[76]
I. Das
österreichisch-ungarische Erbe
3. Industrie, Handel und
Gewerbe
a) Allgemeine Übersicht
Der natürliche Reichtum der Sudetenländer an Bodenschätzen
(Kohle, Erze, Kaolin, Holz usw.) und die gute Verkehrslage
begünstigten schon frühzeitig das Entstehen und die Entwicklung
industriellen Lebens. Organisch aus den natürlichen Gegebenheiten des
Landes erwuchsen hier im Laufe der Jahrhunderte Industrie, Gewerbe und Handel
und machten die Sudetenländer zum eigentlichen Industriezentrum der
österreichisch-ungarischen Monarchie. Mit dem Zusammenbruch der alten
Donaumonarchie fielen der Tschechoslowakei 78% der gesamten
österreichisch-ungarischen Industrieproduktion zu. Manche Industriezweige
übernahm sie hundertprozentig, von den meisten anderen aber mehr als die
Hälfte. Schon diese wenigen Ziffern sprechen für den industrielle
Reichtum der Tschechoslowakei.
Im grenzdeutschen Gebiete Böhmens war 1914 die Industrialisierung
soweit vorgeschritten, daß von je 100 Berufstätigen auf
Landwirtschaft |
27 |
Personen |
Industrie und Gewerbe |
54 |
" |
Handel und Verkehr |
14 |
" |
öffentliche Dienste und freie Berufe |
5 |
" |
entfielen.
Die weittragende Bedeutung dieser Zahlen wird durch einen Vergleich mit den
Zahlen der in Industrie und Gewerbe Tätigen in den bedeutendsten
europäischen Industriestaaten der Vorkriegszeit erkenntlich. So waren mit
Beginn des Jahres 1914 von 100 Berufstätigen in
Deutschböhmen |
54 |
Schottland |
49 |
England und Wales |
46 |
Schweiz |
45 |
Belgien |
42 |
Deutschland |
40 |
Niederlande |
35 |
Frankreich |
32 |
in Industrie und Handel beschäftigt. Die sudetendeutschen Randgebiete
standen also an der Spitze der industrialisierten Staaten und Staatsgebiete
Europas.
Die nachfolgende Übersicht29 vermittelt
nicht nur eine Übersicht über das wirtschaftliche Erbe, das die
Tschechoslowakei angetreten hat, sondern zugleich eine Vorstellung von dem
wirtschaftlichen Reichtum, vor allem der Sudetenländer:
[77] Die
Mühlenindustrie war 1923 durch fast 11 000 Mühlen
vertreten, unter ihnen mehr als 2⁄3 in den
Sudetenländern, davon 439 Großmühlen. Alle Mühlen
vermochten täglich 17 300 t Getreide in 24 Stunden zu
vermahlen. Die größten Dampfmühlen stehen in
Groß-Prag, Groß-Saris, Brünn, Losoncz, Preßburg,
Neutra, Oderberg.
Die altberühmte böhmische Brauerei hat sich immer mehr
auf große Betriebe konzentriert, daher ist die Betriebszahl im Abnehmen.
Gab es in den Sudetenländern 1912 671 Brauereien (davon 551 in
Böhmen), die 1912/13 11 Millionen hl Bier erzeugten, so waren es
1922 nur mehr 570 Betriebe (484 in Böhmen). Die slowakische Brauerei
mit dem Hauptstandort um Leutschau ist bescheiden (21 Betriebe,
254 000 hl). Die Großbetriebe der Sudetenländer
konzentrieren sich in Pilsen, wo das bürgerliche Bräuhaus und drei
andere Großbetriebe 1⁄10 der ganzen Erzeugung
bestritten, in Prag (Smichower Aktienbrauerei), in Brüx (Braugemeinde),
Gr. Popowitz (Ringhoffer), Budweis, Wittingau, Eger uff., ferner in der
Hanna um Olmütz. Hauptabnehmer für böhmisches Bier
blieben Deutschland und Österreich.
Zumeist in Verbindung mit der Brauerei steht die Mälzerei, die
besonders auf der vorzüglichen Hannagerste aufbaut, ihren Hauptstandort
in Mähren hat (101 Betriebe von 172 in der T.). Diese Exportindustrie,
deren führende Firmen in Brünn, Olmütz, Eiwanowitz und
Prag sind, ist in einem Absatzkartell zusammengeschlossen.
Weitaus die größte landwirtschaftliche Industrie ist aber die
Zuckererzeugung, welche 15% des Weltbedarfes deckt. Sie zählt
129 Rohzuckerfabriken (darunter 94 in Böhmen), 13 Raffinerien (darunter
8 in Böhmen) und 44 gemischte Betriebe (darunter die 9 slowakischen
Zuckerfabriken). Wenn die Handelsbilanz der Tschechoslowakei aktiv ist, so
dankt sie das zumeist dem Zuckerexport, z. B. nach Großbritannien,
Italien, der Schweiz und auch in die englischen Kolonien. Sie steht unter den
Rübenzuckererzeugern an 7. Stelle. Führende Betriebe sind die
Nestomitzer Zuckerraffinerie, Schoeller & Co.
A.-G., die Böhm. Zuckerindustrie-Gesellschaft, die Schönpriesener
Zuckerraffinerie. Andere große Betriebe liegen um Aussig, Lobositz,
Göding, Prerau, Troppau uff. Ein Teil der Rohzuckerfabriken gehört
bäuerlichen Genossenschaften. Organisiert ist die Industrie in einem
"Zentralverein der tschl. Zuckerindustrie" (unter tschechischer Führung)
und im "Verein der Zuckerraffinerien" (unter deutscher Führung).
Unter den übrigen landwirtschaftlichen Industrien, die der Ernährung
dienen, ist die Zuckerwaren- und Schokoladenfabrikation (80 Betriebe),
besonders in Prag, Brünn, Bodenbach, Lobositz, Preßburg zu nennen.
Ausgebreitet ist die Kaffeesurrogaterzeugung, die Malz und Zichorie
verarbeitet. Verhältnismäßig wenig bedeutend ist die
Obstkonservenindustrie.
[78] Großzügig
entwickelt ist die Spiritusindustrie. In den Rübenzuckergegenden
verarbeitet sie Melasse, in den Kartoffelgegenden ist die
Kartoffelspiritusbrennerei verbreitet. Es bestanden 930 landwirtschaftliche und 37
industrielle Brennereien, darunter 14 Hefefabriken und 53 Spiritusraffinerien. Die
größten Firmen haben in Prag,
M.-Ostrau, Pardubitz, Jungbunzlau, Kolin, Aussig, Teplitz ihren Sitz. Die
Betriebe konzentrieren sich im Elbebecken, auf den
böhmisch-mährischen Höhen, Südböhmen und
Nordmähren. In der Slowakei ist ein Großbetrieb der von
Velké Topolcany. Andere Brennereien waren bisher mit dem
Großgrundbesitz verbunden. - Die Likörindustrie
erzeugt in Prag, M.-Ostrau, Troppau und Jägerndorf manche
Spezialitäten. - 19 staatliche Tabakfabriken sind
über das ganze Staatsgebiet verstreut.
Erzeugnisse der Viehwirtschaft verarbeitet die bedeutende Prager
Selcherei (Schinken, Wurstwaren). Außer heimischen Schweinen
werden auch solche aus Jugoslawien, Rumänien und Ungarn bezogen.
Die Lederindustrie erzeugt Oberleder in Prag und
Königgrätz, Sohlenleder besonders in
Süd- und Nordböhmen, Treibriemen in
Neu-Bidschow und Jaromer. Hervorragend ist die mährische Lederindustrie
von Trebitsch, Brünn, Iglau,die slowakische von Gr. Boschan und
St. Niklas in Liptau. 260 Gerbereien, 105 Schuhfabriken mit
Maschinen-, 87 mit Handbetrieb und die altberühmte Prager
Handschuhledererzeugung, die
Glacé- und Gemsledererzeugung im Erzgebirge bestreiten diesen
Industriezweig. Wenn auch der größere Teil des Rohstoffes im Lande
vorhanden ist, müssen zur Ergänzung doch noch Rohhäute
und Lammfelle von auswärts bezogen werden, ebenso Halbfabrikate
(Boxcalf).
Die an das Vorkommen der Buche gebundene Buchholzindustrie, eine
Spezialität der früheren österreichischen Industrie, hat durch
den Krieg ihre Absatzgebiete teilweise an die ausländische Konkurrenz
eingebüßt. Ihre Hauptsitze sind in Ostmähren
(Karpathenwälder) und Brünn (Thonet), Neusohl in der Slowakei
und Niemes in Nordböhmen.
[79]
Blick in die Montagehalle einer Blasmusikinstrumentenfabrik
in der sudetendeutschen Stadt Graslitz.
|
Teils zur Holz-, teils zur Metallindustrie gehören die im Erzgebirge
vorhandenen Spielwaren- und Musikinstrumentenerzeugung, die
Klavierindustrie (Reichenberg, Königgrätz,
B. Leipa), sowie die Knopfindustrie, welche auch Horn und
Steinnuß verarbeitet. Diese blüht besonders in Tetschens Umgebung
und in der Slowakei (Patentknöpfe). Korbwaren stellt im
großen die Prag-Rudnicker Korbwarenindustrie her (Möbel). Siebe
werden in Neutra, Bürsten in Preßburg erzeugt.
Weitaus die wichtigste holzverarbeitende Industrie ist aber die
Papierindustrie, die in 84 Papier-, 46 Pappe-, 19 Zellulosefabriken und
82 Holzschleifereien arbeitet. Die großen Betriebe, die zumeist ihren
Firmensitz in Prag haben, liegen
teils im Riesen- und Isergebirge (Elbemühl), in Arnau, Freiheit,
B. Kamnitz, Böhmerwald (Krumau), in den Ostsudeten
(Heinrichsthal) und im Moldaugebiet [79] (Kienberg). Die
Olleschauer Papierindustrie A.-G. (Brünn) stellt Seiden- und
Zigarettenpapier her. Die bedeutende slowakische Papierindustrie hat ihre
Standorte besonders in Rosenberg und in der Zips. Bedeutende Zellulosefabriken
sind in St. Martin am Turec (Kronstädter
Papierstoff-Febrik), Sillein, Ratimau und bei Marienbad.
Der einzige Zweig der Textilindustrie, der noch mit den heimischen Rohstoffen in
engerem Zusammenhang steht, ist die Leinenindustrie. Es fehlt nicht an
Versuchen, die Anbaufläche des Flachses zu vergrößern. Die
Verarbeitung findet in den großen Spinnereien in und um Trautenau,
Hohenelbe, Eipel und in Mähr.-Schönberg, sowie in Kesmark und
Komorn in der Slowakei statt; die Weberei und Zwirnerei ist
heute nicht mehr in Nordböhmen, sondern vorwiegend im Gesenke
(M.-Schönberg, Sternberg, Freudenthal, Freiwaldau) am stärksten
vertreten.
Die Hanfspinnerei (8 Betriebe, 18 240 Spindeln) bezieht Rohstoff aus
Ungarn, Italien, Jugoslawien, die Jutespinnerei (10 Betriebe,
34 526 Spindeln) aus Indien. Der Hanf- und Juteweberei stehen 2300
Stühle zur Verfügung. Sitz dieser Industrie ist vorwiegend
NO-Böhmen.
Die Baumwollindustrie hat wohl besonders stark durch die Einengung
des Absatzgebietes gelitten und nützt ihre Fähigkeiten nur zur
Hälfte aus. Ungarn, das früher der beste Käufer für
sudetenländische Textilien war, schafft sich mehr und mehr seine eigene
Textilindustrie; manche Betriebe wanderten in das
Aus- [80] land, andere
mußten sich einschränken. 1921 wurden 3,572.022 Spindeln
gezählt, die überwiegend in
NO-Böhmen ihren Standort hatten, darunter 4 Riesenbetriebe mit
über 100.000 Spindeln und altberühmte Firmen, wie J. Liebig
(Swarow-Reichenberg), B. Schroll Sohn
(Halbstadt-Braunau) u. a. In Nordmähren ist ein wichtiger
Betrieb mit großer Färberei in Hohenstadt (H. Braß).
Jedoch auch die Slowakei hat in Rosenberg einen Riesenbetrieb von 153.000
Spindeln (Ungar. Textil A.-G.). Wiederum in denselben Gebieten liegen die
Webereien (etwa 116.000 mechanische Webstühle). Die
Strick- und Wirkwarenerzeugung wird unter anderm in Prag,
Reichenberg, Teplitz, Asch gepflegt. Die Wollindustrie, sowohl
Kammgarn-, wie Streichgarnspinnerei und Weberei
sind in Brünn und im Reichenberger Gebiet besonders stark vertreten; doch
liegen einige bedeutende Betriebe auch außerhalb dieses Gebietes, so
Spinnereien in Neudek, Görkau und Zwodau an der Eger, in Iglau, die
Fezwarenfabriken von Strakonitz und slowakische Streichgarnspinnereien in
Sillein, Losoncz u. a. Die beiden Zweige der Spinnerei
verfügen über 450.364, bzw. 650.500 Spindeln, die Weberei
über 37.526 Stühle. In der Wollweberei sind ferner
Neutitschein - hier ist auch eine bedeutende Hutfabrik
(Hückel) -, Jägerndorf, Iglau, Asch und wiederum Sillein und
Losoncz zu nennen. Maffersdorf (Ginzkey), Reichenberg, Rumburg (Pfeifer
Söhne) sind auch durch ihre Teppiche und Möbelstoffe, letzteres,
wie Humpoletz, durch Erzeugung von Decken und Kotzen bekannt.
Die Seidenweberei (14.300 Stühle) hat sich wiederum nach
NO-Böhmen und Nordmähren gezogen, desgleichen die
Plüscherzeugung. Spitzen, Stickereien und
Posamentriewaren werden im Erzgebirge hergestellt (Graslitz, bzw.
Weipert), Kunstblumen in Prag, Brünn und Schluckenau
(N.-Böhmen). Die Konfektionswarenindustrie wird in Prag,
Proßnitz und Preßburg betrieben. Proßnitz trieb starken Export
von Männerkleidern nach Osteuropa und dem Orient.
Die Eisenindustrie. Die Erzeugungs- und Verarbeitungsstätten
von Roheisen liegen teils im Westen (Kladno, Königshof, Althütten,
Hermannshütte, Nürschan, Walzwerk Teplitz der Prager
Eisenindustrie A.-G., ferner Poldihütte Kladno), teils in der Mitte des
Staates im mährisch-schlesischen Kohlenland
(Berg- und Hüttenwerk-Ges. in Trzynietz, Witkowitzer
Bergbau- und Eisenhüttengewerkschaft in Witkowitz), teils im Osten in der
Slowakei (Hernádtaler Gewerkschaft, Koburgwerke, Staatswerk
Theißholz). Von den 27 Hochöfen verfügen nur die in der
Staatsmitte gelegenen über Koks, müssen aber das Erz aus dem
Ausland (Schweden) oder aus der Slowakei beziehen. Die im W und O liegen
dagegen an den Standorten des Erzbergbaues, aber bedürfen wiederum der
kostspieligen Kokszufuhr. Außer in den genannten Werken werden
Halbfabrikate noch besonders in Rakonitz, Dobris, Hradel, Brüx, Neudek,
Zöptau, Friedland, Oderberg u. a. a. O.
hergestellt, also im Pilsener Becken und
Nord- [81]
mähren-Schlesien. Mannesmann-Röhrenwerke sind in Komotau und
Schönbrunn (Schlesien). Eine Werkzeugindustrie wird als
Heimarbeit in der Slowakei betrieben. Bedeutend sind auch die
Emailgeschirrerzeugung (27 000 t jährlich) in 26
Werken, besonders in Brünn,
Budweis, Pilsen, die Draht- und Nagelerzeugung (Saaz,
Komotau, Pilsen, Budweis, Olmütz), die Herstellung von Nadeln
in Karlsbad, die Messerschmiederei von Nixdorf in
Böhmen uff. Ein großes Zinkwerk besitzt Oderberg, ein
Kupferwerk Prag, Bleiwerke NW-Böhmen, Prag erzeugt auch
Britanniametall, das Ascherländchen leonische Waren.
Die Maschinenindustrie hat ihre Hauptstätten in Prag:
Böhm.-mähr. Kolben A.-G. für Lokomotiven, elektr.
Maschinen, Automobile usw., Maschinenbau A. G. vorm. Breitfeld,
Danek & Co., bes. für Zuckerfabrikeinrichtungen,
Böhm.-mähr. elektrotechn. Werke (Krizik), Ringhoffer Werke
(Eisenbahnwagen), Fabriken landwirtschaftlicher Maschinen,
Glühlampenfabriken uff., ferner in Pilsen mit dem Riesenbetrieb von
Skoda (jetzt A.-G.), der sich neben seiner großen Waffenschmiede auch
Maschinen-, Lokomotiven- und Automobilwerkstätten angegliedert hat,
Brünn: Erste Brünner
Maschinen-Fabrik A.-G. (Turbinen), A.-G. für Maschinenbau,
Brünn-Königsfelder Waggonfabrik u. a. Auch
Proßnitz (landwirtschaftl. Maschinen), Teplitz,
M.-Ostrau, Preßburg (Kabelfabrik A.-G.), Jungbunzlau (Laurin & Klement,
Automobile), Nesselsdorf (Waggons und Autos), Tannwald u. a.
wären hier zu nennen. Eine namhafte Einfuhr war 1922 nur bei den
Gattungen Dynamos und Elektromotoren, Textilmaschinen und
Metallbearbeitungsmaschinen zu verzeichnen, dagegen wurden exportiert:
Textilmaschinen, landwirtschaftliche Maschinen, Dampfkessel uff.
Die chemische Industrie knüpft sich teilweise an den Wasserweg
der Elbe, teils an die Standorte der Berg- und Hüttenindustrie oder, soweit
sie der Landwirtschaft dient (Düngemittel), an die großen
Ackerbaugebiete. Kunstdünger (Kolin, Schlan, Prag,
Prerau u. a.) und Superphosphate werden zumeist aus
eingeführten Rohstoffen hergestellt, Phosphatmehle dagegen beim Nucitzer
Erzberg vermahlen. Bedeutende Mengen von Ammoniumsulfat liefern die
Ostrauer Kokswerke. Vielseitig ist die Erzeugung der Werke des Vereins
für chemische und metallurgische Produktion in Aussig und Falkenau
(Ammoniumsulfat, Schwefelsäure, Salzsäure, Soda, Kalziumkarbid,
Metallsalze, Teerfarben uff.). Bedeutende chemische Werke sind auch in
Hruschau (Soda, Schwefelsäure), Petrowitz, Kolin, Nestomitz
(Ammoniak-Soda), Prerau, Sillein uff. Pottasche erzeugen die
Spiritusfabriken. Farben (eingeführte Farberden) stellen Prag, Aussig und
Budweis her, ohne den Inlandbedarf decken zu können, ätherische
Öle Prag und Aussig, Zündwaren Prag (Solo A.-G.),
Schüttenhofen, Budweis. Für die Herstellung von Kerzen, Seifen,
Margarinen kommen das Riesenwerk von G. Schicht A. G. Aussig,
ferner die Saponia Prag, die [82] Centrawerke bei
Tetschen in Betracht. Große Betriebe liegen in
Mährisch-Ostrau und bei Brünn. Sprengstoffe erzeugen
Preßburg und Rostock bei Prag (Nobel A.-G.), Gerbstoffe Bodenbach und
Teplitz, Holzteer Munkàcz, Steinkohlenteer Witkowitz uff. Auch
diese Industrien vermögen nicht ihre volle Leistungsfähigkeit
auszunützen.
[84]
Wahre Kunstwerke gehen oft aus den Händen der
sudetendeutschen Glasschleifer hervor. Die Namen Karlsbader Glas und
Gablonzer Schmuck sind jedem Kenner geläufig.
[84]
Überall in den Fabriken der Sudetenländer regten sich
eifrige Hände. Die sudetendeutsche Glasindustrie errang sich
Weltruf. Jahr für Jahr gingen in die ganze Welt fast über eine
Milliarde Kronen sudetendeutsche Glaserzeugnisse. Heute sperrt Betrieb auf
Betrieb die Tore.
|
Die Glasindustrie hat ihre vom Holz unabhängig gewordenen
Standorte teilweise aus den Waldgebirgen in das Braunkohlengebiet (Teplitz)
verschoben und bezieht auch den Glassand jetzt meist aus Sachsen. Sie ist auf
allen Gebieten sehr leistungsfähig.
Die Hohlglasindustrie erzeugt Stangen und Röhren in Gablonz und
Umgebung, maschinengepreßte Gläser in Prag, Teplitz,
Eleonorenhain (Böhmerwald), Losoncz, Gaya (Mähren), Neuwald,
Haida-Steinschönau (Kristallgläser, Flaschen in Aussig, Neusattl,
Teplitz und Dux). Die Flachglasindustrie besitzt 37 große Betriebe, solche
für Fensterglas besonders in Kl. Aujezd bei Teplitz, Brüx, die
Spiegelglaserzeugung in Karlsbad, Pilsen und Umgebung. Die berühmte
Gablonzer Glasexportindustrie (Perlen, Knöpfe, Broschen, Spangen, Steine,
Gürtelschnallen, Klammern uff. aus Metall). Mehrere hundert
Exportfirmen sind in Gablonz tätig. Ein Teil der Industrie ist nach
Deutschland und Österreich abgewandert. Japan hat den ganzen
großen asiatischen Absatzmarkt erobert.
Die keramische Industrie erzeugt Qualitätswaren für den
Export in den Porzellanfabriken (65 mit 15 - 20 000
Arbeitern), die in und um Karlsbad, Klösterle, Dux ihren Sitz haben. Sie
beziehen den Kaolin aus Zettlitz bei Karlsbad. Die Kaolinerden von Oberbris,
Dobrzan bei Pilsen dienen der Steinguterzeugung. Die
Kaolinschlämmwerke vermochten 1922 218 000 t, besonders
nach Deutschland, auszuführen. 12 Portlandzementwerke dienen der
Bauindustrie (Königshofer Zementfabrik
Prag, Podoler Zementfabrik, Stramberg-Witkowitzer Zementwerk A.-G., Ledecer
Portlandzementwerke [Slowakei], Portlandzementwerk Tschischkowitz bei
Lobositz uff.). Mehrere tausend Ziegeleien sind über das ganze
Staatsgebiet verstreut. Feine Tonwaren werden bei Teplitz und Znaim, Öfen
in Budweis hergestellt.
Die nebenstehende [Scriptorium merkt an: hier nachfolgende] Übersicht gibt
ein Bild vom Größenverhältnis der Betriebe.
Zu dieser industriellen Produktion gesellt sich der bedeutende Gewinn an
Bodenschätzen:30
Sind die Erträgnisse des Edelmetallbergbaues (Gold und Silber)
auch nicht bedeutend, so stellen sie doch Millionenwerte dar. Ähnlich
liegen die Verhältnisse im Kupfer- und Zinnbergbau und beim Abbau von
Manganerzen, Pechblende und Wolfram.
[83] Umso wertvoller sind
die Eisenerzgewinne.
Die Eisenerzlagerstätten der böhmischen Silurmulde werden am
intensivsten an dem Nucitzer Erzberg (Prager Eisenindustrie
A.-G.), dessen Spateisensteine sich für das Thomasverfahren eignen,
abgebaut. Kleinere Nester von Brauneisensteinen liegen im mährischen
Karst, Magneteisensteine bei Hammerstadt im Sazawagebiet und im Altvater,
Magnet- und Roteisensteine besonders im
Zips-Gömörer Erzgebirge. Die Hüttenwerke dieser Gebiete,
wie des früheren Erzgebietes der Beskiden benötigen aber noch
große Mengen ausländischer Erze als Zuschuß, zumal die
Inlanderze zumeist nicht erster Qualität
sind. - Reiche Graphitlagerstätten in Südböhmen
(Krumau, Schwarzbach) liefern Rohstoff für Bleistifterzeugung
(L. und E. Hardtmuth, Budweis) und die Hüttenindustrie.
West- und Nordmähren (Müglitz, Altstadt) führen
geschlämmten Graphit aus ("Moravian Blacklead") und auch die
Slowakei besitzt einige Lager (Ronapatak,
Baradna). - Erdöl wurde in der karpathischen Flyschzone
bei Egbell (Gbell) in der Slowakei erbohrt. Weitere Probebohrungen sind am
südlichen Karpathenrand im Gange. Die Einfuhrnotwendigkeit von
Erdöl ist aber bisher wenig vermindert. 7 große Petroleumraffinerien
(Pardubitz, Kolin, Kralup,
Mähr.-Schönberg, Oderfurt, Oderberg, Preßburg) verarbeiten
teils polnisches, teils rumänisches Öl. - Während den
Sudetenländern Salzlager vollkommen fehlen, sind solche in der
Ostslowakei bei Presov (Eperjes) im Salzstock von Salzburg (Sovár) und
besonders in Karpathenruthenien bei Akna-Szlatina vorhanden. Sie gehören
dem Staate. In der Slowakei hat sich die Magnesitproduktion gut
entwickelt, jedoch bleibt die Tschechoslowakei für den Bezug dieses
Minerals, das für die Herstellung feuerfester Stoffe seiner
Eisenhüttenindustrie nötig ist, von den österreichischen
Alpenländern abhängig.
[84=Fotos] [85] Reich ist der
Boden der T. auch an der Industrie dienstbaren Erden und Steinen. Die
Porzellanindustrie baut sich auf den Kaolinlagern des
Karlsbaderbeckens, Pilsenerbeckens und böhmischen Mittelgebirges auf;
Töpfertone, feuerfeste Tone, Löß sind im Egergraben,
Budweiserbecken, bei Saaz und Pilsen Grundlagen der keramischen Industrie,
ebenso in Südmähren und in der Slowakei; die Quarzsande
stützen die Glasindustrie; Granit, silurische Kalke, Kreidesandsteine und
devonische Dachschiefer, die Phonolite und Basalte liefern treffliches
Baumaterial. Große Zementwerke bedienen sich besonders der
westböhmischen Kalkmergel. Schließlich ist der
Halbedelsteine zu gedenken (Granate, Achate, Karneole, Jaspise),
welche die altberühmte böhmische Steinschleiferei verwertet.
Bekannt sind auch die Opalgruben in den Vulkangebirgen der Slowakei,
besonders die Edelopallager von Eperjes.
Schließlich ist nicht der Reichtum an Mineralquellen zu
vergessen. Er fördert den Fremdenverkehr, der zur Hebung der
Zahlungsbilanz des Staates recht wesentlich ist, und die Quellenprodukte liefern
auch Ausfuhrwerte. Dem abklingenden Vulkanismus des
nordwestböhmischen Grabenbruches und seiner Umgebung ist die
Entstehung der böhmischen Weltbäder zu verdanken.
[86]
Franzensbad. Kurplatz mit Kurhaus.
[86]
Karlsbad. Am Schloßturm.
|
Säuerlinge und das Mineralmoor von Franzensbad (gegen
Frauen- und Herzkrankheiten), die salinisch-alkalischen Säuerlinge von
Marienbad (gegen Stoffwechsel- und Herzkrankheiten usw.), vor allem
aber der Sprudel und die anderen alkalisch-salinischen Mineralquellen von
Karlsbad (gegen Magen-, Darmleiden, Hautkrankheiten; Ausfuhr von
Mineralwässern und Sprudelsalz), der Kohlensäuerling von
Gießhübl (der 10 Millionen Flaschen Tafelgetränk liefert), die
Kohlensäuerlinge von Krondorf und Klösterle, das Radiumbad von
St. Joachimsthal, die Säuerlinge von Bilin, die Bitterwässer
von Saidschitz und Püllna (Glaubersalzquellen) und die radioaktive Therme
von Teplitz (gegen Rheuma, Gicht, Verletzungen) drängen sich alle in
diesem Raum zusammen.
Der Sudetenfuß besitzt in der Therme von Johannisbad ein
geschätztes Warmbad, das karpathische Ostmähren in Luhatschowitz
eine jod- und bromnatriumführende Heilquelle. Schlesien hat im Gesenke
an Karlsbrunn (eisenhaltiger Säuerling) und Gräfenberg
(Prießnitz'sche Kaltwasserheilanstalt) besuchte Kurorte, von denen der
letzte allerdings nicht zu den geologisch bedingten gezählt werden darf.
Auch die Thermenlinie des slowakischen Waagtales und ihre Fortsetzung am
Tatrafuß in der Zips (Bad Schmecks) ist mit Kurorten besetzt, deren
Schwefelthermen starken Besuch von Gicht- und Rheumaleidenden aufweisen.
(Pystian, Trenczin-Teplitz und viele Säuerlinge im oberen Waagtale.) Auch
die anderen Täler des slowakischen Berglandes sind reich an teilweise noch
wenig bekannten Mineralquellen. Am Saum der Hohen Tatra liegen
besuchte [86=Fotos]
[87] Luftkurorte. Der Mineralwasserexport ist übrigens
außerordentlich zurückgegangen.
Damit übernahm die Tschechoslowakei rund 80 v. H. der industriellen
Gesamtproduktion Österreich-Ungarns. Den prozentualen Anteil der
Tschechoslowakei zeigt die nachfolgende Darstellung:31
[87]
Der prozentuale Anteil der Tschechoslowakei
an der industriellen Produktion Österreich-Ungarns.
|
b) Die nationalen Besitzverhältnisse
Die Feststellung der nationalen Besitzverhältnisse in der Industrie der
Sudetenländer erfährt insofern große Schwierigkeiten, als auch
im tschechischen Siedlungsgebiet Unternehmen deutscher Fabrikanten und
Aktiengesellschaften lagen. So waren die Skodawerke, die Prager Eisenindustrie
A. G. und die Wittkowitzer Berg- und Hüttenwerke bis 1918 in
deutschem Kapitalbesitz.
Nach den Wirtschaftsstatistischen Materialien32 ergibt sich für die wichtigsten
Industriezweige nebenstehende [Scriptorium merkt an:
hier nachfolgende] Übersicht:
[88] Prof. E. Pfohl hat in
einer Arbeit: "Die deutsche Industrie in der Tschechoslowakei"33 eine Untersuchung über die
nationalen Verhältnisse angestellt und ist dabei zu folgenden Ergebnissen
gekommen:
Bei einem Vergleich von 1127 Werken mit mehr als 100 Arbeitern waren 192
tschechisch, 189 gemischt und 746 deutsch. Dies entspricht einem
Verhältnis von 17 : 17 : 66. Weiter waren:
In der Textilindustrie 13% tschechisch, 13% gemischt;
74% deutsch;
Keramik, Glas, Porzellan im Verhältnis 1 : 14
deutsch;
Papier tschechisch zu deutsch 1 : 30;
Chemie 1 : 3;
Pelz-, Holz-, Nahrungsindustrie 1 : 4.
Ein Tscheche, Georg Hejda,34 hat im
Jahre 1927 in der Pritomnost eine umfangreiche Untersuchung der
nationalen Verhältnisse in der tschechoslowakischen Industrie
veröffentlicht, wobei er folgendes feststellte:
Im Steinkohlenbergbau entfielen von der Gesamtförderung zu 12,558.000
Tonnen 4,296.000 Tonnen auf tschechische, 8,262.000 Tonnen auf deutsche
Gruben. Das Verhältnis war also 34% tschechische und 66% deutsche.
Wenn man zum Vergleich eine amtliche Statistik heranzieht, so war nach dem
Cesky financnik im Jahre 1919 noch das gesamte Betriebskapital des
Bergbaues in deutschem Besitz (94% deutsch, 5,2% tschechisch).
Im Braunkohlenbergbau waren ebenfalls 80% der Förderung in deutschen
Gruben. Das Falkenau-Elbogener Revier war vollkommen in deutschen
Händen, die nordwestböhmischen,
nordmährisch-schlesischen und südmährischen Gruben zu
75% deutsch.
Die metallverarbeitenden Industrien (Gießereien, Walzwerke, Schmieden)
waren zu 67% tschechisch, 29% deutsch, 4% magyarisch. Sie beschäftigten
68% tschechische, 30% deutsche und 2% magyarische Arbeiter, dagegen 78%
deutsche Ingenieure und 52% deutsche Beamten.
Die Maschinenindustrie (Maschinen, Wagen, Lokomotiven usw.) war zu
60% in tschechischem, zu 40% in deutschem Besitz.
Im Eisenhüttenwesen betrug das Verhältnis zwischen Deutschen und
Tschechen 70% zu 30%, in der allgemeinen Maschineindustrie 82% zu 18%. In
der reinen Elektrotechnik waren die Deutschen mit 70% vertreten.
Die Textilindustrie war zu 90% in deutschen Händen.
Von 136 Fabriken für landwirtschaftliche Maschinen waren 39 in
deutschem Besitz.
[89] Die Knopfindustrie war
zu 90% deutsch. Vollkommen deutsch war die Erzeugung von
Steinknöpfen im Tetschen-Bodenbacher Gebiet, die Erzeugung von
Porzellan- und Steinknöpfen im Gablonzer Gebiet.
In den Holzindustriebetrieben waren 1921 70.000 Arbeiter beschäftigt,
davon 45% Tschechen. Die Möbelfabriken sind zu 90% deutsch gewesen,
ebenso die Musikinstrumentenindustrie.
Nach der Volkszugehörigkeit der in der Nahrungsmittelindustrie
beschäftigten Angestellten, Beamten und Arbeiter war diese zu 60%
tschechisch und 40% deutsch oder magyarisch. Weiter sind sämtliche
Kunstseidenfabriken deutsch, dagegen sämtliche Selchwarenfabriken, die
exportierten, tschechisch. Die Mühlindustrie war zu 70% tschechisch.
Rohzucker wurde zu 63% in tschechischen Werken gewonnen, dagegen wurde
Raffinadezucker zu 58% in deutschen Werken erzeugt. Die Hälfte der
Schokolade- und Zuckerwarenfabriken war deutsch.
Die Kaffeersatzmittelindustrie war zu 55% deutsch, die Bierindustrie zu 60%
tschechisch.35 Die Milchverarbeitung zu
Käse, Butter usw. wurde zu 66% in tschechischen Werken
durchgeführt.
[90] Bieten auch diese beiden
Zusammenstellungen über die nationalen Verhältnisse in der
tschechoslowakischen Industrie kein vollständiges Bild, so gewähren
sie immerhin eine Vorstellung. Von den 80% der ehemaligen
österreichisch-ungarischen Industrie, die im Jahre 1918 zur
Tschechoslowakei kamen, waren rund 80% hinwiederum deutsch.
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