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Bd. 3: Die
grenz- und volkspolitischen Folgen
des Friedensschlusses
V. Volksverkümmerung (Teil 2)
2) Volkszerreißung und Minderheitennot
Dr. Max Hildebert Boehm
Leiter des Instituts für Grenz- und Auslandsstudien, Berlin
Für jeden Kenner der Siedlungsverhältnisse und der Ausbreitung des
deutschen Volkstums in Europa war es klar, daß ein im Zeichen der
nationalen Selbstbestimmung geschlossener Friede erhebliche Teile des deutschen
Volkes in die Rolle nationaler Minderheiten in Staaten mit
zahlenmäßigem Übergewicht anderer Völker bringen
würde. Im Osten von Mitteleuropa, in der Zone, die von Finnland bis zum
Balkan hinunterreicht, gibt das sogenannte Nationalitätsprinzip, das im
19. Jahrhundert den Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen gebildet hat, zwar
einen gewissen Anhalt für eine Aussonderung nationaler Teilgebiete, aber
deren gegenseitige Abgrenzung ist fast durchweg strittig, und kein Exempel geht
im nationalstaatlichen Sinn rein auf. Ostmitteleuropa bietet das Bild eines
Völkergemenges, in dem sich die mannigfaltigsten Formen von
Heimatgenossenschaft verschiedener Völkerschaften finden. Fast
durchgängig ist das deutsche Volkstum an dieser Völkersymbiose im
mitteleuropäischen Ostraum beteiligt. Die Minderheitenfrage, die sich seit
dem Krieg an die Seite, zum Teil an die Stelle der früherem
Nationalitätenfrage schob, wurde im Augenblick des Zusammenbruches der
deutschen Machtstellung als eine deutsche Schicksalsfrage ersten Ranges
erkannt.
Die Bedeutsamkeit dieser Frage für das deutsche Volk wuchs in dem
Maße, als es in Versailles zum Bruche der Prinzipien kam, deren
Zusicherung die Voraussetzung für die Waffenstreckung Deutschlands
abgegeben hatte. Wichtigen Teilen des deutschen Volkes wurde, wie an anderer
Stelle ausgeführt worden ist, die Ausübung jeglichen
Selbstbestimmungsrechts oder dessen Berücksichtigung versagt. Die neue
Gestaltung der deutschen Grenzen lehnte sich nicht an das Bild des geschlossenen
Siedlungsgebietes an, sondern Randgebiete des deutschen Volksbodens wurden
fremder Herrschaft unterworfen und dabei in die Rolle von "unechten
Minderheiten" ("Ereignisminderheiten") versetzt, die man nunmehr den "echten",
d. h. dauernden und schicksalsmäßigen Minderheiten in
fremder Umwelt gegenüberstellte.
[420] Vom Erlebnis der Nation im Weltkrieg und der
nachfolgenden Zeit der europäischen Umwälzung her gesehen
entstehen für die Anordnung des Deutschtums vor den Toren des Reiches
gewisse Schwierigkeiten, die begrifflich noch nicht bewältigt sind. Der aus
der Vorkriegszeit stammende,
staatsrechtlich-formale Begriff des Auslanddeutschtums wirkt heute
unbefriedigend, da es uns gleichsam gegen das Gefühl geht, die
Deutschösterreicher und die Danziger als Ausländer anzuerkennen,
obwohl sie es in formalem Sinn natürlich sind. Es fehlt an einem Begriff, der
das Deutschtum dieser drei räumlich zusammenhängenden deutschen
Staatengebilde eindeutig und allgemeinverständlich zusammenfaßt.
Dieselbe Ungleichartigkeit, die wir bei diesen drei deutschen Kleinstaaten schon
unter dem Gesichtspunkt des Umfanges und des machtpolitischen Schwergewichts
feststellen, und die zudem auch ein Kennzeichen der inneren Struktur des
föderativen Deutschen Reiches ist, wiederholt sich dann beim Deutschtum
der abgetretenen Grenzgebiete. Der Siedlungsraum dieser
"Grenzaußendeutschen" deckt sich nämlich meistens nicht mit
Landschaften, die eine überkommene und anerkannte
historisch-politische Individualität bilden, sondern leidet an einer gewissen
Unklarheit der Abgrenzung nach außen hin. Unwillkürlich sehen wir
uns genötigt, die deutschen Grenzländer von den
Grenzdeutschtumsgruppen her zu konstruieren. Dabei drängt sich
dann eine Gruppierung auf, die einstweilen, namentlich vom
politisch-psychologischen Gesichtspunkt sicherlich höchst beachtlich ist, an
Bedeutsamkeit aber mit jedem Tag verliert. Das ist die Gruppierung nach dem
Vorkriegsstatus. Natürlich weisen die abgetretenen Altreichsdeutschen,
Altösterreicher deutscher Zunge, altungarländischen Deutschen und
bis zu einem gewissen Grade auch die Altrußlanddeutschen unter sich eine
weitgehende Verwandtschaft auf, die aus dem Bereich
historisch-staatlicher Prägung stammt und sich vielfach bis tief ins
Kulturelle und sogar Sprachliche erstreckt. Diese überkommenen Bindungen
lockern sich jetzt allmählich. Die Bezogenheit in der Richtung auf den
Vorkriegsstaat verblaßt, sie wird für den Nachwuchs zur bloßen
Erinnerung aus zweiter, dritter Hand, an ihre Stelle tritt die Bezogenheit auf den
jetzigen Hoheitsstaat. Um es am einem besonders sinnfälligen
Beispiel zu erläutern: Während in der heute führenden
Generation des Deutschtums in Polen die Unterschiede, die sich aus der
preußischen, österreichischen und russischen Vergangenheit ergaben,
genau übrigens wie bei den Polen selber, deutlich in Erscheinung traten,
treten diese allmählich zurück und machen bei aller Wahrung
landschaftlicher Unterschiedenheiten einer gewissen äußeren
Angleichung des Polendeutschtums Platz, die die Voraussetzung für die
Verwirklichung dessen ist, was man "die" deutsche Minderheit oder besser
Volksgruppe in Polen nennt.
[421] Dieser Vorgang der inneren Abgleichung der
außendeutschen Volksgruppen weist also eine natürliche
Doppelseitigkeit auf. Die allmähliche Abstreifung der
Vorkriegsgewöhnungen kann bei den altreichsdeutschen Gruppenteilen wie
eine politische Entfremdung gegenüber dem Reichsdeutschtum wirken.
Tatsächlich handelt es sich aber im wesentlichen um eine gewisse
Ablösung des Volklichen vom Staatlichen und damit zugleich um eine
Stärkung der autonomen, aus eigener tieferer Wurzel aufwachsenden
Volkstumskräfte. Auf diese Weise werden aber andererseits Teile des
deutschen Volkes, die aus Mangel an Berührung mit dem Muttervolk vor
dem Krieg zum Aufgehen in fremde Nationen verurteilt schienen, unmittelbar an
die deutsche Kultur und indirekt auch an das Reich als den wesentlichen
Träger deutscher Kultur in der Welt aufs neue herangeführt.
Das Zusammenwachsen deutscher Volksgruppen in den näheren oder
weiteren Nachbarstaaten des Deutschen Reiches hat aber noch eine andere Folge.
Das deutsche Volk erlebt heute mit vollem Bewußtsein in seinen
Außenposten das Schicksal einer Nationalität oder dessen, was man
heute gemeinhin eine nationale Minderheit nennt. Es sieht sich in den meisten
dieser Staaten an die Seite anderer Nationalitäten oder Minderheiten gestellt.
Auch ohne die erheblichen minderheitenrechtlichen und minderheitspolitischen
Generalisierungen, die sich aus dem Versailler System ergeben, würde das
deutsche Volk heute aus eigenster schmerzlicher Erfahrung heraus vor die
Nationalitätenfrage als solche gestellt sein. Auch das Reich und das
Reichsdeutschtum kann sich heute der Bedeutsamkeit dieser europäischen
Schicksalsfrage nicht mehr in dem Maße entziehen, wie das vor dem Krieg
der Fall war, wo man in ihr allenfalls ein spezifisch österreichisches
Problem sah und mithin nur einen indirekten Anteil auf dem Umweg über
die bundesgenössischen Verhältnisse daran nahm.
Ehe wir uns also der grundsätzlichen Seite der Frage im Hinblick auf die
Versailler Lösungsversuche zuwenden, müssen wir uns eine gewisse
Rechenschaft darüber geben, wie sich das Deutschtum heute in Form von
Minderheitsgruppen in den mitteleuropäischen Raum einordnet. Da ein
großer Teil der einzelnen Deutschtumsgruppen in den früheren
Abschnitten dieses Buches gesondert behandelt worden ist, beschränke ich
mich auf wenige andeutende Bemerkungen, an die sich eine kurze statistische
Zusammenstellung in überschläglichen Zahlen anschließt. Die
einzige deutsche Volksgruppe, die im Rahmen einer historischen
Gebietstotalität abgetreten wurde, sind die elsaß-lothringischen
Deutschen. Das ehemals preußische Deutschtum verteilt sich, soweit es
heute Minderheit geworden ist, auf Belgien, Dänemark, Litauen, Polen und
die Tschechoslowakei. In Belgien [422] trifft die größtenteils
deutschsprachige und durchgängig deutsch gesinnte Bevölkerung von
Eupen-Malmedy mit kleinen Resten des Sprachdeutschtums von Arel zusammen.
Das entscheidende nationalitäre Problem Belgiens ist im übrigen die
Auseinandersetzung der germanischen Flamen mit den romanischen Wallonen.
Gegenüber diesem typischen Nationalitätenstaat weist
Dänemark eine weitgehende nationale Einheit auf. Der Schauplatz der
Auseinandersetzung zwischen Deutschtum und Dänentum ist
ausschließlich das abgetretene Nordschleswig. Anders und wesentlich
komplizierter liegen die Dinge in Litauen. Das autonome Memelgebiet ist einem
Staat angegliedert, in dem sich noch Reste eines meist bäuerlichen oder
gewerblichen Deutschtums befinden. Es ist eine wichtige Zukunftsfrage, ob und
wieweit diese beiden sehr verschiedenartigen Deutschtumselemente zu einer
einheitlichen Volksgruppe zusammenwachsen werden. Weitere
Minderheitsgruppen sind die Polen und die Juden. Das litauische Mehrheitsvolk
umfaßt etwa 84% der innerlitauischen Bevölkerung.
Ein ausgesprochener Nationalitätenstaat ist Polen, wo das Mehrheitsvolk der
eigenen Zählung nach nur 69% erreicht, in Wirklichkeit aber dahinter noch
erheblich zurückbleiben dürfte. Zu dem ehemals preußischen
Deutschtum in
Posen-Westpreußen und Ostoberschlesien tritt das zahlenmäßig
erhebliche, ehemals zu Rußland gehörige Deutschtum in
Kongreßpolen und Wolhynien und das ehemals österreichische
Deutschtum in Galizien und
Polnisch-Oberschlesien. Die stärkste Minderheitsgruppe sind die Ukrainer
oder Ruthenen, ihnen folgen die Juden und Weißruthenen.
Ausschließlich aus ehemals russischem Herrschaftsgebiet bestehen die
beiden Ostseestaaten Lettland und Estland, deren deutsche Bevölkerung man
als Balten bezeichnet. Die Esten erreichen 88%, die Letten nur 72% der gesamten
Bevölkerung ihres Staates. Das außerordentliche Schwergewicht, das
der deutschen Bevölkerung bis zum: Umsturz namentlich auf kulturellem
und wirtschaftlichem Gebiet zukam, tritt in den zahlenmäßigen
Verhältnissen nicht zutage. In Estland ist neben der deutschen eine
erhebliche russische und eine kleine schwedische Volksgruppe vorhanden, in
Lettland sind unter den Minderheiten neben den Deutschen die Russen, Juden und
Polen vertreten.
Bezüglich der Gebietsnachfolger der aufgeteilten Donaumonarchie
müssen wir uns auf noch kürzere Angaben beschränken.
Ausschließlich österreichisches Deutschtum ist an Italien und Polen
gefallen, in den übrigen Nachfolgestaaten außer Restungarn selbst
finden wir beiderlei Deutschtumselemente heute zu neu gefügten
Volksgruppen vereinigt, in Rumänien kommen zu dem
ungarländischen und bukowinischen Deutschtum noch das ehemals zu
Rußland gehörige [423] beßarabische Deutschtum und gewisse
Siedlungen im Altreich und in der Dobrudscha dazu. So entstehen interessante
Mehrheits- und Minderheitsverhältnisse innerhalb der deutschen
Volksgruppen selber, die ebenso wie gewisse konfessionelle und soziale
Unterschiede für den inneren Assimilationsvorgang der Volksgruppe von
Bedeutung sind. In keinem der genannten Staaten ist das Deutschtum die einzige
Minderheit, die Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien tragen sogar
das Gepräge ausgesprochen polynationaler Staaten, wobei in der
Tschechoslowakei und in Jugoslawien die Einheitlichkeit des sog. Staatsvolkes
noch wesentlich weniger gesichert ist als in Polen.
Suchen wir nunmehr einen zahlenmäßigen Gesamtüberblick
über das mitteleuropäische Deutschtum zu gewinnen, soweit es in die
Rolle einer Minderheit gedrängt ist, so sehen wir uns der Schwierigkeit
gegenüber, die sich aus der Unzuverlässigkeit und vielfachen
Böswilligkeit der offiziellen Zählungen und den verschiedenartigen
Zahlungsterminen ergibt. Wir halten uns daher an mittlere Schätzungen, die
auch in Wilhelm Winklers Statistischem Handbuch für das gesamte
Deutschtum (Berlin 1927) angeführt werden und im allgemeinen etwa auf
das Jahr 1925 bezogen sind. Daraus ergeben sich als ungefährer
Anhaltspunkt folgende Ziffern:
Elsaß-Lothringen |
1 700 000 |
Belgien |
150 000 |
Dänemark |
60 000 |
Litauen |
120 000 |
Polen |
1 200 000 |
Lettland |
70 000 |
Estland |
30 000 |
Tschechoslowakei |
3 500 000 |
Ungarn |
550 000 |
Rumänien |
800 000 |
Jugoslawien |
700 000 |
Italien |
250 000 |
|
|
|
9 130 000 |
Die entscheidende Bedeutung der Friedenskonferenz für das Schicksal
dieser über 9 Millionen Deutschen liegt nun darin, daß man in
Versailles den Versuch unternommen hat, die Nationalitätenfrage für
eine große Zahl der in Frage kommenden Staaten auf eine einheitliche
Rechtsgrundlage zu stellen. Können wir anerkennen, daß der Kern des
Problems von der Friedenskonferenz wirklich erfaßt wurde, wagte man sich
wirklich an eine grundsätzliche Lösung heran oder [424] trieb man Kurpfuscherei an den Symptomen,
ohne der Krankheit wirklich Herr zu werden? Diese Frage können wir nicht
beantworten, ohne unsererseits eine grundsätzliche Untersuchung des
Problems voranzuschicken.
Zunächst gibt es einen Umkreis von Fragen, die zweifellos mit den
Minderheitenproblemen zusammenhängen, und die als
Übergangsschwierigkeiten durch den politischen Besitzwechsel ehemals
reichsdeutscher Grenzgebiete bedingt sind. Im Mittelpunkt stehen hier Fragen des
Erwerbs, der Beibehaltung oder des Verlustes von Staatsangehörigkeit, des
Niederlassungs- und des Vermögensrechts. Gewisse autoritative
Äußerungen maßgebender Völkerbundspolitiker hatten
zeitweise der Befürchtung Raum gegeben, als sähen die Vertreter der
westlichen Großmächte das gesamte Minderheitenrecht lediglich als
einen Komplex von Übergangsbestimmungen in einem etwas weiter
gefaßten Sinn an. Diese Auffassungsweise geht davon aus, daß
gewisse Bevölkerungselemente in den abgetrennten Gebieten
naturgemäß durch Bande der Herkunft, der Sprache, der
Willens- und Gefühlsgemeinschaft an das Staatsvolk geknüpft sind,
dem sie ehemals angehört haben. Damit sie sich in die neue staatliche
Zugehörigkeit hineingewöhnen und allmählich im Staatsvolk,
dem sie nunmehr angehören, aufgehen, gälte es, gewisse nationale
Velleitäten in ihnen zu schonen, nicht um ihren Sondercharakter auf die
Dauer zu wahren, sondern um diesen auf eine klügere und wirksamere
Weise Schritt für Schritt aufzulösen.
Zu dieser Auffassung verführt insbesondere der westeuropäische
Nationsbegriff, der durch die französische Revolution geprägt wurde.
Nation im westlichen Sinn ist nicht sowohl durch einen Bereich kultureller
Eigenwerte als vielmehr durch eine demokratisch aufgefaßte
staatsbürgerliche Gesinnung bestimmt. Natürlich gibt es gewisse
staatsbürgerliche Aufgaben, z. B. die militärische Dienstpflicht,
die im Zeitraum des Übergangs eine besondere psychologische Härte
darstellen können und zeitweilige Sonderbestimmungen rechtfertigen. Den
Kern der Frage betreffen sie nicht. Dieser ist überhaupt nicht in der
Neuordnung der Grenzen nach dem Krieg wesenhaft begründet, sondern
vielmehr durch eine Reihe von Begleitumständen der staatlichen
Neugliederung Europas seit Versailles zu einem noch heikleren und dringlicheren
Anliegen zahlloser europäischer Völker, darunter auch des deutschen
geworden. Ehe praktische Fragen wie die sogenannte Kulturautonomie
institutionell gelöst werden können, ist die theoretische Frage zu
beantworten, ob es sich dabei um die Behandlung eines Ausnahmefalls handelt
oder ob und inwieweit die Lösung der Autonomie im Wesen des Volkstums
selber angelegt ist und wie dieses Wesen überhaupt auf der politischen
Ebene in Erscheinung tritt. Diesen Kern des [425] Problems gilt es zu erfassen, ehe die
Weiterentwicklung des Nationalitätenrechts durch den Versailler
Diktatfrieden und deren praktische Auswirkung geschildert werden kann. Nur auf
dieser Grundlage ist ein Urteil darüber möglich, wie weit die neuen
Grenzziehungen und die Schaffung der internationalen Instanz des
Völkerbundes einen Fortschritt in der Problemlösung bedeuten oder
nicht.
Es gibt im Bewußtsein jedenfalls des zeitgenössischen Europa eine
Erscheinung, die sich einer exakten und befriedigenden Begriffsbestimmung noch
in weitem Umfang entzieht und die wir vorläufig mit dem noch ziemlich
jungen, in fremde Sprachen schwer eindeutig übersetzbaren Ausdruck
Volkstum bezeichnen wollen. Die konkreten und sondernationalen
Erscheinungsformen von Volkstum meinen wir, wenn wir vom Deutschtum,
Polentum, Schwedentum usw. sprechen.1 Für das deutsche
Sprachempfinden steht dabei im Mittelpunkt der Inbegriff der betreffenden
nationalen Kultur als lebendige Wertfülle, nicht als abstrakte Qualität
an Einzelnen oder an Gruppen.
Die soziologische Fachwissenschaft hat bis auf unsere Tage die eindringlichere
Erforschung der Erscheinung des Volkstums erheblich vernachlässigt.
Gemeint wird im üblichen Sprachgebrauch ein Ausschnitt aus dem
allgemeinen Bereich menschlicher Kultur und Gesittung, wobei heute unkritisch
unterstellt wird, daß die nationalen Kulturen, die Volkstümer, sauber
aneinander grenzen und sich nicht überschneiden und durchdringen, wie das
in Wirklichkeit unzweifelhaft der Fall ist. Somit wird man unter Volkstum streng
genommen den Versuch verstehen müssen, um den Mittelpunkt eines
sondergearteten Volksgeistes, einer personartigen Volksseele herum eine
Sonderkultur so zu gruppieren, daß sie gerade aus diesem Zentrum heraus als
ein organisches Ganzes, als sinnvolle Einheit im Mannigfaltigen der Geschichte
verständlich wird. Dadurch rückt von selber dasjenige Kulturgut in
den Vordergrund, das gleichsam am eindeutigsten die Volksindividualität
widerspiegelt: die Sprache. Sie stellt den reinsten und allgemeinsten Ausdruck
volkstümlicher Sonderart dar, an ihr haben in jedem Augenblick und von
früh auf alle Glieder des Volkes gemeinsamen Anteil, das Beharrende und
das sich Verändernde im Volkscharakter kommt in ihr getreulich zum
Ausdruck. In ihrem reinen und klaren Element treten auch unmittel- [426] bar die Zusammenhänge mit anderen
Kulturen, vermittelt durch Entlehnung und Einverleibung von
Bestandstücken aus anderen Sprachen, in Erscheinung. Ihr Reichtum an
Wortbildungen und
Ableitungs- und Verbindungsmöglichkeiten umreißt den Umfang
dessen, was sich ein Volk in seinem Volkstum aus der unendlichen Fülle der
Welt wirklich zu eigen gemacht hat.
Um die Sprache als besonders hervortretendes Symbol volkstumhafter
Gemeinschaft gruppieren sich dann die Sitten, Gewöhnungen,
Werthaltungen, religiösen Gehalte, Kultformen und Bräuche, sowie
alle weiteren kulturellen Gestaltungen und Formen, in denen sich ein Volkstum
entfaltet. Zugleich aber steht die Sprache gewissermaßen im Kreuzungspunkt
zwischen der Volksgemeinschaft der gleichzeitig lebenden Träger eines
Volkstums und der
Personen- und Geschlechterkette, auf der im Längsschnitt der Zeit der
Fortbestand eines Volkstums ruht. Volkstum wird nicht nur in einer Gegenwart
immer neu verwirklicht, sondern es ist ererbt und will weiter gezeugt und vererbt
werden. Auf einer
individuell-psychologischen Entwicklungsstufe, auf der uns die Kunst, die
Religion, die Sitte unseres Volkes jedenfalls nicht zum Bewußtsein kommt,
treten wir in der Erlernung der Muttersprache bereits das kardinale Erbe an, um es
dereinst im nächsten Geschlechterumschlag an unsere Kinder
weiterzugeben. Freilich ist es damit noch nicht geschehen. Wir können unser
Volkstum in unserer Sprache nur darleben, wenn über diesen elementaren
Vererbungsvorgang im Schoß der Familie hinaus unserem Sprachleben ein
gewisser Spielraum gewährleistet bleibt und wenn überdies im
Zeitalter allgemeinen Schulbesuchs die arteigene Schule als Vermittlerin unseres
Volkstums das grundlegende Werk der Sprachübermittlung organisch
ausbauen und fortführen kann. In ihr und in anderen Einrichtungen des
volkstümlichen Bildungswesens vollzieht sich dann eine gewisse Auslese.
Unterschiede der Begabung oder der äußeren Umstände
ermöglichen nicht jedem Individuum die gleichmäßige
Teilnahme an den Gütern des Volkstums in extensivem Sinne. Die
schöpferischen sondern sich von den nur aufnehmenden Naturen, das tote
oder absterbende scheidet sich vom lebendigen und fortzeugenden Erbe. Im Ernst,
in der Willenskraft und Selbstzucht, im Opfermut, den ein Volk oder eine
Volksgruppe an das Erkämpfen und Durchhalten volkstümlicher
Bildungseinrichtungen wendet, äußert sich zentral die Lebenskraft der
nationalen Substanz, die Fähigkeit des inneren Zusammenhalts, das
Verantwortungsbewußtsein vor der Vergangenheit und für die
Zukunft.
So erweist sich, daß eine jede soziologische und auch jede politische und
rechtliche Betrachtung des Volkstums, das man an sich quantitativ nicht messen
kann, immer im Zusammenhang mit einem [427] Volkskörper, einem Volksganzen steht
und dieses gleichsam am Rande in den Begriff des Volkstums mit hinein nimmt.
Und es zeigt sich weiter, daß der Lebensvorgang eines Volkstums zwar
gewissermaßen eine vegetative Grundlage hat, für die Zusammenhalt
und Vererbung kein Bewußtseinsproblem ist, daß aber schon der
Ausblick über den engsten persönlichen Lebenszusammenhang hinaus
und ebenso die Erweiterung der primitiven elterlichen Erziehung zu einem
institutionellen Bildungswesen Entscheidungen voraussetzt, die mit dem Aufprall
des überkommenen
Sprach- und Kulturbestandes auf fremde Sprachen, fremde Kulturelemente,
fremdes Volkstum zusammenhängen.
Hier erwachsen bedeutsame Konflikte, die an sich im Wesen der Entfaltung der
Kultur als solcher wurzeln und deshalb auch beim Binnenvolkstum eine Rolle
spielen, die sich aber da besonders verschärfen müssen, wo in enger
heimatlicher oder staatlicher Lebensgemeinsamkeit vielerlei Volkstum aufeinander
stößt, wo Völker und Volkstümer sich unmittelbar
begegnen, sich durchdringen oder einander abstoßen. In solcher
Völkersymbiose tauchen scheinbar theoretische Fragen der Abgrenzung und
Zuordnung auf, die sich namentlich in der Gegenwart zwangsläufig in
schwere praktische Konflikte umsetzen. Die Zuordnung erheblicher Gruppen zu
diesem oder jenem Volkstum ist zweifelhaft und umstritten. Es ist überdies
eine unleugbare soziologische Tatsache, daß Einzelpersonen und ganze
Volksgruppen, ganz abgesehen von ihrer staatsbürgerlichen
Zugehörigkeit und Gesinnung, an den Elementen verschiedener Kulturen
Anteil haben können. Es gibt z. B. Fälle, wo die rein
sprachliche Gemeinschaft, vielleicht sogar im Zusammenhang mit dem Moment
der Selbstbestimmung, in einer Richtung weist, Religion, Sitte, soziale Struktur
und historische Schicksalsgemeinschaft nach einer anderen. Es gibt
Grenzfälle der nationalen Psychologie und nicht nur der
Völkergeographie.
Theorie und Praxis stehen damit vor großen Schwierigkeiten. Aus ihnen ist
der Streit um das sogenannte
Objektivitäts- und Subjektivitätsprinzip in der Minderheitenfrage
erwachsen, der zum Teil auf unklarer Begriffsbildung und auf interessenbedingter
Tendenz beruht. In der Theorie ist nicht zu leugnen, daß es sowohl für
den Einzelnen, wie für ganze Bevölkerungsgruppen objektive
Grundlagen ihrer Volkszugehörigkeit gibt. Es bedarf keines
persönlichen Bekenntnisses, um zu entscheiden, daß ein Bauer in
Thüringen oder ein Kaufmann in Turin bis zum Erweis des Gegenteils als
Deutscher bzw. als Italiener seinem Volkstume nach anzusehen ist.
Praktisch-politische Schwierigkeiten entstehen aber im allgemeinen nicht beim
sogenannten Binnenvolkstum, sondern in Grenzräumen, wo historische
Völkerbewegungen, Vermischungen und
Durchdringun- [428] gen stattgefunden haben. Hier vollzieht sich eine
Aufspaltung der objektiven Erkenntnisgrundlage für die Nationalität
vielfach bis zu dem Maße, daß eine eindeutige Zuordnung selbst
für das völlig tendenzfreie Urteil zur Unmöglichkeit wird.
Gewiß spielen die objektiven Grundlagen der Volkszugehörigkeit
auch hier eine große Rolle, aber sie dienen zugleich zum Argument und zum
Gegenargument, sie stehen mitten im Streit der Parteien. Infolgedessen bilden sie
keine geeignete Unterlage für die Zuerkennung oder Aberkennung
bestimmter Rechte und Pflichten.
Wo nach Lage der Dinge das Volkstum in seinem objektiven Urgrund aufgespalten
ist, tritt ein subjektiv bedingtes Erkenntnismoment praktisch an die erste Stelle: das
persönliche Bekenntnis des Einzelnen zu seiner Volkszugehörigkeit.
Das ist der Sinn des sogenannten Subjektivitätsprinzips, das als rein
praktischer Grundsatz nicht dahin mißverstanden oder überspannt
werden darf, als würde die objektive Seite der Volkszugehörigkeit
geleugnet. Das Bekenntnis des Einzelnen, das zugleich für seine Kinder gilt,
wird vielmehr als die letzte rechtlich faßbare Grundlage für die
nationale Spezifizierung einer Bevölkerung in Gemengelage anerkannt. Und
dadurch wird dieser subjektivistische Faktor tatsächlich zur
vielumkämpften Grundlage des gesamten modernen
Nationalitätenrechts.
Dieses Bekenntnis beinhaltet primär nicht einen Willen zu einer bestimmten
staatlichen, sondern zu einer kulturellen Zugehörigkeit, und zwar mit der
Tendenz des Wurzelns, Beharrens und Überdauerns in diesem kulturellen
Lebenszusammenhang. Es ist auf einen sachlichen Bereich, auf einen Inbegriff von
Werten gerichtet, der im Volkstum zusammengefaßt wird, es ist zugleich
aber das Bekenntnis der schicksalhaften Verbundenheit mit einer Gruppe: das
Bekenntnis zum Volkstum schließt die Zugehörigkeit zur Volksgruppe
in sich, denn Volkstum ist in jedem Sinn, der sich auf eine rechtliche oder auch
politische Regelung bezieht, nicht als ein individueller, sondern als ein kollektiver
Lebens- und Bewußtseinsbestand anzusprechen. Da jede Regelung
kollektiver Lebensvorgänge zum mindesten eine politische Seite aufweist,
läßt sich ein scharfer Schnitt zwischen nationalkultureller
Selbstbehauptung und Politik nicht ziehen. Aber auch die Abgrenzung der
nationalen Kulturpolitik gegen die Staatspolitik im besonderen ist in
Grenz- und Gemengegebieten schwierig. Denn das natürliche
Bedürfnis nach dem Gebrauch der Muttersprache erstreckt sich nicht
gleichsam oasenhaft auf das Bildungswesen, das durch mannigfache Bande mit der
Staatsverwaltung und Staatsregierung selbst im Fall der Kulturautonomie
verbunden bleibt, sondern es strahlt in den gesamten Lebensumkreis des Einzelnen
aus. Und die Widerstände, auf die es dabei stößt, sind
keineswegs allein von praktisch-rationeller Natur.
[429] Handelte es sich für den freien
Sprachengebrauch auch eines Minderheitsvolkstums lediglich um die Grenze einer
wohlverstandenen Staatsraison, so würden zahllose Konflikte vermieden
werden, von denen das zeitgenössische Europa widerhallt. In Wahrheit
entscheiden aber heute in den landläufigen Sprachschwierigkeiten Europas
nicht Erwägungen der politischen oder verwaltungstechnischen Vernunft,
sondern irrationale Faktoren, die man weder ohne weiteres anerkennen noch
gemeinhin verwerfen kann und die in ihrem
soziologisch-psychologischen Zusammenhang noch
verhältnismäßig wenig erforscht und durchleuchtet sind. Zum
großen, vielleicht zum überwiegenden Teil handelt es sich heute auf
beiden Seiten um Prestigemomente, die nicht leicht wiegen. Die Anwendung einer
bestimmten Sprache in einem bestimmten sozialen Zusammenhang, z. B.
vor Behörden, vor Gericht, im Parlament, hat in nationalen Kampfgebieten
fast durchgängig eine demonstrative Bedeutung. Die Sprache ist in solchen
Kampfgebieten das bevorzugte Mittel zur Geltendmachung des Volkstumes und
seiner über den Einzelfall weit hinausgehenden Ansprüche. Der
Sprachenzwang ruft die Reaktion des Sprachentrotzes hervor und umgekehrt. Die
Zuspitzung der Volkszugehörigkeit auf ein gesinnungsbetontes Bekenntnis
hat zur Folge, daß die Würde des Staates und der Stolz der
unterdrücken Volksgruppe allenthalben ins Spiel gerät, und daß
die vielleicht nur "äußerliche" Anwendung der einen oder anderen
Sprache in bestimmten sozialen Zusammenhängen
gesinnungsmäßig gedeutet wird und eben deshalb auch
Mißdeutungen im eigenen und im fremden Lager ausgesetzt ist. Dieser
Zustand führt stellenweise zu grotesk anmutenden Einzelerscheinungen. So
bemüht sich z. B. ein Polizist in Prag, an den eine deutsche Frage
gerichtet wird, nunmehr mit dialektgeschärftem Ohr zu unterscheiden, ob
ein Reichsdeutscher oder ein einheimischer Sudetendeutscher zu ihm spricht.
Für den letzteren versteht er kein Deutsch, dem anderen antwortet er willig
in der altgewohnten österreichischen Staatssprache. Andere Reisende haben
sogar die Erfahrung gemacht, daß man in ostmitteleuropäischen
Hauptstädten vom Amt um deutsche Angabe der Telephonnummer gebeten
wird, wenn man es zunächst auf Französisch versucht, während
eine sofortige deutsche Angabe im Interesse des staatssprachlichen Prestiges zum
Abbruch der diplomatischen Beziehungen seitens des Telephonfräuleins
führt. Auf dem Grund dieser das Komische streifenden Symptome ruhen
aber sehr ernste Fragen. Es gibt umgekehrt Fälle, wo sich Führer der
Minderheiten selber ernstlich darüber beschweren, daß ihr Kampf um
die öffentliche Geltung der Minderheitssprache dadurch sabotiert wird,
daß der Minderheitsangehörige in Fällen, wo ihm der Gebrauch
der Muttersprache rechtlich zugestanden ist, freiwillig die Staatssprache
ver- [430] wendet, nicht aus Vorliebe für diese oder
aus einfacher Bequemlichkeit, sondern aus Gesinnungsschwäche und
Opportunismus, weil er beim Beamten und der Behörde ein willigeres Ohr
für seine persönlichen Anliegen zu finden hofft, wenn er dem
sprachlichen Prestigebedürfnis des Mehrheitsvolkes schmeichelt. Soweit
also versucht wird, die hier an Beispielen erläuterten Akte demonstrativer
Volkstumsgeltung im Medium der Sprache irgendwie durch geschriebene oder
ungeschriebene Normen zu regeln, läuft es auf die Frage hinaus, ob und wie
weit ein Komment, eine Austragsform auf der Grundlage gegenseitiger
Ehrerbietung auch im Volkstumskampf, auch zwischen staatsführendem und
Minderheitsvolkstum durchgesetzt werden kann.
Hinzu kommt aber ein weiteres. In Grenz- und Mengegebieten ist die Bewahrung
und Vererbung des Volkstums keine selbstverständliche, fast unmerkliche
Angelegenheit wie im Binnenraum, sondern die Volkstumsfrage stellt den
Einzelnen dauernd vor Entscheidungen. Dieser Entscheidungen ist er auch dann
nicht überhoben, wenn objektiv befriedigende Institutionen zur Wahrung der
Kultur auch des Minderheitsvolkstumes vorhanden sind. Dabei verläuft eine
Skala von Haltungen von der selbstbewußten, mitunter auftrumpfenden
Überbetonung über zähe Bewahrung des Volkstums durch
opportunistisch schwankende Gleichgültigkeit, allmähliche Preisgabe,
bewußten, möglicherweise bezahlten Volksverrat bis zu der
"wiedergewonnenen Unschuld" des fanatischen Chauvinismus auf der Gegenseite.
Die Folge oder jedenfalls die Begleiterscheinung dieses Zustandes ist, daß
der Einzelne von verschiedenen Volkstümern umworben wird, oder
daß doch die einzelne Volksgruppe ihrerseits in irgendeiner Richtung auf die
Haltung des Einzelnen zu drücken und diese zu beeinflussen sucht. Man
kann in diesem Sinne in den genannten Gebieten einen dynamischen Charakter des
Volkstums feststellen, während es im Binnenland ein weithin statisches
Gepräge zeigt. Seine Dynamik verläuft dort jedenfalls auf ganz
anderer Bewegungsebene. Die oben angedeuteten Akte, in denen sich die Geltung
eines Volkstums sinnfälligen Ausdruck verschafft, haben daher nicht
lediglich den Sinn einer Demonstration, sondern zugleich den der Werbung, der
Propaganda. Da die demokratische Vorstellungswelt der Gegenwart von
Mehrheitsverhältnissen beherrscht ist, und da auch die Staaten untereinander
wesentlich mit den Massen ihres Raumes und ihrer Bevölkerung
aufeinanderdrücken, wirft sich der Wachstumstrieb gerade biologisch
entkräfteter oder kleiner Völker, vornehmlich solcher in staatlich
führender Stellung, auf die Assimilation fremdvölkischer
Landesmiteinwohner. Gerade der in der kulturellen Substanz kraftlose nationale
Ehrgeiz zukunftsschwacher Kleinvölker entzündet sich
zunächst an Orgien der Demütigung, Ent- [431] rechtung und Unterdrückung
gegenüber fremden Volkselementen, um sich dann für die geringen
Aussichten der Intensivierung der eigenen Kultur durch extensiven Seelenfang an
den zu Metöken und Heloten herabgedrückten
Fremdstämmigen schadlos zu halten.
Diese Volkstumskämpfe um Selbstbehauptung und um anerkannte Geltung,
Macht und Wachstumsmöglichkeit vollziehen sich jedoch nicht gleichsam
im soziologisch leeren Raum, sondern werden von Menschen und Gruppen
getragen, die auch in andern Solidaritäten stehen und die nun alle
Reserven des Selbstbewußtseins und der Kraft, die ihnen aus anderen
Bereichen zuströmen, bewußt oder unbewußt im nationalen
Kampf einsetzen. Ein nicht seltener Fall ist der, daß nationale Grenzen bis zu
einem gewissen Grade mit konfessionellen überein gehen. Hier wechselt das
Individuum für sich oder jedenfalls für seine Nachkommen mit dem
Glauben zugleich das Volkstum. Religiöse Missionierung ist dann in der
Absicht oder in der Wirkung Volkstumswerbung. Eine andere Möglichkeit
ist das Zusammentreffen von nationalen und sozialen Grenzen, etwa in dem Sinn,
daß in einem bestimmten Gebiet Oberschicht und Unterschicht, Stadt und
Land ganz oder überwiegend dem einen und dem anderen Volkstum
angehören. Soziale und wirtschaftliche Verschiebungen haben, worauf von
ihrer marxistischen Anschauung aus besonders die österreichischen
Sozialdemokraten Otto Bauer und Karl Renner mit relativem Recht hingewiesen
haben, auf nationalem Gebiet schwerwiegende Folgen. Soweit diese
wirtschaftlich-soziale Dynamik ihren eigenen Gesetzen vielleicht im Rahmen
größerer Räume und umfassenderer Bewegungen folgt, bietet
sich hier nur ein Schlüssel der Erkenntnis, vielleicht auch der Prognose
für Volkstumsbewegungen. Aber auch für die Volkstümer ist
Wirtschaft letzten Endes nicht Schicksal, sondern Waffe. Wo also in
Grenz- und Menggebieten Macht über die Wirtschaft vorhanden ist, da ist
auch volkspolitische Macht gegeben. Und es fragt sich wiederum, ob und in
welchem Maße Möglichkeiten der rechtlichen Regulierung dieser
Machtausübung und Machtauswirkung bestehen: eine Frage, die für
manche Volksgruppen geradezu entscheidend ist.
Das oberste und entscheidende Machtwerkzeug aber ist die Staatsgewalt. Ob sie
sich jeweils wirklich in Händen der Regierung oder irgendwelcher anderen
Gewalten befindet, kann dabei völlig dahingestellt bleiben. Die
Auffassungen über Sinn, Rechtsgrund und Grenzen der Staatsgewalt
wechseln in der Geschichte. Im gegenwärtigen Europa hat die Anschauung
praktisch das Übergewicht, daß die Staatsgewalt das Werkzeug eines
durch Mehrheitsbeschlüsse zu ermittelnden Volkswillens ist, und daß
die Pflege, Erhaltung und Steigerung einer nationalen Sonderkultur für den
Sinn des Staates der Regel nach konstitutiv ist. Der vorherrschende Typ ist mit
anderen [432] Worten der demokratische Nationalstaat auf der
Grundlage der Volkssouveränität. Sowie also die
Selbstbestimmungsformel von der Innenpolitik, wo sie das demokratische
Verfassungsideal verkündet, nach außen gewendet wird,
erwächst aus ihr der Irredentismus mit der Formel: Ein Volk, ein Staat!,
deren Umkehrung - ein Staat, ein Volk! - dann die Assimilationspolitik mit
Hilfe der Staatsgewalt rechtfertigt. Bedenkt man ferner, daß zweifellos
jedem Staat kulturschöpferische Kräfte innewohnen, daß
allenfalls große Religionsgemeinschaften den Wettbewerb mit ihm
aushalten, während Kulturen aus sich selber heraus höchstens
zeitweise, aber kaum auf die Dauer zu bestehen und sich weiter zu entwickeln
vermögen, dann ergeben sich für die Aussichten des Volkstums in
Streu- und Insellage unter fremdstaatlicher Oberhoheit zweifellos sehr ernste und
tief begründete Gefahren.
Denn die herrschende Lehre von der kulturumspannenden und
kulturgestützten Allgewalt und absoluten Souveränität des
Staates, in dessen Machtfülle sich der Mehrheitswille der
Bevölkerung verkörpern soll, gibt faktisch der Mehrheitsvolksgruppe
in gemischtvolklichen Staaten die stärksten Machtreserven in die Hand, die
sich heute denken lassen. Die Omnipotenz des Staates schließt
nämlich wenigstens dem Anspruch nach die Herrschaft über
Bildungswesen und Wirtschaft ein und ist auch bei Trennung von Kirche und Staat
praktisch in der Lage, wenigstens bis zu einem gewissen Grade sogar die geistliche
Gewalt dem nationalen Ehrgeiz,
Macht- und Geltungswillen und dem Wachstumsstreben des Mehrheitsvolkes
dienstbar zu machen. Innerhalb dieses unsere Zeit beherrschenden Staatstyps
gerät das Minderheitsvolkstum allerdings in eine scheinbar hoffnungslose
Lage. Da aber andererseits das Fortbestehen, ja die Verschärfung der
Nationalitätenfrage trotz staatlichen Neuschöpfungen und
Einführung der modernen Demokratie sowohl das Friedenswerk von
Versailles wie den demokratischen Staatsgedanken einer schweren.
Diskreditierung aussetzen müßte, ist das Bestreben der
Friedenskonferenz begreiflich, aus der demokratischen Gedankenwelt selbst heraus
eine Lösung oder wenigstens den äußeren Anschein einer
solchen zu finden. Damit dürften wesentliche Motive für die
Einrichtung des völkerbundlichen Minderheitenrechtsschutzes berührt
sein.2
Eine Frage für sich ist, ob der Friedenskonferenz die Tragweite der [433] damit angerührten Probleme auch nur von
fern klar geworden ist. Die Notstände, die man befürchtete und die
wohl vielfach als Übergangsschwierigkeiten mißverstanden wurden,
bewegen sich durchaus auf der Oberfläche. Fassen wir dem gegenüber
das Genannte zusammen, um den Kern der Probleme herauszuschälen. Man
war im Begriff, nach dem Nationalitätsprinzip, das jetzt
Selbstbestimmungsrecht hieß, das europäische Staatenbild
umzustürzen. Man gab zur Balkanisierung der Randzone von Finnland bis
zum Balkan teils seine Zustimmung, teils führte man sie bewußt
herbei. Man unterstellte Träger reifer historischer Kulturen Staatsgebilden,
die aus dem Aufstand ressentimentgeladener Unterschichtsvölker
hervorgegangen waren. Man gab diesen Völkern über Nacht alle
Institutionen an die Hand, die der europäische Westen als Ergebnis eines
tausendjährigen politischen Erziehungsvorganges in seinen alten
Kulturvölkern ausgebildet hatte. Man verleibte auch diesen älteren
Kulturstaaten nationale Fremdkörper ein. Und überall verleitete die
herrschende Ideologie dazu, den Willen der Mehrheit mit dem Willen der
Bevölkerungsgesamtheit in eins zu setzen und das zerrüttete Recht,
das nur noch in den angelsächsischen Ländern eine gewisse
Selbständigkeit gegenüber dem Staat bewahrt hat, den Parlamenten
als Organen des Mehrheitswillens widerstandslos auszuliefern. Was sollte in
diesem System des
parlamentarisch-demokratischen Europa von 1919 aus den im ganzen auf etwa
40 Millionen zu beziffernden Bevölkerungsgruppen werden, die in den
Staaten, für deren Abgrenzung die Friedenskonferenz die Verantwortung
trug, in der Rolle einer ständigen Minderheit blieben und, von der Walze der
Assimilierung bedroht, mit ihrem Heiligsten, mit den. Werten ihrer Religion, ihrer
Abstammung und Sprache der Vernichtung durch überwältigenden
Mehrheitsdruck in Gesetzgebung und Verwaltung wehrlos ausgesetzt sein
mußten?
Dem Präsidenten Wilson, der die selbstsichere Geste des Welterlösers
erst ganz allmählich mit der kleinlauten Haltung eines enttäuschten
Idealisten vertauschte, als der er in seinen Memoiren sich der Nachwelt empfiehlt,
war das wichtige europäische Problem der staatlichen Organisation
nationaler Mischgebiete offenbar vollkommen fremd. Die Klagen der
österreichischen Nationalitäten, die namentlich durch die
amerikanischen Beziehungen Masaryks mit maßlosen Übertreibungen
und in gehässiger Einseitigkeit an ihn herangebracht wurden, die
Zügellosigkeit der polnischen Propaganda und den ganzen Wirrwarr des
Staatengründungs- und Grenzzerreißungsfiebers, das sein
Selbstbestimmungsprogramm auslöste, vermochte er weder nach der Seite
der wahren Motive und Absichten, noch der [434] Folgen für die Wohlfahrt Europas und der
Welt zu überschauen. Er glaubte primitiv an das Nationalitätsprinzip,
wie es schon der Politik Napoleons III. zum Aushängeschild diente,
darüber hinaus war sein expansiver doktrinärer Demokratismus vom
Ehrgeiz besessen, dem Repräsentativsystem und der absoluten
Volkssouveränität eine Gasse zu bahnen. Dabei wurde ihm schwerlich
bewußt, wie sehr gerade in diesem System, das aus der
Nationalitätenfrage ein Minderheitenproblem machte, die
Lebensgefährdung wertvoller Volkstümer in weiten Teilen des
heutigen Europa wurzelt. Im übrigen aber suchte er zum Ausgleich aller
Schönheitsfehler seines Friedenswerkes den Völkerbund
durchzusetzen, den er sich allerdings sicherlich in wesentlich höherem
Maße als ein
politisch-dynamisches Organ und damit als ein Instrument allmählicher
Friedensrevision dachte, als das in Wirklichkeit eingetreten ist. Auch die
Übertragung der Kontrolle des Minderheitenrechtsschutzes an den
Völkerbund fügt sich also folgerichtig in das System Wilson,
für dessen unheilvolle Folgen Amerika gegenüber dem Erdteil, dem
es seine Kultur verdankt, die schwere geschichtliche Verantwortung
trägt.
Da die Polen und Tschechen zeitweise in einen wahren Wilsontaumel verfielen,
der in den Namen von Bahnhöfen, Straßen usw. und in
Denkmälern seinen überdauernden Niederschlag gefunden hat, darf
vielleicht daran erinnert werden, daß die neuen Staaten auf dem Boden der
österreichisch-ungarischen Monarchie in den
Völkerbundsentwürfen Wilsons in einem sehr seltsamen
Zusammenhang auftauchen. Im ersten Entwurf findet sich nur der aus den
Vorarbeiten des Oberst House entnommene Passus, wonach Grenzrevisionen, falls
sie infolge Änderung der nationalen Verhältnisse und
Ansprüche und der sozialen und politischen Beziehungen notwendig
werden, nach dem Prinzip der Selbstbestimmung und auf Grund einer
qualifizierten Mehrheit der Delegierten durchgeführt werden
können.3 Allerdings sind die Vorschläge
von House praktisch
dadurch nahezu entwertet, daß die Zustimmung der Völker für
die Grenzänderung zur Bedingung gemacht wird. Die Vorschläge des
südafrikanischen Delegierten General Smuts werden wesentlich konkreter
und wollen den Völkerbund mit der staatlichen Neuaufteilung ehemals
russischer,
österreichisch-ungarischer und türkischer Länder betrauen,
jegliche Annexion von Seiten eines Siegerstaates, also z. B. von Italien
ausschließen und jegliche Autorität, Kontrolle und Verwaltung
über diese Länder unbeschadet ihrer Selbstbestimmungsautonomie
dem Völkerbund übertragen. Damit wurde die
ostmitteleuropäische Frage in engsten Zusammenhang mit dem
Mandatsprogramm
gebracht, wobei wohl mit Absicht die deutschen
Ko- [435] lonien im Hinblick auf die englischen
Annexionsabsichten unerwähnt blieben. Im zweiten
Völkerbundsentwurf Wilsons vom 10. Januar 1919 bleibt der entwertete
Passus über territoriale Revision erhalten. In Anlehnung an Smuts werden
aber jetzt in einem Atem die ehemaligen Gebiete
Österreich-Ungarns und der Türkei und die bisherigen Kolonien des
Deutschen Reiches dem "Völkerbund als Hauptkurator mit Hoheitsrecht zur
letzten Verfügung oder zur dauernden Verwaltung" anheimgegeben. Dabei
sollte der Völkerbund prinzipiell gebunden sein, keine Annexion dieser
Gebiete zuzulassen und dafür zu sorgen, daß bei der künftigen
Regierung dieser Völker und Territorien der Grundsatz der
Selbstbestimmung oder die Zustimmung der Regierten zu der Form ihrer
Regierung fair und vernunftgemäß angewendet werden soll.4 Auch
ihre gegenseitigen Beziehungen regelt der Völkerbund. Nun freilich taucht
als besondere Bestimmung auf: "Der Völkerbund soll von allen neuen
Staaten verlangen, sich als Vorbedingung ihrer Anerkennung als
unabhängige und autonome Staaten zu verpflichten, allen
Rassen- oder nationalen Minoritäten innerhalb ihrer einzelnen Jurisdiktion
genau die gleiche Behandlung und Sicherheit dem Gesetz wie der Tatsache nach zu
gewähren, die der
Rassen- oder nationalen Majorität ihres Volkes zugestanden werden." Es
stehen also nebeneinander theoretisch geregelte, aber praktisch unwirksame
Möglichkeiten der Grenzrevision, eine von voller Souveränität
weit entfernte Autonomie der Neustaaten und ihre bloße Verpflichtung auf
bürgerliche Gleichstellung von Minderheitsangehörigen. Zudem ist
eine höchst unglückliche Verquickung der
ostmitteleuropäischen Neuregelung (unter Außerachtlassung der
ehemals russischen und reichsdeutschen Gebiete in Europa) mit der namentlich
für England, aber auch für Japan so überaus wichtigen
kolonialen
Annexions- und Mandatsfrage erzielt. Hierauf legt der amerikanische
Generalmajor Tasker H. Bliss den Finger. Er weist in seinem Memorandum vom
14. Januar 1919 darauf hin, daß Großbritannien die Vereinigten
Staaten in Ostmitteleuropa mandatsmäßig auf dem Umweg über
den Völkerbund engagieren wolle, um seinerseits eigene
Mandatsansprüche geltend machen zu können. In der Tat sollte nach
den damaligen Vorschlägen von Smuts und Wilson der Völkerbund
das Recht haben, seine Mandatsfunktion einzelnen Staaten zu übertragen. Im
dritten Entwurf Wilsons bleiben die genannten Bestimmungen im wesentlichen
erhalten. Es werden nur Möglichkeiten aufgezeigt, die "vormundschaftliche
Oberaufsicht und Verwaltung des Völkerbundes" allmählich
abzubauen und volle Souveränität zu erlangen. Allerdings soll dem
Völkerbund ein Aufsichtsrecht über die gegenseitigen Beziehungen
[436] der neuen Staaten erhalten bleiben. Der Passus
über die Gleichberechtigung der nationalen Minderheiten wird durch eine
religiöse Toleranzverpflichtung ergänzt.
Der britische Entwurf von Lord Robert Cecil vom 20. Januar 1919 enthält
wesentlich vorsichtigere Bestimmungen über Grenzrevision. Der
Völkerbund kann nach eigenem Ermessen auf Grund veränderter
Verhältnisse Grenzrevision empfehlen und ist im Fall von deren Ablehnung
nicht mehr verpflichtet, diese Grenzen gegen den Angriff anderer Staaten zu
schützen. Minderheitenrechtliche Regelungen werden nicht einmal unter den
allgemein vorzuschlagenden Konventionen genannt.
Im Hurst-Millerschen Kompromißentwurf, der der Diskussion im
Völkerbundsausschuß zugrunde lag und zuerst am 3. Februar 1919
eingebracht wurde, ist die katastrophale Verschlechterung offenbar. Der
Revisionsparagraph fehlt völlig, von den neuen Staaten ist nicht mehr die
Rede, sondern nur noch von überseeischen Mandatsgebieten, auch der
Minderheitenparagraph ist verschwunden.
Somit war in der Völkerbundsdebatte von Versailles die peripherisch
aufgetauchte europäische Nationalitätenfrage völlig auf das tote
Geleise geraten. Es bedurfte eines neuen Anstoßes, um sie ins Rollen zu
bringen, bis sie dann schließlich doch in die Bahn des
Völkerbundsprojekts einlief, wie es als Zerrbild ursprünglicher
Absichten und Möglichkeiten schließlich historische Wirklichkeit
erlangte. Dieser Anstoß ging von den Juden aus, die in Paris eine emsige
Tätigkeit entfalteten und durch ihre Beziehungen zu sämtlichen
verhandelnden Regierungen in der Lage waren, den Sorgen und Wünschen
Ausdruck zu geben, die namentlich die Wiedererstehung Polens und dessen
künstliche Aufblähung durch die französische Politik in ihnen
im Hinblick auf ihre starke Diaspora in Kongreßpolen erweckte.
Der französische Rechtsgelehrte Fouques Duparc, dem wir eine der
umfassendsten wissenschaftlichen Behandlungen des modernen
Minderheitenrechts verdanken, schildert ausführlich, wie die Juden ihre
Propaganda auf den Generalnenner des Schutzes aller Minderheiten brachten.
Ihrem praktischen Einfluß war die Tatsache günstig, daß ihre
Wünsche sich hauptsächlich gegen Polen und Rumänien
richteten. Die Regelung der polnischen Frage war für die Alliierten am
dringlichsten, weil sie im unmittelbaren Zusammenhang der zunächst
fälligen Abmachungen mit dem Deutschen Reich stand. Zeitweise hat man
an Sonderklauseln zugunsten der Juden gedacht. Da man aber aus naheliegenden
Gründen die minderheitsrechtlichen Bestimmungen für die neu
geschaffenen oder stark erweiterten Staaten generell und schematisch anlegen
wollte, und da sich im Fall Polens die Notwendigkeit aufdrängte, einen
gewissen Schutz der [437] abgetretenen deutschen Bevölkerung
sicher zu stellen, kam man hiervon ab, so daß die jüdische Initiative
mittelbar der Gesamtbehandlung der Frage und namentlich auch den
Rechtsschutzbestimmungen für das Deutschtum zugute kam.
Es kann hier aus Raummangel nicht im einzelnen dargelegt werden, in welcher
Weise der jüdische Einfluß in Paris zu einem Kanal wurde, durch den
die nationalitätenrechtlichen Theorien der österreichischen
Sozialdemokratie (Renner, Bauer) der Friedenskonferenz nahegebracht wurden.
Dieses Programm, das aus der österreichischen Erfahrung und der dortigen
keineswegs auf die Sozialdemokratie beschränkten Vorarbeit erwachsen
war, hatte in den letzten Jahren vor dem Krieg und während desselben die
Erörterung der Juden in Rußland und namentlich in
Kongreßpolen stark beschäftigt.5 Freilich waren die starken
autonomistischen Tendenzen, die die jüdische Aktion sich zu eigen gemacht
hatte, in Paris fast völlig wirkungslos, obwohl sie sich mit der
Vorstellungswelt des angelsächsischen Rechts weithin begegneten, die
Temperley als die andere Quelle der Minderheitenschutzverträge
kennzeichnet.6 Auch wurde der jüdische
Vorstoß dadurch
geschwächt, daß bezüglich der Auffassung als
Glaubens- oder Nationsgemeinschaft im jüdischen Lager selber keine
Einhelligkeit vorhanden war. Auch dürfte an das Komitee, das dem Rate der
Vier erst am 14. Mai den Entwurf eines Minderheitenschutzvertrages mit Polen
vorlegte, auch die Vorarbeit wenigstens bis zu einem gewissen Grade
herangebracht worden sein, die während des Krieges unter
Treuhänderschaft nationaler Sachverständiger geleistet worden ist
und an der der sudetendeutsche Jurist Professor Laun einen erheblichen Anteil
gehabt hat.7
Das praktische Ergebnis dieser vielfältigen Bemühungen war freilich
mager genug. Es besteht in einem Minderheitenschutzvertrag, der zunächst
zwischen den alliierten und assoziierten Hauptmächten und Polen
gleichzeitig mit dem Friedensvertrag abgeschlossen und späterhin
u. a. auf die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Jugoslawien
ausgedehnt wurde. Von den übrigen Staaten, in denen [438] Deutsche als Minderheit wohnen, sind noch
Litauen, Lettland und Estland zu nennen, die bei ihrem Eintritt in den
Völkerbund entsprechende Verpflichtungen übernahmen. Ohne
Rechtsschutz dieser Art bleiben die Deutschen in Frankreich, Belgien,
Dänemark und Italien. Der Kern der Nationalitätenfrage, wie wir ihn
in den Eingangsausführungen herauszuschälen suchten, wurde bei
dieser Regelung kaum berührt. Ausgesprochen das Gepräge von
Übergangsregelungen tragen die Bestimmungen über den Wechsel der
Staatsangehörigkeit. Diese erhalten ihre praktische Bedeutung von
großer Dauerwirkung dadurch, daß die Pseudonationalstaaten die
Tendenz haben, den zahlenmäßigen Bestand der Minderheiten
dadurch herabzudrücken, daß sie deren Gliedern den Übergang
in die neue Staatsangehörigkeit erschweren oder in konkreten Fällen
bestreiten, um einen Rechtstitel für Aberkennung politischer Rechte oder
für Abschiebung zu haben. Über die Differenzen, die in dieser
Hinsicht gerade zwischen dem Deutschen Reich und Polen entstanden sind, wird
an anderer Stelle dieses Buches berichtet.
Den Kernpunkt der Minderheitenschutzverträge stellt die Sicherung der
rechtlichen und tatsächlichen Gleichheit der Behandlung aller
Staatsangehörigen dar, die einer völkischen, religiösen oder
sprachlichen Minderheit angehören. An sich ist die Gleichheit vor dem
Gesetz ein selbstverständliches Postulat jeder demokratischen Verfassung.
Hier aber soll jede Ausnahmegesetzgebung und jede Ausnahmebehandlung durch
die Verwaltung ausgeschlossen werden, die sich gegen
Minderheitsangehörige richtet. Namentlich die Interpretation eines so
vorzüglichen Kenners der praktischen Minderheitenrechtsfragen wie Carl
Georg Bruns hat gezeigt, daß dieser Punkt theoretisch von weitergehenden
Konsequenzen ist, als man ihm auf den ersten Blick ansieht.8
Ausgehend von der Gleichheit wird dann für die nationale Freiheit ein
gewisser Bezirk abgesteckt. Der freie Gebrauch jeder beliebigen Sprache wird im
privaten Leben gesichert und es werden auch für den Gebrauch vor Gericht
Erleichterungen gewährt. Insbesondere sollen die
Minderheitsangehörigen ein gleiches Recht haben, auf ihre Kosten
Wohlfahrts-, religiöse und soziale Einrichtungen, sowie
Schul- und andere Erziehungsanstalten zu errichten, zu leiten und zu
beaufsichtigen und in ihnen ihre Sprache frei zu gebrauchen und ihre Religion frei
auszuüben. Darüber hinaus wird der Staat verpflichtet, überall
da, wo fremdsprachige Staatsangehörige "in beträchtlichem
Verhältnis" wohnen, auch im öffentlichen Unterrichtswesen
angemessene Erleichterungen für Elementarunterricht in der [439] Muttersprache seinerseits zu schaffen und diesen
einen gerechten Anteil an den öffentlichen Aufwendungen für
Erziehung, Religion und Wohlfahrtspflege zu sichern.
Dieses bescheidene, durch die dehnbare Fassung weithin gefährdete
Ausmaß an Rechten der nationalen Minderheiten wurde unter eine doppelte
Garantie gestellt. Einmal mußte sich Polen verpflichten, die entsprechenden
Bestimmungen zum unabänderlichen Teilstück seiner Verfassung zu
machen. Weiterhin aber wurde die Aufsicht über die Durchführung
dem Völkerbund übertragen. Wird eine Verletzung der
Minderheitenschutzverpflichtungen zur Tatsache oder droht eine solche, dann ist
der Völkerbundsrat zu entsprechenden Maßnahmen befugt. Auch ist er
berechtigt, beim Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag Gutachten
über strittige Fälle des Minderheitenrechtsschutzes einzuholen. Die
Minderheit selber hat keinen Rechtsanspruch darauf, vom Rat gehört zu
werden oder durch eine Beschwerde ein Verfahren wegen Verletzung ihrer
Gerechtsame zu erzwingen.
Dieses völkerrechtlich garantierte Minderheitenrecht ist also das einzige
Ergebnis, das jahrzehntelange theoretische und praktische Vorarbeit, namentlich
im alten Österreich-Ungarn, die Bemühungen zahlreicher Kommissionen und
gelehrten Körperschaften, die Staatskunst von Männern, die sich
anmaßten, durch ihre Weltreformen allen Anlaß für
künftige Kriege aus der Welt zu schaffen, auf einem Gebiet zuwege
brachten, das mit der Entstehung, der Dauer, den Auswirkungsformen und mit den
unmittelbaren Folgen des Krieges in engster und schmerzlichster Berührung
stand. Bei den Staaten, die sich einer solchen völkerrechtlichen
Sonderbehandlung ausgesetzt sahen, erweckte diese Regelung eine Erbitterung,
von der vorauszusehen war, daß sie auf dem Rücken der Minderheiten
ausgetragen werden würde. Diese Staaten beschwerten sich bitter über
angebliche Eingriffe in ihre Souveränität und bemängelten die
Beschränkung auf eine kleine Anzahl von Staaten.
Wortführer der Opposition in der geschlossenen Vollsitzung vom 31. Mai
war der rumänische Vertreter Bratianu. In jener Sitzung antwortete Wilson
und später hat Clémenceau namens der Hauptmächte in einem Brief
an Paderewski das Vorgehen der Konferenz zu rechtfertigen gesucht. Die
Unaufrichtigkeit und Unfolgerichtigkeit des Verfahrens liegt auf der Hand.
Temperley gesteht als Historiker der Friedenskonferenz ruhig zu, daß jeder
Versuch einer Verallgemeinerung angesichts des Widerstandes derjenigen Staaten,
denen gegenüber die Konferenz keine Druckmittel hatte, zum Scheitern
verurteilt gewesen wäre. In die Augen fiel die Inkonsequenz, daß auf
alle Fälle Bulgarien weder ein neu gebildeter noch ein erheblich
vergrößerter Staat war und trotzdem zum Minderheitenschutz
verpflichtet [440] wurde. Und bezüglich Österreichs
wäre immerhin zu bemerken, daß man es zwar hier als neu gebildeten
Staat einreihte, ihm aber aus tributpolitischen Gründen das Recht entzog,
sich durch den Namen
Deutsch-Österreich von der Identität mit dem alten Österreich
loszusagen.
Namentlich der Brief von Clémenceau ist ein Dokument von einer
bemerkenswerten inneren Verlogenheit. Er verschanzte sich hinter die formale
Analogie mit dem religiösen Minderheitenschutz im Berliner Vertrag und
bezeichnete ebenso wie Wilson die Übernahme dieser
völkerrechtlichen Bindungen sozusagen als Kaufpreis für die
Anerkennung der Selbständigkeit bzw. des erweiterten Grenzbestandes
durch die Großmächte. Schon die Behauptung, daß Polen den
Anstrengungen und Opfern der genannten Mächte seine
Unabhängigkeit verdanke, ist eine historische Unwahrheit, da ohne den Sieg
der Mittelmächte über Rußland eine Wiederherstellung Polens
undenkbar gewesen wäre. Irgendein Zweifel an der Aufrichtigkeit des
Wunsches Polens, die allgemeinen Prinzipien von Gerechtigkeit und Freiheit zu
wahren, läge in dieser Maßnahme nicht beschlossen. Ebenso fern
läge den Hauptmächten eine Bevormundung Polens, da die Errichtung
des Völkerbundes und des Haager Gerichtshofes eine individuelle oder
kollektive Intervention, wie sie früher vorgesehen gewesen wäre,
gerade ausschlösse. Schon das bloße Bestehen dieser Garantien
würde sicherlich die Versöhnung der Nationalitäten in Polen
erleichtern. Der Gleichheitsparagraph sei tatsächlich in allen zivilisierten
Staaten sichergestellt. Einer Andeutung des Briefes von Clémenceau wird man
ferner entnehmen dürfen, daß die Beschränkung der
Verpflichtung zu öffentlichem deutschem Unterricht auf die
preußischen Abtretungsgebiete infolge des polnischen Widerstandes
nachträglich eingefügt ist.
Es ist nicht unsere Aufgabe, gegen ihre Freunde im Westen ausgerechnet Staaten in
Schutz zu nehmen, die sich durch Raub an deutschem Land und Gut bereichert
haben. Auch dürften die leider im einzelnen nicht bekannten Beteuerungen,
durch die die polnische Regierung sich diesen völkerrechtlichen Bindungen
zu entziehen suchte, an Verlogenheit hinter den Argumentationen Clémenceaus
kaum zurückstehen. Die nationale Unduldsamkeit der Polen ist weltnotorisch.
Sie hat sich ebenso an den Litauern ausgewirkt, wie an den slawischen
Brüdern, den Ruthenen, in Galizien während der letzten Jahrzehnte
der österreichischen Herrschaft. Und es ist in diesem Zusammenhang recht
lehrreich, was Max Rosenfeld, an sich ein verständnisvoller Freund des
polnischen Wiederaufrichtungswillens, schon 1918 zu diesem Punkt schreibt.9 Er
nennt die Polen in dieser [441] Hinsicht die reaktionärste Gesellschaft
und setzt sie zu den Toleranzakten von Litauern, Russen und Ukrainern
gegenüber den Juden in Gegensatz. Keine dieser Nationen galt bisher als
übermäßig philosemitisch oder minderheitenfreundlich.
Ebensowenig wie in der Vergangenheit und selbst in Zeiten seiner
Zerstückelung und Unterdrückung hat Polen nach seiner
Wiederherstellung irgendeinen ernsthaften Versuch gemacht, durch
schöpferische nationalitätenrechtliche Regelungen aus eigener
Initiative die Sorgen der Kulturwelt zu zerstreuen, als deren unberufener Anwalt
Clémenceau in Versailles trotz allen Beschönigungsversuchen auftrat.
Aber jene Ausführungen richten sich ja in Wahrheit keineswegs allein an
Polen, sondern sie sollen das System des Versailler Minderheitenrechtsschutzes
überhaupt rechtfertigen. Die Signatarmächte des Berliner Vertrages
haben sicherlich nicht beansprucht, daß das Maß an religiöser
Freiheit, das sie den jungen Balkanstaaten auferlegten, den tatsächlichen
Standard des damaligen Europa überschritte. Es handelte sich also wirklich
um Prinzipien, die der gesellschaftlichen Organisation des damaligen Europa
bereits seit langem zugrunde lagen. Hier aber warfen sich zu Wortführern
"allgemein gültiger" nationaler Freiheit und Gleichheit Vertreter eines
politischen Systems auf, das in Wirklichkeit den Lebensinteressen von
Minderheitsvolkstümern auf der ganzen Linie zuwider läuft.
Inzwischen hat der französische demokratische Zentralismus Gelegenheit
gehabt, in Elsaß-Lothringen den Beweis zu erbringen, wie sich auf
nationalitärem Gebiet die Prinzipien auswirken, "qui sont à la base de
l'organisation sociale dans tous les Etats de l'Europe". Es läuft auf eine
nichtswürdige Bagatellisierung des unendlich schwierigen und
verantwortungsvollen Nationalitätenproblems im modernen Europa hinaus,
wenn man es als durch die geltenden demokratischen Prinzipien bereits
gelöst bezeichnet und das landläufige Walten von "Freiheit und
Gleichheit" nur durch einige praktisch wenig wirksame völkerrechtliche
Garantien krönt. Jede bestandhafte Lösung der
Nationalitätenfrage involviert im Gegenteil Bindungen auf Seiten der
Nationalität und des Staates und erfordert die Anerkennung einer
tiefgehenden Ungleichheit in den Volkskörpern fast aller
europäischen Staaten, die in gewissen Grenzen Sondermaßnahmen
und Sonderbehandlung von Fall zu Fall, von Volksgruppe zu Volksgruppe, von
Staat zu Staat unerläßlich machen.10 Und schon das Genfer
Abkommen über Oberschlesien hat gezeigt, daß auch solche
Sonderabmachungen durchaus ihre völkerrechtliche Regelung finden
können.
[442] Damit befinden wir uns bereits in der
grundsätzlichen Kritik an den Maßnahmen, die das Diktat von
Versailles uns und einigen hauptbeteiligten Staaten auferlegt hat. Genau wie die
Grenzziehungen trägt der Pariser Minderheitenschutz den Stempel der
Halbheit und Unehrlichkeit an der Stirn. Ihm fehlt die Universalität selbst im
Sinn der Anwendung auf alle nationalitären Fragen, die unmittelbar durch
die staatliche Neuordnung von Versailles ausgelöst wurden. Ihm fehlen
jegliche konstruktiven Gesichtspunkte, die der Mannigfaltigkeit und
Verschiedenartigkeit der nationalitären Teilfragen Rechnung tragen. Ihm
fehlt der tatkräftige Wille, Rechtsfragen vor einer Verfälschung in
politische Machtfragen zu bewahren. Das Verfahren schematisiert und isoliert die
einzelnen Volksgruppen und reißt sie aus ihrem natürlichen
konnationalen Zusammenhange heraus. Temperley rühmt es als einen
Vorteil des Verfahrens, daß das Deutsche Reich nicht in der Lage sein
würde, sich unmittelbar wegen Mißhandlung einer deutschen
Minderheit bei dem betreffenden Staat einzusetzen. Bekanntlich ist dieses Prinzip
später in Gestalt des Statuts der sog. Dreierkommission noch
vervollkommnet worden. Schließlich aber hat der
westeuropäisch-individualistische Ausgangspunkt der Problemlösung
die Folge, daß höchstens schwache Ansätze gleichsam durch
Summierung entstandener Kollektivrechte in dem Vertrage nachweisbar sind. Die
Gewährung von Autonomie, die der Friedenskonferenz
antragsmäßig von jüdischer Seite vorgelegt war, ist
bewußt und ausdrücklich abgelehnt worden. Damit ist auch ein Weg
versperrt worden, der den Volksgruppen denjenigen Grad an juristischer
Personalität hätte verschaffen können, der den Weg auch zu
einem geordneten Klagerecht vor dem Völkerbund erleichtern würde.
Dem Minderheitenrechtsschutz ist ein charitativer Charakter aufgeprägt
worden, der die Würde der Volkstümer und den politischen Ernst der
Probleme, um die es sich handelt, in gleicher Weise verletzt. Vielleicht von einem
gewissen Vorteil für die Juden, dagegen von größtem Nachteil
für die deutschen Minderheiten ist auch die Grundkonstruktion, wonach die
Minderheitenschutzverträge zwischen den deutschfeindlichen
Hauptmächten und dem deutschfeindlichen Herbergsstaat geschlossen und
das Deutsche Reich selber völlig aus der Vertragskonstruktion ausgeschaltet
wurde.
Unsere Darstellung der praktischen Auswirkungen dieses Versailler
Minderheitenschutzverfahrens kann sich ziemlich kurz fassen: Einmal, weil das
Ergebnis der Völkerbundstätigkeit auf diesem seinem wichtigsten
Funktionsgebiet ganz außerordentlich enttäuscht hat, wie das
z. B. auch vom nichtdeutschen Standpunkt aus auf den Genfer
Nationalitätenkongressen von 1928 und 1929 zum Ausdruck kam, [443] und weiterhin, weil andere Abschnitte dieses
Buches die Einzelheiten anführen.
In diesem Zusammenhang ist zunächst über die Entwicklung der sog.
Verfahrensfrage zu berichten. Der wesentliche Träger des
Minderheitenschutzes ist der Völkerbundsrat. Jedes Mitglied des Rates kann
dessen Aufmerksamkeit auf eine tatsächliche oder drohende Verletzung des
Minderheitenrechts lenken, wobei die Petitionen der Minderheit selber nur
informatorische Bedeutung haben.
Die Behandlung der Minderheitenpetitionen steht seit Jahren im Vordergrund der
Erörterung all der Körperschaften, die sich moralisch für den
Völkerbund und seine Entwicklung einsetzten, also der
Völkerbundligen, der interparlamentarischen Unionen, des
Nationalitätenkongresses usw. Die Petition wird zunächst vom Leiter
des Minderheitensekretariats beim Völkerbund auf ihre formale
Annahmefähigkeit geprüft und bei positivem Ausfall dieser
Vorprüfung der betroffenen Regierung zugestellt, die unter Innehaltung
bestimmter Fristen darauf reagieren kann. Mit den etwaigen Bemerkungen der
Regierung kommt die Petition dann in die Hände der Ratsmitglieder. Der
Präsident bildet sodann mit zwei von ihm ernannten Ratsmitgliedern die
Dreierkommission, die die Eingabe prüft. Ehe das Deutsche Reich in den
Völkerbund eintrat, setzte die Tschechoslowakei durch, daß dieser
Dreierkommission nicht angehören dürfen Vertreter des unmittelbar
betroffenen Staates, eines Nachbarstaates und eines der klagenden Minderheit
konnationalen Staates. Da die Dreierkommission geheim verhandelt und
über ihre Tätigkeit keine Berichte an den Rat erstattet, hat sie sich
praktisch als ein Filter erwiesen, das nur ein geringer Prozentsatz der eingereichten
Petitionen zu durchdringen vermag. Da die Möglichkeit zu einem sog.
kontradiktorischen Verfahren fehlt und die Minderheit über die Einreichung
der Klage hinaus nichts unternehmen kann, so daß praktisch der betroffene
Staat das letzte und meist ausschlaggebende Wort erhält, kann die ganze
Institution der Dreierkommission mit Recht als ein Mittel zur Sabotage des
völkerbundlichen Minderheitenschutzes bezeichnet werden, und wird auch
von Seiten der Minderheiten als solches aufgefaßt. Der Wunsch nach einer
ständigen Minderheitenkommission beim Völkerbund ist bisher
unerfüllt geblieben. Über den Umfang der eingereichten Petitionen
und ihr Schicksal ein klares Bild zu gewinnen, ist angesichts dieser
Geheimniskrämerei, von der selbst der Rat betroffen wird,
außerordentlich schwierig. Man ist auf Schätzungen und Vermutungen
angewiesen.11
[444] Die entscheidende Wirkung der Versailler
Regelung der Minderheitenfrage ist daher mittelbarer Natur. Die Unterstellung
eines noch so dürftigen und schematischen Minderheitenrechtsschutzes
unter die Kontrolle des Völkerbundes hat die Souveränität
sämtlicher europäischen Staaten bis zu einem gewissen Grade
aufgelockert und den nationalitären Zustand in ihrem Innern zum
Gegenstand einer legitimen öffentlichen Kritik gemacht. Und mit dieser
Kritik ist nicht mehr wie in früheren Zeiten die Presse und politische
Literatur allein, sondern die offizielle Diplomatie und außenpolitische
Apparatur der Staaten befaßt worden. Das ist, wie immer man es bewerten
will, eine Wendung, die die heutige Lage der Nationalitäten grundlegend
von der in der Vorkriegszeit unterscheidet. Der diplomatische Sittenkodex, auf
Grund dessen im alten Österreich unsere deutschen Volkstumsinteressen
geradezu unter dem Schutz des Bündnisses verletzt werden konnten,
gehört der Vergangenheit an. In einem politisch-moralischen Sinn zum
mindesten, dessen Tragweite nicht unterschätzt werden sollte, hat das
Interventionsprinzip über die starre gegenseitige Abschließung der
Staaten unter Berufung auf ihre "Souveränität" gesiegt.
Demgegenüber sind die Staaten bezüglich der Politik, die sie ihren
fremdvölkischen Gruppen gegenüber befolgen, in eine Haltung der
Verteidigung gedrängt, die sich nicht nur in den Parlamenten, sondern auf
zahlreichen internationalen Konferenzen äußert.
Unterdrückungspolitik als solche ist nicht verhindert, kaum wesentlich
eingeschränkt, vielfach der früheren Zeit gegenüber gesteigert
worden. Aber die Brutalität, Willkür und Sinnlosigkeit solcher
Maßnahmen tritt deutlich, gleichsam nackter in Erscheinung. Diese
Unterdrückungsmaßnahmen gelten nicht mehr als ein
selbstverständlicher Ausfluß der Souveränität, sondern
sie sind in ihrem Rechtscharakter problematischer geworden und werden nicht
mehr auf die normale Staatsraison, sondern auf bestimmte
Verfassungs- [445] formen, Nationalcharaktere, reaktionäre
Gewöhnungen u. dgl. zurückgeführt.
[445]
Nationalitätenkarte Mitteleuropas.
Die vorstehende Skizze zeigt die Hauptsiedlungsgebiete der
Schicksals- und Zufallsminderheiten in Europa, ohne sie jedoch zu
unterscheiden. Das gegebene Bild ist nur ein annäherndes, denn die
weitverstreuten jüdischen Niederlassungen, z. B. in Polen,
entziehen sich der Darstellung auf Karten so geringer Größe.
Die Ostslawen im Sowjetgebiet sind nicht als Minderheiten verzeichnet,
nur Deutsche, Westslawen usw.; ebensowenig sind die Flamen in
Belgien oder die Völker in der Schweiz als Nationalitäten
kenntlich gemacht.
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Zudem hat gerade der Schematismus der Minderheitenschutzverträge einen
theoretischen Standard von Minderheitenrechten geschaffen, die freilich für
den Gesichtspunkt der betroffenen Minderheiten selbst eine Art
Minimalprogramm, für die Staaten vielfach [446] ein maximales Entgegenkommen darstellen.
Dieser Maßstab übt einen praktisch zunächst wenig wirksamen,
aber immerhin deutlich spürbaren moralischen Druck auch auf diejenigen
Staaten aus, die keine internationalen Verpflichtungen eingegangen sind. Vielleicht
den sichtbarsten Niederschlag hat diese innere Wendung der
Nationalitätenpolitik in der Erörterung über den Sinn der
Minderheitenschutzverträge gefunden, die den Völkerbund Jahre
hindurch beschäftigt hat und die dank dem moralischen Mut von Stresemann
in seinem letzten Lebensjahr einen gewissen Abschluß zugunsten der
Minderheiten gefunden hat. In einer berühmt gewordenen Ratsrede vom
9. Dezember 1925 führte der Brasilianer Mello Franco aus, daß es nicht
der Sinn der Minderheitenschutzverträge sei, die Nationalitäten als
Fremdkörper im Staat zu konservieren, sondern vielmehr die "Herstellung
der vollkommenen nationalen Einheit" schrittweise anzubahnen. Diese
Erklärung, die höchste Unruhe und Empörung ausgelöst
hat, erhielt ihr besonderes Gewicht durch die Zustimmung von Chamberlain, der
die Assimilationsthese noch schärfer herausarbeitete. Erst im Frühjahr
1929 ist diese These auf Grund des Vorstoßes von Stresemann
ausdrücklich fallen gelassen worden. Das Problem des Ausgleichs zwischen
Minderheitenrechten und Staatsinteresse hat jetzt die Bedeutung einer
gemeineuropäischen Fragestellung, wobei es offenbleiben mag, ob die
fernere Entwicklung sich mehr der Gewinnung einer allgemein befriedigenden
Normallösung oder einer differenzierenden und individualisierenden
Fülle von Teillösungen zuwenden wird.
Diese vom Versailler Ausgangspunkt bestimmte Entwicklung mit ihrer Spannung
zwischen geschützten und ungeschützten Volksgruppen hat nun
für das deutsche Volkstum eine ganz besondere Bedeutung gewonnen. Sie
tritt zunächst vorwiegend in Mitteleuropa zutage. Die neue Gruppierung des
mitteleuropäischen Deutschtums stellt auch die auslanddeutschen Gruppen
vor innere Angleichungsprobleme, die eine gewisse Parallele in den
Vorgängen haben, die sich aus der teils vollzogenen, teils angebahnten
Neugliederung im Innern des Reichs im Rahmen der Weimarer Verfassung
ergeben. Das außendeutsche Gegenstück zu dieser stellt der freilich
nur ganz schmale Rahmen dar, in den die deutschen Volksgruppen Mitteleuropas
durch den normalisierenden und zentralisierenden Minderheitenrechtsschutz
gespannt werden. Gewiß hinkt dieser Vergleich wie alle Vergleiche und darf
beileibe nicht gepreßt werden. Aber er hellt auch mancherlei auf und
erleichtert dem Binnendeutschen das Verständnis für Entwicklungen,
die ihm gemeinhin völlig fremd bleiben. Unbeschadet der in der eignen
Struktur und in der engeren staatlichen Umwelt begründeten Sonderlage
machen heute die außendeutschen Volksgruppen den Prozeß einer
gegenseitigen Abgleichung [447] durch, der in vieler Hinsicht vielleicht das
wichtigste indirekte und übrigens durchaus unbeabsichtigte Ergebnis des
Systems von Versailles ist.
Diese Abgleichung, die der alten österreichischen Formel von der
"deutschen Gemeinbürgschaft" einen neuen präziseren Sinn gibt, hat
ihren äußeren Niederschlag in einem "Verband der deutschen
Volksgruppen in Europa" gefunden, der zwar in seinen Elementen nicht
vollständig ist und keineswegs die ganze Fülle und Tiefe der
außendeutschen Gemeinsamkeiten erschöpfen mag, der aber für
die internationale Rechtswahrung und Repräsentation und für die
Anbahnung geordneter Beziehungen zum Stammvolk und Binnendeutschtum keine
geringe Bedeutung aufweist.12 Dieser Zusammenschluß, der eine
sichtlich anregende Wirkung auch auf andere Völker, wie die Magyaren,
Polen und Russen ausgeübt hat, bildet einen ersten
politisch-juridischen Lösungsansatz für das, was ich das Problem der
Konnationale genannt habe.13 Das innere Recht auf den
konnationalen Zusammenschluß ist dann namentlich durch den
Europäischen Nationalitätenkongreß von 1928 lebhaft betont
worden. Durch die konnationalen Kongresse der Polen, Magyaren und Russen, die
1929 stattgefunden haben, ist dieses Recht besonders bekräftigt worden. Es
stellt eine der bemerkenswertesten Errungenschaften der Nachkriegszeit dar.
Es liegt auf der Hand, daß die zwischenstaatliche Zusammenarbeit der
gleichnationalen Volksgruppen gerade aus den Voraussetzungen heraus, die der
Versailler Minderheitenrechtsschutz geschaffen hat, auch die Zusammenarbeit der
Nationalitäten untereinander anregen mußte. Zwar wiederholt sich auf
dieser Ebene die doppelte Richtung einmal der gegenseitigen Abgleichung der
Minderheiteninteressen verschiedener Nationalitäten in ein und demselben
Staat und dann auch der gelegentlichen Zusammenfassung aller
europäischen Nationalitäten. In der Tat haben seit 1925
alljährlich in Genf derartige alleuropäische
Nationalitätenkongresse stattgefunden, auf denen die Führer der
deutschen Volksgruppen im Ausland eine beachtliche Plattform für die
Überprüfung ihrer Ideen und Erfahrungen auf allgemeine
Anwendbarkeit hin gefunden haben.
Diese Versuche einer internationalitären und einer konnationalen
Zusammenarbeit boten nun auch eine bisher unbekannte Möglichkeit,
örtliche und besondere Lösungsversuche der
Nationalitätenfrage, die nicht aus dem Geiste des Versailler
Minderheitenschutzes [448] stammen, ja die ihm geradezu feindlich
gegenüberstehen, über den Rahmen der einzelnen Volksgruppen
hinaus zu propagieren und andere Außengruppen der eignen Nation, ja
fremde Nationalitäten für sie zu gewinnen. Eine Einrichtung aus der
Vorkriegszeit, der sogenannte Volksrat, hat namentlich als Instrument der
nationalitären Revolutionierung Österreichs und Preußens noch
bis in die erste Zeit nach dem Kriege eine Rolle gespielt. Dann scheint er in
ziemlich weitem Maße verkümmert zu sein. Eine gewisse Fortsetzung
seiner Idee bildet die sogenannte Kulturautonomie, die nach dem Krieg von den
Deutschen in Estland verwirklicht und verfassungsmäßig verankert
worden ist, und die auf dem angedeuteten Wege zum gemeinsamen Programm
zunächst der außendeutschen Volksgruppen und dann der meisten
europäischen Nationalitäten geworden ist.
In gewisser Hinsicht weist die Kulturautonomie dem Volksratsgedanken
gegenüber eine Schrumpfung auf, die sich aus der Defensivstellung der
Nationalitäten nach dem Krieg erklärt. Der korporative
Gestaltungsgedanke, der beide verbindet, wird in der Kulturautonomie mit
Bewußtsein und ausdrücklich auf ein engeres Gebiet, nämlich
auf das des kulturellen Lebens eingeschränkt. Es erfolgt im Sinne unserer
einleitenden Ausführungen eine Besinnung auf die kernhafte Bedeutung, die
der Sprache, der Schule und dem kulturellen Bildungswesen überhaupt unter
dem Gesichtswinkel der Erhaltung des bedrohten Volkstums zukommt. Gerade
diese engste und innerste Domäne des völkischen Sonderdaseins wird
mit bewußtem Gegenstoß gegen den westeuropäischen
Zentralismus des Systems von Versailles und Genf auf die Grundlage des
germanischen Selbstverwaltungsgedankens gestellt. Sie wird der
Begönnerung durch den allgewaltigen Staat oder durch überstaatliche
Institutionen nach Möglichkeit entzogen und der korporativen
Bewährungsprobe mutig ausgesetzt. Von dieser Anspannung der
kulturell-organisatorischen Lebenskräfte des bedrohten Volkstums wird eine
Entspannung der nationalen Gegensätze in polynationalen Staaten erwartet,
zugleich freilich eine gesunde Scheidung zwischen lebensfähigen und
erhaltungswürdigen und solchen "Volksgruppen" herbeigeführt, die
künstlicher Atmung bedürfen oder die gar nur eine
"nationalkulturelle" Atrappe in der Hand einer ehrgeizigen und staatszersetzenden
Führung darstellen und die im Grunde den Ernst und das Prestige der
europäischen Nationalitätenbewegung in Frage stellen. Gerade auf
diese der Bewährungsprobe ausweichenden
Nationalitätenführer und nur auf sie trifft das höhnische Wort
von den enttäuschten Ehrgeizlingen und Wichtigtuern zu, das Briand in
Genf den Führern der europäischen Nationalitätenbewegung als
solchen nachzusagen wagte.
[449] Auch die überzeugtesten Anhänger
der Kulturautonomie werden nicht der Meinung sein, daß damit ein Stein der
Weisen gefunden sei, der alle Nationalitätennöte aus der Welt schafft.
Man predigt keinen Materialismus und übt keine Blasphemie, wenn man das
Bibelwort umkehrt und daran erinnert, daß auch das Volkstum nicht vom
Geiste allein lebt, sondern daß es gesunde wirtschaftliche Grundmauern, vor
allem aber Rechtssicherheit braucht, die den Raub von Grund und Boden und
beweglichem Eigentum, die Umfälschung des ererbten Namens, die
Behinderung des Wahlrechts und des freien Sprachgebrauchs vor den
Behörden, die die hundertfältige Anarchie unmöglich macht,
aus der heraus die Tyrannei der Mehrheit über die Minderheit im Staat, der
unerträgliche Druck einer starren Staatsraison auf dem freien
gesellschaftlichen Leben, der ständige Einbruch formaler Gewalt in die
persönlichsten
Glaubens- und Bekenntnisbereiche heute leider nicht nur in den polynationalen
Staaten, immerhin aber ganz besonders in ihnen möglich und im
täglichen Schwange ist.
Wir konnten in diesen Ausführungen, die zugleich den Abschluß
unseres ganzen Buches bilden, unmöglich alles auch nur andeuten, was als
Auswirkung des Systems von Versailles oder doch unter seiner Duldung und
vielfältigen Förderung als Leid und Not deutschen Menschentums in
den Grenz- und Außengebieten in Erscheinung tritt. Auch lag uns daran, das
heute bereits ziemlich breit gewalzte Schrifttum über diesen Gegenstand
durch Gesichtspunkte zu ergänzen, die noch nicht überall wiederholt
werden. Möchte dabei aber das Eine und Grundlegende klar geworden sein.
Im neuen Europa ist durch Willkür der Schaffung von Staaten, der Ziehung
und Verrückung von Grenzen, der unnatürlichen
Bündnisbildung viel gesündigt worden. Und es muß viel auf
diesem Gebiet gut gemacht werden. Zugleich aber sind gerade durch die
krampfhaften Versuche, im Geiste des jüngst verstorbenen Clémenceau mit
uralt barbarischen Methoden der Erniedrigung und Ausrottung ein System
aufzurichten, das zutiefst reaktionär ist, die Grenzen der alten Staatskunst
furchtbar klar geworden. Und manche Versuche, die formal neu sind, stammen
doch allerhöchstens aus dem Rationalismus der beiden letzten Jahrhunderte
Europas.
Demgegenüber führt uns die Nationalitätenbewegung genau
wie von andern Ausgangspunkten aus die soziale Bewegung im Schoß
der europäischen Gesellschaft an eine Stelle, wo wir begreifen, daß in
den Grundbeziehungen zwischen Mensch und Gesellschaft und Staat im heutigen
Europa grundlegende Elemente in eine verhängnisvolle Unordnung geraten
sind. Mensch, Gesellschaft und Staat haben ihre Maße und Ordnungen
eingebüßt und wüten gegeneinander. Ein hemmungsloser
Individualismus und Materialismus des [450] Einzelnen bedroht die Bindung an Volkstum
und staatliches Leben gleichermaßen, die Gesellschaft sucht den Einzelnen
seiner Persönlichkeit zu entkleiden und den Staat zu verleugnen oder zu
vergewaltigen, und der Staat überschreitet in seiner Willkür jegliche
Grenzen, versucht alles und leistet am Ende nichts.
Die Nationalitätenfrage, die uns als Frage des
Grenz- und Auslanddeutschtums auf der Seele brennt, ist als deutsche Frage eine
eminent europäische und umgekehrt. So wenig die Welt am deutschen
Wesen genesen wird, so wenig wird Europa durch Amerikanisierung oder
Bolschewisierung gesund werden. Es wird sich nicht einmal daran "gesund
machen", wie die ganz Pfiffigen vermeinen. Europa wird aber auch nicht ohne das
deutsche Wesen zu sich selbst kommen. Es wird nicht von Versailles aus zu sich
selbst kommen. Nicht einmal Frankreich, noch weniger Italien und die
Ostvölker. Von uns reden wir jetzt nicht. Von uns wollen wir hier im
Tiefsten und Letzten ingrimmig schweigen.
Schrifttum
Kraus, Das Recht der Minderheiten. Materialien zur Einführung in das
Verständnis des modernen Minoritätenproblems. Berlin 1927.
Fouques Duparc, La protection des minorités de race, de langue et de
religion.
Paris 1922.
Wertheimer, Deutschland, die Minderheiten und der
Völkerbund. Berlin 1926.
Bruns, Grundlagen und Entwicklung des
internationalen Minderheitenrechts. Berlin 1929.
Senior, Das
Minderheitenproblem und das sittliche Recht. Wien-Innsbruck-München
o. J.
Trampler, Staaten und nationale Gemeinschaften. Eine Lösung
des europäischen Minderheitenproblems. München-Berlin
1929.
Boehm, "Die Nationalitätenfrage", in Nation und
Nationalität. Herausgeg. v. Salomon. Karlsruhe 1927.
Wilson, Memoiren und Dokumente über den Vertrag zu Versailles.
Herausgeg. v.
Baker. Leipzig o. J.
Feinberg, La question des minorités à la
conférence de la paix de 1919-1920 et l'action juive en faveur de la protection
internationale des minorités. Paris 1929.
Robinson, Das
Minoritätenproblem und seine Literatur. Berlin und Leipzig 1928.
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