in Lidice. Das war am 4. Juni, und am 9. Juni wurde ein neuer Angriff der Gestapoleute gegen Lidice durchgeführt. Cyril Merhaut schreibt in seiner Broschüre 'Liditz' (August 1945) über dieses historische Verbrechen:

"Das Zentrum der Aktion war einstweilen auf dem Gendarmeriekommando in Buschtiehrad. Dort waren schon ungefähr 30 Gestapoleute, SS-Männer und ähnliche Untiere; zu ihnen trat der Oberwachtmeister Baburek, der auf dem Fahrrade von Vypich zurückkehrte, er erblickte da Wiesmann, Thompsen und andere, und als er fragte, was da los sei, antwortete ihm niemand; nach einer Weile wurde er in den Nebenraum gewiesen. Dort aber - an der Wand neben der Tür war das Telephon - vernahm er, wie ein Offizier drinnen aufgeregt nach Prag telephonierte, hauptsächlich um zwei Feldküchen und einen Zug Feuerwehr. Hörbar telephonierte er dann: 'Auf Befehl des Führers wird die Gemeinde Liditz von Frauen und Kindern evakuiert, die Männer von 15 Jahren aufwärts auf der Stelle erschossen und am Schluß wird die Gemeinde angezündet.' Mit Entsetzen hörte Baburek das Gespräch, seine Frau fiel in Ohnmacht; in den Raum stürzte ein Gestapomann, der ihn umstieß, mit Füßen trat und ihm drohte, er werde erschossen, wenn er davon jemand Nachricht gebe oder den Raum verlasse. Gegen 9 Uhr abends verließen die Gestapoleute den Gendarmerieposten und es blieben nur drei zurück als Verbindungsleute mit den Tätern von Lidice.

Die Gemeinde wurde inzwischen von Militär aus Schlan eingeschlossen, von wo es mit 10 Lastwagen kam, welche die ortsansäßigen Gewerbetreibenden borgen mußten (2 Jaroslav Fišer). Die Soldaten waren voneinander auf einige Schritte entfernt. In das Dorf ließen sie jeden hinein, aus dem Dorf niemanden heraus. Ein zwölfjähriger Junge [11] wollte entfliehen, ein Soldat erschoß ihn; eine Frau wollte fliehen, ein Schuß in den Rücken verhinderte die Flucht. Ihren Leichnam fand man auf dem Felde erst nach der Ernte.

Die Gestapoleute und SS-Männer (tschechische Schreibweise 'esesmanni') jagten die Frauen und die Kinder in die Schule. Hier, in den Räumen, wo ihnen einst der Schulleiter Adolf Otomansky die traurigen Augenblicke der tschechischen Geschichte vor Augen geführt hatte, begannen nun diese Frauen durch ihre Anwesenheit eines der traurigsten Kapitel der tschechischen Geschichte, und begannen ihre tragische Lebenswallfahrt. Noch ahnten sie nicht, welches Grauen in diesem Augenblicke das Tor zu Kummer und Leid öffnete. Sie mußten ihr Gold, Geld und Wertsachen den Henkern abgeben, das Weinen der Kinder anhören, die nach den Vätern schrien, mit Ängsten erwarteten sie die Morgendämmerung, in der sie in die Turnhalle der Schule von Kladno gefahren wurden.

Am Morgen des 10. Juni 1942 dämmerte der schwarze, letzte Tag des alten Dorfes Lidice und seiner Bewohnerschaft.

Die Männer wurden im Keller, in der Scheune und im Schweinestall des Horakschen Gutes eingesperrt; vorher mußten sie Juwelen, Geld, die Einlagebücher und alle Wertsachen den Gestapoleuten abgeben und erwarteten ihr trauriges Schicksal, das sie ahnten. Der dreiundsiebzigjährige Pfarrer Štemberka stärkte sie mit dem Worte Gottes. Den Nachrichten, daß sie ihm freien Abzug versprochen hätten, wenn er ihnen das Urteil mitteile, glaube ich nicht. Nur das ist unzweifelhaft, daß sich einige nicht wie Schafe hinrichten ließen, daß sie Hacken und Waffen ergriffen und manche Deutsche erschlugen oder verwundeten, denen dann die Ärzte aus der Umgebung ärztliche Hilfe angedeihen lassen mußten.

Schon um halb vier Uhr früh kam aus Prag der berüchtigte Henkerszug von 30 Mann, zum Großteil in grünen Uniformen, aber auch in anderen bunten Farben. Er begann sein grausames Werk vor 7 Uhr früh, als auch schon K. H. Frank ankam. Frank stieg aus dem Wagen, es meldete sich bei ihm der Gendarmerie-Oberstleutnant [13] Vit. Frank drehte sich zu einer Gruppe von Gendarmen aus Buschtiehrad um, die hier die Aufgabe hatten, die Wagen mit den aus der Gemeinde entfernten Sachen wie Maschinen, Fahrrädern u. ä. zu zählen und rief aus: "Weiterarbeiten!" (wahrscheinlich: "Weitermachen!" d. Ü.); dann teilte er Vit mit, daß keiner der Gendarmen etwas von dem erzählen dürfe, was in Lidice geschehen sei, widrigenfalls er erschossen würde. Das erste Häuschen an der Straße wurde von der Gestapo besetzt, davor wurde der Hinrichtungskolonne durch Wiesmann mitgeteilt, daß es der Wille des Führers sei, was mit der Bewohnerschaft und der Gemeinde geschehen werde, und daß sie diesen Willen gehorsam zu erfüllen hätten. Das taten sie!

Aus dem Horakschen Gute (Nr. 13) wurden die Männer zu je zehn in den Garten hinter der Scheune geführt und die deutschen Mörder schossen auf die wehrlosen Bürger. Es war dies ein Morden ohne rechtliche Grundlage und ohne Ursache, es war eine Lächerlichmachung der Justiz, nicht einmal das Kriegsrecht in Kriegszeit würde eine Begründung für eine ähnliche Tat anerkennen: es überwog hier der Wille und die Kultur der Gangster. Die Deutschen stellten selbst ein Verzeichnis der Ermordeten auf und führten ihre Zahl mit 174 an. Das schließt aber nicht aus, daß ihre Zahl höher war. Die weiteren Untersuchungen werden zu ihrem Verzeichnis wahrscheinlich noch weitere Namen hinzufügen. Die alten Geschlechter von Lidice fielen hier auf ihrem Heimatboden, es erscheinen die Namen Ružička, Podzemsky, Kovarovsky, Rakoš, Podhora, Studnička, Šilhan, Tybl, Hronik, Střibrny, Zelenka, Hejma, Pospišil, Radosta, Žid, Krunt, Suchy, Senfelder u. a., u. a., welche unschuldig den Blutzoll erlegten und die das tschechische Volk mit Ehren unter seine Märtyrer zählt.

Wie bereits gesagt, stammt die Zahl 174 aus dem deutschen Ausweis vom 11. Dezember 1942. Einer der Gestapoleute meldete die Zahl 184, der bescheidene Nichtsnutz Frank nur 86. Obwohl es schwierig sein wird, wird man die genaue Zahl durch peinliche Nachforschungen feststellen. Ebenso wird die Zeit der Hinrichtungen aus einem Geständnis zwischen die Zeit von 7 und 16 Uhr [13] festgelegt, nach einem anderen Bericht war alles in einer Stunde fertig. Das kann man aber bezweifeln. Eine Information führt auch an, daß nach der Erschießung der ersten beiden Gruppen viele Männer das Tor der Scheune aufbrachen, in den Hof des Gutes von Studnicka liefen und dort kam es zu einem Maschinengewehrfeuer in die Menge der Lidicer Männer und zum Zweikampf mit den deutschen Soldaten, von denen einige fielen und andere verwundet wurden. Wahr ist die Nachricht, daß diejenigen, die sich noch bewegten, mit dem Revolver erschossen wurden.

Sehen wir das Verzeichnis der Gefallenen durch, wie es die Deutschen zusammenstellten, so waren von den Gefallenen 113 Arbeiter (überwiegend Berg- und Hüttenleute), 18 Bauern, 9 Pensionisten, 11 Handwerker und Geschäftsleute, 3 Beamte, 1 Lehrer, 1 Müller, 1 Gutsverwalter, 1 Redakteur (Fr. Kubik), 1 Bauführer, 1 Totengräber, 1 Wachmann, 1 Lagerhausverwalter, 2 Chauffeure, 2 Studenten; aus der Familie Hronik wurden fünf Männer ermordet. Die ältesten Gefallenen waren: Fr. Hejna (geb. 1861), Pfarrer Jos. Štemberka (1869), V. Čermak (1876), Wenzel Kubela (1872), Gottlieb Studnička (1879), Jos. Tybl (1878), Wenzel Nechvatal (1873), Fr. Radosta (1871), Jan Zbrojka (1879), Jan Žid (1878).

Die Jungen, schon in der Zeit der Tschechoslowakischen Republik geborenen: Josef Rames (geb. 1924), Karel Střibrny (1925), Jar. Hronik (1924), Jos. Kovarovsky (1924), Mir. Müller (1921), Wenzel Vandrle (1924), Josef Zmeškal (1923), Wenzel Karnik (1926). Einige der Jüngsten zwischen dem 14. bis 18. Lebensjahr nahmen die Deutschen nicht in ihr Verzeichnis auf, vielleicht deshalb, weil sie keinen Besitz hatten.

Von den Gefallenen war ein Russe, Wasil Generalov, ein Arbeiter, geboren am 28. Feburar 1889 in Wasilovce; das Lidicer Grab ist also ein tschechisch-russisches.

Vom Morgen bis 16 Uhr dauerte das Morden, bei dem drei Henker sich wegen Ermüdung austauschen ließen. Es entging ihnen der Müller Liška, der sich selbst erhängte, es entging ihnen Tybl, der sich im Kamin versteckte und dort erstickte, es entgingen ihnen nicht jene [14] Bergleute, die am Mittwoch vormittags aus der Poldihütte zu ihren Familien zurückkehrten und die sich aus Sorge um ihre Familie nicht einreden ließen, sie mögen nicht mehr nach Lidice zurückkehren und ähnlich am Nachmittag 6 andere.

Inzwischen wurde um 7 Uhr früh das erste Gehöft von Hejna in Richtung auf Hostoun angezündet und dann brannte ein Gebäude nach dem anderen. Es hatte doch der Gestapomann Vlcek zwei Fässer mit Benzin mitgebracht und vor jedem Haus wurde ein Kübel davon ausgeschüttet, damit der Brand ermöglicht werde.

Am 11. Juni kamen 20 Juden aus Theresienstadt, die unter der Aufsicht des Kommandanten des Konzentrationslagers Dr. Seidl eine Grube von 12x9 m und von 4 m Tiefe ausheben mußten und dann die Toten zuerst nebeneinander, und später nur mehr so hineinwerfen mußten. Die Arbeit dauerte 36 Stunden, in ihrem Verlaufe wurden die Totengräber angetrieben und gepeitscht, in der Nacht leuchteten sie sich mit einem angezündeten Stoß von Türen, Schränken und anderen hölzernen Dingen aus den Häusern. Mit dem Gestapomann Günther kam ein gewisses hohes Tier zur Besichtigung, von dem man sich erzählte, es sei wieder Frank. Das bessere Schuhwerk und die Kleidung mußten die Totengräber von den Leichen abziehen und zusammenlegen, ebenso den Inhalt der Taschen, wovon sich Seidl das Geld behielt. Inzwischen fraßen und soffen die Gestapoleute und die Soldaten bis zur Unzurechnungsfähigkeit Hinweis auf mehr zu diesem
Thema von dem, was sie in der Gemeinde zusammenstahlen. Zum Schluß wurden die toten Leiber mit Kalk beworfen, der Regen benetzte sie und die Wüstlinge ließen in das Grab noch zwei erschossene Hunde werfen.

Alles Wertvolle wurde aus dem Dorfe weggeführt.

Gierig warfen sich die Diebshände der Gestapoleute auf den Besitz, der in den Wohnungen verblieben war, aber Frank ordnete an, es müsse an Ort alles vernichtet werden. Sie warfen also viele Sachen wieder weg, aber nach seinem Weggang raubten sie von Neuem.

Inzwischen wurden nach dem Wegtrieb des Viehs auch die Geräte und die Möbel in den Buschtiehrader Hof unter [15] der Aufsicht der Gendarmerie weggefahren. Die Bürgerschaft lehnte es ab, sie zu kaufen. Am Donnerstag, den 12. Juni, bohrten die deutschen Pioniere die Wände der Kirche für die Ladung an, der Stabswachtmeister Jan Strnad, der dienstlicher Verbindungsmann war, mußte neuerdings die Gestapo aus Kladno anrufen, damit sie die Vernichtung der altertümlichen Kirche ansehe. Die Absicht der Träger der deutschen Kultur gelang vollkommen. Es blieben von ihr für einige Zeit nur die angekohlten Hauptmauern stehen, aber diese wurden geschleift, damit die Erinnerungsstätten dem Erdboden gleichgemacht würden, wo die Dorfbewohner jahrhundertelang getauft wurden, ihre Ehen schlossen und unter dem Klange der Glocken auf den letzten Weg zum Grab begleitet wurden. Julius Richter, der am Buschtiehrader Hof beschäftigt war und in Lidice beim Abtransport arbeitete, rettete uns den Schlüssel der Kirche und auch noch andere Kleinigkeiten sind von anderen gerettet worden.

Die Frauen erwartete das böse Schicksal der Konzentrationslager. Schon am Freitag nach dem grausamen Mittwoch wurden sie von ihren Kindern getrennt und es begann die schmerzliche Reise. Nicht einmal beisammen wurden sie gelassen. Die Mehrzahl von ihnen wurde nach Ravensbrück gebracht (195), einige jüngere nach Brandenburg, schließlich ungefähr 40 nach Auschwitz. Von diesen retteten die Russen noch zwei.

Einige Zehn (wörtlich und falsch übersetzt: nekolik desitek - es können also 20 bis 100 oder noch mehr sein. D. Ü.) davon kehrten zurück, aber wie viele blieben dort zurück! Sie lebten in ständiger Demütigung der Menschlichkeit, in Schufterei, unter Schlägen und Beleidigungen. Lange wußten sie nicht, daß ihre Väter, Söhne und Männer tot seien; eine schrieb noch ein Jahr später ihrer Schwester nach Tuchmeric, sie möge ihr reine Wäsche senden, sie habe sie im Schrank, der Schlüssel sei im Nachtkästchen. Einige Frauen, die zu Fuß aus Ravensbrück zurückkehrten, trafen mit Russen zusammen, die ihnen genug Nahrung gaben. Das erste Fleisch vertrug jedoch keine. Die Russen kümmerten sich sorgsam um sie. Als sie schon jetzt im Juni nach Bohumin kamen, er- [16] fuhren sie erst, daß ihre Männer tot seien. Sie seufzten auf und sagten, wenn sie das im Konzentrationslager gewußt hätten, so hätten sie sich das Leben genommen, aber die Gedanken an die Familien, an die Heimat und die Heimkehr stärkten sie. Auch wenn sie in ein glücklicheres Leben eintreten, wird ihnen niemand ihren Schmerz und die Verluste ersetzen, die ihnen grausame Mörder angetan hatten.

Die größte Sorge ist ständig die um das Schicksal der Lidicer Kinder. Sieben der Kleinsten bis zum ersten Lebensjahr wurden doch den Großvätern und Großmüttern herausgegeben, obwohl zu bezweifeln ist, daß es alle waren. Beim Beladen der Wagen wurde manches Kind rücksichtslos in den Wagen geworfen. Denjenigen, die in das Kinderspital nach Prag gebracht wurden, wurden auf die Händchen Nummern eingebrannt und es wurden ihnen andere, deutsche Namen gegeben, damit der tschechische Ursprung verlorengehe und die noch schwachen Erinnerungen an die tschechische Heimat. Wohin die Kinder verschleppt wurden, ist bisher noch nicht ausgeforscht worden."



 


Die deutsche Darstellung von Lidice

Quellen: DNB (Deutsches Nachrichtenbüro), 19.6.1942.
"Archiv der Gegenwart" vom 21.9.1942.

DNB am 19. Juni 1942:

"Die Mörder des Stellvertretenden Reichsprotektors SS-Obergruppenführer und General der Polizei Heydrich wurden in den Morgenstunden des 18. Juni auf Grund umfangreicher Ermittlungen der Staatspolizeileitstelle Prag in einer Prager Kirche, in der sie lange Zeit Unterschlupf gefunden hatten, gestellt und bei der Festnahme [17] erschossen. Gleichzeitig gelang es dabei, ihren nächsten Helferkreis unschädlich zu machen. Sämtliche Beteiligten sind Angehörige des tschechischen Volkstums, die von britischen Flugzeugen zur Ausübung des Attentats im Protektorat abgesetzt worden waren.

Der Reichsführer der SS und Chef der Deutschen Polizei teilte nach dem Abschluß der wesentlichen Ermittlungen folgendes über die näheren Umstände der Ergreifung der Mörder mit: Das Attentat auf SS-Obergruppenführer Heydrich wurde, wie seinerzeit bereits bekanntgegeben, durch zwei Männer ausgeführt, von denen einer eine Bombe warf und der andere versuchte, aus einer englischen Maschinenpistole zu feuern. Die umfangreichen staatspolizeilichen Ermittlungen, insbesondere auf Grund der am Anschlagort zurückgelassenen, bzw. auf der Flucht weggeworfenen Mordwerkzeuge und Gegenstände führten zu der Feststellung, daß es sich bei den Tätern um folgende Personen handelte:

1. Jan Kubiš, geboren am 24. Juni 1913 in Unter-Willimowitz, Bezirk Trebitsch (Eltern: František und Christine Kubiš, geborene Myxyška, wohnhaft Unter-Willimowitz Nr. 71, Post Lipnik), ehemaliger Zugführer des früheren tschecho-slowakischen Infanterieregimentes Nr. 34, zuletzt Landwirt in Unter-Willimowitz, als Bombenwerfer.

2. Joseph Gabčik, geboren 8. April 1912 in Polusič, Bezirk Sillein (Eltern: Ferdinand und Maria Gabčik, geborene Beranek), ehemaliger Zugsführer beim früheren tschecho-slowakischen Infanterie-Regiment Nr. 14, zuletzt Magazinverwalter einer chemischen Fabrik in Sillein, als Maschinenpistolenschütze.

Beide emigrierten nach Errichtung des Protektorates auf verschiedenen Wegen nach England, wo sie von Benesch den Engländern zur Ausbildung als Fallschirmagenten für Sabotage- und Terrorakte zur Verfügung gestellt wurden. Mit den zum Teil auch am Tatort gefundenen Mordwerkzeugen versehen und mit dem ausdrücklichen Auftrag zur Ausführung des Attentats auf SS-Obergruppenführer Heydrich wurden die beiden in der Nacht zum 19. Dezember 1941 in der Nähe von Pilsen von einem britischen Langstrek- [18] kenbomber abgesetzt. Aus dem gleichen Flugzeug wurden in der Nähe von Podiebrad weitere Helfershelfer, darunter der durch die Fahndungsausschreibung bereits bekannt gewordene und am 18. Juni ebenfalls erschossene Josef Walcik, geboren 2. November 1914 in Smolin, Bezirk Ungarisch-Brod (Eltern: Jan und Veronika Walcik, geborene Betikora, wohnhaft in Smolin Nr. 16), ehemaliger Zugführer des früheren tschecho-slowakischen Infanterie-Regimentes Nr. 22, zuletzt Gerbergehilfe in Batov bei Zlin, abgesetzt. Die an beiden Stellen abgesetzten Agenten fanden bei verschiedenen tschechischen Familien Unterschlupf und Hilfe und nahmen Verbindung zu weiteren, gleichfalls aus britischen Flugzeugen abgesetzten tschechischen Agenten auf. Wie die Ermittlungen ergeben haben, wurde das Attentat in der Folgezeit mit Hilfe inzwischen verhafteter tschechischer Bevölkerungskreise planmäßig vorbereitet und am 27. Mai 1942 in der bereits amtlich bekanntgegebenen Weise ausgeführt. Nachdem sehr zahlreiche Zeugenaussagen der tschechischen Bevölkerung zum Teil wertvolle Spurenhinweise gegeben hatten, stellte die Geheime Staatspolizei in Prag durch die weiteren Ermittlungen im Laufe des 17. Juni 1942 die ersten positiven Anhalte für den Aufenthalt der Mörder fest. Unter der Mithilfe tschechischer Fallschirmagenten, die sich freiwillig stellten, wurde sodann als Aufenthaltsort die Karl-Borromäus-Kirche in Prag II, Resselgasse, ermittelt. Hier waren sie zusammen mit weiteren Fallschirmagenten von den inzwischen verhafteten Priestern der Kirche seit dem Attentat verborgen gehalten worden. Es erfolgte in den ersten Morgenstunden des 18. Juni 1942 der Zugriff der Staatspolizeileitstelle Prag. Die Mörder, die sich in der Kirche regelrecht verschanzt hatten, versuchten aktiven Widerstand mit Pistolen und Handgranaten zu leisten. In Abwehr dieses Widerstandes verwendete die mit eingesetzte Waffen-SS Handgranaten und tötete mehrere der Terroristen, darunter auch die beiden Mörder. Unter den Getöteten befand sich auch außer den Vorgenannten noch der Leutnant des ehemaligen tschecho-slowakischen Gebirgsinfanterieregiments Nr. 2, Adolf Opalko, geboren am 4. Januar 1915 in Roschitz. Die von der [19] Deutschen Reichsregierung ausgesetzte Belohnung von einer Million Reichsmark und die weitere von der Protektoratsregierung ausgesetzte eine Million Reichsmark werden an die zahlreichen tschechischen Helfer bei der Ermittlung der Täter in den nächsten Tagen als Dank und Anerkennung ausgezahlt."


"Archiv der Gegenwart" vom 21. September 1942, S. 5639:

"B. Deutschland. Böhmisch-mährisches Protektorat. Tschechoslowakei (ehemalige) Exilregierung.

Am 10. Juni wurde in Prag folgendes amtlich verlautbart, wie wir nachträglich berichten:

Im Zuge der Fahndungen nach den Mördern des SS-Obergruppenführers Heydrich (5514 C) wurden einwandfreie Hinweise dafür gefunden, daß die Bevölkerung der Ortschaft Lidice bei Kladno dem in Frage kommenden Täterkreis Unterstützung und Hilfe leistete. Die betreffenden Beweismittel wurden trotz Befragung ohne Mithilfe der Ortseinwohner erbracht. Die damit bekundete Einstellung zum Attentat wird noch durch weitere reichsfeindliche Handlungen unterstrichen, wie Funde von staatsfeindlichen Druckschriften, Waffen- und Munitionslagern, eines illegalen Senders sowie bewirtschafteter Waren in größerem Ausmaß und durch die Tatsache, daß Ortseinwohner sich im aktiven Dienst des Feindes im Ausland befinden. Nachdem die Einwohner dieses Dorfes durch ihre Tätigkeit und durch die Unterstützung der Mörder von SS-Obergruppenführer Heydrich gegen die erlassenen Gesetze schärfstens verstoßen haben, sind die männlichen Erwachsenen erschossen, die Frauen in ein Konzentrationslager überführt und die Kinder einer geeigneten Erziehung zugeführt worden. Die Gebäude des Ortes sind dem Erdboden gleichgemacht und der Name der Gemeinde ist ausgelöscht worden."


[20] Wir sind heute noch nicht in der Lage, die deutsche und die tschechische Darstellung der katastrophalen Vorfälle von Lidice objektiv zu überprüfen. Die Wahrheit wird wahrscheinlich, wie immer im Leben, in der Mitte liegen.

Es wird so sein, daß in Lidice tatsächlich Verschwörer und Helfer des mörderischen Attentates auf Reinhard Heydrich waren. Sicher aber ist, daß die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung schuldlos war und trotzdem unmenschlich grausam behandelt wurde.

Es geht aus beiden Berichten einwandfrei hervor, daß nur ein verschwindend kleiner Teil tschechischer Emigranten das Demonstrations-Attentat vorbereitet und ausgeführt hatte. Die Beweggründe, die zur Durchführung des Attentates führten, sind einleuchtend. Das tschechische Volk hatte sich in seiner erdrückenden Mehrheit mit dem widerrechtlichen [? Anm. d. Scriptorium] deutschen Regime abgefunden und begann sich in der Rolle des gut verdienenden Kollaborateurs wohlzugefallen. Um diese Entwicklung zu zerstören und die Tschechen zu zwingen, schärfere Maßnahmen anzuwenden, wurde der Mordanschlag auf Heydrich planmäßig vorbereitet und durchgeführt.

Die Hintermänner des Attentates rechneten sehr wohl auf eine harte Reaktion der deutschen Okkupationsmacht, die dann ihrerseits wieder eine schwere Reaktion unter den Tschechen, die in ihrer Masse gar nichts anderes wollten als gut verdienen und ihre Ruhe haben, auslösen sollte.

Diese Hintermänner hatten sich aber verrechnet. Wohl reagierten die Deutschen genau wie erwartet, nicht aber das tschechische Volk.

Es hielt weiter Ruhe und Ordnung, arbeitete weiter in den deutschen Rüstungsfabriken und half besser und getreuer als ein anderes besetztes Volk, die Hitlersche Kriegsmaschine in Schwung zu halten.

Und es verdiente weiter. Viel besser als je zuvor. Umso unfaßbarer alles das, was dann kam.


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