[131]
III. Die Verdrängung von Arbeitsplatz und
Scholle
1. Die Tschechisierung des deutschen
Arbeitsplatzes
[132]
Ein Beispiel für die sudetendeutsche
Industrie-Tragödie: Die Gustav-Messnersche Weberei in Zwickau in
Nordböhmen ist vom tschechisch-jüdischen Bankkapital
aufgefressen worden. 600 Arbeiter wurden erwerbslos, die Maschinen
herausgerissen und nach Süd-Afrika verkauft, wohin früher die
Erzeugnisse geliefert wurden. Die Bauten werden abgebrochen und als Altziegel
an Bauern verkauft. Der Bezirk Zwickau stellte im Jahre 1934 den prozentualen
Selbstmord-Rekord auf!
[133]
Die Hochöfen von Witkowitz in der Nordostecke
Mährens verdanken deutschem Fleiß und Können ihre
Entstehung und Entwicklung. Tausende deutsche Beamte und Arbeiter fanden
hier Brot und Arbeit. Und heute? Arbeitsplatz auf Arbeitsplatz geht uns verloren.
Nicht die Tüchtigkeit entscheidet, nur die Zugehörigkeit zur
tschechischen Nation.
|
Parallel zu den Maßnahmen der Tschechen, durch die die sudetendeutsche
Industrie dem tschechischen Volksbesitz einverleibt oder durch die sie zumindest
in die entscheidende Einflußsphäre des tschechischen Kapitals
einbezogen werden soll, verläuft die gewaltsame
Verdrängung der Sudetendeutschen von ihren Arbeitsplätzen und
ihre Ersetzung durch Tschechen.
Diese Maßnahmen fördern nicht nur das Streben, den geschlossenen
sudetendeutschen Siedlungsraum mit tschechischem Volkstum zu
durchsetzen,53 sondern führen zu einer
Verelendung des Sudetendeutschtums, von der man einerseits eine
Schwächung seiner nationalen Widerstandskraft erwartet und weiters als
zwangsläufige Folge seine zahlenmäßige Schwächung
erhofft.
Von diesen Maßnahmen wurden bereits weit über 100.000 deutsche
Volksgenossen betroffen. Zum größten Teil ohne jede Pension und
jede Entschädigung wurden sie von ihren Arbeitsplätzen vertrieben
und Hunger und Elend preisgegeben. Fast 30.000 trieb die Verzweiflung in den
Tod.
Gerade in diesem Kampf ist es der Staat als der größte Arbeitgeber,
der mit der hemmungslosesten Brutalität vorgeht. Für ihn ist nicht
charakterliche Qualität und Ausbildung der Arbeitnehmer für die
Beibehaltung oder Besetzung eines Arbeitsplatzes ausschlaggebend, sondern das
Volkstum. Das rein blutsmäßige und sprachliche Bekenntnis
zum Deutschtum war in zehntausenden Fällen der alleinige Grund,
deutsche Volksgenossen von ihren Arbeitsplätzen zu
ver- [132] drängen, auf
denen sie mit aller Gewissenhaftigkeit und Treue oft schon seit Generationen
arbeiteten!54
Dieses Bekenntnis und diese Zugehörigkeit zum Deutschtum ist es aber
auch weiterhin, die sie von einer Zulassung zum Staatsdienst ausschließt.
Die hunderttausend Volksgenossen aber, die durch den staatlichen Terror um
Arbeit und Brot gekommen sind und heute in Hunger und Elend ihr Dasein fristen
müssen und die Gräber der Zehntausende, die die Verzweiflung
über das ihnen zugefügte Unrecht in den Freitod getrieben hat,
klagen jenen demokratischen Geist an, der sich in der Welt als Geist der
Humanität feiern läßt und angeblich alles [133] staatliche Leben in der
Tschechoslowakei beherrscht. Sie sind aber zugleich auch die lebenden und toten
Opfer der Entnationalisierungsmaßnahmen des tschechoslowakischen
Staates, die von seinen verantwortlichen Staatsmännern mit aller
Entschiedenheit bestritten werden.
Wo der Staat mit so gutem Beispiel vorangeht, steht die nationalbewußte
tschechische Industrie nicht nach. Wo es nur immer möglich ist, deutsche
Arbeiter, Angestellte und Ingenieure aus den Betrieben in den grenzdeutschen
Gebieten, die in tschechischen Besitz und unter tschechischen Einfluß
gekommen sind, zu entfernen, geschieht es mit der gleichen kalten
Rücksichtslosigkeit, mit der der Staat gegen die deutschen Arbeitnehmer
vorgeht.
Bereits in den Umsturztagen setzte in Prag, Brünn und in anderen
gemischtsprachigen Städten die Entfernung deutscher Arbeiter und
Angestellter aus den kommunalen Verwaltungen ein. Nach der Unterzeichnung
der Friedensverträge und der Übernahme der Verwaltung der
Städte in den grenzdeutschen Gebieten, wurde der erste entscheidende
Schlag gegen die deutschen Beamten und Angestellten geführt, indem man
alle jene entließ, die in den Umsturztagen bei der Aufrechterhaltung der
Ruhe und Ordnung ihre Beamtenpflicht erfüllten.
[134] Ein Sprachengesetz,
das die tschechische Sprache zur alleinigen Staatssprache machte, bot eine
"gesetzliche" Handhabe, einen Großteil deutscher Arbeiter und Beamter
von ihren staatlichen Arbeitsplätzen zu verdrängen, da sie angeblich
die zur Führung der amtlichen Geschäfte notwendigen
Sprachkenntnisse nicht besäßen, obwohl ihr Arbeitsplatz im
geschlossenen deutschen Sprachgebiet lag und somit sich die Bevölkerung
ausschließlich der deutschen Sprache bediente.
Einem Teil der Beamten und Angestellten gewährte man eine Galgenfrist
zur Erlernung der tschechischen Sprache. Die Abhaltung der Sprachprüfung
erfolgte in der Weise, daß ein Großteil der Beamten durchfiel, obwohl
sie sich in zähem Fleiß die zum Amtsverkehr notwendigen
Sprachkenntnisse angeeignet hatten. Die Schikanen bei diesen Prüfungen
sind geradezu unbeschreiblich. Von Postbeamten verlangte man die tschechische
Beschreibung der Bestimmungen des
Eisenbahn-Güterverkehrs, von Eisenbahnbeamten die Beantwortung
steuertechnischer Fragen und von Steuerbeamten wiederum eine Beschreibung
des Telegraphensystems. Oftmals waren Themen aus der tschechischen
Geschichte und Literatur den Prüflingen zur Behandlung gestellt. Kurz,
man stellte Fragen, deren deutsche Beantwortung den Prüfungskandidaten
schwer fallen mußte, da sie nicht in ihr Arbeitsgebiet gehören. Umso
schwerer war natürlich ihre Beantwortung in einer fremden Sprache!
Angesichts solcher Prüfungsmethoden war es nicht schwer, die
"Ungeeignetheit" der Arbeiter und Beamten festzustellen und einen "rechtlichen"
Vorwand zu ihrer Entfernung aus dem Staatsdienst zu schöpfen. Es ist
vorgekommen, daß deutsche Beamten, die die tschechische Sprache in Wort
und Schrift beherrschten, wegen Nichtbeantwortung von Fragen, die nicht in ihr
Fachgebiet gehörten, minder qualifiziert wurden und so von der
Beförderung ausgeschlossen worden sind.
In den letzten Jahren war die angeblich bekundete "Staatsfeindlichkeit" in vielen,
vielen Fällen Entlassungsgrund; aber auch dann, wenn sich herausstellte,
daß die Beschuldigungen völlig unbegründet waren, nahm der
Staat seine Maßnahmen nicht zurück. Das Denunziantenunwesen55 in den Staatsämtern
blühte [135] auf und viele brave und
erfahrene Beamte wurden die Opfer der Angebereien chauvinistischer
tschechischer Kollegen. Ein deutscher Eisenbahnangestellter in Türmitz
verlor sein einziges Kind. Auf dem Grabstein ließ er den Satz
einmeißeln: "Ruhe sanft in deutscher Erde." Grund genug, um ihn in seiner
Trauer von seinem Arbeitsplatz fristlos und ohne Pension zu entlassen, weil die
Grabinschrift eine "staatsfeindliche" Gesinnung offenbare, denn in der
Tschechoslowakei gebe es keine "deutsche Erde"! In tausenden Fällen war
die Weigerung, die Kinder in die tschechische Schule zu schicken, Grund und
Anlaß für die Entlassung aus dem Staatsdienst. Kurz, an
Begründungen für die Entfernung deutscher Beamten aus dem
Staatsdienst war man nie verlegen.56
Nach den Ergebnissen der beiden Volkszählungen - als auf Grund rein
amtlicher Angaben - ergibt sich hinsichtlich der Beteiligung der Deutschen
an den einzelnen Zweigen des öffentlichen Dienstes der Tschechoslowakei
nachfolgend geführtes, vielsagendes Bild. In den Jahren 1921 bezw. 1930
waren beschäftigt:
[136]
Arbeitnehmerkategorie: |
deutsche: |
tschechische: |
1921 |
1930 |
Diff. |
1921 |
1930 |
Diff. |
1. Im Gerichtswesen und in der öffentlichen
Verwaltung: |
Beamte: |
11.804 |
7.348 |
- 4.456 |
44.692 |
47.608 |
+ 2.916 |
Bedienstete und Arbeiter: |
9.527 |
5.728 |
- 3.799 |
38.826 |
42.128 |
+ 3.302 |
2. Bei der Post: |
Beamte: |
5.466 |
2.730 |
- 2.736 |
13.252 |
19.148 |
+ 5.896 |
Bedienstete und Arbeiter: |
4.501 |
3.165 |
- 1.336 |
14.844 |
19.191 |
+ 4.347 |
3. Bei den Bahnen: |
Beamte: |
9.352 |
4.437 |
- 4.915 |
29.354 |
26.478 |
- 2.876 |
Bedienstete und Arbeiter: |
26.818 |
13.968 |
- 12.850 |
86.945 |
101.465 |
+ 14.520 |
4. Im Unterrichts- und Erziehungswesen: |
Beamte: |
19.180 |
17.796 |
- 1.384 |
41.900 |
53.802 |
+ 11.902 |
Bedienstete und Arbeiter: |
1.904 |
1.548 |
- 356 |
3.724 |
5.021 |
+ 1.297 |
5. Bei Militär und militärischen
Unternehmungen: |
Beamte (Offiziere): |
1.753 |
527 |
- 1.226 |
11.055 |
8.793 |
- 2.262 |
6. In den vorgenannten Zweigen des öffentlichen
Dienstes
zusammen: |
Beamte: |
47.555 |
32.838 |
- 14.717 |
140.253 |
155.829 |
+ 15.576 |
Bedienstete und Arbeiter: |
42.750 |
24.409 |
- 18.341 |
144.339 |
167.805 |
+ 23.466 |
|
|
Insgesamt: |
90.305 |
57.247 |
- 33.058 |
284.592 |
323.734 |
+ 39.04257 |
Von insgesamt 374.897 Arbeitsplätzen in den vorgeführten Zweigen
des öffentlichen Dienstes besetzten die Deutschen im Jahre 1921 noch
90.305 oder 24,08 v. H. Von 1921 bis 1930 ging diese Zahl um
33.058 oder 36,61 v. H. auf 57.247 zurück. In der gleichen
Zeit stieg die Anzahl der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienste, die
von Arbeitnehmern tschechoslowakischer Nationalität besetzt waren, von
284.592 auf 323.734 also um 39.042 oder 13,72 v. H. Die Deutschen
in der Tschechoslowakei aber besetzten 1930 von insgesamt 380.981
Arbeitsplätzen des öffentlichen Dienstes nur noch 57.247 oder
15.02 v. H., obgleich ihr Bevölkerungsanteil im gleichen Jahre
noch 22,32 v. H. ausmachte. Diesen amtlichen Angaben kann die
starke Benachteiligung der Deutschen im Staatsdienst mit aller Deutlichkeit
entnommen werden. Dabei ist jedoch zu beachten, daß von 1930 bis heute
ein weiterer starker Rückgang des deutschen Anteiles an den
öffentlichen Arbeitsplätzen durch Abbau,
Pensionierungen usw. eingetreten ist. Der Zuwachs jedoch ist so
geringfügig, daß er überhaupt nicht in die Waagschale
fällt.
[137] Am schwersten
betroffen von dem Abbau, der sich in den Jahren 1921 bis 1930 vollzog, wurde
die deutsche Arbeiterschaft; denn sie verlor von 42.750 nicht weniger als 18.342
oder 42,9 v. H., die deutsche Beamtenschaft dagegen von 47.555
"nur" 14.717 oder 31,15 v. H. ihrer öffentlichen
Arbeitsplätze. Bei der deutschen Beamtenschaft vollzog sich der
stärkste Abbau beim Militär (um 69,94 v. H.), bei den
Bahnen (52,55 v. H.) und bei der Post (um
50,05 v. H.). Bei der deutschen Arbeiterschaft trat eine
Verdrängung vor allem bei den Bahnen (um 47,91 v. H.) und
bei der Post (um 39,87 v. H.) ein. Diese Zahlen erhellen, wie schwer
das Sudetendeutschtum allein durch die Benachteiligung bei der Vergebung von
Staats- und öffentlichen Anstellungen getroffen wurde. Dieser Verlust ist
für die Deutschen in der Tschechoslowakei umso schmerzlicher, als es sich
dabei um Arbeitsplätze von besonderer Bedeutung und sozial gehobene
Positionen handelt. Die Verdrängung der Deutschen aus dem Staatsdienste
hat daher nicht nur eine Vergrößerung der sudetendeutschen
Arbeitslosigkeit, sondern auch eine ständig fortschreitende Proletarisierung
des Sudetendeutschtums zur Folge.
Der Abbau deutscher Beamter geht unaufhaltsam weiter. Ende 1935
überreichte der Verband der deutschen Staatsangestelltenvereinigungen der
Regierung eine Denkschrift, in der eine dem Bevölkerungsschlüssel
entsprechende Berücksichtigung des deutschen Staatsbeamtennachwuchses
verlangt wird. In dieser Denkschrift heißt es:
"In Böhmen war noch vor
einigen Jahren bei Neuaufnahme in den juristischen Finanzkonzeptdienst das
deutsche Element mit 10 v. H. vertreten. Seit Mitte 1932 hat sich
das Verhältnis weitgehend verschlechtert. Unter den seit Juni 1937
aufgenommenen 250 Juristen waren nur noch 10, also 4 v. H.
Deutsche. Im technischen Finanzdienst und im Stande der Geometer waren in
Böhmen, das zu einem Drittel deutsch ist, seit Jahren keine Aufnahmen
Deutscher mehr zu verzeichnen. Seit 1914 wurden ungefähr 60 absolvierte
Techniker aufgenommen, darunter 1 Deutscher. Seit 1926 wurden in
Böhmen 80 Geometer im Staatsdienst angestellt; unter ihnen befindet sich
ebenfalls bloß ein Deutscher. Seit dem Jahre 1929 wurde im staatlichen
Vermessungsdienst überhaupt kein Deutscher aufgenommen. Von den 156
Beamten bei der Zentralstelle in Prag ist überhaupt keiner deutscher
Volkszugehörigkeit. Unter den 22 systemisierten Konzeptsbeamten
befindet sich ebenfalls kein Deutscher.
Bei einem systemisierten Gesamtstand von 4400
Steuerbeamten konnten im Jahre 1933 noch 390 Deutsche gezählt werden.
Im Jänner l. J. waren es aber nur noch 220. In den Jahren 1927 bis
1933 wurden an 1500 Anwärter aufgenommen, darunter 90 Deutsche.
Soweit Angaben über das nationale
Verhältnis bei den Zollbeamten vorhanden sind, können wir
denselben folgendes entnehmen: In der III. Gehaltsstufe ist bloß ein
Deutscher bei acht systemisierten Stellen vertreten. In der IV. Gehaltsstufe gibt es
neben 28 Tschechen 5 Deutsche, in der [138] V. Stufe neben 101
Tschechen 51 Deutsche, in der VI. Stufe hingegen und noch mehr in der VII.
Gehaltsstufe verschlechtert sich das nationale Verhältnis auf Kosten der
Deutschen immer mehr. Da es in dieser Staatsbeamtenkategorie noch
verhältnismäßig viele, in wenigen Jahren pensionsreife
deutsche Beamte gibt, wird schon nach einem kurzen Zeitraum das deutsche
Element kaum mehr vertreten sein, wenn es nicht durchgesetzt wird, daß bei
Neuaufnahmen deutsche Bewerber nach Maßgabe des nationalen
Bevölkerungsschlüssels entsprechend berücksichtigt
werden.
Bei der Gefällskontrolle in Böhmen sind 921
Tschechen, aber bloß 68 Deutsche beamtet, bei der Finanzwache in
Böhmen 1629 Tschechen und nur 195 Deutsche. Von 149 Aufsehern ist
beispielsweise bloß ein Deutscher. Obwohl am 1. Jänner 1935 94
tschechische Oberrespizienten befördert wurden, hat man bei der
Beförderung nicht einen einzigen deutschen Beamten berücksichtigt.
Seit 1919 wurden in Böhmen bei einem Stande von 290 Beamten und 1660
Unterbeamten nur fünf Deutsche aufgenommen, während bei der
Gefällskontrolle bei einem Stande von etwa 1000 Beamten überhaupt
kein Deutscher Berücksichtigung fand. Ganz ähnlich liegen die
Verhältnisse in Mähren-Schlesien: Hier gibt es bei 108 Beamten nur
noch 19 Deutsche und bei 840 Unterbeamten auch bloß 90 Deutsche. Seit
1919 wurde überhaupt kein Deutscher bei der Gefällkontrolle oder
Finanzwache aufgenommen. 3061 Beamte und Unterbeamte gibt es in dieser
Kategorie in der Slowakei; unter ihnen befindet sich aber nicht ein einziger
Deutscher.
Bei den Rechnungsbeamten sind im Bereiche des
Innenministeriums von 1283 Personen bloß 156 Deutsche, in dem der
Finanzlandesdirektion von 712 gar nur 56 Deutsche. Das Rechnungsamt des
Justizministeriums weist bei 20 Beamten überhaupt keine Deutschen aus
und das des Postministeriums bei 620 Beamten nur 23 Deutsche.
In den Postkonzeptdienst wurden von 1930 bis 1933 im
ganzen 71 Juristen und Techniker aufgenommen. Unter allen diesen befindet sich
nur ein Deutscher.
Postangestellte. Bei der Post waren im Jahr 1921 noch
5466 deutsche Beamte und 4501 Bedienstete und Arbeiter deutscher
Volkszugehörigkeit angestellt. 1930 waren es nur noch 2730 Beamte und
3165 Bedienstete, die dem Sudetendeutschtum angehören. Jetzt aber
werden bei der Post statt [10 000] deutschen Beamten und Angestellten nur
noch 3300 gezählt. Wenn wir den Bevölkerungsanteil in den
historischen Ländern mit 60 v. H. Tschechen und Slowaken,
23 v. H. Deutschen und 12 v. H. Angehörigen
anderer Nationalität annehmen, so haben die ersteren
schätzungsweise 92 v. H., die Deutschen 7 v. H.
und die anderen Nationen 1 v. H. aller Postbeamten inne.
Bei den politischen Behörden in
Mähren-Schlesien waren im April l. J. von 364 Konzeptbeamten nur 48
(13,1 v. H.) deutscher Nationalität, von 74 Aktuaren gar nur 3.
Von 316 Rechnungsbeamten gehörten 58 dem tschechischen Volke an,
während von 178 Kanzleibeamten 24 Sudetendeutsche waren. Unter dem
Kanzleihilfspersonal waren gar nur 5,6 v. H. deutscher
Volkszugehörigkeit. Gerichts-Kanzleibeamte waren beim Justizministerium
von 18 keine deutscher Volkszugehörigkeit. Beim Obersten Gericht
befinden sich unter 15 Beamten 3 Sudetendeutsche, beim Obergericht in Prag und
bei den [139] Kreis- und
Bezirksgerichten in Böhmen unter 1308 Beamten nur 127 Deutsche. Von
1357 Gerichtskanzleihilfskräften sind nur 20 deutscher Nationalität.
In Mähren-Schlesien stehen im richterlichen Vorbereitungsdienst nurmehr
7 v. H. Deutsche."
Nach dem Stand vom 31. Dezember 1935 waren 487.600 Personen im
öffentlichen und Staatsdienst beschäftigt.
|
absolut |
in pCt der
Berufstätigen
der betr.
Nationalität |
dem Bevölke-
rungsschlüssel
würden
entsprechen |
Differenz |
Tschechen und Slowaken |
399.387 |
9,33 |
326.500 |
+ 72.870 |
Deutsche |
65.574 |
4,01 |
108.734 |
- 43.150 |
Ungarn |
7.644 |
3,3 |
23.400 |
- 15.750 |
Juden |
1.602 |
2,3 |
6.300 |
- 4.700 |
Polen |
1.772 |
5,5 |
2.900 |
- 1.230 |
Karp.-Russen |
5.185 |
3,6 |
18.430 |
- 13.250 |
Andere |
585 |
1,6 |
1.400 |
- 800 |
Ausländer |
5.850 |
4,6 |
--- |
+ 5.850 |
Bei einem Bevölkerungsanteil von 22,3% waren die Deutschen unter den
Angestellten der allgemeinen Staats- und öffentlichen Verwaltung mit
14.653 Personen vertreten, d. s. 12,9%, in anderen Zweigen der
öffentlichen, einschließlich der kirchlichen Verwaltung mit 5.396,
bezw. 18,6%, bei der Post gab es 5.897 Deutsche, bezw. 11,8% aller Postler, bei
der Eisenbahn 19.218 bezw. 10,3%. Ungefähr dem
Bevölkerungsschlüssel entsprach nur die Zahl der im Schulwesen
und in der Erziehung tätigen Deutschen, und zwar 19.359 bezw. 21,7%.
Dagegen gab es im Offizierskorps der Armee nur 527 Deutsche, bezw. 5,5%,
unter den Militärgagisten ohne Rangklasse 534, bezw. 5,1%. Im
Offizierskorps waren sogar die Russen und Kleinrussen mit 585 stärker
vertreten als die Deutschen.58
Durch die Berufung von Staatskommissaren an die Spitze der kommunalen
Verwaltungen wurden tschechische Arbeiter und Beamte auch in der kommunalen
Verwaltung untergebracht.59
[140] Mit der
Begründung der Sicherheit des Staates im Grenzgebiet und in den
deutschen Städten wurde die Polizei verstaatlicht und damit
vertschechisiert.
Die Bahnhofsrestaurationen auf den deutschen Bahnhöfen wurden an
tschechische Pächter vergeben, die wiederum verpflichtet wurden,
tschechisches Personal anzustellen. In den staatlichen Fabriken im deutschen
Gebiet wurde die Einstellung von tschechischen Arbeitern nach dem
Bevölkerungsschlüssel des Staates verlangt. Schon 1923 verlangte
[141]
Steinkohlenschacht bei Mähr. Ostrau. Noch 1929
wurden in den Schächten des Staatsgebietes über 16,8 Millionen
Tonnen Steinkohle und über 22,6 Millionen Tonnen Braunkohle
gefördert. Der unheilvollen Wirtschaftspolitik verbunden mit
Entdeutschungsbestrebungen gelang es, alles im alten Österreich Aufgebaute
so gründlich zu zerstören, daß im vergangenen Winter die
Arbeitslosenzahl auf über eine Million stieg.
|
das Soziale Ministerium die Einstellung von 189 namentlich bezeichneten
tschechischen kinderreichen Familien im kerndeutschen Bezirk Königsberg
im Egerland, obwohl es dort 4000 deutsche Arbeitslose gab. Aus den staatlichen
oder enteigneten Schächten des nordwestböhmischen
Braunkohlengebietes wurden fast sämtliche deutsche Arbeiter entfernt und
durch Tschechen ersetzt.
Zum Beginn des Jahres 1935 setzte auf Anordnung des Finanzministeriums eine
Revision der Besitzer der Tabaktrafiken ein. Bekanntlich ist die
Tabakverarbeitung staatliches Monopol, also auch der Verschleiß.
Daraufhin wurden in zahlreichen deutschen Orten armen Deutschen, meistens
Kriegsinvaliden, die Trafiken kurzerhand weggenommen und einem Tschechen
oder einer Tschechin, meistens Beamtenfrauen, zugewiesen. Das Prager
Reichsorgan Deutsche Landpost berichtet von einem besonders krassen
Fall, in dem einem gelähmten Kriegsinvaliden, der mit seiner kinderreichen
Familie in einem rein deutschen Dorf von einem kargen Erträgnis einer
kleinen Trafik sein Leben fristet, die Lizenz abgenommen und einem
tschechischen Kolonisten, der über 20 ha Grund verfügte,
erteilt wurde.
[141] Seit Herbst 1935 haben
in der Tschechoslowakei eine Reihe von Gesetzesvorlagen und Erlassen
Gültigkeit erlangt, die dem Staate neue gefährliche Waffen im
Kampfe gegen seine nationalen Volksgruppen, vor allem gegen die
Sudetendeutschen, Polen und Magyaren liefern. Sie sind in ihrer
Begründung und Formulierung formal an sich zumeist unanfechtbar, und
doch stellen sie in ihrer Auswirkung eine arge Bedrohung der genannten
Volksgruppen dar und liegen ganz in der Linie der eingangs charakterisierten
Nationalstaatstendenz. Ja, es fehlt nicht an tschechischen Pressestimmen, die
in diesen neuen Maßnahmen erst die gegebene Möglichkeit
sehen, die Nationalstaatsidee "legal" zu verwirklichen und neuerlich deutsche
Arbeitsplätze in tschechischen Besitz zu bekommen. Es handelt sich
um Gesetze und Erlasse, die im angeblichen Interesse der Sicherheit und
Verteidigung des Staates erlassen worden sind, deren Voraussetzungen durch eine
beispiellose Hetze in der Presse geschaffen worden sind, die von amtlicher Seite
weitestgehende Förderung erfährt. Darnach wird die
Tschechoslowakei von innen und außen bedroht, und das Deutschtum
diesseits und jenseits der Grenzen wird als der Hauptfeind hingestellt. "Der Welt
droht die große Gefahr eines Krieges von seiten des hochgerüsteten
Deutschland", so lautet das Thema, das fast täglich in der tschechischen
Presse in den verschiedenen Variationen [142] abgewandelt wird.
Aber nicht nur an den Grenzen des Staates steht der "grimmige Feind, der der
freiheitsliebenden Welt eine Schlinge um den Hals werfen will...", sondern auch
im Innern des Staates, in den Grenzgebieten, arbeitet er an der Zerstörung.
Da hätten die Sudetendeutschen militärische Organisationen
gebildet, die von reichsdeutschen Offizieren ausgebildet und mit Waffen versehen
würden, da würden überall im Grenzgebiet Sabotage und
Spionage betrieben usw. Indem man dergestalt die Gefahren aufzeigt, von
denen der Staat bedroht sei, stellte man zugleich die Forderungen seiner
Sicherung auf. Wenn man die tschechische Pressepropaganda im Zusammenhang
mit der innerpolitischen Entwicklung und der Stellungnahme der Tschechen zur
deutschen Frage in der Tschechoslowakei betrachtet, dann wird klar erkenntlich,
daß die Erzeugung und Förderung der Kriegspsychose nur
erfolgt, die Stimmungsgrundlage für einschneidende Maßnahmen
gegen die nationalen Volksgruppen, vor allem gegen die Sudetendeutschen, zu
schaffen.
Die folgenden Beispiele, die ohne Rücksicht auf ihre chronologische
Reihenfolge und aus den Tageszeitungen aller Parteirichtungen wiedergegeben
sind, sollen diese Stimmungsmache der tschechischen Presse ganz allgemein
charakterisieren:
Es ist für die Tschechen eine feststehende Tatsache, daß ihr Staat mit
einem Krieg mit Deutschland zu rechnen hat. An sie knüpfen sich alle
Kombinationen, in ihrer Richtung treffen sie alle Vorbereitungen.
So schreibt der Venkov vom 22. April 1936 in einem Aufsatz zur
Grenzbefestigung:
"Die Aufhebung des neutralen
Gürtels zwischen Deutschland und Frankreich und des neutralen Streifens
auf türkischem Hoheitsgebiete in Kleinasien enthüllt die
Schwächen jener internationalen Institution, die dem Frieden und der
Sicherheit dienen sollte und von vielen Theoretikern als Beginn einer breiten
Abrüstung auf der Welt angesehen wurde... Wir haben alle Pässe der
tschechoslowakischen Grenze von Deutschland aus in der Richtung gegen die
Tschechoslowakei durchfahren. Niemals konnten wir uns eines unbehaglichen
Gefühles entledigen, sobald wir die Leichtigkeit der Durchfahrt und die
ungenügende Kontrolle auf tschechoslowakischer Seite beobachteten. Dort,
wo früher die alten Tschechen in Zeiten der Gefahr Hindernisse errichteten,
führen heute breite Asphalt-, teilweise sogar Betonstraßen, auf denen
mit Leichtigkeit Hunderte von schweren Automobilen manövrieren
können. Die tschechoslowakischen Pässe sind außerordentlich
niedrig und auch im Winter gangbar. Vom militärischen Gesichtspunkt aus
schien es uns immer so, als wären die Pässe offene Tore für
einen fremden Einfall in die Republik... Es wird notwendig sein, diese
territorialen Schwächen durch künstliche Befestigungen nach
französischem Muster zu schützen. Ob wir wollen oder nicht, das
Befestigungsproblem tritt vor unsere Zukunft. Bereits vor Jahren wurde hier
über diese Frage geschrieben. Aber die Erfahrungen mit [143] dem Rheingebiet und
jetzt mit der Türkei haben dem Gedanken der Notwendigkeit, die Sicherheit
des Staatsgebietes zu verstärken, größte Aktualität
verliehen..."
"Jeder von uns weiß, daß die deutsche Armee
für einen Angriff ausgerüstet (!!) ist und daß sie
innerhalb weniger Stunden den Krieg auf unser Staatsgebiet übertragen,
einen großen Teil unseres Staatsgebietes mit ihren Panzerwagen
überrumpeln und so unsere Mobilisierung im Keime unmöglich
machen kann."
In den folgenden Ausführungen Dr. Peroutka's in der Pritomnost
vom 23. April 1936 wird in aller Offenheit von einem "deutschen Angriff"
gesprochen und die Bedeutung des Militärbündnisses mit der
Sowjetunion dargelegt:
"Das Bündnis mit
Rußland ist nicht nur für uns, sondern auch für Frankreich eine
unbedingte Notwendigkeit. Nach dem was wir von der deutschen Armee wissen,
wären wir gegen sie auch mit Frankreich schwach; die sowjetrussische
Armee ist jener Faktor, der wahrscheinlich den nächsten Krieg entscheidet.
Weil die Sachen so stehen, gibt es für unsere Sicherheit nichts
Wichtigeres, als das Bündnis mit Rußland aufrechtzuerhalten. Wenn
jemand gegen dieses wirkt, wenn es jemand aufzulösen sucht, so muß
er noch kein Hochverräter sein - möglich, daß er
bloß keinen genügend durchdringenden Verstand hat. Aber wenn ihm
seine Bemühungen gelängen, und wenn er uns wirklich zur
Auflösung dieses Bündnisses bewegte, dann würde er
zweifellos unsern Staat so schädigen, wie das kein Hochverrat
könnte...
Durch die Rheinlandbefestigung wären wir von den
Hauptkräften der westlichen Bundesgenossen abgetrennt und das
Bündnis mit Rußland begänne erst viel später zu wirken.
Im übrigen war die russische Armee immer viel stärker in der
Verteidigung als im Angriff. Es wäre auch nicht leicht, sie zu uns zu
transportieren, besonders wenn sie über Rumänien
müßte. Wir müßten also ganz allein gegen den ersten
deutschen Anprall stehen...
Es ist sehr wahrscheinlich, daß wir wenigstens
teilweise das Schicksal Serbiens und Belgiens im Weltkrieg erleiden
müßten. Die Besetzung des Landes durch den Feind. Das
berührt aber nur den Anfang..."
Die Parteigenossin Dr. Benesch's, die bekannte tschechische Hetzerin Zeminova
rief im Parlament aus:
"Wenn auch der deutsche Kaiser in
der Verbannung lebt, so sind doch die Vertreter des alten kriegerischen
Kampfgeistes an der Macht geblieben. Man wird in Berlin, Warschau und
Budapest bald wissen, daß sich jeder an der jetzt in Vorbereitung stehenden
Staatsverteidigung die Zähne ausbrechen wird. Das ganze Volk wird uns
zur Seite stehen, um die hochverräterischen Taten im Grenzgebiet
unmöglich zu machen. Unsere Partei verlangt die Auflösung der
Henlein-Partei und bedauert nur, daß dieses Gesetz nicht um zwei Jahre
früher kam, denn dann wäre die
Henlein-Partei nicht so groß geworden. Aber wir haben euch gejagt und
werden euch weiterjagen!"
[144] Die "Gefahr", in der
sich der Staat befindet, wird ferner dadurch erhöht, daß die
Bevölkerung in den Grenzgebieten "staatlich unzuverlässig" ist. So
schreibt z. B. Straz Naroda vom 13. 3. ds. Js.:
"Glaubet nicht an die Loyalität
der Deutschen und gewährt ihnen keine Zugeständnisse auf Kosten
des Volkes und des Nationalstaates, denn sie werden niemals aufrichtige
Träger des Staatsgedankens sein. Wir haben sie in all den Jahren zu
gut kennen gelernt, um ihnen noch glauben (!) zu können, daß
sie es mit unserer Republik gut meinen. Widmet dafür euere ganze Arbeit
und Mühe der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen
Stärkung unserer Grenzler. Die Grenzler waren und bleiben die einzigen
Hüter unseres Staates in den Grenzgebieten..."
Unzählig sind die Vorschläge, die von tschechischer Seite zur
Sicherung des Grenzgebietes gemacht werden. So schreibt das oben genannte
Blatt an einer anderen Stelle:
"Der allmähliche Aufkauf von
Liegenschaften in unserem Grenzgebiet ist das beste Mittel zur Sicherung der
tschechischen Positionen... Jedes kleinste Stück Boden, das in tschechische
Hände übergeht, bedeutet eine Befestigung des tschechischen
Elementes. Der Bodenaufkauf im verdeutschten Gebiete ist der beste Einbruch in
die deutschen Gemeinden..."
Das Severocesky dennik vom 23. Februar ds. Js. z. B. schreibt:
"Die Tschechen und Slowaken haben
diesen Staat gegen den Willen der Deutschen erbaut und berücksichtigten
dabei, daß es ein Nationalstaat sein müsse, in dem sich die Tschechen
und Slowaken voll ausleben können.... Darum müssen wir auf eine
volle Vorherrschaft der Tschechen und Slowaken hinarbeiten... In allen
öffentlichen Funktionen, in allen öffentlichen Ämtern
müssen die Tschechen und Slowaken das Erstrecht haben (!!)...
Schon heute ist es notwendig, eine Revision der Bodenreform unter
Berücksichtigung der Forderungen unserer Grenzler
durchzuführen..."
Das sind einige Proben für die planmäßige tschechische
Stimmungsmache. Diese und ähnliche Begründungen werden
täglich von allen tschechischen Zeitungen erhoben und angeführt und
geradezu in einem Trommelfeuer auf die tschechische Exekutive und
Staatsführung gesteigert. Unter dem Druck der "öffentlichen
Meinung" und aus einer haßerfüllten Atmosphäre heraus
wurden eine Reihe von Gesetzen beschlossen und eingebracht, die, wie einmal
treffend bemerkt wurde, nach den Erklärungen tschechischer Politiker
und nach ihrem Wortlaute sich nicht etwa gegen die Sudetendeutschen oder gegen
eine andere Volksgruppe des tschechischen Staates richten, sondern
gleichmäßig auf alle Staatsbürger Bezug nehmen, die aber
letzten Endes doch, wenn man die besonderen Verhältnisse des
tschechoslowakischen Staates und die Auswirkungen der neuen Gesetze
näher betrachtet, zu der Erkenntnis führen, daß alle diese
neuen Beschlüsse und in Vorbereitung stehenden Gesetze, mögen sie
auch noch so [145] allgemein gehalten
sein, sich vor allem doch gegen das Sudetendeutschtum richten, dieses in seiner
ganzen Lebensmöglichkeit schwer treffen und seine Zukunft auf das
ärgste bedrohen.
Durch ein Ermächtigungsgesetz über die Verstaatlichung des
Polizeiwesens erfolgte nicht nur ein tiefer Eingriff in die Rechte der
Selbstverwaltung der Gemeinden, die bisher Polizeigewalt ausüben durften,
sondern es wurde den Tschechen ein weiteres "legales" Mittel geboten, die
grenzdeutschen Gebiete mit tschechischen Beamten zu durchsetzen; hieß es
doch in der Begründung des Gesetzantrages ausdrücklich, daß
damit dem Staate die Möglichkeit geboten werde, im Grenzgebiet
"zuverlässige Beamte zur Niederhaltung staatsfeindlicher
Elemente" einzustellen.
Anfang Januar 1936 hat das tschechoslowakische Ministerium für nationale
Verteidigung Anweisungen und Bestimmungen für Heereslieferungen
herausgegeben, aus denen hervorgeht, daß das unter der Leitung des
Ministers Machnik stehende Ministerium bei der Festsetzung seiner
Lieferbedingungen trotz gegenteiliger Versicherungen anderer und höherer
Regierungsstellen an allen jenen Tendenzen festhält, die auf eine
völlige Hintansetzung der sudetendeutschen Lebensforderungen abzielen.
Darnach macht das Verteidigungsministerium die Berücksichtigung von
Lieferungsangeboten davon abhängig, daß die Zahl der tschechischen
Beamten aller jener Betriebe, die mit Heeresaufträgen rechnen wollen,
mindestens den Hundertsatz der dort beschäftigten tschechischen Arbeiter
entsprechen müsse. Die Zahl der tschechischen Arbeiter wieder
müsse mindestens dem nationalen Verhältnis in der
Zusammensetzung der Bevölkerung am Sitz des Unternehmens
angepaßt sein. Weiter wird, sozusagen in militärischem Tone,
gefordert, daß "in kürzester Zeit die ausländischen
Angestellten durch inländische Kräfte tschechoslowakischer
Nationalität ersetzt werden" und daß, was man nicht genug
anprangern kann, kein Personal beschäftigt werden dürfe, "das sich
zu staatsfeindlichen politischen Parteien meldet."
In der Anweisung des Verteidigungsministeriums heißt es dann weiter:
"Mit der Durchführung der
erwähnten Forderungen der Militärverwaltung werden Sie sofort
beginnen und spätestens binnen zwei Jahren vom Zeitpunkte dieses
Schreibens abschließen. Damit die Militärverwaltung die
Erfüllung dieser Forderung kontrollieren kann, werden Sie dem
Ministerium für nationale Verteidigung jedes Vierteljahr melden, was Sie
im abgelaufenen Vierteljahr hinsichtlich der geforderten Abhilfe unternommen
haben. Als Ersatz für die entlassenen unverläßlichen
Angestellten werden Sie keine anderen unverläßlichen Angestellten
aufnehmen. Telegraphieren Sie umgehend - und zwar so, daß die
Antwort in der Abteilung V/3 des Ministeriums [146] für nationale
Verteidigung spätestens bis 30. Jänner, 12 Uhr
einlangt - ob Sie ohne Vorbehalt mit der Preisgrenze, mit der Warenmenge
und mit den obigen Bedingungen hinsichtlich der Regelung des nationalen
Verhältnisses in der Beamten- und Arbeiterschaft Ihres Unternehmens
einverstanden sind. Sollte Ihre Antwort, ob positiv oder negativ, nicht bis zum
angeführten Termin einlangen, wird das Ministerium annehmen, daß
Sie die Bedingungen dieses Schreibens nicht angenommen haben und wird daher
die Lieferung sofort anderweitig vergeben. Wenn Sie aber ohne jedweden
Vorbehalt mit allen Bedingungen des Schreibens einverstanden sind,
können Sie die Erzeugungsdispositionen treffen. Der Bestellbrief wird
Ihnen nachträglich übermittelt."60
Dieser Erlaß des Nationalverteidigungsministers, der den Gesetzen und der
Verfassung widerspricht und den z. B. auch die Wiener Zeitung als
ungerecht und verletzend empfindet, steht im krassesten Gegensatz zu den vielen
Erklärungen der tschechischen Staatsmänner, auch von Staats wegen
der furchtbaren Not der Sudetendeutschen zu steuern. Selbst die deutschen
Regierungsparteien wenden sich gegen eine solche tschechische Nationalpolitik.
So stellt die Deutsche Landpost, das Hauptblatt des Bundes der Landwirte,
fest, das Verteidigungsministerium haben sich an die bestehende
Vergebungsordnung zu halten.
"Eine Scheidung der Unternehmer und
Angestellten in staatstreue und staatsfeindliche unterliegt nicht dem Ministerium,
sondern einzig dem Gericht. Es muß klipp und klar gesagt werden,
daß der nationale Bevölkerungsschlüssel in einem Staatsgebiet
das Amt in diesem Falle gar nichts angeht. Wenn sich aber das
Verteidigungsministerium um diesen Schlüssel zu bekümmern
beginnt, dann sollte es zuerst bei sich beginnen. Vielleicht teilt das Ministerium
einmal mit, wie groß die Zahl der deutschen Beamten und Offiziere in der
Heeresverwaltung ist. Vielleicht kommt man auch darauf, einen deutschen Offizier
zum General zu befördern, damit der Schlüssel und die nationale
Gleichberechtigung wenigstens einigermaßen gewahrt werde. Es ist endlich
an der Zeit, für die Deutschen im Offizierskorps der Armee Platz zu
schaffen, damit aus den fünf Prozent deutscher Offiziere wenigstens zehn
Prozent, wenn schon nicht 23 Prozent werden, wie es sich eigentlich
gehören würde. Wir wiederholen den bereits ausgesprochenen
Appell an den Ministerpräsidenten, nach dem Rechten zu sehen, die
Verantwortung festzustellen und den Verantwortlichen zur Rechenschaft zu
ziehen."
Dieser Appell an den Erstminister hat aber kaum irgendeinen Erfolg eingebracht.
Denn wie der Prager Sozialdemokrat mitteilt, ist der Abg. Taub
"eingeschritten" und hat sich dabei eine Information geholt, die nicht nur diesen
einzigartigen Erlaß, sondern darüber hinaus noch eine
Begründung dafür gibt, die dem Faß den Boden
ausschlägt. In dieser "Information" des Nationalverteidigungsministeriums
heißt es laut Sozialdemokrat:
[147] "Das
Ministerium für nationale Verteidigung muß bedingungslos daran
festhalten, daß militärische Lieferungen ausschließlich an
solche Unternehmer vergeben werden, deren positives Verhältnis zum
Staate gewährleistet ist und deren Arbeitnehmer loyale Staatsbürger
sind."
Nach dieser geradezu hohnvollen Bestätigung, durch die sich das
Nationalverteidigungsministerium das Recht anmaßt, nach eigenem
Gutdünken Staatsbürger in "loyale" und "andere" zu scheiden, erhielt
der deutsche Sozialdemokrat Taub die bittere Beruhigungspille, daß das
Ministerium bemüht sei, die von der Krise besonders betroffenen
Randgebiete bei der Vergebung von Lieferungen "entsprechend zu
berücksichtigen".
Gekrönt wurde diese "Information" durch den Satz:
"Das Ministerium für nationale
Verteidigung muß eine Regelung ganz besonders dort anstreben, wo
offenkundig und provokativ die Leitung des Unternehmens sich weigert,
berechtigten Forderungen nach Aufnahme von Beamten tschechoslowakischer
Nationalität zu entsprechen."
Was mit anderen Worten heißt: ein Staatsamt, dem ein auf die Verfassung
vereidigter Minister vorsteht, nimmt sich die Freiheit, wider Gesetz, Recht und
Verfassung gegen Staatsbürger, die sich gesetzwidrigen Forderungen nicht
beugen, Staatssanktionen zu ergreifen! Diese "Begründung" des
Nationalverteidigungsministeriums gehört auf das erste Blatt des
Schwarzbuches der tschechoslowakischen Demokratie.61
Wegen dieses Erlasses des Verteidigungsministers hatten die Abgeordneten der
Sudetendeutschen Partei eine Interpellation im Abgeordnetenhaus eingebracht, in
der sie auf die Verfassungswidrigkeit und die Verletzung der
Minderheitenschutzverträge verwiesen. Auf diese Interpellation antwortete
die Regierung:
"Es ist das besondere Bestreben der
Regierung, in allen von der Arbeitslosigkeit betroffenen Gebieten in der
Tschechoslowakischen Republik Arbeit zu beschaffen und die Not der
Bevölkerung zu lindern. In dieser Hinsicht widmet die Regierung allen
Bewohnern und Gegenden, ohne Unterschied der Volkszugehörigkeit, die
gleiche Fürsorge. In diesen Intentionen gehen alle Ressorts vor, und in der
gleichen Weise handelt auch das Ministerium für nationale Verteidigung,
wenn es Lieferungen im größeren Ausmaß, soweit die
Finanzmittel diese eben gestatten, ausschreibt und vergibt. Diese Lieferungen
werden in alle Gegenden aufgeteilt. Hierbei hat die Militärverwaltung
allerdings nicht nur die Verpflichtung, das erforderliche Material zu beschaffen,
sondern auch die Verpflichtung, sich zu kümmern, daß die
ungestörte Erzeugung wichtiger Dinge für die Armee nicht nur in der
Friedenszeit, sondern auch in ernsten Zeiten gesichert werde. Dafür
trägt das Ministerium für nationale Verteidigung seit dem Umsturz
Sorge. Diese Aktion hat in zahlreichen Fällen das Verständnis der
Industrieunternehmungen gefunden. In manchen Fällen fand es allerdings
nicht hinreichendes Verständnis, und [148] deshalb mußte
das Ministerium für nationale Verteidigung auf diese Umstände
nachdrücklichst aufmerksam machen. Ich betone, daß es sich um eine
Regelung und Abhilfe auf natürlichem Wege durch die Entwicklung
handelt, daß es hier um keine gewaltsamen oder gar Massenentlassungen
geht, die gegen irgendeine Minderheit gerichtet wären. Die durch den
Erlaß festgesetzte Frist hat bloß Evidenzbedeutung. Deshalb wird sie
von Fall zu Fall verlängert, wenn es durch ein natürliches Vorgehen
nicht möglich wäre, die Bedingungen zu erfüllen. Man kann
daher nicht von einer Verletzung der geltenden Gesetze oder von einer Verletzung
der durch die Friedensverträge gewährleisteten Minderheitenrechte
sprechen.
Prag, 2. März 1936.
Der Vorsitzende der Regierung:
Dr. M. Hodza.
Die Tatsache, daß der tschechoslowakische Ministerpräsident selbst
die parlamentarische Anfrage beantwortete, beweist, daß er den Erlaß
eines Ressorts zu einer Angelegenheit der Gesamtregierung gemacht hat und seine
Ungesetzlichkeit deckt. Die Abgeordneten der Sudetendeutschen Partei
erwiderten diese Antwort mit einer Völkerbundbeschwerde. Es kann nicht
überraschen, wenn der Völkerbund die Beschwerde als
unbegründet zurückweist!
In die gleiche Kategorie wie der sogenannte
"Machnik-Erlaß" fällt eine Anordnung des Prager
Innenministeriums, daß nur solche Bewerber in den Staatsdienst
aufgenommen werden dürfen, die nachweisen können, daß
nicht nur sie, sondern auch ihre Verwandten den Nachweis ihrer
"staatsbürgerlichen Zuverlässigkeit" erbringen können. Hier
werden also als Beurteilungsgrund Möglichkeiten angeführt, auf die
der Bewerber selbst gar keinen Einfluß hat, für die er aber trotzdem
verantwortlich gemacht wird.
In die Reihe jener Maßnahmen, die dem Staate eine "legale
Möglichkeit" geben sollen, gegen die Angehörigen der nationalen
Volksgruppen vorzugehen, gehört ferner ein Antrag des tschechischen
nationalsozialistischen Abgeordneten Klofac, "durch Namensänderung
seine Verbundenheit mit der tschechoslowakischen Republik zu bekunden".
Dieses Gesetz stellt in seiner Textierung eine Ungeheuerlichkeit sondergleichen
dar, und würde in der Praxis jeglicher politischen und behördlichen
Willkür Tür und Tor öffnen. Mit Recht verwies daher die
sudetendeutsche Presse darauf, daß mit diesem Gesetz der Personenname,
im gewissen Sinne Ausdruck einer Persönlichkeit, deren Freiheit nach
§ 107 der tschechoslowakischen Verfassung gewährleistet wird,
zu einem Politikum gemacht wird. Der gesetzlich normierte Begriff der
"staatlichen Unverläßlichkeit" wird durch den neuen Antrag durch
den weitergehenden Begriff der "staatlichen Unverbundenheit" ergänzt.
Das entscheidendste Gesetz, das fast das gesamte Sudetendeutschtum und neben
ihm alle anderen Volksgruppen unter Ausnahmezustand stellt, ist das am [149] 26. März 1936
eingebrachte Staatsverteidigungsgesetz. Das Gesetz sieht die Schaffung einer
25 km breiten Grenzzone vor, in der nicht nur zur Zeit der
"Wehrbereitschaft" und in Kriegszeiten, sondern auch in
Friedenszeiten (!) die Militärbehörden die letzte
Entscheidung haben.
In der Grenzzone ist die vorherige Zustimmung der Militärverwaltung bei
allen Arten von Bauten notwendig einschließlich der Wege und
Wasserbauten, der Anlage von Transport-, Telegraphen und anderen
Verständigungseinrichtungen, einschließlich der Bergwerke und der
Errichtung von Betriebsstätten, die eine behördliche Genehmigung
voraussetzen. Die Erteilung von Gewerbekonzessionen oder Schürfrechten
hängt von der Zustimmung der Militärbehörden ab, die an sie
bestimmte Bedingungen knüpfen können. Ferner steht den
Militärbehörden das Recht zu, die Schlagung und Anpflanzung von
Wäldern anzuordnen, ebenso die Schließung von Bergwerken. Sie
können ferner eine Revision der Forstwirtschaftspläne beantragen
und unter Umständen eine Schlagung anordnen, die im Interesse der
Staatsverteidigung liegt. Wenn die Militärverwaltung es für
notwendig erachtet, daß bei schon bestehenden Bauten oder Grubenwerken
irgendwelche Veränderungen vorgenommen werden, ist der Besitzer
verpflichtet, diese Veränderungen vorzunehmen oder zu gestatten,
daß sie der Staat auf seine Kosten vornehme. Durch den Punkt 4 des
§ 34 ist dem Staat die Möglichkeit gegeben,
sinngemäß auch für die anderweitige Verwendung der
Bodenfläche in der Grenzzone die bisher genannten Bestimmungen
anzuwenden. Der Punkt 6 desselben Paragraphen bestimmt, daß
elektrische Starkstromleitungen in der Grenzzone, vor allem solche, die
über die Staatsgrenzen hinausgehen, unterbrochen und ihre technischen
Einrichtungen beseitigt werden können. Punkt 7 stellt eine neue
Enteignungsbestimmung dar: "Wenn dies im Interesse der Staatsverteidigung
dringend notwendig ist, können in der Grenzzone Liegenschaften für
den Staat enteignet werden." Nach Punkt 8 desselben Paragraphen kann
Ausländern der Aufenthalt in der Grenzzone nur noch mit Zustimmung der
Militärverwaltung erteilt werden.
Das Wesentliche und Neue, das diese Bestimmungen über die Grenzzone
von allen ähnlichen Beispielen abhebt, ist die Tatsache, daß seit
Inkrafttreten dieser weitgehenden Eingriffsrechte nicht etwa die aktuelle
Bedrohung des Staates Voraussetzung ist, sondern daß diese Eingriffsrechte
sofort nach der Gesetzgebung der Regierungsvorlage im tiefsten Frieden
möglich sind.
Während der Zeit der Wehrbereitschaft können Männer und
Frauen zwischen 17 und 60 Jahren zur persönlichen Dienstleistung
herangezogen werden. Die Zuständigkeit der Gerichte wird
beschränkt und den Militärbehörden in bestimmten
Fällen unterstellt. Die wichtigste und für die Volksgruppen
gefährlichste Bestimmung aber ist die über die "für
Staatsverteidigung besonders wichtigen Betriebe". Sie werden besonders
registriert. Sie dürfen nur von "staatlich [150] zuverlässigen
Personen" geleitet werden. Die "staatliche Unzuverlässigkeit" des Besitzers
und Arbeitnehmers aber ist Enteignungs- und Entlassungsgrund! Da weder die
Bestimmung über die zur Verteidigung notwendigen Betriebe noch
über "staatliche Zuverlässigkeit" scharf umrissen sind, ist der
Willkür der tschechischen Militärverwaltung Tür und Tor
geöffnet, umsomehr, als die Einstellung zu diesem Gesetz vom
Ministerpräsidenten zum "Prüfstein der Loyalität zum
tschechoslowakischen Staate" erklärt worden ist.62
Nach der seit Staatsgründung geübten Praxis galten als "staatlich
zuverlässig" nur die Tschechen und die Slowaken, sofern sie einer
"tschechoslowakischen" Partei angehörten. Alle anderen Volksgruppen
werden trotz ihrer wiederholt bekundeten Loyalität als
"unzuverlässig" angesehen und dementsprechend behandelt.
Daß von den Ausnahmebestimmungen vor allem die Angehörigen
der fremden Volksgruppen betroffen sind, geht aus der folgenden Übersicht
klar hervor.
I. Die Flächengröße in
qkm. |
|
Gesamtfläche
|
Grenzzone (abgerundet) |
Böhmen |
52.062 |
21.000 |
Mähren-Schlesien |
26.808 |
9.500 |
Slowakei |
49.006 |
27.000 |
Karpathenrußland |
12.617 |
11.000 |
Tschechoslowakei |
140.493 |
68.500 |
[151] Demnach ist fast ganz
Karpathenrußland (87 v. H.) unter das Ausnahmegesetz
gestellt. Es bleibt nur ein Kern von 1600 qkm von diesen Bestimmungen
unmittelbar nicht berührt. Von der Slowakei entfallen
55 v. H. auf die Grenzzone. In
Mähren-Schlesien, das übrigens fast so groß ist wie die
Grenzzone in der Slowakei, sind 35 v. H., in Böhmen
40 v. H. zum Ausnahmegebiet erklärt. Das ergibt also
49 v. H. der gesamten Staatsfläche.
[150]
Das deutsche Sprachgebiet unter dem
Ausnahmegesetz.
|
Der Anteil der Bevölkerung wird aus der folgenden Tabelle ersichtlich:
II. Die Bevölkerungsverteilung. |
|
Gesamtbevölkerung
|
in der
Grenzzone |
Böhmen |
7,109.376 |
2,900.000 |
Mähren-Schlesien |
3,565.010 |
1,413.000 |
Slowakei |
3,329.793 |
1,580.000 |
Karpathenrußland |
725.357 |
580.000 |
Tschechoslowakei |
14,729.536 |
6,473.000 |
Bei der besonderen nationalpolitischen Struktur der Bevölkerung des
tschechoslowakischen Staates und der Lage ihrer Siedlungsgebiete ergibt sich,
daß fast alle Angehörigen der nationalen Volksgruppen unter das
Ausnahmegesetz gestellt sind, was ja den eigentlichen Sinn der neuen
Staatsverteidigungsmaßnahmen darstellt.
In Böhmen schließt die Grenzzone 2,900.000 von 7,109.376
Einwohnern ein, das sind 41 v. H. Ihrer Nationalität nach sind
es über 2 Millionen Sudetendeutsche und 850.000 Tschechen. Das bedeutet
also, daß nur 13 v. H. der deutschen Bevölkerung
außerhalb und nur 18 v. H. der tschechischen
Bevölkerung innerhalb der Grenzzone lebt.
In Mähren-Schlesien leben von den 823.730 deutschen Einwohnern
480.000 und von den 2,616.969 tschechoslowakischen rund 765.000 in der
Grenzzone, das sind 60 bzw. 29 v. H. Fast ausnahmslos in der
Grenzzone wohnen die Angehörigen der 89.126 Seelen zählenden
polnischen Volksgruppe.
In der Slowakei umschließt die Grenzzone von insgesamt 3,329.793
Einwohnern rund 100.000 Karpathendeutsche, 940.000 Slowaken und rund
540.000 Madjaren, das sind 68, bzw. 40, bzw. 98 v. H.
Rund 580.000 Einwohner ruthenischer, madjarischer und jüdischer
Nationalität, darunter ferner 10.000 Karpathendeutsche, besiedeln also die
Grenzzone Karpathenrußlands.
[152] Demnach ergibt sich
folgende interessante Übersicht:
III. Länder- und
Völkerübersicht. |
Nationalität |
Zahlen der Bewohner |
insgesamt |
davon fremde
Staatsangehörige |
in der
Grenzzone |
Böhmen |
|
deutsch |
2,326.090 |
55.147 |
2,050.000 |
tschechoslowakisch |
4,732.070 |
18.704 |
850.000 |
Mähren-Schlesien |
|
deutsch |
823.730 |
23.735 |
480.000 |
tschechoslowakisch |
2,616.969 |
21.435 |
851.000 |
polnisch |
89.126 |
9.676 |
82.000 |
Slowakei |
|
deutsch |
154.821 |
7.320 |
100.000 |
slowakisch |
2,373.054 |
27.145 |
940.000 |
ungarisch |
592.337 |
20.349 |
540.000 |
Karpathenrußland |
|
deutsch |
13.804 |
555 |
10.000 |
russisch |
456.925 |
4.009 |
390.000 |
ungarisch |
115.804 |
633 |
90.000 |
Daß die Vertreter der einzelnen Volksgruppen im Prager Parlament gegen
jene Bestimmungen des Staatsverteidigungsgesetzes, die der
Militärverwaltung unumschränkte Eingriffsmöglichkeiten in
das private Eigentumsrecht einräumen, ernste Bedenken erhoben
haben, wird man verstehen, wenn man - von den gesetzlichen
Bestimmungen abgesehen - auf die tieferstehende Tabelle blickt:
VI. Der Anteil der Volksgruppen. |
Volksgruppe |
Gesamtstärke |
In der Grenzzone wohnen |
Sudetendeutsche |
3,318.445 |
2,640.000 |
d. s. |
80 % |
Tschechen |
7,077.979 |
1,701.000 |
|
27 % |
Slowaken |
2,678.625 |
940.000 |
Polen |
100.322 |
82.000 |
|
98 % |
Russen |
568.941 |
390.000 |
Ungarn |
719.569 |
630.000 |
Da die amtliche Statistik nur
eine "tschechoslowakische" Nation kennt, sind als
"Tschechen" die "tschechoslowakischen" Bewohner Böhmens,
Mährens und
Schlesiens und als "Slowaken" die "tschechoslowakischen" Bewohner der
Slowakei angegeben. Die Zahlen entsprechen aber
annähernd der tatsächlichen
Bevölkerungsstärke der beiden Volksgruppen.
Von den anderen Volksteilen,
die in dieser Tabelle
nicht angeführt sind, siedeln 90.000 in der Grenzzone. |
[153] Obwohl dieses Gesetz
schon tief in die bisherigen Rechtsverhältnisse im Grenzgebiet eingreift und
den Militär- und Staatsbehörden unter Vorwand des Staatsinteresses
der präventiven Verteidigung die Möglichkeit bietet, die inneren
nationalpolitischen Ziele zu verwirklichen, so wurden eine Reihe weiterer
Sonderbestimmungen getroffen, die sich ganz offenkundig gegen das
Sudetendeutschtum richten.
So wurden also eine Reihe von Gesetzen und Erlassen wirksam, die zwar mit
Staatsnotwendigkeit begründet wurden, die aber eine deutliche Spitze
gegen die einzelnen nationalen Volksgruppen tragen. Indem man nun Teile der
Volksgruppen als staatlich unzuverlässig hinstellt, leitet man also aus einer
Pauschalverdächtigung das Recht ab, die gesamte Volksgruppe unter
Ausnahmezustand zu stellen mit dem Ziele restloser Entnationalisierung der
Menschen und des Bodens. Denn diesem Ziele dient es, wenn die Grenzgebiete
mit staatlich zuverlässigen Elementen, das sind die Tschechen, durchsetzt
werden und die wichtigsten Betriebe und weite Flächen des Grundbesitzes in
tschechoslowakischen Staats- und Volksbesitz übergeführt werden.
In dieser Form aber erfolgt die "Sicherung" des Grenzgebietes. Es sind also die
alten nationalstaatlichen Ziele, die unter, sagen wir zeitgemäßen,
Begründungen verwirklicht werden sollen. Die amtlichen Versicherungen,
daß alle Gesetze und Maßnahmen wirklich nur aus der gespannten
europäischen Situation zur Sicherung des tschechoslowakischen Staates
geschaffen wurden und sich nicht gegen eine Rasse, Konfession oder Minderheit
richten, erfahren einwandfreie Widerlegung durch die Praxis, denn es laufen
täglich Meldungen ein, daß deutsche Arbeiter und Beamte von ihren
Arbeitsplätzen vertrieben, daß deutschen Firmen staatliche
Lieferungsaufträge entzogen und deutsche Grundstücke enteignet
werden.63
So wurden aus den chemischen Werken in Aussig fast alle deutschen
Staatsangehörigen entfernt, deutsche Bergarbeiter an der Einfahrt in den
Schacht [154] gehindert usw.
Wie die staatlichen Bestimmungen ferner mißbraucht werden, zeigt ein
Wahlaufruf in den Prager Kolben-Danek-Fabriken, der da lautet:
"Die heutigen Wahlen in den
Betriebsausschuß haben auch deshalb eine besondere Bedeutung, weil sie
einige Tage nach der Durchberatung des Gesetzes zur Staatsverteidigung im
Parlamente stattfinden. Es ist kein Geheimnis, daß auch der
Kolben-Danek-Konzern unter jene Unternehmen gehört, die
Gegenstände für die Staatsverteidigung herstellen. Darum muß
die Parole für jeden anständigen tschechischen Arbeiter lauten:
Meine Stimme gebe ich nur staatlich verläßlichen Kandidaten... Alle
Stimmen staatlich verläßlicher Arbeiter gehören der
Kandidatenliste Nr. 1..."
Die Liste 1 aber ist die Liste der tschechischen Linksparteien. Dieser Aufruf hat
im ganzen Staate Schule gemacht und wird bei allen Betriebsratswahlen
nachgeahmt. Indem sich die deutschen und tschechischen Linksparteien als
"staatlich verläßliche Parteien" bezeichnen, diffamieren sie zugleich
die anderen nichtmarxistischen Gruppen als "staatlich unzuverlässig",
womit sie ihre Auflösung und die Entfernung ihrer Mitglieder aus den
Betrieben erreichen wollen.
So stehen alle diese Maßnahmen im Dienste der tschechischen
Nationalstaatspolitik und werfen ein grelles Schlaglicht auf die tatsächliche
Volksgruppenbehandlung im demokratischen Humanitätsstaat an der
Moldau.
Überall dort, wo der Staat als Arbeitgeber in Erscheinung tritt, in der
Verwaltung, beim Heer, bei Bahn, Post, Steueramt, Gericht, in der
Finanzverwaltung, im Sicherheitsdienst, überall wird das deutsche Element
planmäßig zurückgedrängt. Gleichzeitig aber wird die
Neuaufnahme junger Sudetendeutscher in den Staatsdienst so gut wie
unmöglich gemacht.64
[155] An die Stelle der
vertriebenen deutschen Beamten und Arbeiter kamen in den allermeisten
Fällen zumeist verheiratete und kinderreiche tschechische
Arbeiter- und Beamtenfamilien, die zur Erfüllung ihrer
Kolonisationsaufgabe außerdem noch eine besondere Grenzlerzulage
erhalten.
Nicht anders liegen die Dinge in der Privatwirtschaft, wo das tschechische Kapital
entscheidenden und mitbestimmenden Einfluß gewonnen hat. Die
Einführung des Tschechischen neben dem Deutschen als
Geschäftssprache hat zum Abbau deutscher und Einstellung tschechischer
Beamter geführt. Bei der Neueinstellung in utraquistischen Betrieben
wurden vorwiegend tschechische Arbeiter aufgenommen, während bei
Entlassungen immer nur deutsche Arbeiter um ihren Arbeitsplatz kamen.65
Durch die Verlegung der Direktionen der großen Industrieunternehmen und
ihrer kaufmännischen Abteilungen nach Prag gingen weitere Hunderte
Arbeitsplätze dem Sudetendeutschtum verloren. Dazu kommen die
Produktionsverlegungen aus dem deutschen Gebiet, die deutsche Arbeiter um
Arbeit und Brot bringen.66
Der tschechische Angriff richtet sich aber nicht nur auf die Arbeitsplätze in
Staat und Wirtschaft, sondern auch in den freien Berufen.
[156] Ein tschechischer
Hochschulprofessor (der seinen Namen verschweigt) behandelt in den Nar.
Listy (Nr. 274 vom 8. Oktober 1934) die Frage, ob die Tschechen in
großer Zahl die Hochschulen besuchen sollen, welche Frage er
selbstverständlich bejaht. Interessant ist seine Begründung:
Auf dem Gebiete der tschechoslowakischen Republik sind 7394 Ärzte
tätig (Zahnärzte und subalterne Anstaltsärzte nicht
mitgerechnet). Von diesen Ärzten sind 4190 Tschechoslowaken (56%) und
3204 Deutsche (44%). Nach dem Nationalitätenverhältnis der
Bevölkerung sollen 5200 Ärzte Tschechoslowaken und bloß
2200 Ärzte Deutsche sein. Wenn auf das Anwachsen der
Bevölkerung in 20 Jahren Rücksicht genommen würde,
dürfte in die Ärztekammer kein einziges deutsches Mitglied
aufgenommen werden, damit das Nationalitätenverhältnis
eingehalten werde. Das verlangt der tschechische anonyme Professor.
Übrigens weiß heute noch kein Mensch, wie das
Nationalitätenverhältnis in 20 Jahren sein wird. Vielleicht wird es
sich nicht sehr zugunsten der Tschechen ändern, bei denen ja ebenso wie
bei den Deutschen der Geburtenüberschuß immer kleiner wird.
Nach den Ländern ist das Zahlenverhältnis der tschechoslowakischen
und der deutschen Ärzte (hier werden auch Zahnärzte
berücksichtigt) folgendes: In Böhmen sind insgesamt 6102
Ärzte tätig, darunter 3748 Tschechen. Die tschechischen Ärzte
bilden 60%, die deutschen 40%. Mähren-Schlesien hat 2367 Ärzte,
darunter 1459 Tschechen. Diese bilden 62%, die Deutschen und die anderer
Volkszugehörigkeit 38%. In der Slowakei und in Karpathenrußland
wirken 1957 Ärzte, darunter 681 Tschechen und Slowaken. Diese bilden
35%, die Deutschen, Magyaren und sonstigen 65%.
Weiter gibt der Verfasser die Zahlen der Rechtsanwälte (Mitglieder der
Advokatenkammern) an, und zwar: Böhmen hat 2500 Advokaten; von
diesen sind 59% Tschechen und 41% Deutsche.
Mähren-Schlesien hat 725 Advokaten; von diesen sind 60% Tschechen und
40% Deutsche. In der Slowakei sind 1136 Advokaten, darunter 26% Tschechen
und Slowaken sowie 74% Deutsche, Magyaren und andere. In
Karpathenrußland sind 168 Advokaten, darunter 4% Tschechen und
Slowaken, 20% Ruthenen sowie 76% Magyaren und Juden. Insgesamt gibt es in
der Tschechoslowakei rund 4530 Advokaten; darunter sind 51% Tschechen und
Slowaken. Es sind also - meint der
Verfasser - um 840 tschechische und slowakische Advokaten zu wenig.
Die Ingenieurkammer, fährt der Verfasser fort, hat insgesamt 1547
Mitglieder, darunter 68% Tschechen und Slowaken, das sind um 2% weniger, als
dem Nationalitätenverhältnis entsprechen würde.
Böhmen hat 982 Ingenieure, darunter 72% Tschechen. In
Mähren-Schlesien gibt es 332 Mitglieder in der Ingenieurkammer, darunter
58% Tschechen und Slowaken. In der Slowakei [157] und in
Karpathenrußland gibt es 261 Ingenieure, darunter 64% Tschechen und
Slowaken.
Dann macht der Verfasser darauf aufmerksam, daß viele deutsche und
magyarische Ärzte, Advokaten und Ingenieure in rein tschechischen und
vorwiegend tschechischen Gebieten tätig sind. "Unsere Leute",
erklärt er wörtlich, "stellen sich nicht vor, in welche Gefahr wir uns
stürzen, wenn wir diesen Zustand noch weiter zu Ungunsten der
tschechischen Intelligenz verschlechtern." Der Verfasser verlangt, daß die
tschechische Jugend nicht vom Hochschulstudium abgehalten werden soll, und
daß die Kammern den tschechischen Adepten den Eintritt in den Beruf nicht
erschweren, sondern im Gegenteil das Nationalitätenverhältnis in den
Kammern zu Gunsten der Tschechen regulieren sollen.
Von diesem Blickwinkel aus gesehen wird auch der Zweck der Benachteiligung
der deutschen Hochschüler an der Prager und Brünner Hochschule
klar erkenntlich. Indem man den deutschen Studenten die
Studienmöglichkeiten nimmt, auf der anderen Seite durch ausreichende
Stipendien das Studium junger Tschechen fördert, hofft man, das
Rechtsanwälte-, Ingenieur- und Ärztegebiet im deutschen
Siedlungsraum zu erhalten. Obwohl die deutschen Studenten 25% der gesamten
staatlichen Hochschülerzahl erreichen, entfallen auf sie nur
8,91 v. H. der Subventionen. Die Zurücksetzung der
deutschen Hochschüler gegenüber den tschechischen kommt in den
fast unglaublich erscheinenden Ziffern zum Ausdruck: 91 : 9 ist eine
Proportion bei der Zuwendung staatlicher Mittel für die sozialen Zwecke
der deutschen Studentenschaft. Wenn man bedenkt, daß das
Masaryk-Kolleg in Prag bei 870 Inwohnern 558.000, das
Hlavka-Kolleg bei 220 Inwohnern 267.450 und das
Svehla-Kolleg bei 287 Inwohnern 150.620 Kc erhalten, so ergibt dies bei
diesen drei tschechischen Kollegienhäusern allein, bei 1377 Inwohnern,
einen Betrag von 976.000 Kc. Dazu kommt aber noch das Budeckolleg, das
bei 250 Inwohnern 200.200 Kc, die studentische Kolonie auf dem
Belvedere, die bei 580 Inwohnern 57.000 Kc erhält, so daß der
Betrag von - sage und schreibe - 11.000 Kc, der den drei
deutschen Studentenheimen mit ihren 860 Inwohnern zugewiesen wird, wie eine
Lächerlichkeit anmutet und bei den Studenten begreiflicherweise das
Gefühl der tiefsten Zurücksetzung erwecken muß.
So ist denn der Kampf um den Arbeitsplatz in der Tschechoslowakei weniger ein
soziales als ein nationales Problem. Die Mittel, die in diesem Kampf von den
Tschechen angewendet werden, sind vielgestaltig und lassen sich kaum
erschöpfend darstellen. In ihrer Wirkung sind sie aber alle gleich. Sie
führen zu einer Verdrängung der Deutschen, und ihre Existenz dient
der Tschechisierung des geschlossenen deutschen Siedlungsraumes.
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