[284]
V. Die volkspolitischen Auswirkungen im
Sudetendeutschtum
1. Allgemeine
Übersicht
Im Oktober des vergangenen Jahres unternahmen einige tschechische
linkssozialistische Schriftsteller und Wissenschaftler eine Studienreise durch die
sudetendeutschen Grenzgebiete. Unter ihnen befanden sich Professor
Dr. Nejedly und Karl Capek, der bekannte Freund und Biograph des
früheren tschechoslowakischen Staatspräsidenten Thomas Masaryk.
Diesen Männern kann man ebensowenig Deutschfreundlichkeit vorhalten,
wie etwa eine voreingenommene oder gar feindselige Gesinnung dem
tschechoslowakischen Staate gegenüber. Sie sind tschechische Demokraten
und bekennen sich rückhaltlos zu dem politischen Prinzip ihres
Vaterlandes. Daher ist ihr Urteil für uns umso wertvoller. Sie kamen in die
grenzdeutschen Gebiete, um die dortigen Verhältnisse aus eigenem
Augenschein kennen zu lernen. Was sie dort gesehen und gehört haben,
haben sie in den folgenden plastischen Schilderungen wiedergegeben. Damit
wird von tschechischer Seite bestätigt, was in den bisherigen Kapiteln
dieses Buches dargestellt worden ist. Zugleich aber werden die furchtbaren
Auswirkungen der planmäßigen Zerstörung der
sudetendeutschen Wirtschaft, der systematischen Benachteiligung der
sudetendeutschen Grenzgebiete, der Erwerbslosigkeit und des Lohnausfalles auf
das volkspolitische Leben der Sudetendeutschen aufgezeigt. So schreibt einer
der Teilnehmer:
"Unsere Delegierten haben die Kreise
Friedland, Reichenberg, Gablonz bereist und haben Fabriken,
Kommunal-Behörden und Arbeiterwohnungen besucht. Wir haben mit
Leuten aller Gesellschaftsklassen gesprochen, mit den lokalen Behörden,
mit Ärzten und Lehrern, mit Arbeitern, Landwirten und Beamten sowie den
Vertrauensleuten der Arbeiter-Gewerkschaften. Von allen Seiten wurde uns
furchtbares Material vorgelegt. Sowohl auf Grund hiervon, wie auf Grund dessen,
was wir mit eigenen Augen und Ohren gesehen und gehört haben,
erklären wir, daß die Verhältnisse in diesen Gegenden ganz
einfach katastrophal sind.
[285]
Die Industrie ist zum großen Teil vernichtet. Die Maschinen sind entweder
verkauft oder demoliert oder dem Verfall überliefert. Es gibt Fabriken, die
alten Burgruinen gleichen. Daher ist die Arbeitslosigkeit unerhört, und
infolgedessen herrscht vollständige Hungersnot. 90% aller Kinder sind
unterernährt. Die Eltern sind in Verzweiflung verfallen und die Ärzte
beben vor dem herannahenden Winter. Die Lehrer berichten, daß die
meisten Kinder so ausgehungert zur Schule kommen, daß sie dem
Unterricht nicht folgen können. Während des Winters blieb eine
große Anzahl von Schülern fort, weil sie vollständig warmer
Kleider und Schuhe entbehrten. Die meisten Bauern sitzen tief in Schulden, in
eigenen und fremden. Trotzdem werden fortwährend Steuern erhoben, und
da diese nicht bezahlt werden können, kommen Hof und Möbel unter
den Hammer. Man hat versucht, Notstandsarbeiten anzuordnen, aber da die
Gemeinden infolge des verzweifelten Zustandes ihrer Finanzen die
vorgeschriebenen 20% der Arbeitslöhne nicht bezahlen können, so
stehen die Arbeiten auf dem Papier. Hilfe ist hier dringend nötig, wenn die
Bevölkerung nicht in Verzweiflung untergehen soll. In dieser Situation
sehen wir den schlimmsten Feind unseres Landes und unserer demokratischen
Rechte."
Ein anderer führt aus:
"Ganz sicher haben wir Schriftsteller
und Wissenschaftler schon früher gewußt, daß in den
sudetendeutschen Gebieten große Not herrscht, aber ebenso fest steht,
daß ihre Vorstellungen von der brutalen Wirklichkeit weit übertroffen
worden sind. Die schrecklichen Bilder, die sich vor den Augen der Mitglieder
unserer Kommission aufrollten, können nicht mehr mit den Worten Not,
Elend und Verzweiflung ausgedrückt werden, sie sind nichts anderes, als
das erschütternde Anzeichen einer beginnenden
Hungerkatastrophe, die sich in den deutschen Gebieten auszubreiten beginnt.
8 bis 10-köpfige arbeitslose Familien leben von 3 bis 4
Ernährungskarten in der Woche. Wer von den Teilnehmern dieser
Kommission könnte das Bild der 80-jährigen Greisin vergessen, die
mit erhobenen Händen um eine »Bettlerkarte« bat, da sie sich
und ihr verwaistes Urenkel nicht mit einer Unterstützung von 7 Kc
wöchentlich ernähren kann. Die Hungersnot beschränkt sich
nicht nur auf die Arbeiter, auch die Bauern und kleinen Gewerbetreibenden
schilderten auf erschütternde Weise ihre Not. Steuern und Zinsen werden
rücksichtslos eingetrieben. Auch in kleinen Orten gibt es 6 bis 8
Versteigerungen täglich. Wenn heute, wo die Ernährungskarte die
letzte Möglichkeit einer Lebenserhaltung für viele Tausende ist, die
Entscheidung über die Zuteilung letzten Endes bei der Gendarmerie liegt,
dann ist es nicht schwer, den Betroffenen die Vorstellung einzuimpfen, daß
der Tscheche schuld sei. Wenn die deutschen Arbeitslosen aus den
Investition- und Notstandsarbeiten ausgeschlossen werden, weil sich die
tschechischen Firmen von weither ihre Arbeitskräfte mitbringen, dann ist es
nicht schwer, ihren Haß gegen die Tschechen zu wecken. Wenn die
deutschen Kleingewerbetreibenden und [286] Kleinbauern, für
die die Steuern eine Frage auf Leben und Tod bedeuten, sich nicht mit dem
Steuerbeamten in ihrer Muttersprache verständigen können, dann
können sie leicht national entflammt werden. Es muß zumindest
die größte Not und die auffälligste nationale Ungleichheit
beseitigt werden."
Und wieder ein anderer:
"Wir sahen Arbeiter, die schon 6 Jahre
lang keine Arbeit mehr haben. Wir sahen einen Arbeiter, der schon seit
3 Tagen kein Stück Brot oder sonst etwas gegessen hat. Wir sahen
einen 64-jährigen arbeitslosen Schneider, der vor Hunger den ganzen Tag
im Bett liegt. Vom Morgen bis in die Nacht arbeitet eine ganze Familie mit ihren
Kindern und verdient einschließlich Regie auf Kohle und Petroleum
Kc 12 wöchentlich. Die Arbeitslosenunterstützungen sind in
jeder Richtung hin unzureichend. Es ist notwendig, diese Gebiete als
Notstandsgebiete zu erklären, denn darüber, daß sie es sind,
kann auch nicht der geringste Zweifel bestehen. Wir sahen recht sauber gehaltene
Kinder in einer vollkommen unzureichenden Stube, die wegen
Unterernährung aus der Schule nach Hause geschickt worden sind, weil sie
dem Unterrichte nicht mehr folgen konnten. Wir sahen Gemeindespeicher und
sogar Sitzungssäle überfüllt mit Möbeln, die wegen
Steuerrückständen beschlagnahmt wurden. Im Friedländer
Bezirk macht der jährliche Verlust an Löhnen 48 Millionen,
im Gablonzer Bezirk 151 Millionen Kc, im Reichenberger Bezirk
34 Millionen Kc aus. Die Krone des ganzen aber ist wie
gewöhnlich die Sprachenpraxis. Bei den Finanzämtern muß
man sich mit Hilfe von Dolmetschern verständigen, weil dort leider keiner
deutsch kann."
Und wieder ein anderer:
"Stellen Sie sich vor, wenn einem
Küstenvolke, das aus Fischern und Seefahrern besteht, auf einmal das Meer
verloren ginge - dann haben Sie die Lage, wie sie sich heute bei den
Reichenberger Webern und Spinnern bietet. In der Grenzstadt Grottau herrscht
ausgesprochene Not. Der Arzt in Weißkirchen erklärte, daß die
Leute bereits mit 30 Jahren Krebs bekommen. Die Arbeitslosen gehören
nicht mehr zur Krankenversicherung und stehen ohne jede ärztliche Hilfe
da. Auf unserem Gebiete leben reichsdeutsche Staatsangehörige und
erhalten Arbeitslosenunterstützung aus Deutschland. Hitler habe ihnen
angeblich 20 Zentner Kohle, dann Bohnen, Erbsen und Mehl geschickt.
Zweitausend Kinder hat man in das Reich zur Erholung eingeladen. Unsere
Regierung hat das verboten, aber um unsere Kinder kümmert sie sich nicht.
Man könnte die Neiße regulieren, die jedes Jahr aus den Ufern tritt
und Überschwemmungen verursacht. Das Projekt ist fertig und liegt
angeblich bereits 3 Jahre im Arbeitsministerium. Das heurige trockene Jahr
wäre für Wasser-Arbeiten wie geschaffen gewesen. Alles war
vorbereitet, man wartete nur auf die Bewilligung, aber die Bewilligung ist nicht
gekommen. So entgeht den Leuten das Brot. Wenn die Bewilligung gekommen
sein wird, sagte einer der Arbeiter mit einem langsamen Lächeln, werden
wir keine Kraft mehr zum [287] Arbeiten haben. Wir
sind alle wie die Fliegen. Überall, wohin wir kamen, warteten
Menschengruppen und empfingen uns immer mit der gleichlautenden Anklage: Es
seien schon soviel Kommissionen hier gewesen, hätten geredet, immer sei
alles aufgeschrieben und nichts getan worden. Ich bin weit davon entfernt,
allgemeine Erscheinungen eines überlebten Wirtschaftssystems als
ausschließlich nordböhmisches Merkmal hinzustellen. Ich habe mich
nur davon überzeugt, daß dort die Not ein größeres
spezifisches Gewicht besitzt, daß dort mehr Elend in einem Kubikraum
zusammengepreßt ist. Arbeitslos zu sein, ist hier nicht mehr eine
epidemische Erscheinung, sondern ein natürlicher Zustand und das ist
schlimm."
Am 17. Dezember 1935 veröffentlicht der Schwede Nils Hagström,
der die Verhältnisse in den sudetendeutschen Grenzgebieten ebenfalls aus
eigener Anschauung kennengelernt hat, in der Stockholmer konservativen Zeitung
Nya Dagligt Allehanda eine Darstellung über "Die
Tschechoslowakei und ihre Volksminderheiten". In seiner Schilderung der
sudetendeutschen Elendsgebiete stützt er sich ebenfalls auf die Berichte der
genannten tschechischen Schriftsteller und Wissenschaftler. In diesem Aufsatz
heißt es u. a.:
"Derjenige, der sehen will, was wirkliche Not ist, muß
nach Nordböhmens schönem Industriegebiet fahren." So schreibt ein
Schriftsteller in Ceske Slovo. "Ich kam auf einer Landstraße in der
Nähe von Karlsbad daher gefahren", schreibt er, "als meine
Aufmerksamkeit auf eine Schar von Menschen fiel, etwa 50, die sich auf einem
Kartoffelfeld zu schaffen machten. Auf meine verwunderte Frage, was sie wohl
auf einem umgepflügten Kartoffelfeld zu tun hätten, erhielt ich den
überraschenden Bescheid, daß es lauter Industriearbeiter waren, von
den Textil- und Glasfabriken in der Nähe. Mit ihren Händen
durchwühlten sie das Feld, um die eine oder andere übriggelassene
Kartoffel zu finden... Menschen fallen auf den Wegen um, die
Krankenhäuser sind überfüllt. Vereinzelte
Menschenschicksale? - Nein", beteuert der Verfasser, "sie wiederholen sich
überall auf einer Fahrt durch den Böhmerwald, bis zu den Karpathen
hin. Beinahe in jeder Familie und in jedem Ort."
[288]
Hungernde Menschen im Sudetenland. Fast 30.000
Sudetendeutsche machten seit 1918 ihrem Leben ein Ende. Die Tschechoslowakei
kann sich rühmen, die höchste Selbstmordzahl in Europa
aufzuweisen.
|
Der Bezirksarzt in Graslitz, einem Bezirk von etwa 25 000 Einwohnern, schreibt
offiziell, in der Verantwortung seines Amtes:
"Schwarzer Malzkaffee, ohne Milch
oder Rahm, ist die Nahrung, die die Säuglinge bekommen, und
größere Kinder bekommen Kaffee, Brot und Kartoffeln. Die Kinder
sind unterernährt und blutarm, sie haben keine Kleider. Ganze Familien
wohnen in engen Löchern, in denen der Fußboden die einzige
Schlafgelegenheit ist. Während des Winters hat man keine Kohlen, um zu
heizen. »Mama, gib mir Wasser, ich bin so hungrig«, so klagen die
Kinder, und der Arzt, der deutlich im Gefühl hat, daß man dies
vielleicht doch nicht glaubt, sagt, daß er es auf seinen Eid nehmen [288] kann, daß das
Wort so gefallen ist, und daß Anlaß dazu vorhanden war. In einer
Familie von 6 Köpfen, Eltern, 3 Kindern und einer
Schwiegermutter, gehen die Familienmitglieder buchstäblich halbnackend
herum. Sie haben weder Strümpfe noch Schuhe, noch Hemden. Sie leben
von schwarzem Kaffee mit Brot zum Frühstück, Suppe zum Mittag;
Abendessen gibt es nicht. Sie gehen langsam, aber sicher ihrem Untergang
entgegen. Im Adlergebirge mischt man Baumrinde ins Brot, während die
Regierung Massen von Getreide in die Moldau werfen läßt, um das
Sinken der Preise zu verhindern. Zu einem großen Teil hat sich die
Bevölkerung von Katzen und Hunden genährt..."
Das Gesagte mag genügen. Die Schilderungen
könnte man ins Unendliche vermehren. Und es bleibt zu bemerken: sie
stammen sämtlich von Tschechen, die man nicht verdächtigen kann,
daß sie übertreiben. Außer einer schmählich geringen
Arbeitslosenunterstützung, die nur einer geringen Zahl während einer
begrenzten Wochenfolge zugute kommt, ist von den tschechischen
Behörden im ver- [289] flossenen Jahre nichts
getan worden, um der Not abzuhelfen. Man hat im Gegenteil den Eindruck,
daß die Behörden kaltblütig und nicht ohne eine gewisse
Befriedigung diese fremden Volkssplitter zugrundegehen sehen. Es ist
nämlich so weit gekommen, daß man Hilfsaktionen verhindert hat,
die von ihren eigenen, etwas besser gestellten Landsleuten ausgehen sollten.
Ebenso hat man jede Hilfsaktion von reichsdeutscher Seite verboten. Nicht einmal
der bescheidenste Beitrag in Form von Kleidern und Eßwaren darf die
Grenze passieren.
Was man nicht verbieten kann, ist die Klage der
Unglücklichen. Wie eine schreiende Anklage steigt sie über die
Grenzen und richtet sich wie ein flammender Notruf an alle zivilisierten
Völker. Hier, wenn irgendwo, so sollte man glauben, hätte der
Völkerbund eine Aufgabe, wenn dieser Bund nicht eine Karikatur dessen
wäre, was er sein wollte und sollte. Von der Seite ist nichts zu erwarten.
Aber man wendet sich an das Gewissen glücklicher gestellter Völker,
an die, welche noch nicht von dem größten Unglück getroffen
worden sind, das ein Volk treffen kann: ein unterjochtes Volk zu
sein."
Das also ist sudetendeutsches Schicksal und so zeigen sich die Auswirkungen des
tschechischen Wirtschaftskrieges. Während die tschechischen Industrien
Tag und Nacht arbeiteten, kam es in den sudetendeutschen Betrieben vielfach
schon zu Arbeitszeitverkürzungen. Und mußten, wie es in den letzten
Jahren vorkam, auch tschechische Betriebe ihre Produktion einschränken,
da war es inzwischen im sudetendeutschen Gebiet bereits zu einer reihenweisen
Stillegung der Fabriken gekommen. Wurden in utraquistischen Betrieben
Arbeiterentlassungen vorgenommen, dann waren es immer nur deutsche
Arbeitsmenschen, die von ihr betroffen wurden, während bei
Neueinstellungen größtenteils nur tschechische Arbeiter
Berücksichtigung finden.
Die zur Krisenbekämpfung bereitgestellten Mittel (Ausfuhrzuschüsse
und Kredite), gewährten Erleichterungen (Steuerabschreibungen,
Kreditverlängerungen, Zinsennachlässe) und staatliche
Lieferungsaufträge kamen ausschließlich der tschechischen Industrie
zugute. Die 1934 aufgelegte "Arbeitsanleihe", die der Ankurbelung der
Staatswirtschaft galt und zu der von dem Sudetendeutschtum rund
30 v. H. gezeichnet worden waren, fand bis zu 96 v. H.
für Bauten im tschechoslowakischen Gebiet und Lieferungsaufträge
an tschechische Firmen Verwendung, während in die sudetendeutschen
Gebiete kaum 4 v. H. flossen, so daß das Sudetendeutschtum
zu einem Viertel die Arbeitsbeschaffung im tschechoslowakischen Gebiete
finanzierte.
Und nicht anders wird die im Jahre 1936 aufgelegte "Wehranleihe" Verwendung
finden, die zum Prüfstein der Loyalität der Sudetendeutschen dem
tschechoslowakischen Staate gegenüber gemacht worden ist und durch die
einem verarmten Volk unter Druck und der Zusicherung der Verwendung der
Gelder im sudetendeutschen Gebiet und zur Belebung des sudetendeutschen
Arbeits- [290] marktes die letzten
Spargroschen ausgepreßt wurden. Hier triumphiert das Unrecht und die
Gewalt!
Aber auch die Fürsorge für die von der Erwerbslosigkeit unmittelbar
Betroffenen erwies sich als völlig unzureichend. Verarmung der
Bevölkerung, völlige Zerrüttung ihres Gesundheitszustandes,
Erhöhung der Sterblichkeit, Rückgang der Geburtenzahlen, sind die
beabsichtigten Auswirkungen des geschilderten tschechischen Wirtschaftskrieges.
Die Not in den sudetendeutschen Gebieten ist bereits so allgemein geworden,
daß man sie fast als einen Normalzustand ansieht. Da veröffentlichte
z. B. die Reichenberger Zeitung zu Beginn ds. Js. folgende
Notiz:
"Das unbefugte Schlachten von
Hunden, das allenthalben Ärgernis erregt, da hierbei die Tiere meist
qualvoll leiden, nimmt auch im Gebiete von Röchlitz und Umgebung
überhand. Erst kürzlich wurde wieder ein solcher Mann, von Beruf
Bäcker, ausgeforscht. Selbstredend will der Mann den fetten Boxer
irgendwo gekauft haben; meist aber hängt die Tötung von Hunden
mit einem Hundediebstahl zusammen. Das unbefugte Schlachten von Hunden und
Katzen trägt auch die Gefahr des Verbrauchs von verseuchtem Fleisch in
sich. Es wird ja weder das Tier vor der Tötung untersucht noch das Fleisch
desselben. Es gibt in der Umgebung von Röchlitz Leute, die dieses Fleisch
sogar verkaufen. Die Polizei ist bereits auf der Spur weiterer solcher
Hundefänger und Hundeschlächter."
Das Blatt findet gar nichts mehr daran, daß die Menschen, um ihren
Hunger zu stillen, Hunde und Katzen schlachten und ihr Fleisch
genießen. Es wendet sich nur dagegen, daß es "unbefugt"
geschieht. Der Staat aber, der nichts tut, um für die hungernden Menschen
das notwendige Brot zu schaffen, der lieber ganze Waggonladungen von Getreide
vernichtet, statt sie hungernden deutschen Menschen zu geben,
verfolgt - die Hundefänger!
Der Stadtrat der sudetendeutschen Stadt Aussig hat den Beschluß
gefaßt, das Schlachten, den Handel und den Verkauf sowie die Einfuhr von
Hunde- und Katzenfleisch im rohen oder im zubereiteten Zustande für
menschliche Genußzwecke im Gebiete der Stadt Aussig überhaupt zu
verbieten.
Es sind keine Einzelerscheinungen, die im folgenden kurz skizziert sind:
"Ein sechsjähriger Knabe aus
dem sudetendeutschen Kohlengebiet wird zum »Auffuttern« bei
Bauern untergebracht. Ein Butterbrot ist ihm ein so ungewohnter Genuß,
daß er sich sofort übergibt. Er kann überhaupt kein Essen
behalten. Nach ärztlicher Verordnung erhält er zunächst nur
trockenes Brot, nach einer Woche etwas Butter dazu, endlich nach vier Wochen
richtiges Essen. Nachforschungen ergeben, daß er zu Hause
überhaupt nichts anderes hatte, als früh und abends je ein kleines
Stückchen Brot.
In P. in Nordböhmen war eine schwangere Frau so
schwach, daß sie, im Bette liegend, sich kaum noch aufrichten konnte. Ihre
Nahrung bestand, bis [291] man sich ihrer annahm,
täglich aus einem Stückchen Brot und etwas Wasser. Ihr Mann ist
28, sie ist 26 Jahre alt. Beider Aussehen ist greisenhaft.
Im gleichen Ort lebt eine Familie mit sechs Kindern von
20 Tschechenkronen wöchentlicher Unterstützung. Das sind etwa
2 Mark. In einem Raum, der 4 mal 4 Meter groß
ist, haust diese achtköpfige Familie noch mit zwei Schlafburschen
zusammen. Die Kinder waren, als man sich ihrer annahm, so schwach, daß
sie seit Wochen nicht mehr die Schule besuchen konnten.
Ein Kind, das bei Bauern untergebracht wurde, schreibt
nach Hause über sein gutes Essen. Seine Brüder, 8 und
10 Jahre alt, verlassen heimlich das Elternhaus und wandern
40 Kilometer über Land, um auch einmal ein Butterbrot zu
bekommen."111
In Südmähren wurden einem Landwirt 3 Kühe durch den Blitz
erschlagen. Die Kadaver mußten vom Wasenmeister eingescharrt werden.
Trotzdem sie vor dem Einscharren schon 2 Tage gelegen hatten, machten
sich hungernde Arbeitslose zur Nachtzeit mit Rucksäcken und Krampen
bewaffnet ans Werk, gruben die bereits stark in Verwesung
übergegangenen Tierleichen aus, um aus diesen die noch halbwegs
verwendbaren Stücke herauszuschneiden und nach Hause zu tragen.
(Zeit.)
Die Arbeiterin Julie Hauptmann in Kojetein fristete mit ihren Kindern ein
kärgliches Leben. Ihr kleiner Verdienst reichte kaum für sie selbst
aus und so äußerte sie in den letzten Tagen ihre Bedenken, ob sie
wohl noch so lange, bis ihre Kinder in die Schule gehen könnten, mit ihren
Kräften aushalten werde. Anfang August vergiftete sie in ihrer
Verzweiflung ihre Kinder und sich selbst. Es gelang zwar, sie im Krankenhaus
wieder zu Bewußtsein zu bringen, doch erlitt sie kurz darauf einen
Tobsuchtsanfall, so daß man gezwungen war, sie mit Zwangsjacke ins
Irrenhaus zu befördern. (Zeit.)
Da finden sich keine Ligen für Menschenrechte, die im Namen der
Humanität gegen die planmäßig betriebene
Massenverelendung im Sudetendeutschtum Einspruch erheben, da finden sich
auch keine internationalen Gerichtskommissionen, die gegen die Beraubung des
primitivsten Lebensrechtes von 3½ Millionen deutscher Menschen
Anklage erheben und an die Weltgerechtigkeit appellieren, da rührt sich
auch nicht das sattsam bekannte Weltgewissen, das sich immer dann bemerkbar
macht, wenn einem jüdischen Verbrecher der Prozeß gemacht werden
soll.
Als der Führer des in der Sudetendeutschen Partei geeinten
Sudetendeutschtums, Konrad Henlein, an dieses Weltgewissen appellierte, da
antworteten die tschechischen Humanitätsdemokraten mit wüsten
Beschimpfungen und Verdächtigungen, die Welt aber schwieg!
[292] Es klang geradezu wie
bitterer Hohn auf die sudetendeutsche Not, als der sozialdemokratische
Fürsorgeminister als letztes Mittel zur Bekämpfung der
Wirtschaftsnot mitteilte, daß in seinem Ministerium bereits Pläne
ausgearbeitet und die Vorbereitungen getroffen werden, um eine Auswanderung
größeren Ausmaßes zwar nicht in Kolonien, denn die besitzt
die Tschechoslowakei nicht, aber dafür nach Frankreich und
Sowjetrußland sicherzustellen.
Für das Wohl des russischen Kommunismus also wird ein
"tschechoslowakischer" Bauer in einer Kollektivwirtschaft säen und
für das Gedeihen des französischen Kapitalismus ein
"tschechoslowakischer" Arbeiter in einem französischen Bergwerk sich
abrackern müssen. Sollten diese Menschen das Glück haben Kinder
großziehen zu können, dann würden diese ihren Vätern
nicht nur in der Arbeit folgen, denn in der neuen Umgebung wäre die alte
Heimat rasch vergessen.
Außer durch die "Entlastung des Arbeitsmarktes" wären
schließlich diese Menschen nicht imstande gewesen der Heimat einen
Dienst zu leisten. Dazu tauchte noch der Vorschlag auf, ganze
Dorfgemeinschaften geschlossen zu übertragen, was ja letzten Endes einer
Aufgabe des Bodens gleichkäme. Wir wissen nicht, ob sich zur
Erfüllung solcher Funktionen die Tschechen und Slowaken
drängen werden; dagegen wissen wir, daß das Sudetendeutschtum
für diese "Exportförderung" und Erwerbslosenfürsorge
dankt.
|