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Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

Kapitel 9: Die Schlußkämpfe an der Westfront,
August bis Oktober 1918
  (Forts.)

General der Infanterie Hans v. Zwehl

3. Der Angriff der Amerikaner bei St. Mihiel
am 12. September 1918.
    Hierzu Skizze 29 (S. 567).

Im September verwirklichte sich das Verlangen des Generals Pershing, mit seiner damals fertigen 1. Armee vor eine selbständige Aufgabe gestellt zu werden. Es wurde ihm die Wegnahme des ausspringenden deutschen Bogens bei St. Mihiel übertragen. Die im Herbst 1914 von den Deutschen eroberte Stellung mit dem Scheitelpunkt auf dem Fort Camp des Romains (s. Der deutsche Landkrieg Band I. S. 354 ff.) hatte trotz ihrer zur Abschnürung einladenden Front in hartnäckigen Kleinkämpfen gehalten werden können, nicht nur aus Prestigerücksichten, sondern weil man von der Stellung unter Umständen operative Vorteile erwarten durfte, wenn ein Angriff auf Verdun in Frage kam.

Der Aufmarsch der amerikanischen Armee für ihre Aufgabe war Anfang September beendet, die vorderen in der Stellung befindlichen französischen Truppen wurden zurückgezogen, es blieben nur das II. französische Kolonialkorps zu drei Divisionen und eine weitere Division an der Front beiderseits der Scheitelstellung von St. Mihiel. Übrigens wurden sieben amerikanische Divisionen westlich Pont-à-Mousson zum Vorstoß von Süd nach Nord und zwei Divisionen zum Abstieg von der Côte de Meuse in die Woëvre-Ebene in der Richtung auf Fresnes und Combres von West nach Ost angesetzt. Vier weitere Divisionen blieben hinter der Front zunächst in Reserve. Im ganzen standen für den Angriff rund 500 000 Mann, die Armeetruppen eingeschlossen, mit 2900 Geschützen, davon die Hälfte 155 mm und schwerer, zur Verfügung. Eine fünftägige Munitionsrate und 273 Tanks waren bereitgestellt. 1000 Flugzeuge sicherten eine erdrückende Überlegenheit in der Luft. Der Kriegssekretär Baker wohnte dieser Feuertaufe der Amerikaner größten Stils als Zuschauer bei.

Deutscherseits war die erhebliche, der Armee-Abteilung C unter dem Generalleutnant Fuchs drohende Gefahr nicht allein lange vorher erkannt, sondern der Heeresgruppe Gallwitz und der Obersten Heeresleitung gegenüber auch mehrfach betont worden. Hinter der deutschen Kampfstellung war eine zwar nicht in allen Teilen günstige, doch wohl verteidigungsfähige Stellung - die Michel-Stellung - auf der Sehne des ausspringenden Bogens ausgebaut, man hatte sich [566] aber zur frühzeitigen Räumung des ausspringenden Bogens nicht entschließen können. Man hoffte einen etwa drohenden gegnerischen Angriff so rechtzeitig zu erkennen, daß eine Verstärkung der Besetzung möglich sein würde.

Zur Abwehr des mit einem riesigen Aufwand an Mitteln angesetzten Angriffs waren zwar der Zahl nach eine große Reihe von Divisionen - je nachdem, ob man die als besondere Reserve der Obersten Heeresleitung zurückgehaltenen mitrechnet oder nicht -, nämlich 12 bis 16, vorhanden. Aber es waren hauptsächlich abgekämpfte, ruhebedürftige Truppen von anderen Fronten, so daß sich das Kräfteverhältnis zwischen Angreifer und Verteidiger auf etwa 1 : 6 bis 8 stellen mochte, die starke Überlegenheit der Amerikaner an Artillerie und Flugzeugen nicht gerechnet. Zudem war die 77. Reserve-Division mit etwa 800 Elsaß-Lothringern als unzuverlässig bekannt, auch die 35. k. u. k. österreichische Division bei Combres sollte sich als wenig widerstandsfähig erweisen.

Schon seit dem 10. September, zwei Tage vor Beginn des amerikanischen Angriffs, waren die Bergungs-, Zerstörungsarbeiten und die Vorbereitungen zum Rückzuge in die Michel-Stellung in vollem Gange, als am frühen Morgen des 12. September der feindliche Stoß einsetzte. Seit 4 Uhr vormittags hatte ein starker artilleristischer Feuerüberfall auf der ganzen Front, von Verdun südlich, beiderseits der Maas und die deutsche Front ganz umspannend, ihn eingeleitet. Gegen die deutsche Südfront zwischen St. Mihiel und Pont-à-Mousson war das Feuer am heftigsten. Der Augenblick, wann der Angriff losbrechen würde, war nicht bekannt geworden. Pershing befahl ihn tags zuvor, als er Nachricht von den Rückzugsvorbereitungen der Deutschen erhielt.

Die an der Südfront stehenden beiden Divisionen, 10. Infanterie-Division und 77. Reserve-Division, gaben zwischen Flirey und dem Priesterwalde nach, die schwache 77. Reserve-Division im besonderen wurde annähernd aufgerieben. Die beiden Divisionen hatten eine Front von etwa 22 km und entbehrten der Tiefengliederung. Um bei der 77. Reserve-Division die Lage wiederherzustellen und den linken Flügel der 10. Infanterie-Division zu stützen, wurde noch der Versuch gemacht, mit zurückgehaltenen Reserven von der 31. Reserve-Division und der 123. S. Infanterie-Division einen Angriff gegen den eingedrungenen Feind zu führen, was aber wohl nicht recht in Gang kam, jedenfalls ohne durchschlagenden Erfolg blieb. Gegen Mittag hatte der Gegner seine Front bis nach Nonsart - Essey - Viéville vorgetragen.

Der Angriff der Amerikaner bei St. Mihiel

[567]
      Skizze 29: Der Angriff der Amerikaner bei St. Mihiel.

Bald nach diesem Angriff waren die Amerikaner auch beiderseits Combres zum Vorstoß angetreten. Die dort stehende 35. k. u. k. Infanterie-Division gab schnell nach. Die verlorengegangene Combres-Höhe gelang es durch Gegenstoß wieder zu nehmen und dadurch die Hauptgefahr für die im vorspringenden Zipfel stehenden Kräfte auszuschalten. Trotzdem war es gegen Mittag die höchste Zeit, daß an die bei St. Mihiel stehenden Truppen der Befehl der Armee-Oberkommandos erging, den Rückzug in die Michel-Stellung anzu- [567] treten; es ist sogar augenfällig, daß er nur gelingen konnte, weil der Gegner die Gunst seiner Lage nicht erkannte und unter dem Kommando des sächsischen Generalleutnants Leuthold und dem Kommandeur der 5. Landwehr-Division, Generalleutnant Auler, die Rückzugsanordnungen sachgemäß waren. Bei gehöriger Ausnutzung ihres Erfolges hätte den Deutschen eine vollkommene Katastrophe bereitet, die Besetzung der Michel-Stellung ganz in Frage gestellt werden können. Das wurde zwar vermieden, aber der Verlust war doch erheblich: etwa 15 000 Mann an Gefangenen, die Toten und Verwundeten nicht gerechnet, und 400 Geschütze. Der richtige Augenblick der Räumung war verpaßt worden, die Kräfte zur Abwehr des übermächtigen Angriffs reichten nicht aus, immerhin war es noch ein Glück, daß die im Bewegungskriege noch ungeübten Amerikaner nicht entschlossen nachdrängten und den Deutschen Zeit ließen, sich in ihrer neuen Stellung wieder zu setzen. Die Amerikaner hatten ihren ersten selbständigen [568] Sieg erfochten, ohne Anlehnung an die Franzosen und Engländer. Das deutsche Heeresgruppenkommando hatte sich den Befehl zum Rückzuge in die Michel-Stellung vorbehalten. Es war noch ein günstiger Umstand, daß die Armee-Abteilung sich daran nicht für gebunden erachtete, sondern den Rückzug selbständig befahl.

In der Nacht vom 12. zum 13. September wurde die Michel-Stellung planmäßig besetzt, die Amerikaner drängten nur wenig nach; aber es bestand die Ansicht bei dem Heeresgruppenkommando, daß der Gegner seine Angriffe in den folgenden Tagen fortsetzen würde, was er aber, seine günstige Lage nicht voll erkennend, unterließ.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte