Der Youngplan
Das Interesse an einer Revision des Dawes-Paktes liegt also nunmehr, nachdem die deutschen Politiker es nicht verstanden haben, die Lage für Deutschland auszunutzen, bei den Feindbundstaaten. So steuert das Reparationsproblem auf eine neue Konferenz hin, die im Februar 1929 unter dem Vorsitz des amerikanischen Vertreters Owen Young zusammentritt. Die Sachverständigen der alliierten Staaten be- [47] trachten die Konferenz unter dem Gesichtspunkt, der aus den vorhergehenden Konferenzen hinreichend bekannt ist: Deutschland die denkbar höchsten Tributzahlungen aufzubürden, dabei aber den gefährlichen Punkt der Transferklausel zu vermeiden, und an Stelle der für die Ereignisse in Deutschland mehr oder weniger verantwortlichen Sachverständigen in Deutschland eine Institution zu schaffen, welche wohl ihre Funktionen hat, nicht aber als innerdeutsche Kontrolle anzusehen ist. Selbstverständlich besteht diese stille Voraussetzung. Offiziell aber wird bekanntgegeben, daß man in Anerkennung von Deutschlands augenblicklicher Lage bestrebt sei, eine für alle Teile befriedigende Lösung zu finden. So etwa sind die von den Interessierten beeinflußten Pressekommentare beschaffen. Man lockt sogar mit der bekannten und bewährten Aussicht der Räumung der noch besetzten rheinischen Gebiete, wenn sich Deutschland bereit erkläre, die von ihm geforderten Zugeständnisse zu machen. Um den Boden der Konferenz noch einmal genügend vorzubereiten, versteht es der Reparationsagent in Deutschland, durch einen tendenziös gefärbten Bericht über die deutsche Wirtschaft die Welt glauben zu machen, daß die beabsichtigen Maßnahmen durchaus für Deutschland tragbar seien. Insbesondere deswegen, weil die in den letzten Jahren abgegebenen Berichte des Reparationsagenten Deutschlands guten Willen besonders unterstrichen hatten, war dieser Bericht des Reparationsagenten ein sehr geschickter Schachzug. Es wird Deutschland natürlich schwer, diesem Bericht entgegenzutreten, nachdem es die vorjährigen Berichte mit großer Genugtuung und freundlich kommentiert hatte. Am 11. 2. 1929 beginnt in Paris die Konferenz, an der die Deutschen Vögeler und Schacht teilnehmen, um Deutschlands Interessen wahrzunehmen. Das erste, was beschlossen wird, ist, daß ein großer Teil der deutschen Tributzahlungen jährlich ohne Transferschutz weiterläuft, und daß die Aufgaben des Reparationsagenten in Zukunft eine zu gründende "Bank für Internationale Zahlungen" übernimmt. Die weiteren Forderungen der Gegner Deutschlands sind der- [48] art hoch, daß die deutschen Vertreter es nicht verantworten können, sie entgegenzunehmen, denn die Höhe der Verpflichtungen zeigt gegenüber dem Dawes-Abkommen keinerlei Erleichterung, und der einzige Schutz, die Transferklausel, soll in Wegfall kommen. Weiterhin sollen die Zinsen und Tilgungsgelder aus der im Anschluß an das Dawes-Abkommen gegebenen Anleihe weiterlaufen und die Kosten des Wiederaufbaues bestehen bleiben. Deutschland erklärt sich schließlich bereit, jährlich 1,6 Milliarden Reichsmark zu zahlen und zwar 37 Jahre lang, so daß zusammen 61 Milliarden dabei herauskommen würden. Die Ententevertreter lehnen ab, und man glaubt schon allgemein, daß die Konferenz ergebnislos enden wird. In diesen Tagen stirbt der Vertreter der englischen Delegation. Aus Pietätsgründen werden die Sitzungen der Konferenz unterbrochen, was den Vertretern der Feindbundstaaten keineswegs unangenehm ist, denn sie können nun in Ruhe abwarten, wieweit die linkseingestellte deutsche Öffentlichkeit sie dadurch unterstützen wird, daß sie den sich ablehnend verhaltenden deutschen Vertretern in den Rücken fällt. Wie nicht anders zu erwarten, ist dies auch der Fall. Die gesamte Presse der Erfüllungspolitiker läuft gegen diese deutschen Vertreter Sturm, und als einige Tage später die Konferenz wieder beginnt, ist der Boden inzwischen soweit vorbereitet, daß Owen Young seine unnachgiebigen Forderungen aufstellen kann. Deutschland soll danach 114 Milliarden in 58 Jahren bezahlen. Irgendwelche weiteren Zugeständnisse für Deutschland werden abgelehnt. Die deutschen Tributzahlungen sollen, wie es ja im Sinne der Youngverhandlungen lag, in Devisen von Deutschland bezahlt werden. Mit der Verschärfung, daß ein ungeschützter Teil von jährlich 650 Millionen vorgesehen ist, dessen Zahlung aufzuschieben Deutschland kein Recht hat. Für den Rest der Zahlungen wird die Möglichkeit anheimgestellt, sie nach einem besonderen Verfahren aufzuschieben. Dieses Aufschubverfahren bekommt dadurch einen ganz besonderen, für Deutschland verschärfenden Charakter, daß die Absicht des [49] Aufschubes 90 Tage vorher angemeldet werden muß, in welcher Zeit ein Ausschuß der "Bank für internationale Zahlungen" über die "Umstände und Verhältnisse, die zu der Notwendigkeit eines Aufschubs geführt haben", beratet. Die Verteilung der an die Bank für internationale Zahlungen geleisteten Beträge übernimmt die B. I. Z. selbst. Die zu leistenden Beträge sind in Form von Schuldverschreibungen des Deutschen Reiches zu leisten, was nichts weniger bedeutet, als eine Umgestaltung des bis dahin politischen Charakters der Zahlungen in einen rein kommerziellen. Wie folgenschwer die Umgestaltung einer politischen Schuld in eine wirtschaftliche sich auswirkt, mag aus einem Beispiel der deutschen Geschichte erhellen. Als Napoleon I. in den Jahren 1806 und 1807 einige deutsche Städte zwang, ihm Tribute zu zahlen, ging er nach demselben Verfahren vor. Die tributpflichtigen Städte mußten die seinerzeit an Frankreich gegebenen Schuldverpflichtungen nach annähernd 100 Jahren noch einlösen. Während der Laufzeit dieser Schuldverschreibungen wurde Napoleon I. zweimal vernichtend geschlagen. Preußen wurde europäische Großmacht. 1870/71 wurde Frankreich geschlagen. Das geeinte Deutsche Reich erstand. Aber immer noch waren die Schuldverschreibungen jener Zeit gültig und mußten auf Heller und Pfennig bezahlt werden. So ist dieser Schachzug im Rahmen des Youngplanes ein teuflisches Spiel, und es ist heute noch unbegreiflich, wie es seinerzeit möglich war, solche Verpflichtungen zu übernehmen. In Deutschland wird jedoch mit Unterstützung der Regierung für die Annahme des Youngplanes gekämpft. Die Regierung erklärt, daß es aus der katastrophalen Lage Deutschlands heraus unvermeidbar sei, den Plan anzunehmen. Dies ist das Resultat, das die Konferenz in Paris ergibt. Im Mai 1929 wird der Schlußstrich unter die Pariser Sachverständigenkonferenz gemacht und der ausgearbeitete Plan an die einzelnen Regierungen gesandt. [50] Etwa 2½ Monate später, im August, tritt die endgültige Konferenz der Siegerstaaten im Haag zusammen. Diesmal fahren Stresemann, Curtius und Wirth neben dem Juden Hilferding als Vertreter Deutschlands zu der Konferenz, die über die Annahme des Youngplanes und damit über die endgültige Verknechtung Deutschlands verhandeln soll. Wenn man aber glaubt, daß hier lediglich das bereits Geplante unterschrieben werden sollte, dann irrt man sich. Die Konferenz läuft darauf hinaus, noch höhere Belastungen für Deutschland zu beschließen. Zunächst kommt noch dazu, daß Belgien einen Anspruch anmeldet, wonach über 600 Millionen Papiermark Aufwertung in Belgien von Deutschland übernommen werden sollen. Weiterhin erlaubt sich Deutschland, den menschenfreundlichen Mittler in einer Auseinandersetzung zwischen England und Frankreich zu spielen, welche sich in bezug auf die Anteile aus den Tributen streiten. Um die feindlichen Brüder untereinander wieder zu versöhnen, übernimmt es Deutschland großzügig, die Differenz zwischen dem französischen und dem englischen Anteil - letzterer ist geringer als der französische - auf sich zu nehmen. Insgesamt sind es beinahe 117 Milliarden, die Deutschland zu bezahlen hat. In 59 Jahren muß diese Schuld bezahlt sein. Nicht ein einziger Pfennig von dem, was Deutschland bereits geleistet hat, wird in Anrechnung gebracht. Ohne die Zahlungen an Zinsen und Amortisationen der Dawesanleihen sind es jährlich rd. 2 173 Millionen oder genau 2 Milliarden, 172 Millionen und 960 Tausend Mark. Man sieht jetzt, daß durch die Konferenz keine Verbesserung der deutschen Lage herbeigeführt wurde, vielmehr eine ungeheuerliche Mehrbelastung. Zahlenmäßig waren unsere Leistungen, wenn man den Zinsendienst der Anleihen dazurechnet, schon höher als aus dem Dawesabkommen. Der Transferschutz fällt fort, die Kontrolle über die deutsche Wirtschaft ist keineswegs aufgehoben, sondern nur einer anderen Institution übergeben, die Schuld in eine kommerzielle umgewandelt, und 59 Jahre lang - d. h. noch die Enkel unserer Generation sind tributpflichtig - muß Deutschland zahlen. [51] In Deutschland befindet sich inzwischen die nationale Opposition in heftiger Abwehr des Youngplanes. Die Nationalsozialistische Partei, der Stahlhelm und die Deutschnationalen unter Hugenberg treten entschlossen dagegen auf. Das erste Mal steht das nationale Deutschland erbittert und verbissen den Erfüllungspolitikern in geschlossener Front gegenüber. Es ergreift die Möglichkeit aus der Verfassung, ein Volksbegehren zur Durchführung zu bringen, und stellt in seinen Bedingungen die Forderung auf, die zum erstenmal das ganze übrige Deutschland aufhorchen lassen. In Erkenntnis dessen, daß alle nach dem Versailler Vertrag durchgeführten Verhandlungen und Abkommen sich aus dem Kriegsschuldparagraphen (Artikel 231) des Versailler Vertrages ergeben, fordern sie,
"daß die Reichsregierung darauf hinzuwirken habe, daß das Kriegsschuldanerkenntnis... des Versailler Vertrages förmlich außer Kraft gesetzt wird. Sie hat ferner darauf hinzuwirken, daß die besetzten Gebiete nunmehr unverzüglich und bedingungslos... geräumt werden... Eine solche Sprache von seiten der nationalen Opposition war bis dahin in Deutschland noch nicht gehört worden. Die Regierungen und die Erfüllungsparteien wenden sich sofort erbittert gegen den Volksentscheid. Die rote Regierung ver- [52] bietet ihren Beamten unter Androhung von Disziplinarstrafen die ihnen verfassungsmäßig zustehende Teilnahme am Volksentscheid. Leidenschaftlich entbrennt der parlamentarische Kampf. In hunderten von Versammlungen wird dem deutschen Volke das Elend der Tributpolitik vor Augen geführt. Die Männer der Rechtsparteien werden von den Systemtreuen als Katastrophenpolitiker bezeichnet. Am 29. Oktober hat sich das Volk mit 10% der Stimmberechtigten für den Volksentscheid ausgesprochen. Dem Reichstag vorgelegt, wird das Volksbegehren von den Erfüllungsparteien und einigen Deutschnationalen abgelehnt. Die Deutschnationale Volkspartei trennt sich von diesen unsauberen Elementen, und gemäß der Verfassung wird das durchgegangene, aber vom Reichstag abgelehnte Volksbegehren dem deutschen Volk zum Volksentscheid vorgelegt. Noch einmal erhebt sich die nationale Opposition zum Endkampf. Ebenso erbittert kämpfen die Erfüllungsparteien darum, daß möglichst viele Stimmen sich dem Volksentscheid fernhalten. Der SPD.-Jude Hilferding verspricht sogar, daß bei Annahme des Youngplanes im kommenden Jahre Steuern in Höhe von 900 Millionen gestrichen werden könnten. Die Endabstimmung des Volksentscheids ergibt 5,8 Millionen Stimmen; die erste große Schlacht der nationalen Opposition ist verloren. Der größere Teil des deutschen Volkes glaubt noch immer an den Wahnsinn der Erfüllungspolitik. Im Januar 1930 tritt die 2. Haager Konferenz über den Youngplan zusammen, und am 20. Januar unterschreibt der Volksparteiler Curtius als deutscher Reichsaußenminister das Schlußprotokoll. Die alliierten Vertreter können aber auch jetzt noch im letzten Augenblick nicht für sich auf einen weiteren Erfolg und für Deutschland auf einen neuerlichen Nackenschlag verzichten, indem eine sogenannte Sanktionsklausel mit in den Vertrag aufgenommen wird, nach der die reparationsempfangenden Regierungen sich an einen Schiedsgerichtshof wen- [53] den können, wenn eine deutsche Regierung es unternehmen sollte, gegen den Youngplan anzugehen. Das bedeutet soviel, daß jeder Versuch einer deutschen Regierung, die unerträglichen Fesseln abzuwerfen, den Gegnern das Recht gibt, nach ihrem Ermessen gegen Deutschland vorzugehen. Am 12. März 1930 nimmt der deutsche Reichstag mit 266 gegen 193 Stimmen den Youngplan in vollem Umfange an. In Deutschland jubeln die Erfüllungspolitiker und erzählen dem deutschen Volk, daß es durch ihre Bemühungen gelungen sei, die französische Soldateska vom rheinischen Boden zu entfernen. Am 30. Juni 1930 verläßt der letzte französische Soldat deutschen Boden. Am Rhein werden Befreiungsfeiern veranstaltet, schwarz-rot-goldene Fahnen symbolisieren Freiheit, Schönheit und Würde nach 10 Jahren Erfüllungspolitik. Um welchen Preis? 4½ Jahre vor der im Versailler Vertrag vorgesehenen Zeit räumt Frankreich das besetzte Gebiet. Dafür ist Deutschland 58 Jahre lang in Ketten gelegt. Die gesamte deutsche Wirtschaft ist dem Verderben preisgegeben. Alle Hoheitsrechte Deutschlands sind ihm genommen. Und ein ohnmächtiges, getretenes blutarmes Volk feiert jubelnd den Tag, an dem ihm die Erfüllungspolitiker das Danaergeschenk einer vorzeitigen Räumung des Rheinlandes übergeben. Wie der gesunde Teil des Rheinlandes darüber denkt, mag daraus erhellen, daß die Vereinigung des Rheinischen Landbundes und der Rheinischen Bauernvereine klar und deutlich erklären, daß die Tributleistungen aus dem Youngplan von Deutschland nie getragen werden könnten und daß sie "bei aller Sehnsucht der endlichen Befreiung der rheinischen Heimat von dem Druck der Besatzung" dennoch die Reichsregierung bitten, "die endliche Erfüllung dieses uns als Recht zustehenden Wunsches nicht durch neue Lasten und Leistungen zu erkaufen". Dieses Beispiels echten Deutschtums müssen alle diejenigen eingedenk sein, die gedankenlos die leichtfertige, ja sogar verbrecherische Einstellung der Erfüllungspolitiker nachschwätzen.
Die Schandverträge Hans Wilhelm Scheidt |