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Kampf um Berlin: Der 
Anfang.

Gegen den Zerfall       (Teil 1)

Im dämmernden Novembermorgen liegt noch die weite, menschenleere Halle des Hauptbahnhofs in Elberfeld. Nun gilt es, Abschied zu nehmen von einer Stadt, die zwei Jahre lang Ausgangspunkt der schweren und blutigen Kämpfe um das Ruhrgebiet war. Hier hatten wir die erste nordwestdeutsche Zentrale der aufsteigenden nationalsozialistischen Bewegung nach 1923 aufgerichtet. In Elberfeld saß das geistige Zentrum des Nationalsozialismus in Westdeutschland, und von hier aus gingen die Strahlen unseres leidenschaftlichen Kampfes ins Ruhrgebiet hinein.

Ein paar Freunde waren gekommen, um Abschied zu nehmen. In der Tat, dieser Abschied fiel schwerer, als man sich das gedacht hatte. Es ist eine eigene Sache, aus einer Umgebung herausgerissen zu werden, die einem durch viele Erinnerungen an Kampf und Erfolg lieb und vertraut geworden ist. Hier hatte man begonnen. Von hier aus waren die ersten Versammlungskampagnen für das rheinische und Ruhrgebiet organisiert worden. Hier hatten wir den ersten Mittelpunkt für die sporadisch in der ganzen Provinz sich bildenden nationalsozialistischen Stützpunkte geschaffen.

Eben gibt der Stationsvorsteher das Abfahrtssignal. Ein kurzes Winken, ein fester Händedruck. Mein braver Benno, ein herrlicher deutscher Schäferhund, der Freud und Leid mit uns geteilt hatte, heult ein letztes Mal klagend zum Abschied auf, und dann bewegt sich der Zug in langen Stößen aus der Bahnhofshalle heraus.

In hastender Eile fliegen wir durch das in grauem Regendämmer liegende Land. Vorbei an Stätten des Fleißes und der Betriebsamkeit, an ragenden Schornsteinen und dampfenden Schloten. Wie oft ist man diese Strecke gefahren, damals, wenn wir abends ins Ruhrgebiet vorstießen, um in irgendeinem Kommunistenzentrum erste Bresche zu schlagen. Wie oft haben wir hier zum Angriff angesetzt, wurden blutig zurückgewiesen, kamen wieder, wurden wieder mit Beulen und Wunden nach Hause geschickt, um beim dritten Male in zähem Durchbruch eine sichere Position zu erkämpfen.

Essen! Bochum! Düsseldorf! Hagen! Hattingen! Das waren die ersten Plätze, an denen wir unsere Stellungen befestigten. Keine Versammlung konnte damals ohne blutige Niederringung des marxistischen Terrors zu Ende geführt werden. Hätte der Gegner gewußt, wie schwach wir waren, er hätte uns vermutlich zu Brei und Brühe geschlagen. Nur der vermessenen Tollkühnheit einiger weniger SA.-Kommandos war es verdanken, daß wir überhaupt in diese Gebiete eindringen konnten.

Dabei war es unser Bestreben, hier und da bei günstigen Voraussetzungen eine Stadt absolut zu erobern und sie zur Hochburg der aufsteigenden Bewegung auszubauen, von der aus dann der Kampf in das umliegende Land vorgetragen wurde.

Eine dieser Hochburgen war das kleine, zwischen Bochum und Essen gelegene Industriestädtchen Hattingen; dort schuf eine Reihe von günstigen Bedingungen einen für uns außerordentlich günstigen Boden, den wir denn auch mit mühevollem Fleiß und tapferer Zähigkeit umpflügten und mit dem Samen unserer jungen Idee befruchteten. Hattingen ist eine mittlere Ruhrstadt, die ausschließlich von der Industrie lebt. Die Henrichshütte des Henschelkonzerns war hier das erste Ziel unseres konzentrierten Propaganda-Angriffs, und in zweijährigem Ringen mit dem Marxismus rosaroter und rötester Couleur einerseits und andererseits, wenigstens in der frühesten Zeit, mit der französischen Besatzung gelang es uns, die Stadt ganz und gar in unsere Hände zu bringen, die marxistische Front aus ihren festen Positionen zu verdrängen und die Fahne des Nationalsozialismus fest im harten westfälischen Boden zu verrammen.

Kurz noch vor meinem Abschied erlebten wir hier den Triumph, daß es unmöglich war, eine marxistische Versammlung, selbst unter Zuziehung starker auswärtiger Kräfte, zur Durchführung zu bringen. Der Feind kam nicht mehr zu uns, und so gingen wir zu ihm. Die sozialdemokratische Partei wagte es nicht mehr, den Nationalsozialismus in die Schranken zu fordern. Uns jedoch fand sie bereit, Mann gegen Mann Rede und Antwort zu stehen.

Das hatte gewiß schwere Kämpfe und blutige Auseinandersetzungen gekostet. Wir hatten das weder gesucht noch provoziert. Wir waren im Gegenteil entschlossen, unsere Idee in Frieden und ohne Terror in das Ruhrgebiet hineinzutragen. Andererseits aber wußten wir aus der Erfahrung, daß, wenn der Aufmarsch einer neuen Bewegung vom Terror des Gegners bedroht wird, man dagegen weder mit guten Redensarten noch mit einem Appell an Solidarität und Brüderlichkeit ankommt. Wir hielten jedem, der unser Freund sein wollte, die offene Hand hin. Schlug man uns aber mit der geballten Faust, dann gab es für uns dagegen immer nur ein Mittel: die Faust, die sich gegen uns erhob, aufzubrechen.

Die Bewegung an der Ruhr hatte von Anfang an einen stark proletarischen Charakter. Das lag in der Landschaft selbst und in ihrer Bevölkerung begründet. Das Ruhrgebiet ist seiner ganzen Natur und Anlage nach das Land der Arbeit. Jedoch unterscheidet sich der Proletarier des Ruhrgebiets tiefgehend und ausschlaggebend vom sonstigen Durchschnittsproletarier. Das Grundelement dieser Bevölkerungsschicht wird noch vom bodenständigen Westfalen gestellt, und die Kumpels, die frühmorgens in die Bergwerke hinuntersteigen, sind meistens im ersten oder mindestens im zweiten Glied Söhne westfälischer Kleinbauern.

Es liegt in diesem Menschenschlag noch eine gesunde, urwüchsige Bodenverwurzeltheit. Die Internationale hätte hier niemals Einbruch halten können, wären die sozialen Verhältnisse in dieser Provinz nicht in der Tat himmelschreiend gewesen und das Unrecht, das man dem Arbeitertum seit Jahrzehnten angetan hatte, so wider jede Natur und Gerechtigkeit, daß die davon Betroffenen dadurch zwangsläufig in eine zur Nation und zu allen staatserhaltenden Kräften feindliche Front getrieben wurden.

Hier setzten wir mit unserer Arbeit ein. Und ohne daß wir bewußt darauf Gewicht gelegt hätten, nahm der Kampf um die Wiedergewinnung des Ruhrproletariats einen stark sozialistischen Charakter an. Der Sozialismus, wie wir ihn verstehen, ist im wesentlichen das Ergebnis eines gesunden Gerechtigkeitsgefühls, verbunden mit Verantwortungsbewußtsein der Nation gegenüber, ohne Rücksichtnahme auf die Interessen einer Einzelperson.

Und da man uns durch Einsatz feindlichen Terrors geradezu dazu zwang, mit den Fäusten die Bewegung zu verteidigen und vorwärtszutreiben, erhielt unser Kampf von Beginn an eine ausgesprochen revolutionäre Note. Der revolutionäre Charakter einer Bewegung wird zwar weniger durch die Methoden, mit denen sie ficht, bestimmt, als durch die Ziele, die sie erkämpft. Hier aber stimmten Ziele und Methoden miteinander überein.

Das fand auch seinen Niederschlag in den geistigen Dokumenten der Bewegung an Rhein und Ruhr. Hier wurden in Jahre 1925 die "Nationalsozialistischen Briefe" begründet und in ihnen der Versuch gemacht, die sozialistischen Tendenzen unserer Bewegung einer Klärung zuzuführen. Zwar waren wir keine Theoretiker und wollten das auch gar nicht sein; aber andererseits mußten wir unserem Kampf nach außen auch das notwendige geistige Rüstzeug mitgeben. Und das wurde dann auch sehr bald für weite Kreise der Bewegung in Westdeutschland vielbegehrte Anregung zu weiterer und tieferer Arbeit.

In den Jahren 1925/26 ergab sich die Notwendigkeit, die weitverzweigten Organisationsformen der Bewegung an Rhein und Ruhr zusammenzuschmelzen. Das Ergebnis dieses Prozesses war der sogenannte Gau Ruhr, der in Elberfeld seine Zentrale und seinen politischen Sitz hatte. Die Arbeit in den Industriestädten des Westens war zuerst im wesentlichen eine propagandistische. Wir hatten damals noch nicht die Möglichkeit, irgendwie aktiv in den Gang der politischen Dinge einzugreifen. Die politische Lage in Deutschland war so erstarrt und verkrustet, daß das schlechterdings ausgeschlossen war. Dazu kam, daß die junge Bewegung sich noch sehr in den ersten Anfängen befand, so daß eine Einflußnahme auf die große Politik selbst für sie gar nicht in Frage kam.

Die Propaganda an sich hat keine eigene grundsätzliche Methode. Sie hat nur ein Ziel; und zwar heißt dieses Ziel in der Politik immer: Eroberung der Masse. Jedes Mittel, das diesem Ziel dient, ist gut. Und jedes Mittel, das an diesem Ziel vorbeigeht, ist schlecht. Der Propagandist der Theorie ist vollkommen untauglich, der sich eine geistreiche Methode am Schreibtisch erdenkt und dann am Ende aufs höchste verwundert und betroffen ist, wenn diese Methode vom Propagandisten der Tat nicht angewandt wird oder, von ihm in Anspruch genommen, nicht zum Ziele führt. Die Methoden der Propaganda entwickeln sich ursächlich aus dem Tageskampf selbst heraus. Keiner von uns ist zum Propagandisten geboren worden. Wir haben die Mittel und Möglichkeiten einer wirksamen Massenpropaganda aus der täglichen Erfahrung gelernt und sie erst in der immer sich wiederholenden Anwendung zu einem System erhoben.

Auch die moderne Propaganda beruht noch im wesentlichen auf der Wirkung des gesprochenen Wortes. Revolutionäre Bewegungen werden nicht von großen Schriftstellern, sondern von großen Rednern gemacht. Es ist ein Irrtum, wenn man annimmt, das geschriebene Wort habe deshalb größere Wirkungen, weil es durch die Tagespresse an ein größeres Publikum herankommt. Wenn auch der Redner meistenfalls, und wenn es hoch geht, nur einige Tausend mit seinem Wort erreichen kann - wogegen der politische Schriftsteller manchmal und oft zehn- und hunderttausende Leser findet -, das gesprochene Wort beeinflußt in der Tat nicht nur den, der es unmittelbar hört, es wird von ihm hundert- und tausendfach weitergegeben und fortgetragen. Und die Suggestion einer wirkungsvollen Rede steht immer noch turmhoch über der papierenen Suggestion eines Leitartikels. [Und man bedenke, daß diese Erkenntnis noch aus der Zeit vor dem visuellen Medien-Massenkonsum des Fernsehzeitalters stammt, in der ein Redner mit seinem Wort ein Publikum von Millionen erreichen kann! Anm. d. Scriptorium.]

Wir waren deshalb auch im ersten Verlauf des Kampfes an Rhein und Ruhr in der Hauptsache und fast ausschließlich Agitatoren. Wir besaßen in der Massenpropaganda unsere einzige Hauptwaffe und waren um so mehr zu ihrem Gebrauch gezwungen, als uns ja vorderhand jede publizistische Waffe fehlte.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die ersten Erfolge, die wir im Ruhrgebiet erkämpften, sehr bald auch ihren Niederschlag fanden in den Auseinandersetzungen, die die Bewegung zur gleichen Zeit im ganzen Reich auszufechten hatte. Die Partei befand sich damals kurz nach dem Zusammenbruch und der Wiederfreilassung Adolf Hitlers aus der Festung Landsberg in einem verzweifelten Zustand. Sie hatte in kühnem Anlauf nach den letzten Dingen gegriffen und war dann aus der höchsten Höhe in die tiefste Tiefe hinabgeschleudert worden. Im Jahre 1924 war sie ausgefüllt von zermürbenden persönlichen Kleinkämpfen. Überall fehlte die sichere und feste Führerhand dessen, der in Landsberg hinter Gittern saß.

Das wurde zwar anders, als Adolf Hitler um Weihnachten 1924 die Festung verließ. Aber was kleine und beschränkte Geister in einem Jahr zerschlagen hatten, das konnte ein genialer Kopf in so kurzer Zeit nicht wieder aufbauen. Weit und breit sah man nur Scherben und Trümmer; viele der besten Kämpfer hatten der Bewegung den Rücken gekehrt und standen mut- und hoffnungslos resigniert beiseite.

Die Bewegung an Rhein und Ruhr war von diesen inneren Auseinandersetzungen im großen ganzen vom Schicksal verschont geblieben. Sie stand, soweit sie überhaupt um diese Zeit vorhanden war, unter dem Druck der feindlichen Besatzung. Sie war in die Defensive gedrängt und mußte sich so ihrer primitivsten Existenz erwehren. Sie hatte deshalb nur wenig Zeit für programmatische Debatten, die die Bewegung im unbesetzten Deutschland über das zulässige Maß bewegten. Ganz kleine, verschwiegen aufgezogene Stützpunkte bildeten ihr Rückgrat, solange der Feind im Lande saß. Und als die Franzosen abzogen, wurden diese Stützpunkte in kürzester Frist zu mächtig aufstrebenden Ortsgruppen ausgebaut, die das Terrain zu erobern trachteten, das im übrigen Reich längst schon genommen war, und in dem sich dort die Kampfgenossen in persönlichen und wohl auch sachlichen, meist aber sehr harten und unfreundlichen Auseinandersetzungen herumtummelten.

Niemand vermag die freudige Genugtuung zu schildern, die uns alle erfüllte, als es uns unter schweren Opfern gelang, der Rhein- und Ruhrbewegung in Elberfeld durch Errichtung einer ständigen Geschäftsstelle eine feste Zentrale zu geben. Sie war zwar noch primitiv und keineswegs den Anforderungen einer modernen Massenorganisation gewachsen. Aber wir hatten doch einen Sitz, einen Halt, ein Zentrum, von dem aus wir ins Land zu unseren Eroberungen vorstoßen konnten. Bald schon war die ganze Provinz übersponnen mit einem feinmaschigen Organisationsnetz; die ersten Anfänge der Sturmabteilungen begannen sich zu bilden. Umsichtige Organisatoren und begabte Redner übernahmen die Führung der Ortsgruppen; es blühte mit einem Male neues Leben aus den Ruinen.

Wie schwer mußte es mir fallen, diese hoffnungsvollen Anfänge aufzugeben und meine Tätigkeit in ein mir bis dahin noch ganz unbekanntes Arbeitsgebiet zu verlegen! Hier hatte ich begonnen. Hier glaubte ich für immer meinen festen Sitz gefunden zu haben. Nur mit Widerwillen konnte ich daran denken, diese Kampfposition aufzugeben und sie mit einer noch vagen und ungewissen Hoffnung auf andere Erfolge einzutauschen.




Alles das zog noch einmal in wirrem und ungeordnetem Zuge an meinem geistigen Auge vorüber, während die Lokomotive fauchend und heulend durch den grauen Nebel raste, vorbei an den Stätten meiner vergangenen Arbeit, und in westfälisches Land vorstieß. Was erwartet mich in Berlin? Es ist heute gerade der 9. November! Ein schicksalsschwerer Tag für Deutschland selbst, als auch ganz besonders für unsere eigene Bewegung! Drei Jahre sind es her, da knatterten an der Feldherrnhalle in München die Maschinengewehre und wurden die anmarschierenden Kolonnen eines jungen Deutschlands von der Reaktion zusammenkartätscht. Soll das das Ende sein? Oder liegt nicht vielmehr in unserer eigenen Kraft und in unserem Willen Hoffnung und Gewähr, daß Deutschland doch noch einmal und trotz allem wieder aufersteht und durch uns ein anderes politisches Gesicht bekommt?

Schon lastet schwer und grau der Novemberabend über Berlin, als der D-Zug in den Potsdamer Bahnhof hineinkeucht. Kaum sind zwei Stunden vergangen, da stehe ich zum ersten Male auf jenem Podium, das so oft noch in der Folgezeit Ausgangspunkt unserer weiteren politischen Entwicklung werden sollte. Ich spreche vor der Berliner Partei.

Eine Judengazette, die mich in späteren Jahren so oft noch tadelnd erwähnen mußte, nimmt als einziges Organ in der Reichshauptstadt von dieser Jungfernrede überhaupt Notiz. "Ein gewisser Herr Göbels, man sagt, er käme aus dem Ruhrgebiet, produzierte sich und verzapfte die altgewohnten Phrasen."




Die Berliner Bewegung, die ich nun als Führer übernehmen sollte, befand sich zur damaligen Zeit in einem wenig erfreulichen Zustand. Auch sie hatte die Irrungen und Wirrungen der Gesamtpartei mit durchmachen müssen, und wie jede Krise, so hatte sich auch diese in Berlin mit besonders verheerenden Folgen abgespielt. Führerstreitigkeiten hatten das Gefüge der Organisation, soweit davon überhaupt die Rede sein konnte, bis ins Mark erschüttert. Es schien vorläufig unmöglich, Autorität und feste Disziplin wieder durchzusetzen. Zwei Gruppen lagen sich in erbitterter Feindschaft gegenüber, und die Erfahrung hatte gezeigt, daß es ausgeschlossen war, die eine gegen die andere durchzusetzen. Lange hatte die Parteileitung gezögert, in diese Verwirrung einzugreifen. Man ging mit Recht von der Erwägung aus, daß, wenn dieser Zustand beseitigt werden sollte, die Neuordnung der Dinge in Berlin so vorgenommen werden müßte, daß sie wenigstens für eine geraume Zeit eine gewisse Stabilität der Partei garantierte. Innerhalb der Berliner Organisation aber zeigte sich keine Führerpersönlichkeit, der man die Kraft zutrauen konnte, die verlorene Disziplin wiederherzustellen und eine neue Autorität aufzubauen. Man kam dann am Ende auf den Ausweg, mich für eine bestimmte Zeit nach Berlin zu versetzen mit der Aufgabe, der Partei wenigstens die primitivsten Arbeitsmöglichkeiten wieder zu verschaffen.

Dieser Gedanke tauchte zum ersten Male auf dem Weimarer Parteitag im Jahre 1926 auf, wurde dann weiter verfolgt und gewann endgültig Gestalt bei einem gemeinsamen Ferienaufenthalt mit Adolf Hitler und Gregor Strasser in Berchtesgaden. Ich war verschiedene Male in Berlin und nahm bei diesen Besuchen Gelegenheit, die Zustände in der Berliner Organisation zu studieren, bis ich mich schließlich entschloß, die schwere und undankbare Aufgabe zu übernehmen.

Es war in Berlin so wie allerorts, wenn eine Organisation eine Krise durchmacht: es tauchten an allen Ecken und Enden Glücksritter auf, die nun ihre Zeit für gekommen hielten. Jeder versammelte um sich eine Clique oder einen Anhang, mit dem er Einfluß zu gewinnen versuchte, oder, wenn es sich um verräterische Subjekte handelte, die Verwirrung weiter zu fördern trachtete. Es war überhaupt unmöglich, in Ruhe und Sachlichkeit die Lage der Partei zu untersuchen und zu festen Entschlüssen zu kommen. Bezog man die verschiedenen Gruppen und Grüppchen mit in die Verhandlungen ein, dann sah man sich gleich von all den Kameraderien umgeben und eingekesselt und fand sich am Ende selbst nicht mehr durch.

Lange hatte ich geschwankt, ob ich das undankbare Amt überhaupt übernehmen sollte; bis mich schließlich Ziel und Pflicht dazu bestimmten, eine Arbeit mutig in Angriff zu nehmen, von der ich von vornherein wußte, daß sie mir mehr Sorge, Ärger und Verdruß bereiten würde, als sie mir Freude, Erfolg und Erfüllung einbringen konnte.

Die Krise, die die Berliner Bewegung zu erschüttern drohte, war im wesentlichen rein persönlicher Natur. Es handelte sich dabei weder um programmatische noch um organisatorische Differenzen. Jede der beiden Gruppen, die sich einander befehdeten, wollte nur ihren Mann an die Spitze der Bewegung stellen. Es blieb also nichts anderes übrig, als einen Dritten dorthin zu bestimmen, wo allem Anschein nach keiner der beiden Rivalen ohne schwerste Schädigung der Partei hingelangen konnte.

Ist es verwunderlich, daß ich als Neuling, der ich gar nicht aus Berlin stamme und damals den Charakter dieser Stadt und ihrer Bevölkerung nur ganz flüchtig kannte, von allem Anfang an vielfachen persönlichen und sachlichen Anfeindungen ausgesetzt war? Meine Autorität, die damals noch durch keinerlei Leistungen unterbaut war, konnte nirgendwo bei wichtigen Entscheidungen eingesetzt werden. Es handelte sich vorläufig und in der Hauptsache darum, diese Autorität überhaupt erst einmal zu begründen.

Allerdings war im Augenblick noch keinerlei Möglichkeit gegeben, die Bewegung zu sichtbaren politischen Erfolgen zu führen. Denn das, was man damals in Berlin Partei nannte, verdiente diesen Titel in keiner Weise. Es war ein wild durcheinander gewirbelter Haufen von einigen hundert nationalsozialistisch denkenden Menschen, von denen jeder sich über den Nationalsozialismus seine eigene und private Meinung gebildet hatte; und diese Meinung hatte in den meisten Fällen mit dem, was man gemeinhin unter Nationalsozialismus zu verstehen pflegt, nur recht wenig zu tun. Prügeleien zwischen den einzelnen Gruppen waren an der Tagesordnung. Gott sei Dank nahm die Öffentlichkeit davon keine Notiz, da die Bewegung selbst rein zahlenmäßig noch so unbedeutend war, daß selbst die Journaille, die doch sonst bei uns nichts unerwähnt läßt, darüber mit einem verächtlichen Achselzucken zur Tagesordnung überging.

Diese Partei war nicht manövrierfähig. Man konnte sie im entscheidenden politischen Kampf, ganz abgesehen von der Zahl, schon ihrer Güte nach nicht einsetzen. Man mußte sie zuvor einheitlich formen, mußte ihr einen gemeinsamen Willen eingeben und sie mit einem neuen, heißen Impuls beseelen. Man mußte sie zahlenmäßig verstärken und die enggezogenen Grenzen der parteipolitischen Sekte sprengen. Man mußte ihren Namen und ihr Ziel dem öffentlichen Denken einhämmern und der Bewegung selbst, wenn nicht Liebe und Achtung, so doch wenigstens Haß und leidenschaftliche Ablehnung erkämpften.

Die Arbeit begann damit, daß ich versuchte, die lockeren Bestandteile der Organisation wenigstens für eine gemeinsame Veranstaltung zusammenzubringen. Einige Tage nach meiner Übernahme der Berliner Führung hielten wir in Spandau, wo wir damals den festesten Stützpunkt der Bewegung hatten, unsere erste Generalmitgliederversammlung ab. Diese Veranstaltung gab dann in der Tat das traurigste Bild von den Zuständen, die sich im Verlauf der Krise in der Berliner Bewegung herausgebildet hatten. Die Mitgliedschaft, die den Saal nur spärlich besetzt hielt, zerfiel in zwei Teile. Der eine Teil war pro, der anderen war contra. Und da man sich untereinander und gegeneinander abgekämpft und ausgetobt hatte, richtete sich die gemeinsame Ablehnung gegen mich selbst und gegen den von mir vorgeschlagenen neuen Kurs, von dem die Quertreiber dumpf zu ahnen schienen, daß er allerdings in kürzester Frist dem ganzen disziplinlosen Treiben ein Ende machen würde.

Ich gab die Parole aus: Unter die Vergangenheit wird ein Strich gemacht und von vorne angefangen! Jeder, der nicht gewillt ist, für diese Parole mitzuarbeiten, wird ohne viel Federlesens aus der Bewegung ausgeschlossen. Wir verloren damit gleich beim ersten Auftreten ungefähr ein Fünftel des gesamten Parteibestandes in Berlin. Aber ich hatte die feste Zuversicht, daß die Organisation, wenn sie in sich verschmolzen war und keinerlei Bestandteile mehr aufwies, die ihre Existenz gefährdeten, auf die Dauer eben durch die Geschlossenheit ihres Auftretens mehr Erfolge, auch rein zahlenmäßig, versprach als eine größere Organisation, die immer und ewig von dem zersetzenden Treiben einer Handvoll gewerbsmäßig anarchischer Elemente bedroht war.

Viele meiner besten Parteigenossen wollten das damals nicht verstehen. Sie glaubten, auf diese Handvoll Mitglieder nicht verzichten zu sollen, die da der Partei den Rücken kehrten und ihr Todfeindschaft androhten. Die spätere Entwicklung hat gezeigt, daß die Bewegung selbst, sobald sie an den Feind herangeführt wird, solche Krisen ohne jede Gefahr ausschwitzt, und daß das, was wir damals zahlenmäßig verloren, zehn- und hundert- und tausendfach wieder durch eine gesunde und in sich gefestigte Kampforganisation hereingeholt wurde.

Die Berliner Bewegung hatte damals auch schon ihren festen Sitz. Allerdings war der von äußerster Primitivität. Sie bewohnte eine Art verdrecktes Kellergewölbe in einem Hinterhaus in der Potsdamer Straße. Dort domizilierte ein sogenannter Geschäftsführer mit einem Kassenheft, in dem er die täglichen Ein- und Ausgänge nach bestem Wissen zu buchen pflegte.
Die 'Opiumhöhle'
Die "Opiumhöhle" (XX)
Erste Geschäftsstelle der NSDAP. in Berlin, Potsdamer Straße 109
Stapel von Papier und Zeitungen lagen in den Ecken herum. Im Vorzimmer standen debattierende Gruppen von arbeitslosen Parteigenossen, die sich die Zeit mit Rauchen und Fabrizieren von Latrinenparolen vertrieben.

Wir nannten diese Geschäftsstelle die "Opiumhöhle". Und diese Bezeichnung schien in der Tat absolut zutreffend zu sein. Sie war nur mit künstlichem Licht zu erhellen. Sobald man die Tür aufmachte, schlug einem der Schwaden von schlechter Luft, Zigarren-, Zigaretten- und Pfeifenqualm entgegen. An ein solides und systematisches Arbeiten war hier selbstverständlich gar nicht zu denken.

Die Verwaltung einer Partei darf sich niemals auf die gute Gesinnung ihrer Beamten allein verlassen. Die Gesinnung soll bei der beruflichen Parteiarbeit selbstverständliche Voraussetzung sein und braucht deshalb nicht besonders betont zu werden. Zur guten Gesinnung jedoch gehört ein Zweites, und das schien in der "Opiumhöhle" vollkommen zu fehlen: der ernsthafte Wille und die Fähigkeit, etwas zu leisten. Es herrschte hier ein heilloses Durcheinander. Eine Organisation war kaum vorhanden. Die Finanzen befanden sich in einem trostlosen Zustand. Der damaligen Gau Berlin besaß nicht viel anderes als Schulden.

Es war eine der wichtigsten Aufgaben der Organisation, die Partei vorerst einmal auf eine gesunde finanzielle Basis zu stellen und ihr die Mittel zu verschaffen, mit denen sie überhaupt eine geregelte Arbeit aufnehmen konnte. Wir Nationalsozialisten vertreten den Standpunkt, daß eine revolutionäre Kampfpartei, die sich zum Ziel gesetzt hat, den internationalen Kapitalismus zu zertrümmern, nie und nimmer von eben demselben Kapitalismus die Geldmittel nehmen darf und kann, die sie zu ihrem Aufbau nötig hat. Es stand deshalb für uns von vornherein fest, daß die junge Bewegung in Berlin, die zu führen ich nun die Ehre hatte, sich die Mittel zu ihrem ersten Aufbau aus sich selbst heraus verschaffen mußte. Hatte sie dazu nicht die Kraft und den Willen, dann war sie lebensunfähig, und es erschien uns dann verlorene Liebesmüh', Zeit und Arbeit einer Aufgabe zu widmen, zu der wir kein Vertrauen haben konnten.

Es bedarf keiner besonderen Betonung, daß die Verwaltung einer Bewegung so billig wie möglich arbeiten muß. Andererseits aber gibt es bestimmte Voraussetzungen, die nun einmal für eine zielbewußte Organisation gegeben sein müssen; und zu ihrer Sicherstellung die notwendigen Finanzen herbeizuschaffen, war Ziel und Zweck meiner ersten Arbeit.

Ich appellierte an die Opferbereitschaft der Parteigenossen selbst. Am Bußtag des Jahres 1926 versammelten sich im Viktoriagarten in Wilmersdorf, in einem Saal, der später oftmals noch Stätte unserer propagandistischen Triumphe werden sollte, an die sechshundert Parteigenossen, denen ich die Notwendigkeit einer gesunden finanziellen Basierung der Berliner Organisation in längerer Rede darlegte. Das Ergebnis dieser Zusammenkunft war, daß die Parteigenossen sich verpflichteten, in monatlichen Opferbeiträgen fünfzehnhundert Mark bereitzustellen, mit denen wir in die Lage versetzt wurden, der Bewegung einen neuen Sitz zu geben, das notwendigste Verwaltungspersonal zu engagieren und mit dem Kampf um die Reichshauptstadt zu beginnen.


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Kampf um Berlin: der Anfang