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Kaiser Josef und seine Reformen

Die tiefe Kluft, die sich zwischen dem um die Führung in Deutschland und seine Großmachtstellung in Europa ringenden Preußen und der habsburgischen Großmacht Maria Theresias seit dem Beginn des Ersten Schlesischen Krieges aufgetan und mit jedem neuen Feldzug immer verhängnisvoll erweitert hatte, vermochte auch der Hubertusburger Friede nicht zu überbrücken. Wohl hatten die siegreichen Kriege des großen Königs für Preußen jene Basis geschaffen, von der einst der Neubau des Zweiten Reiches aufgenommen werden sollte, aber noch vereinigte Wien alle überlieferten Rechte auf den deutschen Kaiserthron, und der König selber hatte im Hubertusburger Frieden dem Sohne Maria Theresias die deutsche Kaiserwürde zubilligen müssen.

Die Vertretung dieser kaiserlichen Rechte glich aber trotz des verlorenen innerdeutschen Krieges in der Hand Maria Theresias und vor allem ihres bedeutsamen Sohnes Josef II. durchaus nicht der müden Resignation jener Habsburger, die wirklich nur zum Scheine mehr dem "Phantom eines Ideals" vorgestanden hatten. Deshalb mußte König Friedrich immer gewärtig sein, daß Haus Habsburg sich in der Verfolgung staatlicher Hoheitsverschiebungen im deutschen Raum auch seinerseits wiederum jene Basis zu schaffen versuchte, von der aus es die junge Großmachtstellung Preußens erdrücken konnte. So blieb die Politik der beiden Fürstenhäuser auch weiterhin auf ein argwöhnisches Beobachten der beiderseitigen innerpolitischen Maßnahmen wie der außenpolitischen Annäherungen an andere Staaten abgestimmt, bis sie endlich wieder der alte Feind Deutschlands, Frankreich, zur gemeinsamen Verteidigung des Reichsbodens zwang.

Vorerst aber galt auf innerstaatlichem Gebiet alle Fürsorge der verantwortlichen Staatslenker der Wiedergutmachung der durch die langen schweren Kriegsjahre entstandenen furchtbaren Schäden. Auch hier war es wiederum die lediglich auf die Kräftigung des eigenen Staatswesens abgestimmte Aufbauarbeit, die zum Schaden des großen Reichsgedankens eine Verhärtung des Gegensatzes zwischen dem "Staate" Preußen und dem "Staate" Österreich schuf. König Friedrichs erschöpfende organisatorischen Fähigkeiten wandten sich ausschließlich dem Aufbau eines Staatswesens zu, dessen Ausrichtung gewiß unbewußt, aber doch für beinahe zwei Jahrhunderte eine kleindeutsche Lösung der deutschen Frage vorbereitete. Habsburg seinerseits suchte allerdings die deutsche Durchdringung seiner Ländermassen durch weitgehendste Zuführung deutschen Blutes aus dem Westen des Reiches in den Südostraum zu erweitern, aber auch seine Staatsführung war nur darauf bedacht, die [171] Verankerung des österreichischen Staatsgedankens unter Ausnützung der deutschen Volkskraft in seinem gewaltigen Hoheitsgebiet zu verbreiten.

Erstes Instrument, das alle dem Staatsgedanken dienenden Kräfte im vorbildlichsten Maße in sich vereinigen sollte, war bei beiden Mächten die Armee. Ihr galt in der Hauptsache alle Fürsorge, ihr wurden in weitestem Maße die besten Kräfte des Volkes zugeführt und für ihren Ausbau hatte in erster Linie der Säckel des Staates zu sorgen. War es in Preußen der König, der nun als deutscher Nationalheld das Ruhmeserbe Prinz Eugens antrat und mit dem Neuaufbau des Heeres nicht nur demselben und seinem Staate, sondern darüber hinaus auch dem deutschen Volke in seiner eigenen Person das Vorbild des preußischen Geistes schuf, so war es in Österreich jetzt vor allem Josef II., seit dem Tode Herzog Franz Stephans von Lothringen-Toskana im Jahre 1765 Mitregent seiner Mutter, der zusammen mit Lascy und Laudon die bereits begonnenen und während des Siebenjährigen Krieges weitergeführten Heeresreformen Maria Theresias zu einer weiteren Vervollkommnung brachte.

Wenden wir uns hier noch einmal kurz den fortschreitenden Verbesserungen im Aufbau des österreichischen Heeres zu, dessen grundlegende Reformierung schon vor dem Beginn des Siebenjährigen Krieges besprochen wurde.

Ausgehend und überleitend von dem System der Reichswerdung, die dem kaiserlichen Heere bis 1790 rund 125 000 Mann aus dem Reiche eingebracht hatte, und der bisher bestehenden Gepflogenheit der Werbekantone für die einzelnen Truppenkörper wurde 1780 auf Grund einer vom Kaiser Josef angeordneten Volkszählung zur Einführung einer gesetzlich geregelten Konskription geschritten. Muster hierfür war das preußische Kantonsystem. Durch dieses Konskriptionsgesetz wurde in erster Linie die deutsche Bevölkerung des habsburgischen Reiches erfaßt. Es gab allerdings gerade in den wehrhaftesten Landesteilen des Reiches, so in Tirol, auf Grund der überlieferten Wehrverfassung dieser Gebiete erst erhebliche Widerstände zu überwinden. Ungarn nahm ohnehin eine Sonderstellung ein und erhielt erst 1783 feste Werbebezirke. Aber auch die übrigen nichtdeutschen Gebiete des Kaiserstaates hielten auf Grund ihrer Verfassungen nach wie vor einzig am Werberecht der kaiserlichen Verwaltung fest. Dennoch wurde gerade durch die Auffüllung der Truppenkörper durch deutsche Rekruten jener Kern des österreichischen Heeres geschaffen, der eine glänzende Feuerprobe in den Napoleonischen Kriegen bestand. Das Verhältnis der Konskribierten zu den durch Werbung eingeweihten Mannschaften war sieben zu drei. Bedenklicher war die weitgehende Befreiung der gebildeten Klassen, die selbst der sonst [172] bei allen Maßnahmen so durchgreifende Kaiser Josef nicht zu verhindern vermochte. Waren schon in Preußen vielen Befreiungen häufig Türen und Tore geöffnet, so blieben erst in Österreich Geistliche, Adlige, Beamte, Kaufleute, Künstler, Ärzte, Hausbesitzer, Besitzer von Bauerngütern und außerdem noch zeitlich "untere Beamte und viele Angestellte und Handwerker" vom Militärdienst befreit. Es bedurfte erst der gewaltsamen Aufrüttelung des deutschen Volkes durch den Korsischen Eroberer, um die von so vielfachem Eigendünkel behafteten Schichten unseres Volkes an diese Pflichten zu erinnern. Aber bis es zu diesem gewaltigen Aufbruch der Nation kam, war es gerade der aus den ärmsten Volksschichten kommende Soldat, der als Konskribierter oder als Freiheitskrieger, wie in Tirol, durch seinen Einsatz die Kraft des großen Napoleon brach, so daß der Sturm von 1813 ihn hinwegfegen konnte. Was aber dem Dienst des Konskribierten in Österreich eine besondere Härte verlieh, war der Zwang, daß man ihn während des ganzen Lebens bei der Fahne zurückhielt. Erst die späteren Reformen nach den Napoleonischen Kriegen und der Radetzkyzeit haben hier Erleichterung geschaffen.

Das Offizierkorps wurde auch weiterhin nach dem Vorbild der von Maria Theresia bereits erlassenen Verordnungen ausgebildet und in den bestehenden Unterrichtsanstalten geschult. Es rekrutierte sich größtenteils aus den Söhnen verdienter Offiziere. Diese traten entweder als Fahnenkadett von den Militärschulen in das Heer oder begannen als Kaiserkadett die militärische Laufbahn bei den Regimentern. Außerdem bildeten noch Regiments- oder Privatkadetten und verdiente Unteroffiziere den Stamm des Führernachwuchses. Auch der ungarische Offiziersanteil wurde mit jedem Jahr bedeutender. In die Maria-Theresianische Militärakademie traten Söhne aller Nationen des Staates, aber auch viele Ausländer ein.

Von besonderer Bedeutung war die durch Lascy im Jahre 1766 versuchte Auflockerung der Agenden des Hofkriegsrates. - Nach seinem Organisationsstatut zerfiel er in drei Gruppen, nämlich "publica", "oeconomica" und "iustitialia". Die Aufgaben der ersteren beiden Gruppen waren länderweise unter eine Anzahl Hofräte verteilt. Abgesehen von einer Reihe besonderer Ämter wie der Generalartilleriedirektion unterstanden dem Hofkriegsrat 12 Generalkommandos in den Hauptstädten der einzelnen Länder. Die zahlreichen Generale einer Armee bildeten mit ihren Adjutanten den "großen Generalstab". Die wichtigste Aufgabe an der Seite des Kommandierenden Generals fiel dem Generaladjutanten, meistens einem Obersten zu. An der Spitze des Adjutantenkorps war es der eigentliche Verantwortliche für den inneren Dienst der Armee. Neben ihm hatte der Generalquartiermeister im [173] Range eines Generalfeldmarschalls als Chef des kleinen Generalstabes "alles zu besorgen und jeden General und Offizier mit Rat und Beistand zu unterstützen".

So schuf Lascy, der als treibende Kraft der Umbildung des Heerwesens immer mehr in den Vordergrund trat, eine Art Vorstufe für den späteren Generalstab. Die Gegensätzlichkeiten, die sich allmählich zwischen dem Adjutantenkorps und dem Generalquartiermeisterstabe herauszubilden begannen, haben dann allerdings später oftmals einen verhängnisvollen Einfluß auf die Einheitlichkeit der Befehlsführung während der Operationen genommen. Die für die Kampfausbildung der Truppen maßgebliche Ausbildung war die starre Form der Lineartaktik, die dem einzelnen Soldaten nicht die geringste Selbständigkeit zubilligte. An den Erfahrungen, die man im Siebenjährigen Kriege gemacht hatte, hielt man fest und erzog weder Offiziere noch Mannschaften zu Verständnis und Verantwortung.

Dieses Festfahren bestimmte tatsächlich bis nach dem Tag von Austerlitz die Manövrierfähigkeit der österreichischen Armee. Die Erstarrung in den veralteten Formen der Kampfesweise und das Festhalten an den aus den Kriegen gegen Friedrich den Großen gemachten Erfahrungen ist aber den verantwortlichen Männern der österreichischen Heeresreformen im Zeitalter Maria Theresias weniger zur Last zu legen, als sie vielmehr ein getreues Spiegelbild der damals herrschenden Auffassung über die Kriegskunst war. Maßgebend war der Geist, der die Männer beseelte, die sich beim sonstigen Aufbau der Heeresorganisation hervortaten.

Kaiser Josef war aber nicht allein auf den ihm seit dem Antritt seiner Mitregentschaft von seiner Mutter in erster Linie überlassenen Gebiete des Heerwesens die treibende Kraft des Aufbaus und der Reformen. Ehe wir uns kurz seinem innerstaatlichen Zentralisierungswerk zuwenden, dessen grundsätzliche Ausrichtung dem Habsburger Josef II. mit Recht den Beinamen "der Deutsche" in der Geschichte eingetragen haben, zeigt ein Blick auf die Geschehnisse der Außenpolitik nach dem Siebenjährigen Kriege, daß Josef II. den Einfluß und die Macht seines Hauses mit rücksichtsloser Energie auch wieder im deutschen Raume zu festigen trachtete. Gleichzeitig war er aber auch auf die Ausdehnung der habsburgischen Ländermassen zur Verstärkung der außerdeutschen Einflußsphäre der Großmacht Österreich bedacht. Und nun ergab es sich, daß schon wiederum Preußen und Österreich aufeinanderprallten. Erst verständigten sie sich allerdings noch. Das geschah wegen der gewaltsamen Lösung der polnischen Frage. Auch hier war es wiederum Josef, der einem [174] Ausgleich mit Preußen das Wort redete und diesen auch herbeizuführen verstand. Die Ausbreitung der russischen Großmacht in Polen und der wachsende Druck auf die Türkei bestimmte den jungen Fürsten, dem sich jetzt bereits für die Zukunft abzeichnenden Zusammenstoß Österreichs mit Rußland an dem Balkan durch eine Verbreiterung der habsburgischen Machtbasis im Nordosten einen Riegel vorzuschieben. Daß sich dieser Riegel eines Tages in das gerade Gegenteil, nämlich in eine Basis des slawischen Drucks auf den deutschen und ungarischen Teil Österreichs umwandeln sollte, vermochte der Kaiser als ausgeprägter Vertreter einer absolutistischen Staatsauffassung freilich nicht vorauszusehen. So ließ er erst einen Militärkordon in Galizien ziehen und traf sich dann mit Friedrich dem Großen in Neiße, um auch Österreich einen Teil des zwischen Rußland und Preußen aufzuteilenden polnischen Gebietes zu sichern. Aber zu mehr als einem Gedankenaustausch und zu sehr vielen höflichen Formeln kam es bei dieser ersten Fürstenzusammenkunft nicht. Erst als König Friedrich den Besuch Josefs ein Jahr später in Neustadt in Mähren erwiderte und auch der Kanzler Kaunitz zu dieser Zusammenkunft eintraf, kam das endgültige Abkommen über die Teilung Polens zustande und brachte damit eine Annäherung der beiden sich noch immer beargwöhnenden Staaten. Im Jahre 1772 trat dann auch Rußland den preußisch-österreichischen Abmachungen bei, und damit erhielt jetzt Österreich jenen verhängnisvollen Gebietszuwachs, dessen Verteidigung ihm 142 Jahre später das Blut seiner besten Soldaten gekostet hat. Galizien und Lodomerien mit Ausnahme Krakaus, dann drei Jahre später die Bukowina, das Buchenland, wie es die von Josef II. dahin geschickten deutschen Einwanderer bald nannten, und die Zips kamen damals in österreichische Hand. Die Bukowina war der Türkei abverhandelt worden. Mit der Besitzergreifung der Länder der polnischen Krone erhielt der Habsburgerstaat einen Bevölkerungszuwachs von mehr als 2½ Millionen, die als sich selbst feindlich gegenüberstehende Polen und Ruthenen in der Zukunft weitere innerstaatliche und außenpolitische Konfliktstoffe in den Nationalitätenwirrwarr des k. u. k. Staatswesens brachten. Es war keine unbegründete Warnung für den Kaiser, daß sich seine Mutter nur sehr schwer zu der Beteiligung Österreichs an der Teilung Polens verstand. Umsonst hat Kaiser Josef dann noch versucht, durch eine planmäßige deutsche Siedlung gerade den Nordostraum des Staates der deutschen Kultur, deutscher Wirtschaft und deutschem Glaubenstum zu erschließen. Die Wirtsvölker zollten der aufopfernden Arbeit der damals einwandernden 7000 deutschen Kolonisten, besonders nach 1848, keinen Dank und schnürten das deutsche Siedlungsgebiet planmäßig ab. Im Sommer 1914 aber war es die deutsche Jugend der Ostmark und [175] Ungarns, welche die Teilung Polens und die Angliederung Galiziens und Lodomeriens an Österreich mit ihrem Blute bezahlte.

Die Begegnungen von Neiße und Neustadt hatten somit die Möglichkeit einer weiteren neuerlichen Annäherung zwischen Wien und Berlin geschaffen. Da verursachte ein Vorstoß Kaiser Josefs und Kaunitz', die plötzlich eine sich niemals mehr so günstig darbietende Gelegenheit, den habsburgischen Einfluß im Reiche für alle Zukunft quer über ganz Süddeutschland zu verlagern, wahrnahmen, jenen neuerlichen Zusammenprall der beiden Staaten. Das Band, das den Zündstoff für einen jetzt beinahe wieder ausbrechenden Krieg hergab, war Bayern. Dort war Ende Dezember 1777 der Wittelsbacher Max Josef gestorben. Er hinterließ keine Kinder. Als auch der nächste in Frage kommende Erbe auf die Übernahme der Herrschaft in Bayern verzichtete, brachte Österreich nicht nur Erbansprüche auf Niederbayern und die Oberpfalz vor, sondern ließ seine Truppen gleichzeitig in jene Gebiete einrücken. Dieses fait accompli brachte König Friedrich sofort auf den Plan. Setzte sich Habsburg in Bayern fest, dann war jener Machtzuwachs Habsburgs im deutschen Raume unumstößliche Tatsache, vor der Friedrich so sehr auf der Hut sein mußte. Darum antwortete er sofort mit dem Einmarsch preußischer Truppen in Böhmen. 160 000 Mann in drei Heersäulen setzte er in Bewegung. Langsam und auch wieder schwerfällig, da es erst aus Ungarn, Italien, Deutschland und den Niederlanden zusammengezogen werden mußte, rückte ihm ein ebenso starkes österreichisches Heer entgegen.

Außer einigen wechselvollen erfolgreichen Streifzügen leichtbeweglicher Truppenteile kam es zu keinen Kämpfen. Als dann im Jahre 1779 als Ergebnis geheimer Verhandlungen der Kaiserin mit König Friedrich, von denen Josef II. nichts wußte, der Friede von Teschen zustande kam, war damit der für beide Heere wenig ruhmreiche Feldzug beendet, den der Volksmund in Österreich von nun ab den "Zwetschkenrummel", in Preußen aber den "Kartoffelkrieg" nannte. Einen Streifen von 70 Quadratmeilen Landes, das war alles, was das Land Bayern dem Hause Habsburg damals abtrat. Aber die Kaiserin rühmte König Friedrich, daß er "edel gehandelt habe", als er ihr Angebot, den ihr ohnehin unerwünschten Krieg abzubrechen, annahm. Der König aber hatte gesagt: "Des Charakters Eurer Majestät war es würdig, Beweise von Hochherzigkeit und Mäßigung in einer streitigen Angelegenheit zu geben, nachdem Sie Ihr väterliches Erbe mit einer heldenmütigen Festigkeit behauptet haben." Es war der Wille der Vorsehung, die gewünscht hat, daß das Ergebnis dieses unblutigen Krieges im Geiste ritterlicher Versöhnung Preußen und Österreich nur in der Abtretung jenes kleinen Landstriches bayrischen Bodens an Österreich seinen Ausdruck fand.

[176] "Innviertel" hieß dieser schmale Streifen Landes um Braunau, Schärding und Ries. 116 Jahre später trat von hier aus ein kleiner Knabe seinen Weg ins Leben an, der dieses Gebiet seine Heimat nannte und der im Heranreifen zum Manne aus dem Gesicht der Landschaft, aus der Sprache der Menschen zu beiden Seiten des Inn die Gemeinschaft des Blutes und die größte Heimat aller Deutschen über trennende Grenzen hinweg erkannte. So hat die endliche Aussöhnung zweier bedeutenden Fürstengestalten Deutschlands gleichsam wie eine Mahnung über der Wiege des "Österreichers" Adolf Hitler gestanden, der auch aus dem Geschick seiner engsten Heimat die größte geschichtliche Folgerung für das deutsche Volk gezogen hat: ein untrennbares Großdeutschland.

Das Bild der Friedensstifterin, die gegen den Willen ihres Sohnes auch gegen die überlieferten Interessen ihres eigenen Hauses ihrem unversöhnlichen Gegner Friedrich die Hand zur Versöhnung geboten hat, beendet auch die Regierungsjahre der Kaiserin Maria Theresia. Am 29. November 1780 schloß sie in der ehrwürdigen Stadt an der Donau die Augen. Eine große Fürstin, deutsch in ihrem Wesen, deutsch in ihrer Beharrlichkeit und in der Auffassung ihrer Aufgabe als Herrscherin, hat sie sich ihren Platz in den Reihen der bedeutendsten Gestalten der deutschen Geschichte erhalten. Am größten ist Maria Theresia aber stets im Ertragen schweren Unglücks gewesen. Hier erhebt sich die Gestalt dieser letzten deutschen Habsburgerin als das wahre Vorbild einer deutschen Frau und Fürstin, die sich einen Platz neben ihrem Gegner Friedrich unter den Großen unseres Volkes ehrlich erkämpft hat.

Auch Maria Theresias Sohn Josef II. gehört zu den erhabensten deutschen Fürstengestalten. Ja, der Historiker nennt ihn sogar "eine einmalige Erscheinung in der Geschichte der Welt". Es gab kein Gebiet in der Verwaltung seines Staates, in den Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse seiner Untertanen, in den Angelegenheiten der Kirchen beider Konfessionen, ja selbst in der Überwachung und Ausrottung der geheimen Gesellschaften wie die der Freimaurer, in das er nicht persönlich und tatkräftig eingegriffen hätte. Der Vorwurf, daß er in vielem mit zu jugendlichem Ungestüm und zu scharfem Reformwillen hinausschoß, hat nicht ihn, sondern diejenigen belastet, die sich nur widerwillig aus dem althergebrachten Trott loszulösen vermochten und deren passivem Widerstand es dann zu verdanken war, daß der Kaiser vor seinem Tode einen Teil seiner Dekrete zurücknehmen mußte. Dennoch bleiben die Aufhebung der Leibeigenschaft in den böhmischen Ländern und deren Ausdehnung auf Galizien und Polen ebenso unvergeßliche Taten des Kaisers, wie seine Dekrete über die rücksichtslose Trennung der Be- [177] griffe Kirche und Staat, vor allem aber das Toleranzedikt, das den Protestanten endgültig die freie Religionsausübung zubilligte, Maßnahmen waren, die von der wahrhaft deutschen Gesinnung und den staatsmännischen Fähigkeiten Josefs II. ein beredtes Zeugnis ablegten.

Im Jahre 1785 versuchte Kaiser Josef noch einmal seinen Lieblingsgedanken, die Verankerung der habsburgischen Macht im Reichsgebiet, zur Durchführung zu bringen. Er bot dem pfälzischen Herzog das österreichische Belgien als Königreich Burgund an und wollte einen Teil dieses Landes für Salzburg eintauschen. Aber wiederum war es der Alte Fritz, der sich entschlossen den Plänen des Kaisers widersetzte. Friedrich erklärte den Habsburger als Störer der bestehenden Ordnung in Deutschland und zwang ihn durch das Aufgebot des deutschen Fürstenbundes, endgültig von seinen Hausmachtplänen Abstand zu nehmen.

Auch als König Friedrich starb und Habsburg damit von seinem gefährlichsten Gegner befreit war, hemmte die Politik des Hauses Hohenzollern in Ausübung des Testaments Friedrichs des Großen alle weiteren außenpolitischen Pläne des Kaisers. Dieser hatte sich 1787 mit Rußland verständigt und war als Verbündeter der Zarin Katharina in einen Krieg gegen die Türkei eingetreten. Die österreichischen Truppen deckten die Grenze in einem langgezogenen Kordon unter Lascys Oberbefehl von Galizien bis nach Kroatien. Doch der Aufenthalt der Heeresmassen im Sumpfgebiet der Donau kostete schwere Verluste, zu denen auch die Eroberung von Schabatz unter Josefs persönlicher Führung in keinem Verhältnis stand. Bald warf eine Ansteckung auch den Kaiser selbst in Semlin noch aufs Krankenlager. Er wurde nach Wien gebracht und erfuhr während des mühsamen Transportes, daß Preußen mit England ein Bündnis abgeschlossen hätte, dessen Ziel die Verhinderung des österreichischen-russischen Sieges im Südosten war. So wurden die Siege des Prinzen Josias von Coburg bei Chozim und Laudons Erfolge von Dubitza und Novi in Bosnien um ihre Früchte gebracht. In einer unverständlichen Verblendung, die nicht einsah, daß alles, was Josef II. im fernen Südostraum schaffen wollte, nicht nur habsburgische Hauspolitik, sondern auch Erschließung des Landes für den deutschen Handel und Pionierarbeit für die Wechselbeziehungen zwischen dem deutschen Volk und den Balkanvölkern war, schickte man von Preußen aus Emissäre nach Ungarn, die das Land gegen Habsburg im Rücken der Truppen aufwiegeln sollten. Die Ungarn, die geradeso wie alle übrigen nichtdeutschen Nationen des Völkerstaates über die straffe, nur von deutschen Gesichtspunkten geleitete Zentralisation der Staatsverwaltung unzufrieden waren - erklärte man doch unter anderem die Kenntnis der deutschen Sprache als Vorbedingung für eine Staats- [178] anstellung -, liehen den aufwieglerischen Einflüsterungen ein nur zu williges Ohr. So kam es beinahe zum Aufstand. Auch in Belgien flammte die Empörung über die Aufhebung der Selbstverwaltung jetzt mit einem Male auf. Da war es der greise Laudon, der als Nachfolger des ebenfalls erkrankten Lascy dem immer hoffnungsloser dahinsiechenden Kaiser mit glänzenden Waffentaten der Armee die letzten Lebenstage verklärte. Noch einmal hatte Josef II. das Bündnis mit Rußland erneuert. Laudon war daraufhin rasch und energisch der aufflammenden Empörung in Ungarn Herr geworden, General Clerfayt schlug bei Mehadia eine siegreiche Schlacht gegen die Türken. Auch der Prinz von Coburg erfocht bei Focsany und bei Martinestie zwei glänzende Siege. Dann erschien Laudon selber in den Weihnachtstagen des Jahres 1790 am Krankenlager des Kaisers und meldete dem schon vom Tode Gezeichneten die Erstürmung von Belgrad. Umgeben von den Generalen Laudon und Lascy, im Bewußtsein, daß die Armee die einzige war, die den Sinn seiner hochfliegenden Pläne erfaßt und ihrer Vollendung den Weg gebahnt hatte, schloß er am 20. Februar 1790 für immer die Augen. Enttäuschung um Enttäuschung hatten die letzten Lebenstage des schwerkranken Fürsten umschattet. Um das Staatsgebilde zusammenzuhalten, dessen Völkern von äußeren Gegnern aufgepeitscht waren, die zerfressen wurden von der nagenden Wühlarbeit der um ihre Pfründe gebrachten Kirche, und deren bisher von Privilegien übersättigten Stände sich um ihren Einfluß gebracht sahen, hatte der Kaiser einen Teil seiner schärfsten Verordnungen widerrufen. Bloß die Soldaten, die an seinem Sterbebette standen, hatten ihm keine Enttäuschung gebracht. Und diese Genugtuung sprach auch aus dem bereits einmal angeführten Armeebefehl, in dem er seinen Dank für die erwiesene Treue mit den Worten zum Ausdruck brachte: "Der vorige Feldzug hat alle Wünsche, die Seine Majestät für die Armeen in Ihrem Vaterherz genährt haben, vollkommen gekrönt."

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Österreichs Blutweg
Ein Vierteljahrtausend Kampf um Großdeutschland
Anton Graf Bossi Fedrigotti