[103]
Bd. 1: A. Der Rechtsanspruch
auf Revision
II. Die moralische Ächtung des deutschen Volkes
als Mittel zur Unterhöhlung der
Rechtsgrundlage (Teil 5)
d) Die koloniale Schuldlüge
Dr. Alfred Zintgraff
Regierungsrat a. D.
In den vorhergehenden Abschnitten I und II, in welchen die Rechtsgrundlage des
Versailler Diktates und der Kampf um das Wilsonprogramm behandelt sind, ist
auch bereits die Entstehung und Festlegung der kolonialen Bestimmungen des
Diktates in den Artikeln 22,
23,
119-127, 156-158, 246, 257-260, 297 und 438
berührt
worden. Zur Gewinnung einer klaren Übersicht und zum besseren Verständnis der
Zusammenhänge seien hier aber noch einmal die Hauptetappen dieser
Entwickelung wiederholt.
Bei Beginn der Feindseligkeiten im Jahre 1914 wurde von unseren Gegnern
wiederholt und feierlich erklärt, daß sie auf jede Annexion von
vorneherein verzichteten. In dem Vorwort zu der englischen Ausgabe des
deutschen Standardwerkes1 über "die koloniale Schuldlüge" aus der
Feder des bisher letzten Gouverneurs von Deutschostafrika Dr. Heinrich Schnee,
German Colonization, Past and Future, mit dem
Untertitel The Truth About the
German Colonies, schreibt der bekannte englische Historiker William Harbutt
Dawson darüber, wörtlich übersetzt, folgendes:
"Und in erster Linie war die Annexion der deutschen
Kolonien ein unbestreitbarer Bruch des unserem Volke und der Welt bei Beginn des
Krieges gegebenen Versprechens. Am Vorabend des Ausbruchs der
Feindseligkeiten haben wir als Volk gemeinsam mit unseren Verbündeten
erklärt, der Krieg richte sich nur gegen kriegerischen Überfall und Gewalt,
und unser damaliger Premierminister (Asquith) hat feierlich jede Absicht und
jeden Gedanken auf Annexionen zurückgewiesen, und das gleiche haben
seine leitenden Kollegen auch noch späterhin getan. In gehobenem
moralischem Selbstbewußtsein nahm das Volk dieses Versprechen freudig
entgegen und glaubte fest daran. Und doch hatte der Kampf erst wenige Monate
gedauert, als die alliierten
Regie- [104] rungen bereits geheime
Verträge über die Aneignung weiter Gebiete in drei Kontinenten
abschlossen."
Diese zutreffende Darstellung Dawsons sei hier noch durch das Zitat aus einer
Rede des Finanzministers im Kabinett Asquith, Lloyd George vom 10. November
1914 ergänzt. In dieser Rede hat er nach einem gleichzeitigen Bericht des
Londoner Herald erklärt:
"So wahr Gott lebt, wir haben an keiner
Verschwörung (gegen Deutschland) teilgenommen. Wir beneiden
Deutschland nicht um seinen Grundbesitz. Wir verlangen keinen Fußbreit
seiner
Kolonien."
Das ist derselbe Lloyd George, der als englischer Premierminister bei den das
Friedensdiktat vorbereitenden Verhandlungen des Rates der Zehn in Paris
während des Monats Januar 1919, unterstützt von vier
Premierministern britischer Dominions, Smuts für die
Südafrikanische Union, Hughes für Australien, Massey für
Neuseeland und Borden für Canada, die glatte Annexion der deutschen
Schutzgebiete forderte. Im Anschluß an dieses englische Vorgehen
beanspruchte Japans Vertreter Baron Makino am 27. Januar 1919 die
bedingungslose Abtretung Kiautschous und der sonstigen Rechte und Privilegien
Deutschlands in Schantung sowie der deutschen Südseeinseln
nördlich des Äquators an Japan, und zwar gestützt auf einen der
von Dawson erwähnten Geheimverträge aus dem März 1917.
Ihm folgte am 28. Januar der französische Kolonialminister Simon mit der
Forderung der Annexion von Togo und Kamerun auf Grund eines
französisch-englischen Geheimabkommens, niedergelegt in einem
Notenwechsel vom 24. März und 11. Mai 1916. Belgien meldete auf einem
ähnlichen Abkommen fußend Ansprüche auf einen Teil von
Deutsch-Ostafrika an. Auch Italien erhob koloniale Forderungen auf Grund eines
bereits unter dem 26. April 1915 in London mit der Entente geschlossenen
Geheimvertrages.2
Die in den drei vorstehenden Absätzen festgestellten beiden Tatsachen:
feierliche Erklärung gegen jede Annexion zu Anfang des Weltkrieges und
Verlangen glatter Annexion am Ende des Krieges sind die äußersten
Exponenten einer vierjährigen Entwickelung, soweit sie für die
Beurteilung der Kolonialfrage in Betracht zu ziehen ist. Dazwischen liegt die
Kongreßrede des amerikanischen Präsidenten Wilson vom 8. Januar
1918 mit ihren bekannten 14 Punkten, die zur Vorbereitung eines "Rechtsfriedens"
und als Unterlage für ihn dienen sollten, wie das Präsident Wilson in
seinen weiteren Reden vom 11. Februar, 4. Juli und 27. September 1918 im
einzelnen immer und immer wieder unterstrichen hat, wobei er in seiner
Kongreßrede vom 11. Februar 1918
noch einmal ausdrücklich betonte:
[105] "Es soll weder Annexionen noch
Entschädigungen noch strafweisen Schadensersatz geben."
Über die Behandlung der deutschen Schutzgebiete besagt der Punkt 5 dieses
Wilson-Programms folgendes:
"Eine freie, weitherzige und unbedingt unparteiische
Schlichtung aller kolonialen Ansprüche, die auf einer genauen Beobachtung
des Grundsatzes fußt, daß bei der Entscheidung aller derartiger
Souveränitätsfragen die Interessen der betroffenen Bevölkerung
ein ebensolches Gewicht haben müssen, wie die berechtigten Forderungen
der Regierung, deren Rechtsanspruch bestimmt werden soll."
Eine sinngemäße, das heißt gerechte, billige und unbedingt
unparteiische Auslegung und Anwendung der in diesem Programmpunkt
niedergelegten Grundsätze mußte zu einer Rückgabe der
während des Krieges von den Ententemächten eroberten deutschen
Schutzgebiete an das deutsche Volk führen, zumal diese Eroberung und die
Hinüberspielung der bewaffneten Auseinandersetzung europäischer
Gegensätze in die unentwickelten Gebiete Afrikas und Asiens durch die
Mächte der Entente gegen eines der bedeutsamsten internationalen
Vertragswerke, die Kongoakte, nicht nur dem Wortlaut, sondern ganz besonders
auch dem ihr zugrunde liegenden tieferen Sinn nach verstoßen hatten. Es
bestand also für das deutsche Volk keine Veranlassung, den Punkt 5 des
Wilson-Programms als Grundlage für die Regelung seiner kolonialen
Ansprüche nicht anzunehmen, und zwar um so weniger, nachdem auch die
alliierten Mächte ihn nach der die Rechtsgrundlage für die ganzen
Friedensverhandlungen bildenden Note des amerikanischen Staatssekretärs
Lansing vom 5. November 1918 ohne jeden Einwand und Vorbehalt angenommen
hatten. Aber wie bei anderen in den vorhergehenden Kapiteln, insbesondere in den
über die Kriegsschuldfrage behandelten
Fällen, sind die alliierten
Mächte auch hier bestrebt gewesen, diese einwandfreie Rechtsgrundlage
durch moralische Ächtung des deutschen Volkes zu unterhöhlen.
Neben die allgemeine Kriegsschuldlüge trat die besondere koloniale
Schuldlüge.
In den ersten Monaten des Krieges war zunächst nur wenig von ihr zu
spüren. Außer einigen der üblichen Greuelmeldungen von den
kolonialen Kriegsschauplätzen und dem Versuch, Deutschland auch in den
Kolonien des Militarismus zu bezichtigen, erschienen nur hier und da in der
feindlichen Presse private und offensichtlich von kleinen Sonderinteressen
diktierte Aufsätze, die eine Annexion wenigstens von Teilen der deutschen
Schutzgebiete empfahlen. Ernster war schon der von den Ententemächten
gemachte Vorstoß, Deutschland die Verantwortung für den Bruch der
Kongoakte aufzuladen. Nach der energischen und erfolgreichen Abwehr dieses
Vorstoßes durch die deutsche Regierung, in erster Linie vertreten durch den
damaligen [106] Staatssekretär des Reichskolonialamtes
Dr. Solf, wurde es darüber aber bald ruhig; die vorliegenden Tatsachen
sprachen doch zu sehr zugunsten Deutschlands und ließen an dieser eignen
Schuld der Ententemächte England, Frankreich und Belgien keinen Zweifel
zu, so daß selbst im weiteren, sich immer steigernden Verlauf der kolonialen
Hetze gegen Deutschland dieser Punkt ernstlich nie wieder auftauchte.
Den Vorkampf in der kolonialen Hetzpropaganda führte England, und zwar
nach alten, schon oft
bewährten Methoden; dasselbe England, das bei
Verteilung der kolonialen Beute sich auch den Löwenanteil genommen hat.
Immer wenn der britische Leu Appetit auf Verschlingung eines neuen Gebietes
verspürt, aus irgendeinem Grunde, sucht er der öffentlichen Meinung
einzureden, daß gerade dieser Teil der Welt einer schauderhaften
Mißwirtschaft unterliege, und daß er der Welt und der Zivilisation
einen großen Dienst leiste, wenn er dieses Gebiet und seine notleidende
Bevölkerung von seinen bisherigen Herren und Peinigern befreie. In der
Wahl der Mittel war und ist er bei solchem Vorgehen nie von Skrupeln geplagt,
genügten die vorhandenen Tatsachen zur Begründung nicht, so
wurden sie fabriziert. Das Rezept dafür war und ist einfach: überall
vorkommende bedauerliche Einzelfälle werden verallgemeinert,
ungünstige Einzelurteile unter Verschweigung aller vorliegenden
günstigen Urteile zusammengetragen, halbe Wahrheiten und ganze
Unwahrheiten helfen das gewollte Bild vervollständigen. Um nur einen
dieser Vorgänge zu erwähnen, sei an die Vorbereitung und
Durchführung der Eroberung und Aneignung der Burenrepubliken um die
Jahrhundertwende erinnert.
Genau nach dem gleichen Rezept arbeitete die englische Stimmungsmache und
ihre gelegentlichen Helfershelfer in anderen Ländern auch gegen uns.
Zunächst überließ man diese Hetzarbeit privater Initiative,
wenigstens nach außen hin; ein für die Regierung sehr praktisches
Vorgehen, konnte sie doch je nach Verlauf der Dinge diese Betätigung
desavouieren oder sich auf sie als "Volksmeinung" stützen. Es ist in diesem
Falle tief bedauerlich, daß sich zu einer solchen Betätigung in England
Männer von internationalem Ruf bereitfinden ließen, wie u. a.
Sir Harry Johnston, Sir Hugh Clifford und der Missionar John Harris. Das einzige,
was man vielleicht zu ihrer Entschuldigung anführen kann, ist, daß sie,
die noch kurz vor dem Kriege sachlich und der Wahrheit entsprechend über
die deutsche Kolonialarbeit geurteilt haben, der durch die bekannte
Northcliffe-Propaganda gerade in England besonders geförderten
Kriegspsychose völlig unterlegen sind. Diese
Northcliffe-Propaganda selbst hat mit ihrer Beherrschung des erdumspannenden
Nachrichtenapparates natürlich dann das ihre getan, die ganze ihr
zugängliche Welt, [107] bald schon unter immer merkbarer werdenden
Unterstützung durch die englische Regierung, mit Verleumdungen deutscher
Kolonialarbeit zu überschütten und zu verseuchen.
Deutscherseits ist die darin gelegene Gefahr rechtzeitig erkannt worden,
wenigstens an zuständiger Stelle, und der schon vorhin erwähnte
Staatssekretär Dr. Solf hat versucht, ihr mit allen Mitteln sachlichen
Kampfes entgegenzuwirken. Es ist im Rahmen des im Verhältnis zu der
ganzen Geschichte der kolonialen Schuldlüge hier zur Verfügung
stehenden recht knappen Raumes natürlich ausgeschlossen, alle diese
Einzelphasen des neben der Waffenentscheidung einhergehenden geistigen
Kampfes um unsere Kolonien erschöpfend zu behandeln. Alle diejenigen
aber, die sich eingehender mit der Frage der kolonialen Schuldlüge und
ihren Auswirkungen befassen möchten (im Interesse des
Verständnisses der ungeheuren Bedeutung der gesamten kolonialen Frage
für die Zukunft unseres Volkes ist nur zu wünschen, daß sehr
viele dieses Bedürfnis verspüren werden), seien wegen der
Einzelheiten verwiesen auf die in diesem Aufsatz zitierte
Literatur.
Die deutsche Abwehr der kolonialen Schuldlüge während des Krieges
war von vorneherein stark gehemmt durch die Schwierigkeiten, die sich nach Lage
der Dinge ihrer Verbreitung entgegensetzten. Das mußten wir auch erfahren
bei der Entgegnung auf eine der, man muß leider sagen, wirksamsten
privaten Schmähschriften, die bis zum Jahre 1918 gegen uns
veröffentlicht wurden: Deutsche Kolonisatoren in Afrika mit dem
Untertitel Die Kolonisierung mit der Peitsche aus der Feder von Evans Lewin,
Bibliothekar des Londoner Kolonialinstituts, erschienen im Art. Institut von Orell
Füßli in Zürich. Diese Schmähschrift hat einer der von
ihrem Verfasser in ihr zitierten Kronzeugen, der holländische Pater van der
Burgt unter Verwahrung gegen den Mißbrauch seines Namens in einer
mit Professor Dr. A. E. Brinckmann gehabten Unterredung (abgedruckt in Heft
11/12 der Kolonialen Rundschau 1918) u. a. wie folgt kritisiert: "Nun, ich
gestehe, daß ich noch nie in meinem Leben so etwas
pervers-hypokritisch-pharisäisches gelesen habe." Gegen die
Schmähschrift erschien außerdem unverzüglich eine deutsche
Erwiderung in Basel im Verlage von Ernst Finkh: Die deutsche Kolonialpolitik
vor dem Gerichtshof der Welt, eine deutsche Antwort von Kolonialpolitikern und
Missionaren. Trotzdem stieß man immer und immer wieder auf Wirkungen
der Lewinschen Schrift sowohl im neutralen Ausland in Europa als auch sonst in
der Welt. Dabei waren in der deutschen Erwiderung in der Hauptsache solche
Persönlichkeiten zu Worte gekommen, die Lewin für sich als Zeugen
ebenso wie den Pater van der Burgt mißbraucht hatte: die
Abgeordneten des Reichstags Mathias Erzberger, Gustav Noske, Dr. Ernst
Müller-Meiningen, [108] außerdem der frühere Gouverneur
von Deutsch-Ostafrika Dr. Freiherr von Rechenberg und schließlich der Direktor
der evangelischen Missionshilfe D. theol. A. W. Schreiber. Der letztere setzte sich
besonders auseinander mit einem Schreiben des englischen Bischofs von Zanzibar,
Frank Weston, Chef der Universitätsmission im östlichen Teil von
Ostafrika, welches Lewin seinem Machwerk als besonders wirksames und
zugkräftiges Stück angehängt hatte.
Mathias Erzberger hat in seiner Antwort nach sachlicher Richtigstellung der
Lewinschen Verleumdungen auch noch einmal dessen Methode, die
übrigens die Methode der gesamten bis dahin erschienenen privaten
englischen Hetze war, treffend gekennzeichnet:
"So die Wahrheit, die nicht verschweigt, daß
Deutschland in den Kinderjahren seiner Kolonialpolitik auch Fehler gemacht hat.
Aber ein Bestreben durchglühte das ganze deutsche Volk: Es wollte die
Fehler ablegen. Darum hat die Kritik nicht geschwiegen. Im deutschen Reichstag
ist offen vor aller Welt an Einzelmaßnahmen scharfe und unnachsichtliche
Kritik geübt worden. Nun geht Evans Lewin her und stellt in seiner Schrift
nur diese Einzelkritiken zusammen. Er reißt die Reden aus ihrem
Zusammenhang heraus und verfälscht dadurch den Sinn derselben; er
verschweigt, was in denselben Reden zum Ruhm und Erfolg der deutschen
Kolonialpolitik ausgeführt worden ist... Ein solches Verhalten ist unehrlich
und zeigt die Schwäche des englischen Standpunktes. Deutschland scheut
kein Urteil über seine Kolonialpolitik, vor keinem Gerichtshof der Welt;
aber der Gerichtshof muß objektiv sein. Evans Lewin hat eine
Tendenzschrift schlimmster Art geschrieben. Wenn deutsche
Reichstagsabgeordnete, zu denen auch der Schreiber dieser Zeilen gehört, im
Reichstag gegen Griffe und Mißgriffe der deutschen Verwaltung Stellung
genommen haben, so haben sie immer daneben anerkannt, daß Deutschland
Großes und Gutes geleistet hat. Ihre Kritik diente nur dem Zweck, das
Höchste, Beste und Edelste für die Bevölkerung in Afrika zu
erreichen. Dabei traten sie allerdings in der Frage der Mittel und Wege zu diesem
Ziel manchmal in Gegensatz zu eigenen Volksgenossen. Wenn aber Evans Lewin
nur diese Kritiken hervorhebt und
zusammenstellt - und daraus besteht seine ganze
Schrift -, so versündigt er sich gegen die Wahrheit. Hiergegen kann
nicht laut und offen genug protestiert werden. Ich tue das in meinem Namen, wie
ich es schon im Reichstag getan habe, ich tue es aber auch im Namen der anderen
Abgeordneten und im Namen der anderen Gewährsmänner, die Evans
Lewin in seiner Schrift anführt."
Ganz ähnlich äußert sich Gustav Noske; er sagt außerdem
a. a. O.:
"Gesündigt haben alle Länder, die
Kolonialpolitik trieben. Was englische Menschenfreunde zur Kritik der englischen
Kolonialwirtschaft gesagt haben, bleibt an Schärfe hinter dem nicht
zurück, was wir glaubten im Deutschen Reichstage aussprechen zu
müssen. Gerade jetzt während des Weltkrieges sind aber Franzosen
und Engländer die letzten, die ein Recht dazu haben, sich über die
Vernichtung von Menschenleben in den deutschen Kolonien zu entrüsten,
die ich ganz gewiß nicht nachträglich auch nur mit einem einzigen
Worte entschuldigen oder verteidigen möchte. England und Frankreich
belasteten sich mit der unsühnbaren Schuld, unter flagranter Verletzung
völkerrechtlicher Abmachungen den Krieg nach Afrika hineingetragen zu
haben, dazu haben beide Staaten, besonders aber Frankreich, Hunderttausende von
[109] Negern in den tropischen Gebieten zwangsweise
zum Heeresdienst gepreßt und sie auf die europäischen Schlachtfelder
als Kanonenfutter geschleppt. Nur ein Bruchteil dieser bedauernswerten Farbigen,
die Frankreich für seinen Eroberungskrieg einsetzt, wird die Heimat
wiedersehen. In Massen düngen sie den französischen Boden. Das
übertrifft an Rücksichtslosigkeit und Unverantwortlichkeit alle
Handlungen, die jemals in den deutschen Kolonien begangen worden
sind."
Und wie ist es, ganz abgesehen von der ruhigen und sachlichen Widerlegung seines
Inhalts im einzelnen durch D. theol. A. W. Schreiber mit dem Brief des Bischof
Weston gewesen? Der Bischof selbst hat schon im Jahre 1920 in der Church
Times vom 8. Oktober darüber geklagt, daß "sein Brief von der
englischen Regierung genommen sei, die einige ihr nicht passende Stücke
herausgeschnitten und ihn mit dem Titel »die schwarzen Sklaven Preußens«
veröffentlicht habe", und fährt dann fort: "Ich behaupte, daß die
Ostafrikaner nun die schwarzen Hörigen von Großbritannien
geworden sind." Das englische Parlamentsmitglied Arthur Ponsonby nennt dieses
englische Vorgehn in seiner im Jahre 1928 in nicht weniger als vier Auflagen
erschienenen, Aufsehen erregenden Schrift Falsehood in Wartime, [Scriptorium merkt an: deutsche Ausgabe hier] Seite 115 "ein
gutes Beispiel für eine reiflich überlegte Verdrehung durch die
Regierung und weiter ein Beweis dafür, wie schwierig es selbst für
eine veröffentlichte Wahrheit ist, eine Lüge zu überholen und
bis zu dem am meisten beteiligten Volk durchzudringen."
Arthur Ponsonby macht also für diese Dokumentfälschung an dem
Brief des Bischofs Weston schon die englische Regierung verantwortlich, und mit
Recht. Seit dem Jahre 1917, d. h. also mit einem Zeitpunkte, in dem sich der
wahrscheinliche Ausgang des Krieges mit dem bevorstehenden Eintritt der
Vereinigten Staaten in ihn auf der Gegenseite bereits genauer überblicken
ließ, trat die englische Regierung mehr und mehr mit eigener Regie der
kolonialen Schuldlüge in den Vordergrund. Jetzt fallen öfter
Bemerkungen von Regierungsvertretern über die Unmöglichkeit,
Deutschland seine unterdessen von den Feinden besetzten Schutzgebiete
zurückzugeben. Die Londoner Zentralregierung setzte außerdem im
März 1917 einen besonderen Ausschuß von Wissenschaftlern und
sonst ihr geeignet erscheinenden Persönlichkeiten ein unter Aufsicht des
Leiters der Historical Section of the Foreign Office, Sir George W. Prothero, zur
"Materialsammlung für die bevorstehenden Friedensverhandlungen". Dieser
Ausschuß hat sich auch mit den deutschen Kolonien beschäftigt und
eine Reihe von Handbüchern ausgearbeitet. Ein Teil dieser
Handbücher ist rein sachlich gehalten, jedoch eines von ihnen verdient eine
besondere Note im Rahmen der amtlichen englischen kolonialen
Schuldlüge, nämlich Nr. 114 German Treatment of Natives. Dieses
letztere Handbuch bewegt sich ganz in den Bahnen und Methoden der [110] vorerwähnten Schmähschrift von
Evans Lewin und nimmt von der Unmenge der bei seiner Abfassung bereits
vorliegenden deutschen Gegenäußerungen und Richtigstellungen
keine Notiz. Es hat nachweislich bei den Verhandlungen des Rates der Zehn in
Paris zur Vorbereitung des Versailler Diktates eine entscheidende Rolle
mitgespielt, veröffentlicht wurde es aber erst zusammen mit den anderen
Handbüchern im Jahre 1920, so daß im entscheidenden Augenblick
deutscherseits zu ihm keine Stellung genommen werden konnte.
Die einzige amtliche englische Denkschrift, die vor den
Friedensauseinandersetzungen veröffentlicht worden ist, ist ein Blaubuch,
das im August 1918 durch die Regierung der Südafrikanischen Union dem
englischen Parlament vorgelegt wurde: Bericht über die Eingeborenen von
Südwestafrika und ihre Behandlung durch Deutschland, vorbereitet im
Bureau des Administrators, Windhuk, Januar 1918. Auch in ihm finden wir
wieder die alte Taktik: Verallgemeinerung bedauerlicher Einzelvorkommnisse,
halbe Wahrheiten und ganze Unwahrheiten, sowie beeinflußte
Zeugenaussagen von Eingeborenen. Die deutsche Regierung blieb die Antwort auf
dieses erste amtliche englische Machwerk nicht schuldig und veröffentlichte
Anfang 1919 durch das neu geschaffene Reichskolonialministerium ein
Graubuch: Die Behandlung der einheimischen Bevölkerung in den
kolonialen Besitzungen Deutschlands und Englands. Wenn auch die Gegenseite
merklich von dieser Erwiderung wieder keine Notiz nahm, so ist doch
wahrscheinlich, daß diese gründliche deutsche Widerlegung amtlicher
englischer, sagen wir schonend, Unwahrheiten verbunden mit dem deutlichen und
gut begründeten Hinweis, daß, wer im Glashaus sitzt, nicht mit
Steinen werfen sollte, der englischen Regierung den Mut genommen hat, ihre
vorerwähnten "handbooks" noch vor Erlaß des Versailler Diktates zu
veröffentlichen. War auch die Verhetzung der öffentlichen Meinung
der Welt durch die Verbreitung der kolonialen Schuldlüge schon sehr weit
gediehen, so konnte man doch nicht wissen, ob nicht schließlich wiederholte
deutsche Erwiderungen und Richtigstellungen ihre Wirkung tun könnten.
Über den Wert des südafrikanischen Blaubuchs selbst braucht hier
kein Wort mehr verloren zu werden, nachdem es von zuständiger Stelle
unterdessen seine richtige Beurteilung und
damit - Verurteilung erhalten hat. Abgesehen von einer dem Sinne nach
gleichlautenden Erklärung des Ministerpräsidenten der
Südafrikanischen Union Hertzog aus dem Jahre 1924 hat der
südwestafrikanische Landesrat in seiner Sitzung vom 29. Juli 1926
einstimmig folgende
Entschließung angenommen:
"Es ist Ansicht dieses Hauses,
1. daß das Blaubuch der Union von Südafrika:
Report on the Natives of
South-West Africa and their Treatment by Germany, prepared in the Administrators
Office, Windhuk S. W. A., January 1918, presented to both Houses [111] of Parliament by command of His Majesty,
August 1918, London published by His Majesty's Stationery Office, in Kriegszeit
vorgebracht wurde, nur die Bedeutung eines Kriegsinstruments hat, und daß
die Zeit gekommen ist, dieses Instrument außer Wirkung zu bringen und alle
Kopien dieses Blaubuchs, die in offiziellen Akten und in öffentlichen
Büchereien dieses Gebiets sich befinden, auszuschließen und zu
vernichten;
2. daß die Administration gebeten werde, bei der
Unionregierung und der Britischen Regierung vorstellig zu werden, dieses
Blaubuch aus den offiziellen Akten dieser Regierungen zu tilgen;
3. daß die Administration gebeten werde, die
Ratsamkeit in Erwägung zu ziehen, bei der Unionsregierung und der
Britischen Regierung vorstellig zu werden, alle Kopien des Blaubuchs
auszuschließen und zu vernichten, die in den öffentlichen
Büchereien der betreffenden Länder, bei den offiziellen
Buchhandlungen, die auf dem Titelblatt erwähnt sind, nämlich His
Majesty's Stationery Office und E. Ponsonby Ltd., Dublin, sich
befinden."
Was der deutschen Regierung aber schon bei dem Erscheinen des
südafrikanischen Blaubuchs bekannt war, daß es sich bei ihm um eine
tendenziöse "Verdrehung", um die Ausdrucksweise Ponsonbys
beizubehalten, handelte, das mußte erst recht die englische Regierung
wissen. Und doch hat sie gerade dieses Blaubuch als stärkste Waffe zur
Durchsetzung ihrer kolonialen Annexionspläne verwendet.
Nicht ohne weiteres nachzuweisen ist der Zusammenhang zwischen dem im
August 1918 dem englischen Parlament überreichten Blaubuch und der
Rede, die der britische Außenminister Balfour am 19. August im Unterhaus
hielt und in der zum erstenmal von leitender amtlicher Stelle die englischen
Annexionsabsichten unter Bemäntelung durch die koloniale
Schuldlüge angedeutet wurden. Er wird aber sehr wahrscheinlich aus den
Worten, mit denen der Munitionsminister Lord Robert Cecil am 24. August dem
die Balfourschen Gedankengänge ablehnenden und korrigierenden
deutschen Kolonialstaatssekretär Dr. Solf auf dessen Rede vom 20. August
zu antworten versuchte:
"Was die deutschen Kolonien anbelangt, so kann ich
Dr. Solfs Ausführungen über das »moralische Recht« der Deutschen,
Schützer der farbigen Rasse zu sein, nicht beistimmen. Ich bin der Ansicht,
daß das deutsche Regiment sich brutal und gefühllos erwiesen hat. Die
Britische Regierung hat hierüber Zeugnisse gesammelt und wird diese bald
der Öffentlichkeit übergeben. Ich glaube, daß dann die Welt
meine Auffassung teilen wird."
Das Bild wird völlig abgerundet durch die allerdings erst am 13. Dezember
1918 erfolgte kurze und bündige Erklärung des englischen
Kolonialministers Walter Long:
"Wir haben die deutschen Kolonien in ehrlichem
Kampfe erobert, und ich hoffe, es besteht kein Zweifel, daß wir sie behalten
werden."
Diese letztere Erklärung stand bereits in einem glatten und offenen
Gegensatz zu dem unterdessen von den alliierten Mächten im November
(vgl. die Lansingsche Note vom 5. November) als Friedensgrundlage
angenommenen Wilson-Programm. Es war nun die große Frage, [112] ob es dem Präsidenten Wilson gelingen
würde, sein Programm auf Erreichung eines "Rechtsfriedens"
gegenüber dem starken Willen Englands und seiner Gefolgsleute
aufrechtzuerhalten, der vor keinem auch noch so verächtlichen Mittel zur
Erreichung seines Ziels zurückschreckte? Wird es zu der zugesagten freien,
weitherzigen und unbedingt unparteiischen Schlichtung aller kolonialen
Ansprüche kommen? Deutscherseits ist vieles getan, dem Präsidenten
Wilson dieses hohe Schiedsrichteramt zu erleichtern und Material zu liefern zur
Befreiung von den Banden der kolonialen Schuldlüge, die auch ihn zu
umstricken drohten. Denn neben der rein englischen Hetzarbeit rührten sich
auch die anderen alliierten Mächte zur Unterstützung der kolonialen
Schuldlüge. Es sei zum Beweise dafür hier nur erinnert an
Veröffentlichungen im Journal officiel de la République Française
vom 8. November 1918 und 5. Januar 1919. Sie wurden widerlegt durch ein
zweites vom deutschen Kolonialministerium herausgegebenes Graubuch
Deutsche und französische Eingeborenenbehandlung. Dieses und das
bereits oben erwähnte Graubuch Die Behandlung der einheimischen
Bevölkerung in den kolonialen Besitzungen Deutschlands und Englands
hätten allein schon dem Präsidenten die Augen öffnen
können. Aber auch sonst erfolgte noch mancher Schritt, sowohl von privater
als auch amtlicher Seite, zur Aufklärung und Richtigstellung in dieser
kritischen Zeit.3 Besonders wirkungsvoll hat u. a. der
Kolonialstaatssekretär Dr. Solf die deutsche Stellungnahme zu dem Punkt
5 des Wilson-Programms betont in seiner durch die Reichsdruckerei Anfang 1919
veröffentlichten Schrift: Germany's right to recover her colonies,
irrefutable facts and figures, English and American testimony. In dieser Schrift ist
das Recht Deutschlands auf Rückgabe seiner Kolonien für jeden
unparteiisch Denkenden wirklich überzeugend nachgewiesen auf Grund
unanfechtbarer Tatsachen und Zahlen sowie gestützt auf englische und
amerikanische Zeugnisse. Weiter sind noch zu erwähnen die
Erklärung der Reichsregierung vom 14. Januar 1919 und eine Unterredung
des Reichsaußenministers Graf
Brockdorff-Rantzau mit einem Vertreter der Chicago Daily News vom
2. Februar 1919.
Dieses letztere Interview beginnt mit dem Satze: "In diesen Tagen wird in Paris das
Los über die deutschen Kolonien geworfen." Leider traf das nicht mehr zu,
es war schon geworfen. Nach der im Anfang dieses Kapitels über die
koloniale Schuldlüge bereits erwähnten Darstellung in dem Werke
von Ray Stannard Baker: Woodrow Wilson and World Settlement hatte sich im Januar
1919 unterdessen folgendes in Paris abgespielt. Am 23. Januar regte Lloyd George
im Rate der [113] Zehn in Abweichung des am 13. Januar
festgesetzten Verhandlungsplanes ganz überraschend die Behandlung der
Kolonialfrage an. Clemenceau und Sonnino stimmten zu und Wilson ließ
sich überrumpeln. Am 24. Januar schon fiel die Entscheidung. Lloyd George
erklärte, unterstützt von den zur Beratung zugelassenen
Premierministern der Dominions Südafrika, Australien, Neuseeland und
Kanada, die deutsche Kolonialpolitik sei schlecht gewesen, "in
Südwestafrika hätten sie absichtlich eine Ausrottungspolitik verfolgt".
Seine Darlegungen stützten sich also wesentlich, und das verdient besonders
unterstrichen zu werden, auf das südafrikanische Blaubuch, dessen
Verurteilung und Unwert oben eingehend dargelegt wurde; und von dieser
"Unterlage" aus hatte er den von ihm gewünschten Erfolg. Das
Geheimprotokoll des Rates der Zehn legte das folgendermaßen fest:
"Alles, was er (Lloyd George) im Namen des
Britischen Reichs als Gesamtheit sagen möchte, sei, daß er in
höchstem Maße dagegen wäre, Deutschland irgendeine seiner
Kolonien zurückzugeben. Präsident Wilson sagte, seiner Meinung
nach stimmten alle darin überein, sich der Rückgabe der deutschen
Kolonien zu widersetzen. M. Orlando stimmte im Namen Italiens, Baron Makino im
Namen Japans zu. Niemand erhob Widerspruch, und so war dieses Prinzip
angenommen."4
Damit war tatsächlich die Behandlung der Kolonialfrage schon am 24.
Januar zuungunsten Deutschlands entschieden. Die koloniale Schuldlüge
hatte gesiegt! Dank ihrer Drachensaat war ein "Rechtsfrieden" auf Grund des
Punktes 5 des Wilsonprogramms, der Verhandlungen und Anhören der
Gegenseite zu Voraussetzungen gehabt hätte, unmöglich geworden,
und es blieb nur das Diktat der Gewalt übrig. Jede Verhandlung hätte
zum Beweis der Nichtigkeit der kolonialen Schuldlüge führen
müssen und damit zum Zusammenbruch des mühsam und auf so
wenig saubern Wege Erreichten.
Es erfolgte nun im Schoße des Rates der Zehn der uns in diesem
Zusammenhang weniger interessierende Kampf um die Beute. Wilson, das mag
anerkannt werden, hat bei dieser Gelegenheit weitere Versuche gemacht, den
Grundsätzen seines Punktes 5 doch noch zu einer gewissen
Berücksichtigung zu verhelfen. Noch am 2. Mai 1919 gab das amerikanische
Pressebureau eine Meldung heraus, aus der zu schließen war, daß
Wilson seinen Kampf um eine gerechte Regelung der Kolonialfrage noch nicht
ganz aufgegeben hatte. Und wieder ist deutscherseits vieles geschehen, um ihm
diesen Kampf zu erleichtern. So hat neben zahlreichen Volkskundgebungen
verschiedenster Art der neue Reichskolonialminister Bell den deutschen
Standpunkt in Reden und Interviews in den Monaten März und April
wiederholt dargelegt. Darunter befand sich auch eine Unterredung mit [114] einem Vertreter einer amerikanischen Zeitung,
der New Yorker Evening Post, deren gute Beziehungen zu Wilson bekannt
waren. Außer ihm hatte am 2. Februar und am 16. März noch
Reichsminister Erzberger zur Kolonialfrage gesprochen und am 28. März in
sehr eindrucksvoller Weise der damals gerade von Ostafrika zurückgekehrte
Gouverneur Schnee, der sich dabei auf seine allerneusten Erfahrungen
stützen konnte. Von der Tribüne der Nationalversammlung in Weimar
war ebenfalls in dieser Zeit immer und immer wieder Verwahrung gegen den Raub
der Kolonien eingelegt worden, so vom sozialdemokratischen
Ministerpräsidenten Scheidemann, vom Zentrumsabgeordneten
Gröber, vom deutschnationalen Abgeordneten Graf
Posadowsky-Wehner, vom Reichsaußenminister Graf
Brockdorff-Rantzau, und schließlich nahm am 1. März 1919 die
Nationalversammlung nach dem Antrage der Abgeordneten Löbe
(Sozialdemokrat), Gröber (Zentrum), von Payer (Demokrat), Graf
Posadowsky (Deutschnational) und Dr. Heinze (Deutsche Volkspartei) nach einer
neuen programmatischen Rede des Reichskolonialministers Bell mit allen gegen
sieben Stimmen folgende Entschließung an:
"Die im Artikel 19 des Satzungsentwurfes des
Völkerbundes über die deutschen Kolonien getroffenen
Bestimmungen sind mit den im Punkt 5 des Wilsonprogramms aufgestellten
Friedensbedingungen nicht in Einklang zu bringen. Die Nationalversammlung legt
gegen eine einseitige Änderung dieser Bedingungen, die von Deutschland
und den Alliierten als gemeinsame Grundlage für den Frieden angenommen
sind, feierliche Verwahrung ein und forderte die Wiedereinsetzung Deutschlands in
seine kolonialen Rechte."
Nicht unerwähnt soll bleiben, daß der deutsche Vertreter auf der im
Februar 1919 in Bern tagenden internationalen
Arbeiter- und Sozialistenkonferenz, Hermann Müller, mit guten
Gründen und auch gewissem Erfolg für die Rückgabe der
Kolonien an die junge deutsche Republik eingetreten ist. Außerdem, auch
das gebietet die Gerechtigkeit dankbar anzuerkennen, wurden bei Bekanntwerden
der kolonialen Absichten der Alliierten Mächte nicht nur in neutralen
Ländern, insbesondere in Schweden und Spanien, auch in Holland, der
Schweiz und Norwegen, sondern auch in den Ländern der Feinde selbst,
nicht zuletzt in England und den Vereinigten Staaten, Stimmen laut, die sich
deutlich genug gegen die koloniale Schuldlüge und den Raub der deutschen
Kolonien aussprachen. Die englischen Stimmen machten sich dabei in der
Hauptsache die klaren und staatsmännischen Gedankengänge zu
eigen, die der bekannte Politiker E. D. Morel bereits im Jahre 1917 den Mut gehabt
hatte, in seinem Buch Africa and the Peace of Europe auszusprechen.
Wilson aber hat diese ihm von deutscher und anderer Seite gebotene
Unterstützung nicht zu nutzen verstanden, sei es, daß er von
vornherein zum Kampf gegen die Vertreter der alliierten Mächte zu [115] schwach war, sei es, daß er
unwillkürlich doch schon allzuweit in den Bann der kolonialen
Schuldlüge hineingeraten war (dafür sprechen einige Sätze in
einer von ihm am 14. Februar 1919 gehaltenen Rede). Es blieb hinsichtlich der
Wegnahme der deutschen Kolonien bei der verhängnisvollen
Januar-Entscheidung. Nur hatte er unterdessen die von Smuts in der Hauptsache
zunächst für ehemals türkische Gebiete gegebene Anregung auf
Schaffung eines Mandatssystems aufgegriffen. Er setzte auch seine Anwendung
auf die deutschen Schutzgebiete durch. Die annektionslüsternen alliierten
Mächte wehrten sich gegen diese Regelung nicht allzusehr, schien sich doch
auf diesem Wege eine Möglichkeit zu bieten, in den Besitz der ungeheuer
wertvollen Beute zu kommen, ohne dabei irgendeinen ihrer
Entschädigungsansprüche aufzugeben, wie Schnee in seinem schon
wiederholt zitierten Werke Die koloniale Schuldlüge
(a. a. O., Seite 21)
und in seinem Buch: Weltpolitik vor, in und nach dem Kriege (Quelle & Meyer,
Leipzig 1923, Seite 285 ff.) mit Recht hervorhebt. Daß Wilson hiermit
seinem Ziel, die Anerkennung seines Punktes 5 doch noch durchzusetzen,
keineswegs nähergekommen war, sondern die Sache eher schlimmer als
besser gemacht hatte, darüber hat selbst im Lager der amerikanischen
Friedensdelegation kein Zweifel geherrscht. Sein Staatssekretär des
Äußern Robert Lansing äußert sich in seinem 1921
veröffentlichten Buch The Peace Negotiations darüber auf Seite
139, 140 recht freimütig:
"In der tatsächlichen Durchführung
wirkte der anscheinende Altruismus des Mandatssystems zugunsten der
selbstsüchtigen und materiellen Interessen der Mächte, welche die
Mandate übernahmen. Es konnte daher nicht überraschen, daß
der Präsident wenig Opposition seitens der europäischen
Staatsmänner fand gegen die Annahme seiner, oder um genauer zu sein,
Smuts' Theorie... Wenn die Befürworter dieses Systems durch seine
Annahme den Anschein zu vermeiden trachteten, als ob sie feindliches Gebiet als
Kriegsbeute nähmen, so war dies eine Unterstellung, die niemand
täuschte."
Fast genau so drückte sich einer der italienischen Delegierten zur
Friedensvorbereitung, der Marchese Tittoni, in seiner Rede im Senat in Rom am
11. März 1919 aus.
Mit der Einigung über das Mandatssystem und die unter seinem Deckmantel
vorzunehmende Verteilung der kolonialen Beute war nach Fertigstellung auch der
übrigen Diktatsbestimmungen der ganze Akt zur Weitergabe an die deutsche
Regierung reif. Die Friedensbedingungen vom 7. Mai 1919 gaben ihm die
Formulierung.
In der Antwortnote vom 29. Mai suchte die deutsche Regierung, die drohende
koloniale Vergewaltigung noch einmal abzuwenden:
"Auf unsere Kolonien sollen wir vollständig
verzichten, nicht einmal sollen dort deutsche Missionare das Recht haben, ihren
Beruf auszuüben. Wir sollen auf jede politische, wirtschaftliche und ideelle
Betätigung verzichten.
Deutsch- [116] land ist bereit, seine
sämtlichen Kolonien der Gemeinschaftsverwaltung des Völkerbundes
zu unterstellen, wenn es als dessen Mandatar anerkannt wird."
Mit diesem letzten Satz griff die deutsche Regierung Gedankengänge auf, die sie
schon vorher am 9. Mai in ihrer Note über einen deutschen
Völkerbundsvorschlag zu einer allgemeinen Regelung der Kolonialfrage
zum Ausdruck gebracht hatte. Gleichzeitig wurde in den der Note vom 29. Mai
beigegebenen Bemerkungen der deutschen Friedensdelegation zu den
Friedensbedingungen die deutsche Stellungnahme eingehend begründet und
in ihnen auch noch einmal die koloniale Schuldlüge durch Anführung
exakter Tatsachen zurückgewiesen. Besonders unterstrichen sei aus den
Bemerkungen hier folgender Satz:
"Artikel
119 weist die deutschen Ansprüche
von vorneherein zurück, ohne daß Deutschland überhaupt in die
Lage versetzt worden ist, sie geltend zu machen."
Aber auch diese letzte Anrufung einfachster Gerechtigkeit, deren Nichtachtung
allein schon vor jedem ordentlichen Gerichtshof der zivilisierten Welt einen
stichhaltigen Revisionsgrund abgeben würde, blieb ungehört. Im
Gegenteil, in dem auf die Note vom 29. Mai erfolgenden Ultimatum vom 16. Juli
1919 der alliierten und assoziierten Mächte, also jetzt einschließlich
der Vereinigten Staaten von Amerika, zeigte sich die Wirkung der kolonialen
Schuldlüge in ihrem vollen Umfange. In der feindlichen Mantelnote
vom 16. Juni heißt es wörtlich:
"... Endlich haben die alliierten und assoziierten
Mächte sich davon überzeugen können, daß die
eingeborenen Bevölkerungen der deutschen Kolonien starken Widerspruch
dagegen erheben, daß sie wieder unter Deutschlands Oberherrschaft gestellt
werden, und die Geschichte dieser deutschen Oberherrschaft, die Traditionen der
deutschen Regierung und die Art und Weise, in welcher die Kolonien verwandt
wurden als Ausgangspunkte für Raubzüge auf den Handel der Erde,
machen es des alliierten und assoziierten Mächten unmöglich,
Deutschland die Kolonien zurückzugeben oder dem Deutschen Reiche die
Verantwortung für die Ausbildung und Erziehung der Bevölkerung
anzuvertrauen."
Und in der Begleitnote als Antwort der
alliierten und assoziierten Mächte
auf die Bemerkungen der deutschen Delegation:
"Bei dem Verlangen, daß Deutschland auf alle
Rechte und Ansprüche auf seine überseeischen Besitzungen verzichte,
haben die alliierten und assoziierten Mächte in allererster Linie die
Interessen der eingeborenen Bevölkerung berücksichtigt, für
die Präsident Wilson im fünften seiner 14 Punkte der Botschaft vom
8. Januar 1918 eingetreten ist. Es genügt, auf die deutschen amtlichen und
privaten Zeugnisse vor dem Kriege und auf die im Reichstag, besonders von den
Herren Erzberger und Noske erhobenen Anklagen Bezug zu nehmen, um ein Bild
von den kolonialen Verwaltungsmethoden Deutschlands, von den grausamen
Unterdrückungen, den willkürlichen Requisitionen und den
verschiedenen Formen von Zwangsarbeit zu erhalten, die weite Strecken in
Ostafrika und [117] Kamerun entvölkert haben, ganz
abgesehen von dem aller Welt bekannten tragischen Schicksal der Hereros in
Südwestafrika.
Deutschlands Versagen auf dem Gebiete der kolonialen
Zivilisation ist zu deutlich klargestellt worden, als daß die alliierten und
assoziierten Mächte ihr Einverständnis zu einem zweiten Versuch
geben und die Verantwortung dafür übernehmen könnten, 13
bis 14 Millionen Eingeborener von neuem einem Schicksal zu überlassen,
von dem sie durch den Krieg befreit worden sind.
Außerdem haben die alliierten und assoziierten
Mächte sich genötigt gesehen, ihre eigene Sicherheit und den Frieden
der Welt gegen einen militärischen Imperialismus zu sichern, der darauf
ausging, sich Stützpunkte zu schaffen, um gegenüber anderen
Mächten eine Politik der Einmischung und Einschüchterung zu
verfolgen."
Damit ist ein kaudinisches Joch von den vielen des Versailler Diktates, das
koloniale, aufgerichtet worden, durch welche in Versailles blinder Haß und
kurzsichtige Staatsmannschaft glaubte das deutsche Volk hindurchtreiben zu
müssen. Verantwortlich für diesen Akt sind alle beteiligten alliierten
und assoziierten Regierungen, unterzeichnet hat die Noten der Franzose
Clemenceau, aber ihr geistiger Vater, soweit sie die Kolonialfrage betreffen, ist die
englische Regierung: selbst wenn nicht bekannt wäre, daß der
Verfasser der Mantelnote der
Privatsekretär Lloyd Georges, Philip Kerr,
gewesen ist (Schnee a. a. O. Seite 28), so vergleiche man Inhalt und Wortlaut
dieser Noten nur mit der oben bereits erwähnten Rede Balfours vom 19. August
1918 und jeder Zweifel ist ausgeschlossen.
Zur Vervollständigung des Bildes sei daher hier auch diese Rede eines
englischen Staatsmannes noch wiedergegeben:
"Wollen Sie Deutschland die afrikanischen Kolonien
zurückgeben? Wollen Sie das wirklich? Sie wissen genau, was dies
bedeuten würde. In erster Linie hieße das, den Deutschen an allen
großen Verkehrsstraßen der Welt
Unterseeboots-Stützpunkte zu schaffen und also den Welthandel von
Deutschlands gutem Willen abhängig zu machen.
Zweitens bedeutete es die Wiedereinsetzung des
tyrannischen Regiments über die afrikanischen Eingeborenen. Das Haus ist
über diesen Punkt gut unterrichtet und wird es noch mehr sein, wenn das
Blaubuch, das jetzt in Vorbereitung ist, und eine Seite dieser Frage
behandelt (das
südafrikanische?), zur Veröffentlichung kommt.
Drittens würde Deutschland sich aufmachen und in Zentralafrika ein
großes schwarzes Heer gründen, das die friedliche Entwicklung
(Zwischenruf Snowden: Wie Frankreich es bereits getan hat!). Gewiß,
Frankreich hat dies getan, aber hat Frankreich etwa den Frieden seiner Nachbarn
bedroht? Darauf kommt es an. Die Deutschen haben noch nicht begriffen,
daß Nationen eine Seele haben und einen Charakter. Deutschland, so wie es
jetzt ist, würde diesen Machtzuwachs nicht nur zu seiner Verteidigung
benützen, sondern auch zum Angriff. Ich bezeichne es nicht als an sich
verwerflich, ein geschultes Heer von Schwarzen zu haben. Ein solches mag
erforderlich sein oder auch nicht. Wenn überflüssig, sollte es
wegbleiben. Wenn notwendig, sollte es unter allen Umständen gebildet
werden. Wogegen ich Einspruch erhebe, ist, daß Deutschland am Ende des
Krieges in Gestalt eines der mächtigsten Kolonialreiche eine Waffe
zurückerhält, die in seiner Hand der Welt nur zum Unheil gereichen
würde. Meiner Meinung nach kann man sich kein größeres
Hindernis für den Weltfrieden und keine größere [118] Verschlimmerung des allgemeinen Elends
vorstellen als die Rückgabe der großen Gebiete Zentralafrikas an
Deutschland. In seiner gegenwärtigen Verfassung würde es sich ihrer
bedienen, um auf dem afrikanischen Kontinent Schaden anzurichten. Der Schaden
träfe vor allem die großen Adern des Handelsverkehrs, welche die
zivilisierten Nationen verbinden."
Eine solche mit moralischer Ächtung engverknüpfte und durch sie
begründete Vergewaltigung kann und wird kein Volk der Erde, das noch
über einen Funken Ehrgefühl und einen Hauch von Tatkraft
verfügt, sich auf die Dauer gefallen lassen, jedenfalls das deutsche nicht! Es
wird nicht ruhen und rasten, bis auch dieses ihm auf kolonialem Gebiet angetane
schreiende Unrecht in vollem Umfange wieder gutgemacht ist.
Im vorhergehenden ist versucht worden, in großen Umrissen einen
Überblick zu geben über die geschichtliche Entwicklung der
kolonialen
Schuldlüge bis zu ihrer Auswertung und Festlegung im Versailler
Diktat bzw. im Ultimatum vom
16. Juni 1919 und der mit ihm verbundenen
Antwortnote auf die
Bemerkungen der deutschen Delegation zu den
Friedensbedingungen. Es bleibt nun noch übrig, zu prüfen, ob auch
nur ein Punkt der darin enthaltenen Vorwürfe gegen Deutschland sich als
stichhaltig erweisen läßt.
Diese Vorwürfe sind, und zwar aus naheliegenden Gründen, sehr vage
gefaßt und noch vager belegt. Als Beweismittel führt die Antwortnote
unmittelbar nur folgendes
an:
"Es genügt, auf die deutschen amtlichen und
privaten Zeugnisse vor dem Kriege und auf die im Reichstag besonders von den
Herren Erzberger und Noske erhobenen Anklagen Bezug zu nehmen, um ein Bild
von den kolonialen Verwaltungsmethoden, von den grausamen
Unterdrückungen, den willkürlichen Requisitionen und den
verschiedenen Formen einer Zwangsarbeit zu erhalten, die weite Strecken in
Ostafrika und Kamerun entvölkert haben, ganz abgesehen von dem aller
Welt bekannten tragischen Schicksal der Hereros in
Südwestafrika."
Wie es mit den angeblichen deutschen Zeugnissen, insbesondere auch denen der
Abgeordneten Erzberger und Noske steht, ist schon oben hinreichend
gewürdigt worden, und zwar mit deren eigenen Worten. Man muß
schon nach parlamentarischen Worten suchen, um ein Verfahren zu kennzeichnen,
diese beiden Männer nach ihren den alliierten und assoziierten Regierungen
bekannten einwandfreien Erklärungen hier noch als Zeugen gegen
Deutschland aufzuführen. Erzberger selbst hat sich in Erwartung des
Kommenden darüber in einer Rede gelegentlich einer von Tausenden
besuchten kolonialen Protestversammlung in der Berliner Philharmonie am
2. Februar 1919 wie folgt geäußert:
"Man sollte in Paris doch wenigstens offen sein und
sagen: Wir wollen eure Kolonien, weil wir sie brauchen, weil sie zur Abrundung
unseres Besitzes dienen sollen, wir wollen sie zur »Belohnung« oder so
ähnlich. Das wäre wenigstens wahr und offen. Aber man versucht,
uns auf dem Wege des [119] Schleichhandels die Kolonien zu rauben. Der
Kolonialraub in Paris bringt kein Glück. Er ist der Tod des
Völkerfriedens. Unser ganzes Volk muß einig sein im Protest gegen
die koloniale Regelung. Es handelt sich um unsere Zukunft. Erwache deutsches
Volk!"
Weiter äußerte sich dieser "Kronzeuge" des Ultimatums in einer neuen
Rede am 16. März 1919, also vor Erlaß dieses Ultimatums vor der
deutschen Liga für Völkerbund in Berlin:
"Deutschland hat aber ein unbestreitbares
moralisches Recht auf Kolonialbesitz. Es ist eine Beleidigung sondergleichen, die
man dem deutschen Volk antut, wenn man ihm die Fähigkeit zur
Kolonisation abstreitet. Kolonisieren heißt Missionieren. Nach diesem
Grundsatz haben wir Kolonialpolitik betrieben, ich sage, mit moralischem Erfolg.
Die deutschen
Kolonien konnten sich sehen lassen vor dem Kriege. Darum ist es
eine Schmähung des ganzen deutschen Volkes, wenn man Deutschland die
Kolonien wegnehmen will, um sie unter Vormundschaft eines anderen Volkes zu
stellen, als ob wir nicht selbst zu dieser Vormundschaft fähig
wären."
Und das "aller Welt bekannte tragische Geschick der Hereros", wodurch sollte es
bewiesen werden? Durch das oben ebenfalls schon wiederholt erwähnte und
abgetane - südafrikanische Blaubuch!
Aber nicht nur diese in der Note unmittelbar oder mittelbar angeführten
Zeugen und Zeugnisse versagen bei näherer Untersuchung völlig,
sondern auch alle anderen, auf die sich die koloniale Schuldlüge glaubte
stützen zu können, die Sir Harry H. Johnston, Sir Hugh Clifford, John
Harris, Evans Lewin. Allen ihren abfälligen und ungünstigen
Äußerungen über deutsche Kolonisationsarbeit können
wir genau das Gegenteil bekundende aus der nicht sinnverwirrten Zeit vor dem
Kriege entgegenhalten. So äußerte sich Sir Harry Johnston noch ganz
kurz vor dem Kriege in einem von ihm in Stuttgart gehaltenen öffentlichen
Vortrag:
"Wenn von den großen Kolonialvölkern
der Welt gehandelt wird, ist es schwierig, zwischen den Deutschen und
Engländern einen Unterschied zu machen."
Er hat damit nur das Fazit gezogen aus dem, was er schon vorher in seinen
Werken: Opening up of Africa (1911) und A History of the Colonisation of
Africa by Alien Races (1913) über deutsche Kolonialarbeit, insbesondere
aber auch über deutsche Kulturarbeit in den Kolonien gesagt hatte. Ja selbst
zu Beginn des Krieges war er noch sachlich genug, im Märzheft 1916 des
Windsor Magazin u. a. festzustellen:
"Sie haben in weitestem Maße
Räubereiunwesen und Sklaverei ausgerottet. Sie haben den Landbau
beträchtlich gefördert und überhaupt die Lebenshaltung und
Daseinsbedingungen der Eingeborenen gebessert und gehoben. Ihre Missionare
haben ähnliche Erziehungsarbeit geleistet wie die britischen und
französischen... Wenn die Deutschen Ostafrika verlieren, wird es nicht die
Folge irgendwelcher Verbrechen sein, die sie in Afrika begangen
haben."
[120] Wie Sir Harry singt auch Rev. John Harris in
seinem Buch Dawn in Darkest Africa (1912) Seite 301 ff. das hohe Lied
deutscher Tüchtigkeit und empfiehlt sogar die Ausdehnung deutschen
Herrschafts- und Arbeitsbereiches in das Kongogebiet hinein. Mit dessen
Verwaltung und Ausbeutung durch die Belgier (vgl. seine verschiedenen Berichte
über die "Kongogreuel" und selbst noch seinen letzten Present conditions
in the Congo, 1911), aber auch durch die Franzosen war er gar nicht
zufrieden:
"Nur Franzosen sollten in die Kolonien der
»Liberté,
Egalité, Fraternité« gehen, denn da gibt es wenig Freiheit, noch weniger
Gleichheit und gar keine Brüderlichkeit für Weiß oder
Schwarz."
Mit seinem Vorschlag der Ausdehnung deutscher Kolonialherrschaft befand sich
Harris übrigens in vollem Einvernehmen, das sei gleich hier
vorweggenommen, mit der englischen Vorkriegsregierung, die ihrerseits bereit
war, einer solchen Ausdehnung deutscher Kolonialbetätigung zwar nicht im
Kongo, aber in den afrikanischen Gebieten Portugals zuzustimmen. Der
diesbezügliche Vertrag war im Juli 1914 bereits so gut wie
abgeschlossen.
Sir Hugh Clifford, der in ganz ähnlicher Weise wie Evans Lewin eine
Schmähschrift unter dem Titel German Colonies verfaßt hat,
muß sich durch den deutschen stellvertretenden Gouverneur Hans Georg von
Döring in dessen Erwiderung darauf Colonies und Calumnies (Kolonien
und Verleumdungen), viele bittere Wahrheiten sagen lassen, wobei u. a.
Döring auf Seite 12 der 2. Ausgabe seines Buches 1919 feststellt, daß
noch im September 1913 Sir Hugh Clifford in Lome Togo als "Musterkolonie"
gepriesen habe. Und schließlich Evans Lewin. Er veröffentlichte zu
Beginn des Krieges (1915) in Wiederholung bereits vorher in den Oxford
Pamphlets gemachter Niederschriften ein Buch The Germans in Africa, das
eigentlich, wenn man hinter die mit ihm verfolgte Absicht der Appetiterregung bei
seinen englischen Landsleuten auf Annexion der deutschen Schutzgebiete sieht,
ebenfalls vom Anfang bis zum Ende ein uneingeschränktes Lob deutscher
Kolonialarbeit darstellt.
So sehen also die weiteren eigenen "Kronzeugen" der amtlichen englischen
Schuldlüge aus: Lobredner deutscher Kolonialarbeit im Frieden, Verdammer
derselben im Kriege, und zwar je unnachsichtiger, je mehr sich der Krieg seinem
Ende zuneigte. Damit wäre vor jedem unparteiischen Gerichtshof der Welt
ihre Unglaubwürdigkeit und ihre Ablehnung begründet.
Aber deutscherseits braucht man sich nicht einmal auf ihre Friedensbekenntnisse
zu stützen, liegen doch außer ihnen noch zahlreiche andere für
uns sprechende Zeugnisse englischer und sonstiger nichtdeutscher Sachkenner vor,
von denen hier nur noch einige angeführt werden sollen. Im Februarheft
1914 des United Empire, [121] des Organs des "Royal Colonial Institute", also
des Institutes, dessen Sekretär Evans Lewin war, wird berichtet über
eine Sitzung dieses Institutes vom 13. Januar 1914, in welcher der deutsche
Professor Bonn einen Vertrag gehalten hatte. Auch diesen deutschen Professor hat
auf Grund herausgerissener Bemerkungen aus seinem Vortrag und aus seinen
Veröffentlichungen die englische Hetze für sich auszunutzen versucht
und hat sich damit wiederum in wissentlichen Gegensatz zu den Tatsachen gesetzt.
In der an den Januarvortrag sich anschließenden Diskussion
äußerten sich gerade unter dem Eindruck der offenen Bonn'schen
Darlegungen sowohl der Vorsitzende Viscount Milner als auch verschiedene
Mitglieder, so das Parlamentsmitglied George Foster, kanadischer Handelsminister,
Robert Melville und Sir Charles Lucas nur lobend über die deutsche
Kolonialarbeit, wobei der letztere ausrief "Und geben Sie sich darüber
Rechenschaft, daß all dies das Werk von nur dreißig Jahren ist? Es ist
ein wundervolles Werk eines großen Volkes".
Doch nicht nur solche noch um vieles zu vermehrende englische Stimmen
(z. B. Hamilton wiederholt im United Empire, Sir Charles Elliot in seinem
Buch The East Africa Protectorate, 1901, Vizekonsul Douglas Young in den
amtlichen Diplomatic and Consular Reports, 1907/08, die englischen
Kolonialbeamten Melland und Cholmeley in ihrem Buch Through the Heart of
Africa, 1912, Morel in seinen verschiedenen Schriften, vor allen Dingen in der
oben erwähnten Africa and the Peace of Europa und zahllose
Aufsätze in englischen Zeitungen und Zeitschriften) sind laut geworden vor
Formulierung der Schuldlüge im Ultimatum, und gerade das nachzuweisen
erscheint wichtig, sondern auch andere nichtdeutsche Sachverständige haben
sich zu Gunsten deutscher Kolonialarbeit vor und noch während des Krieges
vernehmen lassen. Der zur Verfügung stehende Raum verbietet, sie alle zu
zitieren und es sei wegen dieses Materials verwiesen zunächst wieder auf
das Schnee'sche Buch Die koloniale Schuldlüge, dann u. a. auf
"Deutschlands koloniale Ehrentafel" von Hans Zache im Deutschen
Kolonialbuch,5 weiter auf eine
im Mai 1919 in Bern erschienene Schrift
German Colonial Methods, a collection of English, French and American
Criticisms, die den bekannten Kolonialpolitiker Dr. Ludwig Scholz zum Verfasser
hat, und schließlich auf folgende zwei Veröffentlichungen: Dr. Hans
Poeschel Die Kolonialfrage im Frieden von Versailles, Dokumente zu ihrer
Behandlung, Berlin 1920, Mittler & Sohn, und Dr. Mansfeld und G. Hildebrand
Englische Urteile über
deut- [122] sche
Kolonisationsarbeit, Berlin, Dietrich Reimer. Hier wollen wir nur noch eine
französische und drei amerikanische Zeugnisse zu Wort kommen lassen. Die
sicher nicht deutschfreundliche Dépêche Coloniale schreibt unter dem 6.
Oktober 1916:
"Durch das Aufblühen Togos, Kameruns,
Ostafrikas, ja sogar der kleinen deutschen Gebiete im Stillen Ozean,
schließlich auch Kiautschous, waren die Deutschen nahe daran, den
höchsten Rang unter den Kolonialmächten einzunehmen" und "Togo,
Kamerun, Südwest- und Ostafrika waren in voller Blüte.
1913-1914 belief sich ihr Handel auf 278 Millionen Franken (tatsächlich
belief sich der Gesamthandel der deutschen Schutzgebiete ohne Kiautschou in
diesem Zeitpunkt auf über 319 Millionen Mark, vgl. Dr. Warnack, Die
Bedeutung kolonialer Eigenproduktion für die deutsche Volkswirtschaft,
Berlin 1926). 357 deutsche Gesellschaften mit einem Kapital von 506 250 000
Franken arbeiteten in den Kolonien. 4400 Kilometer Eisenbahnen waren gebaut
und Milliarden waren in die afrikanische Erde gesät".
Präsident Roosevelt sagt in seinem Buch: African Game Trails, 1910:
"Es sind erstklassige Menschen diese
Engländer und Deutschen; beide errichten in Ostafrika ein Werk, das der
ganzen Welt zugute kommt."
Der amerikanische Weltreisende A. E. Forbes stellt in der American Review of
Reviews, 1911, folgendes Zeugnis aus:
"Von allen Herren Afrikas hat der Deutsche die
reinsten Hände und die besten Aussichten."
Am eingehendsten befaßt sich aber der Amerikaner Herbert Adam Gibbons
mit dem ganzen Kolonialproblem in seinem Buch The new Map of Africa, 1916,
das auch heute noch größte Beachtung verdient; er schreibt
u. a.:
"Im Gegensatz zu dem, was in den letzten zwei
Jahren (also seit 1914) behauptet worden ist, ist die öffentliche Meinung in
Deutschland, wie wir bereits gelegentlich der Niederwerfung des Hereroaufstandes
in Südwestafrika gesehen haben, sehr auf dem Posten hinsichtlich der
Verantwortlichkeit Deutschlands gegenüber seinen eingeborenen
Mündeln. Man braucht nur die Zeitungen und Zeitschriften zu lesen, die
Buchverzeichnisse zu überblicken und die Reichstagsdebatten der letzten 15
Jahre durchzugehen, um festzustellen, daß nur in England, unter all den
europäischen Kolonialmächten, so viel Menschlichkeit und
Idealismus bewiesen worden ist, wie in Deutschland hinsichtlich der Aufrichtung
und Fortführung eines gerechten und aufgeklärten Kolonialregimes.
Gerade in diesem Augenblick ist es außerordentlich wichtig, daß diese
Feststellung gemacht wird von jemandem, der nicht verdächtigt werden
kann des Sympathisierens mit Deutschland während des jetzigen Krieges
oder des Versuchs, für die deutsche Sache zu plädieren. Wahrheit
bleibt Wahrheit. Und nur auf Wahrheit kann die Zukunft aufgebaut
werden."
Gibbons belegt dann noch eingehend im einzelnen, was Deutschland auf
kolonialem Gebiete zum allgemeinen Wohl und zum besonderen der Eingeborenen
geleistet hat. Bei allen diesen Stimmen im eigenen Lager unserer Feinde braucht es
wahrlich nicht noch besonderer deutscher Zeugnisse zur Widerlegung der
kolonialen Schuldlüge [123] und nur, um das Bild zu vervollständigen,
sei an die einwandfreie und sachliche Darstellung Solfs erinnert in seinem Beitrag
"Erfolge deutscher Arbeit in den Kolonien" zu dem 1918 veröffentlichten
Werk Das deutsche Buch fürs deutsche Volk von Georg Gellert,6 in
welchen er gestützt auf amtliche Unterlagen den Zustand der deutschen
Schutzgebiete bei Übernahme durch Deutschland vergleicht mit dem
Zustand der gleichen Gebiete im Jahre 1914, also nach noch nicht ganz
dreißigjähriger Kolonialarbeit. Ohne uns zu überheben,
dürfen wir mit Sir Charles Lucas (siehe oben) wohl sagen: "Das
wundervolle Werk eines großen Volkes".
Es ist also Unwahrheit und zwar bewußte Unwahrheit, somit Lüge,
wenn nicht etwas Schlimmeres, wenn das Ultimatum der alliierten und assoziierten
Mächte erklärt: "Deutschlands Versagen auf dem Gebiete der
kolonialen Zivilisation ist zu deutlich klargestellt worden", und diese Lüge
gibt neben der Verweigerung des Anhörens, neben der Verweigerung einer
"unparteiischen" Schlichtung, von einer "freien und weitherzigen" ganz zu
schweigen, den zweiten Revisionsgrund gegen das Versailler Diktat in dieser, der
kolonialen Sache.
Um in der Klarstellung der ganzen Angelegenheit nichts zu versäumen, sei
hier mit einigen Sätzen auch noch eingegangen auf den in der Note zum
Ultimatum erhobenen Vorwurf des "militärischen Imperialismus", im
Ultimatum selbst reichlich unklar interpretiert als "Ausgangspunkt für
Raubzüge auf den Handel der Welt". Daß vor dem Kriege
Deutschland in seinen Schutzgebieten keinen "Militarismus" getrieben hat, ist
außer durch die mögliche Vorlegung wiederum in großer Zahl
vorhandener Zeugnisse aus aller Welt am einfachsten und klarsten nachzuweisen
durch einige einwandfreie Daten, die übrigens gerade die englischen
Staatsmänner jederzeit in den verschiedenen Bänden ihres
Statesman's Yearbook hätten vor sich haben können, wenn sie sonst
nicht über die Verhältnisse im Klaren gewesen wären. In
sämtlichen deutschen Schutzgebieten gab es keinen einzigen befestigten
Hafen oder sonstwie nach neuzeitlichen Erfordernissen befestigten Platz, wie etwa,
um nur zwei zu erwähnen, Gibraltar und Aden. Auch Kiautschou war, und
das wußten gerade die Engländer am besten, weder ein
Flottenstützpunkt noch eine Unterseebootsbasis. Die militärisch
organisierten Kräfte in den großen afrikanischen Schutzgebieten, also
in Ländern, die nahezu den sechsfachen Umfang des Deutschen Reiches vor
dem Kriege hatten,
Schutz- und Polizeitruppen zusammengenommen, wiesen folgende Zahlen auf:
Deutsch-Ostafrika |
rund |
4 800 Mann |
Kamerun |
" |
2 600 Mann |
Südwest-Afrika |
" |
2 800 Mann |
[124] von diesen letzteren etwa 700 Mann reine
Landespolizei. Alle diese Formationen waren bestimmt, und diese Bestimmung
war gesetzlich festgelegt, zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung in den
einzelnen Schutzgebieten. Ihre Ausrüstung und Bewaffnung war diesen und
nur diesen Aufgaben angepaßt, sie konnten also weder ihrer Zahl noch ihrer
Bewaffnung nach jemals für eine "Politik der Einmischung und
Einschüchterung" gegenüber anderen Mächten in Frage
kommen, zumal wenn diese Mächte das englische Weltreich und Frankreich
waren. Im Gegenteil, vor dem Kriege scheint es gerade Staatsmännern des
englischen Imperiums fraglich gewesen zu sein, ob diese schwachen Kräfte
überhaupt zur Erfüllung ihrer Aufgaben der Aufrechterhaltung von
Ruhe und Ordnung im Innern der deutschen Schutzgebiete ausreichten. Anders
sind z. B. Äußerungen des Premierministers der
Südafrikanischen Union, Botha, bei einer Zusammenkunft in
Südafrika im Jahre 1912 mit dem deutschen Kolonialstaatssekretär
Dr. Solf doch wohl nicht aufzufassen. Solf schreibt darüber in seinem 1919
veröffentlichten Büchlein Kolonialpolitik, mein politisches
Vermächtnis, Seite 53, unter Bezugnahme auf seine entsprechende
Tagebucheintragung:
"Botha kam dann auf die Eingeborenen in
Südwest zu sprechen und auf eine mögliche Wiederholung des
Aufstandes. Als ich in diesem Zusammenhang auf die von einem Teil unserer
Volksvertretung gewünschte Verminderung der Schutztruppe kam, riet er
dringend ab, im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung unter die Zahl von
2000 als Stärke der Schutztruppe herunterzugehen. Auch er sei der Meinung,
daß man Eingeborenen niemals trauen könne und immer auf der Hut
sein müsse."
Für Kamerun wird die Nichtmilitarisierung ausdrücklich
bestätigt durch den französischen Mandatsbericht 1923:
"Die Deutschen hatten in Kamerun keine festen
Organisationen geschaffen, die als Befestigung oder als militärische oder
Marinebasis hätten qualifiziert werden können."
Über Deutsch-Ostafrika sollen hier nur zwei fremde Zeugnisse
angeführt werden. Brigadegeneral C. P. Fendal schreibt in seinem Buch:
The East Africa Force 1915-1919:
"Es war der Gedanke vorhanden, daß im Falle
zwischen England und Deutschland Krieg ausbrechen sollte, kein aktiver Kampf in
Afrika stattfinden würde... Es wurde befürchtet, daß das
Prestige des weißen Mannes erniedrigt und der Fortschritt der Zivilisation in
Afrika um 100 Jahre hinausgeschoben werden würde. Das Vorwiegen dieses
Gedankens führte dazu, daß sowohl in
Britisch- wie in Deutsch-Ostafrika nur genügend Truppen gehalten wurden,
um mit lokalen Aufständen fertig zu werden."
Und der zweite Zeuge, der englische Arzt Norman Leys, Verfasser des Buches
Kenya, äußert sich in einem Aufsatz im New Leader vom 24.
August 1926:
[125] "Einen Monat
später (nach Kriegsbeginn) sah ich mit eigenen Augen die armen Teufel von
deutschen Askari rückständige Gewehre gebrauchen, welche mit
schwarzem Pulver feuerten, von dem jede Rauchwolke ein willkommenes Ziel
für unsere mit modernen rauchlosen Gewehren bewaffneten Leute abgab.
Der Beweis, daß Deutschland in Afrika keinen Krieg beabsichtigte, ist
ebenso komplett, wie der, daß das Mandatssystem ein bloßer Mantel
war, unter dem drei imperialistische Mächte ganze Länder ohne eine
Spur von Rechtfertigung stahlen."
Daß trotz dieser schlechten Bewaffnung und geringen Zahl ihrer
militärisch ausgebildeten Verteidiger unsere großen afrikanischen
Schutzgebiete, insbesondere Kamerun und
Deutsch-Ostafrika einen so langen
Widerstand, letzteres bis zum Ende des Krieges,
leisten konnten, ist in der Hauptsache zurückzuführen auf die
hingebende Treue der Eingeborenen
zur deutschen Herrschaft, worauf in anderem
Zusammenhange noch zurück zu kommen sein wird.
Aus dem soeben Gesagten erhellt ohne weiteres, daß für die Zeit vor
dem Kriege der Vorwurf des "militärischen Imperialismus"
unbegründet ist, und daß die alliierten und assoziierten Mächte
auch wußten, daß er unbegründet war. Sie suchten daher ihre
ihnen selbst nur wenig haltbar scheinende Stellung durch einen Wechsel auf die
Zukunft zu stärken. Das geht besonders aus der oben zitierten Rede Balfours
vom 19. August 1918 klar hervor: Die Deutschen haben zwar nicht, aber sie
könnten doch! Aber selbst mit diesem Argument, das an sich als
Prophezeiung schwerer zu widerlegen wäre, haben die alliierten und
assoziierten Mächte kein Glück. Schon der
Kolonialstaatssekretär Solf hat zu einer Zeit, als der Ausgang des Krieges
noch recht fraglich schien, in seinen Reden wiederholt erklärt, daß
Deutschland gegen internationale Abmachungen über eine völlige
Entmilitarisierung Afrikas nichts einzuwenden habe, und zwar umso weniger als es
ja selbst von vorneherein von jeder Militarisierung abgesehen habe.7 Diese
Erklärungen Solfs sind in noch feierlicherer und Deutschland bindender
Weise wiederholt worden in der deutschen Mantelnote vom 29. Mai 1919, in der
sich Deutschland bereit erklärte, seine sämtlichen Kolonien der
Gemeinschaftsverwaltung des Völkerbundes zu unterstellen, wenn es als
dessen Mandatar anerkannt werde. Die damals schon bekannten Grundsätze
des Völkerbundes sahen aber eine Entmilitarisierung vor und sie ist auch im
Artikel 22
(Völkerbundspakt) ausdrücklich festgelegt worden. Das hat
allerdings nicht gehindert, daß diese Bestimmung in einem Falle bereits von
den alliierten Mächten selbst, bei Erteilung des Mandatsauftrages an
Frankreich über den Hauptteil von Kamerun, durchbrochen worden und
damit ein neuer Revisionsgrund für dieses Teilgebiet des
Ver- [126] sailler Diktates
für Deutschland geschaffen ist. Es wäre also den alliierten und
assoziierten Mächten ein Leichtes gewesen, auch diese tatsächlich
zwar nicht vorhandene aber von ihnen angeblich gefürchtete Zukunftsgefahr
einer deutschen Militarisierung Afrikas mit Zustimmung Deutschlands zu
beseitigen.
Aus dem Bestreben heraus, in diesen Ausführungen strengste Sachlichkeit
zu wahren, ist bisher auf die sich oft bietende Gelegenheit verzichtet worden, zur
Abwehr der kolonialen Schuldlüge eine kritische Beurteilung der Methoden
und reichlich vorhandenen Fehler anderer Kolonialmächte heranzuziehen
und Vergleiche zu stellen, die sicher nicht zuungunsten deutscher Kolonialarbeit
ausfallen würden. Hier ist aber uns zu unrecht die Militarisierung von
Eingeborenen vorgeworfen von Mächten, die selbst diese Militarisierung
vorgenommen oder wenigstens ihre Früchte genossen haben. Es handelt sich
dabei nicht um bedauerliche Einzelfälle, die zu verallgemeinern jeder
vernünftige Mensch sich hüten wird, sondern wirklich um ein System,
das nach dem überwiegenden Urteil der zivilisierten Welt gegen
höchste Grundsätze verstößt. Es ist doch Tatsache, um
nur das Wichtigste zu erwähnen, daß Frankreich in
Durchführung dieses Systems über eine halbe Million farbiger
Soldaten auf europäische Schlachtfelder geführt hat und daß
die französische Armee gegenwärtig 200 000 Farbige unter ihren
Fahnen hält.8 Es ist doch weiter
Tatsache, daß der englische Minister
Balfour in seiner Rede vom 19. August 1918 diese Militarisierung von
Kolonialvölkern, diese Aufstellung einer "schwarzen Armee"
ausdrücklich gebilligt hat, wobei hier dahingestellt bleiben kann, ob ein
solcher Freischein an Frankreich rein vom englischen Standpunkt aus betrachtet
staatsmännisch klug war und sich nicht eines Tages gegen England wenden
kann und wird. Wer trägt also die Verantwortung für die
Militarisierung Afrikas? Jedenfalls nicht das verlästerte Deutschland,
sondern die alliierten Hauptmächte, die sich die deutschen Schutzgebiete
unter der falschen Behauptung deutscher Militarisierung angeeignet haben. Ihre
Beschuldigung Deutschlands erinnert verzweifelt an den Ruf: "Haltet den Dieb",
diese altbekannte Ablenkungstaktik eines sich selbst in Gefahr der Ertappung
befindenden Diebes.
Es bleibt nun nur noch die kritische Würdigung einer weiteren Einzelheit
des Ultimatums übrig:
"Endlich haben die alliierten und assoziierten
Mächte sich davon überzeugen können, daß die
eingeborenen Bevölkerungen der deutschen Kolonien starken Widerspruch
dagegen erheben, daß sie wieder unter Deutschlands Oberherrschaft gestellt
werden."
Um gleich die Hauptsache vorwegzunehmen, das ganze Verhalten der
Eingeborenen in den Schutzgebieten, ihre durch nichts
weg- [127] zuleugnende Treue,
Anhänglichkeit und Aufopferung für ihre deutschen Herren
während des Krieges sprechen gegen diese Behauptung der Feinde.
Hätten die Eingeborenen die deutsche Herrschaft wirklich so gehaßt,
wie die feindliche Propaganda es gern hinstellen möchte, so wäre es
ihnen bei den schwachen deutschen Kräften, zumal bei der im
Verhältnis zu ihrer Millionenmasse recht geringen Anzahl deutscher
Männer, die sich bei Ausbruch des Krieges in den Schutzgebieten befanden,
nach Bruch der Kongoakte durch die Feinde und dem Einmarsch von deren weit
überlegeneren Truppen ein leichtes gewesen, sich zu erheben und das
"verhaßte Joch" abzuschütteln. Aber nichts dergleichen ist geschehen.
Nicht nur die eingeborenen Soldaten
sondern auch die große Masse der
übrigen Bevölkerung haben mit einer Treue zu uns gehalten, die uns
zur Pflicht macht, auch ihnen die Treue zu wahren. Ihr ganzes Verhalten im
Kriege, insbesondere die
Leistungen der Ostafrikakämpfer unter General
von Lettow-Vorbeck haben die Bewunderung der Welt erregt und selbst bei den am
nächsten beteiligten Feinden Anerkennung gefunden. Der Amerikaner
Gibbons sagt darüber in seiner ruhigen, sachlichen
Art:9
"Die Fähigkeit der deutschen Offiziere in
Kamerun und Ostafrika, über die Loyalität ihrer eingeborenen
Truppen und die Mitarbeit der Einwohner dieser zwei Kolonien zu verfügen,
ist eine große Überraschung für Frankreich und England und
widerlegt die These, daß die Eingeborenen der Teile Afrikas, über
welche Deutschland herrschte, begierig wären, die englischen und
französischen Befreier zu bewillkommnen."
Die Richtigkeit dieser amerikanischen Auffassung wird sogar von englischer Seite
bestätigt. So schreibt z. B. die African Mail am 20. November
1914 über Kamerun:
"Die Eingeborenen von Duala sind antideutsch,
wahrscheinlich aber nur, weil wir jetzt hier sind. Die Eingeborenen im Hinterlande
sind entschieden deutschfreundlich."
und die Times noch am 12. Dezember 1918 über Ostafrika:
"Es ist ein Irrtum, daß die Eingeborenen bei
Ausbruch des Krieges sich stark nach Befreiung sehnten... Ein Element kann sich
sogar als eine ausgesprochene Gefahr erweisen, nämlich der eingeborene
deutsche Soldat, dessen unbedingte Treue bemerkenswert ist."
Nicht vergessen soll werden, in diesem Zusammenhang erneut ehrend des Sultans
Kahigi von Bukoba zu gedenken, der den Freitod trotz verlockendster Zusagen
dem Dienst unter anderer als deutscher Herrschaft vorzog.
Worauf stützt sich nun diesen Tatsachen und Zeugnissen gegenüber
die Behauptung des Ultimatums? Eine Volksbefragung, wie sie besonders Lloyd
George, zuletzt noch im Januar 1918 den
eng- [128] lischen Gewerkschaften,
zugesagt hatte, hat nicht stattgefunden. Wohl hat die englische Regierung unter
dem Druck der öffentlichen Meinung versucht, so etwas zu inszenieren,
jedoch mit beschämend geringem Erfolg. Das Material, welches in dem im
November 1918 dem Parlament vorgelegten Weißbuch: Correspondence
relating to the wishes of the Natives of the German Colonies as to their
future Government enthalten ist, gibt nicht die "Wünsche der Eingeborenen
der deutschen Kolonien auf ihre zukünftige Regierung", also Volksstimmen
wieder, sondern höchstens Einzelstimmen, die unter den obwaltenden
Verhältnissen, Besetzung und Kriegsdruck, mehr oder weniger freundliches
Zureden, Mentalität der Eingeborenen usw. nicht unschwer zu beschaffen
waren. Diesen so gesammelten Einzelstimmen kann deutscherseits ohne weiteres
Gleiches entgegengesetzt werden; es sei nur erinnert an die Eingabe von 117
Kameruner Häuptlingen an den König von Spanien vom 2. Februar
1919, an die Eingabe von Togoleuten an den Herzog Adolf Friedrich von
Mecklenburg vom 20. Mai 1919, an die Eingabe von
Kamerun-Eingeborenen an die deutsche Nationalversammlung vom 19. Juni 1919
und zahlreiche Einzeläußerungen aus allen Teilen des deutschen
Kolonialreichs.10 Über Ostafrika sagt der englische
Administrator in seinem
im Weißbuch veröffentlichten Bericht selbst, daß es ein Irrtum
gewesen wäre, daß die Eingeborenen sich nach einer Befreiung von
der deutschen Herrschaft gesehnt hätten, und erklärt eine allgemeine
Befragung für unklug. Hinsichtlich Neuguineas berichtet der dortige
australische Administrator, daß irgendein zuverlässiger Ausdruck der
Wünsche der Eingeborenen nicht zu erlangen sei. Bei Samoa mußte
der Premierminister von Neuseeland auf der Reichskonferenz: in London am 2.
Oktober 1923 zugeben, daß die samoanische
Eingeborenenbevölkerung zuerst etwas im Zweifel gewesen sei. Diese
Zweifel haben die Samoaner selbst in einer schon im Jahre 1921 an den
König von England gerichteten Eingabe deutlich genug zum Ausdruck
gebracht.11 Die Stimmung in Südwestafrika ist, ebenfalls
rückschließend, am besten zu erkennen aus den Vorgängen
beim Tode des Nationalheros der Herero, Samuel Maherero, die sich nach den
Berichten der Landeszeitung für Südwestafrika vom 25. und 27.
August 1923 zu einer geradezu begeisterten Kundgebung für die alte
deutsche Herrschaft gestalteten.
Um das Bild zu vervollständigen, seien hier noch drei weitere
Zeug- [129] nisse aus fremder Quelle
angeführt, die unter Berücksichtigung des vorstehend bereits
Gesagten beweisen, daß die Behauptung des Ultimatums keinesfalls
zutreffend ist. Die American Review of Reviews vom Dezember 1920 stellt fest:
"Weiße und Schwarze sind von den in den ehemals deutschen Kolonien
herrschenden Zuständen angeekelt", die englische Zeitschrift West Africa
sagt 1921 über Kamerun: "Jeder kleine Häuptling, den ich bei
meinem Besuch in Viktoria und Buea traf, war offener und überzeugter
laudator temporis acti", und schließlich schreibt der italienische Messagero
vom 4. Februar 1922 über Ostafrika: "Und die Eingeborenen, die von den
Deutschen an Arbeit und an guten Verdienst gewöhnt waren, sind heute mit
den neuen englischen Herren unzufrieden." Also, es ist weder zutreffend, daß
die Eingeborenen in ihrer großen Masse die Entfernung ihrer deutschen
Herren gewünscht haben, noch daß sie der Ansicht sind, die
Vertreibung der alten Herren habe ihren eingeborenen Interessen gedient.
Damit hat auch der letzte Einzelpunkt der in dem Ultimatum und der Begleitnote
amtlich formulierten kolonialen Schuldlüge seine kritische
Würdigung und Widerlegung gefunden. Ultimatum und Begleitnote sollten
dazu dienen, die Fiktion aufrechtzuerhalten, als ob der Punkt 5 des
Wilson-Programms im Diktat von
Versailles doch noch Berücksichtigung
gefunden hätte. Die alliierten und assoziierten Mächte mußten
folgerichtig also nachzuweisen versuchen nicht nur, daß "die Interessen der
betroffenen Bevölkerung" gewahrt worden seien durch Bewahrung vor der
deutschen Mißwirtschaft, sondern auch, daß Deutschland selbst seine
Kolonien gar nicht gebrauche. Sie haben das auch getan, zwar nicht in der
Mantelnote, dem eigentlichen Ultimatum, aber in der Begleitnote vom 16. Juni
1919. Dort findet sich in dem Absatz nach dem Abschnitt, der die
Begründung durch die koloniale Schuldlüge enthält, die
Behauptung:
"Die alliierten und assoziierten Mächte sind
der Ansicht gewesen, daß der Verlust seiner Kolonien Deutschlands normale
wirtschaftliche Entwicklung nicht behindern würde."
Das ist eine neue Unrichtigkeit, die in diesem Zusammenhange nur als zum
Ganzen gehörig erwähnt werden soll, ihre Bearbeitung wird sie in
einem anderen Teil dieses Werkes finden. Immerhin sei auch hier schon
vorsorglich darauf hingewiesen, daß wieder eigene Äußerungen
britischer Staatsmänner dartun, daß die Väter des Versailler
Diktats sich selbst über die wirtschaftliche Bedeutung der Schutzgebiete
völlig im klaren waren. Kein Geringerer als der Erfinder des
Mandatsgedankens, Smuts, hat Anfang 1918 über
Deutsch-Ostafrika sich dem Sinne nach wie folgt ausgesprochen:
"Von der Pracht Ostafrikas kann man sich keinen
Begriff machen. Wirtschaftlich rechnet Ostafrika zu den allerwertvollsten
Kolonien. Kein Teil [130] Afrikas hat geeigneteren Boden für eine
Großproduktion von Kokosnüssen, Kaffee, Zucker, Sisal, Gummi,
Baumwolle oder halbtropischen Produkten wie Mais und Hirse. Nach
Überwindung der
Tropenkrankheiten (Smuts denkt da wohl vor allem an die
deutschen Leistungen auf diesem Gebiet, verknüpft mit den Namen Koch,
Kleine und vielen anderen mehr) wird das Land zu den produktivsten Teilen der
Tropen gehören... Man hat erst kürzlich voll erkannt, daß ohne
einen Überreichtum an Rohmaterialien, die nur die Tropen schaffen
können, die modernen hochentwickelten Industrien unmöglich
sind."
Das dürfte doch auch für die deutsche Industrie gelten, und zwar um
so mehr, als nur aus ihren Leistungen heraus die Gegner auf Erfüllung ihrer
ungeheuren finanziellen Forderungen rechnen können.
Zum Schluß dieser Ausführungen sei es gestattet, wieder auf die
Gefahr hin, einzelne in späteren Kapiteln dieses Werkes eingehender zu
behandelnde Gedankengänge vorweg zu nehmen, kurz die Entwickelung der
kolonialen Schuldlüge in der Zeit nach dem Diktat von Versailles zu
skizzieren. Der scharfe Protest gegen sie aus allen Kreisen des deutschen Volkes,
nicht zuletzt die Kundgebungen in der Nationalversammlung vom 8. Juli und 11.
Oktober 1919, aber auch die wachsende Opposition im eigenen Lager
veranlaßten die Regierenden, vor allem natürlich der hauptbeteiligten
Staaten England und Frankreich, noch einmal sich zu Wortführern der
Lüge und Verleumdung herzugeben. So der englische Premierminister Lloyd
George im Unterhaus und der Außenminister Lord Curzon im Oberhaus,
beide am 3. Juli 1919, dann der französische Kolonialminister Henry Simon
vor der Kammer am 19. September 1919. Danach wurde es langsam stiller im
feindlichen Lager, war doch das Ziel zunächst erreicht und die Beute
gesichert. Nicht zu beneiden war der Völkerbund, der mit der
Übertragung der Herrschaft und Kontrolle über die auf solche Weise
geraubten deutschen Kolonien keine leichte und angenehme Erbschaft angetreten
hatte. Es muß hier wieder einmal offen ausgesprochen werden, daß das
unleugbar große Mißtrauen weiter Kreise des deutschen Volkes gegen
den Völkerbund, in der Vergangenheit und auch jetzt noch, zu einem
großen Teile auf diese dem Völkerbund übergebene und von
ihm übernommene Aufgabe zurückzuführen ist. Daß man
auch außerhalb Deutschlands die Gefahr erkannte, die für seine ganze
Wirksamkeit darin liegt, daß der Völkerbund gewissermaßen
nur den Büttel zur Vollstreckung des auf der kolonialen Schuldlüge
aufgebauten Kolonialraubes abgibt, dafür sprechen u. a. die auf
der Berner Internationalen Völkerbundskonferenz schon vor Erlaß des
Versailler Diktates im März 1919 gefaßte einstimmige Resolution
über die Behandlung der Kolonialfragen und die dieser Konferenz
vorgelegte Denkschrift der Polin Dr. M. de Rusiecka, Delegierte des "Comité pour
une paix durable" in Genf.12 [131] Deutscherseits wurde der Kampf gegen die
koloniale Schuldlüge in klarer Erkenntnis ihrer ganzen Tragweite
unterdessen tatkräftig aufgenommen, und zwar unter Führung von
Gouverneur
Dr. Heinrich Schnee, dessen Verdienste auf diesem Gebiet gar nicht
hoch genug bewertet werden können. Der Erfolg blieb auch nicht aus. Es
mehrten sich selbst im ehemals feindlichen Ausland die Stimmen, die für
eine Wiedergutmachung des Deutschland auf kolonialem Gebiete angetanen
Unrechts sich einsetzten. Mit dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund
und der Zuerteilung eines Sitzes in der Mandatskommission, mit welchen Akten
auch die Regierungen des Britischen Reiches, Frankreichs, Belgiens und Japans
zum mindesten indirekt die Hinfälligkeit der kolonialen Schuldlüge
zugegeben haben, wäre eigentlich als selbstverständliche Folge zu
erwarten gewesen, daß Deutschland seine Kolonien zurückerhielte.
Nach Locarno hatte es zunächst auch den Anschein, als ob wenigstens in
bescheidenem Umfange sich derartige deutsche Erwartungen in absehbarer Zeit
erfüllen sollten.13 Aber bald hörte man
nichts mehr davon. Ob und
inwieweit hier deutsches Versagen vorliegt, das zu untersuchen ist nicht Aufgabe
dieser Ausführungen. Tatsache ist jedenfalls, daß nach Locarno vor
allen anderen von englischer Seite alles getan wird, um den Besitz der deutschen
Kolonien, soweit sie als Mandate Großbritannien oder den Dominions
zugewiesen sind, zu verewigen, eine Rückgabe an Deutschland
unmöglich zu machen und so eine Beute festzuhalten, über deren
Wert Morel schon am 3. März 1919 in der Zeitschrift: The Nation
folgendes sicher nicht zu niedriges Urteil abgegeben hat: "Drei von diesen vier
(Deutsch-Ostafrika,
Deutsch-Südwestafrika, Kamerun) sind
ungeheuer wertvoll. Ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit übertrifft weit die
gesamten Kriegsschulden von Europa." Es ist nun bemerkenswert, daß
neuerdings englischerseits zur Vorbereitung eines solchen Vorgehens speziell in
Ostafrika wieder mit einer Aufwärmung der kolonialen Schuldlüge
gearbeitet wird. So hat das deutsche Mitglied der Permanenten
Mandatskommission,14 Geheimrat Kastl, noch in
einer der letzten Sitzungen dieser
Kommission sich gezwungen gesehen, gegen zwei Denkschriften englischer
Beamten zu protestieren, die unwahre Angaben über die deutsche amtliche
Eingeborenenbehandlung in
Deutsch-Ostafrika enthielten. Und weiter hat im Februar 1929, also fast zehn Jahre
nach Versailles, die deutsche Öffentlichkeit sich mit ähnlichen
Äußerungen des englischen Parlamentsmitgliedes Ramsden
auseinandersetzen müssen.15 Die koloniale [132] Schuldlüge ist also nicht tot und man wird
deutscherseits, amtlich und nichtamtlich, gut daran tun, die weitere Entwickelung
mit größter Aufmerksamkeit zu verfolgen. Wir dürfen und
werden nicht eher ruhen, als bis die koloniale Schuldlüge und das auf ihr
beruhende koloniale Unrecht ihre volle Sühne und Wiedergutmachung
gefunden haben.
|