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V. Die volkspolitischen Auswirkungen im Sudetendeutschtum

1. Allgemeine Übersicht

Im Oktober des vergangenen Jahres unternahmen einige tschechische linkssozialistische Schriftsteller und Wissenschaftler eine Studienreise durch die sudetendeutschen Grenzgebiete. Unter ihnen befanden sich Professor Dr. Nejedly und Karl Capek, der bekannte Freund und Biograph des früheren tschechoslowakischen Staatspräsidenten Thomas Masaryk. Diesen Männern kann man ebensowenig Deutschfreundlichkeit vorhalten, wie etwa eine voreingenommene oder gar feindselige Gesinnung dem tschechoslowakischen Staate gegenüber. Sie sind tschechische Demokraten und bekennen sich rückhaltlos zu dem politischen Prinzip ihres Vaterlandes. Daher ist ihr Urteil für uns umso wertvoller. Sie kamen in die grenzdeutschen Gebiete, um die dortigen Verhältnisse aus eigenem Augenschein kennen zu lernen. Was sie dort gesehen und gehört haben, haben sie in den folgenden plastischen Schilderungen wiedergegeben. Damit wird von tschechischer Seite bestätigt, was in den bisherigen Kapiteln dieses Buches dargestellt worden ist. Zugleich aber werden die furchtbaren Auswirkungen der planmäßigen Zerstörung der sudetendeutschen Wirtschaft, der systematischen Benachteiligung der sudetendeutschen Grenzgebiete, der Erwerbslosigkeit und des Lohnausfalles auf das volkspolitische Leben der Sudetendeutschen aufgezeigt. So schreibt einer der Teilnehmer:

      "Unsere Delegierten haben die Kreise Friedland, Reichenberg, Gablonz bereist und haben Fabriken, Kommunal-Behörden und Arbeiterwohnungen besucht. Wir haben mit Leuten aller Gesellschaftsklassen gesprochen, mit den lokalen Behörden, mit Ärzten und Lehrern, mit Arbeitern, Landwirten und Beamten sowie den Vertrauensleuten der Arbeiter-Gewerkschaften. Von allen Seiten wurde uns furchtbares Material vorgelegt. Sowohl auf Grund hiervon, wie auf Grund dessen, was wir mit eigenen Augen und Ohren gesehen und gehört haben, erklären wir, daß die Verhältnisse in diesen Gegenden ganz einfach katastrophal sind.
[285]      Die Industrie ist zum großen Teil vernichtet. Die Maschinen sind entweder verkauft oder demoliert oder dem Verfall überliefert. Es gibt Fabriken, die alten Burgruinen gleichen. Daher ist die Arbeitslosigkeit unerhört, und infolgedessen herrscht vollständige Hungersnot. 90% aller Kinder sind unterernährt. Die Eltern sind in Verzweiflung verfallen und die Ärzte beben vor dem herannahenden Winter. Die Lehrer berichten, daß die meisten Kinder so ausgehungert zur Schule kommen, daß sie dem Unterricht nicht folgen können. Während des Winters blieb eine große Anzahl von Schülern fort, weil sie vollständig warmer Kleider und Schuhe entbehrten. Die meisten Bauern sitzen tief in Schulden, in eigenen und fremden. Trotzdem werden fortwährend Steuern erhoben, und da diese nicht bezahlt werden können, kommen Hof und Möbel unter den Hammer. Man hat versucht, Notstandsarbeiten anzuordnen, aber da die Gemeinden infolge des verzweifelten Zustandes ihrer Finanzen die vorgeschriebenen 20% der Arbeitslöhne nicht bezahlen können, so stehen die Arbeiten auf dem Papier. Hilfe ist hier dringend nötig, wenn die Bevölkerung nicht in Verzweiflung untergehen soll. In dieser Situation sehen wir den schlimmsten Feind unseres Landes und unserer demokratischen Rechte."

Ein anderer führt aus:

      "Ganz sicher haben wir Schriftsteller und Wissenschaftler schon früher gewußt, daß in den sudetendeutschen Gebieten große Not herrscht, aber ebenso fest steht, daß ihre Vorstellungen von der brutalen Wirklichkeit weit übertroffen worden sind. Die schrecklichen Bilder, die sich vor den Augen der Mitglieder unserer Kommission aufrollten, können nicht mehr mit den Worten Not, Elend und Verzweiflung ausgedrückt werden, sie sind nichts anderes, als das erschütternde Anzeichen einer beginnenden Hungerkatastrophe, die sich in den deutschen Gebieten auszubreiten beginnt. 8 bis 10-köpfige arbeitslose Familien leben von 3 bis 4 Ernährungskarten in der Woche. Wer von den Teilnehmern dieser Kommission könnte das Bild der 80-jährigen Greisin vergessen, die mit erhobenen Händen um eine »Bettlerkarte« bat, da sie sich und ihr verwaistes Urenkel nicht mit einer Unterstützung von 7 Kc wöchentlich ernähren kann. Die Hungersnot beschränkt sich nicht nur auf die Arbeiter, auch die Bauern und kleinen Gewerbetreibenden schilderten auf erschütternde Weise ihre Not. Steuern und Zinsen werden rücksichtslos eingetrieben. Auch in kleinen Orten gibt es 6 bis 8 Versteigerungen täglich. Wenn heute, wo die Ernährungskarte die letzte Möglichkeit einer Lebenserhaltung für viele Tausende ist, die Entscheidung über die Zuteilung letzten Endes bei der Gendarmerie liegt, dann ist es nicht schwer, den Betroffenen die Vorstellung einzuimpfen, daß der Tscheche schuld sei. Wenn die deutschen Arbeitslosen aus den Investition- und Notstandsarbeiten ausgeschlossen werden, weil sich die tschechischen Firmen von weither ihre Arbeitskräfte mitbringen, dann ist es nicht schwer, ihren Haß gegen die Tschechen zu wecken. Wenn die deutschen Kleingewerbetreibenden und [286] Kleinbauern, für die die Steuern eine Frage auf Leben und Tod bedeuten, sich nicht mit dem Steuerbeamten in ihrer Muttersprache verständigen können, dann können sie leicht national entflammt werden. Es muß zumindest die größte Not und die auffälligste nationale Ungleichheit beseitigt werden."

Und wieder ein anderer:

      "Wir sahen Arbeiter, die schon 6 Jahre lang keine Arbeit mehr haben. Wir sahen einen Arbeiter, der schon seit 3 Tagen kein Stück Brot oder sonst etwas gegessen hat. Wir sahen einen 64-jährigen arbeitslosen Schneider, der vor Hunger den ganzen Tag im Bett liegt. Vom Morgen bis in die Nacht arbeitet eine ganze Familie mit ihren Kindern und verdient einschließlich Regie auf Kohle und Petroleum Kc 12 wöchentlich. Die Arbeitslosenunterstützungen sind in jeder Richtung hin unzureichend. Es ist notwendig, diese Gebiete als Notstandsgebiete zu erklären, denn darüber, daß sie es sind, kann auch nicht der geringste Zweifel bestehen. Wir sahen recht sauber gehaltene Kinder in einer vollkommen unzureichenden Stube, die wegen Unterernährung aus der Schule nach Hause geschickt worden sind, weil sie dem Unterrichte nicht mehr folgen konnten. Wir sahen Gemeindespeicher und sogar Sitzungssäle überfüllt mit Möbeln, die wegen Steuerrückständen beschlagnahmt wurden. Im Friedländer Bezirk macht der jährliche Verlust an Löhnen 48 Millionen, im Gablonzer Bezirk 151 Millionen Kc, im Reichenberger Bezirk 34 Millionen Kc aus. Die Krone des ganzen aber ist wie gewöhnlich die Sprachenpraxis. Bei den Finanzämtern muß man sich mit Hilfe von Dolmetschern verständigen, weil dort leider keiner deutsch kann."

Und wieder ein anderer:

      "Stellen Sie sich vor, wenn einem Küstenvolke, das aus Fischern und Seefahrern besteht, auf einmal das Meer verloren ginge - dann haben Sie die Lage, wie sie sich heute bei den Reichenberger Webern und Spinnern bietet. In der Grenzstadt Grottau herrscht ausgesprochene Not. Der Arzt in Weißkirchen erklärte, daß die Leute bereits mit 30 Jahren Krebs bekommen. Die Arbeitslosen gehören nicht mehr zur Krankenversicherung und stehen ohne jede ärztliche Hilfe da. Auf unserem Gebiete leben reichsdeutsche Staatsangehörige und erhalten Arbeitslosenunterstützung aus Deutschland. Hitler habe ihnen angeblich 20 Zentner Kohle, dann Bohnen, Erbsen und Mehl geschickt. Zweitausend Kinder hat man in das Reich zur Erholung eingeladen. Unsere Regierung hat das verboten, aber um unsere Kinder kümmert sie sich nicht. Man könnte die Neiße regulieren, die jedes Jahr aus den Ufern tritt und Überschwemmungen verursacht. Das Projekt ist fertig und liegt angeblich bereits 3 Jahre im Arbeitsministerium. Das heurige trockene Jahr wäre für Wasser-Arbeiten wie geschaffen gewesen. Alles war vorbereitet, man wartete nur auf die Bewilligung, aber die Bewilligung ist nicht gekommen. So entgeht den Leuten das Brot. Wenn die Bewilligung gekommen sein wird, sagte einer der Arbeiter mit einem langsamen Lächeln, werden wir keine Kraft mehr zum [287] Arbeiten haben. Wir sind alle wie die Fliegen. Überall, wohin wir kamen, warteten Menschengruppen und empfingen uns immer mit der gleichlautenden Anklage: Es seien schon soviel Kommissionen hier gewesen, hätten geredet, immer sei alles aufgeschrieben und nichts getan worden. Ich bin weit davon entfernt, allgemeine Erscheinungen eines überlebten Wirtschaftssystems als ausschließlich nordböhmisches Merkmal hinzustellen. Ich habe mich nur davon überzeugt, daß dort die Not ein größeres spezifisches Gewicht besitzt, daß dort mehr Elend in einem Kubikraum zusammengepreßt ist. Arbeitslos zu sein, ist hier nicht mehr eine epidemische Erscheinung, sondern ein natürlicher Zustand und das ist schlimm."

Am 17. Dezember 1935 veröffentlicht der Schwede Nils Hagström, der die Verhältnisse in den sudetendeutschen Grenzgebieten ebenfalls aus eigener Anschauung kennengelernt hat, in der Stockholmer konservativen Zeitung Nya Dagligt Allehanda eine Darstellung über "Die Tschechoslowakei und ihre Volksminderheiten". In seiner Schilderung der sudetendeutschen Elendsgebiete stützt er sich ebenfalls auf die Berichte der genannten tschechischen Schriftsteller und Wissenschaftler. In diesem Aufsatz heißt es u. a.:

"Derjenige, der sehen will, was wirkliche Not ist, muß nach Nordböhmens schönem Industriegebiet fahren." So schreibt ein Schriftsteller in Ceske Slovo. "Ich kam auf einer Landstraße in der Nähe von Karlsbad daher gefahren", schreibt er, "als meine Aufmerksamkeit auf eine Schar von Menschen fiel, etwa 50, die sich auf einem Kartoffelfeld zu schaffen machten. Auf meine verwunderte Frage, was sie wohl auf einem umgepflügten Kartoffelfeld zu tun hätten, erhielt ich den überraschenden Bescheid, daß es lauter Industriearbeiter waren, von den Textil- und Glasfabriken in der Nähe. Mit ihren Händen durchwühlten sie das Feld, um die eine oder andere übriggelassene Kartoffel zu finden... Menschen fallen auf den Wegen um, die Krankenhäuser sind überfüllt. Vereinzelte Menschenschicksale? - Nein", beteuert der Verfasser, "sie wiederholen sich überall auf einer Fahrt durch den Böhmerwald, bis zu den Karpathen hin. Beinahe in jeder Familie und in jedem Ort."

Hungernde Menschen im Sudetenland.

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      Hungernde Menschen im Sudetenland. Fast 30.000 Sudetendeutsche machten seit 1918 ihrem Leben ein Ende. Die Tschechoslowakei kann sich rühmen, die höchste Selbstmordzahl in Europa aufzuweisen.
Der Bezirksarzt in Graslitz, einem Bezirk von etwa 25 000 Einwohnern, schreibt offiziell, in der Verantwortung seines Amtes:

      "Schwarzer Malzkaffee, ohne Milch oder Rahm, ist die Nahrung, die die Säuglinge bekommen, und größere Kinder bekommen Kaffee, Brot und Kartoffeln. Die Kinder sind unterernährt und blutarm, sie haben keine Kleider. Ganze Familien wohnen in engen Löchern, in denen der Fußboden die einzige Schlafgelegenheit ist. Während des Winters hat man keine Kohlen, um zu heizen. »Mama, gib mir Wasser, ich bin so hungrig«, so klagen die Kinder, und der Arzt, der deutlich im Gefühl hat, daß man dies vielleicht doch nicht glaubt, sagt, daß er es auf seinen Eid nehmen [288] kann, daß das Wort so gefallen ist, und daß Anlaß dazu vorhanden war. In einer Familie von 6 Köpfen, Eltern, 3 Kindern und einer Schwiegermutter, gehen die Familienmitglieder buchstäblich halbnackend herum. Sie haben weder Strümpfe noch Schuhe, noch Hemden. Sie leben von schwarzem Kaffee mit Brot zum Frühstück, Suppe zum Mittag; Abendessen gibt es nicht. Sie gehen langsam, aber sicher ihrem Untergang entgegen. Im Adlergebirge mischt man Baumrinde ins Brot, während die Regierung Massen von Getreide in die Moldau werfen läßt, um das Sinken der Preise zu verhindern. Zu einem großen Teil hat sich die Bevölkerung von Katzen und Hunden genährt..."
      Das Gesagte mag genügen. Die Schilderungen könnte man ins Unendliche vermehren. Und es bleibt zu bemerken: sie stammen sämtlich von Tschechen, die man nicht verdächtigen kann, daß sie übertreiben. Außer einer schmählich geringen Arbeitslosenunterstützung, die nur einer geringen Zahl während einer begrenzten Wochenfolge zugute kommt, ist von den tschechischen Behörden im ver- [289] flossenen Jahre nichts getan worden, um der Not abzuhelfen. Man hat im Gegenteil den Eindruck, daß die Behörden kaltblütig und nicht ohne eine gewisse Befriedigung diese fremden Volkssplitter zugrundegehen sehen. Es ist nämlich so weit gekommen, daß man Hilfsaktionen verhindert hat, die von ihren eigenen, etwas besser gestellten Landsleuten ausgehen sollten. Ebenso hat man jede Hilfsaktion von reichsdeutscher Seite verboten. Nicht einmal der bescheidenste Beitrag in Form von Kleidern und Eßwaren darf die Grenze passieren.
      Was man nicht verbieten kann, ist die Klage der Unglücklichen. Wie eine schreiende Anklage steigt sie über die Grenzen und richtet sich wie ein flammender Notruf an alle zivilisierten Völker. Hier, wenn irgendwo, so sollte man glauben, hätte der Völkerbund eine Aufgabe, wenn dieser Bund nicht eine Karikatur dessen wäre, was er sein wollte und sollte. Von der Seite ist nichts zu erwarten. Aber man wendet sich an das Gewissen glücklicher gestellter Völker, an die, welche noch nicht von dem größten Unglück getroffen worden sind, das ein Volk treffen kann: ein unterjochtes Volk zu sein."

Das also ist sudetendeutsches Schicksal und so zeigen sich die Auswirkungen des tschechischen Wirtschaftskrieges. Während die tschechischen Industrien Tag und Nacht arbeiteten, kam es in den sudetendeutschen Betrieben vielfach schon zu Arbeitszeitverkürzungen. Und mußten, wie es in den letzten Jahren vorkam, auch tschechische Betriebe ihre Produktion einschränken, da war es inzwischen im sudetendeutschen Gebiet bereits zu einer reihenweisen Stillegung der Fabriken gekommen. Wurden in utraquistischen Betrieben Arbeiterentlassungen vorgenommen, dann waren es immer nur deutsche Arbeitsmenschen, die von ihr betroffen wurden, während bei Neueinstellungen größtenteils nur tschechische Arbeiter Berücksichtigung finden.

Die zur Krisenbekämpfung bereitgestellten Mittel (Ausfuhrzuschüsse und Kredite), gewährten Erleichterungen (Steuerabschreibungen, Kreditverlängerungen, Zinsennachlässe) und staatliche Lieferungsaufträge kamen ausschließlich der tschechischen Industrie zugute. Die 1934 aufgelegte "Arbeitsanleihe", die der Ankurbelung der Staatswirtschaft galt und zu der von dem Sudetendeutschtum rund 30 v. H. gezeichnet worden waren, fand bis zu 96 v. H. für Bauten im tschechoslowakischen Gebiet und Lieferungsaufträge an tschechische Firmen Verwendung, während in die sudetendeutschen Gebiete kaum 4 v. H. flossen, so daß das Sudetendeutschtum zu einem Viertel die Arbeitsbeschaffung im tschechoslowakischen Gebiete finanzierte.

Und nicht anders wird die im Jahre 1936 aufgelegte "Wehranleihe" Verwendung finden, die zum Prüfstein der Loyalität der Sudetendeutschen dem tschechoslowakischen Staate gegenüber gemacht worden ist und durch die einem verarmten Volk unter Druck und der Zusicherung der Verwendung der Gelder im sudetendeutschen Gebiet und zur Belebung des sudetendeutschen Arbeits- [290] marktes die letzten Spargroschen ausgepreßt wurden. Hier triumphiert das Unrecht und die Gewalt!

Aber auch die Fürsorge für die von der Erwerbslosigkeit unmittelbar Betroffenen erwies sich als völlig unzureichend. Verarmung der Bevölkerung, völlige Zerrüttung ihres Gesundheitszustandes, Erhöhung der Sterblichkeit, Rückgang der Geburtenzahlen, sind die beabsichtigten Auswirkungen des geschilderten tschechischen Wirtschaftskrieges. Die Not in den sudetendeutschen Gebieten ist bereits so allgemein geworden, daß man sie fast als einen Normalzustand ansieht. Da veröffentlichte z. B. die Reichenberger Zeitung zu Beginn ds. Js. folgende Notiz:

      "Das unbefugte Schlachten von Hunden, das allenthalben Ärgernis erregt, da hierbei die Tiere meist qualvoll leiden, nimmt auch im Gebiete von Röchlitz und Umgebung überhand. Erst kürzlich wurde wieder ein solcher Mann, von Beruf Bäcker, ausgeforscht. Selbstredend will der Mann den fetten Boxer irgendwo gekauft haben; meist aber hängt die Tötung von Hunden mit einem Hundediebstahl zusammen. Das unbefugte Schlachten von Hunden und Katzen trägt auch die Gefahr des Verbrauchs von verseuchtem Fleisch in sich. Es wird ja weder das Tier vor der Tötung untersucht noch das Fleisch desselben. Es gibt in der Umgebung von Röchlitz Leute, die dieses Fleisch sogar verkaufen. Die Polizei ist bereits auf der Spur weiterer solcher Hundefänger und Hundeschlächter."

Das Blatt findet gar nichts mehr daran, daß die Menschen, um ihren Hunger zu stillen, Hunde und Katzen schlachten und ihr Fleisch genießen. Es wendet sich nur dagegen, daß es "unbefugt" geschieht. Der Staat aber, der nichts tut, um für die hungernden Menschen das notwendige Brot zu schaffen, der lieber ganze Waggonladungen von Getreide vernichtet, statt sie hungernden deutschen Menschen zu geben, verfolgt - die Hundefänger!

Der Stadtrat der sudetendeutschen Stadt Aussig hat den Beschluß gefaßt, das Schlachten, den Handel und den Verkauf sowie die Einfuhr von Hunde- und Katzenfleisch im rohen oder im zubereiteten Zustande für menschliche Genußzwecke im Gebiete der Stadt Aussig überhaupt zu verbieten.

Es sind keine Einzelerscheinungen, die im folgenden kurz skizziert sind:

      "Ein sechsjähriger Knabe aus dem sudetendeutschen Kohlengebiet wird zum »Auffuttern« bei Bauern untergebracht. Ein Butterbrot ist ihm ein so ungewohnter Genuß, daß er sich sofort übergibt. Er kann überhaupt kein Essen behalten. Nach ärztlicher Verordnung erhält er zunächst nur trockenes Brot, nach einer Woche etwas Butter dazu, endlich nach vier Wochen richtiges Essen. Nachforschungen ergeben, daß er zu Hause überhaupt nichts anderes hatte, als früh und abends je ein kleines Stückchen Brot.
      In P. in Nordböhmen war eine schwangere Frau so schwach, daß sie, im Bette liegend, sich kaum noch aufrichten konnte. Ihre Nahrung bestand, bis [291] man sich ihrer annahm, täglich aus einem Stückchen Brot und etwas Wasser. Ihr Mann ist 28, sie ist 26 Jahre alt. Beider Aussehen ist greisenhaft.
      Im gleichen Ort lebt eine Familie mit sechs Kindern von 20 Tschechenkronen wöchentlicher Unterstützung. Das sind etwa 2 Mark. In einem Raum, der 4 mal 4 Meter groß ist, haust diese achtköpfige Familie noch mit zwei Schlafburschen zusammen. Die Kinder waren, als man sich ihrer annahm, so schwach, daß sie seit Wochen nicht mehr die Schule besuchen konnten.
      Ein Kind, das bei Bauern untergebracht wurde, schreibt nach Hause über sein gutes Essen. Seine Brüder, 8 und 10 Jahre alt, verlassen heimlich das Elternhaus und wandern 40 Kilometer über Land, um auch einmal ein Butterbrot zu bekommen."111

In Südmähren wurden einem Landwirt 3 Kühe durch den Blitz erschlagen. Die Kadaver mußten vom Wasenmeister eingescharrt werden. Trotzdem sie vor dem Einscharren schon 2 Tage gelegen hatten, machten sich hungernde Arbeitslose zur Nachtzeit mit Rucksäcken und Krampen bewaffnet ans Werk, gruben die bereits stark in Verwesung übergegangenen Tierleichen aus, um aus diesen die noch halbwegs verwendbaren Stücke herauszuschneiden und nach Hause zu tragen. (Zeit.)

Die Arbeiterin Julie Hauptmann in Kojetein fristete mit ihren Kindern ein kärgliches Leben. Ihr kleiner Verdienst reichte kaum für sie selbst aus und so äußerte sie in den letzten Tagen ihre Bedenken, ob sie wohl noch so lange, bis ihre Kinder in die Schule gehen könnten, mit ihren Kräften aushalten werde. Anfang August vergiftete sie in ihrer Verzweiflung ihre Kinder und sich selbst. Es gelang zwar, sie im Krankenhaus wieder zu Bewußtsein zu bringen, doch erlitt sie kurz darauf einen Tobsuchtsanfall, so daß man gezwungen war, sie mit Zwangsjacke ins Irrenhaus zu befördern. (Zeit.)

Da finden sich keine Ligen für Menschenrechte, die im Namen der Humanität gegen die planmäßig betriebene Massenverelendung im Sudetendeutschtum Einspruch erheben, da finden sich auch keine internationalen Gerichtskommissionen, die gegen die Beraubung des primitivsten Lebensrechtes von 3½ Millionen deutscher Menschen Anklage erheben und an die Weltgerechtigkeit appellieren, da rührt sich auch nicht das sattsam bekannte Weltgewissen, das sich immer dann bemerkbar macht, wenn einem jüdischen Verbrecher der Prozeß gemacht werden soll.

Als der Führer des in der Sudetendeutschen Partei geeinten Sudetendeutschtums, Konrad Henlein, an dieses Weltgewissen appellierte, da antworteten die tschechischen Humanitätsdemokraten mit wüsten Beschimpfungen und Verdächtigungen, die Welt aber schwieg!

[292] Es klang geradezu wie bitterer Hohn auf die sudetendeutsche Not, als der sozialdemokratische Fürsorgeminister als letztes Mittel zur Bekämpfung der Wirtschaftsnot mitteilte, daß in seinem Ministerium bereits Pläne ausgearbeitet und die Vorbereitungen getroffen werden, um eine Auswanderung größeren Ausmaßes zwar nicht in Kolonien, denn die besitzt die Tschechoslowakei nicht, aber dafür nach Frankreich und Sowjetrußland sicherzustellen.

Für das Wohl des russischen Kommunismus also wird ein "tschechoslowakischer" Bauer in einer Kollektivwirtschaft säen und für das Gedeihen des französischen Kapitalismus ein "tschechoslowakischer" Arbeiter in einem französischen Bergwerk sich abrackern müssen. Sollten diese Menschen das Glück haben Kinder großziehen zu können, dann würden diese ihren Vätern nicht nur in der Arbeit folgen, denn in der neuen Umgebung wäre die alte Heimat rasch vergessen.

Außer durch die "Entlastung des Arbeitsmarktes" wären schließlich diese Menschen nicht imstande gewesen der Heimat einen Dienst zu leisten. Dazu tauchte noch der Vorschlag auf, ganze Dorfgemeinschaften geschlossen zu übertragen, was ja letzten Endes einer Aufgabe des Bodens gleichkäme. Wir wissen nicht, ob sich zur Erfüllung solcher Funktionen die Tschechen und Slowaken drängen werden; dagegen wissen wir, daß das Sudetendeutschtum für diese "Exportförderung" und Erwerbslosenfürsorge dankt.

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111Der Volksdeutsche. Nr. 5/1936....zurück...

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Kurt Vorbach