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II. Die Wegnahme der deutschen Kolonien und ihre Verteilung

Es ist nicht Aufgabe dieser Darstellung, auf das Schicksal unserer Kolonien während des Krieges näher einzugehen. Genug, daß es sich nur allzu rasch erfüllte und erfüllen mußte. Im August und September 1914 schon besetzten Engländer und Franzosen Togo und die Hauptstadt Kameruns, Duala. Deutsch-Neuguinea, Samoa und den Bismarck-Archipel besetzten die Engländer. Im Oktober 1914 legte Japan die Hand auf die Marianen, die Karolinen und die Marshall-Inseln. Am 9. Juli 1915 erfolgte die Übergabe der südwestafrikanischen Schutztruppe in Stärke von 204 Offizieren, 3166 Mann, 37 Geschützen und 22 Maschinengewehren an General Botha. Am 6. Februar 1916 trat die Kameruner Schutztruppe nach Spanisch-Guinea über. Nur in Ostafrika ist die deutsche Kriegsflagge – unbesiegt – erst niedergeholt worden, als von der Heimat aus der Befehl dazu kam. Gemäß Artikel XVII des Waffenstillstandsvertrages vom 11. November 1918, der verlangte:

"Abzug aller deutschen, in Ostafrika kämpfenden Truppen innerhalb einer durch die Alliierten festgesetzten Frist"

übergab General von Lettow-Vorbeck am 25. November 1918 zu Abercorn seine Streitkräfte den Engländern. Er hatte mit einer Truppe, die niemals eine Kampfstärke von 10 000 Mann überschritt und auch diese nur ganz vorübergehend hatte, alle die Jahre hindurch sich einen Gegner von 200 000 bis 300 000 Mann vom Leibe zu halten oder sich ihm zu entziehen vermocht. So sehr ihm hierbei auch eben die Kleinheit und die dadurch erhöhte Beweglichkeit seiner Verbände, die genaue Kenntnis des Landes und die Unbegrenztheit seines Operationsgebietes zu Hilfe kamen – die im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten erfolgreiche deutsche Kriegführung wäre nicht denkbar gewesen, wenn nicht, wie in der Heimat, auch in den Kolonien der Krieg eine Art Volkskrieg gewesen wäre. Es war nicht so, daß die kleine Schar weißer Männer in den Schutzgebieten als Fremdkörper innerhalb der eingeborenen Bevölkerung sich isoliert und mühsam durch die Kriegszeiten hätte durchbringen müssen. Sondern überall da, [21] wo überhaupt Kriegshandlungen möglich waren, stützte sich die deutsche Truppenführung auf die Eingeborenen, die die deutsche Sache zu der ihrigen gemacht hatten und auch Blut und Leben für sie einzusetzen bereit waren, wofür 14 000 Tote zeugen. Das geschah nicht aus einem äußeren Zwang heraus, der ja auch gar nicht ausgeübt werden konnte, sondern aus echter Anhänglichkeit und aus der Erkenntnis, daß die deutsche Sache gleichzeitig die Sache der unter deutscher Oberhoheit stehenden Afrikaner sei.

Das letztere besonders zu betonen, ist von Wichtigkeit im Hinblick auf die Begründung, mit der nach Beendigung des Krieges die 27 Alliierten und Assoziierten Mächte dem Deutschen Reich seine Kolonien absprachen.

Bekanntlich sollten die 14 Punkte des von Herrn Wilson in seiner berühmten Kongreßrede vom 8. Januar 1918 aufgestellten Friedensprogramms, mit deren Annahme sich Deutschland durch die Note vom 12. Oktober 1918 einverstanden erklärt hatte, die Grundlage des abzuschließenden Friedens bilden, und der fünfte dieser Punkte sah vor:

Eine freie, weitherzige und absolute unparteiische Ordnung aller kolonialen Ansprüche, beruhend auf strikter Befolgung des Grundsatzes, daß bei der Entscheidung aller Souveränitätsfragen die Interessen der beteiligten Bevölkerung das gleiche Gewicht haben müssen, wie die billigen Ansprüche der Regierung, über deren Rechtstitel zu entscheiden ist."1

In feierlicher Form ist in der Note des amerikanischen Staatssekretärs Lansing vom 23. Oktober 1918 an die deutsche Regierung festgelegt worden, daß Deutschland vorbehaltlos jene 14 Punkte als Friedensgrundlage anerkennt. In nicht minder feierlicher Form ist in Lansings Note vom 5. November 1918 an den schweizerischen Gesandten in Washington die Erklärung der Alliierten festgehalten worden, daß auch sie bereit seien, mit Deutschland ihren Frieden auf der Grundlage von Wilsons Botschaft vom 18. Januar 1918 zu machen.2 Trotzdem ist, wie alle anderen, so auch der Punkt 5 ledig- [22] lich ein toter Programmpunkt geblieben. Weder die deutsche Regierung noch auch die afrikanische Bevölkerung ist jemals nach ihren Ansprüchen gefragt worden, obwohl die Rechtmäßigkeit des Erwerbes des deutschen Kolonialbesitzes niemals und von keiner Seite in Zweifel gezogen worden war. Ohne irgendeine Anhörung des deutschen Standpunktes und ohne nähere Begründung bestimmte der Artikel 119 des Friedensvertragsentwurfs:

"Deutschland verzichtet zugunsten der Alliierten und Assoziierten Hauptmächte auf alle seine Rechte und Ansprüche bezüglich seiner überseeischen Besitzungen."

Diese "Hauptmächte" sind nach der Einleitung des Friedensvertrages die Vereinigten Staaten von Amerika, das Britische Reich, Frankreich, Italien und Japan.

Ferner bestimmte Artikel 125 des Vertragsentwurfs:

"Deutschland verzichtet auf alle Rechte aus den Übereinkommen und Vereinbarungen mit Frankreich vom 4. November 1911 und 28. September 1912, betreffend Äquatorial-Afrika. Es verpflichtet sich, alle hinterlegten Werte, Kredite, Vorschüsse usw., die auf Grund dieser Abkommen Deutschland zugute gekommen sind, der französischen Regierung zurückzuerstatten. Die Berechnung wird von der französischen Regierung aufgestellt. Sie bedarf der Billigung des Wiedergutmachungsausschusses."

Den in diesen beiden Artikeln enthaltenen Forderungen wurde deutscherseits in den mit Note vom 29. Mai 1919 überreichten "Bemerkungen der Deutschen Friedensdelegation zu den Friedensbedingungen'' folgendes entgegengehalten:

"Artikel 119 des Entwurfs verlangt von Deutschland den Verzicht auf alle seine Rechte und Ansprüche bezüglich seiner überseeischen Besitzungen. Die Bestimmung steht in unvereinbarem Widerspruch zu Punkt V der Kongreßrede vom 8. Januar 1918, worin Präsident Wilson eine freie, aufrichtige und unbedingt unparteiische Schlichtung aller kolonialen Ansprüche verheißt. Die Grundlage jeder unparteiischen Regelung ist, daß vor der Entscheidung die Parteien gehört und ihre Ansprüche geprüft werden. Artikel 119 weist die deutschen Ansprüche von vornherein zurück, ohne daß Deutschland überhaupt in die Lage versetzt worden ist, sie geltend zu machen.

Deutschlands Anspruch auf seine Kolonien gründet sich in erster Linie auf die Tatsache, daß es sie rechtmäßig erworben und in zäher, erfolgreicher Arbeit mit vielen Opfern entwickelt hat. [23] Sein Besitzstand ist von allen Mächten anerkannt. Wo Streitigkeiten mit anderen Mächten über einzelne Gebietsteile bestanden haben, sind sie im Wege der Vereinbarung oder des Schiedsspruchs beigelegt worden.

Der Besitz der Kolonien ist für Deutschland in Zukunft noch mehr als früher notwendig, weil es schon im Hinblick auf die ungünstige Gestaltung der Valutaverhältnisse die Möglichkeit haben muß, die für seine Volkswirtschaft erforderlichen Rohstoffe soviel als möglich aus eigenen Kolonien zu gewinnen. Es benötigt auch bei seinen durch den Ausgang des Krieges geschmälerten Erwerbsmöglichkeiten den aus der Eigenerzeugung zu erzielenden Gewinn.

Deutschland bedarf seiner Kolonien ferner als Absatzgebiete für seine Industrie, um Rohstoffe tunlichst mit eigenen Fabrikaten bezahlen zu können, und als Betätigungsfeld für seinen Handel. Es hofft, daraus Hilfe zu erlangen, um den im Friedensvertrag festgesetzten Verpflichtungen nachzukommen.

Endlich braucht Deutschland Kolonien, um Siedlungsgebiete wenigstens für einen Teil des Überschusses seiner Bevölkerung zu haben, um so mehr, als durch den Ausgang des Krieges die Notwendigkeit der Auswanderung vermehrt und die Auswanderungsmöglichkeit beschränkt wird.

Als ein großes Kulturvolk hat das deutsche Volk das Recht und die Pflicht, an der wissenschaftlichen Erforschung der Welt und an der Erziehung unentwickelter Rassen als einer gemeinsamen Aufgabe der zivilisierten Menschheit mitzuarbeiten. Es hat nach dieser Richtung in seinen Kolonien Außerordentliches geleistet. Diese Feststellung und der aus ihr abgeleitete Anspruch wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß bei der Verwaltung der deutschen Kolonien Mißgriffe und Fehler vorgekommen sind, wie die Kolonialgeschichte aller Völker sie aufzuweisen hat. Deutschland hat einen moralischen Anspruch darauf, seine erfolgreiche Arbeit fortsetzen zu können.

Deutschlands Verbleiben in seinen Kolonien ist aber ebensosehr in den Interessen der farbigen Bevölkerung dieser Gebiete begründet. Die deutsche Verwaltung hat die verheerenden und unaufhörlichen Raubkriege der Stämme, die Willkür der Häuptlinge und Zauberer, den Sklavenraub und Sklavenhandel und die mit dem allen gegebene Unsicherheit des Lebens und Eigentums beseitigt. Sie hat dem Lande Frieden und Ordnung gebracht und die Bedingungen für einen ungefährdeten Verkehr und Handel [24] geschaffen. Eine unparteiische, die Anschauungen und Gebräuche der Eingeborenen berücksichtigende Rechtsprechung bot Schutz vor Bedrückung und Ausbeutung auch gegenüber den Weißen. Die Erschließung des Landes durch Straßen und Eisenbahnen für den Weltverkehr und seinen Handel und die Förderung vorhandener und Einführung neuer Kulturen hat das wirtschaftliche Leben der Eingeborenen auf eine höhere Stufe gehoben. Die Verwaltung war zugleich bemüht, die eingeborene Bevölkerung durch weitgehende soziale Fürsorge zu schützen, insbesondere durch Arbeitsgesetzgebung und Überwachung des Abschlusses von Verträgen zwischen Weißen und Eingeborenen. Die wissenschaftliche Erforschung und planmäßige Bekämpfung der Menschen- und Tierseuchen (Malaria, Pocken, Schlafkrankheit, Rinderpest u. a.), an der erste deutsche Autoritäten, wie Robert Koch, tätigen Anteil nahmen, eine umfassende Gesundheitspflege und die Errichtung von Krankenhäusern haben die segensreichsten Folgen für Leben und Gesundheit der Eingeborenen gehabt.

Ein durchgebildetes Schulwesen, das auch Handwerker- und Ackerbauschulen umfaßte, diente der geistigen und wirtschaftlichen Erziehung der Eingeborenen. Die deutschen Kolonien gehörten zu den am schnellsten und hoffnungsvollsten sich entfaltenden Arbeitsfeldern der christlichen Missionen beider Konfessionen.

Aus dem allen ergibt sich, daß Deutschland das Interesse seiner Eingeborenen gewahrt hat. Es hat sich insbesondere jeglicher Militarisierung seiner Eingeborenen von Anfang an streng enthalten und würde daher einem internationalen Verbot der Militarisierung rückhaltlos zustimmen. Deutschland hat bereits bisher an allen internationalen Regelungen wichtiger kolonialer Fragen, wie Abschaffung des Sklavenhandels, Unterdrückung des Waffenhandels und des Alkoholmißbrauchs und Bekämpfung der Schlafkrankheit, regsten Anteil genommen. Auch soweit keine internationale Bindung vorlag, hat Deutschland im Gegensatz zu einigen anderen bedeutenden Kolonialmächten in seinen Kolonien stets den Grundsatz der offenen Tür unter tatsächlich völlig gleicher Behandlung fremder Staatsangehöriger durchgeführt.

Zahlreiche Zeugnisse angesehener Kolonialschriftsteller des Auslandes vor dem Kriege, ebenso wie die Anhänglichkeit der Eingeborenen der deutschen Schutzgebiete, insbesondere Ostafrikas während des Krieges, beweisen die Aufrichtigkeit und die großen Erfolge deutscher kolonisatorischer Arbeit.

[25] Aus vorstehenden Gründen wird die in den Artikeln 119 und 125 erhobene feindliche Forderung eines Verzichts Deutschlands auf seine Kolonien für ungerechtfertigt gehalten."

Im Anschluß an diese Ausführungen wurde auf die Notwendigkeit der Anhörung beider Teile vor der Entscheidung hingewiesen und die Bildung eines besonderen Ausschusses zu diesem Zweck verlangt. Es wurde ferner gefordert, Deutschland zum mindesten die Verwaltung seiner Kolonien, wenn auch nur als Mandatar des künftigen Völkerbundes, zu belassen.

In der Mantelnote vom 16. Juni 1919, mit der die Alliierten und Assoziierten Mächte ihre Antwort auf die deutschen Gegenvorschläge überreichten, werden die deutschen Vorstellungen mit folgenden Bemerkungen abgetan:

"Endlich haben die Alliierten und Assoziierten Mächte sich davon überzeugen können, daß die eingeborenen Bevölkerungen der deutschen Kolonien starken Widerspruch dagegen erheben, daß sie wieder unter Deutschlands Oberherrschaft gestellt werden, und die Geschichte dieser deutschen Oberherrschaft, die Traditionen der Deutschen Regierung und die Art und Weise, in welcher diese Kolonien verwandt wurden als Ausgangspunkte für Raubzüge auf den Handel der Erde, machen es den Alliierten und Assoziierten Mächten unmöglich, Deutschland die Kolonien zurückzugeben oder dem Deutschen Reiche die Verantwortung für die Ausbildung und Erziehung der Bevölkerung anzuvertrauen.

Aus diesen Gründen sind die Alliierten und Assoziierten Mächte davon überzeugt, daß ihre territorialen Vorschläge sowohl mit der vereinbarten Grundlage des Friedens als auch mit den notwendigen Voraussetzungen für den künftigen Frieden Europas in Einklang stehen. Sie sind daher nicht geneigt, sie über das angegebene Maß hinaus abzuändern."

Und die ersten vier Artikel der Antwortnote selbst, die als Musterbeispiel für Verlogenheit und Heuchelei Anspruch auf wörtliche Wiedergabe haben, lauten:

I.

"Bei dem Verlangen, daß Deutschland allen Rechten und Ansprüchen auf seine überseeischen Besitzungen entsage, haben die Alliierten und Assoziierten Mächte in allererster Linie die Interessen der eingeborenen Bevölkerungen berücksichtigt, für die Präsident Wilson im fünften seiner 14 Punkte der Botschaft vom 8. Januar 1918 eingetreten ist. Es genügt, auf die deutschen amt- [26] lichen und privaten Zeugnisse vor dem Kriege und auf die im Reichstag besonders von den Herren Erzberger und Noske erhobenen Anklagen Bezug zu nehmen, um ein Bild von den kolonialen Verwaltungsmethoden Deutschlands, von den grausamen Unterdrückungen, den willkürlichen Zwangsbeitreibungen und den verschiedenen Formen der Zwangsarbeit zu erhalten, die weite Strecken in Ostafrika und Kamerun entvölkert haben, ganz zu schweigen von dem aller Welt bekannten tragischen Schicksal der Hereros in Südwestafrika.

Deutschlands Versagen auf dem Gebiete der kolonialen Zivilisation ist zu deutlich zutage getreten, als daß die Alliierten und Assoziierten Mächte ihre Hand zu einem zweiten Versuche bieten und die Verantwortung dafür übernehmen könnten, dreizehn bis vierzehn Millionen Eingeborener von neuem einem Schicksal zu überlassen, von dem sie durch den Krieg befreit worden sind.

Außerdem haben die Alliierten und Assoziierten Mächte es für notwendig erachtet, ihre eigene Sicherheit und den Frieden der Welt gegen einen militärischen Imperialismus zu sichern, der darauf ausging, sich Stützpunkte zu schaffen, um gegenüber den anderen Mächten eine Politik der Einmischung und Einschüchterung zu verfolgen.

II.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte sind der Meinung gewesen, daß der Verlust seiner Kolonien Deutschlands normale wirtschaftliche Entwicklung nicht behindern würde.

Der Handel der deutschen Kolonien hat immer nur einen ganz geringen Bruchteil des Gesamthandels Deutschlands ausgemacht: 1913 ½ v. H. der Einfuhr und ½ v. H. der Ausfuhr. Von der gesamten Einfuhr Deutschlands an Erzeugnissen wie Baumwolle, Kakao, Kautschuk, Palmkernen, Tabak, Jute und Kopra kamen nur 3 v. H. aus seinen Kolonien. Es liegt auf der Hand, daß der finanzielle, kommerzielle und industrielle Wiederaufbau Deutschlands von anderen Faktoren abhängig ist.

Aus klimatischen und anderen natürlichen Gründen können die deutschen Kolonien nur einen ganz geringen Bruchteil der deutschen Auswanderung aufnehmen. Die kleine Zahl der Ansiedler, die sich vor dem Kriege dort niedergelassen halten, ist in dieser Beziehung Beweis genug.

III.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte haben für die Abtretung der deutschen Kolonien Bedingungen vorgesehen, die den Regeln des internationalen Rechts und der Billigkeit entsprechen.

[27] a) Die Alliierten und Assoziierten Mächte wenden auf die deutschen Kolonien den allgemeinen Grundsatz an, daß der Übergang der Souveränität den Übergang des beweglichen und unbeweglichen Eigentums des abtretenden Staates auf den Staat, dem das Gebiet übertragen wird, unter den gleichen Bedingungen zur Folge hat.

Sie sehen keinen Grund dafür, bei den Kolonien Abweichungen von diesem Grundsatz zuzugestehen, wie sie hinsichtlich europäischer Gebiete ausnahmsweise zugebilligt worden sind.

b) Sie sind der Meinung, daß die Kolonien weder irgendeinen Teil der deutschen Schuld zu tragen haben, noch daß ihnen die Verpflichtung auferlegt werden darf, die von der Kaiserlichen Schutzgebietsverwaltung gemachten Aufwendungen zu erstatten. Sie glauben, daß es ungerecht sein würde, die Eingeborenen mit Ausgaben zu belasten, die offenbar vornehmlich in Deutschlands eigenem Interesse gemacht worden sind, und daß es nicht weniger ungerecht sein würde, diese Verbindlichkeit den Mandatsmächten aufzuerlegen, die, da sie vom Völkerbund als Treuhänder bestellt worden sind, keinerlei Vorteil aus diesem anvertrauten Gute ziehen werden.

IV.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte haben es im Interesse der Eingeborenen und im Interesse des allgemeinen Friedens für notwendig erachtet, der Betätigung, die Deutschland über seine früheren Kolonien oder über die Gebiete der Alliierten und Assoziierten Mächte auszuüben suchen könnte, Schranken zu setzen.

a) Aus den bereits erwähnten Sicherheitsgründen sind sie verpflichtet, sich volle Handlungsfreiheit für die Regelung der Bedingungen vorzubehalten, unter denen Deutsche die Erlaubnis erhalten können, sich in den Gebieten der früheren deutschen Kolonien niederzulassen. Die Kontrolle des Völkerbundes wird übrigens Deutschland alle notwendigen Sicherheiten bieten.

b) Sie verlangen Deutschlands Zustimmung zu den Verträgen, die sie zur Regelung des Handels mit Waffen und geistigen Getränken und zur Abänderung der Generalakten von Berlin und Brüssel abschließen werden. Sie glauben nicht, das Deutschland Grund hat, sich dadurch erniedrigt und verletzt zu fühlen, daß es im voraus seine Zustimmung zu Abmachungen geben soll, die von allen großen Handelsmächten in Fragen von solcher Wichtigkeit für das Wohlergehen der eingeborenen Bevölkerungen und für [28] die Aufrechterhaltung der Zivilisation und des Friedens angenommen werden."

Uns mit dem Inhalt dieses Dokuments auseinanderzusetzen, überschreitet den Rahmen unserer Aufgabe. Zudem ist es in ausgiebiger und objektiv beweiskräftiger Form schon von anderer Seite geschehen.3 Wir haben lediglich festzustellen, daß die Artikel 119 und 125 unverändert in den endgültigen "Vertrag" übernommen wurden. Das gleiche gilt für eine Reihe von anderen Bestimmungen im Teil IV, Abschnitt I des Versailler Vertrages, gegen die von deutscher Seite vergeblich angekämpft wurde. Sie übertragen alles bewegliche und unbewegliche Staatseigentum ohne Entschädigung auf die Mandatarmächte. Weder diese noch die Kolonien selbst sollen an den finanziellen Verpflichtungen des Reichs teilhaben. Der deutsche Privatbesitz wird der Willkür der Mandatare preisgegeben. Sie dürfen alles Eigentum der deutschen und von Deutschen kontrollierten Gesellschaften liquidieren. Sie dürfen ferner die Deutschen in den Kolonien nach Wohlgefallen "heimschaffen", d. h. ausweisen, und ebenso den Zuzug Deutscher nach eigenem Befinden verbieten. Für alle Schäden, die – nach französischer Berechnung – französische Staatsangehörige in Kamerun oder der Grenzzone vom 1. Januar 1900 bis zum 1. August 1914 deutscherseits erlitten haben, mußte Deutschland die Verpflichtung zur Wiedergutmachung übernehmen.

Durch Beschluß des Obersten Rates des Völkerbundes vom 6. Mai 1919 ist der deutsche Überseebesitz in folgender Weise aufgeteilt worden:

Es wurden mandatsweise überwiesen:

1. Südwestafrika an die Südafrikanische Union (etwa 835 000 qkm);

2. die deutschen Südseebesitzungen südlich des Äquators mit Ausnahme von Samoa und Nauru (etwa 240 000 qkm) an Australien;

3. die deutschen Südseebesitzungen nördlich des Äquators (etwa 2600 qkm) an Japan;

4. Samoa (etwa 2600 qkm) an Neuseeland;

5. Nauru (etwa 26 qkm) an England, Australien und Neuseeland;

6. Ost-Togo (etwa 56 000 qkm) an Frankreich;

7. West-Togo (etwa 33 000 qkm) an England;

[29] 8. Kamerun (etwa 407 000 qkm) an Frankreich bis auf einen an England gefallenen, von SW nach NO verlaufenden Streifen (etwa 88 000 qkm).

Der gesamte, 1911 von Frankreich an Deutschland abgetretene Teil von Kamerun – das sogenannte Neukamerun – (etwa 295 000 qkm) ist von Frankreich unter Berufung auf Artikel 125 Französisch-Äquatorial-Afrika angegliedert worden.

9. Ostafrika mit Ausnahme von Ruanda und Urundi (etwa 944 000 qkm) an England;

10. Ruanda und Urundi (etwa 48 000 qkm) an Belgien.

Das Kiongadreieck im Süden Ostafrikas (etwa 600 qkm) ist auf Grund einer Einigung zwischen England und Portugal vom Obersten Rat am 25. September 1919 an Portugal zu voller Souveränität übertragen worden.

Das deutsche Kolonialreich hatte damit aufgehört zu bestehen. Daß seine Bestandteile nicht offen annektiert und verteilt, sondern – bis auf Neukamerun – im Mandatswege vergeben wurden, vermag nur einer sehr harmlosen Öffentlichkeit den Tatbestand der vollzogenen Aneignung zu verbergen. Das letztere – vor allem in den neutralen Ländern – zu erreichen, war ein Grund für die Wahl des Mandatssystems. Ein ökonomischer Grund lag tiefer: bei offener Übereignung und Übertragung der Souveränität an die jetzigen Mandatarmächte – als welche ja nur die fünf "Hauptmächte" unter den 27 Alliierten und Assoziierten galten – hätte deren Verpflichtung, sich die Beute auf die endgültige Entschädigung anrechnen zu lassen, kaum umgangen werden können. Mit Hilfe des Mandatssystems ließ sich das im Verschleierungswege bewerkstelligen. Alles das geschah im Zeichen des eingangs zitierten "fünften Punktes" und des zweiten Punktes von Wilsons programmatischer New Yorker Rede vom 27. September 1918, der ebenfalls feierlich als unerschütterlicher Bestandteil der Grundlage für den Weltfrieden anerkannt worden war:

"Kein besonderes oder einzelnes Interesse irgendeiner einzelnen Nation oder einer Gruppe von Nationen kann zur Grundlage irgendeines Teiles der Vereinbarung gemacht werden, wenn es nicht mit den gemeinsamen Interessen aller übereinstimmt."4







Die Bedeutung kolonialer Eigenproduktion
für die deutsche Volkswirtschaft

Dr. Max Warnack