Die Regierung Taaffe
(1879–1893).
Selten hat sich ein Ministerium trotz der größten Schwankungen des
öffentlichen Lebens so lang am Ruder gehalten wie das des Grafen Eduard
von Taaffe. Als dieser am 12. August 1879 das Ministerpräsidium
und das Ministerium des Innern übernahm und gleichzeitig mit ihm der
bewährte Stremayr Justizminister, sowie Minister für Kultus und
Unterricht wurde, ahnte niemand, daß der führende Mann vierzehn
Jahre in seinem Amte verbleiben sollte.
Mehrere Föderalisten gehörten gleich anfangs der Regierung an, und
so entwickelte sich die deutliche Schwenkung nach rechts immer mehr.
Unter Schmeykals Vorsitz wurde ein deutsches Zentralwahlkomitee
begründet. Die Deutschen in Böhmen standen im Vordertreffen und
hatten daher auch das volle Recht, ihr Volk in ganz Österreich zu betreuen. Die
Verhältnisse waren ganz danach, die größten Besorgnisse zu
erwecken.
Zunächst gelang es dem Grafen Taaffe, den Führer des
verfassungstreuen Großgrundbesitzes, Carlos Fürsten von Auersperg,
zu einem Kompromiß mit dem Feudaladel zu bewegen, wodurch diesem
kampflos von 23 böhmischen Abgeordnetenmandaten dieser Kurie 10
überlassen wurden. Die Linke des Wiener Abgeordnetenhauses erfuhr
dadurch eine wesentliche Schwächung. Die Tendenz der Regierung war,
die deutschen Großgrundbesitzer im Landtag Böhmens in die
Minderheit zu drängen, sie mußten daher
vor- [37] erst im Reichsrat
gedemütigt werden. Durch geschickte Winkelzüge gelang dies auch.
Ferner sollte eine den Tschechen genehme Wahlreform geschaffen werden. Alois
von Pražák trat als ihr Vertrauensmann ins Kabinett ein.
Unter diesen Umständen beschlossen die Tschechen, ihre Abstinenzpolitik
aufzugeben und mit einer Rechtsverwahrung gegen die Dezemberverfassung und
zugunsten des böhmischen Staatsrechts den Boden des Wiener Parlaments
wieder zu betreten.
Ladislaus Rieger wurde Obmann des reichsrätlichen Tschechenklubs und
unterhielt die lebhaftesten Beziehungen zu der bereits erwähnten
"Rechtspartei" Hohenwarts, der alle
Deutsch-Klerikalen, Slowenen, Kroaten und Rumänen angehörten.
Die dritte Gruppe der Rechten bildeten die Polen.
Ein eigentlich deutsch-nationales Programm vertraten die damaligen
Linksliberalen, die Mehrheit des Hauses, nicht. Georg Ritter von Schönerer,
ein junger und feuriger Redner, fühlte sich zunächst allein als
Vertreter dieses Gedankens.
Gegen die übermächtige, verfassungstreue Partei des Herrenhauses
wurde durch Austritt einiger Angehöriger dieser Gruppe die sogenannte
Mittelpartei begründet. Die Regierung konnte nunmehr mit Hilfe der neuen
Mittelpartei entweder die Linke oder die Rechte in Schach halten.
Rieger betonte im Abgeordnetenhaus immer noch sehr nachdrücklich seine
Friedensliebe. Sogar für deutsche Schutzgesetze war er scheinbar zu haben.
Daß es den Tschechen mit solchen niemals Ernst sein konnte, beweist ihre
Vergewaltigungspolitik im letzten Jahrzehnt seit Badeni.
Das beim Eintritt in den Reichsrat von den Tschechen überreichte
Memorandum erstreckte sich im ersten Teil auf die "Gleichberechtigung der
tschechischen Sprache bei Behörden und Ämtern", im zweiten auf
die Prager Universität, im dritten auf die Mittelschulen (besonders
Gymnasien und Realschulen), im letzten auf die gewerblichen Bildungsanstalten.
Dagegen gaben die deutsch-böhmischen
Landtags- und Reichsratsabgeordneten eine Erklärung ab, in der sie gegen
die Einführung der tschechischen Sprache für den inneren Gebrauch
der Ämter und Gerichte Verwahrung einlegten und vor allem die Meinung
bekämpften, daß die Frage des Sprachgebrauches bei den Gerichten
im Verordnungsweg gelöst werden könnte.
Bereits 1880 mußte der den Föderalisten mißliebige Stremayr
wenigstens das Unterrichtsportefeuille abgeben. Sein Nachfolger wurde Siegmund
Freiherr Conrad von Eybesfeld.
[38] Vielleicht um sich als
Justizminister zu halten, kam Stremayr den Tschechen mit einemmal sehr
entgegen. Seine von Taaffe mitunterzeichnete Sprachenverordnung vom
20. April 1880, sowohl für Böhmen als auch für
Mahren bestimmt, versetzte, wie der Parlamentshistoriker Gustav Kolmer sehr
richtig bemerkt, der bisherigen deutschen Vorherrschaft in der Verwaltung den
empfindlichsten Stoß. Die sprachliche Einheitlichkeit der Verwaltung
wurde durchbrochen, die Grundlage des staatlichen Länderverbandes
aufgegeben, der traditionelle einheitliche Staatsgedanke aus den Augen verloren,
nur noch die gemeinsame Dynastie und Armee verkörperten ihn fortan.
Weil alle späteren Sprachenerlässe auf Stremayrs Verordnung
zurückgreifen, sei diese im Wortlaut mitgeteilt:
§ 1. Die politischen, Gerichts- und staatsanwaltschaftlichen Behörden
im Lande sind verpflichtet, die an die Parteien auf deren mündliches
Einbringen oder schriftliche Eingabe ergehenden Erledigungen in jener der beiden
Sprachen auszufertigen, in welcher das mündliche Einbringen vorgebracht
wurde oder die Eingabe abgefaßt ist.
§ 2. Protokollarische Erklärungen der Parteien sind in jener der beiden
Landessprachen aufzunehmen, in welcher die Erklärung abgegeben
wird.
§ 3. Urkunden oder andere Schriftstücke, welche in einer der beiden
Landessprachen abgefaßt sind und als Beilagen, Behelfe oder sonst zum
amtlichen Gebrauche beigebracht werden, bedürfen keiner
Übersetzung.
§ 4. Die nicht auf Einschreiten der Parteien erfolgenden behördlichen
Ausfertigungen haben in jener der beiden Landessprachen zu erfolgen, die von der
Person, an welche die Ausfertigung gerichtet werden soll, gesprochen wird. Ist die
Sprache, deren sich die Partei bedient, nicht bekannt oder ist sie keine der beiden
Landessprachen, so ist jene der beiden Landessprachen zu gebrauchen, deren
Verständnis nach Beschaffenheit des Falles, wie insbesondere nach dem
Aufenthalt der Partei vorausgesetzt werden kann.
§ 5. Die Bestimmungen der §§ 1–4 gelten auch rücksichtlich
der Gemeinden in jenen Angelegenheiten, in denen sie als Parteien anzusehen
sind.
§ 6. Alle amtlichen Bekanntmachungen, welche zur allgemeinen Kenntnis
im Lande bestimmt sind, haben in beiden Landessprachen zu ergehen. Lediglich
für einzelne Bezirke oder Gemeinden bestimmte amtliche
Bekanntmachungen haben in den [39] Landessprachen zu
erfolgen, welche in den betreffenden Bezirken oder Gemeinden üblich
sind.
§ 7. Aussagen von Zeugen sind in jener Landessprache aufzunehmen, in
welcher dieselben abgegeben werden.
§ 8. In Strafgerichtsangelegenheiten sind die Klageschrift, sowie
überhaupt die dem Angeschuldigten zuzustellenden Anklagen,
Erkenntnisse und Beschlüsse für denselben in jener der beiden
Landessprachen auszufertigen, deren er sich bedient hat. In dieser Sprache ist auch
die Hauptverhandlung zu pflegen und sind in derselben insbesondere die
Vorträge des Staatsanwaltes und des Verteidigers zu halten und die
Erkenntnisse und Beschlüsse zu verkünden. Von den Bestimmungen
des vorstehenden Absatzes darf nur insofern abgegangen werden, als dieselben
mit Rücksicht auf ausnahmsweise Verhältnisse, insbesondere mit
Rücksicht auf die Zusammensetzung der Geschworenenbank
unausführbar sind oder der Angeschuldigte selbst den Gebrauch der
anderen Landessprache begehrt. Bei Hauptverhandlungen gegen mehrere
Angeschuldigte, welche sich nicht derselben Landessprache bedienen, ist die
Hauptverhandlung in jener Landessprache abzuhalten, welche die Gerichte
für den Zweck der Hauptverhandlung entsprechender erachten. In allen
Fällen sind die Aussagen der Angeschuldigten in dieser Sprache zu
verkünden und auf Verlangen auszufertigen.
§ 9. In bürgerlichen Rechtsstreiten ist das Erkenntnis samt
Gründen in jener Landessprache auszufertigen, in welcher der Rechtsstreit
verhandelt wurde. Haben sich die Parteien nicht derselben Landessprache bedient,
so hat, falls nicht ein Einverständnis vorliegt, daß das Erkenntnis mit
Gründen nur in einer der Landessprachen ausgefertigt werde, die
Ausfertigung in beiden Landessprachen zu erfolgen.
§ 10. Die Eintragung in die öffentlichen Bücher
(Landwirtschaft, Bergbau, Grundbücher, Wasserbau usw.), dann in die
Handelsfirmen, genossenschaftlichen und anderen öffentliche Register, sind
in der Sprache des mündlichen oder schriftlichen, eines, beziehungsweise
des Bescheides, auf dessen Grund sie erfolgen, zu vollziehen. In derselben
Sprache sind die Intabulationsklauseln der Urkunden beizusetzen.
§ 11. Der Verkehr der politischen, gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen
Behörden mit den autonomen Organen richtet sich nach der
Geschäftssprache, deren sich dieselben bekanntermaßen bedienen.
Der Verkehr mit den Gemeindebehörden, welche die Funktionen der
politischen Bezirksbehörden ausüben, wird hierdurch nicht
berührt.
[40] Die Tschechen
begnügten sich jedoch nicht mit diesem Erfolg, sie forderten vielmehr noch
lauter die innere tschechische Dienstsprache. Ein besonderes Schriftstück,
von Prawoslaw Trojan ausgearbeitet und 1891 veröffentlicht, wurde damals
der Regierung überreicht. Es beabsichtigte den "Nachweis über die
gesetzliche Gerichtspraxis und Justizverweigerungen in den böhmischen
Kronländern, gegen die Würde und das Recht der tschechischen
Nation, mit Darlegung dringender Abhilfe im Interesse allgemeiner
Rechtssicherheit".
Die Deutschen dagegen wiesen in stürmischen Versammlungen darauf hin,
die Regierung habe das Verordnungsrecht in verfassungswidriger Weise
mißbraucht. Auf eine Interpellation der Liberalen im Abgeordnetenhaus
erwiderte Stremayr, er halte sich gegenwärtig, "daß unter keiner
Bedingung die Verwaltung und die Justizpflege zur Dienerin nationaler
Aspirationen und der Bestrebungen nach sprachlicher Entwicklung gemacht
werden dürfe". Nun aber war gerade diesen, wie die Folgezeit zeigte,
Tür und Tor geöffnet.
Die alten deutschen Beamten in den Sudetenländern wichen
mißmutig zurück und machten vielfach radikalen Tschechen
Platz.
Jetzt erst erinnerte man sich, wie wichtig es sei, die deutsche Sprache als
Staatssprache festzusetzen. Der in diesem Sinn eingebrachte Antrag des
Fortschrittsklubs wurde nicht nur von den Slawen, sondern leider auch von den
deutschen Altklerikalen heftig bekämpft und schließlich verschleppt.
Auch der hussitische Protest der Prager tschechischen Nationalpartei gegen die
böhmischen Bischöfe (1880) konnte sie von ihren bisherigen
Bundesgenossen nicht trennen.
Die Tendenz der Konservativen, die Schule der Staatsaufsicht möglichst zu
entziehen, fand übrigens auf tschechischer Seite lebhaften Anklang. Denn
dadurch mußte vor allem das slawische Schulwesen die mächtigste
Förderung erhalten. Und so forderte der Gründer der privaten
tschechischen
Komensky-Schule, Abgeordneter Johann Graf Harrach die Errichtung
öffentlicher Volksschulen dieser Art in Wien.
1879 gab es in Böhmen bereits 47 tschechische Mittelschulen, also mehr als
deutsche, und an der Prager in Wirklichkeit bereits utraquistischen
Universität 40 tschechische Dozenten. Die Zahlen erfuhren natürlich
von Jahr zu Jahr eine unverhältnismäßige Steigerung.
Trotzdem bewies die deutsche Mehrheit des böhmischen Landtags, wie
sehr sie berechtigte kulturelle Wünsche der Tschechen zu
berücksichtigen verstand, indem sie das tschechische Nationaltheater
[41] in das Eigentum und die
Verwaltung des Landes übernahm. Die Tschechen freilich machten den
Deutschen im Landtag die leidenschaftlichsten Vorwürfe und bezichtigten
sie sogar des Hochverrats. Da fand Herbst die richtigen Worte eines treuen
österreichischen Patrioten und unbeugsamen Zentralisten: "Wir haben
unseren Patriotismus allzeit, auch in schweren Tagen, bewiesen, und werden ihn,
wenn auch unzufrieden und gedrückt, aufs neue beweisen, wenn es
nötig sein wird, aber nach Wien werden wir doch gravitieren."
Die deutsche Opposition war zerrissen. Im Schoße des
Bürgertums entwickelten sich neue Strömungen, neue Parteien,
neben den deutschnationalen Dissidenten gab es Wiener Demokraten, auch die
internationale Arbeiterpartei der Sozialdemokraten tat der deutschen Einheit
Abbruch. Da erwachte im Drang gemeinsamer Not die Erkenntnis, alle deutschen
Parteien müßten wie ein Mann zur Abwehr der slawischen
Übergriffe sich zusammenschließen.
Der Wiener Gemeinderat appellierte an einen allgemeinen deutschen Parteitag,
und Karl Lueger, ein junger Advokat, war mit unter denen, die diesen
Entschluß lebhaft befürworteten. Er sollte in den folgenden
Jahrzehnten mehr als einmal Gelegenheit haben, den deutschen
Einigkeitsgedanken wirksam zu vertreten.
Aber die nationale Einigung der Deutschen kam nicht zustande. Zu sehr war die
liberale Partei dabei im Vordergrund und zu groß war bereits die Anzahl
derjenigen, die von ihr nichts wissen wollten. Eine nationaler gesinnte deutsche
Volkspartei wurde geplant, das sogenannte "Linzer Programm" geschaffen und
schließlich unter ausdrücklicher Betonung des Antisemitismus von
Schönerer eine radikale Partei begründet, die den engsten
Anschluß an das Deutsche Reich suchte und gegenüber gewissen
korrupten Größen des politischen Lebens in Österreich den stolzen
Wahlspruch hochhielt: "Durch Reinheit zur Einheit."
Inzwischen schieden die letzten Zentralisten aus dem Ministerium Taaffe. Der
einflußreiche Pole Julian von Dunajewski trat als Finanzminister ins
Kabinett ein. Die Slawen hatten mit ihm einen ihrer erfolgreichsten Vertreter im
Kronrat sitzen. Justizminister Alois von Pražák aus Mähren und die
übrigen Föderalisten fanden an dem "eisernen Ring" Hohenwarts
eine wirksame Stütze.
Der Zensus für die Wahlberechtigung wurde herabgesetzt. Eine große
Menge kleiner Steuerzahler rückte so unter die [42] Wähler ein.
Nacheinander erhielten die Tschechen in der Budweiser, Pilsener und Prager
Handelskammer die Mehrheit. In Brünn dagegen blieb die Handelskammer nach
einem erfolglosen Ansturm der Tschechen deutsch.
Tschechische Ausschreitungen gegen die Deutschen in Böhmen
häuften sich. In Kuchelbad bei Prag kam es gelegentlich eines
Couleurausfluges zu blutigen Kämpfen. Ein deutscher Student wurde
erschossen. Seitdem konnte sich keine einzige deutsche Studentenmütze in
der Umgebung Prags mehr blicken lassen.
In Prag selbst nahm die tschechische Bewegung einen gefährlichen
Charakter an. Das deutsche Kasino, das deutsche Theater und andere deutsche
Gebäude wurden belagert und mit Steinen beworfen. Der den Tschechen
mißliebige Statthalter Philipp Freiherr von Weber erhielt in dem
Feldmarschall-Leutnant Alfred Freiherrn von Kraus einen genehmeren
Nachfolger. Das Manifest der liberalen Abgeordneten an das deutsche Volk
verfiel der Beschlagnahme.
Die nationalen Streitigkeiten fanden im Wiener Reichsrat ein stürmisches
Echo. Unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse verbanden sich alle
deutschliberalen Gruppen des Abgeordnetenhauses mit den Deutschnationalen zur
Vereinigten Linken, nur Schönerer, Ferdinand Kronawetter und Heinrich
Fürnkranz schlossen sich aus.
Die radikale Richtung unter den Tschechen drang immer siegreicher vor.
Jungtschechische Abgeordnete traten an die Stelle alttschechischer. Die Folge
davon war, daß jeder den andern an Nationalfanatismus zu überbieten
suchte, um sich in der Gunst der terrorisierten Wähler zu erhalten.
Justizminister Pražák trug dem allgemeinen Umschwung der Dinge
freudigen Herzens Rechnung. Zentralistisch gesinnte Richter wurden drangsaliert,
in der Sprachenfrage unbotmäßige Gerichtshöfe
gemaßregelt, und Pražáks Sprachenerlasse taten das ihre, um die
Slawisierung der Gerichte in den Sudetenländern und im Süden
Österreichs möglichst durchzuführen. Die deutschen Proteste
verhallten im Wind. Pražák verteidigte das Verordnungsrecht der
Regierung und berief sich zu seiner Rechtfertigung auf Stremayr.
Große Debatten im Abgeordnetenhaus erregte der Antrag des Grafen
Gundakar von Wurmbrand auf gesetzliche Feststellung der deutschen Sprache als
Staatssprache.
Clam-Martinitz, der Führer des Feudaladels, erkannte ihr damals noch
wenigstens die Berechtigung als Vermittlungssprache zu. Schließlich setzte
die Mehrheit des "eisernen Rings" im Sprachenausschuß den [43] Antrag auf
Übergang zur Tagesordnung durch. Im Abgeordnetenhaus lehnte man alle
Anträge ab.
Die Deutschen wurden immer bescheidener. Da die deutsche Staatssprache nicht
durchzusetzen war, forderten sie die administrative Trennung der sprachlichen
Gebiete in Böhmen. Aber die Tschechen, die noch in den
"Fundamentalartikeln" die gleiche Forderung gestellt hatten, fühlten sich
nun als Herren des ganzen Landes und wollten von keiner Teilung in irgend einer
Form etwas wissen. Die einheitliche Verwaltung des Königreichs sei die
unveräußerliche Vorbedingung für das böhmische
Staatsrecht.
Mitten in diese Sprachenkämpfe fiel die Errichtung der Prager rein
tschechischen Universität.
Gegen eine Utraquisierung hatte der akademische Senat der alten Hochschule
stets Einspruch erhoben. In Wirklichkeit war diese Utraquisierung längst
durchgeführt, übrigens genügte sie den Tschechen nicht.
Professor Clemens Borový forderte die Universität, ihre Sammlungen und
Fonds auf Grund des Artikels 19 im Staatsgrundgesetz für die tschechische
Nation allein. Eine solche Interpretation ließ der Artikel von der nationalen
Gleichberechtigung zu!
Die Regierung nun sah die Unmöglichkeit ein, den Deutschen ihre
altererbte Hochschule zu entreißen und ordnete demnach am
9. Februar 1881 die Errichtung einer eigenen tschechischen
Universität an, die den Namen
Carolo-Ferdinandea, gleich der alten zu führen berechtigt sei. Ein
kaiserlicher Akt gab hierzu seine Zustimmung.
Sehr wichtig war die Erklärung, daß die exekutive Staatsgewalt ohne
eine besondere Gesetzesvorlage im Weg einer Verordnung eine Universität
errichten wie auch umgestalten könne. Dagegen wurde ein Gesetzentwurf,
betreffend die "Regelung der Rechtsverhältnisse und die Studienordnung an
der Carolo-Ferdinandea" auf Befehl des Kaisers dem Abgeordnetenhaus vorgelegt.
Das Vermögen der alten Universität sollte beiden Hochschulen
gemeinsam bleiben, sofern die Stiftungsbriefe nicht für eine bestimmte
Nationalität Geltung hätten. Die Frage, ob die Errichtung einer
Universität im Wege des Gesetzes erfolgen müsse, blieb
grundsätzlich unentschieden. Doch einigte man sich schließlich, in
den § 1 der Vorlage die Bestimmung aufzunehmen: "Vom Beginn des
Wintersemesters 1881/82 an werden in Prag zwei Universitäten bestehen,
nämlich die k. k. deutsche
Karl-Ferdinands-Universität und die k. k. böhmische
Karl-Ferdinands-Universität", wodurch die Verordnung der Regierung
gewissermaßen legalisiert erschien.
[44] Als die neuernannten
tschechischen Professoren im Juli 1881 vom Kaiser in Audienz empfangen
wurden, meinte dieser: "Es ist gut, wenn die Muttersprache gepflegt wird, aber
deutsch ist unerläßlich. Sagen Sie das Ihren Kollegen." Diese
deutliche Anspielung bezog sich darauf, daß im neuen
Universitätsgesetz die Kenntnis der deutschen Sprache für die
künftigen Staatsbeamten nicht ausdrücklich vorgesehen war.
Im Herrenhaus war man mit der Erledigung der Vorlage nicht so rasch fertig wie
im Abgeordnetenhaus, wenn auch Taaffe für die Mehrheit durch neue
Pairsschübe gesorgt hatte. Sehr richtig bemerkte der verfassungstreue
Hasner, durch die Teilung der Universität würden beide Teile zur
Mittelmäßigkeit verurteilt, da die vorhandenen Mittel nicht
ausreichten, beide Universitäten genügend zu dotieren. Die
tschechische Universität sollte freilich, wie die Folgezeit bewies, unter der
Teilung materiell nicht zu leiden haben.
Auch der Geschichtsforscher Konstantin Ritter von Höfler bedauerte im
Herrenhaus lebhaft, daß der deutsche Charakter der Prager
Universität zerstört werde. Er kündigte seinen Abschied an
und warf einen Rückblick auf die glückliche Friedenszeit
Böhmens in vergangenen Jahrzehnten. Mahnend klang der Ruf des greisen
deutschen Vorkämpfers aus Böhmen in den Sitzungssaal des
Herrenhauses: "Es ist ein Spruch, der in das Grundgesetz der deutschen Nation
aufgenommen wurde, in die goldene Bulle, die mit den Worten anhebt:
Omne regnum in se divisum dilabitur. Möge Österreich
lange davor behütet sein, daß dieser Spruch je bewahrheitet
werde."
Schließlich nahm jedoch auch die Mehrheit des Herrenhauses den vom
Abgeordnetenhaus genehmigten Gesetzentwurf an.
Nachdem der Kampf um die nationale Hochschule ein so siegreiches Ende
gefunden hatte, suchten die Tschechen auch die
Mittel- und Volksschulen in ihre Hände zu bekommen und neue
Trutzschulen zu begründen.
Diese für das Deutschtum traurigen Vorgänge hatten das eine Gute,
daß im Jahr der tschechischen Universitätseröffnung der
"Deutsche Schulverein" ins Leben gerufen wurde. Wacker und zielbewußt
stand er in den folgenden Jahrzehnten der tschechischen "Matice školská"
als treuer Eckart des deutschen Kindes gegenüber.
Im neugewählten böhmischen Landtag von 1883 verfügten
Tschechen und Feudale über 167, die Deutschen über 75 Stimmen.
Die Abgeordneten der Stadt Prag waren zum erstenmal ausschließlich
Tschechen.
[45] Schmeykal forderte
gleich zu Beginn der Session die administrative Teilung Böhmens nach
Sprachgebieten. Rieger trat ihm entgegen, derselbe, der 1849 in Kremsier ein
gleiches Programm vertreten hatte. Seine Einladung, die deutschen Abgeordneten
mögen mit den tschechischen die böhmische
Nationalitätenfrage regeln, wurde von den Deutschen unter Hinweis auf das
Reichsparlament als den in dieser Frage einzig zuständigen Boden
abgelehnt. Dagegen wollten wieder die Tschechen von einem Antrag Ernst
Bareuthers nichts wissen, der auf die Teilung des böhmischen
Landesschulrats hinauslief. Auch der Antrag Eduard Herbst auf nationale
Abgrenzung der Bezirke fand keine Zustimmung.
Nicht minder rührig waren indes die mährischen Tschechen. Die
Landtags-Neuwahlen von 1884 verurteilten die Deutschen zwar nicht zur
Minderheit, verringerten jedoch die Zahl ihrer Vertreter. Auf dem Land und in den
kleinen Städten wurde von den Tschechen der wirtschaftliche Boykott der
Deutschen gepredigt. Palackýs Losung: "Svuj k svému!" mit der Tendenz, jeder
Tscheche kaufe nur bei einem Tschechen, fand allenthalben ein wirksames Echo.
Damit war auch der wirtschaftliche Kampf entfesselt.
Die Neuwahlen für den Reichsrat von 1885 brachten keine wesentliche
Veränderung mit sich. Von 353 Abgeordneten gehörten noch immer
185 der deutschen Nationalität an, aber 38 Konservative gehörten
zur Rechten und gingen blindlings mit den Slawen, so daß diese
ausschlaggebend waren. Allmählich freilich suchte die
deutsch-konservative Gruppe um Georg Lienbacher dieses unwürdige
Verhältnis zu lösen und sich vom Joch des "eisernen Ringes"
freizumachen.
Gleich in der Adreßdebatte wurde die Nationalitätenfrage abermals
aufgerollt. Der nationale Kampf in Böhmen selbst nahm die
schärfsten Formen an. Bei einem Turnfest in Königinhof kam es zu
blutigen Auseinandersetzungen.
Tschechische Rechtsanwälte, Beamte, Lehrer und Geistliche drangen in das
deutsche Sprachgebiet ein, um es zunächst zu utraquisieren und
schließlich zu slawisieren. Während der deutsche Klerus sich der
größten Objektivität befleißigte, ja oft sogar
tschechenfreundlich dachte, war der tschechische von radikalem Hussitentum
durchfressen. Die Klagen der Minderheit im Lande Böhmen wurden jedoch
vom Statthalter Freiherrn von Kraus geflissentlich überhört.
1888 wurde der Bündnisvertrag mit dem Deutschen Reich gleichzeitig in
Berlin, Wien und Pest veröffentlicht. Von
tschechi- [46] scher Seite suchten die
Russophilen gegen den Vertrag Sturm zu laufen. Es sei das höchste
Interesse Österreichs und Rußlands, daß der
Vergrößerungssucht Deutschlands, welche durch die Idee der
Nationalität geleitet werde, Schranken gesetzt werden, und im Interesse des
europäischen Gleichgewichts liege es, daß der Einfluß
Frankreichs nicht geschwächt werde.
Diesen tschechischen Protesten gegenüber blieb das Bündnis mit
dem Deutschen Reiche fest und gestaltete sich mit den Jahren immer
freundschaftlicher. Dies war für die im Innern bedrückten
deutsch-österreichischen Patrioten der einzige Trost und ist es noch
heute.
Hatten die Tschechen allmählich Kirche, Schule und Verwaltung
überflutet, so suchten sie jetzt die Sprachenfrage auch in die bisher
einheitlich deutsch kommandierte Armee zu tragen, indem sie für slawische
Regimenter die slawische Regimentssprache forderten. Daß dadurch die
Wehrfähigkeit im Fall eines Krieges wesentlich verringert würde,
war den Tschechen gleichgültig. Sie haßten ja das schwarzgelbe
Österreich, und auf seinen Trümmern hofften sie vielmehr das
rotweiße, dreieinige Königreich Böhmen zu errichten. Aber an
dem geschlossenen, tapferen Geist der Armee und dem unbeugsamen Willen ihres
obersten Kriegsherrn scheiterten die tschechischen
Zerstückelungsversuche.
Die Parlamentsmehrheit und die Regierung, die nicht in allem nachgeben konnte,
standen untereinander nicht mehr so gut wie zu Beginn ihrer Freundschaft. Der
tschechische Landsmannminister war seinen Volksgenossen nicht radikal genug.
Der Jungtscheche Eduard Grégr verlangte die schärfere Tonart: "Man sieht,
daß es bereits im höchsten Grade notwendig geworden ist, daß
in dem Rat der Krone endlich auch ein Mann sitze, welcher die
Bedürfnisse, die Wünsche und die Interessen des böhmischen
Volkes mit Energie und mit Eifer zu vertreten weiß."
Den Intriguen des "eisernen Rings" fiel zuerst der Minister Conrad zum Opfer,
und Paul Gautsch Freiherr von Frankenthurn übernahm an seiner Stelle das
Ministerium für Kultus und Unterricht (1885). Dem Justizminister
Pražák folgte Friedrich Graf Schönborn, früher Statthalter von
Mähren und als solcher um die Tschechisierungspolitik hochverdient.
Taaffe fand für seine Regierung das bezeichnende Wort "fortwursteln",
aber den Ausgleich zwischen Deutschen und Tschechen, um den er sich am Ende
der Legislaturperiode bemühen mußte, brachte er dennoch nicht
zustande, vielleicht eben deshalb, weil er kein festes Programm hatte. Die
Zerfahrenheit im deutschen Lager kam ihm hierbei freilich zustatten. Die
ver- [47] einigte deutsche Linke
wurde stets schwächer. Neue deutsche
Partei-Gruppen und Grüppchen entstanden, denen allen ein Führer
fehlte.
Die Christlichsozialen unter Lueger waren noch sehr schwach und wußten
selbst nicht, wie sich die ganze Bewegung entwickeln werde. Sie wurden
allgemein gering geschätzt und von der Regierung allerdings erfolglos
niederzuhalten gesucht.
Die Tschechen benutzten die Programmlosigkeit der Regierung, sowie die
Ohnmacht der Deutschen und gingen trotz häuslichen Zwistes um so
geschlossener nach außen vor.
Ein tschechischer Studententag in Kremsier verlangte, von den Prager
Kommilitonen unterstützt, 1889 die Errichtung einer tschechischen
Universität in Brünn. Abgeordnete nahmen sich der Angelegenheit eifrig
an. Flugschriften wurden verbreitet. Dem deutschen Brünn galt nun der
allgemeine Vorstoß.
1889 wurde, um "die Selbständigkeit des Vaterlandes" kulturell zu wahren,
die Prager tschechische Akademie der Wissenschaften ins Leben gerufen, der
dann 1891 die "Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst
und Literatur in Böhmen" an die Seite trat.
Gelang es so wenigstens auf kulturellem Gebiet sich der tschechischen Feinde
einigermaßen zu erwehren, so war dies in der Verwaltung unmöglich.
Der Antrag Max Baron Scharschmid, unter Festhaltung der deutschen Sprache als
Staatssprache Durchführungsbestimmungen zum Artikel 19 des
Staatsgrundgesetzes zu erlassen, war abgelehnt worden. Ein Sprachenausschuß
und ein Subkomitee hatten ihn zu Grabe geläutet. Da inzwischen die
Slawisierung der Ämter und Gerichte auf deutschem Boden immer mehr
überhand nahm, erwog man in Böhmen ernstlich den Gedanken der
Kreiseinteilung, wodurch ein national getrennter Beamtenstatus möglich
geworden wäre. Die Tschechen lehnten den Vorschlag wenigstens nicht
von vornherein ab. Die späteren Ausgleichsverhandlungen knüpften
stets an diesen Gedanken an.
Die Stremayrsche Sprachenverordnung gab dem böhmischen Landtag lange
zu schaffen. Die Deutschen forderten ihre Aufhebung für die Kreisgerichte
Eger, Brüx, Leipa, Leitmeritz und Reichenberg, allein vergeblich. Die
Tschechen verlangten im Gegenteil eine Ergänzung des Stremayrschen
Erlasses zu ihren Gunsten. Im Lande Böhmen könne kein
geschlossenes deutsches Sprachgebiet anerkannt werden, das bedeute
Landeszerreißung, Landesverrat. Mit diesen aller Geographie und
Gerechtigkeit hohnsprechenden Ansichten suchten die Tschechen ihr
böhmisches [48] Staatsrecht zu
verwirklichen. Die Regierung hatte nie den Mut, dieser Utopie tatkräftig
entgegenzutreten. Sie schmeichelte ihr vielmehr, indem sie mit Hilfe eines
Mehrheitsbeschlusses im Abgeordnetenhaus die kgl. Burg Karlstein bei Prag aus
Staatsmitteln in tschechischem Geschmack modernisieren ließ.
Die Deutschen im böhmischen Landtag hatten nach dem die Tschechen
neuerdings begünstigenden Sprachenerlaß Pražák für
Böhmen und Mähren Ende 1886 ihren Austritt erklärt. Alle
ihre Anträge waren entweder ohne weiteres niedergestimmt oder mit
Übergang zur Tagesordnung erledigt worden. Anfang 1887 wurden die
deutschen Abgeordneten Böhmens ihrer Landtagsmandate für
verlustig erklärt. Aber auch nach den Neuwahlen konnten sich die
Deutschen nicht bereit erklären, ihre Abstinenzpolitik aufzugeben.
Georg Fürst Lobkowitz bahnte eine Verständigung mit Schmeykal
an. Es sollte eine Konferenz zusammentreten und darin vor allem folgendes
beraten werden: 1. Die Sicherung einer Kurie im Landtag für die
nationale Minorität, 2. die Regelung der Sprachenfrage bei den
Gemeinde- und Bezirksvertretungen, 3. die Modifizierung der in bezug auf
den Gebrauch der beiden Landessprachen bei den Gerichtsbehörden
bestehenden Vorschriften, 4. Erleichterungen der Gemeinden durch
Errichtung von Schulen für nationale Minoritäten. Namens der
deutschen Vertrauensmänner erwiderte Schmeykal, die Deutschen
würden auf eine Verhandlung nur eingehen, wenn ihnen Garantien geboten
würden, daß die von ihnen vertretenen Grundsätze, welche die
nationale Selbständigkeit der Deutschen im Landtag gewährleisten,
anerkannt werden. Der Versöhnungsversuch hatte keinen praktischen
Erfolg, denn die Tschechen verweigerten jedes Zugeständnis.
Die von Edmund Fürsten Clary empfohlene Schaffung einer Mittelpartei, er
dachte hierbei wohl an den Großgrundbesitz, wurde von den Tschechen
rundweg abgelehnt.
Mit dem staatsrechtlichen Programm und dem ungestümsten Radikalismus
entrissen die Jungtschechen der alttschechischen Partei ein Mandat um das andere.
Der tschechische Staat, die tschechische Staatssprache, Krönung des
Königs, Ausmerzung des Deutschtums, so lautete das Lebensprogramm der
Sieger. Um wirtschaftliche Reformen bekümmerten sie sich nicht. In
hygienischer Hinsicht beschäftigte sie nicht der Prager Typhus,
sondern bloß die "Trichinen", mit denen sie die fremden Elemente, die
Deutschen meinten und verglichen.
1889 kam Taaffe selbst nach Prag, um wenigstens innerhalb [49] der
Großgrundbesitzer-Kurie Frieden zu stiften. Die Feudalen verlangten, ehe
sie den Verfassungstreuen eine ihrer Stärke entsprechende Anzahl von
Mandaten einräumten, die deutschen Großgrundbesitzer sollten ihre
Solidarität mit den übrigen deutschen Landtagsabstinenzlern
aufgeben. Daran scheiterten die Verhandlungen.
Der den Deutschen verhaßte Freiherr von Kraus wurde vom
böhmischen Statthalterposten abberufen und an seine Stelle trat Franz Graf
Thun. Aber auch dieser Wechsel konnte die Deutschen nicht bestimmen, in den
Landtag einzuziehen, denn Thun gehörte dem Feudaladel an.
Nochmals leitete Taaffe einen Ausgleichsversuch ein. Alexander Fürst
Schönburg von der Mittelpartei des Herrenhauses suchte zu vermitteln. Die
Deutschen erklärten unzweideutig ihre Versöhnungsabsichten. "Da
jedoch in jüngster Zeit", meinten sie weiter, "die böhmische
Königskrönung, deren staatsrechtliche Bedeutung alle bisherigen
Differenzpunkte weitaus überragt, von tschechischer Seite in so
auffälliger Weise und mit besonderem Nachdruck zum Gegenstand der
öffentlichen Erörterung wieder aufgeworfen wird, so erachten wir es
zur Klärung der öffentlichen Lage für unerläßlich,
daß die Regierung vor dem Beginn eventuell gewünschter
Verhandlungen gegenüber diesen, mit der geltenden Verfassung nicht im
Einklang stehenden Bestrebungen offen Stellung nehme und das deutsche Volk in
Böhmen und ganz Österreich durch eine unzweideutige Erklärung
hierüber beruhige." Daraufhin erklärten die Tschechen, unter solchen
Umständen könne von einem Ausgleich nicht die Rede sein.
Die Eröffnung des böhmischen Landtags erfolgte ohne die
Deutschen. Da sie ihr Fernbleiben nicht rechtfertigten, verloren sie ihre Mandate
neuerdings.
Die Prager Landesausstellung, von den Tschechen zu selbstsüchtigen,
nationalen Zwecken mißbraucht, wurde von den Deutschen nicht
beschickt.
Von der tschechischen Landtagsmehrheit beschlossen, etablierte sich die
Böhmische Landesbank mit dem Abgeordneten Karl Mattuš als
Oberdirektor. Dafür entzog man deutschen Schulen und Vereinen ihre
bisherigen Landesunterstützungen oder schränkte sie ein; die
tschechischen wurden um so reicher bedacht, trotz der
unverhältnismäßig größeren Steuerleistung der
Deutschen.
Ein Gesetzentwurf über die Gleichberechtigung beider Landessprachen bei
den autonomen Behörden Böhmens, wonach z. B. die Stadt Prag nur
mehr einsprachig tschechisch zu amtieren braucht, wurde von den Tschechen
ausgearbeitet und von der Landtagsmehrheit angenommen.
[50] Alle Proteste der
Deutschen im Reichsrat, in der Presse, in Versammlungen waren fruchtlos. Ihre
Hinweise auf das verfassungswidrige Treiben der Tschechen, ihre staatsrechtliche
Agitation, blieben von der Regierung unbeachtet. Man erwog daher auch den
Austritt aus dem Abgeordnetenhaus. Armand Freiherr von Dumreicher
veröffentlichte einen Artikel: "Deutsche Gemeinbürgschaft", in dem
er erklärte, die
deutsch-böhmische Abstinenzpolitik sei nur eine halbe Tat, solange nicht
ganz
Deutsch-Österreich nachfolge. Da raffte sich die Regierung rasch zu
energischem Handeln auf.
Am 4. Januar 1890 begannen unter Taaffes Vorsitz die
deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen in Wien, die zur Formulierung
der sogenannten "Punktationen" führten. Alle böhmischen Parteien
waren geladen worden, außer jungtschechischen Vertretern. Von diesen
hatte man wegen ihrer offenen Stellungnahme gegen alle früheren
Ausgleichsversuche absehen zu müssen geglaubt. Die Jungtschechen
erhoben denn auch diesmal gegen die etwa zu fassenden Beschlüsse im
voraus lebhaften Protest: Nie könne ein Ausgleich in Wien geschlossen
werden.
Die Regierung und die nationalen Vertrauensmänner einigten sich in einer
Reihe von Bestimmungen, die sich auf die Zusammenstellung und Einrichtung
des Landesschulrats, die Minoritätsschulen, die Reorganisation des
Landeskulturrats, die Errichtung einer deutschen
Handels- und Gewerbekammer im östlichen Böhmen, die Revision
der
Handelskammer-Wahlordnungen, die Abgrenzung der Gerichtsbezirke, das
Oberlandesgericht in Prag, die Besetzung der Gerichte erster Instanz, die Revision
der Sprachenverordnung von 1880, den Gebrauch der Landessprachen bei den
autonomen Behörden und endlich die Reform der Landtagswahlordnung
und Errichtung nationaler Kurien bezogen. Danach sollten an die Stelle der
bisherigen Kurien der
Städte- und Landgemeinden unter Fortbestand der Kurie des
Großgrundbesitzes zwei neue treten, nämlich die Kurie der von
tschechischen Wahlbezirken entsendeten Abgeordneten und die Kurie der von
deutschen Wahlbezirken entsendeten Abgeordneten. Die Vertreter der
Handelskammern hätten sich nach ihrem Eintritt in den Landtag jeweils
für eine der beiden Kurien zu entscheiden. Jede sollte so wie die Kurie der
Großgrundbesitzer mit einem Vetorecht ausgestattet werden.
Alle Beschlüsse über Änderungen der Landesordnung und
Landtagswahlordnung, ferner über den Gebrauch der Sprachen im
öffentlichen Leben bei autonomen Behörden und bei solchen
Bildungsanstalten, die nicht ausschließlich einer Nationalität
ge- [51] widmet sind, sollten
unter dieses Vetorecht fallen, sofern diese Fragen dem Machtbereich des Landtags
unterstellt seien.
Die Regierung hatte die Aufgabe übernommen, während die Parteien
sich zum Ausgleich äußerten, auf Grund dieser von allen
Konferenzteilnehmern unterzeichneten "Punktationen" die nötigen
Landtagsvorlagen auszuarbeiten. Das größte Verdienst um das
Zustandekommen der Verhandlungen hatte Alexander Fürst
Schönburg-Hartenstein. Die anderen Teilnehmer waren Friedrich Karl Graf
Kinsky, Hermann Hallwich, Richard
Clam-Martinitz, Ernst Plener, Karl Mattuš, Georg Fürst Lobkowitz,
Ludwig Schlesinger, Max Baron Scharschmid, Ladislaus Rieger, Franz
Schmeykal, Oswald Graf Thun, O. Zeithammer.
Die deutschen Landtagsabgeordneten, der gesamte Großgrundbesitz und die
Alttschechen stimmten den Wiener "Punktationen" zu.
Die Jungtschechen dagegen ließen von ihrer unversöhnlichen Politik
auch nicht ein Iota ab. Sie erklärten, weder einen österreichischen
noch einen böhmischen Patriotismus im Sinne Riegers zu kennen, stets sei
"die Nation und vor allem das Wohl der ganzen Nation" ihre Richtschnur. In ihrer
leidenschaftlichen Agitation gegen die "Punktationen" erklärten sie, diesen
zustimmen, hieße einen Selbstmord begehen.
Statt nun über solche Patrioten zur Tagesordnung überzugehen und
so rasch wie möglich den Ausgleich zu besiegeln, unterließ die
Regierung Taaffe nicht nur jeden Überrumpelungsversuch, der, geschickt
gemacht, von Erfolg gekrönt gewesen wäre, sondern sie
verzögerte sogar die Einbringung ihrer Vorlagen.
Inzwischen gewannen die jungtschechischen Politiker Böhmens Zeit, die
Brandfackel des Hasses auch nach Mähren und Schlesien zu werfen, und
gewannen bei den Landtagsneuwahlen daselbst eine Reihe neuer Sitze.
Zwei Friedenstauben für die Deutschen Böhmens ließ die
Regierung zwar rasch nach Abschluß der "Punktationen" fliegen. Dies war
völlig verfehlt. Die beiden Verordnungen des Justizministers
Schönborn betreffs Änderungen in der Gerichtsorganisation im
Königreich Böhmen vom 5. Februar 1890 setzten zwar Stremayrs
Erlaß von 1880 nicht außer Kraft, aber sie schränkten ihn ein.
Die Tschechen antworteten mit einem Entrüstungssturm, weil sie nunmehr
ganz deutlich das "Staatsrecht" angetastet wähnten. Die Regierung
hätte das gesamte Material der Punktationen wohl vorbereitet auf einmal
erledigen müssen. Durch schrittweises Vorgehen erweckt man
überhitzten Völkern gegenüber nur den Eindruck der
Unsicherheit und Schwäche. Statt ihre Leidenschaften zu bändigen,
stachelt man sie nur auf.
[52] Das plötzliche
Aufflackern von Tatkraft, wie die Beschlagnahme derjenigen Blätter, die
das aufreizende Gutachten der jungtschechischen Partei über den Ausgleich
brachten, war zwecklos und widersinnig. Man konnte leider den
vormärzlichen Standpunkt nicht aufgeben und traf nur
Druckerschwärze und Papier, ohne die zügellosen Geister durch die
entschlossene Tatkraft eines großen Staatsmanns in Schranken zu
halten.
Die Deutschen sahen unter diesen Umständen die Unmöglichkeit
eines Ausgleichs ein, aber sie bezogen doch den böhmischen Landtag, um
ihre friedliche Gesinnung zu bekunden und weil sie dies gelegentlich der
"Punktationen" ausdrücklich versprochen hatten. Eine
Ausgleichskommission wurde zwar von allen Landtagsparteien beschlossen und
eingesetzt. Aber nun entbrannte der Kampf erst recht.
Statthalter Thun mahnte wiederholt zur Einsicht, jedes Stück der Vorlagen
bedeute einen Fortschritt zum Ausgleichsziel. Weitsichtig verschloß er sich
jedoch der düsteren Zukunft keineswegs, denn die Hoffnung auf eine
Ausführung der "Punktationen" verringerte sich von Tag zu Tag. "Wir
sehen", so meinte Thun, "eine Partei gegen diese Abmachungen anstürmen,
die selbst erklärt, sie wolle den Frieden, die aber die Mittel
bekämpft, die vorgeschlagen wurden, eine Partei, welche nicht nur die
Vertreter des Ausgleichs bekämpft, sondern auch die besten Söhne
des eigenen Volkes. Ihr Vorgehen kann dahin führen, daß der
größte Teil der Bevölkerung sich ihnen anschließt, es
kann aber die Dinge auch dahin bringen, daß das böhmische Volk
ganz isoliert wird und sich dem Chauvinismus anschließt, und so kann sich
die Partei, indem sie rasch vorwärts stürmt, selbst ein Grab
graben."
Wortwörtlich ist diese Mutmaßung eingetroffen. Die
tschechisch-radikalen Totengräber stehen bereits vor der Tür des
böhmischen Jungtschechentums und trotz der "Slawischen Union" von
1909 ist seine Politik doch eigentlich isoliert, wie denn Ernst von Plener 1890 den
Jungtschechen prophezeite: "Geben Sie acht, eines Tages werden auch Sie vor
derselben Situation stehen, in welcher sich die alttschechischen Führer
heute befinden."
Aber eine praktische Folge hatten die "Punktationen" dennoch auch im guten
Sinn, die nationale Teilung des Landesschulrats und des Landeskulturrats.
Von der Radikalisierungspolitik der Jungtschechen bedroht, nahmen zahlreiche
tschechische Führer, darunter Rieger, Heinrich
Clam-Martinitz, Karl Fürst Schwarzenberg ihren Abschied vom
öffentlichen Leben. Auch das tatkräftige Eintreten für die
Einführung [53] der inneren
tschechischen Dienstsprache konnte sie vor dem radikalen Sturme nicht mehr
retten. Im Gegenteil, der tschechenfreundliche Erlaß des Prager
Oberlandesgerichtspräsidenten Josef Freiherrn von Temnitschka vom
15. Juli 1890, wonach die Einvernahme tschechischer Personen durch
Vermittlung von Dolmetschen den deutschen Richtern auf das strengste untersagt
wurde, bestärkte die Jungtschechen erst recht in ihren Ansprüchen.
Selbst den Statthalter Thun versuchten sie zu stürzen.
Im Reichsrat wurde der neu entfachte Streit fortgesetzt. Man entblödete
sich nicht, die "Punktationen" als Arbeit der deutschen Botschaft hinzustellen. Ja,
auch von deutschnationaler Seite erfolgten Angriffe. Der schlesische Abgeordnete
Karl Türk warf den Deutschböhmen vor, sie hätten um "ein
paar Gläser Champagner beim Sacher" die Nation preisgegeben. Und so
blühte der Radikalismus hüben wie drüben.
In Mähren waren die Gemüter ruhiger. Unter der klugen
Führung des Freiherrn Johann von Chlumetzky verfügten die
deutschliberalen Landtagsabgeordneten über 51 von insgesamt 100
Mandaten. Vielfach konnten sie auch auf die 8 Stimmen der Mittelpartei (aus der
Großgrundbesitzer-Kurie) rechnen und hatten so die Mehrheit in fast allen
Fragen.
Im schlesischen Landtag verfügten die vereinigten Tschechen und Polen
über 6 Stimmen und beanspruchten infolgedessen eine Stelle im
Landesausschuß. Die slawische Propaganda setzte auch hier erfolgreich
ein.
Nachdem der Ausgleich in Böhmen gescheitert war, wurde am
23. Januar 1891 das Abgeordnetenhaus aufgelöst. Die
jungtschechischen Reichsboten hatten Gelegenheit, ihre Reihen zu
verstärken.
Allmählich vollzog sich überhaupt ein völliger Umschwung
der Parteiverhältnisse auch bei den Deutschen. Die Liberalen wurden von
den judenreinen Deutschvölkischen und den antisemitischen Alldeutschen
um Schönerer verdrängt. In Wien und ganz Niederösterreich
drangen die von Lueger geführten Christlichsozialen siegreich vor. Die
"Vereinigte deutsche Linke" sah sich so im wesentlichen auf einige Hochburgen
in den Sudetenländern beschränkt, bis ein Stein um den andern
abbröckelte und schließlich bei den jüngsten Reichsratswahlen
1907 der völlige Zusammenbruch der alten deutschliberalen Partei erfolgte.
Den Tschechen gegenüber konnte man keine Wahlsiege verzeichnen, es sei
denn die Wiedereroberung des bisher durch den Utraquisten Josef Heinrich
vertretenen Leitomischl in Böhmen durch den späteren deutschen
Landsmannminister und hervorragenden Führer der Agrarier Franz
Peschka.
[54] Als am 9. April 1891
das neugewählte Abgeordnetenhaus zusammentrat, war es Taaffe noch
nicht gelungen, sich eine parlamentarische Koalitionsmehrheit zu schaffen.
36 jungtschechische Abgeordnete aus Böhmen, geführt von Alois
Trojan, überreichten ihre Rechtsverwahrung, der sich jedes später
eintretende Mitglied der Partei anschließen mußte. Die Frage des
böhmischen Staatsrechts erregte gleich zu Beginn der Reichsratssession die
Gemüter sehr heftig. Man forderte auch wegen der inneren Amtssprache
eine bündige Regierungserklärung. Taaffe gab sie, indem er von der
inneren deutschen Amtssprache unmöglich abweichen zu können
meinte. Nur so sei eine einheitliche Administration möglich, abgesehen
davon, daß eine Erfüllung der gegenteiligen Wünsche auf
unüberwindliche finanzielle Schwierigkeiten stoßen würde.
Taaffe hatte inzwischen Fühlungnahme mit den Deutschliberalen gewonnen
und suchte ihre Unterstützung.
Anläßlich der Prager Landesausstellung im gleichen Jahre
fanden in der böhmischen Hauptstadt eine Reihe von
Verbrüderungsfesten statt, die durchaus im Zeichen der panslawistischen
Bewegung standen, wenn man sich auch die Teilnahme naiver Deutscher aus den
Alpenländern gern gefallen ließ. Ehe der Kaiser zum Besuch der
Ausstellung nach Prag kam, demonstrierte man eifrig für eine
Krönung des Königs von Böhmen. In allen tschechischen
Landesteilen feierte der antiösterreichische Geist seine Triumphe. Der
Kaiser suchte vergeblich zu vergessen und zu versöhnen. Seine
Anspielungen auf den Ausgleich verhallten vor tauben Ohren, wenn nicht etwa
die folgenden tobenden Proteste gegen den Ausgleich als Echo aufzufassen
waren.
Die vom böhmischen Landtag eingesetzte nationale
Abgrenzungskommission wollte gar nicht vorwärts kommen. Die Absicht
der Tschechen lief darauf hinaus, auch die letzte Erinnerung an die Wiener
"Punktationen" auszulöschen. Als auch der konservative
Großgrundbesitz vom Ausgleich nichts mehr wissen wollte und der
tschechische Landsmannminister Pražák von seinem Posten
zurücktrat, dachte niemand mehr ernstlich an eine günstige
Erledigung.
Der im Landtag gestellte Sprachenantrag des Prager Bürgermeisters
Heinrich Šolc, der die nationale Gleichberechtigung im tschechischen Sinn zu
deuten versuchte, wüste Obstruktionsszenen, durch eine Rede des
Abgeordneten Alois Funke aus Leitmeriz angeblich herausgefordert, Exzesse in
Prag und in den tschechischen Landstädten, hussitische Umzüge
gegen die nicht genug radikalen Adeligen, die Beseitigung aller deutschen
Straßenbezeichnungen in der gemeinsamen Landeshauptstadt durch den rein
tschechischen [55] Gemeinderat, die
Beschmutzung der kaiserlichen Adler an Amtsgebäuden und Briefkasten
durch den tschechischen Pöbel, die antidynastischen Demonstrationen am
Vorabend des kaiserlichen Geburtstages, die anarchistischen
Verschwörungen eines Geheimbundes, der "Omladina", die
Verhängung des Ausnahmezustands über Prag und seine
Vorstädte, die Auflösung der Reichenberger Stadtvertretung, die,
geführt von dem späteren deutschen Landsmannminister Heinrich
Prade, sich gegen die Utraquisierung des Reichenberger Museums und
gegen Verfügungen der böhmischen Statthaltern in der
Sprachenfrage zur Wehr gesetzt hatte, dies alles deutete darauf hin, daß sich
die Zustände nur verschlimmert hatten und den Deutschen die traurigsten
Zeiten erst bevorständen.
Aber nicht nur in Böhmen, auch in Wien selbst faßte die
Tschechisierungspolitik festen Fuß. Abgesehen von den vielen neuen
tschechischen Beamten, die der Expansionspolitik ihres Volkes nach
Kräften Vorschub leisteten, von den zahlreichen Petitionen um
tschechischen Gottesdienst und Unterricht, der künstlich gefördert
werden sollte, handelte es sich darum, die deutsche Parlamentssprache zu
durchbrechen. Die Tschechen forderten unablässig die Aufnahme
tschechischer Reden ins Protokoll. Und dies gab natürlich zu den
mißliebigsten Szenen Anlaß.
Trotz der Bemühungen des Unterrichtsministers Gautsch, die deutsche
Sprache zum Vorteil der einzelnen Völker im Lehrplan auch der slawischen
Schulen aufrechtzuerhalten, konnte die fortschreitende Beseitigung des deutschen
Unterrichts nicht verhindert werden. Sein Verbot, den 300. Jahrestag der
Geburt Amon Komenskýs in den tschechischen Schulen zu feiern und dadurch zu
staatsrechtlichen Kundgebungen der Schüler und ihrer Eltern Anlaß
zu geben, hatte ein erbittertes Mißtrauensvotum zur Folge, das der
Tschechenführer Karl Kramář im Juli 1892 im Abgeordnetenhaus
aussprach.
Bald darauf verfügte der Prager Stadtrat die Auflassung der Parallelklassen
an deutschen Volksschulen. Die deutschen Minoritätsschulen wurden
allenthalben bedrängt. Auch hohe Kleriker, wie der Brünner Bischof
Franz Bauer, beteiligten sich an dem Kampf gegen die deutsche Schule.
1892 traten die Jungtschechen zum erstenmal in die
österreichisch-ungarische Delegation ein. Diese von den Parlamenten
beider Reichshälften beschickte Körperschaft war bisher vom
österreichischen Nationalitätenstreit wenig berührt worden, da
es sich bei den Verhandlungen nur um gemeinsame Angelegenheiten der
Reichshälften handelte. Mit dem Eintritt der Jungtschechen wurde auch hier
[56] ein Boden für die
tschechische Eroberungspolitik geschaffen. Zunächst mußte der
Dreibund herhalten. Natürlich galten die Angriffe Kramářs vor allem
dem Deutschen Reich, in dem dieser Abgeordnete seine höchste
wissenschaftliche Ausbildung genossen hatte. Gegen das Deutsche Reich spielten
Jungtschechen Rußland aus und befürworteten auch in den folgenden
Jahrzehnten ein Bündnis mit diesem Staate, um Österreich besser
slawisieren zu können und das deutsche Volk hüben und
drüben zu schwächen. Der Jungtscheche Friedrich Pacák, der
spätere Minister, zog gegen die deutsche Armeesprache zu Felde. Viele
tschechische Stellungspflichtige und Reservisten begannen damals beim
Namensaufruf durch die militärische Behörde statt mit dem
vorgeschriebenen "Hier" zu antworten mit der tschechischen Übersetzung
"Zde" zu demonstrieren.
Gleichzeitig wurden die deutsch-mährischen Städte arg bedroht. Als
erste fiel die Gemeindevertretung von Proßnitz den Tschechen in die
Hände. Auch in Schlesien rückten die Slawen immer siegreicher vor.
Allerdings gerieten dabei Tschechen und Polen oft gegeneinander, da beide ihre
geschichtlichen Anrechte auf das ganze Land geltend machten.
Das Ministerium Taaffe lavierte, solange dies ging. Eine Wahlreform war
unausbleiblich. Aber dieses Problem bedeutete Taaffes Ende. Kein
nationalgesinnter Deutscher trauerte ihm nach. Er war immer mehr auf Seite der
Tschechen getreten, wenn er dies auch äußerlich geschickt zu
verbergen suchte. Deshalb fand er auch bei den Feudalen und Tschechen die
tiefgefühltesten Nekrologe. Als er am 11. November 1893 seines
Amtes enthoben wurde, nahm das alte Österreich endgültig Abschied. Das
neue Österreich war deshalb noch lange nicht geboren.
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