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Aussig
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Bericht Nr. 1
Explosion am 30. Juli 1945
Berichter: A. U. Bericht vom 8. 2. 1951
[Der Verfasser dieses Berichts
ist durch verschiedene Umstände in die Lage versetzt
worden, das einwandfreieste und objektivste Bild über diese Explosion und ihre
folgenschweren Ereignisse zu geben:]
Ich ging an diesem Tage um 10 Uhr vormittags in die innere Stadt. Schon als ich in die
belebteren
Straßen kam, merkte ich sowohl in der ehemaligen Dresdner, als auch in der
Schmejkalstraße, daß Soldaten der berüchtigten Svoboda Garda in ihren
bekannten Uniformen, alle Deutschen mit weißer Armbinde von den Gehsteigen
hinunterjagten oder gar hinunterwarfen. Ich erkundigte mich, was los wäre und erfuhr,
daß in der Nacht die Svoboda Garda erstmalig in Aussig eingetroffen war.
Aus den Ereignissen in den anderen Bezirken des Sudetenlandes war mir sofort klar, daß
nun harte Zeiten für die Deutschen der Stadt und des Bezirkes Aussig kommen
würden.
Am Bahnhof sah ich gerade, wie einem aus Prag kommenden Zuge ca. 300 Personen sehr
zweifelhaften Aussehens entstiegen. Diese Leute waren ungefähr im Alter von 18 bis 30
Jahren und ich bekam den Eindruck, daß wieder einmal irgendwo eine Strafanstalt entleert
worden ist.
Nachmittags 15.30 Uhr saß ich in meiner Wohnung, als plötzlich ein furchtbarer
Schlag erfolgte. Im Moment war ich der Meinung, daß im Nebenzimmer ein Schrank
umgefallen wäre. Ich sah gleich nach, konnte aber nichts feststellen. Ich vermutete dann
sofort eine Explosion und stieg auf das Hausdach. Da sah ich hinter dem Marienberg einen
großen Rauchpilz aufsteigen. Es erfolgten auch noch kleinere Explosionen. Ich ging
sogleich in die Stadt, eine weiße Armbinde trug ich nicht und das war mein Glück.
Die Jagd auf Deutsche hatte begonnen. Daran beteiligten sich auch die Soldaten der Svoboda
Garda und einzelne russische Soldaten waren dabei ebenfalls zu bemerken. Mit allerlei
Instrumenten, wie Zaunlatten, Brechstangen, Schaufelstielen usw., die sie sich irgendwo
verschafft hatten, waren diese Elemente bewaffnet. Sie schlugen damit wahllos auf die
Deutschsprechenden und weiße Armbinden Tragenden ein, bis diese zusammenbrachen.
Ich
hatte den Eindruck, daß das nicht die im Bezirk wohnhaften Tschechen waren, sondern
vielmehr die, die vormittags mit dem Zuge angekommen waren. Für diese Auffassung
sprach auch der Umstand, daß sie sich rnit Behelfswaffen beholfen haben, die ihnen
gerade
in die Finger kamen.
Ich bewegte mich ungefähr zwei Stunden in der Stadt, was ich dabei sah, war grauenhaft.
Sprechen durfte ich natürlich nicht, ich hätte mich sonst als Deutscher verraten.
Da um 15 Uhr Betriebsschluß war und vor allem die bei der Firma Schicht
Beschäftigten über die Elbebrücke nach Hause gehen mußten, waren
in
der Nähe des Marktplatzes und Bahnhofes die wildesten Gruppen tätig. Frauen mit
Kinderwagen wurden in die Elbe geworfen und dann von den Soldaten als Zielscheiben benutzt,
dabei wurde so lange auf die Frauen geschossen, bis diese nicht mehr aus den Fluten
auftauchten.
In das Wasserreservoir am Marktplatz warf man ebenfalls Deutsche hinein und sobald sie wieder
hoch kamen, drückte man sie mit Stangen wieder unter das Wasser. Erst gegen 17 Uhr
konnte man einige russische Offiziere beobachten, die versuchten, die Straße
freizumachen,
dabei halfen ihnen auch einige tschechische Uniformierte. Durch Lautsprecher wurde dann ein
Ausgehverbot tschechisch verkündet. Am 31. 7. erschien ein gedruckter Anschlag, der
anordnete, daß für die Deutschen beschränktes Ausgehverbot besteht und
diese
ab 18 Uhr nicht mehr auf die Straßen dürfen. Für die Tschechen galt das
Ausgehverbot ab 20 Uhr.
Am Abend des 30. Juli wurden die Toten an drei Stellen zusammengetragen und mit Lastautos
abtransportiert. An diesen drei Stellen wurden gegen 400 Tote gezählt. Wieviele noch an
anderen Stellen abtransportiert wurden und wieviele außerdem die Elbe
hinunterschwammen, konnte nicht festgestellt werden. Darüber konnten nicht einmal die
eingeweihtesten Kreise des Národní Výbor Aufschluß geben.
Am 30. 7. abends erfuhr ich dann noch, daß die Absicht bestünde, den ganzen
Aussiger Bezirk mitsamt den angrenzenden Bezirken Teplitz
und Tetschen-Bodenbach von allen Deutschen zu säubern und diese ins Innere des Landes
zu verschicken, wo sie dann zur Zwangsarbeit herangezogen werden sollten.
Man beschuldigte die Deutschen offen der Sabotage und der Urheberschaft der Explosion.
Was war nun wirklich geschehen?
Im Stadtviertel Schönpriesen war die aus den Maitagen stammende Artillerie-Munition,
Panzerfäuste usw. gesammelt gelagert. Nach tschechischer Aussage soll es sich dabei um
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Millionen Stück aller Art gehandelt haben. Beim Sortieren dieser Munition
beschäftigte man Häftlinge
aus dem KZ-Lager Lerchenfeld, darunter auch einige prominente Nazi. Diese Häftlinge
hatte man am 30. 7. überraschenderweise bereits
um 14 Uhr 45 Min. aus den Fabriksanlagen entfernt und es befand sich 40 Minuten vor der
Explosion kein Deutscher mehr auf dem Boden der Anlage, sondern nur noch tschechische
Bewachungsorgane. Einige Sekunden vor der Explosion flog ein Flugzeug über den
Stadtteil - später stellte sich heraus, daß es ein englisches war, das mit der
Explosion
nichts zu tun hatte, ich habe 1947 mit einem Insassen desselben gesprochen, der mir dabei seine
Wahrnehmungen geschildert hat. Dieses Flugzeug spielte anfänglich bei meinen
Behauptungen gegenüber tschechischen Stellen, die Ursache der Explosion betreffend,
keine geringe Rolle.
Der Polizeileiter des Okresní Národní Výbor hatte sich zur Zeit
der
Explosion bei einem deutschen
Arzt zur Visite eingefunden (Alibi) und verließ ihn erst nach der Explosion.
In der Kanzlei des Okresní Národní Výbor waren einige
Amtspersonen anwesend, darunter auch
der Militärkommandant. Dieser verließ sofort nach der Explosion die Kanzlei mit
den
Worten: "Jetzt machen wir Revolution gegen die Deutschen", und dann begann die
Schlächterei.
Ich selbst fuhr am 31. 8. nach Prag, wandte mich dort an einige, mir bekannte, prominente
tschechische Funktionäre und schilderte meine Wahrnehmungen. Dort erklärte ich
auch, daß das ein Reichstagsbrand sei, der wohl den Anlaß dazu geben sollte, ein
Massaker unter den Deutschen zu veranstalten.
Inzwischen waren auch drei tschechische Minister in Aussig gewesen, darunter auch der General
Svoboda. Ich hatte den Eindruck, daß bei den Prager Amtsstellen große Verlegenheit
über die Vorgänge in Aussig herrschte. Von unserer Seite wurde auch die Nachricht
verbreitet, daß ausländische Journalisten die Vorgänge gefilmt hätten
und dieser Film bereits in Sicherheit wäre. Die damalige tschechische Regierung hatte
noch
einigen Respekt vor der Meinung des westlichen Auslandes. Die Evakuierungsabsichten wurden
unterdrückt und eine weitere Verfolgung der Deutschen verboten.
Bezeichnend ist, daß von den damaligen Hauptfunktionären des Okresní
Národní Výbor, die die sogenannte engere Leitung bildeten, heute nur
noch ein einziger lebt, die anderen
sind inzwischen alle verstorben. Zugegeben muß werden, daß der damalige
tschechische Bürgermeister von Aussig, Herr Vondra, mit allen Mitteln versuchte, dem
Wüten des zugereisten Mobs Einhalt zu gebieten, er wäre deshalb beinahe ebenfalls
in die Elbe geworfen worden.
Ende November 1945 fuhr ich abermals nach Prag und kam mit einem Tschechen aus
Schönpriesen ins Gespräch. Dieser sagte mir, daß er zu einer Einvernahme
wegen der Explosion als Zeuge nach Prag fahren muß. Er erklärte auch, daß
er
wie viele andere davon überzeugt sei, daß die Explosion von einer Kamarilla
vorbereitet und durchgeführt worden sei und daß auch die Vorgänge nach der
Explosion in diesen Vorbereitungsrahmen hinein gehörten. Was weiter aus dieser
Untersuchung wurde, konnte ich nicht erfahren, da ich den Betreffenden nicht mehr treffen
konnte.
Das sind die wahren Vorgänge. Alle anderen Darstellungen, die darüber auch von
tschechischer Seite veröffentlicht wurden, entsprechen nicht ganz der Wahrheit. Ebenfalls
nicht der Wahrheit entsprechend ist die Darstellung im neuesten Buch von Bruno Brehm,
Am
Rande des Abgrunds.
Bericht Nr. 2
Augenzeugenbericht über das Blutbad
am 30. Juli 1945
Berichterin: Therese Mager Bericht vom 11. 8. 1946 (Aussig)
Ich wohnte bis zur Evakuierung
in Aussig, Teplitzer Straße 36. Am Nachmittag des 30.
Juli
1945 ging ich um 16.30 durch die Schönpriesener Straße nach Aussig.
Plötzlich hörte ich aus der Richtung der Zuckerfabrik Schönpriesen
Detonationen und sah hierauf auch Rauchwolken aufsteigen. Zur gleichen Zeit begannen die
Tschechen das Gerücht auszustreuen, daß die Deutschen die Explosion verursacht
hätten und begannen eine Verfolgung aller derer, die weiße Armbinden trugen. Ich
selbst stand im Sanitätsdienst und war
durch eine Rot-Kreuzbinde deutlich als Schwester gekennzeichnet. Die Tschechen
stürmten
durch alle Straßen, schlugen die Deutschen nieder oder schossen auf sie, wenn sie das
Weite suchten.
Ich selbst lief zur Elbebrücke und sah hier, wie hunderte deutscher Arbeiter, die aus den
Schichtwerken kamen, in die Elbe geworfen wurden. Auch Frauen und Kinder sowie
Kinderwagen stießen die Tschechen in den Strom. Es waren meistens schwarz
uniformierte
Tschechen mit roten
Armbinden (SNB-Leute). Sie warfen Frauen und Kinder, die sich nicht wehren konnten, von der
20 Meter hohen Brücke in die Fluten. Ich selber vermied es, die Brücke zu
überschreiten, sondern lief, nachdem ich diese schrecklichen Szenen gesehen hatte, durch
die Töpfergasse zurück zum Aussiger Schulplatz. Dort begab ich mich in das
Ordinationszimmer meiner Chefin Dr. N., wo bereits 4 Verwundete anwesend waren. In diesem
Augenblick kam dann Dr. N. selbst, die einen Schwerverwundeten von der Straße
hereingezogen hatte. Es handelte sich um den 70 Jahre alten Josef Horn aus Aussig, der drei
schwere Kopfverletzungen aufwies und dem man den Hals durchschnitten hatte. Wir brachten
den
Horn zum Krankenhaus, wo man zunächst die Aufnahme verweigerte und den alten Mann
erst nach langem Bitten in Pflege nahm. Die Massenverfolgung der Deutschen dauerte bis in den
späten Abend. Wir hörten aus allen Ecken und Straßen Schreie und Weinen.
Weder eine Behörde noch die russische Besatzungsmacht schritten gegen diesen
Massenmord ein. Zahlreiche Deutsche, die sich aus der Elbe schwimmend gerettet hatten,
wurden
durch Maschinengewehre beschossen. In Aussig schätzte man die Gesamtzahl der auf
solche Weise ums Leben gekommenen auf 800 bis Tausend.
Am 31. Juli ebbten die Verfolgungen ab. Die Deutschen, die sich wieder auf die Straße
trauten, mußten die Gehsteige verlassen und wurden, wenn sie das nicht sogleich
begriffen,
verprügelt. Alle, die weiße Binden trugen, waren von dieser Zeit an jeder
Willkür ausgesetzt und wurden wie Freiwild behandelt.
Ich bekräftige diese Angaben mit meiner eigenhändigen Unterschrift und bin
jederzeit bereit, sie unter Eid zu wiederholen.
Bericht Nr. 3
Massaker
Berichter: Herbert Schernstein Bericht vom 9. 12. 1945 (Aussig)
Ich war schon vor dem Kriege
Mitglied der kommunistischen Partei und bin vom 18. 10. 1938
bis
zum 9. 12. 1945 in dem Konzentrationslager Theresienstadt, Sachsenhausen und
Ravensbrück gewesen. Am 8. Juli kam ich aus dem KZ nach Aussig zurück, wo die
Tschechen gerade meine Mutter evakuiert hatten. Trotz meiner Ausweise (Kommunistische
Partei
und KZ) traf ich überall auf schroffe Ablehnung. Mit den Worten "Nemec jest nemec!"
(Deutscher ist Deutscher) wurde mir überall gesagt, daß ich keine Aufnahme finden
könne. Viele meiner ehemaligen Genossen wurden trotz der Antifaschistenausweise
ebenso
behandelt. So wurde meinem Freunde Willi Krebs in Leitmeritz, welcher der Gründer der
Kommunistischen Partei in Prödlitz war, schon vor 2 Monaten binnen 5 Minuten sein
Lebensmittelgeschäft weggenommen. Die Tschechen und Kommunisten
unterstützten uns in keiner Weise. Ich bin auch der Überzeugung, daß sich
viele faschistischen Elemente in der KPC befinden. So befindet sich in Aussig ein
Kriminalinspektor Dibisch, der heute der größte Kommunist zu sein vorgibt, mich
selbst vor dem Kriege aber ob meiner kommunistischen Parteizugehörigkeit verfolgte.
Über die Vorkommnisse bei der großen Explosion neben der Zuckerfabrik in
Schönpriesen, bei der an die 1000 Deutsche ums Leben kamen, kann ich genaue Angaben
machen, weil ich zufällig auf der Fahrt von Schreckenstein nach Aussig dort vorbeikam.
Es
handelte sich um die Explosion eines Granatenlagers, welches neben der Zuckerfabrik
Schönpriesen, der während des Krieges eine chemische Fabrik angeschlossen war,
errichtet ist. Die Tschechen sprachen die Schuld an der Explosion den Deutschen zu und gingen
gegen sie in brutaler Weise vor. Nach 4 Uhr nachmittags trieben Angehörige der Svoboda
garda alle Deutschen aus den umliegenden Häuserblöcken aus ihren Wohnungen
und hetzten sie massenweise in den Elbestrom. Ich sah Frauen und Kinder in den Wellen
verschwinden, auf der Ferdinandshöhe hatten sich
tschechische MG-Nester eingegraben, die von dort aus auf die im Strom treibenden Deutschen
schossen. Meiner Schätzung nach sind an die 1000 Deutsche durch dieses Vorgehen ums
Leben gebracht worden. Besonders scharf gingen die Tschechen gegen deutsche Antifaschisten
vor, die durch rote Armbinden gezeichnet waren. Die Tschechen erklärten, daß
diese
Deutschen mit die Hauptschuld an dem Ereignis trügen. Viele Deutschen, so die mir
bekannte Tochter der Familie Klinger aus Prödlitz, sind heute noch vermißt.
Viele Deutsche wurden in das Lager nach Lerchenfeld getrieben, wo sie unter den
kümmerlichsten Verhältnissen leben mußten. Das Lager wurde später
nach Schöbritz verlegt. Dort konnte man oft die gelbe Fahne sehen, welche
Außenstehende wegen ansteckender Krankheiten vor dem Besuch warnten, und "Vorsicht,
Hungertyphus!" bedeutete. In Schöbritz
starben täglich 300-400 Deutsche an dieser Seuche.
Ehemalige KZ-Häftlinge, darunter ein gewisser Vlcek und der Arbeitseinsatzführer
Cuba, gingen besonders rücksichtslos gegen die deutschen Häftlinge vor und
übertrumpften bei weitem die mir selbst bekannten und am eigenen Leibe
erfahrenen KZ-Methoden der Nazi.
Bericht Nr. 4
Massenmord
Berichter: Max Becher Bericht vom 14. 12. 1946 (Aussig)
Am 31. 7. 1945 explodierte in
einem Vorort von Aussig (Schönpriesen) ein
Munitionslager.
Natürlich sollten das die Deutschen gewesen sein, jedenfalls benützten die
Tschechen diesen Vorwand, um die Deutschen zu überfallen.
Aussig liegt am linken Elbeufer, mein Arbeitsplatz, die Firma Georg Schicht AG., in
Schreckenstein am rechten Ufer. Eine einzige Brücke führt über die
Elbe.
Um 16.30 Uhr nach Arbeitsschluß wurden wir beim Fabrikstor gründlich nach
Waffen untersucht, vor dem Aufgang zur Brücke noch einmal. Wer einmal auf der
Brücke war, durfte nicht mehr zurück. Am Aussiger Ufer empfingen uns Hunderte
von Tschechen mit Knüppeln und Eisenstangen. Ich hatte schon einige schwere
Kopfverletzungen, meinem Begleiter,
einem 67-jährigen Obermeister, wurde vor mir der Kopf eingeschlagen. (Er wurde, wie
ich
später erfuhr, in die Elbe geworfen und darin 10 km stromabwärts ans Ufer
geschwemmt.) Mir wurde dann. gesagt, ich soll einen am Gehsteig liegenden Toten, der den
Schädel zertrümmert hatte, in eine nahe Grube tragen und wenn ich
zurückkomme, sei ich an der Reihe, erschlagen zu werden. Ich mußte dann meinen
Rock ausziehen und die Blutlache aufwischen, da fielen die Schläge auf mich ein. Es
gelang mir aber doch weiter zu kommen, jedoch verfolgte mich ein Tscheche bis in eine
Nebengasse. Er
hatte einen 5-8 cm starken Knüppel und dieser Mann brachte mir die schwersten
Verletzungen bei; er ließ erst von mir ab, als er wahrscheinlich glaubte, daß ich tot
sei. Ich kam dann wieder zu Bewußtsein und mit Hilfe von zwei Tschechen kam ich in
eine
Wohnung, deren deutsche
Bewohner die Rot-Kreuz-Station verständigten. Mit Tragbahre wurde ich abgeholt und
kam
durch einige glückliche Zufälle am selben Tag um 22 Uhr noch ins Krankenhaus,
was für mich die Lebensrettung bedeutete. Meine Verletzungen waren: 3 Rippen
gebrochen, linker Unterarm gebrochen, 6 Kopfverletzungen, die mit 23 Stichen genäht
wurden, der ganze linke Arm, den ich zur Abwehr über den Kopf gehalten hatte, war
derartig verschwollen, daß der Unterarmbruch erst zufällig bei einer
Durchleuchtung
2 Monate nachher festgestellt wurde.
Krankenhausaufenthalt vom 31. VII. - 20. X. 45. Heimpflege vom 20. X. bis 19. XI. 1945.
Die Folgen bis heute sind starkes Schwindelgefühl beim Kopfheben und
Aufwärtsschauen, Schmerzen an der Rippenbruchstelle bei Anstrengung und
Witterungswechsel.
Bericht Nr. 5
Beraubung eines Blinden
Berichter: Franz Habelt Bericht vom 6. 11. 1946 (Aussig)
Am 5. 7. v. J. mußte ich,
wie viele andere "Aussiedler", in 10 Minuten meine Wohnung
räumen, um ins russische Gebiet evakuiert zu werden. Dabei wurden mir zahlreiche
Geigenbestandteile und Saiten usw. entwendet, die mir als blinden Musiker sehr wertvoll
waren. Durch Vorsprache einer deutschen Ärztin, Dr. Schiel, wurde mir dann die
Rückkehr in die Wohnung ermöglicht. Am 2. 9. ds. J. wurden mir vom
Kulturreferenten Antonin Tyc zwei Meistergeigen aus den Jahren 1700 und 1866
beschlagnahmt.
Die beiden Geigen hatte ich 1913 auf einer Auktion in Wien erworben. Bei der Aussiedlung
wurden mir die Federbetten abgenommen, ferner eine Aktentasche mit Berufswerkzeugen, die
ich
zur Reparatur von Instrumenten als Klavierstimmer und Musiklehrer dringend brauche. Ferner
verlor ich mein gesamtes Notenmaterial, darunter Manuskripte eigener Kompositionen. Dadurch
bin ich in meiner weiteren Existenz als Blinder schwer geschädigt.
Bericht Nr. 6
Blindentransport
Berichterin: Martha Rauscher Bericht vom 6. 11. 1946 (Aussig)
Seit Beginn des Jahres waren
Verhandlungen mit dem Internationalen Roten Kreuz und den
zuständigen tschechischen Behörden, auch mit dem tschechischen Hygieniker der
Prager Universität betreffs Aussiedlung der Anstaltsblinden und der berufstätigen
Blinden und ihrer Familienangehörigen aus Aussig im Gange. Auf Intervention des
Internationalen Roten Kreuzes war beabsichtigt, den Blinden die Mitnahme eines Teiles ihrer
Habe über das sonst übliche Maß hinaus zu gestatten. Das tschechische
Gesundheitsministerium hatte sogar schon die Bereitstellung eines Sanitätszuges
zugesagt.
Durch Quertreibereien einer tschechischen Gruppe in Aussig kam der Transport in der
beabsichtigten Form schließlich nicht zustande. Trotzdem wurden wir bis zum letzten
Augenblick in dem Glauben belassen, daß der Transport unter günstigen
Bedingungen durchgeführt werden sollte. Schließlich aber gestattete der
Kulturreferent Tyc in Aussig den blinden Berufsmusikern nicht einmal die Mitnahme der
für ihren Erwerb nötigen Musikinstrumente, obwohl eine Verordnung bestand,
daß zum Erwerb notwendige Gegenstände und Werkzeuge allgemein
ausgeführt werden dürfen. Ebenso wurde dem blinden Schriftsteller Hacker und
einem blinden Stenotypisten die Mitnahme der Schreib- und Stenomaschinen mit
Blindenvorrichtung nicht gestattet. Durch die Verhandlungen hatte sich der Transport zwar bis
in
die kalte Jahreszeit verzögert, wurde aber schließlich genau so wie jeder andere
Ausgewiesenentransport durchgeführt, obwohl die Transportteilnehmer die Verzollungen
des Gepäcks und andere Sondergebühren aus eigener Tasche zahlen mußten,
wie es sonst bei bevorzugten Transporten üblich ist.
In den letzten Monaten war bereits unter den Blinden eine solche Not gewesen, daß sie
sich
vielfach nicht einmal das tägliche Brot kaufen konnten, da sie durch die
Verhältnisse
erwerbslos geworden waren und trotz zahlreicher Vorsprachen keinerlei Unterstützung
für sie zu erlangen war, obwohl den deutschen Arbeitern allgemein 20% ihres Lohnes zur
Unterstützung Erwerbsunfähiger abgezogen wurde. Ich selbst wurde mehrmals mit
Lagerhaft bedroht, da ich mich für die Blinden einsetzte. Am 29. 10. v. J. wurden wir trotz
meiner Bitte, die Blinden nicht durch das Aussiedlungslager gehen zu lassen, in das Lager
Schöbritz befohlen. Die Verhältnisse im Lager waren grauenvoll. Wir mußten
auf blanken Brettern schlafen und am nächsten Tage wurden wir bei strömenden
Regen ab 7 Uhr aus den Baracken gejagt und mußten mit dem gesamten
Handgepäck
stundenlang im Regen stehen, bis wir verladen wurden. Statt der zugesagten 24 Waggons
wurden
wir in 8 Waggons mit dem gesamten Gepäck zusammengepfercht. Durch den Regen ist
das
Gepäck zum großen Teil verdorben. In jedem Waggon waren 30 Personen mit dem
gesamten Gepäck untergebracht, sodaß viele Personen nicht einmal sitzen konnten.
Die Verpflegung von Dienstag früh bis Mittwoch abends bestand nur aus schwarzem
Kaffee, aus einer ungenießbaren Suppe, die keiner essen konnte, und aus etwas Brot.
Infolge
der Strapazen und Aufregungen, die durch die ganze unmenschliche Art des Transportes
hervorgerufen wurden, sind eine Reihe von alten Leuten zusammengebrochen. In Wiesau
mußten zwei Leute mit Psychosen und ein Mann mit totaler Erschöpfung ins
Krankenhaus abgegeben werden. Einige andere schwere Fälle von Erschöpfung
wurden auf Wunsch der Angehörigen bis Augsburg in einem zu diesem Zweck erst in
Wiesau beigestellten Krankenwagen mitgenommen. Von diesen letzteren starb in Augsburg Frau
Witek im Krankenrevier des Regierungslagers B.
Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen
Überlebende kommen zu Wort
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