[59] IV. Die wichtigsten Rohstoffe und ihre Quellen (Forts.) 3. Kautschuk Die weltwirtschaftliche Bedeutung der Gummirohstoffe – Kautschuk in erster, Guttapercha und Balata in zweiter Linie – hat im Lauf außerordentlich kurzer Zeit ein Ausmaß angenommen, das noch vor zwei Jahrzehnten vollkommen phantastisch erscheinen mußte. Während im Jahre 1830 ganze 230 t Kautschuk nach Europa kamen und im Jahre 1840 noch 400 t den Gesamtweltverbrauch deckten, betrug dieser im Jahre
Diese starke Steigerung ist zurückzuführen auf die Entwicklung der elektrischen Industrie, in erster Linie aber auf das gewaltige Aufblühen der Fahrrad- und Kraftfahrzeugherstellung. Der Krieg hat diese beiden Industriezweige ganz besonders weiter entwickelt, und nicht zuletzt die dabei gemachten Erfahrungen haben bewirkt, daß zumal das Kraftfahrzeug eine ungeahnte Verbreitung und Vielfältigkeit der Verwendung erringen konnte. Es ist bekannt, daß vor allem in Amerika das Automobil bereits das Verkehrsmittel des kleinen Mannes geworden ist, und auch in Deutschland ist seine Verwendung gegenüber dem Frieden gewaltig gestiegen. Nach den jeweils am 1. Juli stattfindenden amtlichen Zählungen liefen in Deutschland
Die besonders starke Vermehrung der in diesen Zahlen nicht enthaltenen sogenannten Leichtkrafträder und der Fahrräder ohne Motorantrieb – zumal auf dem Lande und in den Industriegegenden – wirkte in der gleichen Richtung. So steigerte sich der Weltkautschukverbrauch im Jahre
Für das Jahr 1925 dürfte er mit 500 000 t eher zu niedrig als zu hoch eingeschätzt sein.1 [60] Deutschland hat an der Steigerung des Weltverbrauchs an Gummirohstoffen in erheblichem Maße teilgenommen. Die Einfuhr von rohem oder gereinigtem Kautschuk, Guttapercha, Balata und Abfällen dieser drei stellte sich in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten vor dem Kriege folgendermaßen:
In der Nachkriegszeit betrug die Einfuhr der gleichen Stoffe:
Unter den Gummirohstoffen ist der Kautschuk bei weitem der wichtigste. An rohem oder gereinigtem Kautschuk wurden eingeführt:
und in der Nachkriegszeit
Wir haben sonach zwar die letzte Friedenseinfuhr zur Zeit erheblich überholt, im Verhältnis zu der ungeheuren Steigerung des Verbrauchs bedeutet das jedoch nicht viel. Tatsächlich sind wir in der Deckung unseres Bedarfs stark behindert. Das zeigt sich auch daran, daß eine Wiederausfuhr von Rohkautschuk, die vor dem Kriege immerhin eine gewisse Rolle spielte, zur Zeit fast gar nicht mehr stattfindet. Die Kautschukausfuhr Deutschlands betrug
Im Jahre 1913 stand Deutschland im Verbrauch von Kautschuk hinter den Vereinigten Staaten an zweiter Stelle. Gegenwärtig [61] nimmt es hinter Frankreich und Großbritannien den vierten Platz in dieser Hinsicht ein. Auch seine Stellung als erstes Ausfuhrland für Gummiwaren hat es nicht behaupten können. Die deutsche Ausfuhr ist in den letzten Jahren gesunken; neben dem weitaus führenden Amerika ist heute Frankreich sein stärkster Wettbewerber. An Kautschukwaren aller Art führte Deutschland aus:
Die Kautschukerzeugung hat sehr stürmische und krisenhafte Zeiten hinter sich. Bekanntlich stammt der Kautschuk von Pflanzen, die in sehr verschiedenen Gebieten vorkommen und sehr verschiedene Qualitäten liefern. Zur Kautschukgewinnung bedurfte man zunächst nicht der Kulturen, sondern man zapfte Kautschukpflanzen an oder schlug sie nieder, wo sie sich wildwachsend vorfanden. Dementsprechend wurden sämtliche tropischen Gegenden, in denen es kautschukliefernde Pflanzen gab, für die Gewinnung wahllos in Anspruch genommen, und zwar oft in so rücksichtsloser Weise, daß in vielen Gebieten nach einigen Jahren steigender Ausbeute die natürlichen Bestände so gut wie vernichtet waren. Das Ergebnis dieses Raubbaues war, daß die Kautschukerzeugung in vielen Gebieten Amerikas, Asiens und Afrikas wesentlich sank. Um die Deckung des Bedarfs weiterhin sicherzustellen, ging man dazu über, Kautschuk plantagenmäßig zu erzeugen. Das geschah zuerst im Jahre 1861 auf der Insel Java. Anlagen in größerem Maßstabe wurden im Jahre 1864 in Westjava, 1873 in Assam eingerichtet und machten schnelle Fortschritte. Immerhin wurde um die Jahrhundertwende noch nicht ein Zehntel v. H. der gesamten Kautschukerzeugung plantagenmäßig hervorgebracht. Das änderte sich schnell im nächsten Jahrzehnt, und zwar in unmittelbarem Zusammenhang mit der schnellen Entfaltung der Automobilindustrie, die nach Überwindung der von Amerika ausgehenden Wirtschaftskrise des Jahres 1907 vor allem in diesem Lande einen stürmischen Aufschwung nahm. Naturgemäß wirkte das auf die Kautschukpreise zurück, die schwindelhaft stiegen. So kostete 1 kg Parakautschuk in Hamburg im Jahresdurchschnitt
Zeitweise stieg der Breis bis auf 28 M für das Kilo empor. Die Folge dieser Entwicklung war ein Gründungsfieber in Kautschukgesellschaften. Vor allem bedeckten sich in Südostasien ge- [62] waltige Ländereien mit Kautschukplantagen, die in der Folgezeit sehr schnell steigende Zufuhren auf die Märkte brachten. So führten, um ein Beispiel zu nennen, die Vereinigten Malaienstaaten 1906 430 t Kautschuk aus, 1910 dagegen 6504 t, 1911: 11 500 t, 1912: 21 305 t, 1913: 35 334 t. Die Weltproduktion an Kautschuk, die 1903 55 603 t, 1910 76 553 t betragen hatte, hielt mit dem steigenden Bedarf Schritt und ergab im Jahre 1913 rund 108 000 t. Die Kautschukknappheit war damit behoben, und die Folge war ein starkes Sinken der überhöhten Preise. Der Jahresdurchschnittspreis für Parakautschuk in Hamburg, der 1910 18,60 M für 1 kg betragen hatte, war
Im Dezember 1913 betrug er 6,90 M. Aber auch auf diesem Stande, der damals vom Standpunkt der Kautschukproduzenten bereits als katastrophal angesehen wurde, konnten sich die Preise nicht halten. Zwar stieg der Bedarf ungeheuer an, vor allem in den Vereinigten Staaten, die im letzten Jahre etwa 70 v. H. der Weltproduktion aufnahmen und 85 v. H. ihrer Gummieinfuhr in Autoreifen umwandelten, aber die Erzeugung kam auch diesen Ansprüchen nach, ja ging zunächst darüber hinaus. Sie entwickelte sich seit 1913, in 1000 t ausgedrückt, folgendermaßen:
[63] Die Überproduktion von Kautschuk trat besonders 1919 und 1920, als das Kriegsende eine plötzliche Einschnürung des Bedarfs brachte, in Erscheinung und führte zu einem erneuten Absturz der Preise. Während im Jahresdurchschnitt 1913 Parakautschuk in London noch 3 s 8 ⅜ d für 1 lb gekostet hatte, sank dieser Preis 1920 bis auf 10 d, 1921 zeitweise bis auf 8 d, eine in diesem Ausmaß einzig dastehende Erscheinung in einer Zeit der allgemeinen Preissteigerung. Angesichts dieser Sachlage traten die englischen Kautschukproduzenten, die zusammen mit den holländischen fast neun Zehntel der Weltproduktion kontrollieren, auf den Plan und setzten Maßnahmen durch, die auf gesetzlicher Grundlage eine Anpassung der Erzeugung an den Verbrauch und eine Verminderung der preisdrückenden Vorräte anstrebten. Trotz scharfer Widerstände der Hauptverbraucher, vor allem Amerikas, ist diese Politik – der sogenannte Stevensonplan, dem sich die holländischen Kautschukproduzenten stillschweigend anschlossen – bis Ende 1925 durchgehalten worden. Es wurde dadurch erreicht, daß die Londoner Vorräte von 81 000 Tonnen im Jahre 1922 auf 32 000 Tonnen Ende 1924 und weiter auf 4 500 Tonnen im Juli 1925 zurückgingen, und daß die Weltmarktpreise etwa von Mitte 1924 nach starken Schwankungen aufwärts strebten. Sie haben zur Zeit die Durchschnittshöhe des letzten Friedensjahres überschritten. Nachstehend wird die Preisentwicklung nach den Londoner und New Yorker Notierungen dargestellt; deutsche Preise sind wegen des Währungsverfalls in der kritischen Zeit für einen Vergleich nicht brauchbar. Es betrug der Preis für 1 lb:
Ein Vergleich beider Zahlenreihen zeigt, daß seit Ende 1924 die New Yorker Preise schärfer noch anzogen als die Londoner, wie denn überhaupt die drängende amerikanische Nachfrage der tatsächliche Hauptgrund für die Preissteigerung ist. Zu Beginn des Jahres 1926 sind die Kautschukpreise etwas gefallen, jedoch wird das angesichts der starken Nachfrage als eine vorübergehende Erscheinung angesehen. Ihre künftige Entwicklung läßt sich nicht voraussagen, da auf dem Gummimarkt spekulative Momente eine große Rolle spielen. Wahrscheinlich ist, daß bei den auch noch nicht annähernd erschöpften Möglichkeiten für die Ausdehnung des Automobilverkehrs die Kautschukerzeugung sich noch für lange Zeit lohnen wird. Mit aus dieser Erwägung heraus sind neuerdings die Vereinigten Staaten dazu geschritten, sich eigene Produktionsgebiete in fremden Tropenländern zu sichern. Daß die Produktion auch bei mäßigen Preisen auf ihre Rechnung kommen kann, zeigen die Abschlüsse der Kautschukgesellschaften. Der englische Economist führt z. B. an, daß der Reingewinn von 274 Kautschukbaugesellschaften in dem am 1. Juni 1925 abgeschlossenen Geschäftsjahr um 47 v. H. gestiegen ist. Über den deutschen Kautschukbedarf ist eingangs gesprochen worden. Er ist im Steigen begriffen, und es besteht ein starkes nationalwirtschaftliches Interesse daran, ihm ergiebige und nach Möglichkeit eigene Erzeugungsgebiete sicherzustellen. Aus welchen Quellen sich unsere Kautschukversorgung vollzog und vollzieht, zeigen folgende Zahlen:
Im letzten Friedensjahr wurden rund 14 v. H. des deutschen Kautschukbedarfes aus den deutschen Schutzgebieten gedeckt. Gewiß ist das nur ein kleiner Teil unseres Bedarfes gewesen. Es ist jedoch nicht zu bezweifeln, daß er sich sehr erheblich hätte steigern lassen. Aus der Übersicht über die Weltkautschukproduktion ergab sich, daß der Wildkautschuk seine führende Rolle bei der Weltversorgung ausgespielt hat. Der Plantagenkautschuk beherrscht das Feld und lieferte 1924 und 1925 rund 93 v. H. der Weltproduktion. Seine Kultur hatte auch in den deutschen Kolonien, vor allem in Ostafrika, schnelle Fortschritte gemacht und bot die besten Aussichten. Nachstehend die Kautschukausfuhrzahlen der besetzten deutschen Schutzgebiete:
Es zeigt sich somit eine ziemlich rasche Zunahme der Erzeugung. Besonders gilt das von der plantagenmäßigen Gewinnung in Ostafrika, die 1908 die ersten Erträge lieferte, 1913 aber die Wildkautschukausfuhr um ein Vielfaches übertroffen hatte. Die Ausdehnung der Kautschukplantagen in Ostafrika und Kamerun zeigen die nachstehenden Zahlen:
[66] Die Weltkautschukkrise der Jahre 1910 bis 1913, die vorstehend geschildert worden ist, hatte natürlich auch den deutschkolonialen Kautschukbau betroffen, und man hatte ihm bereits, zum mindesten in Ostafrika, im Jahre 1912 den sicheren Untergang prophezeit. Die Vernachlässigung der deutschen Pflanzungen unter englischer Mandatsherrschaft, bei gleichzeitig niedrigen Preisen, schien diese Voraussage zunächst zu bestätigen. Indessen hat die ständig große Nachfrage nach Plantagenkautschuk neuerdings zu einer Belebung der Kultur geführt, die nunmehr nach Kräften gefördert werden soll. Im Sommer 1925 bildete sich in London die Usambara Rubber Estates Limited mit einem Kapital von rund 2½ Millionen M, die im Hinterland von Tanga auf einem Areal von rund 5000 ha – zum Teil altem Pflanzungsland – den Kautschukbau in großem Maßstab aufnehmen will. Im übrigen waren in Ostafrika wie in Kamerun erfreulicherweise vielfältige Möglichkeiten, durch gesteigerten Betrieb anderer Kulturen (Sisal, Baumwolle, Kakao, Ölrohstoffe), deren Ausnutzung die Kautschukkrise sogar zugute kommen konnte, die Zeiten der Depression zu überwinden.
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